indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Freitag, 15. April 2005

Interview

Peinliche Initiative

Otto Schily mit Jörg Hahn & Michael Reinsch (FAZ 15.4.)
FAZ: Was sagen Sie zur Initiative des grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit, Michel Platini zu unterstützen und sich explizit gegen Franz Beckenbauer zu wenden?
OS: Diese peinliche Initiative findet nicht einmal den Beifall der Grünen. Platini ist sicherlich auch eine interessante Fußballerpersönlichkeit. Es geht nicht darum, Gegenkandidaten negativ zu beurteilen. Aber wir unterstützen Franz Beckenbauer, der die besten Qualifikationen für das Amt des Uefa-Präsidenten mit sich bringt.
FAZ: Häufig wird beklagt, der deutsche Sport sei in internationalen Gremien nicht ausreichend vertreten.
OS: Wenn wir uns auf der internationalen Bühne des Sports umschauen, sind wir dort nicht allzugut vertreten. Thomas Bach ist als Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees turnusgemäß ausgeschieden; da könnte es für uns auch ein bißchen besser bestellt sein. Wenn ein Mann wie Franz Beckenbauer, der auch mit der Öffentlichkeit umzugehen weiß, an der Spitze einer so bedeutenden internationalen Organisation wie der Uefa stünde, wäre das für den deutschen Sport insgesamt ein großer Gewinn.
FAZ: Was spricht für Beckenbauer?
OS: Er ist so offenkundig für diese Position geeignet, daß man nicht nach Argumenten für ihn suchen muß. Ich würde mich wiederholen, wenn ich von seinem phänomenalen nationalen und internationalen Renommee und den Sympathien, die ihm überall entgegengebracht werden, sprechen wollte. Daß er Präsident des Organisationskomitees für die WM 2006 ist, wird Beckenbauers Ruf sicher nicht schwächen, sondern mehren. Die WM wird nach meiner Überzeugung ein großartiger Erfolg werden.

Champions League

Folklore und zeitgenössische Strategien

Christof Kneer (SZ 15.4.) erklärt den derzeitigen Erfolg des englischen Fußballs: „England war not amused, als der Verband im Jahr 2001 dem Schweden Eriksson die Nationalelf anvertraute, zumal der Neue strafverschärfend gestand, er könne weder die Nationalhymne singen noch sei er ein Freund des Alkohols. Heute weiß man: Eriksson war ein Trendsetter. Ihm folgten unter anderem José Mourinho und Rafael Benitez, und längst haben die Spitzenteams den britischen Stil mit europäischen Elementen veredelt. Sie haben sich die Folklore erhalten, ihr Tempo, ihren Ehrenkodex, aber sie haben sich modernisiert mit zeitgenössischen Strategien und Profis, die sie nicht nur teuer im Ausland einkaufen, sondern auch in Elite-Unis ausbilden. Nicht mehr auf dem Lehrplan: wie man 16 Pints trinkt und trotzdem Fußball spielt.“

Ideenlos und leidenschaftslos

Juve schießt kein Tor; Dirk Schümer (FAZ 16.4.) ist enttäuscht, aber nicht überrascht: „So etwas kann im Fußball, den nicht einmal Trainer-Stratege Fabio Capello im voraus zu berechnen vermag, durchaus vorkommen. Durch und durch enttäuschend war indes die fade Art und Weise, in welcher der piemontesische Traditionsklub zwanzig Jahre nach dem bitter schmeckenden Endspielsieg über Liverpool beim Brüsseler Heysel-Massaker klein beigab: Ideenlos und leidenschaftslos konnte Juventus niemals Druck gegen die nicht einmal berauschenden Briten aufbauen. Das mag wie oft in Italiens Fußball an einem Übermaß an Vorsicht, ja Feigheit liegen. Capello hatte seinen Mannen geraten, sich mit dem entscheidenden 1:0 Zeit zu lassen. Es sah danach so aus, als wollten die Turiner mit der Attacke bis nach dem Abpfiff warten.“

Fussballspiele sind keine künstlerischen Werke, sondern knallhartes Geschäft

Claudio Klages (NZZ 15.4.) über die Ursache des Liverpooler Siegs: „Juventus, in der ruhmreichen Vergangenheit bekannt für den Gemeinschaftssinn, die Ausgeglichenheit zwischen den Linien und die Unterordnung jedes Einzelnen, war diesmal ein falsch zusammengesetztes Puzzle. (…) Aufwand und Ertrag, Mittel und Zweck stehen im FC Liverpool im ausgewogenen Verhältnis – sportlich wie wirtschaftlich. Mit Minimalismus wurde erneut das Maximum erreicht, aber Fussballspiele sind keine künstlerischen Werke, sondern knallhartes Geschäft. Das weiss auch Juve – seit Jahren. Ungemein nüchtern und diszipliniert und durchaus auch vom Glück begünstigt hat Liverpool diesen grossen Schritt in den Halbfinal gemacht.“

Andere kaufen Stars, um besser zu werden – PSV verkauft sie und wird besser

Christian Eichler (FAZ 15.4.) führt den Erfolg des PSV Eindhoven zu einem Gutteil auf den Trainer zurück: „Als 41 Jahre alter Jungtrainer führte Guus Hiddink den PSV zum Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1988 – im Elfmeterschießen gegen Benfica Lissabon. Doch erst seit Hiddink nach zwölf Wanderjahren und dem Erreichen des WM-Halbfinals mit Südkorea 2002 zurückkehrte, ist Eindhoven wieder in Sichtweite der europäischen Spitze. Dabei fehlte es nie an Spitzenkräften. Eindhoven formte den Gegenentwurf zum Ajax-Modell: eine Kombination aus sperrigem Sicherheitsfußball und dem Schnäppchengespür für sensationelle Sturmtalente. Der junge Romario kam aus Brasilien zum PSV, später der siebzehnjährige Ronaldo, beide wurden teuer nach Barcelona verkauft. Die Philips Sport Vereniging schien wie eine Fabrik, die Superstürmer am Fließband produzierte. Ruud van Nistelrooy brachte 30 Millionen Euro, als er nach Manchester ging. Mit Arjen Robben (für 18 Millionen Euro zum FC Chelsea) verkaufte Eindhoven vor einem Jahr den möglichen nächsten Weltstar. (…) Andere kaufen Stars, um besser zu werden – PSV verkauft sie und wird besser.“

Ein Coach, der Kleine wachsen lässt

Christoph Biermann (SZ 15.4.) ergänzt: „Den Trainer sollte man langsam zu den Großen seines Fachs zählen. Hiddink ist ein Coach, der Kleine wachsen lässt. Immer erkennt man dabei ein aufeinander abgestimmtes Team.“

NZZ: Der PSV Eindhoven feiert sich als unbeschwerter Aussenseiter

SZ: Der Teamgeist ist angeschlagen: Bei den Bayern wirkt das Europacup-Aus nach

Ball und Buchstabe

Das Problem ist nicht neu

Gewalt im Osten bedrückt Ronny Blaschke (taz 15.4.): „Hierzulande ist das Gewaltproblem vor allem ein Problem des Ostens. Das belegt eine gerade publik gewordene Studie des Fanforschers Gunter A. Pilz. Und das belegen Zahlen. Sechsmal waren in dieser Zweitligasaison Fans der vier ostdeutschen Vereine an Ausschreitungen beteiligt. Nur einmal, beim Spiel Essen gegen Frankfurt, waren es Fans aus den alten Ländern. Doch warum hat sich der Hooliganismus vor allem in Dresden, Cottbus oder Erfurt manifestiert? „Das Problem ist nicht neu“, sagt Hans-Georg Moldenhauer, Ost-Vertreter im Präsidium des DFB. Schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde der Fußball im Osten als Plattform für Gewalt genutzt, öffentlich wurden die Vergehen selten. Die Gewalt im ostdeutschen Fußball ist aber kein reines Erbe der DDR. „Wo die sozialen Probleme heute am größten sind, neigen Menschen leider schneller zu Gewalt“, sagt Uwe Leonhardt, Präsident des FC Erzgebirge Aue. Vornehmlich Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren, oft unter Alkoholeinfluss, artikulieren ihren Frust durch Gewalt, bei Stadtfesten oder Demonstrationen – aber hauptsächlich beim Fußball.“

Donnerstag, 14. April 2005

Champions League

Üble Sitten

Roland Zorn (FAZ 14.4.) klagt über Gewalt in Mailand und Chelseas schlechtes Benehmens: „Während die italienischen Fußball-Obrigkeiten dem Wachsen der Gewalt in den Stadien zu lange tatenlos zuschauten und hier und da sogar mit den rechten Ultra-Gruppen paktierten, befeuerte in England ein Trainer der schlechten Manieren die zunehmend üblen Sitten am Arbeitsplatz Profifußball. (…) Wohltuend war dagegen die Noblesse, mit welcher der FC Bayern München sein Ausscheiden sportlich-fair hinnahm. Den Abstand zwischen einem großen Klub und einem neureichen Emporkömmling in der Stilnote auch nur zu verkürzen, das wird dem FC Chelsea mit seinem Egotrip-Cheftrainer an der Spitze schwer fallen – mag er auch in der in diesem Jahr befleckten Champions League beste Aussichten besitzen.“

Kampf gegen die eigene Blaupause

Chelsea hat Bayern den Spiegel vorgehalten – Daniel Pontzen (Tsp 14.4.): „Chelsea war nicht mal die bessere Mannschaft, doch im Vergleich zum Gegner zeichnete sie eine kühle Effizienz aus, ein unbeugsamer Glaube an die eigene Stärke, der über die wilde Leidenschaft des tapferen Konkurrenten siegte. Die ausschlaggebenden Qualitäten des FC Chelsea waren somit exakt jene, mit denen hierzulande seit Jahrzehnten nur ein Verein die Konkurrenz zermürbt: die Bayern selbst. Im Kampf gegen die eigene Blaupause blieb den Münchnern nur eine Nebenrolle, wie man sie gut in Leverkusen, Köln oder Schalke kennt. Dies war eine neue Erfahrung für die Münchner, und für manche war es eine sehr bittere.“

Der Bayern-Dusel ist tot

Thomas Beckers Kondolenz (taz 14.4.): „Und so geschah es bei diesem finalen Großereignis, dass sich – oh Wunder! – tatsächlich so etwas wie Mitleid regte. Mitleid mit dem jahrelang genussvoll als FC Großkotz titulierten Branchenführer des deutschen Fußballs. Ein treuer Wegbegleiter wurde an diesem Abend beerdigt: Der Bayern-Dusel ist tot.“

Andreas Burkert (SZ 14.4.) ergänzt: „Die Bayern haben vermutlich ein großartiges Wenn-dann-Spiel abgeliefert – ein nur fast perfektes Spiel.“

In den wesentlichen Punkten überlegen

Im Gegensatz zu den meisten Bayern hält Philipp Selldorf (SZ 14.4.) Chelsea für den verdienten Sieger: „Chelsea hat mehr Überlegenheit hergestellt, als es das Ergebnis wiedergibt. (…) Im Wettstreit mit dem FC Bayern erwies sich das für viel Geld, aber präzise und streng nach Bedarf formierte Team des FC Chelsea in den wesentlichen Punkten als überlegen: durch das konstant hochklassige Niveau der Akteure, durch die kaum zu erschütternde Verlässlichkeit des strategischen Systems und durch die Zielstrebigkeit, die im modernen Fußball zum Erfolg führt. Die Bayern können daraus lernen, und sie sollten es als Trost und Ansporn auffassen, dass sie nicht zwingend einen russischen Ölbaron brauchen, um ihre Nachteile zu überwinden.“

Bloß Mitspieler

Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 14.4.) hält fest: „Der große europäische Fußball hat sich vom FC Bayern entfernt. Die Niederlagen gegen Mannschaften vom Kaliber AC Mailands, Juventus Turins oder Chelseas sind längst mehr als ein Trend. Sie sind zur Regel geworden. Und München zum bloßen Mitspieler der Champions League.“

faz.net-Bildstrecke aus München

Muss erst wieder jemand ums Leben kommen, damit angemessen reagiert wird?

Milan Pavlovic (SZ 14.4.) fordert Strafe für Inter Mailand und Italiens Fußball: „Es wäre wichtig, dass die Uefa ein Zeichen setzt, wenn sie über die Vorfälle in Mailand urteilt. Sie sollte bedenken, dass Mailand eben kein Einzelfall ist, sondern nach Rom und Livorno der Höhepunkt einer Gewaltspirale, deren Ende nicht abzusehen ist. Eine kollektive Strafe gegen alle italienischen Klubs erscheint noch sinnvoller, wenn man an die Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion 1985 zurückdenkt: Erst durch die drakonische Sperre gegen alle englischen Klubs wurden die Insel-Hooligans gezähmt. Oder muss erst wieder jemand ums Leben kommen, damit angemessen reagiert wird?“

Unsauberer irrealer Fußball

Dirk Schümer (FAZ 14.4.) kann es nicht fassen, dass Offizielle und Sportler verharmlosen: „Der Feuerwerkskörper, der Dida an der Schulter traf, hätte ihm auch ins Gesicht fliegen können. Dann wäre der großartige Schlußmann jetzt vielleicht blind oder taub oder gar tot. Oder sein Trikot hätte Feuer gefangen und ihn großflächig verbrannt. Doch anstatt diese neue, menschenverachtende Dimension der Spielerjagd mittels Sprengkörper entsetzt zu kommentieren, taten die meisten der beteiligten Sportsleute, als wäre dies ein fast normaler Fußballabend gewesen. Der wichtigste Verantwortliche der Heimmannschaft, Inters Trainer Roberto Mancini, besaß die Dreistigkeit, Schiedsrichter Merk die Schuld an den Ausschreitungen in die Schuhe zu schieben. (…) Wie soll ausgerechnet Ministerpräsident Berlusconi die Lage in den veralteten Stadien in den Griff bekommen? Gerade er ist mit seiner rosaroten Fernsehvermarktung, einer Legalisierung unsauberer Steuertricks für die Vereine sowie einem ungebremsten Mäzenatentum verantwortlich für einen unsauberen irrealen Fußball, dem die Fanatiker auch noch den Krieg erklärt haben.“

Fest in rechter Hand

Birgit Schönau (SZ/Seite 3, 14.4.) beschreibt die Nähe von Politik und Fußball in Italien: „Über Jahre hat sich die Gewalt nahezu ungestört ausbreiten können. Die meisten Fankurven sind fest in rechter Hand, und rechtsextrem zu sein, ist in Italien unter Berlusconi kein Tabu mehr. Der Ministerpräsident selbst hat nicht ausgeschlossen, bei der nächsten Parlamentswahl ein Bündnis mit der Splitterpartei der „Duce“-Enkelin Alessandra Mussolini einzugehen. Zu ihrer „Sozialen Alternative“ gehört auch die neofaschistische Bewegung „Forza Nuova“, die ihre schlagkräftigen Mitglieder aus den römischen Fankurven rekrutiert.“

Fieber

Oliver Meiler (FTD 14.4.) ergänzt: „Zeit, den Begriff „tifoso“ zu erklären. So nennen sich in Italien die Fußballfans, auch die besonnenen. Der Begriff kommt von Typhus, der schweren, meldepflichtigen Infektionskrankheit. Also anders: In Italien ist ein Fußballfan einer, der vom Fieber des Calcio befallen ist. Chronisch, heillos. Die Infektion rührt von der maßlosen, auf ewig geschworenen Liebe für die Farben eines Vereins her. Das Fieber steigt jeden Sonntag bedrohlich an, und seit unter der Woche gespielt wird, werktags auch. Das Fieber wird angeheizt durch unzählige Talkshows. Da wird mehr geschrien als geredet. Und es wird an der „moviola“ gedreht, dem Drehrad des Schnittpults, immer wieder, für die Slowmotion. War es Abseits? Ein Elfer? Tatsächlich Tor? Keine Sendung ohne Angriffe auf vermeintlich geschmierte Referees. Allein drei Zeitungen im Land berichten nur über Fußball, sezieren Aufstellungen, schüren Gehässigkeiten, steigern das Fieber. Die Politiker machen mit. Komplotttheorien geistern herum, die Mafia soll ihren Part spielen. Lokalradios brechen die nationale Fußballschlacht herunter auf einen absurden Lokalpatriotismus. Das ist das Klima. Darin treiben die Ultras, Verrückte unter Fiebrigen. Sie sind hochgradig politisiert. Sie trinken nicht. Sie grölen faschistische Parolen, rollen Transparente mit Hakenkreuzen aus – wie zuletzt am Sonntag in Rom, beim Spiel Lazio gegen Livorno, dem einzigen Verein Italiens, der eine linke Fangemeinde hat. Die Livornesi konterten mit Hammer und Sichel und mit Bildern Stalins.“

faz-net-Bildtrecke aus Mailand

Mittwoch, 13. April 2005

Internationaler Fußball

Eine Erfolgsmannschaft ist in der Provinz nicht zusammenzuhalten

Tilo Wagner (FR 13.4.) beklagt die Last des Erfolgs beim FC Porto: „Wenn ein Verein aus dem europäischen Fußballhinterland unerwartet den ganz großen Erfolg feiert, läuft er zwangsläufig Gefahr, die besten Spieler an finanzstärkere Clubs abgeben zu müssen. Nach Ajax Amsterdam, das in den neunziger Jahren von italienischen und spanischen Managern kurzfristig zum Fußballer-Supermarkt umfunktioniert worden war, muss auch der FC Porto die bittere Erfahrung machen, dass eine Erfolgsmannschaft in der Provinz nicht zusammenzuhalten ist. (…) Die Kritik der Fans, die seit drei Monaten auf einen Heimsieg warten, richtet sich sogar gegen die bisher unantastbare Vaterfigur Pinto da Costa. Der Präsident, der seit über 20 Jahren den Verein führt, hatte fast nach jedem Spielerverkauf versprochen, es würde keiner mehr den Club verlassen. Die Habgier der Vereinsführung ist jedoch insbesondere beim letzten Transfer zu Tage getreten, als auf dem Höhepunkt der sportlichen Krise der Publikumsliebling Derlei an den von einem russischen Milliardär geführten Club Dynamo Moskau verkauft wurde. Wie viel Geld der Präsident von den knapp 100 Millionen Euro, die aus den Transfers von Deco und Co. in die Vereinskasse flossen, in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, ist nicht bekannt.“

Der einzig warme Ort ist die Herrentoilette

Mannhaft – Klaus Ungerer (FAS/Reise 10.4.) stellt uns, teilnehmendend beobachtend, die Royal League vor: „Die Royal League ist der geistige Urknall im skandinavischen Vereinsfußball. Über viele Jahre hat man vom Europapokal nur die Hacken der georgischen, aserbaidschanischen und österreichischen Kicker gesehen, gegen die man in der zweiten Runde oder in der ersten Runde oder in den Qualifikationsrunden zur ersten Runde ausgeschieden ist. Also haben sie hier jetzt die Royal League gegründet: Die Besten der Besten spielen gegeneinander, genau gesagt: die Besten der besten Norweger, Schweden, Dänen. Brachliegende Fußballmonate werden so für den Norden erschlossen, November etwa, oder Februar. (…) Viertausend enthusiastische Zuschauer haben sich unter die Dächer von Tribüne und Gegentribüne gedrückt, als die Mannschaften von Malmö FF und Brann Bergen auf die Schneefläche rutschen; wer hier nicht hemmungslos singt und grölt und klatscht und wer seine lange Unterhose ganz woanders liegen hat, spürt die Kälte von den Sitzschalen her in die Oberschenkel kriechen, ziemlich schnell sogar. Bemerkt den Beginn eines unkontrollierbaren Zitterns. Hört die schwedische Glubschwurst im Magen rumoren, umspült von kaltem Wasserbier; wer hier nicht hupft und szenenapplaudiert, wenn der weiße Ball unten im Schneetreiben gegen einen orangenen ausgetauscht wird, dem bleibt nur der Weg auf die Herrentoilette, wo sie zu Dutzenden stehen und rauchen und schnacken, einer Pinguinkolonie gleich. Es ist der einzig warme Ort.“

NZZ-Bericht Bayern-Chelsea (3:2) SZ

NZZ-Bericht Inter-Milan (0:1 Abbr.)

Confed-Cup

Brisanz

„Für Sportler aus aller Welt ist seit gestern die Tür zu den europäischen Ligen weiter geöffnet worden“, stellt Heinz Peter Kreuzer (FTD 13.4.) nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof über die in vielen Ligen gültige Ausländerklausel fest: „In dem Diskriminierungsverbot heißt es: Legal in der EU beschäftigte russische Arbeitnehmer dürfen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung gegenüber den Bürgern der EU-Staaten nicht benachteiligt werden. Zusätzliche Brisanz erhält dieses Urteil, weil die EU nicht nur mit Russland, sondern mit einer Reihe anderer Staaten ähnliche Vereinbarungen unterzeichnet hat. Dazu gehören das so genannte Countonou-Abkommen, das 77 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks betrifft, sowie Marokko, Tunesien und Algerien.“

Ball und Buchstabe

Fußfall vor den Gewalttätern

Dirk Schümer (FAZ 13.4.) schildert die Gewalt italienischer Fans und deren Verflechtung mit den Offiziellen: „Nicht einmal die versöhnliche Stimmung zur Beerdigung von Papst Johannes Paul II. konnte die Tifosi von ihrer alltäglichen Brutalität abhalten. (…) Weil man – anders als in England – in Italien nach dem Heysel-Drama wenig gegen die Hooliganszene, die sogenannten Ultras, unternommen hat und auch die Spielorte nicht modernisierte, kann Lazios Präsident Lotito lamentieren, das römische Olympiastadion sei nun einmal mit seinem täglichen Kommen und Gehen nicht zu sichern. Ebenso klingt es nach Fußfall vor den Gewalttätern, wenn der linke Livorneser Star Cristiano Lucarelli seinen abgewiesenen Tifosi die Heimfahrt im Bus aus eigener Tasche finanzierte. Extremistische Fans kontrollieren bei Lazio sogar den Verkauf von Fan-Artikeln und rechtfertigen ihre Ausschreitungen ausführlich im lokalen Fernsehen der Radiostationen, die den „Ultras“ freundlich gesinnt sind. Bei so viel offizieller Laxheit wird es immer schwerer, den Sumpf der Gewalt trockenzulegen. Solange aber Italiens Fußballpatron Silvio Berlusconi im Streit um hochverschuldete Klubs den Calcio zur nationalen Angelegenheit verklärt und notfalls mit umstrittenen Sondergesetzen und Steuernachlaß den Spielbetrieb sicherstellt, rechnen auch die Gewalttäter darauf, daß man ihnen das liebste Hobby schon nicht verbieten wird.“

Im Crescendo des Fußball-Wahnsinns

In Nürnberg hat sich eine Fußball-Akademie mit einer Tagung gegründet; Christian Kortmann (SZ 11.4.) hat sie gerade noch gefehlt: „Zur Gründungstagung hatte Klinsmann seine stummen Begleiter Joachim Löw und Andreas Köpke mitgebracht. Die drei blickten auf der Bühne mäßig begeistert drein, als würde ihnen langsam klar, welche Albernheiten sie im Dienste der WM 2006 mitmachen müssen, und ihre Mimik fragte simultan: Könnte man für solche Aufgaben nicht doch Berti Vogts engagieren? (…) Dieser Sport sei das Esperanto der Kulturindustrie, weil das Körpergefühl für Fußball in jedem von uns stecke; Klaus Theweleit war der unangefochtene Torschützenkönig der Tagung – sachkundig, unterhaltend und originell: Selbst am Abend auf der Feier demonstrierte er noch Volley-Schusstechniken. (…) Der Praktiker Jürgen Klinsmann hält Nachdenken über Fußball für so relevant wie Taktiktipps von Lothar Matthäus, und mit seiner Skepsis behielt er zum Teil recht: Die Tagung zeigte, dass es wenig ergiebig ist, einfach nur über Fußball zu plaudern. Das muss dieser wehrlose Gegenstand im Land der 80 Millionen Nationaltrainer ja ohnehin oft genug aushalten. Wie jede andere Wissenschaft erfordert auch die Erforschung des Fußballs ein begriffliches Instrumentarium und Erkenntnisinteresse. Man muss sich die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur als ein Trainingslager wünschen, in dem eingeübt wird, im Crescendo des Fußball-Wahnsinns, der uns in den kommenden 15 Monaten erwartet, cool zu bleiben.“

Dienstag, 12. April 2005

Allgemein

Sprunggewaltiger Elefant

Raphael Honigstein (SZ 12.4.) stellt uns Didier Drogba vor: „Der ganz große Traum des Mannes mit der Vorliebe für Hip-Hop-Mützen ist es, nächstes Jahr in München, Stuttgart oder Nürnberg zu spielen – mit der Elfenbeinküste will er zur WM 2006. Die als Elefanten titulierte Nationalmannschaft führt die Qualifikationsgruppe an und ist in dem wieder von Unruhen geplagten Land ein Symbol für Toleranz. „Die Mannschaft ist so, wie die Elfenbeinküste einmal war und wie sie sein sollte“, sagt Drogba, „bei uns spielen die verschiedenen Volksgruppen ohne Probleme zusammen, und wenn ein Tor fällt, fragt kein Zuschauer nach der Stammeszugehörigkeit.“ Heute wird man Drogba nicht nur als den sprunggewaltigen Elefanten erleben, sondern auch als schwindelerregend schnellen Konterspieler.“

Mittelfeldspieler aus dem Bestellkatalog

Christian Eichler (FAZ 12.4.) ist begeistert von Frank Lampard: „Dreieinhalb Jahre, ohne einen Einsatz zu verpassen: nie verletzt, nie gesperrt, immer treibende Kraft. Es ist eine Beständigkeit, die Alex Ferguson neidvoll als „freakish“ beschreibt: allenfalls übersetzbar mit einer Kombination der Wörter verrückt, unglaublich, unerklärlich. Lampard in seiner wachen Spielintelligenz zu beobachten kann eine wahre Freude sein. Eine Art Hase-und-Igel-Spiel. Welcher Laufweg oder Zweikampf, Paß oder Schuß zu erledigen ist: Wenn der Zuschauer gerade denkt, daß es einer jetzt gerade tun müßte, hat Lampard es meist schon getan. Ließe sich ein Mittelfeldspieler aus dem Bestellkatalog konfigurieren: Laufwunder, zweikampfstark, taktisch intelligent, ausgeglichenes Temperament, paßgenau, schußstark mit beiden Füßen – heraus käme Lampard.“

Internationaler Fußball

Letzte Bastion der zügellosen Freiheit

Real besiegt Barca 4:2 – Ralf Itzel (BLZ 12.4.) hat sich bestens amüsiert: „Von Taktik konnte keine Rede sein. Oder höchstens von der, die Kinder weltweit auf Schulhöfen praktizieren: Im Hurrastil alle nach vorne! Es war die pure Anarchie, was Spaniens Klassiker zum großartigen Spektakel machte, ihn aber gleichzeitig belanglos erscheinen ließ. Spaniens Primera Division präsentierte sich als letzte Bastion der zügellosen Freiheit im europäischen Fußball, derart bar jeglicher Abwehrorganisation, dass man verstehen konnte, warum die beiden iberischen Vorzeigeklubs die Champions League vorzeitig verlassen mussten.“

Salonfussballer

Markus Jakob (NZZ 12.4.) ergänzt: „Barça schien sich aus einer andern Gewichtsklasse in diesen Tempel der Schwergewichte des Fussballs verirrt zu haben. Die Katalanen spielten den tempo- und einfallsreicheren, auch den verführerischeren Fussball. Aber, wie es El País ausdrückte, eben doch eine Art „fútbol de salón“, dem es an Konsistenz mangelt. Schon gegen andere Widersacher von Format, Chelsea und zuletzt Betis Sevilla, hatten die Salonfussballer aus Barcelona sich früh überrumpeln lassen. (…) Ganz anders das Team von Real Madrid, dessen Spielanlage direkt aufs Kinn des Widersachers zielte. Die Beine seiner grossen nicht mehr ganz jungen Spieler mochten neben den blaugranatenen, gauklerhaften Ballartisten bleiern anmuten; zugleich aber erschien der Triumph von Real Madrid, erzielt ohne Umschweife und dank umso grösserer Spielübersicht, wie eine Imposition.“

Sehr viel Stil und wenig Hirn

Paul Ingendaay (FAZ 12.4.) fügt hinzu: „Immerhin kann Real Madrid noch laut die Trompete blasen, und das ist mehr, als man dem Team zugetraut hatte. (…) Daß es ein leidenschaftlicher Abend mit packenden Duellen und dutzendweise Torraumszenen wurde, lag vor allem am taktischen Unvermögen des Tabellenführers. Die Katalanen spielten wie schon beim 2:4-Ausscheiden gegen Chelsea London: mit sehr viel Stil und wenig Hirn. Als zählten nicht Tore, sondern Haltungsnoten. (…) Aber es war nicht mehr das große Real Madrid von einst. Es war die Erinnerung daran, ein nostalgisches Zitat. Früher hätte diese Mannschaft versucht, jeden Gegner zu überrollen. Heute muß sie auf den Überraschungsfaktor, auf Konterchancen oder das eigene Publikum hoffen.“

Champions League

The world’s most arrogant club vs. the world’s most arrogant manager

Im Guardian lesen wir vor dem Spiel der Bayern gegen Chelsea: „Throughout the last decade, Bayern Munich have been the most arrogant club in the world. If it wasn’t Stefan Effenberg announcing how great he was, it was a perma-tanned Lothar Matthaus. If it wasn’t Franz Beckenbauer having an office-party lovechild, it was Mary Shelley’s Oliver Kahn making off with a barmaid. And so on. Indeed, Bayern were so arrogant that they frequently squabbled with each other (famously, during the 1996-97 season, Matthaus bet general manager Uli Hoeness GBP5,000 that his team-mate Jurgen Klinsmann wouldn’t score 15 goals that season, and lost). (…) If the world’s most arrogant club are to make the Big Cup semi-finals they will have to get past the world’s most arrogant manager.“

Zwei Vorberichte: NZZ taz

Prozessakten

Trainerdiskussion? Vor dem Rückspiel gegen den AC Milan hört Peter Hartmann (NZZ 12.4.) Inters Spatzen pfeifen: „Für den wahrscheinlichen Fall, dass das Wunder der Wende nicht eintritt, liegen die Prozessakten mit den gesammelten Irrtümern des Trainers bereit. Hauptanklagepunkt: Roberto Mancini ist es nicht gelungen, eine Stammbesetzung zu finden, der dauernde Konkurrenzkampf hat die Spieler verunsichert. Er überwarf sich mit Adriano, der plötzlich mit Real Madrid zu flirten begann, mit dem alten Löwen Vieri, der keine Tore mehr schiesst, aber dauernd knurrt, mit Davids, der frustriert nach Holland zurückgekehrt ist, und mit dem Türken Emre, der über eine Zeitung in Istanbul eine polemische Vendetta anzettelte. Mancini zeigt wenig Dialogbereitschaft, bevorzugt dafür seine alten Kumpel Mihajlovic, Stankovic und Véron, die er von Lazio Rom mitgebracht und mit denen er selber noch gespielt hat. Der Trainer offenbart auch taktische Schwächen. So lässt er die Inter-Abwehr bei stehenden Bällen den Raum decken.“

Kontrolle

Bertram Job (NZZ 12.4.) widmet sich dem PSV Eindhoven: „Es ist nicht der landestypisch propagierte „aanvallend voetbal“, der Angriffsfussball, mit dem sich der Klub unter die besten acht Europas gemischt hat. Sondern ein sorgfältig austariertes Gefüge aus strategischen Verantwortlichkeiten, das die gegnerischen Offensivbemühungen weitgehend erstickt. Für den Chefcoach Guus Hiddink entwickelt sich das eigene Spiel zuvorderst aus der Kontrolle des Spielgeschehens, so wie es im Vorjahr ähnlich der FC Porto praktizierte. Das mag mitunter nicht immer so attraktiv aussehen, wie sich niederländische Kolumnisten und Zuschauer den Fussball wünschen. Dafür steht der PSV eventuell vor einer der erfolgreichsten Saisons seiner 92-jährigen Vereinsgeschichte.“

Ball und Buchstabe

Gesellschaftlicher Durchschnitt

Christoph Biermann (SZ 12.4.) rezensiert ein Buch über die Haltung und Handlungen Schalkes im Nationalsozialismus, das der Verein in Auftrag gegeben hat: „Schalke 04 steht damit neben Daimler-Benz, Volkswagen, Krupp und anderen deutschen Großunternehmen, die ihre Geschichte im Nationalsozialismus von unabhängigen Wissenschaftlern haben aufarbeiten lassen; der DFB hat eine solche Studie bis heute noch nicht vorgelegt. Im Schalker Fall ist das eher unspektakuläre Ergebnis bereits im Titel der Publikation zusammengefasst: „Zwischen Blau und Weiß liegt Grau“. Er soll sagen, dass der Serienmeister der Nazi-Zeit den gesellschaftlichen Durchschnitt repräsentierte. (…) Durch aufwändig belegte Archivarbeit glauben die Autoren nachweisen zu können, dass die Siege auf dem Rasen keine politischen Hintergründe hatten.“

FAZ: Opportunisten und Mitläufer

Den Jüngling bringt keines wieder

Peter Körte (FAS/Feuilleton 10.4.) besingt die Schwalbe Ballack mit Schiller: „Hat ihn Jürgen Klinsmann deshalb zum Kapitän gemacht, weil die britische Boulevardpresse Schillers Landsmann seinerzeit ebenfalls zum „diver“ ernannte? Oder hat Ballack einfach Schiller falsch verstanden? „Durch gymnastische Uebungen bilden sich zwar athletische Körper aus, aber nur durch das freie und gleichförmige Spiel der Glieder die Schönheit“, schreibt Schiller in den Briefen „Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen“, wobei mit dem freien Spiel der Glieder gewiß nicht gemeint ist, gegnerische Spieler mit einer Blutgrätsche einzuschüchtern oder theatralisch hinzusinken, wenn jemand am Trikot zupft. „Und schaudernd dacht ich’s, da kroch’s heran, / Regte hundert Gelenke zugleich, / Will schnappen nach mir“, heißt es in der Ballade „Der Taucher“, an welche der Abiturient Ballack sich vage erinnert haben mag, als Ricardo Carvalho neben ihn trat, zumal ja auch dem Gewinner der Champions League eine Art goldener Becher winkt: „Da treibt’s ihn, den köstlichen Preis zu erwerben, / Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.“ Leider hat Schiller-Schüler Ballack dann nicht weitergelesen. „Es kommen, es kommen die Wasser all, / Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, / Den Jüngling bringt keines wieder“ – so wird es ihm ergehen, wenn Chelsea in München gastiert.“

11 Freundinnen

Mangel an Geld und ehrenamtlichen Helfern

Gregor Derichs (FAZ 11.4.) referiert die Lage im Frauenfußball: „Allein der von den Männern bis vor 30 Jahren diskriminierte Frauenfußball sorgt dafür, daß der DFB (6,27 Millionen Mitglieder) nicht schrumpft. Obwohl sich der Fußball zur populärsten weiblichen Mannschaftssportart entwickelt hat und nur der Turn- und der Reitverband mehr weibliche Mitglieder aufweisen können, haben es Mädchen und Frauen im Fußball nicht leicht. Im Schulsport soll der Fußball bei Mädchen sogar am beliebtesten sein. Eine Untersuchung besagt, daß sechs von zehn Mädchen gerne Fußball spielen würden, aber höchstens 20 Prozent es tun. (…) Mädchen benötigten mehr Privatsphäre bei Dusch- und Umkleideräumen sowie eine intensivere soziale Betreuung, damit sie beim Fußball blieben, lautet eine Forderung. Doch in vielen Kleinvereinen sei dies nicht umzusetzen. Zuweilen entsteht im Verein auch ein Spannungsfeld, weil fußballspielende Mädchen und Frauen ein höheres Bildungsniveau als kickende Jungen und Männer haben. Mit einer Offensive bei der Personalqualifizierung will der DFB die Probleme mildern. (…) Im Breitensport leidet der weibliche Bereich an den gleichen Problemen wie der männliche: Mangel an Geld und ehrenamtlichen Helfern.“

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