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Deutsche Elf

Angriff auf die Autorität des Trainers

Oliver Fritsch | Dienstag, 21. Oktober 2008 Kommentare deaktiviert für Angriff auf die Autorität des Trainers

Michael Ballack steigert die öffentlichen Scharmützel in der Nationalmannschaft durch Vorwürfe an Joachim Löw in einem FAZ-Interview

Ist Fußball-Deutschland in Not? Nach dem monatelangen Ballack/Bierhoff-Streit, den Klagen Torsten Frings’ in der Bild-Zeitung, der ferndiagnostischen Einmischung Bernhard Peters’ während der EM, hat nun Michael Ballack der FAZ ein Interview gegeben, in dem er kräftig austeilt gegen Bundestrainer Joachim Löw, Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann und, indirekt, auch gegen seine Mitspieler. Und der Schauplatz ist erneut die Presse.

Zweck seiner Wortmeldung ist es, seinem (ehemaligen) Ersten Offizier Torsten Frings, der wegen Versetzung in die Reserve öffentlich über seinen Rücktritt nachdenkt, bei dessen Kampf um einen Stammplatz Rückendeckung zu gewähren: „Torsten hat fast achtzig Länderspiele und spielt regelmäßig in der Champions League. Um ihn zu verdrängen, müsste ein anderer besser sein und diese Leistung über einen längeren Zeitraum konstant auf hohem Niveau unter Beweis stellen.“ Zwar gesteht Ballack zu, dass Frings nicht in Topform sei „aber er spielt immer noch auf einem sehr hohen Niveau.“

In Sachen Menschenführung stellt Ballack seinem Trainer ein schlechtes Zeugnis aus und zweifelt an dessen Charakter: „Wenn man einen nicht mehr will, sollte man das ehrlich ansprechen. Respekt und Loyalität ist doch das Wenigste, was man als verdienter Nationalspieler erwarten kann.“

Unehrlich

Ballack sagt, dass es ihm nicht um „Erbhöfe“ gehe, sondern „allein um Leistungen“. Dieser Versuch der Klarstellung überzeugt jedoch nicht, da der Rest des Interviews nach dem Gegenteil klingt. Man müsse nämlich „unterscheiden, wann und wo diese Leistungen erbracht werden. Und wenn der Bundestrainer fordert, die jungen Spieler sollen mehr Druck machen, dann ist das völlig in Ordnung. Wir dürfen das Spiel aber nicht zu weit treiben.“ Ist klar, was? Konkurrenzkampf ist gut, aber bitte bei den anderen.

Mit folgendem Vorwurf dürfte er allerdings bei den vielen Leuten, die Löws Arbeit schätzen, Konsens finden: „Ich finde es grundsätzlich gut, einen Konkurrenzkampf auszurufen. Im Umkehrschluss frage ich mich natürlich, ob es in der Vergangenheit wohl Fälle gab, bei denen das Leistungsprinzip nicht angewendet worden ist.“ Experten könnten nun entgegnen: bei Frings zum Beispiel, der schon lange nicht mehr so gut wie 2006 spielt.

Einen Nachtritt erhält auch Klinsmann, dem Ballack einen von den vielen Klinsmann-Gegnern gerne unterstellten Vorwurf untermauert: dass er Oliver Kahn und sogar Christian Wörns unehrlich behandelt und ihnen, entgegen Beteuerungen, keine echte Chance gewährt habe: „Wenn man einen nicht mehr will, sollte man das ehrlich ansprechen. Ich denke an den einen oder anderen Fall aus der Vergangenheit – zum Beispiel Oliver Kahn. Es war ein Konkurrenzkampf mit Jens Lehmann ausgegeben worden, den er nie gewinnen konnte. Oder bei Christian Wörns, der im Gegensatz zu Christoph Metzelder im selben Verein spielte und nicht auf der Bank saß.“ Selbst Flüchtling Kevin Kuranyi erfährt Ballacks Verständnis: „Seine Reaktion war natürlich nicht akzeptabel. Aber ich kann Kevins Frust gut verstehen.“

Fraktionsloser

Es fragt sich, wie Joachim Löw mit Michael Ballack künftig noch zusammenarbeiten können wird. Ihr Verhältnis wird auf jeden Fall unter Ballacks öffentlicher Attacke leiden. Es fragt sich auch, was seine Mitspieler, etwa der Frings-Ersatz Thomas Hitzlsperger, von Ballacks Lobbyversuch zugunsten Frings denken. Wohlgemerkt, es handelt sich um den Kapitän, der in der Zeitung den Nationaltrainer heftig kritisiert. Das hat es in der Geschichte der Nationalmannschaft noch nicht gegeben. Und Löw wird sich die Frage anhören müssen, ob er Ballack hinauswerfen werde. Frings jedenfalls wird Ballack keinen Gefallen getan haben. Es wäre ein Gesichtsverlust für Löw, Frings wieder zu berücksichtigen.

Eine nette Nebensache sei noch erwähnt: Angesprochen auf Olaf Thons Einwurf im kicker, dass Bastian Schweinsteiger der „wahre Kapitän“ sei und Ballack „viel zu behäbig“ spiele, fährt Ballack aus der Haut: „Das ist der Trend, den ich seit einigen Wochen beobachte: Dass versucht wird, einigen Spielern im Team ans Bein zu pinkeln, und einige auf diesen Zug aufspringen wollen. Ich warte fast stündlich auf den Beitrag von Lothar Matthäus und seinen Lohnschreibern.“

Mit Springer kooperiert Ballack seit Jahren nicht auf die gewünschte und übliche Weise; in der Nationalelf könnte er sich nun tatsächlich isoliert haben, wie es die Sport!Bild im vergangenen Monat kolportierte; Bayern München, das Ballack vor gut zwei Jahren einen schäbigen Abschied bereitete, wird sich auch nicht für ihn stark machen, zumal er Trainer Klinsmann angegangen ist. Ballack scheint sich in der Rolle des Fraktionslosen innerhalb der Fußballmächte Deutschlands zu gefallen.

Verhaltenskodex schwer verletzt

Die Zeitungen werden erst morgen reagieren können, dafür wird es vermutlich ein Thema der nächsten Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre bleiben. Im Internet gibt es erste Urteile, auf fr-online rügt Jan Christian Müller Ballack dafür, dass er den „Verhaltenskodex schwer verletzt“, es handle sich um einen „unverhohlenen Angriff auf die offenbar im Eiltempo schwindende Autorität des Bundestrainers“.

Müller erlebt Ballacks Ausführungen als Eskalation: „Bislang glaubte man, vor allem das Verhältnis Ballacks mit Oliver Bierhoff sei hochgradig belastet. Eine zwar unangenehme und belastende, aber angesichts der verständlicherweise unterschiedlichen Blickwinkel der beiden – Sport!kontra Vermarktung – gerade noch erträgliche Konstellation. Im Fall Ballack kontra Löw stellt sich das Problem allerdings ungleich größer dar.“

Und stellt Ballacks Rede in den Zusammenhang mit dem Frings-Interview in der vergangenen Woche: „Die Platzhirsche nutzen das ganze mediale Rüstzeug, das ihnen zur Verfügung steht, um ihr Revier zu verteidigen.“

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