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Deutsche Elf

Ein „sehr, sehr“ starker Kapitän

Frank Baade | Freitag, 11. September 2009 Kommentare deaktiviert für Ein „sehr, sehr“ starker Kapitän

Zwei Spieler stehen im Mittelpunkt der Nachbetrachtung des WM-Qualifikationsspiels: Michael Ballack und Miroslav Klose (und gar nicht Mario Gomez), dazu die Themen Einstellung der Nationalelf und Zuschauerschwund.

Jan Christian Müller (FR) macht Ballack zum Vize-Löw: „In England hat sich Ballack ein extrem hohes Anspruchsdenken angeeignet. Er spielt dort neben Frank Lampard und vor John Terry, und wenn seine Mitspieler in der Nationalmannschaft die Räume schlechter zulaufen, als das seine Kollegen beim FC Chelsea tun, fällt Ballack das auf. Bundestrainer Joachim Löw sagt, Ballack sei ein ’sehr, sehr starker Kapitän‘. Tatsächlich ist er weit und breit der einzige, einsame Platzhirsch in einem Team mit eher auf Ausgleich bedachten Typen. Es dürften kaum Zweifel herrschen, dass Ballack mit seiner ausgeprägten Spielertrainer-Mentalität zudem Einfluss auf die Taktik und das Personal nimmt. Solange er selbst so gut spielt wie über weite Strecken gegen Aserbaidschan, wird der im Umgang sonst sehr freundliche Ballack seinen herrischen Ton auch auf dem Feld durchsetzen können, ohne dass ihm die Gefolgschaft aufgekündigt wird. Zumal er in der Sache in der Regel Recht hat. Aber das Gebilde erscheint fragil. Ein Kapitän kann auch zu stark sein.“

Dynamisch, elegant, eiskalt – und wechselhaft

Carlos Ubina erinnert sich in der Stuttgarter Zeitung leidlich an Kloses Wankelmütigkeit: „Er kann es also doch. Was sich statistisch dadurch belegen lässt, dass Klose mit seinen 47 Länderspieltreffern in der ewigen DFB-Torschützenliste mit den Drittplatzierten Rudi Völler und Jürgen Klinsmann gleichgezogen ist, die über fast jeden sportlichen Zweifel erhaben sind. Es ist nur so, dass Klose sich bereits so häufig in einer Krise hat erwischen lassen, dass man dazwischen vergisst, wie gut er eigentlich ist. Wie dynamisch er sich von Gegnern löst, wie elegant er sich um Verteidiger dreht – und wie eiskalt er abschließt. (…) Wesentlicher erscheint jedoch, dass Klose stellvertretend für ein Kernproblem der Mannschaft steht. Sie kann ebenfalls viel: schnell kombinieren, beherzt verteidigen, leidenschaftlich kämpfen. Die DFB-Elf tut es allerdings nur selten auf einmal.“ Was so ein kleines Wort wie „fast“ doch an Bedeutung haben kann.

Jan Christian Müller (FR) bestätigt diesen offensichtlichen Wesenszug Kloses: „Man sollte den zuweilen recht launischen Kerl nicht unterschätzen und erst recht sollte man ihn nicht abschreiben. Jetzt stellt sich selbstverständlich die logische Anschlussfrage, wie es für Klose im Klub weitergeht. Für Deutschland hat er binnen vier Tagen zweimal in der zweiten Halbzeit anstelle von Mario Gomez gestürmt und sich dabei dabei jeweils um Längen beweglicher, torgefährlicher, gedanklich schneller, technisch ausgereifter und kombinationssicherer als der bulligere Kollege präsentiert. Man glaubt zu spüren: Klose trägt einen Schutzpanzer aus gespielter Gleichgültigkeit mit sich herum. Der erleichtert ihm das Leben als Ersatzspieler.“

Michael Horeni vertraut in der FAZ auf die therapeutische Wirkung Kloses: „Vor allem befreite Klose die deutsche Mannschaft an diesem Abend von anhaltenden Selbstzweifeln und intensiven Diskussionen nach einem lange missratenen Auftritt vor dem Endspiel um die direkte Qualifikation am 10. Oktober in Moskau. Klose hat sich die erste Stürmerrolle mit zwei halben Auftritten in der Nationalelf locker zurückerobert.“

20.45h

Eine „Stabilitätsübung“ nennt die Berliner Zeitung den Sieg gegen Aserbaidschan und fragt nach den Gründen für die enttäuschende Zuschauerzahl: „Trägt die Nationalmannschaft dafür die Verantwortung, weil sie den Heim-WM-Glanz nicht bewahren konnte? Schaden sich der DFB und die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mit Anstoßzeiten, die den Couchfetischisten im Lande entgegenkommen, aber den potenziellen Stadiontouristen abschrecken? In jedem Fall wünscht sich Joachim Löw, wie am Mittwoch zu erfahren war, eine kinderfreundliche Lösung.“

Womit nicht geklärt wäre, inwiefern die späte Zeit einem Couchfetischisten entgegen kommt. Wer arbeitet in der Regel bis 20h.30h? Hier wäre man auch als TV-Konsument froh, wenn Länderspiele früher begönnen.

Michael Rosentritt (Tagesspiegel) ist insgesamt sehr zufrieden mit der Lage: „Im Zweifelsfall reicht dem Team von Joachim Löw auch eine gute Halbzeit, um die nötigen Resultate zu erzielen. Deutschland hat in der WM-Qualifikation 22 von 24 möglichen Punkten geholt und dabei viele Tore erzielt. Von den Zahlen her hätte es weit schlechter laufen können.“ Jedoch: „Auch wenn es sich um ein Problem handelt, das große Fußballnationen wie Portugal, Frankreich, Kroatien oder Argentinien gerne hätten, weil bei ihnen nicht mal mehr die Resultate stimmen. Das Problem ist: Wie kann Deutschland mal wieder über 90 Minuten ein aktives, offensives und dominantes Spiel abliefern?“

Wie eine schwere Filzdecke

Christian Gödecke (Spiegel Online) legt sich fest: „Muss Deutschland weiter Angst vor dem WM-Qualifikations-Showdown in Russland haben? Die Antwort ist eindeutig Jein.“ Und fährt fragend fort: „Wie eine schwere Filzdecke hatten sich eklatante Einfallslosigkeit und Passivität über das deutsche Spiel gelegt – und das, obwohl das DFB-Team gegen Aserbaidschan doch so dynamisch begonnen hatte und schnell durch Michael Ballacks Foulelfmeter in Führung gegangen war. Oder vielleicht genau deshalb?“ Gödecke selbst sieht „einen Dämpfer zur richtigen Zeit. 25 Minuten wie die bis zur Pause in Hannover könnten in Moskau den Traum von der WM-Qualifikation schnell beenden. Der Rest hingegen machte durchaus Mut. Da beeindruckte der eingewechselte Andreas Beck als Rechtsverteidiger, der immer wieder unbekümmert an die gegnerische Grundlinie zog und das 3:0 von Klose vorbereitete. Mit ebenjenem Klose, ebenfalls eingewechselt, hatte das träge deutsche Angriffsspiel plötzlich eine bewegliche Spitze und mit ihr Torchancen, die nicht nur Weitschüsse waren – sondern herausgespielt. Und ja: Alle rannten auch wieder mehr.“

Schlampige Pässe

Johannes Aumüller weist in der SZ auf die Möglichkeit einer „absurden Situation“ hin: „Während noch vor einiger Zeit alle Beobachter davon ausgingen, Klose bilde sowohl in der Nationalelf als auch beim FC Bayern gemeinsam mit Mario Gomez das Stürmer-Duo, hat sich nun eine veränderte Situation ergeben. Fast zeitgleich haben DFB-Trainer Löw und Bayern-Coach van Gaal vom 4-4-2-System auf ein 4-3-3-Modell umgestellt, in dem nur noch ein Mittelstürmer Platz hat. Und fast wortgleich beteuern Löw und van Gaal zwar, jederzeit wieder umstellen zu können, doch sieht derzeit alles danach aus, als spiele die DFB-Auswahl im Gruppenendspiel gegen Russland am 10. Oktober wie auch der deutsche Rekordmeister in seinen nächsten Partien mit nur einem echten Mittelstürmer. Klose und Gomez liefern sich also ein doppeltes Duell um einen Stammplatz.“ Gomez habe den Vorteil, der teuerste Einkauf bei Bayern zu sein, den man nicht einfach auf der Bank versauern lassen könne, während Klose mittlerweile auf Platz Drei der Torschützen der Nationalelf liege und bei diesem Team eindeutig im Vorteil sei.

An anderer Stelle stellt Aumüller (SZ) ein schlechtes Zwischenzeugnis aus: „Bei allen taktischen und personellen Diskussionen gilt es auch, die Einstellung mancher Akteure zu überprüfen. Löws Akteure spielten schlampige Pässe, zeigten im Offensivspiel viel zu wenig Laufbereitschaft und gingen nicht aggressiv genug in die Zweikämpfe.“

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