Montag, 24. Mai 2004
Ballschrank
Magath mit Gebrüll vom Hof gejagt
der 34. Spieltag im Pressespiegel: „Felix Magath wurde vom Hof gejagt, er geht unter Gebrüll“ (FAZ); „Magath hinterläßt frustrierte Stuttgarter“ (FAZ) – „La ola mit Hitzfeld, Abschied auf dem Gipfel der Gefühle“ (FAZ) – Franz Beckenbauer, „Mann ohne Unrechtsbewußstsein“ (FAS) – „Man hat mich im Regen stehen lassen“ (Michael Ballack im WamS-Interview) – Uefa-Cup-Qualifikation, der „Quantensprung des VfL Bochum“ (FAZ) – „BVB 2004, eine Mannschaft ohne Format, Feuer und Esprit“ (FAZ) – „peinlicher Abschied von 1860 München“ (SZ) – Frankfurts Wunder bleibt aus; die FR fordert die Entlassung Willi Reimanns – FSV Mainz, endlich erstklassig u.v.m. (mehr …)
Ballschrank
Themen
Themen: der Imageverlust dreier “Ligamacher” (FR) – Bestandsaufnahmen kursierender Abstiegsangst (SZ, FAZ) – verfehlte Stuttgarter Vereinspolitik (SZ) – das Erfolgsrezept von Willi Reimann (SZ)
Sehr lesenswert! Wolfgang Hettfleisch (FR 24.5.) porträtiert drei „Macher“ der Liga und diagnostiziert Imageverlust. „Die drei Granden des deutschen Fußballs, so unterschiedlich sie persönlich sein mögen, haben derzeit eines gemeinsam: Sie gelten als Paten des Misserfolgs. In Cottbus, Bielefeld und Nürnberg verlieren die Fußball spielenden Angestellten, in Leverkusen, Berlin und Gelsenkirchen die Strippenzieher. Das mag daran liegen, dass dem Trio etwas Dinosaurierhaftes eigen ist. Assauer, Calmund und Hoeneß verkörpern, jeder auf seine Weise, den Typus des Alleinherrschers, des Firmenpatriarchen alten Zuschnitts, der irgendwie nicht mehr so recht in die Zeit passen will. Was insofern nicht der Ironie entbehrt, als sie alle drei als Vorbilder dafür gelten dürfen, wie man einen Club auf Zukunftsfähigkeit trimmt. Schalke, Hertha und Bayer 04 waren so was wie die Hoffnungswerte am Neuen Fußballmarkt, Assauer, Hoeneß und Calmund deren mehr oder weniger laut die Pauke bedienende Promoter. Assauer (58), auf Schalke vielleicht sogar noch verschwenderischer mit Macht ausgestattet als Calmund bei Bayer 04, hat die Königsblauen in den vergangenen zehn Jahren aus Lethargie und Selbstmitleid geführt, sie zum Thronanwärter im Wartestand gemacht und einen schimmernden Tempel errichten lassen, wo dem Götzen Fußball gehuldigt wird – sofern dazu Anlass besteht. Gern ließ sich der gelernte Schlosser und Bankkaufmann mit dem Hinweis zitieren, man werde die Lücke zu den Branchenführern FC Bayern und Borussia Dortmund sukzessive schließen. Aber Assauer, wie Calmund gewöhnt, aus dem Bauch heraus zu entscheiden, hat sich vor dieser Saison verzockt. Hat auf der Suche nach einem Nachfolger für seinen nach Berlin abgewanderten Männerfreund Huub Stevens den unerfahrenen Frank Neubarth aus dem Hut gezaubert. Einen, wie die Presse prompt stichelte, der ungeachtet seiner Körperlänge keinen Schatten zu werfen drohte, in dem Rudi der Große hätte verschwinden können. Die Bestellung von Neubarth-Gegner Marc Wilmots zu dessen Nachfolger auf Zeit, ein unverhohlen populistischer Akt, und der schleichende Disziplinverlust im Kader, gegen den sich Assauer mit martialischen Worten vergeblich stemmte, passen zum Bild von der verpfuschten Saison der einsamen Entscheidungen des allgewaltigen Rudi A. Wo Viel- und Bauchredner Calmund nach dem Prinzip Was juckt mich mein Geschwätz von gestern verfährt, um die jeweils anrollende Welle der veröffentlichten Meinung zu reiten, erweckt Assauer gern den Anschein abgeklärter Gelassenheit. Seht her, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. Das ist ebenso legitim wie selbstgerecht. Vor allem aber polstert Assauer damit sein zuletzt angekratztes Macherimage auf und macht sich, was die lauter werdenden Fragen journalistischer Bilderstürmer zu seinem Unfehlbarkeitsmythos angeht, schwer angreifbar. Dieter Hoeneß, mit 50 der jüngste der drei Fußballfürsten im Club der fast geplatzten Träume, mag auf den ersten Blick nicht zu recht zu den notorischen Selbstdarstellern aus den Westprovinzen passen. Er formulierte den Anspruch der Berliner, sich dauerhaft im nationalen Fußballadel zu etablieren, in den vergangenen Jahren nicht weniger nachhaltig als die Kollegen, bevorzugte dabei aber den Kammerton. Das hat ihn nicht davor bewahrt, als Fahnenträger der vom früheren Geldgeber Ufa eingeleiteten Hertha-Renaissance identifiziert und unausweichlich mit entsprechenden Ansprüchen konfrontiert zu werden. Gelegentlich krittelt Hoeneß, die Erwartungshaltung in der Hauptstadt sei einfach zu hoch. Er unterschlägt, dass er selbige bei mehr als einer Gelegenheit nach Kräften geschürt hat.“
Der Club war mal schön wie ein Perser-Teppich, jetzt ist er ein Flokati
Ralf Wiegand (SZ 24.5.) widmet sich der kursierenden Abstiegsangst. „Der Spott ist das Schlimmste. Der Hohn von denen, die nicht wissen, wie furchtbar das ist, am letzten Spieltag auf dem Platz zu stehen, hinter sich 34 Spieltage, vor sich ein großes, schwarzes Loch, das Zweite Bundesliga heißt. Neulich war ein Österreicher in Ostwestfalen, der Kanzler Wolfgang Schüssel. Ein Österreicher und Fußball, was soll das schon werden. Was Bielefeld und Österreich gemeinsam hätten, wurde Schüssel gefragt. „Wir sind beide schlecht im Fußball“, antwortete er (…) Michael A. Roth, in vielerlei Hinsicht der kleinste Präsident der Bundesliga, hat schon viel getan, um den Ruf dieses wundervollen Vereins, dessen Geschichte auch er verpflichtet sein müsste, auf seine Augenhöhe zu bringen. Er hält nicht viel von Demokratie, die er in seinem Teppich-Imperium nicht dulden muss; da ist er Alleinentscheider. Im Verein reden alle mit, aber hören will er nur auf sich selbst. Vielleicht versteht er das: Der Club war mal schön wie ein Perser-Teppich, jetzt ist er ein Flokati, auf dem jeder herumtrampeln darf, sogar Bielefelder. Dank Roth, der sagte, dass Leverkusen noch einen gut habe, weil sie dem Club einst den Stürmer Paolo Rink vermachten (wobei man vereinbarte, dass Rink gegen Leverkusen nicht spielen würde); dass Leverkusen in der Zweiten Liga ein starker Konkurrent um den Aufstieg wäre. Nun vermuten die Bielefelder, Nürnberg würde das Spiel gegen Leverkusen gerne verlieren. Nicht, dass Michael A. Roth so etwas grundsätzlich empörte. Seine Begründung, weshalb Schiebung nicht funktioniere, ist: So etwas würde ja sofort einer aus der Kabine ausplaudern. Verdammtes Medienzeitalter!“
Ein zu behebender Betriebsunfall
Michael Horeni (FAZ 24.5.) spricht das Wort zum Samstag. „Es ist nicht zu leugnen: Der mögliche Abstieg entfesselt die größten Leidenschaften. Der Makel der objektiv festgestellten Zweitklassigkeit ist ein Zustand, der für ehemalige Anführer kaum zu ertragen ist. Der eindeutig markierte Abstieg beschädigt das Selbstwertgefühl – und weckt trotzdem neue Kräfte. Der schleichende Niedergang indes wirkt anders, meistens zumindest. Erst Verdrängung, dann Aktionismus, so heißen die Hauptmechanismen in diesem depressiven Repertoire. Man stelle sich vor: Deutschland würde in diesem Sommer, was die wirtschaftlichen Fakten hergeben, vor dem Abstieg in Europas zweite Liga stehen – und die nächsten Quartalszahlen aus dem Finanzministerium in Berlin und der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg würden darüber entscheiden. Es änderte nichts an den Fakten, wohl aber an der psychologischen Wirkung. Auch der Unterschied zwischen Fußball erster und zweiter Klasse ist bei weitem nicht so groß, wie er sich durch den objektiven Abstieg anfühlt. Sportlich betrachtet haben Hannover 96 und der VfL Bochum als Aufsteiger die Bundesliga bereichert, Bundesliga-Absteiger St. Pauli konnte sich nicht einmal in der zweiten Liga halten. Aber eine unmittelbare Rückkehr in die First class, das zeigt sich jedes Jahr, ist viel häufiger möglich, manchmal fällt sie sogar glanzvoll aus. Der 1. FC Kaiserslautern hat vor wenigen Jahren das Kunststück vollbracht, als Aufsteiger den Titel zu gewinnen. Objektiv betrachtet wissen auch die Leverkusener, daß ein Abstieg nur ein zu behebender Betriebsunfall wäre. Dennoch, sagt Reiner Calmund, der dem Niedergang ein Gesicht gegeben hat, wäre ihm der Klassenverbleib wichtiger als vier deutsche Meisterschaften. Als Trost für den Fall der Fälle: Der Abstieg ist auch eine Chance.“
Ralf Wiegand (SZ 23.5.) versucht, die Gemüter zu beruhigen. „Woher hat der Fußball eigentlich seinen verdammt guten Ruf, in jeder noch so heiklen Situation allein den Regeln des sportlichen Wettkampfs zu folgen, sogar bis zum bitteren Ende? Die Bundesliga hat diesen Ruf deshalb, weil sie am letzten Spieltag bisweilen die Ergebnisse eines ganzen Jahres umgeschmissen hat, einfach so, und dabei hat nicht immer nur das Establishment profitiert. Freiburg 1994, ein sympathisches Nichts damals, holte in den letzten drei Runden drei Siege Rückstand auf den 1.FC Nürnberg auf; Nürnberg, ein Stück Fußballgeschichte, stieg ab. Die Bundesliga ließ sich ihren Zuschauerschnitt ruinieren durch Unterhaching, Wattenscheid und Uerdingen. Ein Deutscher Meister stieg ab, ein Aufsteiger wurde Meister. Die Bundesliga ist eine offene Gesellschaft; offen für den Zufall, für späte Tore, für großes Unglück und für unfassbares Glück, das meistens die Bayern hatten. Davon lebt sie. Ausgerechnet jetzt soll das vorbei sein?“
Michael Horeni (FAZ 24.5.) beschreibt anschaulich seine bei der Pressekonferenz gewonnenen Eindrücke über Ausstrahlung und Wirkung Augenthalers. “Ruhig und routiniert bringt Augenthaler das Pflichtprogramm hinter sich. Von Aufregung keine Spur. Nur mit Blickkontakt und Körpersprache versichert sich der Trainer dann nach ein paar Minuten des Einverständnisses, ob alle Fragen beantwortet sind. Alles klar? Alles klar, keine Fragen mehr. Der Leverkusener Medienchef, der ein paar Meter entfernt steht, sieht sich die Szene zufrieden an und sagt: Bei uns herrscht jetzt Ruhe, absolute Ruhe. Auch Reiner Calmund, der ein paar Meter neben dem Trainer seine Gefühlslage beschreiben soll, da ja sein Lebenswerk auf dem Spiel stehe, wirkt kurz vor Saisonschluß nicht mehr so getrieben wie während der vergangenen Wochen und Monate. Das zeigt sich schon an Äußerlichkeiten. Calmund hat auf einen Anzug verzichtet, den er als erster Repräsentant des Bayer-Fußballs sonst fast immer trägt. Dafür hat jetzt Augenthaler einen Anzug an. Calmund präsentiert sich im Pullover, fast wie ein Privatmann. Wenn es schiefgehe, sei er zwar verantwortlich, sagt er ruhig, aber nicht schuldig. Und das Wort Lebenswerk sei ein bißchen hochgegriffen, auch wenn der Fußball nun mal sein Lebensmittelpunkt sei. Das Pathos, mit dem Calmund den dramatischen Niedergang des Werksklubs in dieser Spiel- und Leidenszeit begleitete, ist verschwunden. Und auch das Abstiegsgespenst, das er zuletzt in fast schon masochistischer Leidenschaft zu seinem Lebenspartner erklärte, bekommt 48 Stunden vor dem Saisonfinale keine tragende Rolle mehr. Ob es ihm besser gehe als in der vergangenen Woche, wird Calmund gefragt? Ja, sagt er. Es ist offensichtlich: Der Trainerfuchs hat im Leverkusener Hühnerhaufen seine Wirkung hinterlassen. Augenthaler hat zehn Tage und einen 3:0-Sieg gegen den TSV München 1860 gebraucht, um Bayer 04 Leverkusen vor dem 34. Spieltag das sein zu lassen, was es in dieser Saison nie war: ein normaler Verein im Abstiegskampf.“
Industrie- und Handelskammer des Fußballs
Martin Hägele (SZ 24.5.) skizziert die Fehler der Stuttgarter Vereinspolitik. „Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass Magath Ende kommender Woche als neuer Chefcoach des FC Schalke vorgestellt werden könnte. Es dürfte dort viel Beifall geben für diesen Coup des Managers Rudi Assauer, der in Stuttgart noch heftig dementiert wird. Besitzt Magath doch Sympathien wie kaum ein Fußball-Lehrer vor ihm im roten Vereinshaus, zumal er sich seinen Ruf in wirtschaftlich schwierigen Zeiten erarbeitet hat. Warum aber baut er nicht weiter an jener Mannschaft, die sich bei einem Sieg über Wolfsburg zumindest für die Ausscheidungsrunde der Champions League qualifiziert hätte? Warum wird Magath von der Klubführung gebremst? Warum darf er nicht mit neuen Spielern verhandeln, nach Lösungen suchen, um die Leitfigur Balakov zu ersetzen, oder die Verträge der Talente Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi und Ioannis Amanatidis leistungsgerecht nachbessern? Das Konzept dafür hatte der nach dem Rauswurf von Sportdirektor Rolf Rüssmann zum Teammanager bestellte Magath dem Vorstandsvorsitzenden Manfred Haas bereits im Dezember vorgelegt. Mittlerweile aber ist der Spielermarkt abgegrast. Alle Kandidaten von Magaths Liste haben anderswo unterschrieben, wie etwa Torjäger Fredi Bobic, der sich nicht über Monate hinweg von seinem Lieblingsklub hinhalten lassen wollte. Je mehr Magath seinen Frust über das Zeitspiel seiner Vorgesetzten zeigte, die sich allein vom sportlichen Erreichen der Champions League eine gewisse Planungssicherheit versprechen, desto mehr drückten diese auf die Bremse. Als der Teammanager vor einer Woche aus der Zeitung erfuhr, dass Vorstandschef Haas Ende Juni von IBM-Manager Erwin Staudt abgelöst werde und die Weichen für die sportliche Zukunft erst am 29.Mai und gewissermaßen beim Cocktail für Balakovs Abschiedsparty gestellt werden sollten, hatte er genug. Für Magath war damit das Vertrauensverhältnis zu Haas, aber auch zum mächtigen Aufsichtsratsvorsitzenden Dieter Hundt entscheidend gestört. Offen sprach er über das bevorstehende Ende des Stuttgarter Modells: „Dann war das mal ein Highlight im 21. Jahrhundert, das erlischt wie eine Sternschnuppe.“ Kritik, die den VfB-Chefs bitter aufstößt. Wirtschaftskapitäne wie Arbeitgeberpräsident Hundt oder der Sparkassenversicherungs-Vorstand Haas lesen ihre Namen nicht gerne im Zusammenhang mit verfehlter Politik. Sie bewerten ihr Ehrenamt nach wirtschaftlichen Kriterien, zumal unter ihrer Ägide in Stuttgart eine Art Industrie- und Handelskammer des Fußballs entstanden ist. Besetzt mit Sportsfreunden, die wie Haas Freizeit und Urlaub für den VfB opfern, oder mit Hundt, welchen die Basis des Klubs nur aus den Fernseh-Nachrichten kennt. Gemeinsam mit seinen Gefolgsleuten, allesamt Abgeordnete schwäbischer Musterunternehmen, befiehlt Hundt einen eher virtuellen Aufsichtsrat. Schwer vorstellbar, dass aus dieser Ecke in letzter Sekunde Lösungen kommen, wie sich das VfB-Modell noch reparieren lässt.“
Diszipliniert, schnörkellos, zweckorientiert
Ingo Durstewitz (SZ 23.5.) über das Erfolgsrezept des Trainers von Eintracht Frankfurt. “Willi Reimann hat das geschafft, was in der kleinen Metropole am Main nur die Größenwahnsinnigen erwartet hatten: Der 53-Jährige hat die Eintracht vor dem letzten Spiel am Sonntag gegen den SSV Reutlingen auf den dritten Platz in Liga zwei geführt, an die Schwelle zur Eliteklasse, in die die Frankfurter ihrem Selbstverständnis nach sowieso gehören. Reimann hat das, wenn man so will, auf Willis Art geschafft: ruhig, bedächtig, mundfaul, emotionsarm, unaufgeregt, bisweilen auch kauzig und stoffelig. Allesamt Attribute, mit denen sich die Eintracht, ein zu Extravaganz und Überheblichkeit neigender Klub, erst arrangieren musste. Reimann spricht nicht viel, aber seine Worte haben Gewicht, er wählt sie mit Bedacht (…) Der Fußball von Eintracht Frankfurt sorgt nicht unbedingt für ekstatisches Jauchzen unter Gourmets. Die Mannschaft spielt seit 33 Spielen so, als sei sie symbiotisch mit dem Übervater Reimann verwachsen; sie spielt so, wie es der Trainer vorlebt, wie es seinem Naturell entspricht: diszipliniert, schnörkellos, zweckorientiert – ohne viel Firlefanz. Wenn der Ball beim Stoppen drei Meter wegspringt – Schwamm drüber, wird er halt mit einer humorlosen Grätsche zurückerobert. „Kampf, Kampf, Kampf“, sagt Alex Schur trocken. Das ist nicht unbedingt schön, aber verdammt erfolgreich.“
zur Lage der Fußballfernsehmärkte in Europas NZZ
Gewinnspiel für Experten
Samstag, 22. Mai 2004
Ballschrank
Fußball am Samstag
wie wird es dem VfB Stuttgart ohne Felix Magath ergehen? – der heilige Bökelberg, „eine Kultstätte verschwindet“ (FAZ) – sehr lesenswert! SZ-Interview mit Hermann Rieger, Masseur des Hamburger SV, vor seinem letzten Spiel – der Betzenberg, „Ort der letzten Hoffnung“ (FAZ) – Zuversicht in Frankfurt – FC Millwall, FA-Cup-Finalist und „die vielleicht unbeliebteste Mannschaft der Welt“ (taz) u.v.m.
Rücksichtslosigkeit, Egoismus, herablassend
Philipp Selldorf (SZ 22.5.) sorgt sich um den VfB Stuttgart: „Mitgefühl hat in diesem konfusen Spiel nur einer verdient: der VfB Stuttgart. Der Klub verliert den Manager, der in alle Details der Spielerverträge eingeweiht ist, weil er sie selbst verhandelt hat. Und den Trainer, der mit wenig Geld eine gute Mannschaft aufgebaut und sie mit viel Geld im Winter eigenwillig verändert hat. Schlimmer noch: Felix Magaths Entschwinden bringt den VfB schlagartig um den sportlichen Sachverstand. Der Verein wird zwar von noblen, aber leider auch ziemlich branchenfremden Leuten geführt. Hinzu kommt, dass diese umwälzenden Umstände gerade dann Unruhe über den Klub bringen, da sein Team in Leverkusen ein Millionenspiel um die Zulassung zur Champions League bestehen muss. Verständlich, dass sich VfB-Präsident Staudt über die Münchner ärgert. Nun gibt es allerlei Spekulationen, wie der FC Bayern, nachdem er Felix Magath abgeworben hat – und ihn dazu nicht überreden musste –, den VfB für all den Schlamassel zu entschädigen gedenkt. Von Geld, viel Geld, war anfangs die Rede, doch darüber haben die Beteiligten nie ernsthaft diskutiert. Über ein Spielergeschäft wurde gemutmaßt, auch dafür ließen sich die Bayern nicht gewinnen. Statt dessen hat Vorstandschef Rummenigge versprochen, der VfB habe „im Geiste einen gut“. Diese Art von Großzügigkeit klingt herablassend – was exakt dem Geist entspricht, der dahinter steckt. Die Trennung von Trainer Hitzfeld ist eine sportlich gut begründbare Entscheidung. Doch wie die Bayern-Chefs mit den Optionen hantiert und über Beteiligte hinweg entschieden haben, um in allen Belangen die Kontrolle über das Verfahren zu behalten, das zeugt von Egoismus und einiger Rücksichtslosigkeit.“
Michael Kölmel (BLZ 22.5.) fügt hinzu: „Präsident Erwin Staudt poltert ein wenig, weil die Bayern den Deal vor dem entscheidenden Spiel ausplauderten und damit Unruhe fabrizierten; doch dass der Abgang ein Problem sei, wollen sie in Stuttgart partout nicht hören und sehen. Eher beschleicht einen das Gefühl, dass sie in Stuttgart ebenso schnelll Nationalspieler wie Diplomaten und Philosophen ausbilden. „Der Trainer“, sagt beispielsweise Kevin Kuranyi, der „hat es verdient, bei einem großen Verein zu arbeiten. Er braucht diese Herausforderung“. Das klingt weise. Und Torhüter Timo Hildebrand analysiert, das alles sei „eine Zäsur für den VfB und uns Spieler“, doch Andreas Hinkel beschwichtigt. Man müsse sich keine Sorgen machen, denn die Arbeit mit Magath „war ein Geben und Nehmen. Er hat uns groß gemacht, wir ihn aber auch“. Schöne Worte sagen sie, die Jungprofis von heute. Mit Weitblick und unheimlich abgebrüht, auch wenn Kuranyi „traurig“ und Hildebrand ein wenig „enttäuscht“ ist. Man gibt sich fest überzeugt, auch in Zukunft unter den ersten Drei in Deutschland zu spielen. Nur im Rest der Republik glaubt das niemand. Wahrscheinlicher ist – und das zeigen sowohl die Suche nach einem Magath-Nachfolger als auch die Verhandlungen mit Bayern um eine Kompensation des vorzeitigen Wechsels – dass der VfB noch nicht so recht realisiert hat, was ihm an Magath abhanden gekommen ist. Ein großer Kenner der Szene beispielsweise. So erkundigt sich Präsident Staudt rührig in seinem Freundeskreis nach guten Trainern, damit ja keiner im Raster vergessen wird. „Wir haben ein Netz draußen, und da sind einige Fische drin“, sagt der ehemalige Chef von IBM Deutschland ebenso eloquent wie seine Kicker. Doch die Absagen, die der VfB binnen weniger Tage von drei völlig unterschiedlich gearteten Fußball-Lehrern erhielt (Klaus Augenthaler, Wolfgang Wolf und Walter Schachner), verdeutlicht, dass man sich beim VfB unschlüssig ist, was für einen Typ Trainer man beschäftigen soll. Und dass das Erbe von Magath offensichtlich nicht gern angetreten wird. Der VfB sei „ein besonderer Verein“ und brauche „auch einen besonderen Trainer“, meint Staudt. Das klingt gut, ist aber eine schwammige Arbeitsbeschreibung. Auch in der Frage, ob der neue Mann nur Trainer oder auch Manager sein soll, ist man unschlüssig. In spätestens 14 Tagen will Staudt den Neuen präsentieren, bis dahin darf munter spekuliert werden.“
Eine Kultstätte verschwindet
Michael Horeni (FAZ 22.5.) wird den heiligen Bökelberg vermissen: „Wo der Wunderglaube zu Hause ist, wissen wir: in der Kirche und im Fußballstadion. Einige kluge Geisteswissenschaftler haben nicht nur deshalb längst eine Theorie aufgestellt, wonach der Fußball wie Religionsersatz funktioniert. Da werden dann über Liturgie oder Gesang einige funktionale Gleichungen aufgemacht, was alles recht plausibel klingt, und wenn man sich mal auf diese religiös-fußballerische Parallelität einläßt, dann wird man auch sagen dürfen, daß Fußballstadien in diesem formalen Sinn heilige Orte sind. Wer am Wochenende einmal mit diesem Blick in die Kathedralen des Fußballs schaut, wird sehen, wie Abstiegsangst und Aufstiegsträume dort Liebe, Glaube, Hoffnung entstehen lassen. Aber es geht natürlich auch profaner, was die Beziehung zwischen Fußball und Religion betrifft. In Frankfurt etwa gibt es seit einigen Jahren den Plan, eine Kirche abzureißen und das wertvolle Grundstück zu verkaufen, auf dem sich ein Hochhaus errichten ließe. Die Kirche, ganz nebenbei, heißt Matthäuskirche, aber viel wichtiger ist, daß dem Evangelischen Regionalverband das Geld fehlt, um seine Gotteshäuser zu unterhalten. Auf einmal aber protestieren immer mehr Menschen, auch solche, die die Kirche vor allem von außen kennen, gegen den Abriß. Sie gaben damit einem weitverbreiteten Gefühl Ausdruck, heilige Orte, die seit Generationen zum Leben einer Stadt gehören, dürften sich nicht den Gesetzmäßigkeiten des Marktes überantworten. Die Gemeinde kämpft nun sogar juristisch um den Erhalt, aber für die Leitung führt weiter kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Der Kirche fehlt das Geld, die Kirche muß weg. Am Samstag wird im Fußball etwas Ähnliches geschehen, und wieder sind es wirtschaftliche Zwänge, die eine Kultstätte verschwinden lassen. Nach 85 Jahren gibt es für das aus einer Kiesgrube entstandene Stadion am Bökelberg keine Verwendung mehr. Die Herzen der Menschen hängen zwar daran und an den Namen, die sich mit ihm verbinden, und auch dazu gehört ein Matthäus neben Weisweiler, Netzer, Vogts oder Heynckes. Doch es läßt sich eben nicht mehr genug Geld mit dem alten Bökelberg verdienen, und die schonende Variante des Heimatverlusts, nur den Namen des Stadions zu verkaufen, und sich statt Volksparkstadion AOL-Arena zu nennen oder aus der Bielefelder Alm eine Schüco-Arena zu machen, das reicht nicht, und daher muß Borussia Mönchengladbach umziehen in einen dieser hochmodernen Sportparks, wie sie in dieser Zeit in Deutschland im Dutzend entstehen.“
Die Summe aller Emotionen wird die Erinnerung an den Bökelberg bestimmen
Ulrich Hartmann (SZ 22.5.) auch: „Natürlich wird es Tränen geben. Wie vor 200 Jahren. Die Stadt ist ja schon einmal einer Institution beraubt worden. Als Kaiser Franz II. das linke Rheinufer 1801 an Frankreich abgetreten hatte, wurde die Abtei Gladbach geschlossen. Sie hatte ein Jahrtausend lang Religion, Kultur und Wirtschaft geprägt. Am 31. Oktober 1802 sollen die letzten 31 Mönche das Kloster unter Tränen verlassen haben. Der 22. Mai 2004 wird als ähnlich tragisches Datum in die Stadthistorie eingehen. Ein Stadion erlebt sein letztes Bundesligaspiel. 85 Jahre lang hat es die Fußballkultur geprägt. In einer Kiesgrube auf einer Anhöhe namens Bökelberg war im September 1919 ein Spielfeld eingeweiht worden, um das sich im Laufe der Jahre immer mehr Tribünen und Geschichten rankten. Der „Sportplatz an der verlängerten Hohenzollernstraße“ hieß später auch: Westdeutsches Stadion, Bökelbergstadion, Stadion Bökelstraße und Borussenstadion. Viele Namen für einen Mythos: den Bökelberg. Das 632. Bundesliga-Heimspiel am Samstag gegen 1860 München ist das letzte in diesem Stadion. Im August zieht der Verein in eine 87-Millionen-Euro-Arena für 54 000 Zuschauer. Wenn dereinst auf dem Boden des abgerissenen Stadions eine „qualitativ gehobene Wohnbebauung“ entstanden ist, werden große Namen wie Netzer, Vogts und Heynckes sowie die Summe aller Emotionen die Erinnerung an den Bökelberg bestimmen; und ein paar außergewöhnliche Vorkommnisse werden die Ereignisdichte in besonderem Maße repräsentieren. (…) Am 30. April 1970 feierte Gladbach den ersten von fünf Meistertiteln. Die weiteren folgten „71, „75, „76 und „77. Doch das erste Mal war das aufregendste. Beinahe hätte man gegen den Hamburger SV eine 4:0-Führung verspielt. „4:1, 4:2, 4:3 – die Zuschauer waren kaum noch zu halten“, erzählt Horst Köppel. Um 21.46 Uhr ertönte der Schlusspfiff. Bereits 36 Minuten zuvor war ein Telegramm am Bökelberg eingegangen: „Der Deutsche Meister 1969 gratuliert dem Deutschen Meister 1970. FC Bayern München, Neudecker, Präsident.“ Am 3. April 1971 fiel das berühmteste Tor der Vereinsgeschichte. Das Spiel gegen Bremen wurde am 27. Spieltag beim Stande von 1:1 in der 88. Minute abgebrochen. Gladbachs Stürmer Laumen war ins Netz des Werder-Tors geflogen und hatte das morsche Holz im rechten Pfosten zerbrochen. Das Tor fiel. Bremen wurde später zum Sieger erklärt – und Gladbach trotzdem Meister. Das Urteil zum Punktabzug: „Ein Bundesligaklub ist kein Dorfverein. Er hat dafür zu sorgen, dass in kürzester Zeit ein neues Tor aufgestellt werden kann.“ Am 20. Oktober 1971 gewann Gladbach das Achtelfinal-Hinspiel im europäischen Landesmeister-Pokal 7:1 gegen Inter Mailand. Nach 28 Minuten ging allerdings Mailands Roberto Boninsegna zu Boden und wurde in der Inter-Kabine so gut weggesperrt, dass nicht zu verifizieren war, ob er tatsächlich von einer leeren Cola-Dose am Kopf getroffen worden war. Ein der Tat verdächtiger Lagerarbeiter aus Bracht wurde abgeführt, später aber entlastet. Den wahren Büchsenwerfer (vermuteter Tatort: Vortribüne, Block B, Reihe 2, Platz 34) hat man nie gefasst. Das Spiel wurde annulliert. Gladbach verlor in Mailand 2:4 und kam im Rückspiel in Berlin über ein 0:0 nicht hinaus. Solch Geschichten eignen sich freilich am besten zur Mythologisierung. Die Legende vom Bökelberg wird nach 85 Jahren fortan von der Summe aller Emotionen definiert.“
Musst du weiter laufen. Ich sage dir, was ist dein Kampfgewicht
Sehr lesenswert! SZ-Interview mit Hermann Rieger, Masseur des Hamburger SV, vor seinem letzten Spiel
SZ: Sie sind der einzige Masseur mit eigenen Autogrammkarten, eigenem Fanklub, es wird ein Buch über Sie erscheinen, das Vereinsmaskottchen ist nach Ihnen benannt, und am 31. August gibt“s sogar ein offizielles Abschiedsspiel, zu dem auch Kevin Keegan und Franz Beckenbauer kommen wollen.
HR: Unglaublich. Ich habe nie ein Tor geschossen für den HSV und auch keins verhindert. Einmalig.
SZ: Vielleicht lieben die Fans Sie so, weil Sie das Menschliche verkörpern in einem Business, das immer kälter wird?
HR: Möglich. Menschlichkeit gibt“s ja nicht mehr viel. Es geht nur noch darum, was man verdient. Ich habe mich nicht anstecken lassen von dieser Hektik. Ich habe mich immer gefreut auf den nächsten Tag.
SZ: Bis zuletzt?
HR: Ja, bis zuletzt. Auch wenn mir nicht alles gefällt an der heutigen Spielergeneration. Beim Geben und Nehmen stimmt das Verhältnis nicht mehr.
SZ: Und im Mannschaftsbus werden kaum noch Karten gedroschen.
HR: Seit es Handys und Laptops gibt, ist das ein schönes Geklingel im Bus, jeder hat sein eigenes Kino dabei. Geredet wird kaum. Die hören ja nichts, weil jeder seinen Kopfhörer auf hat.
SZ: Wer war der beste Trainer?
HR: Ernst Happel. Aber auch Branko Zebec verehre ich. Jeder wusste von Brankos Alkoholproblemen, aber er war betrunken besser als die meisten nüchternen Trainer.
SZ: Woran erkennt man denn einen großen Trainer?
HR: Er behandelt den Star genauso wie den kleinen Spieler. Als Horst Hrubesch einmal beim Trainingslager in Marseille völlig fertig von der Hitze war und stöhnte: „Trainer, ich habe jetzt mein Kampfgewicht“, sagte Zebec nur: „Musst du weiter laufen. Ich sage dir, was ist dein Kampfgewicht.“
SZ: Was war Happels Stärke?
HR: Er konnte ein Spiel lesen. Schon nach fünf Minuten hat er zu mir oft gesagt: „He Gschnitzter, was ist denn mit dem los, was hams dem denn geb“n?“ Wenn einer schlecht drauf war oder er ein Loch im Spiel entdeckte, hat er gepfiffen.
Der Betzenberg steht noch
Michael Ashelm (FAZ 22.5.) schildert die inneren Konflikte in Kaiserslautern: „Noch mehr als sonst erscheint der Betzenberg in diesen Tagen als Ort der letzten Hoffnung. Gäbe es diese abergläubische Bindung nicht zur Kultstätte des pfälzischen Fußballs, der 1. FC Kaiserslautern hätte sich wahrscheinlich schon längst aufgegeben und in gegenseitigen Vorwürfen zerfleischt. Aber so kann das Unheil noch auf den letzten Drücker abgewendet werden, denken nicht nur die Verantwortlichen. Viele ziehen ihren festen Glauben aus der Tatsache, daß die wichtigste Mission des Fußballjahres – der Nichtabstieg – beim großen Showdown im Fritz-Walter-Stadion einfach nur glücken kann. „Meine Mannschaft hat gezeigt, daß sie hier fast jeden Gegner schlagen kann“, sagt Kurt Jara, der Trainer des FCK. Äußerlich zählt größtes Selbstbewußtsein, warum auch sollten die zuständigen Männer in dieser unsicheren Gemengelage öffentlich ein anderes Bild abgeben? Hinter der Hoffnung verbreitenden Fassade der Lauterer wird seit Wochen hart gerungen, tauchen immer mehr und immer neue Zerwürfnisse auf. Zwischen einzelnen Spielern, zwischen Spielern und dem Management sowie seit neuestem zwischen dem erst im Februar verpflichteten Trainer und Vorstandschef René C. Jäggi. Vor der entscheidenden Partie gegen Dortmund ist man bemüht, die Dissonanzen herunterzuspielen, soweit das überhaupt noch möglich ist. „Es geht um sehr viel in diesem Verein“, sagt Jäggi, „in der Diskussion ist nur noch Platz für das Thema Klassenerhalt.“ In dieser Woche waren Spekulationen laut geworden, der Vorstandsvorsitzende und die Führungsgremien des sportlich und wirtschaftlich angeschlagenen Klubs hätten sich darauf verständigt, den bis zum Ende der nächsten Saison laufenden Vertrag von Trainer Jara in jedem Fall jetzt schon wieder zu kündigen – egal, wie der Kampf um den Klassenverbleib auch ausgehen sollte. Auslöser für das Mißtrauensvotum sei gewesen, daß der Österreicher nach der deftigen 1:4-Niederlage bei Schalke 04 die Verantwortung für die Misere vor den rebellierenden Fans beim Vorstand und dessen Personalpolitik suchte. (…) Der Betzenberg steht noch und hat für die Anhänger des FCK noch immer seine besondere Bedeutung. Doch ob er auch im nächsten Jahr erstklassige Fußballware zu sehen bekommt, steht in den Sternen.“
Ralf Weitbrecht (FAZ 22.5.) erlebt Zuversicht in Frankfurt: „In Frankfurt glauben sie wieder an Wunder. Vor allem, wenn es um die Eintracht geht. Erstaunlich, was sich binnen Wochenfrist beim Abstiegskandidaten Eintracht so alles ereignet hat. Ein einziges Spiel nur, jenes 3:2 gegen Bochum, und schon drehte die Stimmung, wurde aus jähem Entsetzen pure Vorfreude. Der Präsident, der nach dem 0:3 von Hannover noch Tränen in den Augen hatte, lief strahlend durch die Gegend und verbreitete wie das Gros der mit dem Frankfurter Fußball fiebernden Fans neue Zuversicht. Die Eintracht, der Last-Minute-Aufsteiger des Vorjahres, kann es tatsächlich wieder schaffen. Kann wirklich wieder im letzten Moment die Tore erzielen, die zum Klassenverbleib benötigt werden. Zweimal ist das schon aufsehenerregend gelungen: 1999 beim 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern und 2003 beim 6:3 gegen den SSV Reutlingen. Und beide Male ist Alexander Schur, der mit Herzblut kämpfende Kapitän der Frankfurter Eintracht, im Trikot mit dem Adler auf der Brust dabeigewesen. Er sagt: „Die letzte Chance gegen den Hamburger SV haben wir uns verdient. Wir haben wieder ein Finale vor Augen, doch für ein neuerliches Wunder muß auch die Konstellation stimmen.“ Keine Frage: Die Eintracht kann das „Wunder schaffen“, wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch glaubt.“
Bei 1860 München könnten einige mit Abstieg gut leben, meint Joachim Mölter (FR 22.5.): „Wenn man sich in diesen Tagen beim TSV 1860 München umhört, beschleicht einen das Gefühl, sie können es kaum erwarten, in die Zweite Bundesliga abzusteigen. Seit Präsident Karl Auer nämlich für den Fall des Falles eine Landung im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße ins Gespräch gebracht hat, träumen die Anhänger des Clubs wieder von großen Zeiten. 1860 hat in besagtem Stadion ja seine einzige deutsche Meisterschaft gefeiert, 1966, weshalb es in München noch heute als „Sechz‘ger Stadion“ gilt und als Mythos verklärt wird: Fans und ehemalige Spieler schwärmen von der Stimmung, die da einst herrschte und die bald wieder herrschen soll, um die „Löwen“ zum sofortigen Wiederaufstieg zu beflügeln. Aber die goldenen 60-er sind Geschichte, und die Arena bröckelt seit zehn Jahren vor sich hin. Damals war der Club in die Bundesliga zurückgekehrt und ins Olympiastadion umgezogen. Während der Präsidentschaft von Karl-Heinz Wildmoser war eine Rückkehr nach Giesing tabu, aber angesichts der einsetzenden Begeisterung hat selbst Oberbürgermeister Christian Ude seinen Widerstand aufgegeben – sofern der Verein die fällige Renovierung zahlt; die Stadt als Eigentümerin hat kein Geld dafür übrig. Am Freitag inspizierte eine Delegation der Deutschen Fußball-Liga das marode Stadion, um zu klären, unter welchen Bedingungen der TSV 1860 eine Ausnahmegenehmigung für den Spielbetrieb bekommen könnte. Die Renovierungskosten belaufen sich nach ersten Schätzungen auf eine Million Euro.“
Millwallism
Malte Treffenfeldt (taz 22.5.) porträtiert den Gegner Manchester Uniteds im FA-Cup-Final: „Wenn heute im Millenium Stadium in Cardiff das englische FA-Cup-Final angepfiffen wird, steht nicht nur die Startruppe von Manchester United, sondern mit dem Zweitligisten FC Millwall auch die vielleicht unbeliebteste Fußballmannschaft der Welt auf dem Platz. Es ist in London einfacher, einen Schlafanzug mit der Raute des deutschen Meisters Werder Bremen zu bekommen, als einen Fanschal von Millwall. Dafür muss man sich dann schon nach Südost-London begeben, nach South Bermondsey, der Heimat des Arbeiterclubs. Hier gibt es noch Straßenzüge, die stark an das düstere England aus den Zeiten eines Charles Dickens erinnern. Der Verein wurde 1885 von Arbeitern einer Marmeladenfabrik als Millwall Rovers auf der Isle of Dogs gegründet, also eigentlich nördlich der Themse, dort wo heute das Londoner Prestigeobjekt schlechthin, die Docklands, stehen. Nach mehreren Umzügen fand man am gegenüberliegenden Themseufer in New Cross an der Cold Blow Lane ein Zuhause und taufte das Stadion „The Den“ – die Höhle. Inzwischen residiert man ein paar hundert Meter weiter, im modernen “ New Den“, allerdings in einer Gegend, die an frühere Bilder aus Beirut erinnert. Die einzig nennenswerten sportlichen Höhepunkte in der Vereinsgeschichte waren bis dato ein zweijähriges Intermezzo in der Premier League in den Achtzigern sowie das Erreichen des Halbfinales im F. A. Cup, vergleichbar mit dem deutschen DFB-Pokal, in England jedoch renommierter ist als die Meisterschaft. Das war 1937. Und nun das Finale gegen Manchester United und somit automatisch die Teilnahme am Uefa-Cup. Aber mit dem Namen Millwall FC verbindet man in England nur in zweiter Linie Siege oder Niederlagen der Mannschaft, sondern eher die Inkarnation des Hooliganismus. Nur wenige „Firmen“, wie sich die gewaltbereiten Anhänger der Vereine selbst nennen, haben einen vergleichbar üblen Ruf, vielleicht noch die Schlägertruppen von Premier-League-Absteiger Leeds United. Ursprünglich rekrutierte sich Millwalls Anhängerschaft aus dem Reservoir junger weißer Arbeiter und Arbeitsloser aus dem von der Stadtpolitik vernachlässigten Bezirk Southwark mit den südöstlichen Stadtteilen Deptford, Peckham, Bermondsey und Rotherhithe. Passend dazu spielte der Club einen schnörkellosen „kampfbetonten und wenig attraktiven, geschweige denn sonderlich erfolgreichen Kick-and-Rush-Fußball. Und hier entstand in den Siebzigern und Achtzigern der berüchtigtste Mob unter den britischen Hooligans. Der Autor Garry Robson kreierte in seinem im Jahre 2000 erschienenem Buch „The Myth and Reality of Millwall Fandom“ den Begriff „Millwallism“ als die ultimative Steigerung von „Hooliganism“.“
Freitag, 21. Mai 2004
Ballschrank
Vermischtes
FC Valencia gewinnt den Uefa-Cup – wird Felix Magath in München glücklich?; wer wird noch in München entlassen?; Franz Beckenbauer weint Krokodilstränen – Carsten Ramelow wird nicht mehr für Deutschland spielen – 100 Jahre Fifa; „Machtkampf“ (SZ) zwischen Joseph Blatter und Jacques Rogge um Dopingkontrollen u.v.m.
Wenn du an einem vorbei kommst, so ist immer noch einer da
Gerhard Fischer (SZ 21.5.) gratuliert dem Uefa-Cup-Sieger FC Valencia: „Es scheint, als würde der FC Valencia in diesem Jahr das kompensieren, was in der jüngeren Vergangenheit missraten war. 2000 und 2001 verlor der Verein das Finale der Champions League, doch 2004 gewann er zunächst die spanische Meisterschaft und nun den Uefa-Cup. Vermutlich ist die Mannschaft, die im Kern die gleiche geblieben ist, durch die früheren Niederlagen noch enger zusammengerückt. Man merkt das auf dem Platz und im Gespräch mit den Protagonisten. Wer auch immer hervorgehoben wurde, Trainer Rafael Benitez von den singenden Fans oder Stürmer Mista von den Journalisten, der gab die Blumen freundlich weiter an das ganze Team. „Das ist unsere Philosophie – dass wir füreinander kämpfen müssen, um unser Ziel zu erreichen“, sagte Mista. Die schwedische Zeitung Aftonbladet verglich das spanische Kollektiv mit der berühmten russischen Puppe: „Wenn du an einem vorbei kommst, so ist immer noch einer da. Und im Innersten gibt es ein Herz aus Gold.““
Matti Lieske (taz 21.5.) zählt Fehler der Bayern-Führung auf: „Mit ihrer Kultur der Geldstrafen haben die Bayern-Verantwortlichen ein Team von Duckmäusern geschaffen und wundern sich nun, dass diese dann auch so spielen. Selten zuvor wirkten die markigen Worte des Managers Hoeneß in einer Saison-Schlussphase so deplatziert wie diesmal im Wettstreit mit den nüchternen Bremern. Waren derartige Attacken früher Ausdruck eines Selbstbewusstseins, das auch und vor allem der Mannschaft innewohnte, wirkten sie jetzt nur wie das trotzige „Will aber!“ eines dickköpfigen Kindes. Kein Wunder, dass die großen Sprüche vor dem Match gegen Bremen nur die eigene Mannschaft nervös machten, wie Michael Ballack später einräumte. Dazu passt auch die Stillosigkeit im Umgang mit dem gefeuerten Trainer Ottmar Hitzfeld, den Hoeneß, nachdem er endlich die Katze aus dem Sack gelassen hatte, schamlos schlecht redete. „Viel zu brav“ sei Hitzfeld zu den Spielern gewesen, ein „Leben ohne große Kritik und Druck“ hätten diese geführt, „jeder konnte machen, was er wollte.“ Starker Tobak, der die heißen Treueschwüre der letzten Wochen in ein noch schlechteres Licht rückt. Man darf davon ausgehen, dass Hitzfeld die Spieler sehr bewusst nach außen in Schutz nahm, Donnerwetter kam schließlich genug von oben. Ob die Methode Magath erfolgreicher sein wird, bleibt abzuwarten. Erstaunlich zumindest, dass der bisherige Trainer des VfB Stuttgart, der seine Erfolge hauptsächlich mittels Jugendförderung erreichte, sich tatsächlich als Nachfolger beim Ensemble der Stars bzw. Möchtegernstars zur Verfügung stellte. Was im Übrigen auch einen nachträglichen Schatten auf seine Spielerkarriere wirft. Schließlich hatte man immer geglaubt, er sei aus Prinzip nie zu den Bayern gegangen. Jetzt scheint es so, als hätte man ihn einfach nicht gefragt. Wie schnell in München ein gefeierter Trainerkönig zum dummen Otto werden kann, hat einst Rehhagel gezeigt. Auch der hatte wie Magath gedacht, dass die Münchner Dreierbande mit ihm zur Viererbande wachsen würde. Ein Irrglaube, dem der kluge Ottmar Hitzfeld nie verfallen war. Leichter als für Rehhagel oder zuletzt Hitzfeld dürfte es für Felix Magath jedenfalls nicht werden. Wieder werden die Münchner vor der nächsten Saison emsig Spieler kaufen, wieder werden sie fröhlich von der besten Bayern-Mannschaft aller Zeiten reden und natürlich werden sie erneut vom Gewinn der Champions League fantasieren.“
Joachim Mölter (FR 21.5.) bezweifelt Felix Magaths Erfolgsausichten in München: „“Magath wird die Mannschaft wieder auf den Pfad der Tugend zurückführen“, predigte Hoeneß. Wenn er da mal nicht irrt. Das Ende einer wunderbaren Ära könnte durchaus in den Beginn eines furchtbaren Missverständnisses münden, wie es der FC Bayern mit Otto Rehhagel schon einmal erlebt hat. Magath ist nicht mehr der „Quälix“, als der er gefürchtet war. Und er hatte vor allem deshalb Erfolg in Stuttgart, weil ihm keiner reingeredet hat. Beim FC Bayern München ist allerdings nicht zu erwarten, dass die Führungskräfte schweigend zuschauen, wenn ihr kickendes Personal arbeitet. Und das besteht aus so vielen Stars und Sternchen, Diven und Zickchen, wie sie Felix Magath noch nie in einer Mannschaft gehabt hat. In Stuttgart hatte er es bloß mit Krassimir Balakow zu tun – den hat er gebändigt, immerhin. Mit welchen Profis Hitzfelds Nachfolger den Club in der nächsten Saison wieder zu Titeln und Triumphen führen soll, wird sich erst demnächst klären. Angeblich plant der FC Bayern einen radikalen Umbruch, am liebsten würde er wohl das Experiment mit Michael Ballack beenden. Sport-Bild berichtete jedenfalls, dass Aufsichtsrat und Vorstand über einen Verkauf des Mittelfeldspielers einig sind; überraschen würde eine Transaktion nicht: Ballack wurde und wird von Beckenbauer und Co. noch mehr gemobbt als Hitzfeld.“
Ottmar bedeutet mir so viel wie mein Bruder
Elisabeth Schlammerl (FAZ 21.5.) schildert die Lage in München und registriert Krokodilstränen: “Ein halbes Jahr lang bahnte sich der Trainerwechsel von Felix Magath vom VfB Stuttgart zu Bayern München an. Ein halbes Jahr lang versorgten die Beteiligten die Öffentlichkeit mit Notlügen, Finten, verklausulierten Hinweisen, Ausflüchten und leerem Gerede. Seit Mittwoch wird Klartext gesprochen – kurz bevor sich der letzte Rest Glaubwürdigkeit in Luft aufgelöst hätte. Ja, Felix Magath trainiert vom 1. Juli an den FC Bayern München, ja Ottmar Hitzfeld wird eine Abfindung erhalten und eine Arbeitspause einlegen. Ja, ja, ja, alles ist so gekommen, wie es die Spatzen schon lange von den Dächern pfiffen. (…) Hoeneß kritisierte indirekt Hitzfeld, als er sagte: „Jeder konnte machen, was er wollte. Das schöne Leben, das der eine oder andere geführt hat, wird es in Zukunft nicht mehr geben“, kündigte Hoeneß an. Druck sollen neben dem neuen Coach auch neue Spieler ausüben. Wunschkandidaten sind weiter der Dortmunder Torsten Frings, Lucio von Bayer Leverkusen und Spielmacher Deco vom FC Porto. In den nächsten zwei Wochen will Hoeneß Ergebnisse präsentieren. Im Fall von Lucio ist daran gedacht, den Leverkusenern im Gegenzug Abwehrspieler Robert Kovac anzubieten. Kritik übte Hoeneß auch an Präsident Beckenbauer, der in der Trainerfrage bereits in der vergangenen Woche in die Offensive gegangen war und sich gegen Hitzfeld ausgesprochen hatte. „Franz Beckenbauer hat sich nicht gut verhalten. Wir hatten einen riesigen Druck. Für den Trainer war das unerträglich.“ Beckenbauer hob dagegen erneut die Trennung zwischen Privatem und Geschäftlichem hervor. „Ottmar bedeutet mir so viel wie mein Bruder. Aber es gibt manchmal Situationen, in denen das Menschliche zweitrangig ist.““
Philipp Selldorf (SZ 21.5.) ergänzt: „„Bälle liegen lassen“, befahl er – und die Bälle flogen kreuz und quer über den Platz, dass die Leute am Zaun in Deckung gehen mussten. Ottmar Hitzfeld hat nicht verständnisvoll gelacht darüber, dass die Spieler wie die Kinder mit ihrem Spielzeug über den Rasen tollten, er hat auch nicht geschimpft, dass sie nicht gehorchten. Er stand einfach nur da und ließ es geschehen – an seinem vorletzten Trainingstag beim FC Bayern würde er seine Linie nicht mehr verlassen, auch wenn ihm seine Nachsicht nun zum Verhängnis wurde. Zu „brav“ und zu „lieb“ sei Ottmar Hitzfeld gewesen, hat Uli Hoeneß gesagt, als er zu begründen versuchte, warum dem Trainer das Regiment beim FC Bayern entglitten ist und warum er ein Jahr vor Ablauf seines Vertrages Abschied nehmen muss, um Platz für Felix Magath zu machen. „Die Mannschaft ist hauptverantwortlich dafür, dass wir diese Entscheidung treffen mussten, denn die Spieler sind mit der langen Leine, die er ihnen hat angedeihen lassen, nicht zurechtgekommen“, erläuterte der Manager am Dienstag nach einem Privatspiel im ungarischen Györ die Schuldfrage. Tags zuvor hatte er Hitzfeld und dessen Assistenten Michael Henke samt Ehefrauen in sein Haus nach Ottobrunn eingeladen und sie über das Ende ihrer Mission in München unterrichtete. Man trank einige Gläser Wein und erzählte sich bis tief in die Nacht alte Geschichten, „es war eine tolle Atmosphäre, ein sehr harmonischer Abend“, berichtete Hoeneß, und dem Manager war anzusehen, wie es ihn erleichterte, dass die Sache endlich überstanden ist und er sich nicht mit Schuldgefühlen plagen muss. Auch Ottmar Hitzfeld machte am Tag nach der Scheidung von Ottobrunn keinen bedrückten, eher einen gelösten Eindruck.“
Ohne Kredit bei Medien und Fans
Wer, außer mir, bedauert den Rücktritt Carsten Ramelows aus der Nationalmannschaft? Christoph Biermann (SZ 21.5.) vielleicht: „Seine Worte lesen sich schwermütiger, als sie bei ihm klangen. „Auf der einen Seite tut es weh, weil ich unheimlich gerne für Deutschland gespielt habe, aber es ist an der Zeit, Platz zu machen“, sagte Ramelow unter dem Schirm seiner Baseballkappe hervor. Ist er nun erleichtert? „Ach, ich musste die Entscheidung jetzt treffen.“ Viel mehr mochte er über seinen überraschenden Rücktritt nicht sagen, bei dem ein malader Körper und eine verletzte Seele zu gleichen Teilen eine Rolle gespielt haben. Ramelow ist ein Spieler, der laut Bayer-Manager Reiner Calmund, „darauf angewiesen ist, fit zu sein“. Das jedoch war der 30-Jährige in dieser Saison selten. Seine Achillessehne ist chronisch gereizt, und oft genug hat er nur nach schmerzstillenden Spritzen spielen können. Weil der „gutmütige Kerl“ (Trainer Klaus Augenthaler) aber ein gutmütiger Kerl ist, hat sich Ramelow dennoch weder bei Bayer noch im Nationalteam eine Auszeit gegönnt. „Er hat stets die Tasche genommen und hat sich mit eiserner Disziplin zur Verfügung gestellt, obwohl er angeschlagen war“, sagte Calmund gestern. Nicht immer hat Ramelow sich damit einen Gefallen getan, vor allem nicht beim 1:5 der Nationalmannschaft in Bukarest, als unter seiner Leitung die Abwehr zusammenbrach. Ramelow bezog danach die heftigsten Prügel. Hat das bei der Entscheidungsfindung eine wesentliche Rolle gespielt? „Ja, das kann gut sein“, sagte Ramelow gewohnt ungefähr, „irgendwann ist das Fass zum Überlaufen gekommen.“ Das bedeutet, dass in den letzten Jahren bereits einiges hineingelaufen ist. „Ich habe schon öfter was abbekommen“, sagte er, der ohne Kredit bei Medien und Fans ist. Selbst große Leistungen wie beim WM-Finale 2002 haben in der Bewertung seines Spiels nie lange vorgehalten. Stellvertretend dafür steht die Abrechnung des Spiegels im vergangenen Sommer: „Das Spiel der DFB-Elf ist ein Abbild der Durchschnittlichkeit Ramelows. Es ist schmucklos und bleiern.““
of: Ich trage schwarz, und Ihr alle, die Ihr Euch die Hände reibt, Ihr werdet schon sehen, wohin es ohne Ramelow in Portugal geht?
Die Ramelow-Debatte aus dem Ballschrank (Oktober 2003)
Roland Zorn (FAZ 21.5.) blickt zurück auf 100 Jahre Fifa: „Dieser Sport ist an Popularität weltweit von keiner anderen Disziplin zu schlagen und hat an seiner Spitze auch deswegen kommerzielle Ausmaße angenommen, die inzwischen eher bedrohlich als förderlich für die Reputation des Fußballs anmuten. Eines aber hat sich der zunächst von dem Franzosen Guerin wie ein Herrenklub präsidierte Weltverband über sein erstes Jahrhundert bewahrt: Regeln, die heute noch wie damals gelten. „Wir sind unseren Prinzipien, zweimal elf Spieler, zweimal 45 Minuten treu geblieben“, sagt Blatter, der selbst immer mal wieder mit teils krausen, teils originellen Reformvorschlägen wider den Stachel gelöckt hat. Doch die Regelhüter haben sich den Weltläuften ihres Spiels nur da, wo die Essenz des Fußballs nicht gefährdet war, ein wenig gebeugt. Die FIFA, bis heute geprägt von den europäischen und südamerikanischen Marktführern des Fußballs, zeichnete über all die Jahre in den wichtigsten Fragen und Entscheidungen eine erstaunliche Kontinuität aus. Erst acht Präsidenten, darunter drei Kurzzeitvorsitzende wie Guerin (1904 bis 1906), der Belgier Rodolphe William Seeldrayers (1954 bis 1955) und der Engländer Arthur Drewry (1955 bis 1961), standen an der Spitze der zunächst wie eine Klitsche geführten Organisation. Wegweisend für die großen Sprünge, die dieser Weltverband inzwischen hinter sich und noch vor sich hat, waren nicht die beiden konservativen Briten Daniel Burley Woolfall (1906 bis 1918) und Sir Stanley Rous (1961 bis 1974), sondern drei Vormänner aus Frankreich, Brasilien und der Schweiz: Jules Rimet (1921 bis 1954), der die Weltmeisterschaften „erfand“, Havelange, der als überaus machtbewußter erster hauptamtlicher Chef des Weltkonzerns FIFA auch ein beachtliches Entwicklungshilfeprogramm für die armen und ärmsten Fußball-Länder auflegte, und Blatter, der Havelanges Aufträge fortschrieb und das Fußball-Marketing mit sündhaft teuren Verkaufspreisen für die WM-Fernsehrechte professionalisierte. Der Schweizer, jahrelang als FIFA-Generalsekretär die „rechte Hand“ von Havelange, rückte 1998 bei einer Kampfabstimmung gegen Lennart Johansson, den schwedischen Präsidenten der Europäischen Fußball-Union, auf Platz eins der FIFA-Hierarchie vor. Die Machtfülle des 68 Jahre alten Wallisers ist inzwischen so groß wie einst die von Havelange. Aus dieser Position heraus scheut er keine Auseinandersetzung, wer auch immer der Gegner sein mag: ob die Welt-Anti-Doping-Agentur oder nur ein aufmüpfiger Mitgliedsverband wie Kamerun.“
Thomas Kistner (SZ 21.5.) berichtet Kritik an Joseph Blatter: „Darf man Ritter Sepp auf offener Bühne die Klinge bieten? Man kann es mal versuchen, dachte sich Kameruns Fußballidol Roger Milla und nahm bei der Eröffnungsfeier nicht nur den Jubiläumsverdienstorden für Afrika entgegen, sondern gleich die Gelegenheit wahr, eine bittere Realität im Hause Fifa anzusprechen. Milla erbat Gnade für seine Heimat Kamerun, die Blatters Fifa wegen eines Trikot-Vergehens mit sechs Punkten Abzug in der WM-Qualifikation bestraft und quasi von der WM 2006 ausgeschlossen hat. Hinter den Kulissen wird gerungen um dieses Kapitalvergehen (Kameruns Kicker waren in Einteilern angetreten), was nicht zu den süßen Reden über Toleranz und Sportsgeist passt, die durch die Höfe des Louvre hallen. Sinn erfährt die Geschichte, wenn man weiß, dass der Chef der Kameruner wie auch der afrikanischen Föderation CAF Issa Hayatou ist. Der Mann aus Yaounde hatte Blatter bei den Wahlen 2002 vom Thron stoßen wollen. Der Coup ging schief, und der Europa-Verband Uefa, der sich mit ihm gegen Blatter aufgelehnt hatte, ist Hayatou keine Hilfe mehr: Uefa und Fifa vertragen sich wieder. Dafür bricht eine neue Front auf, und Jacques Rogge, Chef des Internationalen Olympischen Komitees, ist nach Paris geeilt, um zwischen Fifa und der Welt-Antidopingagentur Wada zu vermitteln. Blatter empfindet die Zwei-Jahres-Sperre für Erstvergehen als zu starr, Wada-Chef Dick Pound beharrt darauf, dass dieselben Regeln für alle Verbände zu gelten habe. Die für Paris vorgesehene Unterzeichnung des Wada-Codes ist gefährdet, und damit die Teilnahme des Fußballs an den Spielen in Athen.“
Machtkampf
Ulrike Spitz (FR 21.5.) kommentiert den Doping-Streit zwischen Joseph Blatter und Jacques Rogge: „Blatter hätte sich in diesem Fall mit seiner Taktik durchgesetzt, die da heißt, hinauszögern, bis das IOC nicht mehr anders kann. Schließlich sind für das olympische Fußballturnier bereits 400 000 Eintrittskarten verkauft, was einen kurzfristigen Rausschmiss des Fußballs erschweren würde. Dennoch gäbe es keine Alternative, wenn das IOC sich an seine Regeln hält: Zugelassen zu den Spielen ist nur, wer den Code unterschreibt. Drückt aber Blatter seine Bedingungen durch, die da heißen variable und dem Fußball angemessene Regelungen anstatt der Mindestrafe von zwei Jahren bei schweren Dopingvergehen, um das Turnier zu retten, wäre die Glaubwürdigkeit von IOC und Welt-Anti-Doping-Agentur Wada schlagartig dahin. Die Erfolge der Wada, ob in den Dopingfällen von Salt Lake City oder im jüngsten der US-amerikanischen Sprinterin Kelli White, rückten in den Hintergrund; ein empfindlicher Rückschlag in der Anti-Doping-Arbeit wäre programmiert. Eigentlich hat Rogge gar keine andere Chance, als diesen Machtkampf zu gewinnen. Auch wenn er dafür ordentlich Ärger in Kauf und den Fußball aus dem Athener Programm herausnehmen muss.“
Friedhard Teuffel (Tsp 21.5.) fragt: „Was werden wohl die Briten mitbringen als Geburtstagsgeschenk? Und was werden sie der Fifa auf ihre Geburtstagskarte schreiben, weil sie doch an diesem Freitag in Paris den 100. Jahrestag ihrer Gründung feiert? Auf jeden Fall werden die Briten dem Fußball-Weltverband und ihrem Präsidenten Joseph Blatter die Anerkennung verweigern, alleinige Erbfolger des internationalen Fußballs zu sein. „Die Fifa steht nicht für den Weltfußball, sondern in erster Linie für die Weltmeisterschaft“, sagt Alan Tomlinson, Fifa-Experte und Professor für Sportwissenschaft in Brighton. Es gibt im Grunde auch zwei Geschichten des internationalen Fußballs. Die der Fifa und die des britischen Fußballs. Als die Fifa gegründet wurde, war der britische Fußball in seinem Sinne längst international. 1872 hatte in Glasgow das erste Länderspiel der Welt stattgefunden: Schottland gegen England 0:0. Und 1886 hatten die Briten ihren eigenen nationenübergreifenden Verband gegründet, das International Board: England, Schottland, Irland und Wales waren die Mitglieder. Bis heute ist das International Board Hüter der Fußballregeln. Die vier britischen Verbände haben jeweils eine Stimme, die Fifa hat vier. Bei den Grundgesetzen des Fußballs ist die Fifa also auf das Vereinigte Königreich angewiesen. Und noch immer genießen die Briten das Privileg, mit vier Nationalmannschaften an internationalen Turnieren teilnehmen zu dürfen, mit der englischen, walisischen, schottischen und nordirischen. Die Briten als Erfinder des Fußballs sahen es aus Hochmut gar nicht ein, 1904 beim Weltverband mitzumachen. So wurde die Fifa zwar mit den Regeln der Briten gegründet, aber ohne die Briten selbst. Erst 1905 traten die Engländer bei.“
Weitere Artikel zum 100. Geburtstag der Fifa
Mittwoch, 19. Mai 2004
Ballschrank
Niemand hat die Absicht, einen Trainer zu entlassen
„der spektakulärste Trainer-Transfer in der Bundesliga-Geschichte“ (NZZ), Uli Hoeneß feuert Ottmar Hitzfeld; „Hitzfeld ist hauptverantwortlich für die uninspirierten Leistungen“ (FR) – Vorberichte des Uefa-Cup-Finales, Roberto Ayala, „das Gesicht des FC Valencia“ (BLZ); Olympique Marseille, „der schillerndste Verein Frankreichs“ (Tsp) – Dozent Rehhagel u.v.m.
Hitzfeld ist hauptverantwortlich für die uninspirierten Leistungen
Jan Christian Müller (FR 19.5.) kann den Rausschmiss Ottmar Hitzfelds verstehen: “Einer breiten Öffentlichkeit ist die Dringlichkeit der Angelegenheit jedoch nur schwierig zu vermitteln. Denn Hitzfeld hat sich in den sechs Jahren im Fegefeuer stets als untadeliger Sportsmann darzustellen gewusst, als Gentleman auf der Trainerbank. So einer hat vom Hardcore-Kuttenträger in der Kurve bis zur Schwiegermama auf dem Fernsehsessel eine breite Fangemeinde auf seiner Seite. Da er sich Medienvertretern gegenüber zwar regelmäßig eher nichts sagend, jedoch ebenso freundlich und fair verhalten hat, hinken die Verantwortlichen der Bayern auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ihrer sportlichen Führungskraft um Längen hinterher. Reichlich sonderbar, dass die Presseagenturen gestern um 15.23 Uhr aus einem vorab veröffentlichten Hoeneß-Interview einer Münchner Zeitung zitieren mussten, in dem der Manager endgültig öffentlich Vollzug vermeldete: „Ich habe Ottmar die Erklärung gegeben, und die hat er auch akzeptiert.“ Das Bild des professionell geführten Branchenführers leidet nicht nur wegen unzureichender Leistungen auf dem Platz. Aber die Probleme kommen genau von dort, und Hitzfeld ist hauptverantwortlich für die im Saisonverlauf zunehmend uninspirierten Leistungen, ebenso wie er hauptverantwortlich für Champions-League- und Weltpokalsieg war. Das Geschäft bietet keinen Raum für Sentimentalitäten. Der unnachgiebige Rummenigge hat das seinem Kollegen Hoeneß mit kaiserlicher Hilfe inzwischen erfolgreich eingebimst. Hitzfelds Zeit ist abgelaufen. Der Lörracher ist Profi genug, das einzusehen und zu verkraften. Ob Magath sodann ein ähnliches Missverständnis werden wird wie seinerzeit Otto Rehhagel, ist eine ganz andere Frage. Womöglich wird man sie eines Tages mit „ja“ beantworten müssen.“
of: Ich denke, die Bayern machen den gleichen großen Fehler wie Borussia Dortmund vor sieben Jahren. Statt Hitzfeld hätten Sie besser Teile der Mannschaft auswechseln sollen. Felix Magath kann in München nur schwer auf Dauer glücklich werden; zur Zusammenarbeit mit Beckenbauer und Rummenigge fehlt ihm die dicke Haut.
Joachim Mölter (taz 19.5.) hält der Bayern-Führung schlechten Stil vor: „Neben der Höhe der Abfindung für Ottmar Hitzfeld, dessen Vertrag bis zum 30. Juni 2005 galt, spielt wohl vor allem die Höhe der Ablöse für Felix Magath eine Rolle, der beim VfB Stuttgart genauso lang gebunden ist. Angeblich stehen Hitzfeld 4,5 Millionen Euro zu bis zum Ende seiner Vertragslaufzeit, für Magath fordert der VfB dem Vernehmen nach 4 Millionen – in der Summe wird das der teuerste Trainerwechsel der Bundesliga-Geschichte. Da wird wohl noch etwas gefeilscht. Am Dienstag flog Ottmar Hitzfeld erst einmal mit der Mannschaft nach Gyor, wo ein Bayern-Sponsor ein Spiel gegen den dortigen ungarischen Erstligisten anberaumt hat; und am Samstag beim abschließenden Bundesliga-Heimspiel gegen den SC Freiburg wird Hitzfeld vermutlich auch noch auf der Trainerbank sitzen. Er muss ja aus rechtlichen Gründen seine Arbeitskraft anbieten, und das wird er so lange tun, bis alle Modalitäten zu seiner Zufriedenheit geklärt sind. Hitzfeld ist in keiner schlechten Position, in dem ganzen Theater spielt er eindeutig die beste Rolle. „Man muss bewundern, wie er mit der Situation umgeht, das ist unglaublich“, sagte Mittelfeldspieler Michael Ballack. Auf ganz andere Weise unglaublich geht das Triumvirat an der Spitze des Klubs mit der Situation um: Seit Wochen mobbten Beckenbauer und Rummenigge gegen Hitzfeld, nur Uli Hoeneß schien den Trainer weiterhin beschäftigen zu wollen. Jetzt ist der Manager derjenige, der am meisten Glaubwürdigkeit verloren hat. Anfang Mai hatte er bekräftigt, dass Ottmar Hitzfeld seinen Vertrag beim FC Bayern bis zum 30. Juni 2005 erfüllen werde; alles andere sei „Blödsinn, totaler Unfug, Grimms Märchen“, sagte er damals. Angesichts der sofort einsetzenden Debatte, ob ein Trainer mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum genügend Autorität innerhalb der Mannschaft behalte, sagte er: „Ich glaube, dass wir stark genug sind, dieses Thema ein Jahr lang durchzuziehen.“ Aber schon jetzt, zwei Wochen und zwei Niederlagen später, machen die mächtigen Männer beim FC Bayern einen ganz schwachen Eindruck.“
Wetterfeste Verteidigung
Paul Ingendaay (FAZ 19.5.) befasst sich mit dem FC Valencia, Uefa-Cup-Finalist: „Die spanischen Sportzeitungen dieser Tage quellen über von Einzelheiten der Krise Real Madrids. Fußballhistoriker haben nach der 1:2-Niederlage beim Absteiger Murcia sogar einen neuen Negativrekord entdeckt: Noch nie im mehr als hundertjährigen Bestehen des Vereins mußten die Madrilenen in der spanischen Liga vier Niederlagen nacheinander einstecken. Erst auf Seite 10 des Sportblatts „Marca“, der auflagenstärksten spanischen Zeitung überhaupt, ist vom bevorstehenden UEFA-Pokalfinale des FC Valencia gegen Olympique Marseille in Göteborg die Rede. Viel gibt es dazu offenbar nicht zu sagen. Wen immer die Journalisten vors Mikrophon holen, ob Trainer, Assistenten oder Spieler, alle reden von Arbeit, Disziplin und mannschaftlicher Geschlossenheit. Selbst die Stürmer heben als erstes die defensive Grundhaltung hervor und ergehen sich in Lobeshymnen auf die wetterfeste Verteidigung (…) Wer von den leicht favorisierten Valencianern im Göteborger Finale großen ästhetischen Glanz erwartet, könnte enttäuscht werden. Nach zwei verlorenen Champions-League-Endspielen in den Jahren 2000 und 2001 versuchen die Spieler, das Gespenst des europäischen Lampenfiebers zu vertreiben und kaltblütig den UEFA-Cup zu holen. Manchen im Verein dürfte es nachdenklich stimmen, daß die Mannschaft ohne ihren häufig verletzten Spielmacher Pablo Aimar erfolgreicher abschneidet als mit ihm. Das „Modell Valencia“ pflegt nicht Individualisten, sondern den Mannschaftsblock, der in hervorragender körperlicher Verfassung das Ende der Saison erreicht hat. „Unsere Mitspieler“, sagt Mittelstürmer Mista, „lassen nicht zu, daß wir einen Zentimeter Boden preisgeben. Irgendwann sieht der Gegner, daß wir einfach nicht nachlassen. Das ist unsere Waffe.““
Das Gesicht der Mannschaft
Ronald Reng (BLZ 19.5.) porträtiert Roberto Ayala, Abwehrstar des FC Valencia: “Roberto Fabin Ayala wurde schon als Junge erwachsen. Früh lernte er die wichtigen Dinge im Leben: Frauen zu lieben und Stürmer fertig zu machen. Mit 16 wurde er Vater, mit 15 spielte er in einem Männerteam. Nach Vorbildern brauchte er nicht weit zu schauen, sein eigener, damals 35-jähriger Vater war sein Partner in der Innenverteidigung des argentinischen Amateurteams San José. Einmal, erinnert sich Ayala, traf sein Vater „auf einen dieser verfluchten Angreifer, denen auch der Krieg gefällt. Sie gingen vor dem Spiel gemeinsam zum Schiedsrichter und sagten: ,Was immer auch passiert, gib‘ bitte keinem von uns eine Gelbe Karte, wir regeln das unter uns.‘ Nach dem Spiel wurden beide, der Stürmer und mein Vater, mit vier Stichen am Kopf genäht.“ Heute ist Ayala 31, der beste Innenverteidiger der spanischen Primera Division, einer der begehrtesten Profis der Welt, um den sich unter anderem Real Madrid und der FC Chelsea bemühen; er ist einer dieser modernen Abwehrspieler, die ihre Arbeit mit unheimlicher Antizipation, fantastischem taktischen Verständnis und beachtlicher Balltechnik regeln. Er ist nur 1,77 Meter groß und trotzdem einer der Stärksten beim Kopfball. Doch in seinem modernen Spiel leben die altmodischen Bräuche von Verteidigern aus einer längst vergangenen Zeit fort. „Wenn mich einer beleidigt, beleidige ich ihn, wenn mich einer schlägt, schlage ich ihn.“ (…) Selbst als Valencia die spanische Liga gewann, konnte es die Sportzeitung Marca nicht lassen, ihr Spiel als „spekulativen, perversen, skrupellosen Fußball“ zu geißeln. In Wahrheit ist es ein Team, das auf alle Arten spielen kann – und weiß, wann es der Defensive Vorrang gewähren muss. Gleichzeitig hat es in Vicente und Pablo Aimar Spieler, die Poesie in den Angriff bringen. Doch ihr Gesicht ist Ayala. Der, der so grimmig schaut. Als er einmal für ein Foul an Ronaldo mit einem Elfmeter bestraft wurde, sagte Ayala zu dem Stürmer: „Beim nächsten Mal schlage ich dir die Zähne ein.“ Ein paar Minuten später sah der sanfte Ronaldo die einzige Rote Karte seiner Karriere. Er hatte Ayala einen Ellenbogencheck verpasst; vor lauter Panik, Ayala würde ihm etwas antun. „Es war das einzige Mal im Fußball, dass ich Angst hatte“, gestand Ronaldo.“
Der schillerndste Fußballverein Frankreichs
Der Tagesspiegel (19.5.) stellt den Gegner vor – Olympique Marseille: „Die französische Sportzeitung L’Équipe hat in diesem Jahr gute Geschäfte mit Olympique Marseille gemacht. Jedesmal, wenn die Mannschaft im Uefa-Cup einen neuen Erfolg gefeiert hat, ist die Auflage der Zeitung um 30 Prozent gestiegen. L’OM ist nicht nur der beliebteste, sondern auch der schillerndste Fußballverein des Landes. Es gibt viele verrückte Geschichten, zum Beispiel die eines Präsidenten, der den Trainer entlassen hat und am nächsten Tag selbst in kurzen Hosen das Training leitete. Die Ära von Bernard Tapie war eine einzige verrückte Geschichte. Sie wurde mit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister (1993 gegen den AC Mailand) gekrönt, endete dann aber mit dem Absturz in die Zweite Liga, weil Tapie im selben Jahr ein Spiel gegen Valenciennes hatte kaufen lassen. Christophe Bouchet hat damals für die Nachrichtenagentur AFP über den Fall berichtet. Inzwischen ist er Präsident des Vereins, 2002 hat ihn Robert Louis-Dreyfus dazu ernannt. Der frühere Adidas-Chef und Besitzer des TV-Rechtevermarkters Infront hat als Hauptaktionär in den vergangenen zehn Jahren 170 Millionen Euro in l’OM investiert, im selben Zeitraum kamen und gingen 208 Spieler, arbeiteten 13 Trainer an der Seitenlinie. Wirtschaftlich ist der Verein inzwischen konsolidiert. Dass es auch sportlich aufwärts geht, ist das Verdienst von José Anigo, der die Mannschaft seit Januar trainiert. Der 43-Jährige ist das Symbol einer glorreichen Epoche des Vereins. Einer Epoche, die von ungewohnter Bescheidenheit geprägt war.“
Lass gut sein, Beate
Sehr schön! Holger Gertz (SZ 19.5.) ist Gasthörer bei Otto Rehhagel: „Im Hörsaal I der Deutschen Sporthochschule in Köln werden dieses Semester Vorlesungen gehalten zu Themen wie „Sport in frühen Hochkulturen“ sowie „Soziologie der Kommunikation und Gruppenführung“. So gesehen bietet der Hörsaal I den geeigneten Rahmen für einen Vortrag des Fußballtrainers Otto Rehhagel, der früher bei Werder und dem 1. FCK die Gruppen dergestalt zusammengeführt hat, dass sie Deutscher Meister wurden. In München war die ihm gegenüberstehende Gruppe zu mächtig, vielleicht kann auch Franz Beckenbauer allein eine unbeherrschbare Gruppe sein, aber das ist ein anderes Thema. Jetzt bringt Rehhagel als Nationaltrainer die fußballerisch angestaubte Hochkultur Griechenland auf Trab zu bringen. Die Griechen haben sich für die EM qualifiziert, obwohl Rehhagel nicht viel mehr als drei Worte Griechisch spricht. Aber der Fußball – wer wüsste es nicht – kennt keine Sprachbarrieren. Der Moderator im Hörsaal I nennt ihn „Herr Regelhagel“, aus Versehen, und da sagt Otto Rehhagel, er soll es machen wie die Griechen: „Sagen Sie einfach Otto zu mir.“ Von da an läuft alles rund. Otto Rehhagel ist an diesem Tag Gastprofessor an der Sport-Uni, im Rahmen eines Projekts namens „Fit am Ball“, das jungen Leuten die Bedeutung sportlicher Betätigung für ihr Leben erklären soll. Der Hörsaal ist voll, bestimmt 200 Studenten, und Rehhagel erzählt seine Geschichten. Es ist eine spontane Plauderei, sozusagen der vom Fernsehstudio in die Hochschule verlagerte DSF-Fußballstammtisch. Der Moderator wirft ein Stichwort in den Raum, und Rehhagel hält das Mikrofon nicht verkrampft in der Faust, sondern locker zwischen den Fingern, wie Dieter-Thomas Heck in der Hitparade. Er ist ein begnadeter Conférencier, er weiß auch, dass man nicht stocksteif am Pult stehen bleibt als Redner, sondern die Bühne zum Herumwandern und Armwedeln nutzen darf. Was er so sagt, ist nicht wirklich aktuell, und für diese durchtrainierten Studenten, deren Ohrläppchen zerpiekst sind von Laktat-Tests, muss es klingen wie Weisheiten aus einer anderen Zeit. Aber: Sie hören ihm zu. Rehhagel erzählt, zu seiner Zeit, „da gab es keine Muskeln, die zumachten. Zu meiner Zeit zählten nur glatte Brüche, nicht wahr“. So was gibt immer Applaus. Auch die Geschichte, wie Ehefrau Beate endlich mit ihm streiten will nach 40 Jahren, und er sagt: Lass gut sein, Beate, „das Wichtigste ist, der Ball muss ins Tor, nicht wahr“.“
Montag, 17. Mai 2004
Ballschrank
Bundesliga – 33. Spieltag
„bayrische Offenbarung“ (FAS) – „Leverkusener Partykiller machen sich Werders Erschöpfung zunutze“ (FAZ) – „sorglose Lauterer“ (FAS) – „Feiertag für Borussen“ (FAZ) – Frankfurts „Kampf ums dritte Wunder“ (SZ) u.v.m.
VfB Stuttgart – Bayern München 3:1
Ludger Schulze (SZ 17.5.): „Zu offensichtlich sind die Zerfallserscheinungen der Mannschaft, Abnützungsvorgänge belasten die Zusammenarbeit. Nach sechs Jahren erreichen des Trainers Vorgaben nicht mehr Ohr und Einsichtsvermögen der Spieler – ein Erosionsprozess, wie er in vielen Bereichen menschlichen Zusammenwirkens oft unabwendbar ist. Abseits aller Lippenbekenntnisse ist das Team des FC Bayern seinem Coach bei allen wichtigen Anlässen dieser Spielzeit nicht gefolgt. Seit dem Gewinn der Champions League 2001 ist in der sportlichen Entwicklung ein gewaltiger Rückschritt festzustellen, trotz der Aber-Millionen, die ins Personal investiert wurden. Aus diesen Erkenntnissen die Konsequenz einer Trennung abzuleiten, liegt im Ermessen der Führungskräfte des Klubs. Sie haben die Pflicht, das Ansehen Hitzfelds zu erhalten, mehr aber stehen sie in der Verantwortung für das Wohl des Vereins. Das gesammelte Schweigen von Vorstandschef Rummenigge und Manager Hoeneß lässt den Schluss zu, dass der Trainer geschützt werden sollte, bis eine für alle akzeptable Lösung gefunden ist. Das Vorpreschen des Aufsichtsratvorsitzenden Franz Beckenbauer („Es muss etwas passieren . . . Hitzfeld war ein guter Trainer . . . Magath hat bewiesen, was er kann“) ist ein kleiner Schritt für den Plauderer aus Kitzbühels Bergen, aber ein großer auf dem Weg zur Demontage eines Fußball-Lehrers. Dessen Würde und Autorität zu wahren, wäre das Mindeste gewesen, was ihm die Bayern zum Abschied hätten mitgeben müssen.“
Die taz (17.5.): „Der Jubel, den am Samstag die Fans des VfB Stuttgart entfachten, war so laut und mächtig, dass er noch lange nachhallte und unwillkürlich die Erinnerung an die großen Siege des Herbstes rief, die Festtage in der Champions League, die die jungen und wilden Helden von den Roten aus Bad Cannstadt zu Himmelsstürmern werden ließen. Der stolze Präsident Erwin Staudt träumte damals davon, den Bayern zu trotzen und den VfB langfristig zum Rivalen auf Augenhöhe zu hieven. „Ich sehe keine Grenzen für diese Mannschaft“, meinte zu jener Zeit auch Felix Magath, der Trainer dieser neuen deutschen Spitzenmannschaft, die aus der Not heraus geboren wurde. Mittlerweile stellt der VfB die halbe Nationalmannschaft, die Protagonisten treten in Werbespots im Fernsehen auf, die „Marke VfB“, von der der ehemalige IBM-Manager Erwin Staudt gerne redet, steht in Zeiten der Agonie für jugendlichen Aufbruch. Doch diese Marke ist nicht stark genug, um in der Realität des globalisierten Haifischbeckens Fußball den Großen zu trotzen. Dies muss Erwin Staudt in diesen Tagen schmerzlich feststellen. Selbst als er letzte Woche den Österreicher Walter Schachner als Erben Magaths ins Spiel brachte, sollte der tatsächlich Hitzfeld-Nachfolger bei den Bayern werden, blieb es ein netter Versuch, das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen. Als Staudt am Samstag im noblen Hotel am Stuttgarter Schlossgarten drei Stunden vor dem Spiel mit den Bayern-Größen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß speiste, beschlich ihn jedenfalls das sichere Gefühl, Felix Magath bereits an die Bayern verloren zu haben. „Ich spüre das starke Interesse an Magath aus dem Umfeld der Bayern“, sagte Staudt nach der Henkersmahlzeit und fügte kleinmütig hinzu: „Magath will einen Verein trainieren, mit dem er hoch hinaus kann.“ Magath seinerseits zog nach der Partie Vollspann ab. Als er in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob dies sein letztes Heimspiel im Daimler-Stadion gewesen sei, sagte der Mann, dessen Vertrag bis 2005 läuft: „Das kann ich nicht beantworten.“ Es sind Antworten wie diese, die den einstigen Schwaben-Messias in der Gunst der Fans sinken lassen. Nach einer SWR-Umfrage wollen nur noch zwei von drei Befragten, dass Magath in der nächsten Saison Trainer am Neckar bleibt. Die Fans sind das Gezetere leid, auch wenn am Samstag kein Pfiff und kein Transparent gegen Magath im Stadion zu hören oder zu sehen war. Aber was wäre bei einer Niederlage los gewesen?“
Christian Eichler (FAZ 17.5.): „Welch ein seltsames Schauspiel: ein Tag der glücklichen Verlierer und der unglücklichen Sieger. Für gewöhnlich schätzt der Zuschauer die klare Interessenverteilung, die Fußball von manchen Geschäften in Politik oder Wirtschaft unterscheidet: Ein Resultat sollte nie gleichzeitig beiden nützen. Am Ende einer Spielzeit aber verwischen sich diese Konturen. (…) Daß die Fußballgefühlswelt dennoch in Ordnung blieb, daß auch am 33. Spieltag vergebene Siege schmerzten und Verlierer Verlierer blieben, ist ein Münchner Verdienst. Ob bei den „Löwen“, die seit der Wildmoser-Affäre alles falsch machten, bis hin zum finalen Elfmeter des ungeübten Kioyo, ob bei den Bayern, die sich Platz zwei, dem kleinsten ihrer immer weiter reduzierten Saisonziele entgegenschleppen: Was die Vertreter der alten deutschen Fußballhauptstadt bieten, ist ein Bild des Jammers und des mißlungenen Krisenmanagements. Kein Titel, damit könnten die Bayern noch leben, doch droht ihnen mehr verlorenzugehen: erst die spielerische Linie, dann der Siegeswille, längst auch die Wirkung auf die Gegner – kaum je ging von einer Bayern-Elf im Saisonfinale so wenig Bedrohliches aus. Weiter auf der Liste drohender Verluste: ein Stadionpartner; zwei Derbys pro Spielzeit; damit die sichersten sechs Saisonpunkte; ein Erfolgstrainer; ein funktionierendes Betriebsklima aus äußerer Arroganz und innerer Stärke; nicht zuletzt eine Aura der Autorität. Denn vor allem die Autoritäten des Rekordmeisters haben gelitten: ein Kapitän, der nicht mehr richtig zupackt und am Samstag die Handschuhe wegwarf; ein Trainer, den man zum Auslaufmodell stempelt; ein Manager, auf dessen Säbelrasseln kein Gegner mehr hörte und, schlimmer, auch kein Untergebener; und eine Führungsetage, der nicht nur in der Trainerfrage die Glaubwürdigkeit ausgeht.“
Peter Heß (FAZ 17.5.): “Die Stimme verriet ihn nicht. Sie war einigermaßen fest, als Ottmar Hitzfeld die Sätze wiederholte, die ihm sein Pflichtgefühl schon die Woche über diktiert hatte: „Ich laufe nicht davon, wenn es schwierig wird. Ich stelle mich. Man muß optimistisch in die Zukunft schauen. Ich kommentiere nicht die Kommentare von Präsidiumsmitgliedern.“ Die Augen aber und die Hände offenbarten nach dem 1:3 beim VfB Stuttgart, welch innerer Druck den Trainer des FC Bayern quält. Auf fast schon masochistische Art geduldig, analysierte er die Niederlage, der Blick seltsam wäßrig, die Hände oftmals hinter dem Rücken aneinandergepreßt. (…) „Es geht an keiner Mannschaft spurlos vorüber, was sich bei uns abgespielt hat“, sagte Oliver Kahn. „Das hat Ottmar Hitzfeld nicht verdient.“ Kahns übergroßer Ehrgeiz litt nicht unter der Münchner Trainerdiskussion. Er kam in Stuttgart durch ein Verhalten zum Ausdruck, das an seinen Nationalmannschaftsvorgänger Uli Stein erinnerte. Nach dem 0:3-Rückstand legte sich Kahn auf den Rasen, als wollte er die Arbeit verweigern. Dann zog er die Torwarthandschuhe aus und warf sie auf den Rasen. Hitzfeld hatte auch dafür Verständnis. Der erfolgreiche Trainer schluckt und schluckt und schluckt, was ihm die Umgebung so antut: die Spieler, die nicht mehr siegen, sondern bei den Schiedsrichtern meckern; Beckenbauer, der ihn zur Disposition stellt; die Vereinsführung, die sich schon mit VfB-Präsident Staudt trifft, um die Verpflichtung von Nachfolger Felix Magath zu sondieren. Staudt verhehlt gar nicht mehr, daß der Wechsel bevorsteht. Er spüre ein starkes Interesse, meldete er nach einem gemeinsamen Mittagessen mit den Münchner Kollegen. Und er stellte klar, Magath keine Steine in den Weg legen zu wollen: „Wir hoffen, daß er seine hervorragende Arbeit bis 2005 fortsetzt. Falls nicht … Wir sind gut mit Magath.“ Der VfB scheint sich damit abgefunden zu haben, mit einem neuen Trainer und Teammanager die verheißungsvolle Zukunft zu gestalten. Auch aus Spielerkreisen ist zu hören: „Hoffentlich bleibt er, aber wenn er zu den Bayern geht, dann hat er es sich verdient.“ Die Bayern gelten immer noch als die größte Verlockung im deutschen Fußball – auch für Felix Magath. Der Trainer sagte zwar kein Wort zu seinen Absichten, aber wenn er eine Mission oder Verpflichtung beim VfB fühlte, hätte er längst allen Gerüchten den Nährboden entzogen.“
Ludger Schulze (SZ 17.5.): „Hoch im Norden stürzte sich Valérien Ismaël nach dem Anschlusstreffer von Werder Bremen auf den im Netz zappelnden Ball, als müsse er die Weltkugel im letzten Moment vor dem Zugriff zerstörerischer Außerirdischer retten. Auf schnellstem Wege wollte der Abwehrchef das Spielgerät zum Wiederanstoß befördern, um doch noch eine Wende in der Partie gegen Bayer Leverkusen zu erzwingen. 630 Kilometer südlich drehten die Spieler des FC Bayern München nach Claudio Pizarros Treffer zum 1:3 in der 77. Minute gelangweilt ab und trotteten gen Mittelkreis wie Kirchgänger zur Maiandacht. Die Mannschaft in Rot, die seit Jahrzehnten den ungeschriebenen Schriftzug „Mir san mir und uns kann keiner“ auf dem Trikot trug, fügte sich achselzuckend in die Niederlage gegen den VfB Stuttgart wie in ein unvermeidliches Schicksal. Aufbäumen? Pah, ein in Lethargie erstarrtes Team von fußballerischen Untoten hat verraten, was seine Vorgänger seit den Zeiten von MaierBeckenbauerMüller als Wesensmerkmal vor sich her trugen: Siegermentalität, Unbeugsamkeit, Galligkeit bis zum Schlusspfiff.“
Werder Bremen – Bayer Leverkusen 2:6
Frank Heike (FAZ 17.5.): „Pfiffe für den Meister. Das halbe Stadion pfiff die gehätschelten Lieblinge der vergangenen Woche aus. Niemand hatte das erwartet. Vorher waren die Straßenbahnen voller glücklicher, grünweißer Bremer. Frauen hatten sich das „W“ auf die Wangen gemalt und trugen grünweiße Perücken, jeder hatte sich eines dieser fröhlich-bunten orange-grünen Trikots übergezogen, und wer aus der Masse herausstechen wollte, nahm das majestätische schwarze Trikot mit den goldenen Rückennummern, das Werder nur beim 2:0 in Wolfsburg getragen hatte. Vor dem Weserstadion wurden T-Shirts mit dem Pokal drauf verkauft, Meisterschalen aus Plastik für fünf Euro und Meister-T-Shirts in allen Formen und Farben. Im Ostertorviertel hatte jeder Copy-Shop, jeder türkische Gemüsemann eine handgeschriebene Botschaft ins Fenster gehängt: „Herzlichen Glückwunsch zur Meisterschaft!“ Kurz: Das letzte Heimspiel der Saison gegen Bayer 04 Leverkusen sollte eine fette Abschlußparty werden. Alle waren in bester Feierstimmung. Und dann führte Leverkusen nach zwölf Minuten 2:0. Als Carsten Ramelow allein im Bremer Strafraum stand, die Konfusion dort aber nicht ausnutzte und an den Pfosten schoß, wirkte es schon fast wie ein Gnadenakt für den deutschen Meister. Die Fans pfiffen. „Wir woll‘n euch kämpfen seh‘n“, kam es von den Rängen. Dann traf Franca zum 3:0. Komischerweise war das ein Zeichen, das jeder verstand unter den 42 500 im Weserstadion: Heute würde Werder verlieren, zum ersten Mal nach 29 Pflichtspielen, zum dritten Mal seit dem legendären 0:4 in Pasching im Juli 2003. Innerhalb von Sekunden drehte die Stimmung von verärgert über egal zu freudetrunken: Das Stadion bejubelte fortan seine Meister unabhängig vom Geschehen auf dem Rasen. Die Saison der Superlative war ja auch zu schön, um sie sich von dieser einen Partie verderben zu lassen.“
Jörg Marwedel (SZ 17.5.): „Das Theater der erfüllten Träume bot seine bunteste Aufführung: Artisten mit orange und grün gefärbten Haaren, die im 90-minütigen Vorprogramm den einen oder anderen schönen Trick mit dem Ball darboten; Kanonen, die grün-weißes Konfetti in den Himmel des Weserstadions jagten; Rudi Völler, der mit einer riesigen silbernen Schale auf die Bühne schritt wie ein Zirkusdirek-tor, der seinen Künstlern die Belohnung für eine sensationelle Show übergibt; populäres Liedgut über den neuen Deutschen Meister, der „vom Weserstrand kommt“ und dem zu Ehren weitere Stücke umgedichtet oder gar neu komponiert wurden; ein an Krücken humpelnder Akrobat Krisztian Lisztes, der trotz verletzungsbedingten Auftrittverbots sein grün-orangenes Papageien-Trikot mit der Nummer „8″ übergestreift hatte und vom „schönsten Tag meiner Karriere“ stammelte; ein draller Brasilianer namens Ailton, der die blinkende Meisterschale nicht mehr hergeben wollte und zwischen Lachen und Weinen hin und her geschüttelt wurde; und dazwischen der Darsteller Valérien Ismaël, der das Spektakel mit einer Handkamera filmte, damit er sich das „tolle Erlebnis mein ganzes Leben angucken kann“. So war das am Samstag, dem 15. Mai 2004, als die Spieler von Werder Bremen 42 500 Fans im brodelnden Weserstadion zum vierten Mal in der Vereinsgeschichte die wertvollste Trophäe des deutschen Fußballs präsentierten. Aber es hatte noch eine andere Realität gegeben an diesem Nachmittag, an dem ganz Bremen einem neuen Höhepunkt des seit gut einer Woche ausgerufenen Ausnahmezustands entgegen schwappte. Es war die schnöde Realität des Fußballs, und die hatte vorgeführt, dass Leistungssport und ausschweifendes Leben ein so harmonisches Paar abgeben wie ein Alkoholiker und eine Abstinenzlerin.“
Frank Hellmann (Tsp 17.5.): „Es bedurfte schon eines stillen Moments, damit einer die unwirkliche Werder-Welt treffend beschrieb. Dieter Burdenski, Werders Torwarttrainer und einer der Überlebenden der Rehhagel-Ära, brachte im turbulenten Treiben des völlig überfüllten Bremer Rathauses den verbalen Volltreffer des Tages an. „Das hat es noch nie gegeben“, sagte Burdenski mit leiser Stimme, „und das wird es auch nie wieder geben.“ Bremen berauscht sich in nie da gewesener und nie erlebter Begeisterung am vierten nationalen Titel. Der Bürgermeister, der Zwei-Meter-Mann Henning Scherf, hat sich die Werder-Raute auf die Wange gepinselt, die Nachbarn von Thomas Schaaf haben in dessen Wohnort Stuhr-Brinkum Häuser und Laternen grün-weiß dekoriert, in dessen Garten einen Mast eingebuddelt und eine Fahne gehisst und die Kleiberstraße kurzerhand in „Thomas-Schaaf-Straße“ umbenannt. In Bremen fahren die Spieler am Sonntag mit staunenden Augen im Autokorso durch überfüllte Straßen, an denen die Begeisterung überbordet. Immer wieder müssen die Spieler die glänzende Meisterschale vor dem Zugriff Unbefugter schützen, weil wildfremde Menschen auf die Autos klettern, nur um Hand und Mund an die silbrige Schale zu legen. „Das Größte, was Werder Bremen bisher geleistet und erlebt hat“, sagt Vereinspräsident Klaus-Dieter Fischer drinnen im Rathaussaal voller Stolz, während draußen auf dem Balkon Ailton nach dem auf „Der Deutsche Meister kommt vom Weserstrand“ umgetauften Song der Barden Klaus & Klaus schunkelte. Mehr als 100 000 Menschen jubelten am Sonntag auf Bremens Straßen, 50 000 waren es auf dem Marktplatz am Fuße des Rolands. „Wir haben es geschafft, Werder intensiv in die ganze Bevölkerung einzubringen. Dieser Verein lebt intensiver und ist attraktiver als je zuvor“, sagt Geschäftsführer Klaus Allofs beim Blick auf euphorisierte Menschenmassen.“
Sven Bremer (FTD 17.5.): „Es gab schon viele großartige Fußballer in Bremen. All die Bodes, Eilts, Herzogs und Rufers. Sie wurden von den Werder-Fans geachtet, bewundert und verehrt. Aber „Toni“ wird geliebt. Auch am Samstag haben die Zuschauer – trotz der peinlichen 2:6-Niederlage gegen Leverkusen – vor allem ihn gefeiert: Ailton Goncalves da Silva. Obwohl es das letzte Heimspiel des Torjägers für Bremen war. „Eigentlich musst du den Roland weghauen und Toni auf den Marktplatz stellen“, sagte Werders Vorsitzender der Geschäftsführung, Jürgen L. Born, wenig zimperlich im Umgang mit dem eigentlichen Bremer Wahrzeichen. „Werder Bremen, in momento bisschen guck“, hatte Ailton in einem Interview im Winter geäußert. Was heißen sollte „Mal schauen, wohin Werders Weg führt.“ Jetzt ist Werder Bremen Deutscher Meister, und Ailtons Weg führt nach Gelsenkirchen. In der kommenden Saison spielt er des lieben Geldes wegen für den FC Schalke. Und trotzdem lieben und feiern ihn die Fans in Bremen. Im Moment ist der Stürmer der glücklichste Mensch der Welt, aber auch der traurigste. Weil er Meister ist und weil er Bremen verlässt. Aber genau so ist „Toni“. Glück und Leid liegen bei ihm nicht weit auseinander. Das Leid eines großen Jungen, der nie richtig lesen und schreiben lernte. Das Glück, dass er so viel Talent zum Fußballspielen besaß.“
Eintracht Frankfurt – VfL Bochum 3:2
Michael Horeni (FAZ 17.5.): ““Die Mannschaft hat unheimlich viel Moral gezeigt. Auch wenn wir zwei schwere Verletzungen hinnehmen mußten, haben wir noch eine theoretische Chance auf den Ligaerhalt“, sagte der in Frankfurt stark umstrittene Trainer Willi Reimann, der vor der Partie von einem über 50 Meter großen Transparent eindeutig unfreundlich begrüßt worden war: „Ohne Konzept und System – Reimann muß gehen.“ Nun aber, nach einer überzeugenden Leistung, wird vom Frankfurter Publikum vor dem letzten Spieltag zumindest die Tatsache, daß Reimann in seiner Trainerkarriere noch nie abgestiegen ist, erfreut in die Indizienkette aufgenommen, die den Wunderglaube bei der Eintracht weiter stärken soll. „Wir wissen ja, was in Frankfurt alles möglich ist“, sagte Preuß, der an diesem Tag überragende Spieler, über die anerkannten „Wundermacher“ aus Frankfurt. 1999 rettete sich die Eintracht in der Schlußminute durch Fjörtofts Treffer zum 5:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern. Im Vorjahr kehrte der Klub durch Schurs Tor in der Nachspielzeit zum 6:3 gegen Reutlingen in die Bundesliga zurück. Und als weiteres Wunder ist die Rettungsmission 2000 unter Felix Magath, die ebenfalls am letzten Spieltag erfolgreich beendet wurde, noch in bester Eintracht-Erinnerung.“
Ingo Durstewitz (FR 17.5.): “Binnen einer Woche haben die Profis der Eintracht die bemerkenswerte Wandlung von minderbemittelten Prügelknaben zu leidenschaftlichen Hoffnungsträgern vollzogen. Kickten die Frankfurter in Hannover wie leicht orientierungslose Spaßfußballer nach durchzechter Nacht an einem Sonntagmorgen im Frankfurter Ostpark, so warfen sie gegen Bochum alle unabdingbaren Abstiegskampf-Tugenden ins Rennen: Herz, Wille, Bereitschaft, Einsatz. Erklärungen aber für die Leistungsschwankungen greifen ins Leere. Vielleicht, weil sich Unerklärliches nicht so leicht erklären lässt.“
Christoph Biermann (SZ 17.5.): „Reimann war hernach wieder einmal knurrig, weil er sein Team und seine Arbeit nach wie vor falsch eingeschätzt findet. In den Tagen vor dem Spiel fand er sein Team von den Zeitungen niedergeschrieben. „Wer danach hätte optimistisch sein sollen, müsste auf einem anderen Stern leben“, sagte er. Woraus man den Schluss ziehen muss, dass die Eintracht vom andern Stern ist, denn von Pessimismus war ihr wenig anzumerken. Reimann und die Presse, in Frankfurt werden sie wohl keine Freunde mehr werden. Jedenfalls wirkte Peter Neururer neben dem Frankfurter Kollegen so entspannt, als hätten Sieger und Besiegter die Rollen getauscht.“
1860 München – Hertha BSC Berlin 1:1
Christian Zaschke (SZ 17.5.): „Noch während der Ball flog, sank Francis Kioyo auf die Knie. 89. Minute, TSV 1860 München gegen Hertha BSC Berlin, Spielstand 1:1. Schiedsrichter Stefan Trautmann hatte den Sechzigern einen Elfmeter zugesprochen, nachdem der Berliner Arne Friedrich erst Rodrigo Costa im Rückwärtslaufen umgerempelt und anschließend Martin Stranzl mit dem Fuß am Rücken getroffen hatte. Kioyo war vier Minuten zuvor eingewechselt worden. Schon vor der Partie hatte er zu Roman Tyce gesagt: „Wenn ein Elfmeter kommt, traue ich mich.“ Nun war der Elfmeter da, Kioyo legte sich den Ball zurecht, er nahm einige Schritte Anlauf und jagte die Kugel links am Tor vorbei, weit vorbei. Francis Kioyo sank auf die Knie. 48 000 Menschen im Münchner Olympiastadion blickten fassungslos auf den Rasen. In der Fankurve der Hertha erhob sich Gesang. Einige Ehrengäste verließen kopfschüttelnd das Stadion, in dem es jetzt wieder lauter wurde, weil die Menschen ihre Wut herausbrüllten. Kioyo, auf den Knien, schloss die Augen, er legte sich die rechte Hand auf den Kopf. Dann fiel er vornüber der Länge nach auf den Rasen und vergrub sein Gesicht in den Händen. Vermutlich hat er gar nicht bemerkt, dass Herthas Torwart Christian Fiedler sich danach zu einer so hässlichen wie unsportlichen Geste hinreißen ließ. Er beugte sich zum liegenden Kioyo, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn, dazu schrie er den regungslosen Stürmer an. Kioyo reagierte nicht, es wirkte, als habe er das Bewusstsein verloren. Er blieb einfach liegen, im Sechzehnmeterraum, im brüllenden Stadion, allein. Sollte der TSV 1860 am kommenden Wochenende aus der Ersten Liga absteigen, wird der reglos trauernde Francis Kioyo das Bild dieses Abstiegs sein.“
Gerald Kleffmann (SZ 17.5.): „Er war nicht aufzuhalten, er redete und redete. Über den geglückten Klassenerhalt, klar. Über seine Gedanken („Wir haben in der ersten Halbzeit noch mehr wie ein Absteiger gespielt als 1860″), seine Gefühle („Ich bin sehr froh, dass wir uns den Krimi gegen Köln am letzten Spieltag erspart haben“). Über den Gegner, dem er – obwohl noch nicht abgestiegen – Erfolg für die Zweite Liga wünschte. Gerald Vanenburg, der neben ihm sitzende Trainerkollege, lächelte. Er wusste: Es war nicht böse gemeint. Hans Meyer hatte in der Euphorie die Tabelle falsch eingeschätzt, schnell schob er hinterher: „Das darfst du nicht ins falsche Ohr kriegen, ihr dürft nicht aufgeben.“ Meyer stockte, einige Reporter blickten sich erleichtert an – zu früh gefreut. Meyer setzte zu einem letzten Vortrag an und teilte zwei gefühlte Stunden später mit, man dürfe ihn zwar nicht auf Schultern durch das Brandenburger Tor tragen, aber durch „Bad Hersfeld, bei mir im Garten“. Erst jetzt geschah das Wunder: Der Quasselkönig hörte auf zu reden.“
Borussia Dortmund – Borussia Mönchengladbach 3:1
Jörg Stratmann (FAZ 17.5.): „Zwischenzeitlich hatten sie unterschiedliche Arbeitsplätze einnehmen müssen: Der eine durfte trotz einiger Temperamentsausbrüche auf der Bank bleiben, der andere mußte schon Mitte der ersten Halbzeit zur Strafe für eine Unbeherrschtheit die Tribüne aufsuchen. Doch als sich Trainer Matthias Sammer und sein Mönchengladbacher Kollege Holger Fach nach dem aufreibenden Spiel in den Kellergängen des Westfalenstadions wiedertrafen, mußten sie beide über den seltsamen Verlauf des Nachmittags lachen. Draußen feierten Verlierer und Sieger gleichermaßen mit ihren Fans. Und drinnen fragte Sammer nach einer kurzen Umarmung: „Ist das nicht komisch?““
Schalke 04 – 1. FC Kaiserslautern 4:1
Ulrich Hartmann (SZ 17.5.): „An der Ausfahrt vom Parkplatz der Arena AufSchalke lauerten nämlich die Fans, jene Anhänger, in die Kaiserslauterns Trainer sein Vertrauen setzt. Einige schmissen sich mutig vor den Bus und schrieen nach der Mannschaft, und als sich endlich die Tür öffnete, kletterten die Spieler und der Trainer heraus. Kurt Jara, der zuvor noch betont hatte, dass er diese Mannschaft nicht selbst zusammen gestellt habe, dass man von dieser Mannschaft auswärts nicht mehr erwarten dürfe, weil ihr das defensive Mittelfeld fehle und dass nur in der heimischen Trutzburg am Betzenberg alles gut werden könne, dieser Mensch mischte sich nun in die Menge und rief: „Ich weiß ja, dass wir scheiße gespielt haben.“ Damit war eigentlich alles gesagt zum lethargischen Auftritt der Lauterer sowie zur tabellarischen Zuspitzung. Nicht weiter zu erörtern vermochte Jara indes, warum sich sein vom Abstieg bedrohtes Konglomerat nur selektiv und sehr vorübergehend im erhöhten Pulsfrequenzbereich bewegt hatte und nach dem frühen Rückstand in sich zusammenfiel wie ein Souffle in kalter Zugluft. „Ich habe diese Mannschaft so zur Verfügung gestellt bekommen“, sagte Jara in der Pressekonferenz, denunzierte gar Profis wie Timo Wenzel oder Thomas Drescher („Mit solchen Fußballern sollen wir in Schalke gewinnen?“) und erinnerte demütig und unschuldig an den 4. Februar, als er in Kaiserslautern den Trainer Eric Gerets ersetzt hatte. „Jara raus!“, schrieen am Samstagabend die ersten Fans, doch der Betroffene verriet ihnen im Tumult vor dem Bus großzügig, wo sie die Linderung ihrer Wut würden erfahren können: „Wer hat diese Mannschaft denn zusammengestellt?“, rief er aufgebracht in die Menge, „haltet euch an den Jäggi, der hat doch die Spieler geholt!““
Internationaler Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ
Ballschrank
Pressestimmen zur Vergabe der WM 2010 in Südafrika
Michael Bitala (SZ 17.5.): „Das, was sich in den Straßen von Soweto, Alexandria, Johannesburg, Kapstadt, Durban oder Bloemfontein nach der Fifa-Entscheidung vom Wochenende abgespielt hat, kann man mit Worten fast nicht beschreiben. Es reicht nicht, zu sagen, dass all die Tausenden von Menschen, die sich – egal welche Hautfarbe sie haben – in die Arme fielen, sich küssten, sich Champagner über die Köpfe gossen und Leuchtraketen in den Himmel schossen, allein den WM-Zuschlag gefeiert haben. Dieser Sieg ist mehr, es ist, als hätte das Land nun endlich alle Fesseln gesprengt, als seien die Südafrikaner von nun an erst wirklich freie Menschen. Zehn Jahre nach dem Ende des rassistischen Apartheidregimes, zehn Jahre nach der ersten freien, demokratischen Wahl, ist dies die Krönung für ein Land, das Jahrzehntelang geächtet war. „Es wird das größte, das schönste Fest, das die Welt je gesehen hat“, sagte ein Mann, dem die Tränen über die Wangen liefen, „und ich darf das noch miterleben.“ Auch wenn Südafrika die beste Bewerbung abgegeben hatte, auch wenn das Land über die beste Infrastruktur des Kontinents und über die größte Erfahrung mit Sportereignissen verfügt – dass es letztlich geklappt hat, ist vor allem einem Mann zu verdanken. Nelson Mandela war der WM-Botschafter für Südafrika. Und so sprach der jahrzehntelang eingesperrte Freiheitsheld, der Friedensnobelpreisträger und erste demokratisch gewählte Präsident Südafrikas nach der Bekanntgabe: „Ich fühle mich wie ein kleiner Junge mit 15 Jahren. Es ist ein toller Tag für uns.“ Und wie es seine Art ist, beeilte er sich auch, seine Landsleute in der Stunde des Triumphs zu mahnen: „Südafrika sollte das Wahlergebnis nicht arrogant, sondern mit Bescheidenheit und in Demut akzeptieren. Wir sind alle gleich: Die, die jetzt gewonnen haben ebenso wie die, die jetzt nicht gewonnen haben. So geht das im Leben, aber man hat eine Million Chancen.“ Es feierte nicht nur Südafrika. Ganz Afrika jubelte über die Zusage zur ersten Fußball-WM auf dem Kontinent, die Nigerianer genauso wie die Tansanier. Und wenn man einem Kolumnisten der kenianischen Tageszeitung Daily Nation glauben kann, dann ist dieses Turnier das beste Entwicklungshilfeprogramm für Afrika.“
Claudio Klages (NZZ 17.5.): „Der politisch lange Zeit (und zum Teil heute noch) instabile Kontinent spielt auf internationaler Fussballebene erst seit etwa 20 Jahren mehr als eine marginale Rolle, organisatorisch werden erst in jüngster Vergangenheit die Standards der europäischen Fussball- Kolonialherren erreicht. Und für die Afrikaner, besonders für den viermaligen Kandidaten Marokko, sprach in der Vergangenheit primär das «Herz», doch massgebend war im Milliardenunternehmen Fussball jeweils überwiegend der Kommerz. Am zehnten Jahrestag des Demokratieprozesses hat Südafrika – zwischen 1976 und 92 wegen der Apartheid-Politik aus der Fifa ausgeschlossen – nun also den Zuschlag erhalten. Nicht zuletzt dank der charismatischen Ausstrahlung des gesundheitlich schwer angeschlagenen Nelson Mandela, der damit vielleicht die letzte Mission für sein Land beendet sieht. Er erhofft sich in der Organisation dieses Grossanlasses eine einmalige Chance, die Einheit unter den lange sozial, kulturell und ethnisch getrennten Gruppen zu stärken und Südafrika neue Prosperität zu verleihen. Schwarz und Weiss, nach den Worten Mandelas aus dem ganzen Kontinent, sollen jetzt gemeinsam den steinigen Parcours von der Kandidatur zum glanzvollen WM-Organisator gehen. Denn 150 000 neu zu schaffende Arbeitsplätze dürften der fussballbegeisterten Republik, so gross wie Italien, Frankreich und Spanien aneinander gereiht, und ihren 44 Millionen Einwohnern einigen Aufschwung verleihen. Immerhin stehen Grossunternehmen aus anderen Kontinenten als Sponsoren wie offizielle Verbandspartner angeblich schon Spalier. Hoffnungsvolle und gute Aussichten für die Wirtschaft am Kap. Mit Hilfe neuer Kräfte und Finanzquellen will Südafrika in den nächsten Jahren die Sportinfrastruktur massiv aufrüsten. Den emotionalen Gedanken müssen nun rationale folgen. Das organisatorische Know-how der Afrikaner steckt auch im äussersten Süden nach wie vor in den Kinderschuhen, materielle wie personelle Hilfestellung nicht zuletzt seitens des Weltverbandes ist von Beginn an unerlässlich. Zu verniedlichen ist beispielsweise auch die nach wie vor unkontrollierbare Kriminalität besonders im Grossraum um Johannesburg nicht, wo im Sommermonat Juni, dem Fussball-WM-Datum, Temperaturen deutlich unter zehn Grad kaum einladend auf Spieler, Zuschauer und den zu erwartenden Touristenstrom wirken dürften. Zudem zeigte sich Blatter am Samstag punkto massive Reduktion der Eintrittspreise für die WM-Spiele eher abweisend bzw. wies diese nicht zu unterschätzende Problematik an die Veranstalter weiter. Erinnert sei dabei an die leeren Stadien 1986 in Mexiko, wo riesige Menschenmengen in ländlicheren Regionen staunend, aber frustriert vor den Arenen stehen bleiben mussten.“
Martin Hägele (taz 17.5.): „Joseph Blatter, der auch so geliebt werden möchte wie Mandela, hatte für die frühere Apartheid-Nation gekämpft. Südafrika hatte mit Mandela, Frederik de Klerk, dem letzten weißen Staatspräsidenten, und Erzbischof Desmond Tutu gleich drei Friedensnobelpreisträger mit auf den Zürichberg gebracht und letztendlich auch wegen dieser Figuren gewonnen. Dagegen verblassten die auf vielen Gebieten besseren Argumente der marokkanischen Kandidatur. Die Delegation aus dem Königreich in Nordafrika hatte sich womöglich zu sicher gefühlt. Selbst in der letzten Nacht, in welcher bekanntermaßen die Stimmen der wackeligen Wahlmänner festgezurrt oder auf irgendwelche Art eingekauft werden, hatte sich das Bewerber-Team um den ehemaligen Banker Sead Kettami äußerste Zurückhaltung auferlegt. Mit dem Gefühl, in Blatters Parlament über eine Mehrheit von 13:11 zur verfügen, war das Team Marokkos ins Bett gegangen. Am Morgen aber hatte sich das Schicksal gedreht. Der Südkoreaner Chung, so hieß es, sei vom schwedischen Uefa-Präsidenten Lennart Johansson umgebogen worden; Slim Aloulou (Tunesien) habe ein in Aussicht gestellter Fifa-Job die Meinung ändern lassen; und Jack Warner sei direkt nach dem Votum von Kloten heim nach Trinidad und Tobago gedüst, damit er keinem, der auf das Wort einer der zwielichtigsten Gestalten des Weltsports gesetzt hatte, hinterher in die Augen sehen müsse. Geschichten dieser Art haben bei der Vergabe von Fußball-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen schon immer eine Rolle gespielt – und werden vor allem im Lager der Verlierer als moralischer Beweis für die Unzuverlässigkeit vermeintlich verbündeter Funktionäre hergezogen. Eine andere These besagt, Marokkos Bewerbung sei nicht authentisch genug gewesen, weil sie in erster Linie von der amerikanischen Consulting-Firma Alan I. Rothenbergs und einer Gruppe internationaler Experten und Lobbyisten getragen worden sei. Nelson Mandelas Mannschaft dagegen wirkte in den entscheidenden Stunden wie eine eingespielte „Bafana-Bafana“, wie die Nationalauswahl Südafrikas genannt wird. Ein Team, dem man sein Herz für Afrika schon optisch abgenommen hat.“
Thomas Scheen (FAZ 17.5.): „Ägyptische Zeitungskommentatoren zeigten sich am Wochenende enttäuscht über die Entscheidung zugunsten Südafrikas und gaben der Politik die Schuld. „Wir sind auf dem Altar der globalen Politik geopfert worden, und wir waren naiv genug, zu glauben, es gehe um Sport“, schrieb der bekannte Sportjournalist Ibrahim Hegazi in der Sonntagsausgabe von „Al Ahram“. Ähnlich wurde in Marokko argumentiert, dem eigentlichen Verlierer der „afrikanischen Ausschreibung“. Während der König und die gesamte Regierung artig ihre Glückwünsche in Richtung Südafrika aussprachen, zitierte eine Zeitung einen jungen Marokkaner mit den Worten, die FIFA sei eine „internationale Föderation von Gangstern und der Großfinanz“. Speziell FIFA-Präsident Joseph Blatter wurde in Marokko scharf angegriffen, weil seine offenkundige Bevorzugung Südafrikas einen fairen Wettbewerb von vornherein unterbunden habe. Ein Mitglied des marokkanischen Organisationskomitees unterstellte dem FIFA-Präsidenten im staatlichen marokkanischen Rundfunk, Blatter kontrolliere die FIFA „nach Belieben“. Aus Tunesien hingegen, das sich gemeinsam mit Libyen beworben hatte, waren kaum Stimmen zum Ausgang der Ausschreibung zu hören. Tunesien hatte seine Kandidatur am Freitag abend zurückgezogen, nachdem beiden Ländern die Chancenlosigkeit ihres Unterfangens bedeutet worden war. Hintergrund war die Weigerung Libyens, im Falle eines Zuschlages, israelische Delegationen einreisen zu lassen.“
Jens Weinreich (FTD 17.5.): „Andreas Abold blieb auch diesmal im Hintergrund. In einer der letzten Reihen hatte er sich ein Plätzchen gesucht im Saal des so genannten World Trade Centers von Zürich. Glückwünsche nahm Abold, Kommunikationsberater aus München, schon vor der Verkündung des Ausrichters der Fußball-WM 2010 entgegen. Oder besser: Er grinste und murmelte: „Na ja, warten wir mal ab.“ Zu diesem Zeitpunkt hatten Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees längst durchklingen lassen, dass Südafrika im ersten Wahlgang gegen Marokko erfolgreich gewesen war. Doch Fifa-Präsident Joseph Blatter ließ die Versammlung noch einige Minuten warten, ehe er einem Briefumschlag langsam den Namen des Gewinners entzog: „South Africa“. Nun hielt es Abold, den stillen und stets so gefassten Ratgeber der Südafrikaner, nicht mehr auf dem Stuhl. Abold sprang auf, herzte die Umstehenden, wurde in die Arme genommen, und vergoss reichlich Tränen. Der Mann, der oft so geschickt mit Emotionen spielt, wurde von seinen Gefühlen übermannt. Was hatte er seinen Geschäftspartnern nicht alles empfohlen in den vergangenen Monaten. Zum Empfang der Fifa-Inspektoren begab sich Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela noch einmal in jene Zelle auf der Gefängnisinsel Robben Island, in der er Jahrzehnte seines Lebens eingesperrt war. Dieses Treffen im Kerker traf vielleicht nicht jedermanns Geschmack. Doch es wirkte nach. „Das waren doch Emotionen?“, fragte Abold rein rhetorisch. „Das ging unter die Haut, nicht wahr?“ Natürlich, Mandela, das 85 Jahre alte Nationalsymbol Südafrikas, steht als Synonym für die großen Gefühle. Wer die südafrikanische Delegation „Madiba, Madiba“ singen hörte – Mandelas Klan-Namen –, wer die Bilder des ekstatischen Jubels aus Südafrikas Städten sah, der glaubte eine Ahnung zu bekommen von der Bedeutung des Augenblicks. Zum ersten Mal findet eine Fußball-WM in Afrika statt. Zwar weiß man dies seit vier Jahren, als die Fifa das Rotationsprinzip zwischen den Kontinenten beschloss. Der Moment der Verkündung hatte trotzdem eine historische Dimension.“
Stimmen zur Entscheidung BLZ
Ballschrank
Vermischtes
„die Kluft zwischen der Münchner Führungsprominenz war noch nie so spürbar“ (FAZ); „Meister der Selbstdisziplin“ (FTD); „Uli Hoeneß, Hauptdarsteller der Bundesliga“ (FAS) – „als Spieler wirst du in Deutschland jeden Tag unter Stress gesetzt“ (Jens Lehmann im SZ-Interview) – FAZ-Interview mit Gerd Niebaum – Uwe Rapolder, Trainer des Aufsteiger Arminia Bielefeld und „sprachlich begabter Betriebswirtschafter“ (NZZ) – FR-Interview mit Uli Stielike – Olympique Lyon, zum dritten Mal Frankreichs Meister u.v.m.
Die Kluft zwischen der Münchner Führungsprominenz war noch nie so spürbar
Peter Heß (FAZ 17.5.) durchleuchtet das Münchner Machtzentrum: “Die Aktion hätte so geräuschlos und stilvoll vonstatten gehen können, wie es Ottmar Hitzfeld verdient gehabt hätte, wenn nicht Franz Beckenbauer gewesen wäre. Während Manager Hoeneß und Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge den sportlichen Niedergang der Mannschaft schweigend verfolgten, kommentierte der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende jeden Mißerfolg mit Häme und Kritik. Zwar kamen Rummenigge und Hoeneß mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zum gleichen Schluß wie Beckenbauer: Aber es genügte dem Idol nicht mehr, daß nun auch seine Führungskollegen Hitzfeld als Urheber der Krise ansahen und in aller Stille dessen Abschied vorbereiteten. Beckenbauer preschte vor, demontierte öffentlich den Trainer. Warum? Aus verletzter Eitelkeit, hervorgerufen durch seine eingeschränkte Führungsrolle bei den Bayern. Und aus Verbitterung über das anhaltende fußballerische Elend der Mannschaft. „Ich habe ja nichts mehr zu sagen, ich meine ja bloß.“ Der Satz, mit dem Beckenbauer seine beim FIFA-Kongreß in Zürich geäußerte Kritik an Hitzfeld abschloß, zeigt seine Verbitterung. Nach der Vereinsumstrukturierung des FC Bayern 2002 wurde Beckenbauer Präsident des Gesamtvereins und Aufsichtsratschef der AG. Die Verantwortung für das Tagesgeschäft des Profifußballs übernahmen nach der AG-Gründung allerdings die Vorstände Rummenigge und Hoeneß. „Ich entscheide nicht, der Vorstand entscheidet. Der Aufsichtsrat hat die Pflicht zu beaufsichtigen. Deshalb heißt er ja Aufsichtsrat“, so beschreibt Beckenbauer seine Tätigkeit. Dem heiligen Zorn des Präsidenten setzen die Vorstände Rummenigge und Hoeneß eisernes Schweigen entgegen. Sie wollen Ruhe bewahren vor dem letzten Saisonspiel. Obwohl Rummenigge und Hoeneß Beckenbauers Aussagen nicht kommentierten: Die Kluft zwischen der Münchner Führungsprominenz war noch nie so spürbar. In Stuttgart dagegen geht Magaths Abschied ohne häßliche Nebengeräusche vor sich. Präsident Erwin Staudt und die Mannschaft gönnen ihrem Erfolgstrainer offensichtlich den Aufstieg auf der Karriereleiter. „Felix Magath ist ein sehr ehrgeiziger Mensch. Ich weiß, daß er sehr gerne beim Branchenführer arbeiten würde. Wir werden als Freunde auseinandergehen, wenn wir denn auseinandergehen müssen.““
Meister der Selbstdisziplin
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 18.5.) befasst sich mit der dicken Haut Ottmar Hitzfelds: „Aus Hitzfelds engstem Bekanntenkreis verlautet, dass der scheidende Trainer des FC Bayern die Entscheidung schon seit geraumer Zeit realisiert und sie mit der Bemerkung quittiert habe: „Das ist normal, so wie die Saison gelaufen ist.“ Es ist diese pragmatische Art, die den einst gefeierten Strategen zu seiner Größe hat aufsteigen lassen. Selbst im intimen Kreis soll sich Ottmar Hitzfeld, der Meister der Selbstdisziplin, zu keiner Wertung der als stil- und würdelos kritisierten Art des Abschiebens durch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und den Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Franz Beckenbauer, hinreißen lassen haben. „Was auch immer passieren wird, er bleibt der erfolgreichste Trainer in der Geschichte des FC Bayern. Wir werden ihn stets als Persona grata behandeln“, hatte Rummenigge gesagt. Beckenbauer war vor wenigen Tagen in seinem üblichen Plauderton mit der Bemerkung vorgeprescht: „Es muss etwas passieren. Hitzfeld war ein guter Trainer. Magath hat bewiesen, was er kann.“ Sich auf solche Weise des vielleicht verdientesten Trainers in 40 Jahren Bundesligageschichte zu entledigen bedeutet letztlich eine Demontage, die ein bezeichnendes Licht auf den Moralbegriff höchster deutscher Fußballfunktionäre wirft. Wo bleibt der Einspruch des so gerne als Gralshüter der Ethik auftretenden Managers vom FC Bayern?“
Hoeneß spielt den Bösen im Dienste des Guten
Sehr lesenswert! Harald Staun (FAS 16.5.) kennt das Skript des Bayern-Managers: „Das Schweigen des Uli Hoeneß‘: Es liefert vor allem ein deutliches Bild der hochkomplexen Strategie des FC-Bayern-Managers. Es ist womöglich gar nicht Unprofessionalität, die den Medien-Profi Hoeneß zum zwischenzeitlichen Rückzug aus der Öffentlichkeit bewegt hatte, weder die Unfähigkeit, mit Anstand zu verlieren, noch eine depressive Lethargie nach der sportlichen Demütigung am vergangenen Spieltag. Das Schweigen, das sich Hoeneß auferlegt hat, ist Teil seiner Interpretation der Rolle, die er vor 25 Jahren antrat, als er mit 27 Jahren zum Manager des FC Bayern wurde, und die er seit mindestens 15 Jahren unermüdlich spielt: Uli Hoeneß ist der Hauptdarsteller der Bundesliga. Und er ist sein eigener Regisseur. Daß man sich keine Bundesliga ohne den FC Bayern vorstellen kann, das liegt vor allem an diesem Mann, und vielleicht zeigt erst diese Saison, wie wichtig Uli Hoeneß mittlerweile für den deutschen Profifußball insgesamt geworden ist. Seit Wochen krochen die Bayern in der Tabelle hinter dem SV Werder Bremen her, seit Wochen glaubte kaum noch jemand, daß sie am Ende ganz oben stehen würden, aber je schlechter die Form seiner Mannschaft war, desto besser wurde die ihres Sprachrohrs – und womöglich schalteten am vergangenen Wochenende mehr Leute die Sportschau ein, um die Verbitterung in Hoeneß‘ Gesicht zu sehen als das Lächeln in dem des Meistertrainers Thomas Schaaf. Auch diese Schadenfreude hat sich Hoeneß hart erarbeitet, und statt nun von ihm zu verlangen, zu Kreuze zu kriechen und, wie es das Fachblatt „Bild“ schreibt, „seine eigenen Worte zu fressen“, wäre es angebracht, zu würdigen, daß er eine langweilige Saison bis fast zum Ende noch spannend gemacht hat. Es hätte nicht geschadet, wenn im vergangenen Jahr auch Stuttgart oder Dortmund einen Manager gehabt hätten, der sich voller Wut und Leidenschaft bis an die Grenze zur Lächerlichkeit vorwagt. Was die charakterliche Ausstattung der Figur Hoeneß betrifft, so fällt das Votum naturgemäß sehr eindeutig aus, 17:1 sozusagen. Spätestens seit sich der FC Bayern zur Standardeinstellung des Meisters entwickelt hat, ist der Rest des Landes im Prinzip dagegen. Und bezeichnender als alle Beleidigungen, die dem Buhmann der Liga im Lauf seiner Karriere an seinen oft sehr rot werdenden Kopf geworfen worden sind, ist die Tatsache, daß sein eigener Name in bestimmten Kreisen als schlimmstmögliches Schimpfwort gilt: „Du bist ein Hoeneß.“ (…) Man kann ihn sich nur sehr schlecht als den akribischen Buchhalter vorstellen, als der er so oft bewundert wird. Auch der wirtschaftliche Erfolg entspringt wohl eher einer leidenschaftlichen Sturheit. Man könnte also, zum einen, Uli Hoeneß nach 25 Jahren ganz einfach danken, daß er, wie man so sagt, er selbst geblieben ist, was ihn nach einer sehr affektiven Lesart schon einmal sympathischer macht als die unzähligen Sachverwalter und Marketingschüler der Liga; man muß aber, zum zweiten, das Lob gar nicht aufgeben, auch wenn man weiß, daß nicht viel übrig ist von Authentizität und Ehrlichkeit, in einer Branche, in der jeder Ersatzspieler einen Imageberater hat: Wenn nämlich auch die Figur Hoeneß nur die häßliche Maske des sogenannten Menschen dahinter ist, dann ist es tatsächlich sehr heroisch, sie unermüdlich zu tragen. Hoeneß spielt den Bösen im Dienste des Guten.“
Als Spieler wirst du in Deutschland jeden Tag unter Stress gesetzt
SZ-Interview mit Jens Lehmann
SZ: Hat Sie das enorme Tempo in der Premier League überrascht?
JL: Ja. Wenn man das Tempo hier mit der Bundesliga vergleicht, ist das wie ein ICE und ein D-Zug. Wenn in Deutschland das Spiel schnell gemacht wird, denkst du immer, irgendjemand wird den Fehler machen. Hier nicht, hier geht das bis zum Ende durch. Es ist ganz interessant zu sehen, wenn ein neuer Spieler kommt, wie der Probleme hat, in den ersten Wochen allein im Training mitzuhalten. José Reyes, der mittlerweile sehr gut spielt, hat zwei Wochen gebraucht, bis er mal eine Kombination mitmachen konnte.
SZ: Welche Unterschiede gibt es noch zur Bundesliga?
JL: Wenn du im Fünf-Meter-Raum oder im Sechzehner angegangen wirst, dann wird in Deutschland und auch in Europa gepfiffen. Hier hält mich einer auf der Linie fest, ich schubse ihn und der Schiedsrichter pfeift einen Elfmeter. Das war für mich überraschend. Was hier auch anders ist: Alles ist sehr viel professioneller organisiert. Den Spielern wird bei dem ganzen Programm ein Minimum an Stress nebenher aufgebürdet. In Deutschland ist das umgekehrt, da hat man ein Maximum an Stress.
SZ: Wie meinen Sie das?
JL: Als Spieler wirst du in Deutschland jeden Tag unter Stress gesetzt. Häufig von den Trainern selbst. Und von den Begleitumständen. Das fängt damit an, dass Hunderte von Fans beim Training sind, und viele Journalisten. Du schlägst morgens Bild auf und der Typ, der dich in die Pfanne gehauen hat, steht beim Training und will irgendetwas wissen. Und dann kommst du in die Kabine und der Trainer hält eine Ansprache, weil einer zu schnell gefahren ist oder zu lange in der Disko war. Hier werden die Spieler von den Medien systematisch abgeschirmt, ein Mann wie Thierry Henry gibt im Jahr drei, vier Interviews.
SZ: In Deutschland verlangt der Fan aber, dass die ¸¸Führungsspieler“ offen Stellung beziehen.
JL: Der Führungsspieler, oh ja. Das ist auch so eine Sache. Das kommt wahrscheinlich aus unserer traurigen Geschichte heraus. Du brauchst keine Führungsspieler. Du brauchst Spieler, die gut sind, auf die du dich verlassen kannst. Unser Kapitän Patrick Vieira ist ein Super-Mittelfeldspieler, aber der muss mich nicht führen. Es kann mal sein, dass ich einen schlechten Tag habe, und er das Spiel rausreißt. Aber an einem anderen Tag ist unser linker Verteidiger der entscheidende Mann. Führungsspieler ist ein deutscher Begriff, der völliger Quatsch ist. Wenn in Deutschland einer einen Satz geradeaus reden kann und drei gute Spiele macht, ist er schon der Führungsspieler.
SZ: Offenbart sich da die geheime Sehnsucht nach dem starken Mann?
JL: Ja, das ist deutsch. Das hat Churchill gesagt. Er bewundert die Deutschen, allerdings bedauert er ihre Verherrlichung von Macht- und Führungspersonen. So ähnlich war das Zitat. Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.
FAZ-Interview mit Gerd Niebaum über die sportliche und wirtschaftliche Zukunft Borussia Dortmunds
FAZ: Ein Verlust von knapp 30 Millionen Euro im ersten Halbjahr der Saison und keine Zusatzeinnahmen durch internationale Spiele im zweiten Halbjahr: wie dick wird
das Minus am Ende dieses Geschäftsjahrs für Borussia Dortmund sein?
GN: Zu diesen Dingen kann und will ich mich im Augenblick auch aus rechtlichen Gründen nicht äußern. Das wirtschaftliche Ergebnis der Saison war jedenfalls dadurch geprägt, daß wir die Champions League angestrebt und nicht erreicht haben. Es ist wie mit einem Unternehmen, das einen Großauftrag verliert und das dann etwas tun muß. Wenn man diesen Großauftrag so schnell nicht wiederbekommt, muß man gewaltig auf die Bremse treten. Das tun wir, und wir rechnen mit einem Bremsweg von mindestens zwei Jahren. Deshalb werden die Ausgaben den zu erwartenden Einnahmen angepaßt. Wenn wir überhaupt Spieler verpflichten, dann nur in überschaubarer Größenordnung und dazu in vernünftiger Relation zu dem, was wir abgeben und verkaufen.
FAZ: Kann Borussia Dortmund, das sich jahrelang zu den Großklubs rechnete, etwas vom neuen Meister Werder Bremen abgucken, der seinen Aufschwung an die Spitze mit wirtschaftlicher Vernunft und sportlichem Geschick zugleich bewerkstelligt hat, ohne dafür ein zu hohes Risiko einzugehen?
GN: Wenn Bremen dauerhaft in der Champions League mitspielen will, wird die Welt dort auch etwas anders als bisher aussehen. Wir haben 2002, als wir deutscher Meister und im UEFA-Pokalendspiel waren, angenommen, daß wir auch in den kommenden Jahren europäisch dabei sind. Für diese Aufgabe und dieses Ziel haben wir eine teure Mannschaft unterhalten und Spieler über längere Zeiträume verpflichtet. Dadurch haben wir hier und da einen Schritt zuviel gemacht. Unsere Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Während wir die Geschwindigkeit drosseln müssen, kann Bremen noch Gas geben.
FAZ: Was gibt Ihnen Hoffnung, daß der nächste Aufschwung auch für Dortmund kommt?
GN: Im Fußball kann es schnell aufwärtsgehen. Das ist auch gegenüber anderen Branchen der Vorteil. Zuletzt hat der VfB Stuttgart ein gutes Beispiel dafür geliefert, wie rasch ein verschuldeter Klub unter bestimmten positiven Umständen nach vorn kommen kann. Wir Dortmunder fangen in der nächsten Saison ja nicht wie ein Aufsteiger an und verlieren in der Summe kein Übermaß an spielerischer Substanz. Daß wir einen europäischen Wettbewerb anstreben werden, ist trotz allem selbstverständlich.
FAZ: Wie hoch ist der Schaden, der dem Verein, dem Unternehmen, der Marke Borussia durch das ablaufende Geschäftsjahr über die nackten Zahlen hinaus entstanden ist?
GN: Der Schaden ist so oder so sehr groß. Wir sind bei den Reparaturarbeiten, und die werden uns, auch wenn es mancher gar nicht glauben mag, mit einem großen Kraftaufwand gelingen. Auf der anderen Seite werden die Fakten immer siegen, und da muß man bloß ins ausverkaufte Stadion gucken, um etwas von der großen Bindung in unserer Stadt und unserer Region an Borussia Dortmund zu spüren. Es wird sich zeigen, daß die Erfolgsgeschichte von Borussia Dortmund weitergeht.
Der sprachlich begabte Betriebswirtschafter versteht von Fussball mehr als die meisten Kollegen
Arminia Bielefeld steigt auf, Trainer Uwe Rapolder habe daran großen Anteil, meint Martin Hägele (NZZ 18.5.): „Bevor das Arminen-Team unter dem neuen Chef ein phantastisches Finish (nur eine Niederlage in elf Spielen) hinlegte und dabei Fussball von ganz anderer Art spielte als unter Vorgänger Benno Möhlmann, hatte Rapolder fünfzehn Monate lang sein Gehalt vom Sozialamt bezogen: arbeitslos, gefeuert bei der Zweitliga-Konkurrenz LR Ahlen, zuvor entlassen im SV Waldhof Mannheim – nur ein Jahr nachdem der ehemalige Bundesligaklub die sportliche Rückkehr ins Oberhaus nur um ein einziges Tor verpasst hatte. Viele Fussball-Lehrer verschwinden nach solchen Karrieren für immer aus der Szene; Rapolder aber hat sich in dieser schwierigen Phase persönlich läutern lassen. Ein schwerer Prozess für einen, der schon im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über die taktische Fussball-Revolution in der AC Milan unter Arrigo Sacchi philosophieren durfte – eine Aufgabe, die man Sportjournalisten damals noch nicht zutraute – oder im Schweizer Fernsehen Taktik erklärt hat. Der sprachlich begabte Betriebswirtschafter versteht von Fussball weitaus mehr als die meisten Berufskollegen; leider zeigte der einstige Professional (Winterthur, Young Boys) den Kameraden und sonstigen Kritikern gerne deutlich, was er von ihnen hielt. Wobei bekanntlich jeder, der als Trainer aus der Schweiz in die Bundesliga kommt, einen schweren Stand hat. Und mit diesem Stallgeruch (Monthey, Martigny, St. Gallen) erging es dem Schwaben Rapolder kaum anders als Schicksalsgenossen wie Fringer, Andermatt oder Egli. Arminias Sportdirektor von Heesen lobt Rapolder als „Glücksgriff“, der aus der Mannschaft alles, was möglich gewesen sei, rausgeholt habe. Mit der taktischen Umstellung auf ein 4:4:2-System und dem von Rapolder auch vorgelebten Selbstbewusstsein. Der 45-Jährige wird, sofern er sein starkes Ego etwas besser kontrolliert, eine Bereicherung der Bundesliga sein und ein sportlicher Farbtupfer jener Stadt, über welcher immer noch das geflügelte Wort aus vielen Redaktionen wie ein Fluch hängt: „Bielefeld heisst Spesengeld.“ Hinter dem zweifelhaften Ruhm vom „Rekord-Absteiger“ und „Rekord-Aufsteiger“ stecken nicht nur der sprichwörtliche Trotz und die sturen Köpfe der Westfalen, die sich durch nichts beirren lassen. Das Phänomen der Liftmannschaften hat sich in den vergangenen Jahren quer durch die Republik verbreitet. Siehe 1. FC Nürnberg oder Energie Cottbus, die zusammen mit Arminia im letzten Jahr in die Zweite Liga zurückgestuft wurden. Und dafür gibt es auch eine einfache Erklärung. Die Absteiger fallen nämlich vergleichsweise weich, seit bei der Verteilung der Fernsehgelder nicht allein die neue Klasse den Ausschlag gibt, sondern die Liga-Zugehörigkeit über die letzten drei Jahre berücksichtigt wird.“
Richard Leipold (FAZ 18.5.) ergänzt: „So leicht es im nachhinein aussah, so schwer fiel es den Spielern des Tabellenzweiten, die technisch minderbemittelte Heimelf auf dem Fußballplatz zu beherrschen. Angestachelt von einem fanatischen Publikum, kämpften die Osnabrücker, zuweilen auf unfaire Art, als ginge es für sie um Bonuspunkte, die ihren längst besiegelten Abstieg in die Regionalliga noch rückgängig machen könnten. „Das war eine Jagd“, schimpfte Arminias Sportdirektor Thomas von Heesen. Trainer Rapolder hatte den VfL in dieser Saison „ein paarmal gesehen, aber nie so kämpferisch“. Grundsätzlich lobte Rapolder den Kampfeswillen des Gegners. „So muß es sein, es gibt nichts zu verschenken.“ Den Osnabrückern hätte es gefallen, die Aufstiegspläne ihres Nachbarn zu durchkreuzen. Am Ende aber konnten sie nur Glückwünsche aussprechen – wie eine Woche zuvor nach dem 3:4 gegen den designierten Zweitligameister 1. FC Nürnberg. Als routinierter Gratulant überreichte VfL-Präsident Dirk Rasch dem Kurpfälzer Rapolder eine Flasche badischen Weins und entschädigte den Trainer des „Erzrivalen“ für das Bad im Bier, das der diesem Getränk wenig zugeneigte Rapolder zuvor hatte erleiden müssen. Als die Ergebnisse von den anderen Schauplätzen sich an der „Bremer Brücke“ herumgesprochen hatten, war Rapolder zunächst auf der Flucht gewesen. Ein Sponsor hatte doch noch eine Art Pokal herbeigeschafft; es war ein riesiges Bierglas, das randvoll mit Pils gefüllt war. Die Spieler jagten ihren Trainer so lange über den Rasen, bis sie ihm das Getränk über den Kopf schütten konnten. Auf den Rängen sangen die Anhänger dazu den aktuellen Bielefelder Fußballhit: „Eins kann uns keiner nehmen, und das ist der Aufstieg Nummer sieben.“ Kein Verein hat sich öfter in die höchste Klasse emporgearbeitet. Doch dieser Erfolg impliziert auch den Mißerfolg. „Das heißt ja auch, daß man ein paarmal abgestiegen ist“, sagte Präsident Hans-Hermann Schwick. Für ihn sei es der fünfte Aufstieg gewesen. Aber diesmal wollen sie es besser machen und den Pendelverkehr zwischen den Ligen bis auf weiteres einstellen. „Wir waren immer für die zweite Liga eine Nummer zu groß und für die Bundesliga eine Nummer zu klein“, sagt Geschäftsführer Roland Kentsch. „Vielleicht können wir uns jetzt mal zwei, drei Jahre halten und dann ein zweites Freiburg aufbauen. Das ist unser Ziel.““
Helft euch selbst
Die FAS (16.5.) porträtiert Jürgen Klopp, Trainer des FSV Mainz: „Nur manchmal spürt man, wie der Job als intelligent-eloquenter Alleinunterhalter auf ihm lastet. Dann sitzt er wortkarg auf seinem Stuhl, preßt in der Pressekonferenz nur das Nötigste heraus. Doch es gibt keine Fluchtmöglichkeit für Jürgen Klopp, alle zerren an ihm. Die Journalisten, die Fans des Fußball-Zweitligaklubs FSV Mainz 05 sowieso, sie würden den Sechsunddreißigjährigen wohl auch zum Oberbürgermeister wählen, ließe er sich denn aufstellen. Der Cheftrainer hatte für einen Abend eine Gastrolle im Mainzer Staatstheater, er hat Lesungen in Fanprojekten gehalten, ihm wurde ein Fahrzeug namens „Kloppo-Ente“ vermacht, das er gelegentlich sogar fährt. Und ein Anhänger ist regelmäßig in einem umgebauten Lastkraftwagen unterwegs, der „Kloppomobil“ heißt und beim Tanken ungebührlich das Portemonnaie leert. Der Hype um Klopp ist in Hoch-Zeiten nur schwer zu toppen, das gelingt nur der Mainzer Fastnacht. Apropos: In den närrischen Tagen 2001 ist der vormalige Verteidiger und Stürmer vom Fußballprofi zum Chefcoach von Mainz 05 befördert worden. „Helft euch selbst“, lautete seinerzeit die Botschaft von Klubpräsident Harald Strutz. Das Ergebnis ist bekannt: Rettung vor dem Abstieg, zweimal Vierter (2002, 2003), eine formidable Trainerkarriere im Schnelldurchgang. Was bleibt bis heute, ist die Gesamttragik des jüngeren Mainzer Fußballs: die unvollendete Geschichte der Versetzung.“
FR-Interview mit Uli Stielike über die U21-EM und den deutschen Nachwuchs
FR: Sie feierten 1973 Ihr Bundesliga-Debüt. War es damals für junge Spieler einfacher, sich durchzusetzen ?
US: Gefördert wirst du nur, wenn du neben dem Talent auch viel Willen und Ehrgeiz mitbringst. Das sage ich auch meinen Spielern immer wieder. Ich habe in meiner Karriere bei weitem mehr Talente versiegen sehen als solche, die oben angekommen sind.
FR: Dennoch hat es den Anschein, dass in den siebziger und achtziger Jahren mehr junge deutsche Spieler gefördert wurden, allein weil es die Ausländerbeschränkung gab.
US: Die Durchlässigkeit war sicherlich größer, da ist die hohe Ausländerquote ein Hindernis. Aber auch ich musste mich gegen gestandene Profis durchsetzen. Nur der Vorteil war, dass innerhalb des Vereins eine Sprache gesprochen wurde. Und als junger Spieler erhielt man Hilfestellung – ich hatte nicht nur Weisweiler, sondern noch fünf, sechs Trainer auf dem Platz: Habe ich hinten einen abgegrätscht, hat mir Berti Vogts auf die Schulter geklopft, habe ich vorne Jupp Heynckes den Ball am Fuß vorbei gespielt, hat er mir in den Hintern getreten. Da gab es klare Hierarchien in der Mannschaft. Das vermisse ich heute. Und oft kann heute gar nicht mehr kommuniziert werden, weil viele der deutschen Sprache gar nicht mächtig sind.
FR: Wie bewerten Sie den aktuellen Zustand der deutschen Talente im Profifußball?
US: Was die U 21 betrifft, da kann ich mich nicht beschweren. Fast alle meine Spieler sind Stammspieler. Von Torwart Tim Wiese bis hin zu den Stürmern Benjamin Auer und Lukas Podolski. Aber es wird bei der Einkaufspolitik noch zu oft gegen die Interessen anderer gearbeitet.
FR: Inwiefern?
US: Indem Vereine Talente anhäufen, obwohl sie wissen, dass sie sie gar nicht fördern können. Wenn 16, 17 Spieler schon in der U 17 und U 18 geholt werden, hilft das dem deutschen Fußball nicht. Und genauso wenig, wenn die Bundesligisten für ihre Stützpunkte schon Elf- und Zwölfjährige anwerben. Es wird viel gemacht im Juniorenbereich – es wird aber auch noch viel falsch gemacht. Es kann nicht sein, dass einer anderthalb Stunden zum Training gefahren wird, anderthalb Stunden trainiert und anderthalb Stunden lang wieder zurückgefahren wird.
FR: Was läuft noch falsch?
US: Ich halte auch die Amateurteams der Bundesligisten nicht für sinnvoll. Unsere Spitzentalente erhalten dort keine optimale Förderung, weil sie fast nur unter Jugendlichen sind und immer wieder in anderer Besetzung spielen. Für die Entwicklung wäre es viel besser, sie würden bei einem Zweitligisten sein und sich in klar strukturierten Mannschaften behaupten müssen.
FR: Hat der deutsche Nachwuchsfußballer technische und taktische Defizite?
US: Nein, der Umbruch im Juniorenbereich hat ja früher begonnen als im Seniorenbereich. Bei der EM 2000 hat Lothar Matthäus noch Libero gespielt, da haben die DFB-Juniorenteams schon im Raum agiert. Klar sind die Franzosen technisch immer noch im Vorteil. Deshalb dürfen wir die deutschen Tugenden nicht vernachlässigen: Dazu gehört eine hervorragende Kondition, eine eisenharte Disziplin und ein hohes Selbstwertgefühl. Ein deutscher Spieler muss in der Lage sein, einen Meter mehr zu machen und öfter den inneren Schweinehund zu überwinden. Bei der technisch und taktischen Ausbildung sind mittlerweile fast alle auf einem Level.
FR: Ihr Vertrag beim DFB läuft bis 2006. Wollen Sie noch einmal zum A-Team aufrücken?
US: Das ist nicht meine Entscheidung. Als Tandem wie damals bei Erich Ribbeck auf keinen Fall. Ich bin kein zweiter Mann. Aber ehrlich: Ich fühle mich als Trainer im Nachwuchsfußball sehr wohl, ich möchte mit Rudi Völler nicht tauschen. Ich muss das nicht haben, was nach einem 1:5 gegen Rumänien über einen einbricht. Da büßt auch die Lebensqualität erheblich. Das strahlt bis auf die Kinder in der Schule ab.
FR: Haben Sie noch einmal Ambitionen, einen Verein zu trainieren?
US: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Der Vereinstrainer ist der Wegbereiter, der Verbandstrainer der Wegbegleiter. Das sind ja gravierende Unterschiede. Ich habe als Vereinstrainer ja schon genügend unangenehme Erfahrungen gemacht, man nehme nur meinen Rauswurf bei Waldhof Mannheim oder Xamax Neuchatel.
Nur ein Masochist verzichtet auf einen solchen Stürmer
Peter Hartmann (NZZ 18.5.) stellt den neuen Jungstar Italiens vor: „Am Dienstag will Italiens Commissario tecnico Giovanni Trapattoni sein spielendes Personal für die EM in Portugal bekannt geben, und es könnte sein, dass er den lauten Ruf des ganzen Landes nach dem Wunderknaben Alberto Gilardino überhört. „Nur ein Masochist verzichtet auf einen solchen Stürmer“, kommentiert der „Corriere della Sera“. Gilardino sprüht seit Monaten vor Spielfreude und entschied das letzte Meisterschaftsspiel der AC Parma gegen Udinese im Alleingang mit seinen vier Treffern zum 4:3-Sieg. Den ersten erzielte er aus der Drehung heraus, Rücken zum Tor. Den zweiten mit einem Kopfball, den dritten mit einer raffinierten Abfälschung in der Luft, den vierten mit einer Schlangenbewegung vor dem gegnerischen Torhüter. Ein perfekter Goalgetter. In der Skorerliste hisste er sich mit 23 Treffern auf den zweiten Platz hinter dem ukrainischen Cannoniere Schewtschenko, der für Milans Meistermannschaft 24-mal traf. Doch der ergraute Maestro Trapattoni, der nach der missglückten letzten WM-Expedition wegen seiner konservativen Taktik und uninspirierten Auswechslungen den Volkszorn geweckt und auch seine Spieler gegen sich aufgebracht hatte, zögert mit seinem Bekenntnis zum neuen Publikumsliebling. Gilardino war allein fast so erfolgreich wie die gesetzten Nationalstürmer Vieri (13 Tore), Del Piero (8) und Filippo Inzaghi (3) zusammen. Vieri, mit 11 Millionen Euro Salär der bestverdienende Angestellte im Calcio, war häufig lädiert und verscherzte sich mit seinen sauertöpfischen Auftritten auch die Sympathien des Inter- Anhangs. Del Piero spielte eine Saison wie ein zweitklassiger Del-Piero-Imitator. Inzaghi war dauernd verletzt und ist nach einer Knöcheloperation ohne Wettkampfpraxis. Unumstritten Francesco Totti, die Schlüsselfigur der Mannschaft, und sein jugendlicher Schatten Antonio Cassano von der AS Roma soll das Experiment sein, das Trapattoni einzugehen gewillt scheint.“
Vincent Villa (NZZ 18.5.) gratuliert Olympique Lyon zum dritten Meistertitel in Folge: „Die terminliche Koinzidenz der Meisterfeier im Stade Gerland nächsten Sonntag, eingebettet zwischen zwei Europacup-Endspielen mit französischer Beteiligung (Marseille – Valencia am kommenden Mittwoch im Uefa-Cup; Monaco – Porto in acht Tagen im Champions-League-Endspiel), deutet aber bereits an, wo die Achillesferse bezüglich des Lyoner Palmarès liegt. OL sammelt zwar fleissig Titel, aber die französischen Herzen sind noch nicht erobert worden. Von der Ausstrahlung und Popularität her bewirkt OL nicht annähernd die gleiche Faszination wie etwa Saint-Etienne oder Marseille, zwei Klubs, die ihren Nimbus vor allem denkwürdigen Auftritten auf der europäischen Bühne zu verdanken haben. Der neuerliche Titelgewinn ist aber gleichwohl eine weitere Genugtuung für Jean-Michel Aulas, der den Verein in seiner 17-jährigen Präsidialzeit aus der Anonymität der zweiten Division in das Schaufenster der Eliteklasse an den prestigeträchtigen Tisch der G 14 gehoben hat.“
Daniel Meuren (FR 18.5.) geht ins Theater: „In Sönke Wortmanns Kino-Erfolg „Das Wunder von Bern“ ist der Ruhrpott die Geburtsstätte des größten Erfolgs in der deutschen Fußballgeschichte. Helmut Rahn aus Essen-Katernberg ist der dynamische Held, der im vergangenen Herbst in den deutschen Kinosälen allerlei Hindernisse überwinden musste, bevor er zum Siegtorschützen im Finale der Fußball-WM 1954 avancierte. Das Kaiserslauterer Pfalztheater legt nun sein Plädoyer für Kapitän Fritz Walter (in allseits verständlichem Pfälzisch gespielt von Rainer Furch) vor. Der Lauterer, einer der Größten des Weltfußballs, taugt wahrscheinlich nur hier, in seiner Heimatstadt und in unmittelbarerer Nähe des Betzenbergs, für eine Heldenrolle. Zu bescheiden und unspektakulär trat der Spielmacher jenseits des Rasens auf, zu grüblerisch und sensibel ist er für das Kino, das spaßgesellschaftstaugliche Helden wie den Lebemann Rahn mehr mag als den ehemaligen Kriegsgefangenen Walter. So wie der Held Fritz Walter für die Leinwand zu ernst ist, so ist auch die Vielfalt an Aussagen, die das Lauterer Theaterstück wagt, zu viel für den schnellen Konsum bewegter Bilder. So hätte es im Kino nicht funktioniert. „Die Helden von Bern“ riskieren nämlich zahlreiche Abstecher vom Weg ins Finale, darunter – neben komödiantischen Flankenläufen – gleich eine ganze Reihe an historisch fundierten Distanzschüssen auf den „Mythos Bern“. Gleich in der ersten Szene singen jubelnde deutsche Fans die erste Strophe der Nationalhymne. Mit dem „Deutschland, Deutschland über alles“ der Anhängerschar bringt das Theaterstück gleich mehrfach den gesanglichen Konter zum Idylle bewahrenden „Hoch auf dem gelben Wagen“, das die deutschen Spieler ein Dutzend mal anstimmen, um den Geist von Spiez zu beschwören. Es ging damals eben um mehr als Sport. Es ging auch um Verdrängung. Die Darstellung des damaligen, nationalistisch-revisionistisch geprägten DFB-Präsidenten Peco Bauwens bringt ebenfalls eine historische Dimension ins Spiel, auf die Wortmann verzichtete.“
Samstag, 15. Mai 2004
Ballschrank
Bundesliga
Bundesliga
Pressestimmen über die vermutlich bevorstehenden Trainerwechsel und -entlassungen in München und Stuttgart: „FC Mobbing“; „die Münchner Mächtigen machen einen würdigen Abschied Hitzfelds unmöglich“; „Hitzfeld ist ein Glücksfall und hat am Ende unverdientes Pech“ „Magath baut eine Deckung aus Wortspielen auf“ (alle FAZ); „Felix Magath und sein Anliegen, anderen ein Rätsel zu sein“ (SZ) – Ailton, homo ludens und „einziges aktives Vereinsmaskottchen der Liga“ (SZ) verlässt heute Bremen
Heilige Einfalt
Jörg Hanau (FR 15.5.) kritisiert Franz Beckenbauer für seinen Umgang mit Ottmar Hitzfeld: „Mit den Bayern ist’s wie mit den drei Affen: Der eine sagt nichts, der andere sieht nichts, und der dritte, Beckenbauer, will einfach nicht hören. Klar, der Präses redet ja viel lieber. Meist zwar nur Stuss, aber der wird zitiert. Auch hier. Denn ein Franz Beckenbauer darf alles. Auch uneheliche Kinder zeugen und die Ehefrau verlassen. Während Beirats-Kollege und Jung-Talker Boris Becker für seine Stippvisite in der Besenkammer öffentlich büßte, kamen Beckenbauer die guten Freunde von Bild zu Hilfe. Nach zwei Tagen war Ruhe. Schließlich steht Beckenbauer auf der „Pay roll“ des Springer-Verlags. Beckenbauers Worte besitzen für gewöhnlich die Halbwertszeit einer Seifenblase. Na und? Was trivial klingt, wird zur heiligen Einfalt, sobald er es ausspricht. Nach dem Gewinn der Champions League vor drei Jahren saß Hitzfeld für Beckenbauer noch zur Rechten Gottes. „Einen Rentenvertrag“ würde er Hitzfeld antragen, befand der Vielredner, und dass die Räte gut daran täten, den Mann nicht mehr ziehen zu lassen. Aber was interessiert Beckenbauer sein Geschwätz von gestern. Drei Jahre später ist die Blüte, deren Zeugen sich in der Vitrine an der Säbener Straße stapeln, den Wechseljahren gewichen, und Beckenbauer würde den Meistertrainer lieber heute als morgen vom Hof jagen. Etwas Gutes hat der kaiserliche Vorstoß: Jetzt weiß ein jeder, woran er ist. Vorbei endlich das Herumgeeiere der Herren Rummenigge und Hoeneß, die Hitzfeld stündlich einen Gentleman hießen, während sie ihn doch wie einen Tanzbären am Nasenring führten.“
Mobbing
Michael Horeni (FAZ 15.5.) fügt hinzu: “Das Münchner Gerede klingt schon ein wenig so, wie wir das auch von der Kandidatensuche für das höchste Amt im Staate kennen. Da behaupteten die Parteien auch immer, das Ansehen des Amtes dürfe nicht beschädigt werden – und taktierten und fintierten dennoch ohne jede Rücksicht. Im Fall Hitzfeld hat sich Franz Beckenbauer nun unmittelbar vor dem bayrisch-schwäbischen Mannschafts- und Trainerduell den letzten Meinungsbeitrag gestattet. Ganz nach dem üblichen Muster, jedoch in verschärfter Mobbing-Manier. (…) Die Entscheidung über das höchste Traineramt im deutschen Vereinsfußball kündigte der Fußball-Kaiser innerhalb der nächsten beiden Wochen an. Daß sie womöglich schon zugunsten von Felix Magath gefallen ist, würde nach der monatelangen Münchner Zermürbungstaktik niemanden mehr überraschen. Sicher indes ist schon jetzt, daß in der bayrischen Trainerfrage zumindest die Stilfrage eindeutig entschieden ist. Schade nur, daß der loyale Hitzfeld vor ein paar Wochen versäumte, in eigener Sache ein paar passende Worte an die Bayern zu richten. Etwa so: „Sucht euch ruhig einen neuen Trainer – vielleicht habt ihr mit ihm die gleichen Erfolge wie mit mir, viel Glück.““
Die Rolle des Guten im bayerisch-schwäbischen Schurkenstück
„Der Bayern-Trainer hat einen würdigen Abschied verdient, aber die Münchner Mächtigen machen es unmöglich“, kommentiert Elisabeth Schlammerl (FAZ 15.5.): „Es gehört entweder eine große Willensstärke oder ein wenig Masochismus dazu, derart ruhig, ja stoisch seine Demontage zu ertragen, wie Ottmar Hitzfeld dies tut. Der Trainer des FC Bayern München ist leidensfähig, das hat er schon öfters bewiesen in seiner Karriere, aber besonders in den vergangenen Wochen und Monaten. „Ich habe mir angewöhnt, keine Gefühle zu zeigen“, hatte er einmal gesagt, und genau das hilft ihm vielleicht jetzt, die Rolle des Guten zu spielen im bayerisch-schwäbischen Schurkenstück des deutschen Rekordmeisters, das derzeit parallel auf der Münchner und auf der Stuttgarter Fußballbühne aufgeführt wird. (…) Hitzfeld ließ sich in den vergangenen Monaten zu keiner Aussage hinreißen, die Aufschluß hätte geben können, wie er tatsächlich über das Verhalten seiner Chefs denkt. Zumindest nicht offiziell. Er hat den Bayern-Oberen vorgemacht, wie man in Krisenzeiten am besten in der Öffentlichkeit miteinander umgeht. „So einen souveränen und vor allem professionellen Trainer“, sagt ein Mitarbeiter der Bayern-Geschäftsstelle, „wird es so schnell nicht mehr geben bei uns.“ Hitzfeld hat das Feuer in den vergangenen sechs Jahren nicht gescheut, sich stets gestellt, wenn die Lage prekär gewesen ist. Und oft genug war er der einzige, der das tat. Deshalb ist es ihm auch nicht zu verdenken, daß er jetzt einmal keine Lust dazu hatte. Am vergangenen Montag, nach der Niederlage gegen Werder Bremen, sagte er einen Auftritt im Fernsehstudio ab – er hielt es da wie Karl-Heinz Rummenigge. Hitzfeld hätte einen schöneren Abschied verdient beim FC Bayern München, als er ihn nun bekommen wird.“
Unabhängig und frei in seinen Entscheidungen
Josef Kelnberger (SZ 15.5.) notiert den Wortnebel Felix Magaths: „Die nun seit Wochen andauernden Diskussionen um die Zukunft Magaths empfindet man in Stuttgart als sehr vertraut. Man führte sie vor einem Jahr schon einmal, damals lag ihm ein Angebot von Schalke 04 vor. Am Donnerstag bei seiner Pressekonferenz zum Duell gegen die Bayern machte er gar nicht erst den Versuch, nur Fragen nach dem Spiel zu beantworten. Er holte aus zu einem Monolog, der klang, als würde er Bilanz ziehen über seine Amtszeit in Stuttgart, die am 24. Februar 2001 begann, als würde er sein Vermächtnis formulieren. In Wahrheit war es nur ein Beharren darauf, wie unabhängig und frei er sich in seinen Entscheidungen fühlt. Magath ließ kaum etwas aus, während er unablässig seinen Teebeutel im heißen Wasser badete. In der ersten Saison den Abstieg „um Schamhaaresbreite“ vermieden, in der zweiten Platz acht, 2003 Rang zwei. Diese Saison: die Sympathiewelle für den VfB in der Champions League. Kicker-Leser, die Hildebrand besser als Kahn finden. Hildebrand, Hinkel, Lahm, Kuranyi im Nationalteam. Szabics ungarischer Fußballer des Jahres, Hleb weißrussischer Fußballer des Jahres. Uefa-Cup-Platz gesichert, Platz zwei noch möglich, Zuschauerschnitt um 10 000 gesteigert. „Diese Mannschaft hat den VfB in einer Weise vertreten, wie es das lange nicht mehr gab. Die Zukunft des Vereins ist rosig.“ Also kann er guten Gewissens nach München aufbrechen?, fragte jemand. Entschuldigung, wenn er diesen Eindruck erweckt habe, antwortete Magath. „Ich wollte nur, dass das nicht in Vergessenheit gerät.“ Weiter ging die Fragestunde in dem ironischen Ton. Bedächtig Teebeutel badend und Teebeutel über dem Löffel auswringend, zwischendurch am Tee nippend, vermied er wortreich jede Festlegung über seine Zukunft. Sagen Sie doch: Ich erfülle meinen Vertrag bis 2005! Magath: „Ich erfülle meinen Vertrag.“ Punkt. Man wird für Pressekonferenzen mit einem Bayern-Trainer Felix Magath sehr viel Wasser und viel Pfefferminztee brauchen, aber auch eine Menge Spaß haben an seiner Ironie, seinem Sarkasmus. Ob das allerdings die richtige Art und Weise war, mit einer Situation wie dieser umzugehen? (…) Felix Magath auf dem Trainingsplatz, das ist eine imposante Erscheinung. Zwanzig Minuten nach Trainingsbeginn kommt er erst, beobachtet seine Spieler zunächst einmal ungerührt, neben ihm die Cotrainer Balakov und Eichkorn, die scheinbar nur da sind, den Chef zu flankieren. Falls er die Herausforderung in München annimmt, wird man den kleinen Feldherrn noch sehr viel genauer unter die Lupe nehmen. Man wird versuchen, diesen so umgänglichen und doch misstrauischen Menschen zu verstehen. Die Sprache wird auf seine vaterlose Kindheit kommen, auf sein Vorbild Ernst Happel, mit dem zusammen er 1983 beim Hamburger SV den Europacup der Landesmeister gewann. Die Turbulenzen zum Ende seiner Amtszeiten in Hamburg, Nürnberg, Bremen und Frankfurt werden noch einmal untersucht werden, und die Attribute, die ihm damals seine Spieler anhefteten: Saddam, Quälix, letzter Diktator Europas. Dass er die Fähigkeit besitzt, Ottmar Hitzfeld zu beerben, bezweifelt nach seinen Stuttgarter Jahren kaum mehr jemand.“
Genau, Herr Magath
Peter Heß (FAZ 15.5.) ergänzt: “Magath hat beschlossen, der surrealen Situation mit der Art Humor zu begegnen, den Harald Schmidt in seiner Late Night Show pflegte. Und wie der Entertainer seinen Freund und Mitarbeiter Manuel Andrack als Stichwortgeber, Blitzableiter, Sündenbock oder Abnicker benutzte, so instrumentalisiert der Fußballtrainer seinen Pressesprecher Oliver Schraft: „Herr Schraft, ich glaube, Sie täuschen sich.“ Magath widerspricht der Vermutung seines Partners, die versammelte Journaille sei an sportlichen Nachrichten interessiert. Und natürlich will keiner wissen, ob der angeschlagene Mittelfeldspieler Soldo doch noch rechtzeitig fit wird; oder ob der gelbgesperrte Tiffert bei den Amateuren aushilft. Alle wollen nur eine Antwort auf die Frage hören: Wechselt Magath zu den Bayern, und wann wird er es tun? Diese Frage wabert seit einem knappen halben Jahr durch die Fußball-Republik (…) Magath begegnet dem Dilemma mit Ironie und Sarkasmus. „Damit wir gegen die Bayern besser spielen als gegen den HSV, gehen wir ins Trainingslager. Nicht wahr, Herr Schraft.“ – „Genau, Herr Magath.“ – „Wir gehen ins Hotel, damit wir zwei Tage gut essen und trinken und genügend Kraftreserven haben gegen die Bayern.“ – „Absolut, Herr Magath.“ Der Ton bleibt lässig, die Aussagekraft der Antworten gering, als das eigentliche Thema auf den Tisch kommt. Nach seiner Zukunft befragt, setzt Magath die Journalisten auf Diät. „Ich sage seit September, daß es keinen Grund für mich gibt, den Verein zu wechseln. Seitdem hat sich nichts geändert.“ Und: „Ich habe die Diskussion nicht begonnen, ich könnte gut ohne sie leben.“ Oder: „Mich interessiert es nicht, ob mein Vorstand mit anderen Trainern zu Mittag oder zu Abend ißt oder Golf spielt.“ Schließlich: „Ich kann Hitzfelds Situation bei den Bayern nicht beurteilen, und es ist mir auch egal.“ Immer wieder kommen Nachfragen. Ein Trainer wie Otto Rehhagel würde das Spielchen gar nicht mitmachen. Magath scheint am Katz-und-Maus-Sujet fast Gefallen zu finden. Einerseits gibt er sich verwundert über die Diskussionen, andererseits beendet er sie nicht. Er könnte beispielsweise sagen: „Die Machtposition, die ich mir in Stuttgart aufgebaut habe (er ist auch Teammanager), ist einmalig, die Mannschaft hat auf Jahre Perspektive, und wenn die Bayern auf Knieen angekrochen kämen, ich würde nicht zu ihnen wechseln.“ Magath sagt’s nicht. „Warum sollte ich? Ich lasse mich nicht zwingen, etwas klarzustellen.“ Erst wenn wie im Vorjahr fälschlicherweise behauptet würde, er hätte schon einen Vertrag bei einem anderen Klub unterschrieben, würde er das richtigstellen. Schachspieler Magath verschanzt sich hinter seiner dichten Deckung, weil jeder Zug seine Position verschlechterte. Jede Aussage zugunsten der Bayern würde die Stuttgarter verprellen, jeder Spruch gegen die Münchner seinen potentiellen neuen Arbeitgeber kompromittieren.“
Kein Detail aus der Requisite des Weserstadions blieb von ihm ungeküsst
Nicht nur Ralf Wiegand (SZ 15.5.) wird Ailton, homo ludens, vermissen: “Das Herz wird es den Fans von Werder Bremen am Samstag zerreißen, trotz Meisterschaft und Traumfußball ihrer Mannschaft, und kein noch so hoher Sieg gegen Bayer 04 Leverkusen wird den Schmerz lindern können. Zum letzten Mal werden sie IHM zujubeln, dem wohl einzigen Brasilianer von der Statur eines Schneemanns; dieser Körper ist ein Unikat in der Szene stromlinienförmiger 08/15-Hochleistungskörper, und der Kopf darauf Quell der lustigsten Fußballer-Interviews der jüngsten Bundesligageschichte. Der letzte Teil einer Serie, die Bild ihm zu Ehren abdruckt, trägt den verheißungsvollen Titel: „Wehe, jemand sagt, ich bin dick.“ Die Rede ist von Ailton, 30, der schon vor seinem Umzug von Bremen nach Gelsenkirchen eine Legende an der Weser ist. Kein anderer aus dem Team des neuen Deutschen Meisters verkörpert die Spielfreude dieser Mannschaft perfekter als jener Mann, den der Fußballgott an einem seiner besseren Tage aus einer Hand voll Kugeln zusammengebaut und auf die Erde geschickt hat, um den Menschen Spaß zu bereiten und seiner Mannschaft bisher 27 Tore in dieser Saison. Nichts weniger ist dem Brasilianer gelungen, als in den knapp sechs Jahren seines Schaffens das Wesen der Bremer zu verändern. Herrschte früher im Weserstadion oft eine Stimmung wie im Theater bei der siebten Aufführung aus dem Abonnement-Programm, so ist heute südamerikanische Lebensfreude die Grundlage jedes Torjubels in der Ostkurve. Den Fangesang zu „Aaaaailton“-Toren gibt es als CD zu kaufen, und der Stürmer ist wohl der einzige Profi, der sich traut, auch mitten im Spiel mal zu den Fans zu winken, wenn ihm danach ist. Kein Detail aus der Requisite des Weserstadions blieb nach den über 100 Toren für Werder von ihm ungeküsst.“
Interaktives Theater
SZ-Interview mit Andreas Windhuis, Darsteller im Schalke-Musical
SZ: Die Vorstellungen bis zum 10. Juli sind jedenfalls weitgehend ausverkauft. Was spielt sich da ab?
AW: Es hat was von interaktivem Theater. Das habe ich noch nie erlebt, die Leute singen zwischendurch Schalke-Lieder, bringen Fahnen mit, tragen Trikots und Schals. Zum Schluss wird, wie im Stadion, La Ola gemacht, wir rufen „Schalke“ und der Saal brüllt zurück: „04″, bis der Dirigent uns stoppt. Dann rufen wir: „Danke“ – und das Publikum „Bitte“. Da entsteht richtig Gänsehaut.
SZ: Stadionriten im Musiktheater.
AW: Was die Inszenierung und das Team ja Gott sei Dank nie versucht haben. Stadionatmosphäre wird nur durch zwei Einspielungen von Radioreportagen mit Manni Breuckmann auf die Bühne gebracht, das eigentliche Spiel findet nur durch Erzählen statt, wie in der griechischen Tragödie.
SZ: Ist es also ein Kulturereignis oder ein fußballreligiöses Hochamt?
AW: Es ist sicher zuerst eine Kulturveranstaltung, mit tollen Sängern und Tänzern und einer tollen Choreographie. Aber wenn ich mich vor der Aufführung draußen umsehe, wer da so ins Theater geht – ich glaube, da sind viele dabei, die das sonst nicht tun würden. Künstlerisch geht das Stück vielleicht nicht in die Geschichte ein, aber es ist was Besonderes, weil die Schalker so verrückt sind.
Freitag, 14. Mai 2004
Ballschrank
Vermischtes
schlechter Stil in München und Stuttgart (FTD) – Nach- und Vorfreude in Bremen – wer wird Reiner Calmunds Nachfolger in Leverkusen? (SZ) – wer wird die WM 2010 veranstalten dürfen? Südafrika, Marokko oder Ägypten? – „Heynckes hat mich benutzt oder benutzen wollen“ (Maurizio Gaudino in SpOn) – Fans im Internet (FR) u.v.m.
Offenbar kommt da zusammen, was zusammen gehört
Tim Bartz (FTD 14.5.) nervt die Art der Trainer-Diskussion: „Fast also ist die Luft raus aus dieser Saison, sowohl oben als auch in der Abstiegsregion – wäre da nicht Karl-Heinz Rummenigge. Der Bayern-Chef will unbedingt und unverhohlen Trainer Ottmar Hitzfeld loswerden. Dabei versucht das einst schüchterne Rotbäckchen eiskalt zu wirken, wie die Macher aus der richtigen Wirtschaft eben. Dass er sich dabei ein Image irgendwo zwischen Donald Rumsfeld und Rolf E. Breuer aneignet, scheint Teil seines gewieften Plans zu sein, ohne Herzschmerz den nach Udo Lattek erfolgreichsten Bayern-Trainer zu entsorgen. Mit Felix Magath, seinem Wunschtrainer und Coach des morgigen Gegners Stuttgart, hätte Rummenigge einen kongenialen Partner gefunden. Schließlich hatte der just gemosert, er könne seinem aktuellen Verein – der dem bis dato bemerkenswert erfolglosen Übungsleiter überhaupt erst die letzte Chance als Trainer einräumte – nicht mehr vertrauen, weshalb ihm eine Trennung nicht schwer fallen würde. Wie sympathisch. Offenbar kommt da zusammen, was zusammen gehört.“
Ralf Wiegand (SZ 14.5.) schildert Bremer Vorfreude: „Der Ansturm von Schaulustigen beim Trainingsbetrieb hat die Verantwortlichen von Werder Bremen überrascht: Mit so wenig Kiebitzen hatten sie nicht gerechnet. Noch am Wochenende hätte sich niemand gewundert, wenn die Weser aus ihrem Bett gesprungen und in den sanften Bögen des Werder-W mitten durch die Fußgängerzone geflossen wäre, wobei grün-orange-geschuppte Fische im Chor eines dieser Bayern-Häme-Lieder gesungen hätten, wie sie dieser Tage die Charts in der Hansestadt anführen. Aber nichts von alledem mehr zwei Tage später. Werder hatte eigens einen Sicherheitsservice für die Trainingseinheiten der momentan beliebtesten Fußball-Mannschaft im Lande eingestellt – aber es kamen nur rund 200 Leute zum Übungsplatz am Weserstadion. Es mag die Ruhe vor dem Sturm sein, die dem vom Feiern der vierten Deutschen Meisterschaft matten Verein einen kurzen Moment des Innehaltens gewährt. Sportdirektor Klaus Allofs nutzt ihn, um darüber zu sinnieren, wie der Werder-Wahnsinn um sich greift. „Extrem“ sei das alles gewesen, findet Allofs, und dass man aufpassen müsse, dass die Relationen nicht verloren gehen. Schon jetzt, sagt der Chef-Einkäufer nur halb im Spaß, hätte sich die Verhandlungsposition des Klubs „klar verschlechtert“, weil all die Spekulanten im Transfergeschäft die grundsoliden Hanseaten nun auf der Seite derer wähnen, bei denen mehr zu holen ist als derzeit in der Branche üblich. „In einer Zeitung stand, wir hätten jetzt Geld im Überfluss, das macht es nicht einfacher“, klagt Allofs. (…) Dabei präsentieren die Bremer nach Miroslav Klose, dem Brasilianer Nery und Abwehrspieler Frank Fahrenhorst ihren bislang spektakulärsten Transfer – ausgerechnet vom FC Bayern: Die Spider Murphy Gang, die in der Vergangenheit gerne zu Veranstaltungen des Rekordmeisters aufspielte, kommt als Kapelle zur Werder-Party. In München und Umgebung dürfte die selbsterklärte „bayerische Bänd“ künftig mindestens als subversiv gelten, wenn nicht gar ob des Landesverrats ins Blickfeld des örtlichen Verfassungsschutzes geraten.“
Die Welt des Fußballmanagements mit ihren schnellen Wechseln verlangt anderes Vorgehen als die der Düngemittel oder Spezialanstriche
Wird Ilja Kaenzig Bayer Leverkusen verlassen? Christoph Biermann (SZ 14.5.) spekuliert: „Der erst 30 Jahre alte Manager war eigentlich dafür vorgesehen, 2006 die Nachfolge von Calmund als Geschäftsführer der Bayer Leverkusen Fußball GmbH anzutreten. Wiederholt hat Calmund den Schweizer als „absoluten Topmann“ gelobt, und es waren nicht nur Lippenbekenntnisse. In dem Maße, wie sich der mächtige Mann bei Bayer aus der Öffentlichkeit zurückzog, wurde Kaenzig präsenter. Dennoch scheint er vor dem Abschied zu stehen. „Es sieht gut aus, dass es klappt“, hat Martin Kind, Präsident von Hannover 96, dieser Tage gesagt. Dort nämlich soll Kaenzig die Nachfolge des Spaniers Ricardo Moar antreten, mit dessen Arbeit schon lange niemand mehr zufrieden ist. Entschieden ist der Fall jedoch scheinbar noch nicht, oder sie wissen es in Leverkusen nur nicht. Sonst jedenfalls würde Calmund kaum von einem „absoluten K.o.-Schlag“ sprechen, sollte Kaenzig gehen. Es wäre eine Niederlage, die unterschiedliche Facetten hat. Mit Kaenzig würde er seinen zweiten Ziehsohn verlieren, denn bereits Andreas Rettig, heute Manager des 1. FC Köln, sollte als Nachfolger aufgebaut werden und verließ Bayer 1999 zum SC Freiburg. Nun könnte der Eindruck entstehen, dass Calmund am Sessel klebt und seine Rücktrittsüberlegungen nicht ernst zu nehmen sind. (…) Kaenzig wurde von allen Seiten bestätigt, dass er 2006 Geschäftsführer werden soll, nur ist es im Bayer-Konzern generell nicht üblich, Mitarbeitern die Zukunft mit langem Vorlauf vertraglich zu garantieren. Selbst Führungskräften werden Spitzenpositionen nicht zwei Jahre vorher zugesagt. Das soll nach den Wünschen der Bayer AG auch im Fußballunternehmen nicht anders sein. Letztlich prallen also zwei Kulturen aufeinander. Kaenzigs Drängen scheint in diesem Zusammenhang verständlich: Die Welt des Fußballmanagements mit ihren schnellen Wechseln verlangt anderes Vorgehen als die der Düngemittel oder Spezialanstriche.“
WM 2010 – Wer wird sie veranstalten dürfen? Der Tagesspiegel (14.5.) hat sich in Südafrika umgeschaut: „In den Städten hängen sie überall, die Plakate. Das Motiv sieht so aus: Zwischen einem Mann und einer Frau liegt ein Fußball; er trennt die beiden. Daneben steht: „Love to be there 2010.“ Südafrika wäre gerne dabei, wenn die WM 2010 ausgetragen wird, am liebsten als Austragungsland – und doch bedeuten die Worte mehr: Die Plakate sind Teil einer neuen Anti-Aids-Kampagne. „Love to be there 2010“, das heißt auch: Wer das Spektakel miterleben will, sollte beim Sex vorsichtig sein. Mehr als fünf Millionen Südafrikaner sind HIV-infiziert. Für Südafrika geht es nicht nur darum, eine Fußball-WM ausrichten zu wollen. Es geht auch um den Kampf gegen Aids. Den Kampf gegen die Armut. Und das Entrinnen aus der Lethargie. Die WM 2010 am Kap wäre der Cup der guten Hoffnung.“
[if: „Der Cup der guten Hoffnung“! Oh, Mann! Jede Wette – der kicker wird es zitieren.]
Sven Gartung (FAZ 14.5.) auch: „Auf der politischen Ebene spielt Nelson Mandela, die Ikone der Anti-Apartheid-Bewegung, eine wichtige Rolle. Seit Jahren läßt sich „Madiba“, wie die Südafrikaner ihren ersten demokratisch gewählten Präsidenten liebevoll nennen, für mitunter fragwürdige PR-Aktionen einspannen. So ließ sich der 82 Jahre alte frühere Staatschef sogar wieder in jene Zelle auf Robben Island sperren, in der er 18 Jahre lang gefangengehalten wurde, und begrüßte die peinlich berührte FIFA-Delegation. Die starke Verquickung von Sport, Wirtschaft und Politik in Südafrika bekam FIFA-Präsident Blatter, ein erklärter Freund des Landes, kürzlich zu spüren. Bei der Vereidigung des wiedergewählten Präsidenten Thabo Mbeki wurde der Schweizer wie ein Staatsgast hofiert. Ihm wurde zugesagt, daß die Regierung, falls Südafrika den WM-Zuschlag bekomme, 830 Millionen US-Dollar für die Verbesserung der Infrastruktur bereitstellen will. Daß das Land am Kap Massenveranstaltungen wie eine Fußball-WM zu organisieren weiß, hat nicht nur die Ausrichtung des Rugby World Cups 1995 gezeigt. 1996 war Südafrika Gastgeber des Afrika-Cups im Fußball und im vergangenen Jahr des Cricket World Cups. Die meisten Sportstätten sind in Betrieb und wären mit überschaubarem finanziellen Aufwand zu renovieren. Das Land ist sportbegeistert.“
Martin Hägele (SZ 14.5.) ergänzt: „Wenn objektive Korrespondenten aus Johannesburg und Kapstadt dieser Tage die Kandidatur Südafrikas für die WM 2010 beschreiben, kommen sie zu einheitlichen Schlüssen. Große Begeisterung herrscht für dieses Projekt, obwohl Fußball nur im schwarzen Teil der Bevölkerung (immerhin 85 Prozent) die Sportart Nummer eins ist. Kein Zweifel daran, dass das Land am Kap in der Lage wäre, das Ereignis durchzuführen. Ob es dies darf, entscheidet der Weltverband Fifa am Samstag gegen zwölf Uhr in Zürich. Das Turnier, so viel steht fest, findet in Afrika statt, Gegenkandidaten sind Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, doch Südafrika gilt seit der Niederlage gegen Deutschland bei der Vergabe der WM 2006 als Favorit. Erster Herausforderer ist Marokko. Südafrika hat bei elf internationalen Großanlässen das Organisieren geprobt, beim kontinentalen Fußball-Cup 1996 oder den Weltmeisterschaften im Rugby (1995) und im Cricket (2003). Diesen von der weißen Schicht bevorzugten Kolonialsportarten verdankt die Nation eine Reihe prächtiger Sportarenen, die nur modernisiert werden müssten. Für bauliche Nachbesserungen in allen elf WM-Städten kalkuliert der südafrikanische Fußballverband lediglich mit 405 Millionen Dollar. Zum Vergleich: das neue Stadion in München ist mit 285 Millionen Euro veranschlagt. Nie zuvor in der jüngeren Geschichte der WM wäre – hielte man die Summe ein – weniger in den Stadionbau investiert worden. Wichtiger aber als die Tatsache, dass bei der ersten WM auf Afrikas Boden sich ein ehrgeiziger Bewerber finanziell übernehmen könnte, erscheint der gesellschaftliche Aspekt. Das Selbstwertgefühl der jungen Demokratie würde durch einen Vertrauensbeweis aufgewertet, das ist ein Punkt, den auch der Bericht der Fifa-Inspektoren im ersten wertenden Satz herausstreicht: „Die Einheit unter den ethnischen Gruppen, die während Jahren sowohl sozial und kulturell als auch sportlich getrennt waren, würde durch eine WM wesentlich gestärkt.““
Bernd Steinle (FAZ 14.5.) hält Marokko für würdig: „Als sich Marokko zum ersten Mal um eine WM bewarb, scheiterte es um eine Stimme – an den Vereinigten Staaten. Chef der amerikanischen Bewerbung um die Endrunde 1994 war damals Alan Rothenberg. Nun, zwei weitere erfolglose marokkanische Bewerbungen später, zieht Rothenberg für den einstigen Konkurrenten aus, um die WM im vierten Anlauf endlich nach Marokko zu holen. Und diesmal, versichert der Präsident des Bewerbungsteams, Said Kettani, sind die Chancen so gut wie nie zuvor. Denn diesmal profitiert Marokko von dem ehrgeizigen Entwicklungsplan „Vision 2010″, mit dem König Mohammed VI. das Land konsequent modernisieren will: Wirtschaft, Infrastruktur, Gesundheitssektor, Erziehung. Das Ziel: zehn Millionen Touristen im Jahr 2010, mehr als doppelt so viele wie heute – mit WM oder ohne. Seit dem 16. Mai vergangenen Jahres aber, als bei einem Anschlag islamischer Extremisten in Casablanca mehr als vierzig Menschen starben, und nach den Attentaten in Madrid, in die ebenfalls marokkanische Täter verwickelt waren, ist das kühne Projekt des Königs ins Wanken geraten. Die Bedrohung durch den Terror hat den wichtigen Vorteil der besseren Sicherheitslage gegenüber dem schärfsten Konkurrenten Südafrika in Gefahr gebracht. Und sie hat die schönen Worte von der Tradition der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens am Schnittpunkt der Kulturen und Religionen überdeckt. (…) Marokko sieht sich seit langem als Pionier des afrikanischen Fußballs. Sie waren die ersten Afrikaner, die sich für eine WM-Endrunde qualifizierten (Mexiko 1970), die ersten, die in die zweite Runde einzogen (Mexiko 1986), die ersten, die sich um die Austragung einer WM bewarben (1994), und die ersten, die einen Schiedsrichter in einem Finale stellten (Said Belquola, Frankreich 1998). Deshalb wären sie die letzten, die sich vorstellen könnten, daß die erste WM in Afrika irgendwo anders als bei ihnen ausgetragen werden könnte.“
Die NZZ (14.5.) fügt hinzu: „Seit Mohammed VI. seinem Vater Hassan II. Ende der neunziger Jahre auf dem Königsthron gefolgt ist, sind Marokkos politische Strukturen im Wandel begriffen. Der traditionell feudalistische Regierungsstil ist mehr Demokratie gewichen. Das Land ist im Aufbruch und hat die „Vision 2010“ im Visier. Der rückläufige Tourismus soll bis zu diesem Zeitpunkt massiv angeschoben werden – mit der XIX. Fussball-WM als Vehikel und Höhepunkt.“
Roland Zorn (FAZ 14.5.) porträtiert Ägypten, den Außenseiter: „Der Mann, der in den Vereinten Nationen zu Hause war, hat sein ägyptisches Heimspiel „aus privaten Gründen“ verweigert. Boutros-Ghali, der frühere UN-Generalsekretär, wird an diesem Wochenende also nicht die Bewerberdelegation seines Landes beim Schaulaufen vor den prüfenden Blicken der Herren vom Exekutivkomitee der FIFA anführen. Ein politischer Rückschlag für das bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt, wenn am morgigen Samstag auf dem Zürcher Sonnenberg entschieden wird, wer die Ehre hat, 2010 die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden ausrichten zu dürfen. Macht nichts, sagen sie sich in Kairo, denn einerseits dürfte der Meinungsbildungsprozeß im Kreis der 24 Exekutivkomitee-Mitglieder so gut wie abgeschlossen sein, und andererseits kann Ägyptens Mannschaft im Wettstreit mit den Konkurrenten aus Südafrika, Marokko, Tunesien und Libyen immer noch auf einen veritablen Hollywood-Star setzen: Omar Sharif, einst als „Traumdoktor“ Schiwago der orientalische Märchenprinz für Millionen schmachtender Frauenherzen, reist mit in die Schweiz, um dort für sein Land zu punkten. Ob Ägypten schließlich das von den Fußball-Göttern auserwählte Land sein wird, daran zweifelt selbst so mancher Abgesandte aus dem siebzig Millionen Einwohner zählenden nordafrikanischen Land. Dabei haben sie dort, geht es um das weltwunderbare kulturelle Erbe, mehr als jeder schnöde Fußballrivale im Kampf um die Vergabe der WM 2010 zu bieten. Wer sonst aus dem Zirkel der fünf Anwärter steht schon mit Pyramiden auf der Sonnenseite der global gerühmten Sehenswürdigkeiten?“
Der Heynckes hat mich benutzt oder benutzen wollen
SpOn-Interview mit Maurizio Gaudino über seinen Rauswurf bei Eintracht Frankfurt
SpOn: Sie sind dann nach Frankfurt gegangen und wurden gleich Mitglied einer Mannschaft, die angeblich den „Fußball 2000″ spielte. Die beste Mannschaft in der Sie je dabei waren?
MG: Ja. Es war einfach ein schönes Gefühl, in diese Mannschaft integriert zu sein. Mit Bein, Yeboah und Okocha, der auch oft noch von der Bank kam. Wir haben einen schnellen, sauberen und technisch starken Ball gespielt, der fast direkt oder über zwei Kontakte nach vorne ging. Wir hatten einfach Spaß gehabt, den Ball so schnell in unseren Reihen zirkulieren zu lassen, dass der Gegner fast gar nicht an die Kugel kommt. Einfach traumhaft.
SpOn: Es schien eigentlich alles für eine ganz große Karriere gerichtet, da wurden Sie unter Jupp Heynckes plötzlich bei der Eintracht suspendiert. Die wahren Gründe für den Krach blieben lange im Dunkeln.
MG: Der Heynckes hat mich benutzt oder benutzen wollen. Warum weiß ich nicht, ich habe diesem Menschen nie etwas getan. Er hat stets behauptet, ich sei eine Stütze für die Mannschaft. Aber ich war immer nur eine Stütze für die Bank. Der letzte Krach fing am Freitag nach dem Abschlusstraining an. Das Training lief nicht so, wie Heynckes sich das vorgestellt hat. Wir haben fünf gegen zwei gespielt und Torsten Legat in einem Eck drei Beinschüsse gegeben. Das war natürlich spaßig. Den Trainer hat das sehr geärgert und er hat Yeboah, Okocha und mich zum Waldlauf verdonnert. Da haben wir dann richtig Tempo gemacht, wir wussten schließlich, worauf der Trainer hinaus will.
SpOn: Nach dem Waldlauf sollten Sie aber zum Kader stoßen?
MG: Ja, wir sollten ins Hotel fahren. Aber Yeboah hat sich geweigert und gesagt: „Trainer, du untergräbst meine Autorität als Spielführer.“ Okocha hat sich dann krankschreiben lassen und ich stand da: Was sollte ich jetzt machen? Ins Hotel fahren und meinen zwei Kollegen in den Rücken fallen, oder mit dem Trainer reden? Heynckes hat dann gemeint, ich solle zu Hause bleiben. Dort angekommen, fragte meine Frau, was denn los sei, unzählige Journalisten hätten angerufen und gemeint, ich würde die Arbeit verweigern. Das musste Heynckes gestreut haben.
SpOn: Ohnehin kam es für Sie arg. Sie wurden wegen angeblicher Autoschiebereien aus einer Fernsehsendung heraus verhaftet.
MG: Ein Witz, es bestand ja nie Fluchtgefahr. Meine Frau war hochschwanger und ich war bei Eintracht Frankfurt angestellt. Wohin sollte ich flüchten? Die holten mich mit acht Beamten aus der Late Night Show ab, in der ich noch mit Kati Witt auf Inlinern Tango getanzt habe. Die halbe Nacht haben sie mich dabehalten, weil ich keine Aussage gemacht hatte. Ich wusste ja überhaupt nicht, was los ist.
SpOn: Und dann?
Gaudino: Am nächsten Tag haben sie mich von München nach Mannheim kutschiert, um mich weich zu kochen. Im engen Audi 100 saß ich zwischen zwei Beamten, die versucht haben, auf psychologischen Beistand zu machen.
SpOn: Dann sind Sie für ein halbes Jahr zu Manchester City geflüchtet. Trotzdem eine wertvolle Erfahrung?
MG: Auf jeden Fall. Dort sind die Spieler viel lockerer als in Deutschland und trotzdem disziplinierter. Bei einem Trainingslager mitten in der Saison in Portugal gab es abends Ausgang. Ich kannte das nicht und war um Mitternacht im Bett. Die anderen kamen betrunken zwischen fünf und sechs Uhr morgens zurück ins Hotel, weckten mich aber, damit ich nicht zu spät zum Training komme. Und es setzt eine Standpauke, wenn man nach einem Foul zu theatralisch fällt. Das fand ich richtig stark.
Moritz Küpper (FR 14.5.) stellt fest, dass Fans das Internet nutzen, um ihre Deutungsmacht auszubauen: „“Es wird viel geflunkert. Nicht alles, was dort steht, ist wahr“, sagt Rolf Scholz, „aber gerade das macht solche Foren attraktiv.“ Der 44-Jährige arbeitet am Institut für Sportpublizistik an der Sporthochschule Köln und beschäftigt sich dort mit der Verbindung von Sport und neuen Medien. „Internet-Foren werden immer wichtiger.“ Das kann auch Jan Schneider nur bestätigen: „Wir haben über 20 000 registrierte User“, berichtet der 30-Jährige, der sich seit fünf Jahren um den Internetauftritt von Eintracht Frankfurt kümmert. „Der Hauptgedanke ist, ein Netzwerk unter den Fans zu schaffen“ erklärt er. Dort können sich die Anhänger über Auswärtsfahrten und andere Fan-Aktion informieren. Wie Eintracht Frankfurt haben auch die übrigen 17 Bundesligisten einen Internetauftritt mit Foren für ihre Fans. Diese müssen sich dort registrieren lassen und können dann ihre Kommentare abgeben – lesen kann man die Beiträge jedoch ohne Anmeldung. Hinzu kommen noch unzählige Fanseiten, auf denen sich die Anhänger ebenfalls in Foren austauschen können. „Wegen dieser Vielzahl sind Fanforen sehr schwer zu beurteilen“, sagt Scholz, „klare Untersuchungen gibt es nicht.“ Trotzdem hat er sich mit den Foren beschäftigt: „Neben dem Service-Charakter bieten die Foren auch den Vereinen die Möglichkeit, die Stimmung der Fans aufzunehmen und einzuarbeiten.“ Das erlebt Andreas Plaszyk, Fan-Betreuer bei Hertha BSC Berlin, fast täglich in der Praxis: „Für uns ist das Forum eine wichtige Informationsquelle.“ Doch der vielleicht wichtigste Effekt, den die Foren für die Anhänger haben, ist das Sprachrohr in der Öffentlichkeit: „Früher hatten die Fans nur am Samstagnachmittag im Stadion eine Stimme“, sagt Scholz, „jetzt haben sie eine Plattform, auf der sie die ganze Woche ohne Redaktionsschluss ihre Meinung wiedergeben können.“ Ein digitaler Stammtisch also. Der aber aus zwei Gründen reizvoller ist, als die Theke in der Stammkneipe: „Zum einen ist die Gruppe, mit der man diskutiert, größer“, beobachtet Scholz, „zum anderen gibt es eine gewisse Öffentlichkeit.“ Denn auch Journalisten beobachten die Neuigkeiten aus den Foren aufmerksam: „Die Medien zitieren recht häufig daraus, und die Fans wissen, dass man sie beobachtet“, erklärt Scholz, „das macht die Sache natürlich noch viel interessanter.“ Das können auch die Forenbetreuer aus Frankfurt und Berlin bestätigen: „Das Hertha-Forum wird viel von Berliner Medien genutzt“, berichtet Plaszyk, „die Journalisten holen sich dort viele Anregungen für ihre Arbeit.“ Auch in der Sportredaktion der Frankfurter Rundschau gehört ein Blick in das Eintracht-Forum längst zur Arbeitsroutine. Aber nicht nur die Medien interessieren sich für die Meinung der Fans, auch die Betroffenen selbst schauen häufiger vorbei: „Ich weiß, dass zum Beispiel unsere Spieler Andree Wiedener, Andreas Menger und Alexander Schur öfters mal in das Forum schauen“, berichtet Schneider. Allerdings schreiben die Spieler keine Kommentare – wie die meisten Teilnehmer. „Die meisten sind Passiv-Nutzer“, erklärt Scholz.“
Donnerstag, 13. Mai 2004
Ballschrank
Kim Il Assauer
Wer wird nächste Saison Bayern München trainieren, wer den VfB Stuttgart? eine FAZ-Analyse über Kommunikation und Strategie der beteiligten Akteure – dritter Geburtstag der DFL – Schalke-TV im Öffentlich-Rechtlichen, „gepriesen wird die Weisheit des großen Führers Kim Il Assauer“ (taz) – Oliver Kahn liest aus seinem Werk – Holland, deutscher EM-Gegner, „Rafael van der Vaart braucht nicht viele Ballkontakte, um Eindruck zu machen“ (Tsp) – wer darf die WM 2010 ausrichten? – vermutlicher Wettskandal in Italien (SZ) u.v.m. (mehr …)
Mittwoch, 12. Mai 2004
Ballschrank
Kein Meister des vorzeitigen Genießens
Friedhard Teuffel (FAZ 12.5.) erfreute sich am Spiel des Meisters. „Nach einer solchen Halbzeit hätte die Pause eigentlich nicht gereicht für Trainer Ottmar Hitzfeld, um seine Spieler zu loben, so furios war ihre Leistung. Sie wäre wohl nicht einmal ausreichend gewesen für eine angemessene Dankesrede, so vollendet war der Genuß, den seine Mannschaft ihm und dem Publikum bereitet hatte. Doch nicht einmal diese großartige erste Halbzeit im Berliner Olympiastadion konnte etwas ändern an Ottmar Hitzfelds Kabinenphilosophie. Nicht einmal fünf Tore, nicht einmal der imposante Gestus, mit dem seine Spieler die Partie beherrscht hatten. Hitzfeld wählte eine sachliche Analyse und bereitete die Mannschaft auf die bevorstehenden 45 Minuten vor: Ich habe ihr gesagt, daß sie auch in der zweiten Halbzeit nicht lockerlassen darf. Man muß versuchen, daß die Mannschaft nicht auseinanderfällt. Der FC Bayern München ist also kein Meister des vorzeitigen Genießens und Hitzfeld kein Meister der Vorfreude. Als Meister der Spielfreude ist der FC Bayern München beim Sieg gegen Hertha BSC Berlin aufgetreten, besonders in der ersten Halbzeit, und in der zweiten als Meister der Rücksicht. Rücksicht auf die Berliner Mannschaft, die offenbar nicht vollständig den Glauben an die eigenen Stärken verlieren sollte, weil ihr noch zwei wichtige Spiele bevorstehen. Und Rücksicht auf die 59.000 Zuschauer im ausverkauften Berliner Olympiastadion, damit sie aus dem Staunen zurück in den Fußballalltag finden und der einmaligen Leistung der Münchner gewahr werden konnten.“
Nervöses Ruckeln und Zuckeln an der feinen Ballonseide
Michael Jahn (BLZ 12.5.) sah einen wütenden Verlierer. „Am liebsten hätte sich Huub Stevens vor Wut seinen Trainingsanzug vom Leibe gerissen, aber er beließ es beim nervösen Ruckeln und Zuckeln an der feinen Ballonseide. Sein Ärger entlud sich nicht an seiner Dienstkleidung, sondern zuerst am prominenten Personal. Exakt 40 Minuten waren absolviert im ganz besonderen Endspiel (Stevens) zwischen Hertha BSC und dem bereits feststehenden Deutschen Meister Bayern München, als Berlins Trainer wütend eine Auswechslung signalisierte: Weltmeister Luizao musste runter. Nur eine Minute später traf es mit Marko Rehmer einen Weltmeisterschafts-Zweiten. Auch der Abwehrspieler musste nach desaströsem Auftritt unmittelbar vor der Pause einen Spießrutenlauf in Kauf nehmen – vorbei an den enttäuschten Fans. Das war nötig für die Mannschaft, begründete Stevens hinterher lapidar das ungewöhnliche Wechselspiel.“
So weit ist es nun schon gekommen
Andreas Burkert (SZ 12.5.) ist enttäuscht. “So weit ist es nun schon gekommen, wenige Minuten vor dem Ende einer Partie, für die sich das Hauptstadtpublikum fein gemacht hatte. Viele hatten sich vor dem Anpfiff ihre Hauptstadtgesichter freiwillig blau und weiß anmalen lassen, die apfersten Hertha-Gänger duellierten sich auf einer Bühne vor dem Südportal im Wurstwettessen. Der FC Bayern München ist angereist, Festtagsstimmung in der großen Kapitale mit den großen Erwartungen, und nun das: Michael Ballack, FC Bayern, nimmt ein weites Zuspiel auf, besser: er streichelt den Ball zu Boden, legt ihn vor und vorbei an Keeper Gabor Kiraly; ein kurzer Blick noch und zwei, drei flinke Schritte, ein Flachschuss mit links. Ein schöner Treffer, dieses 6:2, wie auch der letzte des Tages von Marcelinho, Hertha BSC. Macht zusammen 3:6. Dreizusechs. Das Hauptstadtpublikum? Klatscht, applaudiert den Münchner Meisterspielern. So weit ist es nun schon gekommen. 3:6 gegen den hier besonders unbeliebten FC Bayern (…) Kiraly lud später die Schuld auf sich. Er sagte: „Ich hätte alle sechs Tore halten können. Jeder, der das sieht, fragt sich: Was ist mit diesem Torwart? Ich habe das Gefühl, dass ich heute alle Leute verarscht habe.“ Das wäre zu einfach, wenn nur der ungarische Keeper mit der Berliner Schnauze schuld gewesen wäre am seltsamen Durcheinander.“
Friedhard Teuffel (FAZ 12.5.) über den Mann des Tages. „Lange sah es in dieser Saison so aus, als könne Giovane Elber in fremden Stadien keine Tore schießen. Wie ein Kabarettist erschien er, der sein Programm nur vor dem eigenen Spiegel beherrscht, auf seiner Tournee aber plötzlich den Text vergißt. Das war merkwürdig, denn Elber tritt schließlich schon neun Jahre in Folge in der Bundesliga auf, und wenn der Brasilianer auch kein leibliches Kind der Bundesliga ist, dann doch immerhin ein adoptierter Sohn (…) Und wenn ihm die Torjägerkanone noch jemand wegschnappt – das wäre kein Problem für mich. Aber ein wenig ungerecht wäre es schon, weil er so sehr zur Bundesliga gehört und inzwischen 130 Tore geschossen hat, macht im Durchschnitt vierzehn pro Saison. Einen letzten Versuch könnte er noch im nächsten Jahr unternehmen, denn nach vielen Überlegungen und auch einem zwischenzeitlichen Gefühl der Unzufriedenheit hat sich Elber entschieden, seinem Vertrag entsprechend bis 2004 für den FC Bayern zu spielen. Eine Runde, eine letzte, möchte Elber noch durch die Bundesliga drehen. Und wenn es in dieser Saison nicht klappen sollte mit dem Einzeltitel und auch in der nächsten Saison nicht, wird sich die Ligaleitung sicher noch etwas für den Brasilianer einfallen lassen. Eine Prämie für zehnjährige Betriebszugehörigkeit und eine Urkunde für treue Verdienste sowieso, aber vielleicht wird sie ihn auch noch zum Ehren-Torjäger ernennen. Als ungekrönter Torschützenkönig darf Elber die Bundesliga auf keinen Fall verlassen.“
Gebiet des Ehemaligenhassens
Christof Kneer (BLZ 12.5.) schreibt über die Reaktionen der Berliner Fans auf die Rückkehr Deislers. “Das Spiel zwischen Hertha und dem FC Bayern war ein Spiel mit einer klar vorgegebenen Logik. Alles, was Sebastian Deisler weh tut, tut Berlin gut, so hieß die Botschaft, die von den Rängen herunterhallte. Vor dem Spiel hatte die Hertha noch nicht so recht gewusst, ob sie das überhaupt kann: ehemalige Spieler hassen. In Berlin haben sie noch nicht so viel Erfahrung damit, sie haben das noch nie richtig geübt. Seit sie wieder in der ersten Liga spielen, haben sie erst eine überragende Begabung gehabt, die ihnen vom Feind abgeworben wurde, Deisler eben. Immerhin erwies sich Herthas Anhang schon als recht textsicher; er brachte all die einschlägigen, geschmacklosen Gesänge zu Gehör, die das Bundesliga-Vokabular für solche Fälle bereitstellt. Es ist schon traurig, dass Leute so die Augen zumachen, sagte Deisler. Er meinte wohl: Dass sie seine früheren Verdienste so schnöde ignorieren konnten. Man kann also bilanzierend sagen, dass es die Hertha auf dem Gebiet des Ehemaligenhassens schon relativ weit gebracht hat. Man kann aber auch sagen, dass wirkliche Experten nicht sonderlich beeindruckt waren. Ich hab gar nichts gehört, spöttelte Oliver Kahn später, das waren doch keine Pfiffe, das war doch lächerlich. Er hat natürlich gut reden, der Kahn, der alte Pfifferoutinier. Der weiß sogar, wie sich Bananen anfühlen und Golfbälle, weshalb ihm die Leiden des jungen Deisler vorgekommen sein mögen wie ein ganz entspannter Wochenend-Spaziergang.“
Das Spiel aus Deislers Sicht FR
Gewinnspiel für Experten
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