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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

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Berliner Saisonabschluss

Christof Kneer (BLZ 26.5.) berichtet einen harmonischen Berliner Saisonabschluss. “Es war ein Tag, den Manager Dieter Hoeneß beim Schicksal vermutlich all inclusive gebucht hatte. Alles war dabei: Sonne, Herzschmerz, die entgegenkommenden Sommerfrischler vom FCK und ein Spiel, das ein Tor zum günstigsten Zeitpunkt (Nando, 45.) ebenso parat hatte wie einen hübschen Drei-Generationen-Treffer, den Beinlich (alt) und Marcelinho (mittelalt) für Nando (jung) anbahnten. Praktischerweise kamen die Anhänger erst gar nicht dazu, die letzten Darbietungen übel zu nehmen. In anschwellender Dramatik, quasi nach Wichtigkeit geordnet, bekamen alle Abgänger (Nene, Maas, Tretschok, Beinlich, Sverrisson, Preetz) ein Bündel Blumen aufgedrängt, während das Volk weiße und blaue Luftballons auf den Rasen regnen ließ. Alex Alves? Ist auch ein Abgänger, blieb aber wegen akuten Pfeifkonzertverdachts unerwähnt. Aber am Ende war der Tag doch ein bisschen zu perfekt, als dass man ihn glauben mochte. Die eine Wahrheit war, dass die Hertha Respekt verdiente, weil sie das Saisonziel erreicht hatte. Die andere Wahrheit lautete, dass es insgesamt eine knirschende, ächzende Saison war, in der jeder frisch erwachte, spielerisch schöne Trend umgehend vom unschönen Gegentrend gekontert wurde. Noch immer ist diese Hertha ein zutiefst störanfälliges Gebilde. Selbst den eigenen Vorgesetzten gilt die Elf als so labil, dass man sie sicherheitshalber überlistet. Es sagt viel über diese Mannschaft, dass auf höchster Ebene ein exaktes Anzeigentafel-Szenario entworfen wurde, wie Geschäftsstellen-Leiter Mattias Huber sagt. Nur freudige Botschaften ab einer gewissen Höhe sollten den sensiblen Sportlern übermittelt werden; so wurde Gladbachs Führung von der Tafel noch bestreikt, erst vom 2:0 wurde das Stadion offiziell in Kenntnis gesetzt. Es taugt als erste Lehre aus dieser Saison, dass sich Hertha noch nicht selbst helfen kann. Sie braucht noch Unterstützung, von Gladbach, Lautern oder der Anzeigentafel.“

Friedhard Teuffel (FAZ 26.5.) schreibt zum selben Thema. „Ein letzter großer Auftritt des älteren Stürmers und ein erster großer des jungen, diese beiden Wege haben sich am Samstag im Berliner Olympiastadion gekreuzt. Michael Preetz, 35 Jahre alt und 84maliger Torschütze für Hertha BSC Berlin, nahm Abschied, um in Zukunft von der Tribüne aus Spieler für den Verein zu beobachten. Nando Rafael, 19 Jahre alt, nahm am letzten Spieltag der Fußball-Bundesliga schon mal den Platz des scheidenden Kapitäns und erfolgreichsten Hertha-Torschützen ein und erzielte zwei Treffer (…) Es ist also doch noch ein glückliches Ende geworden für Hertha mit einer reibungslosen Stabübergabe von einem Stürmer zum anderen. Die Begegnung der beiden war aber vor allem Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem. Denn Preetz‘ Abschied erinnerte an die vergangenen sieben Jahre, in denen die Hertha mit der Unterstützung des langen Stürmers den Aufstieg in die Bundesliga schaffte und dort einmal die Champions League und viermal nacheinander den Uefa-Pokal-Wettbewerb erreichte. Nando Rafaels Tore in seinem zweiten Bundesligaspiel von Beginn an waren dagegen wie ein Ausblick auf die nächste Hertha-Generation. Vielleicht kommt mein Name ja auch irgendwann ins Hertha-Geschichtsbuch, sagt er mit Blick auf Preetz. Rafael kann jedoch nicht nur von der aussichtsreichen Zukunft erzählen, sondern auch von einer bewegten Vergangenheit. Seine Eltern sind im angolanischen Bürgerkrieg umgekommen, sein Onkel schickte ihn darauf nach Holland, wo er in der Fußballschule von Ajax Amsterdam eine offensichtlich vorzügliche Ausbildung erhielt (…) Nur einen kleinen Schönheitsfehler hatte die Zeremonie. Auf den T-Shirts, die sich die Berliner nach dem erreichten Saisonziel überzogen, stand: Uefa-Cup 2003. Werden die Berliner also auch diesmal wieder nur ein halbes Jahr im europäischen Wettbewerb bleiben und schon vor dem Viertelfinale 2004 ausscheiden? Wird es also wieder keine Fortschritte geben in dem Verein, der sich so große Ziele gesetzt hat und in dieser Saison auf der Stelle getreten ist?“

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schottischer Teamgeist und Kampf besiegt holländische Dekadenz – Spanien erfüllt Erwartungen nur teilweise u.v.m.

Länderspiele (EM-Qualifikation, Freundschaftsspiele, WM-Qualifikation in Südamerika) im Überblick NZZ

Internationale Presse-Stimmen FR

Schottland – Holland 1:0

Reputation gewinnt keine Fussballspiele

Bertram Job (NZZaS 16.11.) zweifelt, ob Bonds-Coach Advocaat die richtige Elf ins Spiel geschickt hat: “Seine Treue zu den erfahrenen Kickern wurde schlecht belohnt. Erst mit der Einwechslung von Youngster Rafael van der Vaart (Ajax) und dem zwischenzeitlich ausgemusterten Clarence Seedorf kam etwas mehr Drive in das betuliche Spiel. Die Vorstellung in Glasgow war zumindest hilfreich, um die hohen Erwartungen der Oranje-Fans einstweilen zu dämpfen. Im krassen Unterschied zur Nationaltugend sind Hollands Einwohner, wenn es um ihre Fussballauswahl geht, von calvinistischer Bescheidenheit einen guten Abstoss weit entfernt. Der nationale Verband (KNVB) hatte seine Kampagne für die Heimspiele früh mit der Verlosung von Portugal-Reisen angeheizt – als sei die EM-Qualifikation nicht viel mehr als eine Formalität. Auch wurde oft und gerne darüber spekuliert, wer am 4.Juli 2004 der Gegner im EM-Final sein könnte. Inzwischen aber zeigt sich, wie recht Advocaat mit einem kürzlich geäusserten Aphorismus behalten sollte. Dabei hatte der Bondscoach in Bezug auf sein hochkarätig besetztes Team georakelt: „Reputation gewinnt keine Fussballspiele.““

Raphael Honigstein (FR 17.11.) stellt gravierende Mängel bei den Holländern fest: „Auf dem Platz hatten die schlecht organisierten Gäste auffallend viel Gesprächsbedarf untereinander, später kamen in den spärlichen Sätzen allerhand Vorwürfe zum Vorschein. Wir haben unsere Chancen nicht genutzt, das geht auf diesem Niveau nicht, beschwerte sich De Boer über die Stürmer. Torwart Edwin van der Saar bemängelte das Abwehrverhalten seines in die Jahre gekommenen Kapitäns vor dem Gegentreffer: Wenn man so nahe am Stürmer dran ist, muss man den Ball eigentlich blocken können. Der ohne nennenswerte Aktion gebliebene Kluivert gab die Schuld unverblümt an den Trainer weiter. Dick Advocaat hatte sich dem öffentlichen Druck gebeugt und überraschend Ruud van Nistelrooy als Kluiverts Partner aufgestellt. Warum diese Umstellung? Das hat bisher noch nie funktioniert, und es hat auch heute nicht funktioniert, beschwerte sich Kluivert und merkte an, man habe erstmals in 16 Spielen unter Advocaat kein Tor erzielt. Nach dem Debakel auf der Insel könnte man viele rätselhafte Entscheidungen des Bondscoachs sezieren, aber Kluivert versus Van Nistelrooy bleibt das Hauptproblem einer Mannschaft, der es nicht gelingt, ihre überragenden Fähigkeiten in adäquate Ergebnisse zu verwandeln. Die Klassestürmer sind sich nicht grün, beide haben im Team ihre Leute, der Kader zerfällt in zwei Fraktionen. Dass auch die Hautfarbe eine Rolle spielen soll, macht die Sache brenzlig. An dem Konflikt entzündet sich überdies die überfällige Debatte um das Wesen des niederländischen Fußballs: Kluivert steht für Ästhetik und Spielkultur, Van Nistelrooy für schnörkellose Effizienz. Advocaat muss sich entscheiden, und zwar schnell, sonst wird er bald nichts mehr zu entscheiden haben. Die EM ist die letzte Chance unserer Generation, noch in die Geschichtsbücher zu kommen, weiß Kluivert. Bei einem Misserfolg fänden sich die Kicker im orangefarbenen Dress ebenfalls dort wieder. Allerdings aus weit weniger erfreulichen Gründen.“

FAZ-Interview mit Berti Vogts

FAZ: Die meisten deutschen Fußballfans werden mit Ihnen mitfiebern wie vermutlich nicht mehr, seit Sie Bundestrainer waren. Schließlich ist es das beliebte Duell David gegen Goliath, und dann noch gegen die unbeliebten Holländer. Gefällt Ihnen die Rolle?

BV: Natürlich, wir haben nichts zu verlieren, die Holländer stehen dafür unter großem Druck. Aber man darf die Verhältnisse nicht vergessen. Wer kann es sich sonst schon erlauben, einen Makaay, einen Seedorf, Topspieler von Klubs wie Bayern München und AC Mailand, auf der Bank zu lassen und erst in der zweiten Halbzeit einzuwechseln? Ich dagegen mußte einen Neunzehnjährigen vom FC Motherwell bringen.

FAZ: Sie haben seit Beginn Ihrer Amtszeit vielen jungen Spielern eine Chance gegeben. Hat Sie deshalb das von dem 19jährigen Darren Fletcher und dem 20jährigen James McFadden herausgespielte Tor besonders begeistert?

BV: Herrlich, wie Fletcher den Doppelpaß mit der Hacke gespielt hat, besser kann man das nicht machen. Auch die Ballmitnahme und der Abschluß von McFadden.

FAZ: Sehen Sie sich in Fletchers Fall auch als Ahnenforscher bestätigt?

BV: Natürlich, wegen seiner irischen Mutter hätte er ja auch für Irland spielen können. Als ich hörte, daß es bei Manchester United ein 18jähriges Sturmtalent mit schottischem Vater gab, bin ich gleich hingefahren. Nachdem ich Fletcher überzeugt hatte, für Schottland zu spielen, ließ ich ihn von meinem U-21-Trainer Rainer Bonhof sofort bei einem Juniorenländerspiel einwechseln. So hatten wir ihn sicher.

Spanien – Norwegen 2:1

Georg Bucher (NZZ 17.11.) hat – wie die Spanier selbst auch – mehr von den Spaniern erwartet: „Der Ausstich sollte schon im Hinspiel entschieden werden, und es bestand kein Zweifel daran, dass die Skandinavier zu für sie ungewohnter Stunde (22 Uhr) in Valencia antreten müssten. Im Mestalla, wo die Selección seit 1992 alle Länderspiele gewonnen und Österreich 1999 gar 9:0 deklassiert hat und stets mit frenetischer Unterstützung der im Bürgerkrieg als (unterlegene) Verfechter republikanischer Werte hervorgetretenen Levantinos rechnen kann. Vom famosen Animateur Manolo und von 110 eigens aus der Provinz Albacete angekarrten Trommlern, die einen für spanische Ohren gewohnten Höllenlärm veranstalteten, liess sich Nils Johan Sembs abgeklärtes Team allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Nachdem die Norweger zwei brenzlige Szenen dank Glück und dem brillanten Keeper Esper Johnsen überstanden hatten, sass schon ihr erster Konter. Iversen, in Rotterdam (EM 2000) Matchwinner gegen Spanien, profitierte von kopfballstarken Kollegen und schlechter Zuordnung in der Innenverteidigung des Gegners. Damit waren die hochtönenden Prognosen des baskischen Ausbildners über den Haufen geworfen. Wie Tiger würden seine Mannen die Herausforderung annehmen, Geduld bewahren und vorzugsweise über die Aussenseiten Löcher in die Wikinger-Wand schlagen, hatte Saez frohlockt. Vom Flügel wurde die Stimmung auch bald aufgehellt, nach einem Freistoss des filigranen Sevillano Reyes kam Raul zwischen vier Abwehrhünen wie die Jungfrau zum Kind per Kopf zum Ausgleichstreffer. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand in puncto individueller Technik, Dynamik und Kombinationssicherheit ein Klassenunterschied zwischen den Prototypen diametral entgegengesetzter Spielauffassungen. Ironische Kommentare, die Norwegen einen paläontologisch-altenglischen Stil bescheinigten, waren jedenfalls verfehlt. Sie können den Ball auch auf kurzem Raum halten, geben ihn fast immer nach einer Berührung weiter und lauern auf Fehler.“

Russland – Wales 0:0

Martin Pütter (NZZaS 16.11.) berichtet: „Die Chancen stehen gut, dass sich Wales zum ersten Mal seit 1958 wieder für ein grosses Turnier qualifiziert. Kampfgeist und taktische Disziplin trugen dazu bei, dass die Waliser im Hinspiel der EM-Play-offs in Moskau gegen Russland ein 0:0 erreichten. Allerdings erhielt die Mannschaft von Mark Hughes auch Schützenhilfe von den Russen. Der Gruppengegner der Schweiz machte zu wenig aus den spielerischen Vorteilen. Er spielte lange zu verspielt, was die Aufgabe der dicht gestaffelten Verteidigung der Waliser wesentlich erleichterte. Wirklich unter Druck war das walisische Team nur in den ersten zehn Minuten, in denen Russland vehement angriff und die Waliser kaum noch aus der eigenen Hälfte herauskamen. Doch keiner bei den Russen wollte im Abschluss die Verantwortung für den Torschuss übernehmen. Immer wieder wurde der Ball abgegeben.“

NZZaS-BerichtKroatien-Slowenien (1:1)

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Welt-Interview mit Ailton – Kommentare und Urteile über die Transfers von Ailton und Krstajic – „Rudi Nassauer“ (BLZ)

Die Offerte entspricht meinem Wert als Torjäger

Welt-Interviewmit Ailton

Welt: Werder Bremen ist Tabellenführer, Sie sind mit sieben Treffern bester Torjäger der Liga – war es weise, den Wechsel ausgerechnet jetzt zu verkünden?

Ailton: Das ist schon okay. Alles ging sehr schnell. Schalke hat mich vor zwei Wochen kontaktiert. Die Offerte entspricht meinem Wert als Torjäger, also habe ich zugeschlagen.

Welt: Bis zum Saisonende hat Ihr Trainer Thomas Schaaf viel Zeit, einen anderen Stürmer aufzubauen. Befürchten Sie, auf die Bank verbannt zu werden?

Ailton: Ich glaube nicht, dass er das tut. Er weiß, was ich kann. Aber es ist ja noch nicht klar, dass ich bis zum Sommer bleibe. Vielleicht wechsle ich auch schon im Winter. Das ist aber Sache der Klubs.

Welt: Auch Bremen hatte Ihnen einen neuen Vertrag angeboten.

Ailton: Ist das so? Ich habe einmal ein Angebot gemacht, da hieß es: Nein. Beim zweiten auch. Und beim dritten: Wir müssen erst sehen, wie sich die Situation beim Klub entwickelt. Alles nachvollziehbar. Ich bin aber kein kleiner Junge mehr und muss an meine Zukunft und meine Familie denken.

Welt: Alles eine Frage des Geldes also?

Ailton: Nicht ganz. Natürlich war es ein wichtiger Faktor. Aber es gab auch private Gründe, die ich aber nicht preisgeben werde. Ailton hat in Bremen guten Fußball gespielt und das getan, wozu er vor fünf Jahren verpflichtet wurde: Tore schießen. Ich wollte, dass der Verein das bei einem neuen Vertrag mit berücksichtigt. Konnten oder wollten sie nicht? Ich weiß es nicht. Fakt ist: Schalke ist eine Topadresse: Und für mich ist es der letzte Vertrag in der Bundesliga, sie können mich bezahlen, es hat gepasst.

Gefährlich wird es erst, wenn andere Vereine dem SV Werder ihre sportlich Verantwortlichen wegkaufen

Roland Zorn (FAZ 9.10.) kommentiert die Transfers von Krstajic und Ailton: „Als Rudi Assauer 1981 Bremen verließ, sagte er: Mit dem Herzen bleibe ich immer bei Werder. Tatsächlich: Nie verlor der inzwischen zum Schalker Kultmanager aufgestiegene Westfale die Bremer aus den Augen, und von Herzen hat er sich bei Werder bedient: Die Torhüter Frank Rost und Oliver Reck, dazu den rasch wieder ausgemusterten Trainer Frank Neubarth lockte der Traditionsverein mit geldwerten Argumenten in den Pott – so wie jetzt die ablösefreien Bremer Stars Krstajic und Ailton. Der Serbe Krstajic und der Brasilianer Ailton haben sich allein der Kohle wegen für einen Revierwechsel entschieden, da Werder Bremen als Tabellenführer der Bundesliga sportlich derzeit nicht zu toppen ist. Andererseits ist das schnelle Schalker Handeln auf dem Marktplatz Profifußball auch nicht so unredlich, wie es der Bremer Sportdirektor Klaus Allofs in seiner ersten Empörung abqualifiziert hat. In einer Zeit, da die Berufsfußballspieler ihren Job als unverbindliches Wandergewerbe zwischen Angebot und Nachfrage begreifen und nur noch die Macht des Mammons zu regieren scheint, sind Wechselgeschäfte wie die zwischen Ailton und dem FC Schalke nur folgerichtig. Daß den Transfer des Stürmerstars dennoch heftige Emotionen begleiten, ist der Popularität von Ailton an der Weser geschuldet (…) Werder ist der beste, solideste Mittelstandsbetrieb der Bundesliga. Um Krstajic und Ailton zu halten, wollte sich der Klub nicht selbst verleugnen. Auch Frings und Pizarro haben den Verein lukrativerer Angebote wegen verlassen. Und wie hat der SV Werder reagiert? Mit exzellenten, preiswerten Neuverpflichtungen. Das Bremer Know-how in Sachen Personalplanung, verkörpert von der Kompetenz eines Allofs und der Fachkenntnis von Trainer Schaaf, gilt als unbezahlbar. Richtig gefährlich für den Klub, der traditionell aus wenig viel zu machen versteht, wird es erst, wenn andere Vereine dem SV Werder ihre sportlich Verantwortlichen wegkaufen.“

Rudi Nassauer

Christof Kneer (BLZ 9.10.) beurteilt den Ansehensverlust Rudi Assauers in Bremen: “Werder hat in dieser Woche zwei Leistungsträger und einen Freund verloren. Wenn so einer kommt und den Geldsack aufmacht, sind wir zerstörbar, schimpft Bremens Manager Klaus Allofs über den Schalker Kollegen Rudi Assauer, der Werder tags zuvor schon den Verteidiger Mladen Krstajic abspenstig gemacht hatte. Die Geschichte von Ailton ist auch die Geschichte von Rudi Assauer. Seit er in den Siebzigern als Spieler, Trainer und Manager in Bremen amtierte, gilt er den Hanseaten als einer der ihren. Der Rudi kennt hier jeden Vertrag, hat der ehemalige Manager Willi Lemke einmal gesagt. Mit diesem Herrschaftswissen hat Assauer aus Schalke heimlich einen FC Werder 04 gemacht. Erst hat er die Torhüter Reck und Rost abgeworben, dann den Trainer Neubarth, nun Ailton und Krstajic – und kürzlich hatte er auch noch am Werder-Genius Micoud herumgebaggert. Aus Rudi Assauer ist ein Rudi Nassauer geworden, ein Abstauber. Aber seine Wildereien zeigen nur, wie stark er unter Druck geraten ist. Er musste sich verspotten lassen, weil er Trainer Heynckes nur eine königsgraue Mannschaft in die Schickimicki-Arena stellen konnte. Er musste sich verspotten lassen, weil er einen Morientes kaufen wollte und einen Glieder-Edi bekam. So groß ist der Druck nun geworden, dass er einem 29-jährigen Krstajic einen Vierjahresvertrag aufdrängt, der jährlich 1,7 Millionen schwer sein soll.“

Man hätte es fast für Liebe halten können

Ralf Wiegand (SZ 9.10.) hat die Reaktionen der enttäuschten Bremer Anhänger im Blick: „Am Dienstagabend, als sich die Fußballmeldung des Tages langsam herumgesprochen hatte, war das schnellste Medium der Welt schon längst zusammengebrochen. Nichts ging mehr auf der Internet-Homepage des SV Werder Bremen, die Rechner des Bundesliga-Tabellenführers waren überfordert. Es schien, als wolle jeder, der online ist, seine Meinung zum spektakulärsten Spielertransfer der Saison kundtun: Ailton, neben Esel, Hund, Katze und Hahn derzeit beliebtestes Maskottchen der Hansestadt, wechselt in der kommenden Saison vom SV Werder zu Schalke, ebenso wie Abwehrspieler Mladen Kristajic. „Für uns Fans“, sagt Dieter Zeiffer, der Fanbeauftragte des Klubs, „bedeutet das in erster Linie Ohnmacht und Wut.“ Zeiffer, 46, ist seit zehn Jahren die Verbindungsperson zwischen Verein und Publikum, aber solch eine Reaktion hat er noch nicht erlebt. „Seit 24 Stunden, einschließlich der Nacht, mache ich nichts anderes, als mit Fans zu reden“, sagte er, so sehr trifft die treuesten der grün-weißen Seelen vor allem der überraschende Wechsel des Brasilianers Ailton, 30. Im fünften Jahr feiern sie einerseits die Tore des flinken Angreifers – 67 in 144 Spielen – mit einem lang gezogenen „Aaaailton“ und ertragen andererseits geduldig die Eskapaden des eigenwilligen Südamerikaners. Der überzog regelmäßig seine Urlaube und drohte alle paar Monate mit einem Wechsel in den sonnigen Süden. Durch eine handgreifliche Auseinandersetzung mit seiner Lebensgefährtin setzte er sein Knuddel-Image aufs Spiel. Aber nichts gab es, was die Werder-Fans ihrem „Kugelblitz“ nicht verziehen, sobald der wieder mal die Schönheiten Bremens pries oder sich einem Fan stolz als Taufpate für dessen Sohn Ailton zur Verfügung stellte. Noch am 21. September meldete die Syker Kreiszeitung erleichtert: „Ailton bleibt in Bremen“ und zitierte den Spieler mit den Worten: „Wir sind uns einig.“ Man hätte es fast für Liebe halten können.“

Frank Heike (FAZ 9.10.) ergänzt: „Auf den Namen Assauer reagiert man nun allergisch in Bremen. Er spielte sechs Jahre für Werder und war von 1976 bis 1981 Manager des Klubs; die Vereine Schalke und Werder waren stolz auf ihre Beziehung. Das ist vorbei. Allofs sagt: Wir sind extrem enttäuscht, wie die Sache abgelaufen ist. Assauer hat uns in keiner Weise über die Verhandlungen informiert. Wir finden es äußerst unglücklich, daß Schalke diese Transfers so früh in der Saison öffentlich gemacht hat. Der Bremer Trainer Thomas Schaaf sprach sogar von innerer Wut und Aggressivität, die die Transfers bei ihm ausgelöst hätten – Wut auf Assauer. Der Schalker Trainer Jupp Heynckes sagte, er habe Verständnis für die Bremer. Es wäre aber fahrlässig gewesen, sich nicht um die Spieler zu bemühen. Die Transfers waren von langer Hand vorbereitet. Allofs hingegen mutmaßte, Schalke habe nach dem schwachen Saisonstart und dem Nichtzustandekommen des Morientes-Transfers etwas zum Vorzeigen gebraucht. Die Bremer Nationalspieler Frank Baumann und Fabian Ernst, im Trainingslager der Nationalmannschaft in Reinbek mit den Weggängen konfrontiert, waren überrascht. Baumann sagte: Das ist schon brutal für uns, aber wir sind das in Bremen ja fast gewohnt. Auch andere Bremer Spitzenspieler wie Johan Micoud dürfte der bevorstehende Weggang der beiden Stützen wie ein schlechtes Zeichen anmuten.“

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Mangel an Sensibilität in der Bundesliga

„Im Fall von Sebastian Deisler wurde nicht frühzeitig eingegriffen“, kritisiert Michael Ashelm (FAS 23.11.) den Mangel an Sensibilität in der Bundesliga: „Immer wieder weisen Experten darauf hin, daß gerade im Profifußball die psychische Befindlichkeit der Spieler vernachlässigt würde, ihnen nur wenig Hilfe zuteil käme, um den extremen Belastungen standzuhalten. Eberspächer spricht von einem irrationalen Verhalten der Klubs, die viel Geld und Manpower vor allem in die physische Betreuung ihrer Profis stecken, aber das mentale Wohl oftmals vernachlässigen. Ganze Bataillone stehen bereit, um die Knochen, Muskeln und Sehnen der Spieler zu flicken, sie für die wichtigen Minuten auf dem Platz geschmeidig zu halten. Einen Sportpsychologen sucht man aber meist vergeblich auf der Gehaltsliste der Vereine. Im Fall Deisler geben die Verantwortlichen des FC Bayern vor, professionell gehandelt zu haben. Doch erst als der Nationalspieler seinen alarmierenden Hilferuf abgab, tat sich etwas, wurde er zur stationären Behandlung in das Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie eingewiesen.Das Schwierige ist, daß keiner im Umfeld genau weiß, damit umzugehen, weiß Uwe Harttgen. Der ehemalige Fußballprofi, der mit Werder Bremen den Europapokal der Pokalsieger gewann und deutscher Meister wurde, arbeitet heute wieder für seinen früheren Klub – als ausgebildeter Sportpsychologe. Die professionelle Hilfe eines psychologisch geschulten Fachmanns gilt in der Macho-Welt des Fußballs noch immer als Schwächesignal und wird meist abschätzig belächelt. Als in Frankfurt der Junioren-Nationalspieler Jermaine Jones wegen einer Disziplinlosigkeit auffiel, schickte ihn Trainer Willi Reimann zur Strafe in die Oberligamannschaft und verweigerte ihm wochenlang das Wort. Wo bei einem jungen, in der Entwicklung befindlichen Menschen Fingerspitzengefühl gefragt ist, zeigte Reimann gnadenlose Härte: Sollen wir ein paar Seelenklempner einstellen? fragte er. Oder eine kleine Kapelle aufmachen? Die Realität in der Bundesliga zeigt noch immer Verhaltensformen längst vergangener Jahrzehnte.“

Niemand hat sich anders verhalten, als in der knochenharten Branche üblich

Jan Christian Müller (FR 24.11.) berichtet Hintergründe: „Neulich, Anfang September, vor einem seiner vielen Comebacks in der Nationalmannschaft, hat es der Deutsche Fußball-Bund geschafft, Deisler bei einer Pressekonferenz aufs Podium zu bugsieren. Er hat nur widerwillig mitgemacht, aber dann hat er bemerkenswerte Sätze formuliert. Etwa diese: Ich habe schon viele Leute kennen gelernt, die gesagt haben, so und so ist das Fußballgeschäft. Wenn andere sagen, das und das muss man als Fußballstar machen, dann können die das so sehen. Ich habe da meine eigenen Ansichten. Die eigenen Ansichten waren mit denen seines langjährigen Beraters Jörg Neubauer nicht mehr kompatibel. Neubauer hatte für Deisler eine Karriere geplant, die den modernen Ansprüchen des Marketings gerecht wird. Zum Abschied beschied Neubauer seinem ehemaligen Mandanten, es lohne sich nur, Spieler zu beraten, die sich auch beraten lassen. Jetzt braucht Deisler professionelle Beratung, und es scheint, als nehme er sie an. Auch Hertha-Manager Dieter Hoeneß hatte seinerzeit wissen lassen, er halte Deisler für beratungsresistent. Der hatte sich nach Bekanntgabe des Wechsels von den Berlinern zu Bayern München nach Ansicht seines Noch-Arbeitgebers wenig kooperativ in der Kommunikation mit den lautstark maulenden Hertha-Fans gezeigt. Deisler war damals öffentlich erstmals erheblich unter Druck geraten und fühlte sich von den ihrerseits vergrätzten Herthanern im Stich gelassen, nachdem bekannt geworden war, dass er vorab ein Millionen-Handgeld von den Bayern kassiert hatte. Da wurde er bei jedem Heimspiel ausgepfiffen. Später, beim FC Bayern, hat er von der Clubführung bald Kritik aushalten müssen. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge machte deutlich, dass ein Fußballspieler seiner Klasse in einem Unterhaltungsunternehmen wie dem FC Bayern München mehr sein muss als ein guter Passgeber. Ich glaube, sagte Rummenigge, er macht einen gedanklichen Fehler. Er meint, es reicht, wenn er trainiert und am Samstag spielt. Beim FC Bayern ist das nicht genug. Hier muss er außerhalb des Platzes seine Rolle spielen. Manager Uli Hoeneß hatte es gar drastischer formuliert: Die Schonfrist ist vorbei. Das war im Juli. Sebastian Deisler hat auf die unzweideutigen Forderungen ablehnend reagiert. Er hat sich nie in die ihm zugedachte Rolle pressen lassen. Sein Credo: Man sollte mich akzeptieren, wie ich bin. Das tue ich auch bei anderen. Seit fast zwei Wochen weiß Rummenigge nun, dass Deisler, den die Mitspieler aus früheren Zeiten als umgänglich und lebenslustig in Erinnerung haben, nicht nur ein scheuer Sonderling geworden ist, der nur sehr schwer Vertrauen zu anderen Menschen fasst, sondern an Depressionen leidet und Hilfe von Fachleuten benötigt. Die bekommt er nun. Es ist in diesem Fall nicht so, dass Verantwortliche und Öffentlichkeit sich etwa Vorwürfe machen müssten, für Deislers Krankheit in fahrlässiger Art und Weise mitverantwortlich zu sein. Niemand hat sich auffällig anders verhalten, als es in der knochenharten Branche allseits üblich ist.“

Doofe Fragen sind solche, die auf Fehler der Verantwortlichen zielen

Joachim Mölter (FR 24.11.) findet die Kommunikations-Strategien des FC Bayern findig: „Anders als Hannover 96 im Fall Jan Simak hat der Meister die Situation kontrolliert und die Medien geschickt gesteuert. Wenn eine schlechte Nachricht nicht mehr zu verhindern ist, dann schafft es der Pressesprecher Markus Hörwick zumindest regelmäßig, die Bekanntgabe auf einen Termin zu verschieben, zu dem sie am wenigsten Imageschaden anrichtet. Das war schon so in der Rosi-Affäre von Trainer Ottmar Hitzfeld, die just an dem Tag in Deutschland publik wurde, als die Mannschaft weit weg war, beim Weltcup-Finale in Tokio. Dank des sportlichen Erfolges und der guten Beziehungen zum Boulevard geriet Hitzfelds Geständnis einer außerehelichen Beziehung schnell in den Hintergrund (…) Wir haben uns in Abstimmung mit Sebastian Deisler entschieden, eine offensive Darstellung zu machen, sagte Bayern-Manager Uli Hoeneß. Nun gehen die Chefs in München mit ihrem erkrankten Angestellten zweifellos stilvoller um als die in Hannover, aber mit ihrer offensiven Darstellung bestimmen sie natürlich auch das Spiel mit den Medien. Hoeneß bat am Freitag um sachliche Berichterstattung, und was sachlich ist, bestimmte er gleich selbst. Auf die Frage eines Radioreporters, ob man Deislers Probleme nicht hätte vorhersehen oder verhindern können, reagierte Hoeneß jedenfalls über Gebühr gereizt: Auf doofe Fragen gibt’s keine Antwort. Doofe Fragen im Selbstverständnis des FC Bayern sind solche, die auf Fehler der Verantwortlichen zielen, und mit derartigen Rüffeln hat Hoeneß bislang noch jeden Fragesteller zum Schweigen gebracht. Es ist ja auch im Fall Deisler auffällig, wie sehr die Bosse ihre Fürsorge betonen und ihren möglichen Beitrag zu vernachlässigen suchen. Man sollte jetzt den Fehler nicht machen und die Ursachen eruieren, sagte Hoeneß; zudem wies er darauf hin, dass dem Spieler schon während seiner Knieverletzung alle Zeit zur Genesung gewährt worden war: Wir haben ihn nie unter Druck gesetzt. Während der Heilung nicht, das stimmt. Aber danach.“

Warum sollte der Sport von diesem Phänomen ausgeklammert werden?

FR-Interview mit Oliver Kirchhof, Sportpsychologe

FR: Nach Jan Simak ist Sebastian Deisler der zweite prominente Fall binnen kurzer Zeit, der wegen psychischer Probleme seinen Beruf nicht ausüben kann. Sind Fußball-Profis im Allgemeinen und in dieser Spielzeit im Besonderen anfällig für Depressionen?

OK: Als ich am Freitag vom Fall Deisler hörte, habe ich noch gesagt, dass man da keinen Trend ablesen kann. Dann habe ich nochmals darüber nachgedacht. Was eine Rolle spielen könnte, ist, dass es Spieler betrifft mit Potenzial, die innerhalb kürzester Zeit mit immensen Summen gelockt, aber auch mit sehr hohen Erwartungen konfrontiert werden, die ihre Leistung aber noch gar nicht so recht bewiesen haben. Simak war ein guter Zweitligaspieler, dann ist er zu Bayer Leverkusen als neuer Messias gekommen als Ballack-Ersatz. Und was hat Deisler geleistet? Er hat bei Gladbach einige gute Spiele gemacht, dann ist er sofort zur Hertha gekommen, war da schon häufig verletzt, ist dann mit Potenzialerwartungen und viel Geld von den Bayern geholt worden. Da hat ein Spieler schon das Gefühl, das alles rechtfertigen zu müssen. Es wird schon in Potenzial viel investiert, möglicherweise überproportional viel. Das setzt die Spieler unter einen ungeheuren Druck und möglicherweise können sie dieses Potenzial gar nicht realisieren.

FR: Kann es sein, dass im Zuge der geringeren finanziellen Mittel der Clubs der Leistungsdruck für den Einzelnen größer wird, sich beweisen zu müssen?

OK: Ich glaube nicht, dass man sagen kann, der Leistungsdruck ist jetzt so groß, jetzt werden die Spieler alle depressiv. Letztlich ist Depression ein Phänomen, das in der Gesellschaft sehr weit verbreitet ist, sie ist die am weitesten verbreitete psychische Störung in unserer Gesellschaft. Und warum sollte der Sport von diesem Phänomen ausgeklammert werden? Letztlich muss man damit leben, dass der Fußball ein Spiegel der Gesellschaft ist. Von daher ist es geradezu normal, dass jemand auch im Fußball mal eine Depression entwickelt.

FR: Das heißt also, bisher wurden Depressionen bei Spielern unter der Decke gehalten.

OK: Ich habe in meiner sportpsychologischen Praxis mit Sportlern zu tun, die sich in einer depressiven Entwicklung befinden. Es ist ein Phänomen, mit dem man sich im Sport wie in anderen Bereichen der Gesellschaft auseinander zu setzen hat.

FR: Gibt es denn statistische Werte, wie im Sport im Vergleich zur Normalbevölkerung Depressionen auftreten?

OK: Im Sport tritt es auf keinen Fall stärker auf. Im Fußball sogar eher weniger, weil es viele schützende Faktoren gibt. Schützend ist zum Beispiel, dass viel Geld verdient wird und dass die Fußballer durch die starke öffentliche Aufmerksamkeit etwas fürs Selbstwertgefühl tun. Das hat ja für die Depressionsentstehung immer eine zentrale Bedeutung.

Wer träumt davon, ein gläserner Mensch zu sein?

Jan Christian Müller (FR 24.11.) hält inne: “Es ist das Leben, von dem viele, die es niemals schaffen werden, immer geträumt haben: Bei der Nationalhymne stramm stehen dürfen als Auserwählter der Nation. Tore schießen und Flanken schlagen für den großen FC Bayern. Der Geruch von Massageöl in der Umkleidekabine, die Geborgenheit im Kreis der Kameraden, die kalten Schauer beim Auflaufen, die Freude am Spiel, der ungehemmte Jubel nach einem Treffer, der Stolz, es geschafft zu haben bis ganz nach oben, das Lob von den Schulterklopfern, das Interesse der Medien. Das Geld, das viele Geld, ein teures Auto, Designer-Klamotten, eine hübsche Frau, ein Anwesen auf parkähnlichem Grundstück. Die ganze Leichtigkeit des Seins. Das ist die eine Seite. Wer träumt schon von der anderen? Wer träumt vom Ärger nach einer vergebenen Torchance, vom Frust nach einer Niederlage, von der Hilflosigkeit auf der Ersatzbank, der Einsamkeit beim Aufbautraining nach schwerer Verletzung, der gnadenlosen Kritik nach schwachen Leistungen, den Erwartungen der Öffentlichkeit, den eigenen Erwartungen. Wer träumt davon, ein gläserner Mensch zu sein?“

Heinz-Wilhelm Bertram (BLZ 22.11.) bedauert die Schwermut Sebastian Deislers: „Dass der Spieler sich seit Monaten in einem psychisch labilen Zustand befand und sich selbst zu finden versuchte, hatte nicht nur der Umstand verdeutlicht, dass er unter dem Einfluss des Kollegen Mehmet Scholl zum Buddhismus konvertiert war. Einem engen Vertrauten hatte er gestanden: Richtig wohl fühle ich mich nur, wenn ich alleine in meinem Auto bin und bei geschlossenen Scheiben Musik höre, am liebsten von Schwarzen. Es war dies ein intimes Geständnis von großer Tragweite: Nur abgeschieden und isoliert ist Sebastian Deisler offenbar ganz er selbst. Nicht einmal die Wohnung reicht ihm als Fluchtpunkt. Mobilität, Flucht, bereitet ihm am meisten Wohlbehagen. Sebastian fühlte sich sehr oft eingekreist, bedrängt, ja verfolgt. Nicht nur von Menschen, sondern auch von Ansprüchen und Anforderungen, sagt dieser Vertraute. Ob Sebastian Deisler, den Franz Beckenbauer einmal als das größte Talent bezeichnete, das wir im deutschen Fußball haben, jemals wieder der sorglose Fußballer von einst werden wird? Deislers Vater schwärmt in seinem Bekanntenkreis noch heute von jenem sonnenbeschienenen Tag, als er zusammen mit seinem Sohn auf die Zugspitze fuhr und der Kleine zum maßlosen Staunen des Vaters nicht etwa ein Picknick, sondern einen Fußball aus dem Rucksack kramte. Und den verblüfften Vater bat, mit ihm auf Deutschlands höchstem Punkt zu spielen. Nie war der Sebastian Deisler von heute entfernter von jenem glücklichen Augenblick als in diesen Tagen.“

Tsp: „Wie Sebastian Deislers ehemalige Kollegen bei Hertha BSC auf die Nachricht aus München reagierten“

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Bundesliga – der 25. Spieltag im Spiegel der Presse

„Rüpel Reimann“ (FAZ) – „FC Bayern – eine führungslose Mannschaft döst dem Saisonende entgegen“ (SZ); „Bayerns grußloser Abschied vom Titelkampf“ (FAS) – „der VfB hält Magaths Meisterfahrplan nicht ein“ (FAS); „Jäger ohne Biß“ (FAS) – „Bayer Leverkusen fühlt sich wieder reif für Europa“ (FAZ) u.v.m.

Borussia Dortmund – Eintracht Frankfurt 2:0

Freddie Röckenhaus (SZ 22.3.): „Kurz nach dem Schlusspfiff wollte sich Reimann zwar bei den Schiedsrichtern entschuldigen, um Gutwetter zu machen. Doch schon 20 Minuten später in der Pressekonferenz wetterte Reimann: „Für mich war es keine Tätlichkeit. Der vierte Schiedsrichter kann mich ja ansprechen. Aber er muss sich mir nicht in den Weg stellen. Außerdem drehte Reimann den Sachverhalt seines eigenen Sturmlaufs gegen den vierten Schiedsrichter Schriever ins Gegenteil um: „Ich weiß nicht, ob er mich anfassen darf. Er darf nicht den Rambo spielen. Wenn da einer so auf mich zukommt, dann ist das doch eine normale Abwehrreaktion. Und unter Verweis auf Dortmunds einschlägig bekannten Trainer Matthias Sammer meinte Reimann auch noch: „Der Matthias, der geht doch oft hoch wie ein HB-Männchen. Der attackiert die Linienrichter doch das ganze Spiel über. Im Vergleich zu Matthias müsste ich eigentlich für mein Verhalten eine Medaille bekommen. Am Sonntag, nach Studium der Fernsehbilder, schwenkte Reimann dann erneut um und kehrte auf den Entschuldigungskurs zurück: „Ich war in der Situation sehr aufgeregt und der ganze Vorfall tut mir ausgesprochen leid. Ich entschuldige mich beim gesamten Schiedsrichter-Gespann. Offenbar hatte vor allem Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen seinem Trainer zum diplomatischen Rückzug geraten.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ 22.3.): „Wie kommt es, dass Reimann ausrastet? Ausgerechnet er, der Stoiker der Liga, ein Mann wie „trocken wie Brot (Frankfurter Rundschau)? Erstmals in 41 Jahren Bundesliga ist ein Trainer handgreiflich gegen eine offizielle Ordnungskraft geworden. Die Vorbildfunktion, die viel zitierte, arg strapazierte, die mit dem Gehalt indirekt eingefordert ist, steht vor Drakons Jüngern wieder einmal zur Diskussion. Nur was ist sie wert? Ein Verstoß gegen die Vorbildrolle allein ist weder zivil- noch sportrechtlich relevant. Sonst hätten die Instanzen des Fußballs schon am Spieltag zuvor aktiv werden müssen, gegen Rudi Assauer, den Manager, der im Stadion den Mittelfinger zückte, weil Frankfurter Fans ihn provozierten: sie hatten Schalke beleidigt, sein Schalke. Der Zorn der alten Männer, von Assauer, 59, und Reimann, 54, könnte eine gerontologische Untersuchung nach sich ziehen. Oder eine Komödie im Kino.“

Roland Zorn (FAZ 22.3.): „Für heißdiskutierten Gesprächsstoff sorgte diesmal ein Trainer, der eher als mundfaul gilt, wenn er auch gelegentlich schon durch übellaunige Bemerkungen unangenehm aufgefallen ist: Willi Reimann. Der Trainer der Frankfurter Eintracht ließ sich in Dortmund zu Handgreiflichkeiten gegenüber dem vierten Unparteiischen hinreißen, nachdem einer seiner Spieler des Platzes verwiesen worden war. Einen solchen Auftritt mit einem Fußball-Lehrer außer Rand und Band hat die Liga lange nicht gesehen. Mochte Reimann sich wie im übrigen auch dessen Kollege Sammer zuvor über die selbstherrlich anmutende Art geärgert haben, in der Thorsten Schriever seines Amtes waltete, so ist das Ausrasten des Fußball-Lehrers damit keineswegs entschuldigt. Auf das nun folgende Sportgerichtsurteil darf man gespannt sein. Zur Erinnerung: Der Dortmunder Spieler Kehl wurde zu Saisonbeginn wochenlang gesperrt, weil er dem Schiedsrichter im Ligapokalfinale einen Schubser versetzt hatte. Reimanns wiederholte Tat wog auf den ersten Blick fast schwerer.“

Hertha BSC Berlin – Bayern München 1:1

Andreas Burkert (SZ 22.3.): “Sogar der einzig verbliebene Optimist in der rund 100 000 Klubmitglieder starken Glaubensgemeinschaft – Trainer Ottmar Hitzfeld – sprach, wenn auch peinlich berührt, das Wort „Vorentscheidung aus. Nur Uli Hoeneß lässt sich natürlich noch etwas Zeit, er schickt erst dann Blumen in den Norden, wenn es so weit ist. Einstweilen beschäftigt er sich mit seiner Mannschaft, und Spaß bereitet ihm das eher nicht. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist er in München Manager, und auf ihn geht die medizinische Entdeckung des so genannten FC Bayern-Gens zurück. Zurzeit muss Uli Hoeneß allerdings Woche für Woche erleben, dass der aktuellen Bayern-Generation dieser Erbfaktor abgeht. Denn sie gewinnt nicht mehr, wenn sie muss, und bei ihr dauert ein Spiel nicht mehr 90 Minuten. Sondern nur ein gutes halbes Stündchen. Und so döst eine führungslose Mannschaft des FC Bayern dem Saisonende entgegen. Sie hat sich längst damit arrangiert, Platz zwei einzunehmen hinter dem SV Werder, der seine Vorderleute mit norddeutscher Störrischkeit und Siegen in Serie zermürbe, wie Kahn glaubt. Beschwerde bei der DFL wegen dieser Unverschämtheit will aber auch er nicht einlegen. Zu offensichtlich ist das eigene Verschulden (…) Ob und wann es nun wirklich vorbei ist für die Ansprüche des Rekordmeisters, das entscheidet nicht mehr der FC Bayern. Sondern allein Werder Bremen. Mit dem Titelgewinn, meinte Ballack, werde es „sehr schwer. Eher kämpfen die Bayern, trotz des „härtesten Trainingslagers aller Zeiten (Hoeneß) und des Formanfalls in einem Spiel gegen Real Madrid, mit der öffentlichen Trainerdiskussion. Und sie rätseln, welche personellen Rochaden vonnöten sind, um den teuren Kader in eine kostbare Mannschaft zu verwandeln. Uli Hoeneß ist selbstverständlich guter Dinge, gestern kündigte er der Konkurrenz ausgesprochen herzlos an, sein Klub werde nächstes Jahr „angreifen wie noch nie. Vermutlich nach der härtesten Sommerpause aller Zeiten.“

Jörg Hanau (FR 22.3.): „Das unmoralische Angebot bleibt ohne Folgen. Aber wenigstens die Hörer eines privaten Berliner Radiosenders hatten ihren Spaß. Eine Million Euro versprachen Arno und die Morgencrew von 104,6 RTL jenem Bayern-Spieler, der gegen Hertha vorsätzlich ein Eigentor schießt. Ein PR-Gag. Klar. Mit unvorhersehbaren Folgen: Die DFL empört, die Bayern außer sich. Und selbst Hertha-Manager Dieter Hoeneß stand seinem Kollegen Uli brüderlich zur Seite: Geschmacklos!“

of: Was für humorlose Gestalten, diese Fußballfunktionäre! Und für wie wichtig sie sich halten!

1. FC Köln – VfB Stuttgart 2:2

Christoph Biermann (SZ 22.3.): „Ausgedacht hatte sich das Felix Magath eigentlich nicht schlecht, als er in der vergangenen Woche laut und deutlich davon sprach, der VfB Stuttgart wolle Deutscher Meister werden – und zwar in dieser Saison. Am kommenden Sonntag wird seine Mannschaft nämlich den SV Werder Bremen empfangen. Eine Niederlage Bremens in Wolfsburg und einen Stuttgarter Sieg in Köln vorausgesetzt, hätte sich der Vorsprung des Tabellenführers auf Stuttgart auf neun Punkte reduziert, mit einem Sieg über Bremen dann auf sechs. Und das wäre in den letzten acht Partien vielleicht noch zu aufzuholen gewesen. Nach dem 2:2 sprach der Trainer des VfB Stuttgart zwar immer noch vom „entscheidenden Spiel gegen Bremen, aber viel mehr als die Fassade des großen Vorhabens stand in diesem Moment schon nicht mehr. „Ich sehe nach wie vor gute Aussichten, Deutscher Meister zu werden, sagte Magath, doch es klang eher routiniert als überzeugt. Eher wird es in den kommenden Wochen darum gehen, dem FC Bayern vielleicht noch den zweiten Platz abzujagen und sich zugleich den Rücken frei zu halten, um die Qualifikationsrunde zur Champions League zu schaffen. (…)Als der Schiedsrichter die Partie beendete, war es im Stadion so leise, als ob nicht 50 200 Zuschauer im Stadion wären, sondern bloß 500. Kein Beifall aus keiner Ecke des Stadions, das Remis hatte zwei Verlierer produziert. Die angesichts der Kölner Tabellenstandes enorme Kulisse zeigte abermals, wie sehr dieser Klub inzwischen von seinen Anhängern geliebt wird. Doch diese Liebe macht das Leiden nur größer.“

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 22.3.): „So kann das nichts werden mit dem 1. FC Köln. Der meistfotografierte Mann im heimischen Stadion ist in Ermangelung eines Siegtorschützen immer noch Wolfgang Overath. Beim samstäglichen Bundesligatermin seiner Leib- und Magenmannschaft mit dem VfB Stuttgart blickte Overath, neuerdings Partner des Präsidiums, so verkniffen drein wie eh und je auf seinem Stammplatz. Und er sah wieder so aus, als plagte ihn eine Magenverstimmung. Ob es nun 0:1, 1:1, 2:1 oder am Ende 2:2 aus Sicht des Tabellenletzten stand – die Leute um ihn herum suchten vergebens nach Spuren von Optimismus in der Miene des designierten FC-Präsidenten. Er wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, der erste Mann eines Zweitligaklubs. Von einem rettenden Nichtabstiegsplatz sind die Rheinländer in etwa so weit entfernt wie die Schwaben von der Pole Position im nationalen Fußball. Alle hoffnungsvollen Prognosen, die sowohl in Köln als auch in Stuttgart angestellt werden, sind Hochrechnungen mit neun Unbekannten. Jene neun Partien, die noch fehlen, um die Saison 2003/2004 komplett zu machen. Solange rein rechnerisch noch alles möglich ist, werden sie in Köln und Stuttgart erzählen, sie wollten ihre Chance suchen. Nur lieferten die beiden Teams mit nichterfüllten Fahrplänen genügend Anhaltspunkte, warum es wohl nichts wird mit der Erfüllung der Saisonziele.“

Richard Reich (NZZaS 21.3.): „In Köln wird dem nekrophilen Fussballfreund derzeit einiges geboten. Am Festival “LitCologne” lesen Tribünenmelancholiker wie Nick Hornby (Arsenal) oder Marcel Reif (Premiere) aus ihren Werken. Vor der Kölner Oper hat André Heller (Austria) einen “Fussball-Globus” aufgestellt, in dessen Innern man multimedial die peinlichsten Szenen der Fussballgeschichte abrufen kann. Im “Hiatt” präsentiert das “11. Kölner Unfall-Symposium” die besten Gehhilfen für chronische Bänderprobleme. Und im fabrikneuen Rheinenergie-Stadion spielt der 1. FC Köln nach Kräften den letztmöglichen Fussball. Marcel Koller hatte in Anbetracht des erwiesenen Unvermögens seiner Belegschaft für den Besuch des VfB die dreifache Dreierkette erfunden: Mit Ausnahme des Torhüters und einer Sturmspitze stellten sich alle Feldspieler vor dem Strafraum auf, schichtweise wie eine Crèmeschnitte, auf dass alle gegnerischen Angriffe zwischen Mürbteig und Füllung stecken blieben.“

Bernd Müllender (taz 22.3.): „Beiden hätte zum Klassenziel nur ein Sieg geholfen, Köln für die Strohhalmhoffnung auf Rettung, Stuttgart für realistische Restgedanken an die Meisterschaft. Das 2:2 nach 90 unterhaltsamen Minuten machte beide zu unbesiegten Verlierern. Und dennoch wurde wohlfeil trotzig weiter behauptet, man sei immer noch auf dem guten Weg. Felix Magath etwa, Stuttgarts Trainer, der in der Woche schauspielerisch bemüht Wir werden Meister postuliert hatte, setzt seine Scherz-Offensive fort: Sicher, bei einem Sieg wäre er noch zuversichtlicher gewesen, aber man wolle weiter Druck auf Bremen ausüben. Auch wenn sein VfB nicht wie eine Spitzenmannschaft aufgetreten war und es in der hoch überlegenen 1. Halbzeit versäumt hatte, den Gegner zu zerstören. Magath ist gerüchteweise als Hitzfeld-Nachfolger beim FC Bayern im Gespräch, vielleicht lässt diese Aussicht die Maßstäbe verrutschen. [of: Vielleicht ist das so etwas wie eine Arbeitsprobe in Magaths Bewerbungsmappe.] Eine Provokation für weitsichtige Kölner war das komplett schwarze VfB-Outfit. Denn manches spricht dafür, dass Alemannia Aachens Men in Black im Spätsommer hier Europapokal spielen werden. Welche FC-Horrorvorstellung: Selbst ist man schmählich abgestiegen, und die verhassten Nachbarn, womöglich sogar selbst aufgerückt in Liga 1, trumpfen in der eigenen Kultstätte umjubelt auf.“

Hansa Rostock – Bayer Leverkusen 0:2

Javier Cáceres (SZ 22.3.): „Als sich Jens Nowotny anschickte, die Stätte des ersten Auswärtssieges Leverkusens des laufenden Jahres zu verlassen, war in seinen Augen ein fragender, erwartungsvoller Blick auszumachen: Nowotny hatte nicht gespielt. Doch hieß dies nicht, dass er nicht doch ein Thema gewesen wäre, dass sein Name nicht doch hin- und hergeworfen worden wäre zwischen Journalisten und Fußballern, dass Nowotny also nicht doch Protagonist gewesen wäre: als der wohl einzige Verlierer der siegreichen Leverkusener Expedition. Denn für die Rheinländer war der uneingeschränkt verdiente Triumph gegen Rostock (Hansa-Trainer Schlünz: „Sie haben uns unsere Grenzen aufgezeigt) der zweite Sieg hintereinander; angesichts des bisher rätselhaft verlaufenen Jahres mutete dies fast schon wie eine „Serie an. Und neben dem Umstand, dass Leverkusens Führung gegen Wolfsburg und Hansa jeweils auf Dimitar Berbatow zurückging, hatten die Siege eben auch dies gemeinsam: dass Nowotny nicht vermisst wurde, weil Lúcio und Juan in der Innenverteidigung brillant harmonierten. Am Samstag geschah dies vor allem in der ersten Halbzeit. Als Leverkusen gemäß einer (etwas übertriebenen) Schelte von Trainer Klaus Augenthaler „nicht bundesligawürdig agierte, hielten die Brasilianer Leverkusen zusammen. Als „überragend feierte Leverkusens Manager Rainer Calmund die Leistung von Juan und Lúcio, wiewohl er dann doch relativierte: „Dat sin ja brasiljanische Nationalspiller, et ess also nit janz verrückt, dat die hinge joot stehn. Und auch Augenthaler mutmaßte, dass es für Juan und Lúcio „eine Sache der Ehre gewesen sein dürfte, „einen 35-Jährigen wie Martin Max auszuschalten. So gesehen bildete sich Lúcio erstaunlich viel darauf ein, dass sein Team „gegen einen der zurzeit besten Artilleristen der Liga zu Null gespielt habe.“

1. FC Kaiserslautern – VfL Bochum 2:2

Peter Heß (FAZ 22.3.): “Zwei Tore geschossen, dem Klub im Abstiegskampf einen Punkt gerettet: eine Menge Bundesligaspieler nutzen den freudigen Anlaß, sich einen Lorbeerkranz zu winden. Andere kokettieren dann mit ihrer Bescheidenheit, nach dem Motto: Es ist egal, wer die Tore schießt. Meist konterkarieren ihre vor Selbstzufriedenheit sprühenden Augen und ihre stolz geschwellte Brust die Aussagen. Wenn Vratislav Lokvenc auf die Glückwünsche zu seinen beiden Toren abwehrend die Hände hebt, wirkt das überzeugend. Ich hätte doch noch das 3:2 schießen müssen, sagt er mit traurig gesenktem Blick. Sieben Minuten vor dem Abpfiff hatte er frei stehend den Ball über das Bochumer Tor geschossen und damit die große Gelegenheit verpaßt, im Alleingang aus einem 0:2-Pausenrückstand einen Lauterer Sieg zu machen. Der tschechische Nationalstürmer zählt zu den äußerst angenehmen Zeitgenossen der Unterhaltungsbranche Fußball. Freundlich, höflich, gut erzogen, immer im Dienste der Mannschaft. Er ähnelt seinem Landsmann und Kollegen Jan Koller in Charakter, Spielweise und Statur. Mit seinen 1,94 Metern Körpergröße und 88 Kilogramm Gewicht erreicht Lokvenc zwar nicht ganz das Format des Zweimeterhünen Koller, doch ein XL-Stürmer ist auch er. Dabei überrascht der Lauterer wie der Dortmunder mit seiner für die Größe eleganten Ballführung und ausgefeilten Ballbehandlung. Spielverständnis und der Wille zur Mitarbeit in der Defensive adeln sein Spiel zusätzlich. Seine Stärken gehen weit über das Kopfballspiel hinaus, für das ihn sein Körper prädestiniert.“

Peter Heß (FAZ 22.3.): “Daß die Lauterer sich wieder einmal zu einer begeisternden Aufholjagd auf dem Betzenberg aufrafften, hatte zwei Gründe. Zum einen den Fehler des bis dahin überragenden Torwarts van Duijnhoven, der das 1:2 ermöglichte – der Holländer klatschte den Ball nach einem Weitschuß von Bjelica genau vor die Füße von Lokvenc. Zum anderen machte das fanatische Pfälzer Publikum den Profis Beine. Die Zuschauer haben hundertprozentig Einfluß auf unsere Leistung, sagte Lokvenc nach dem Spiel. Ich liebe diese Atmosphäre. Der Kaiserslauterer Trainer Kurt Jara hatte seinen Spielern schon zur Pause Mut zugesprochen: Ihr spielt jetzt auf das Tor vor der Fankurve, wenn ihr den Anschlußtreffer erzielt, ist noch alles möglich. Die Belegschaft der Westkurve erfüllte dann alle in sie gesetzten Hoffnungen. Hier ist die Hölle, lautet der Lieblingsspruch der rührigsten Anhänger der Roten Teufel vom Betzenberg, und sie heizen den Gegnern wirklich gehörig ein. Lokvenc wünschte sich, die Hölle wäre auch noch an anderen Stellen des Stadions los. Wir sollten immer auf das Tor dieser Fans spielen, am besten würden sie zur Halbzeit die Tribüne wechseln. Das überschäumende Pfälzer Fußball-Temperament kann aber auch eine lähmende Wirkung haben. FCK-Linksverteidiger Bill Tchato wurde nach seinem verhängnisvollen Rückpaß, mit dem er Hashemian das 1:0 vorlegte, gnadenlos verhöhnt. Trainer Jara erlöste ihn nach 20 Minuten vom Spießrutenlaufen: Bevor die Stimmung auf der Tribüne auch die anderen verunsicherte, habe ich ihn lieber ausgetauscht. Zu diesem Zeitpunkt, gegen Ende der ersten Halbzeit, war die reifere Bochumer Spielanlage noch zum Tragen gekommen.“

Borussia Mönchengladbach – Hamburger SV 3:0

Gregor Derichs (FAZ 22.3.): „Gladbach befand sich zuletzt in einer großen Krise, zumindest in einer großen Stimmungskrise. Alles ist bei uns schlechtgeredet worden. Aber so übel wie behauptet ist es nicht mit uns, sagte Jeff Strasser. Bewußt grenzte er sich mit dieser Aussage von seinem Trainer ab: Ich sage nur meine Meinung. Strasser war früh ein Opfer der kritischen Analysen von Trainer Fach geworden, der ihn im vorigen Jahr zum Sündenbock der Niederlage bei Hertha BSC Berlin gemacht hatte. Der Höhepunkt der verbalen Angriffe des Trainers auf sein Personal folgte dann in der vergangenen Woche. Daß ihr Trainer ihnen permanent vorwarf, sie könnten überhaupt nicht Fußball spielen, traf die Borussen noch mehr als die Niederlagen, die Fachs Kritik ausgelöst hatte: Die durch ein Eigentor in der Schlußphase entstandene Niederlage in Bochum und das Scheitern im Halbfinale des DFB-Pokals bei Alemannia Aachen. Etliche Profis empfanden diese Kommentare als ehrabschneidend. Fachs vernichtende Analysen wirkten zuletzt kontraproduktiv. Wie schon mehrmals zuvor hatte er in Bochum seinen Spielern Dummheit vorgeworfen, in Aachen kam sein Fazit einer Abrechnung gleich. Den Spielern mangele es schlicht an Qualität. Wer ihnen was anderes sagt, lügt, erklärte Fach. Als über seine brutale Bilanz berichtet wurde, distanzierte er sich und behauptete, diese Aussagen wären vertraulich gewesen. Die Stimmung am Bökelberg war vor dem HSV-Spiel am Tiefpunkt angelangt. Selten hatte ein Trainer, der nach der Erfolgsserie zum Ende des vorigen Jahres gefeiert wurde, innerhalb weniger Wochen dermaßen an Sympathie bei seinen Spielern verloren. Kollektiv wurden die Gladbacher nach dem Pokal-Aus von den Fans in die Mangel genommen. Es hat sehr weh getan, womit wir konfrontiert wurden. Das waren Beleidigungen übelster Art, sagte Fach. Auch die Mannschaft bekam symbolische Hiebe. Die Fans hatten vor Spielbeginn – ähnlich wie die Leverkusener eine Woche zuvor – alle Zuschauer zum stillen Protest bis zum Anpfiff aufgerufen. 33 000 Stadionbesucher übten sich in ungewohnter Zurückhaltung, die erst beim Einlaufen der Gladbacher Elf aufgegeben wurde. Pfiffe und Pfui-Rufe bekamen die Borussen zu hören. Er habe die Aktion nicht ganz verstehen können, sagte Fach.“

Schalke 04 – Hannover 96 2:2

Richard Leipold (FAZ 22.3.): “Während Heynckes die Schwächen in erster Linie inhaltlich analysierte, suchte Assauer die Ursache für das Scheitern seines Neun-Punkte-Plans in der Verletztenliste. Der Manager studierte auf dem Podium des Presseraums die Statistik, die freundliche junge Damen nach dem Schlußpfiff reichen. Sein Blick galt weniger der Zweikampfbilanz, der prozentualen Aufteilung des Ballbesitzes oder der Gelb-Roten Karte, die 96-Stürmer Idrissou wegen wiederholten Foulspiels vorgehalten bekam. Assauer schaute auf die Mannschaftsliste der Einheimischen und staunte – oder tat wenigstens so. Wer vor einem halben Jahr eine derart jugendliche Schalke-Elf angekündigt hätte, dem hätte er geantwortet: Du bist bekloppt. Wie beim vorherigen 0:3 in Frankfurt mußten die Westfalen auf fünf Stammkräfte verzichten. Heynckes bot Spieler wie Lamotte, Pinto und Kläsener auf, später auch Hanke. Deren Bemühen wollte Assauer nicht geringachten, aber er kam auch nicht umhin festzustellen, daß der FC Schalke Profis, die eine gewisse Klasse haben wie Poulsen oder Kobiaschwili, nicht ersetzen kann. Ist der von Heynckes propagierte Pfad der Jugend trotzdem richtig? Assauer reagierte säuerlich, nicht auf die Frage, sondern auf die Antwort vieler Fans. Wie die Anhänger zu der jungen Generation stehen, wenn ihr Fehler unterlaufen, habe jeder gesehen – und gehört, vor allem beim Pfeifkonzert in der ersten Halbzeit. Während die Nachrücker erst am Anfang stehen, hat manch erfahrener Spieler keine günstige Prognose in Schalke. In der Schlußphase sah Heynckes sich genötigt, Profis wie Agali oder Seitz einzuwechseln, die gehobenen Bundesliga-Ansprüchen auch als Männer in den besten Fußballspielerjahren nicht genügen. Schalke leidet nicht allein unter Verletzungspech und Jugend-Sünden.“

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Torschützen – Tabellen – Zuschauer NZZ

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Über das Endspiel um den Weltcup am 27.11. in Tokio, welches der FC Bayern gegen den Vertreter aus Südamerika – die Boca Juniors – , mit 1:0 gewann

Die Autoren sprechen einstimmig von einem verdienten Sieg der Bayern und betonen gleichzeitig die Ereignislosigkeit des Spiels. Ludger Schulze (SZ 28.11.) verspürte „eine geradezu ZEN-buddhistische Gelassenheit“ auf dem Rasen, was aus Sicht Jochen Schlossers (Welt 28.11.) primär auf die defensive Einstellung der Argentinier zurückzuführen war. Als angenehme Überraschung empfand Martin Hägele (FR 28.11.) die Tatsache, dass es Sammy Kuffour vorbehalten blieb, das Siegtor zu schießen. „Wenn Glück ein Gesicht hat, dann kommt es aus einem strahlenden schwarzen Antlitz, in dem Augen und Zähne um die Wette blitzen.“

Ebenso überraschend und gegen europäische Traditionen handelten die überschwänglich jubelnden siegreichen Bayern-Spieler, die „gemeinsam singend und hüpfend feierten“ (Schulze). Schließlich wird diesem Wettbewerb in unseren Breitengraden wenig Bedeutung beigemessen. Franz Beckenbauer erklärte vor dem Spiel: „Bedeutung hat das nicht, ob man gewinnt oder verliert“ und sprach von „ein bisschen Obergiesing gegen Untergiesing“. Philipp Selldorf (SZ 28.11.) sah in dem Fernost-Ausflug der Bayern primär einen WM-Testfall für die Fernsehzuschauer, während sich Sven Beckedahl (Welt 28.11.) in demonstrativem Desinteresse und augenzwinkernd mit den ehelichen Verfehlungen von Ottmar Hitzfeld und Sammy Kuffour befasste. Stefan Hermanns (Tagesspiegel 28.11.) empfand die Diskrepanz der Aussagen mancher Beteiligter vor sowie nach der Partie („Jetzt sind wir die Besten der Welt“, „der FC Bayern hat Geschichte geschrieben“) als Heuchelei und bemerkte ironisch: „Es ist nun wohl an der Zeit, ehrfürchtig das Haupt zu neigen […] voller Bewunderung für den großen FC Bayern aus München. Endlich sind die Bayern das, was sie schon immer zu sein glaubten: die beste Fußballmannschaft der Welt. […] Die Münchner haben natürlich schon immer gesagt, dass es für sie nichts Bedeutenderes gibt als den Titel des Weltpokalsiegers.“

Die Argentinier hingegen haben das Spiel offensichtlich ernster genommen. Darauf lassen erstens deren Reaktionen nach dem Spiel schließen. „Dieselben Argentinier, die eben noch kraftvoll zugetreten hatten, heulten jetzt die Tränen der bitteren Endspielniederlage“ (Selldorf). Zweitens sahen das die Verantwortlichen des Siegers ähnlich, so Uli Hoeneß: „Die haben von Anfang an nur Foul gespielt. Die versuchen immer nur, den Schiedsrichter reinzulegen.“ Nach Angaben von Pressesprecher Hörwick wäre es während der Halbzeitpause im Kabinengang sogar fast zu Handgreiflichkeiten gekommen zwischen dem kurz zuvor wegen einer Schwalbe des Feldes verwiesenen Delgado und Oliver Kahn. Wenigstens die Südamerikaner haben demnach alte Traditionen dieses Wettbewerbs auf ihre Weise pflegen wollen.

siehe dazu auch:

Sieger Trondheim (29.11.)

Unterschiedliche Auffassungen – und doch Einigkeit (27.11.)

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Thorsten Fink

Thomas Becker (FR 17.4.) verabschiedet Thorsten Fink aus der Bundesliga. „Es musste so kommen. Wer sonst hätte es machen sollen? Es war die Zeit der großen Sinnkrise des FC Bayern – ein verregneter Dienstagvormittag im November 2002. In beispielloser Weise hatte der verwöhnte Allessieger zuvor die Berechtigung verloren, weiterhin Champions-League-Fußball zu spielen – eine Majestätsbeleidigung. Dass die Welt einfach weiter spielte, als sei nichts geschehen, fuchste die vermeintlichen Herrscher gewaltig. So gewaltig, dass sie ihre Wut aneinander ausließen: Zuerst Nico Kovac an Lizarazu, und dann suchte Kuffour die nonverbale Kommunikation mit Jeremies. Die TV-Kameras hatten die ersehnten Bilder zum Bayern-Desaster. Und wer warf sich dazwischen? Klar: Thorsten Fink, wenige Tage zuvor noch eher mäßig bejubelter Eigentorschütze gegen Lens. Mannschaftsspieler bis zur Selbstaufgabe. Einer, der sich auch ein blaues Auge abholt, wenn es dem Team nützt. Bei Fink stimmt das viel zu oft verwurschtete Bild vom Ärmel-hoch-Krempler, der auch dahin geht, wo es weh tut: vor Kuffours Faust, Dienstag, 26.November, 10.58 Uhr. Was Fink noch nicht wusste: Es war sein letzter großer Auftritt beim FCB. Danach folgten noch 90 Minuten im Pokal gegen Hannover und zwei Minuten Bundesliga gegen Stuttgart. Das war am 7. Dezember. Seitdem hat Fink noch vier Mal um Punkte gespielt: in der Regionalliga Süd. Gegen Hoffenheim, Elversberg, Stuttgarter Kickers, Regensburg. Statt Real, Arsenal, Milan. Mit Mannschaftskameraden wie Ochs, Husterer oder Guerrero, statt Kahn, Ballack, Elber. Fink, der im Oktober 36 wird, ist an jenem Ort angekommen, den Fußballer fürchten wie Radfahrer den Besenwagen: im so genannten Austragsstüberl.“

Interview mit Luizao Tsp

Interview mit Paul Freier SpOn

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Juve siegt zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten auf spanischem Boden – van Nistelrooy, Manchesters Wunderstürmer – Rivaldo, der nackte Kaiser von Mailand – Ajax, die Überraschungself

Zwei offensiv ausgerichtete, keineswegs zweikampfscheue Teams

Die NZZ (23.4.) berichtet vom Weiterkommen Juves. „Hielt das mit vielen Affichen hochstilisierte Aufeinandertreffen zwischen Barcelona und Juventus Turin, zwischen zwei traditionsreichen Grossvereinen des europäischen Fussballs, was es versprach? Oder war es nicht nur eine Kopie so mancher von der nüchternen Kalkulation bestimmter Europacup-Partien? Erfreulicher-, nach dem schwachen Hinspiel vor zwei Wochen eher unerwarteterweise traf Ersteres im Gesamturteil trotz vielen technischen Ungereimtheiten zu. Torszenen zuhauf, ein hoher Rhythmus und zwei offensiv ausgerichtete, keineswegs zweikampfscheue Teams lieferten sich vor allem nach der Pause einen spannenden Kampf auf Biegen oder Brechen, in dem sich letztlich unerwartet die in dieser Saison international einzig in Kiew auswärts erfolgreichen Piemonteser dank einem Lucky Punch durch Zalayeta sechs Minuten vor Schluss trotz numerischer Unterzahl in der Verlängerung durchzusetzen wusste. Ähnlich vom Glück begünstigt wie in diesem Frühjahr im Heimspiel gegen La Coruña – aber auch nicht unverdient (…) Angst müssten nur die Italiener haben, tönte es im dicht gedrängten Publikum schon Stunden vor dem Match vor den Stadiontoren. Zumindest der grösste Teil des Spielgeschehens sollte den katalanischen Fans Recht geben, denn der Platzklub begann wie ein Hausherr, dominant, druckvoll, konzentriert, sicher in den Ballstafetten und liess den Turinern wenig Verschnaufpausen – im Besonderen auch in der Verlängerung. Besonders augenfällig war dabei, wie schnell die Spanier in der Angriffsauslösung das Mittelfeld überquerten, wie effizient Xavi und Luis Enrique die Bälle sofort an die Sturmspitzen Saviola und Kluivert weiterleiteten. Dies hatte einige Male zur Folge, dass die sonst fast hermetische Abwehr des Gastklubs Lücken zeigte.“

Einen, der keine Probleme macht, sondern löst, will jeder

Christian Eichler (FAZ 23.4.) porträtiert den holländischen Wunderstürmer in den Reihen der Mancunians. „Hätte die Trainer-Ikone Alex Ferguson des früheren Gewohnheitsmeisters Manchester United neben dem Luxuskicker Juan Veron, dem Chancentod Diego Forlan und dem 46-Millionen-Euro-Ausputzer Rio Ferdinand nicht wenigstens einen großen Transfertreffer erwischt, er hätte wohl auf die späten Tage noch seinen guten Ruf riskiert. Doch die 74 Tore in 97 Spielen von Ruud van Nistelrooy sind wie ein Schutzschild gegen jede grundsätzliche Kritik am international inzwischen wohl etwas verstaubten Sachverstand von Sir Alex. Die dreißig Millionen Euro, die man dem PSV Eindhoven zahlte, haben sich trefflich rentiert. In diesem Frühjahr legte der reichste englische Klub noch einmal mehr als das drauf, um van Nistelrooy langfristig zu binden. Für einen neuen Vertrag hob man den Stürmer in die Gehaltsklasse von Kapitän Roy Keane und Showstar David Beckham und garantierte ihm für die kommenden fünf Spielzeiten jeweils zwischen sieben und acht Millionen Euro. Van Nistelrooy gilt als intelligent, bescheiden, fleißig, ohne Allüren. Privat ist er häuslich, beruflich aber ständig in Bewegung, und vor allem schießt er Tore. So einen, der keine Probleme macht, sondern löst, will jeder (…) Neun Tore in den letzten sechs Spielen bezeugen unterdessen van Nistelrooys Gefährlichkeit. Noch imposanter ist die Saisonstatistik der Champions League. Für seine elf Tore in nur acht Spielen benötigte er nur 25 Schüsse, von denen nur fünf das Tor verfehlten – eine schier unglaubliche Zielsicherheit, die um Längen vor allen anderen Topstürmern Europas liegt. Diese Effektivität zeigt sich auch in der kühlen Dynamik, mit der van Nistelrooy seine Elfmeter verwandelt. Nachdem er seinen ersten für Manchester verschossen hatte, hat der 26jährige Niederländer 16 Elfmeter in Folge verwandelt, fast alle wuchtig halbhoch in die linke Ecke. Nahezu alle Torhüter wissen das inzwischen, trotzdem kommt keiner hin (…) Nach jedem Training übt er noch ein paar Elfmeter. Sie gehören zu seiner Definition des kompletten Angreifers, gemäß seinem großen Vorbild Marco van Basten, mit dem ihn der frühere Bondscoach Michels längst vergleicht. Anders als etwa Ronaldo oder Henry, die nicht richtig köpfen können, macht er alle Arten von Toren: mit links, mit rechts, per Kopf, aus dem Gewühl oder mit Gefühl. Der mentale Krampf mancher Kollegen, daß ein Tor auch noch schön sein muß, ist ihm fremd.“

Zur Stimmung in Manchester NZZ

Die traurigen Fußballer haben noch nie gewonnen

Birgit Schönau (SZ 23.4.) porträtiert den bislang enttäuschenden Weltmeister in den Reihen des Berlusconi-Klubs. „Jahrelang war Rivaldo von den Großklubs der Serie A umworben worden, als sei er jener taubeneigroße Diamant, der ein kostbares Geschmeide von Weltklasse-Kickern erst zum Funkeln brächte. Die Tifosi von Inter, Lazio und dem AC Mailand träumten von diesem „Außerirdischen“, den ihnen die Präsidenten ihrer Klubs in jedem Sommer wieder versprachen. Märchenhafte Summen zirkulierten in den Sportgazetten, viele Kicker waren ja sündhaft teuer, doch Rivaldos Wert übertraf sie alle. Immer sah es so aus, als müsse er nur noch unterschreiben, aber am Ende blieb er doch in Barcelona. „Es wäre Wahnsinn, ihn zu kaufen“, urteilte Silvio Berlusconi. Man schrieb das Jahr 2000. Rivaldo war damals Weltfußballer des Jahres, und im vergangenen Sommer wurde er auch noch Weltmeister. Da holte Berlusconi ihn tatsächlich nach Mailand. Ablösefrei, mit einem Dreijahresvertrag über fünf Millionen Euro jährlich, selbstredend netto. Die italienische Sportpresse jubelte über diesen Coup, den einzigen auf einem erloschenen Transfermarkt. Rivaldo präsentierte sich den Milan-Fans an einem heißen Augusttag auf dem Balkon des Hotels Gallia. Er war ganz in Schwarz gehüllt, das ließ ihn noch schmaler, noch eleganter und noch härter erscheinen. Der AC Mailand verkaufte im Handumdrehen 50762 Saison-Dauerkarten, ein Rekord (…) Vor allem wollten sie Rivaldo sehen. Auf das erste Tor mussten sie lange warten. Erst am 20. Oktober traf Rivaldo, gegen Atalanta Bergamo. Vorher jedoch zeigte er ein paar artistische Einlagen, die das Publikum zum Raunen brachten und seine Chefs zu Lobeshymnen hinrissen. Im Derby gegen Inter lieferte er seinem Mitspieler Serginho eine perfekte Vorlage zum Siegtor, in der Champions League besiegte er Lokomotive Moskau fast im Alleingang. Doch da war er schon mitten in der Krise. Rivaldo, der Außerirdische, war wie ein Prinz in Mailand eingezogen, und nun sahen die Fans: Der Kaiser war nackt. Langsam, phantasielos, hölzern gar, ein Fremdkörper in einem Gefüge (…) In Mailand hatte Rivaldo sich von seiner Frau getrennt, die mit den beiden Kindern zurück nach Brasilien gezogen ist. Er sieht seine Kinder kaum. Seine Mitspieler berichten, dass sich der große Rivaldo, der bei Barcelona wegen seiner divenhaften Allüren berüchtigt wurde, zusehends in sich selbst verschlossen hat. Auf dem Platz wirkt er ernst, bedächtig, traurig. „Die traurigen Fußballer haben noch nie gewonnen“, lautet eine Zeile des italienischen Liedermachers Francesco De Gregori.“

Die Jungen sind gierig

Zur Situation bei der Überraschungself in der diesjährigen Champions League heißt es bei Andreas Morbach (FR 23.4.). “Jari Litmanen ist der letzte. Blutjunge Kollegen wie Rafael van der Vaart oder Wesley Sneijder haben ihr Lächel- und Autogramm-Pensum zwischen Ajax-Trainingsgelände und Amsterdam Arena in eiliger Routine abgespult, sind längst im Bauch des monströsen Stadions verschwunden. Doch Litmanen, 32, lächelt geduldig für die Fotos, die bald in den Zimmern niederländischer Teenager hängen werden. Der Finne hat Zeit. An ihm rauschen 18-, 19-, 20-jährige Fußballer vorbei, die Ajax Amsterdam in diesem Jahr zu einem unerwarteten Höhenflug durch die Champions League verholfen haben. Und Litmanen klaubt sich in aller Ruhe eine Handvoll von den Orangen- und Mandarinenstückchen zusammen, die ein Mann mit Bauarbeiterhelm den Profis auf einem großen Teller serviert. Dann erzählt der Angreifer, der 1995 dabei war, als Hollands Vorzeigeklub im Finale gegen den AC Mailand zum letzten Mal die Champions League gewann, wie das ist mit der Generation, die viele bereits mit den großen Ajax-Teams der Siebziger, Achtziger und Neunziger vergleichen. Die Zeiten sind wieder besser, sagt Litmanen. Kein Zweifel: Vor vier Jahren lief Ajax in der keineswegs starken Ehrendivision schmachvoll als Sechster ein, im Uefa-Cup schied man gegen schweizerische oder dänische Durschnittsteams aus. Und plötzlich spielen sie heute Abend beim AC Mailand um einen Platz im Halbfinale der Champions League (…) Kein Prophet muss man sein, um zu wissen, dass auch die jetzige Ajax-Generation bald über ganz Europa verstreut sein wird. Denn die Jungen sind gierig. Im Moment bangen sie in ihrer Liga um Rang zwei und um die Chance zu weiteren Glanztaten in der nächsten Champions-League-Saison.“

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Defensivkräfte werden nicht honoriert

Thomas Klemm (FAZ 23.12.) sieht Torhüter Oliver Kahn bei den Wahlen zum Weltfußballer des Jahres (stimmberechtigt: 130 Nationaltrainer) vernachlässigt. Obwohl er im Gegensatz zu Sieger Luis Figo internationale Titel (Champions League, Weltpokal) sammelte, musste sich „Hauptdarsteller“ Kahn mit einer „Nebenrolle“ (Klemm) begnügen. Auf Grund seiner herausragenden Leistungen hätte Kahn es verdient gehabt, wird auch David Beckham zitiert, welcher Zweiter wurde. Jedoch werden die Leistungen der Defensivkräfte von der FIFA traditionell nicht gebührend honoriert. Noch nie hat ein Verteidiger oder ein Torwart die Wahl gewonnen. Offenbar interpretiert man ihre Beiträge zum Spiel ausschließlich als reaktiv bzw destruktiv, während die als kreativ geltenden Offensivspieler stets bevorzugt würden. „Alle Jahre wieder müssen sich die Schlussmänner hinten anstellen“ (Klemm). Auch Reinhard Sogl (FR 19.12.) und Robert Dunker (Welt 19.12.) stellen Wertigkeit und Aussagekraft dieser Wahlen ob deren Einseitigkeit in Frage.

Immerhin haben die Journalisten die Leistungen des Torhüters höher eingestuft. Zwar votierten sie Michael Owen zu Europas Fußballer des Jahres (stimmberechtigt: 51 Journalisten aus 51 Ländern Europas). Oliver Kahn gestatteten sie mit Rang drei einen Podestplatz. Nach Jaschin (1963 Sieger), Zoff (1973 Zweiter) und Victor (1973 Dritter) ist der Torhüter ohne Lobb y erst der vierte seiner Zunft und überdem erster Deutscher.

über eine andere Wahl

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„Erlebnispark Bundesliga“

„Erlebnispark Bundesliga“, freut sich die FAZ über viele Geschehnisse und viele Geschichten am 5. Spieltag der Fußball-Bundesliga: „Frische neue Kräfte oder verdiente Spieler in alter Frische machten die Liga zu einer Wundertüte mit allerlei Knalleffekten.“

Knalleffekt Nummer Eins: der VfL Wolfsburg schafft einen „historischen“ Sieg über den FC Bayern München; das haben sie sich bisher nie getraut. Baiano, Wolfsburgs neuer Argentinier, schießt bei seinem Debüt zwei Treffer und mopst Bayern-Star Roy Makaay die Schau. „Makaays erstes Tor – ein Fall für die Statistik“, spottet die FR. Knalleffekt Nummer zwei: Hertha BSC Berlin, Hauptstadtverein mit Ansprüchen und ohne Tore, trifft endlich und verliert nach 2:0-Führung das Heimspiel gegen Hannover 96. Die FR kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen: „Makaay und Bobic treffen und gehen leer aus: Tore fürs Poesiealbum.“ Hannover und Wolfsburg sind die Sieger des Tages – nicht nur des Tages? Die SZ behauptet steif und fest, dass die Landkarte der Fußball-Macht durcheinander geraten ist: „Niedersachsen gibt den Takt vor, in dem sich die Liga wiegt, hier schaukeln sich just zwei konkurrierende Fußballkonzerne hoch, die dem Alltag ein neues Gesicht geben könnten.“ Knalleffekt Nummer drei: Liga-Cup-Sieger und Uefa-Pokal-Teilnehmer Hamburg ist neues Schlusslicht, Bezwinger Leverkusen abermals Erster. Experten und „Gurus“ hatten für beide Vereine einen anderen Verlauf der Dinge angekündigt. Doch wer wundert sich über Leverkusen?

Sobald es dunkel wird, kommt von irgendwo ein neuer Spieler her

Richard Leipold (FAZ 15.9.) freut sich über Überraschungen und Verblüffungen. “Manchmal, wenn niemand damit rechnet, zaubern Trainer unbekannte Größen von der Reservebank – oder altbekannte Spieler, die vom Nebengleis flugs wieder in die Erfolgsspur wechseln. Die Gründe für diese Art der Personalpolitik sind vielfältig. Mal ist die Not so groß, daß eine Tugend daraus werden muß; mal bildet die Intuition eines Fußball-Lehrers die Basis für eine Premiere oder ein Comeback, mit dem das Publikum und der Profi selbst nicht gerechnet haben. Dann kommen die jugendlichen wie auch die nicht mehr ganz taufrischen Helden aus der Tiefe des Raumes oder der Abstellkammer, aus dem Ausland oder von der Tribüne. Der fünfte Akt im Volkstheater Fußball-Bundesliga hat besonders vielen dieser Neuankömmlinge oder Zweitbesetzungen eine tragende Rolle zugewiesen. Wer kannte schon Fernando Baiano? Der Brasilianer steuerte in seinem ersten Spiel für den VfL Wolfsburg sogleich zwei Tore zum historischen ersten Sieg seines Klubs über Bayern München bei; nun kennt ihn (fast) jeder deutsche Fußballfan. Die Neuen und die Neuentdeckten kamen, sahen und trafen. Der jüngste Spieltag bestätigte endlich einmal die Trainerfloskel, daß jeder Profi in einem noch so umfangreichen Aufgebot gebraucht werde. Zu den Verfechtern dieser These zählt seit langem der Dortmunder Fußball-Lehrer Matthias Sammer. Weil eine unglaubliche Serie von Verletzungen ihm recht gibt, kann er froh sein, einen Stürmer wie Ewerthon in der Hinterhand zu haben. Nach dem Ausfall Amorosos nutzte der Brasilianer gegen Werder Bremen die Gelegenheit, sich in Erinnerung zu bringen und beim Torjubel auch noch seine Internet-Homepage vorzustellen. Frische neue Kräfte oder verdiente Spieler in alter Frische machten die Liga in der Woche nach den Länderspielen zu einer Wundertüte mit allerlei Knalleffekten. Die alten und die neuen Hauptdarsteller der Liga lieferten ein Komplettprogramm und zugleich ein Kontrastprogramm der Unterhaltungsbranche Bundesliga, das die wenigsten erwartet hätten. Ein Grund mehr für das Publikum und die Protagonisten, nicht zu resignieren, wenn Langeweile aufzukommen scheint. Sobald es dunkel wird, kommt von irgendwo ein neuer Spieler her. Oder ein alter.“

Jörg Hahn (FAZ 15.9.) fügt hinzu. „Der fünfte Spieltag hatte auch deshalb die Anmutung eines neuen Saisonanlaufs, weil bislang weitgehend unbekannte Darsteller sich schlagartig einen Namen machten, zum Beispiel Baiano und Kleber. Ob aus Momentaufnahmen Erfolgsgeschichten mit Seriencharakter werden, dürfte sich erst im Spätherbst zeigen, wenn die Blätter gefallen und die Stadien in Nebel gehüllt sind. Vor drei Wochen waren Leverkusen und Dortmund noch Verlierer des Tages, Bremen und die Bayern gehörten zu den Siegern. Diesmal also das umgekehrte Bild, wobei die Borussia sich letztlich dank des kuriosen Werder-Eigentores feiern lassen konnte. Daraus eine Trotzreaktion – wohl eine Art Dortmunder Völler-Effekt – auf die öffentliche Kontroverse nach der gescheiterten Qualifikation für die Champions League um leistungsorientierte Bezahlung und Gehaltsverzicht abzuleiten, wie Manager Michael Meier und Trainer Matthias Sammer es tun, ist auf alle Fälle gewagt. Und ob im Falle der beinahe abgestiegenen Leverkusener wirklich schon eine wundersame Wandlung vom Problemfall zum Spitzenteam stattgefunden hat, steht auch erst in einigen Wochen oder Monaten fest. Beängstigende Kontinuität ist am ehesten schon bei Schalke und Hamburg zu beobachten. Beide Mannschaften kommen nicht richtig in Fahrt.“

siehe auch Pressestimmen zu den einzelnen Spielen

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Riesen schrumpfen lassen, um selbst zu wachsen

Hamburger SV – Werder Bremen 1:1

Wie ein Klon der Bayern aus den Achtzigern

Nach Auffassung von Frank Heike (FAZ 1.12.) sei für Bremen mehr drin gewesen: „Eigentlich hätte sich Thomas Schaaf ärgern müssen. Eine Halbzeit lang führte der SV Werder Bremen den Hamburger SV vor. Viel größer als nur das eine Tor durch Fabian Ernst war der Unterschied zwischen den beiden Mannschaften; Werder spielte so selbstbewußt, so abgeklärt, wie ein Klon der Bayern aus den Achtzigern. Und das auswärts. Der Ball lief von Mann zu Mann, und kam einmal ein Hamburger dazwischen, ließen ihn Johan Micoud oder der die Grenzen der Überheblichkeit manchmal überschreitende Valerien Ismael, schwupps, einfach durch eine Körpertäuschung ins Leere laufen. Es war wie Männer gegen Jungen. Die Hamburger mußten sich in all ihrer Hüftsteife, Biederkeit und Unfähigkeit, das Spiel vor heimischer Kulisse zu machen, entlarvt vorkommen. Doch irgendwie lullte sich Werder auch ein, mit dem tollen Kombinationsfußball, der einfach nicht zum zweiten Treffer führen wollte. Sie berauschten sich an den Ballstafetten und vergaßen das Wesentliche. So kam am Ende nur ein 1:1 heraus.“

Riesen schrumpfen lassen, um selbst ein Stück zu wachsen

Jörg Marwedel (SZ 1.12.) erforscht die Seelenlehre Klaus Toppmöllers: „Zu den letzten Geheimnissen des Fußballs zählt gewiss die Kraft des Wortes, gesprochen während der Mannschaftssitzung in trüben Hotelkonferenzräumen oder in kahlen Kabinen während der Halbzeitpause. Zu gern wäre man einmal dabei, per Live-Schaltung. Weil aber das Mikrofon am Revers der Trainerjacke in diesen intimen Momenten noch immer tabu ist, muss die Außenwelt weiter darauf hoffen, dass ein paar Beteiligte zuweilen ausplaudern, wie es sich mit der Suggestion hinter verschlossenen Türen verhält. Nach dem 1:1 ließen sich immerhin ein paar interessante Details über das Wirken des neuen Hamburger Fußballlehrers Klaus Toppmöller in Erfahrung bringen. Eines hat der HSV-Profi Collin Benjamin verraten: der Trainer habe der Mannschaft gesagt, „dass die Bremer gar nicht so stark sind, wie jeder erzählt“. Kein schlechter Versuch, den größten Unterschied klein zu reden, den es je vor einem Nordderby zwischen den beiden Rivalen zu Gunsten Werders gegeben hat. Oder Riesen ein bisschen schrumpfen zu lassen, um selbst ein Stück zu wachsen. Leider muss man diesen Versuch, betrachtet man die erste Halbzeit der Partie, gescheitert nennen. Es gab nur ein Team, das rotierte, zauberte und dem Gegner kaum Zeit zum Atemholen ließ – das des hoch gelobten Tabellenzweiten Werder Bremen, dem sein Trainer Thomas Schaaf später zu Recht bescheinigte, „phantastisch losgelegt“ zu haben. Die Hamburger dagegen standen dabei oder liefen hinter- und nebenher, als übe die Kunst der Kontrahenten eine lähmende Faszination aus (…) Dann folgte Toppmöllers zweiter Versuch, dem Team mehr Mut einzuhauchen. Er unternahm ihn in der Pause, wie er selber kolportierte. Keineswegs laut, eher in gemäßigtem Ton habe er die Profis gefragt, „warum sie eigentlich Angst hätten“ und ob sie diese Leistung den Kollegen, die nur auf der Ersatzbank säßen, guten Gewissens anbieten könnten. Dann schickte er, zur Bekräftigung seiner Worte, den Hamburger Nationalspieler Christian Rahn von der Bank für Raphael Wicky ins Spiel, was ein Zeichen des Angriffs sein sollte. Und tatsächlich: Mit Rahn endlich wendete sich das Blatt. Plötzlich gerieten die bis dato so unangefochtenen Bremer „in die eine oder andere Not“ (Schaaf); die von ihren Fans auf Transparenten als riesige Spielkarten präsentierten Stars (Herz-Ass Micoud, Pik-Ass Ailton, Kreuz-Ass Lisztes) stachen nicht mehr. Und schuld daran war Christian Rahn.“

Oke Göttlich (taz 1.12.) fügt hinzu: „Es ist nicht überliefert, welche Filme HSV-Trainer Klaus Toppmöller seinen Profis vor dem Spiel gegen Werder Bremen in den Videokonferenzen gezeigt hat. Aber es muss etwas Gruseliges gewesen sein, zumindest wenn man sich die verängstigte Vorstellung des HSV in der ersten Hälfte zu erklären versucht. Auf jeden Fall liegt es nahe, sich vorzustellen, dass Toppmöller seinen Spielern die Furcht per Fernbedienung in die Knochen getrieben hat. Werders 13 Tore aus den vergangenen drei Auswärtsspielen könnten den Missbrauch der Wiederholungstaste des DVD-Players ebenso erklären, wie die vor Tor- und Bilderflut erstarrten HSV-Kicker.“

VfL Bochum – VfB Stuttgart 0:0

Eine Partie im Stil des italienischen Fußballs

Christoph Biermann (SZ 1.12.) ist angetan: „Ein Spiel nach Art der Serie A: Eine Partie im Stil des italienischen Fußballs, in der man vor allem die hohe Kunst der Verteidigung bestaunen konnte. Es regierte die Vorsicht, dennoch wurde es kein Fest der Ängstlichkeiten, sondern eine zugleich intensive und abgeklärte Angelegenheit. Und es spricht für das Bochumer Publikum, dass es beide Teams nach dem Schlusspfiff mit Beifall verabschiedete, obwohl es wenig Chancen oder Torschüsse gesehen hatte. Doch den Aufwand an Konzentration, den beide Mannschaften betrieben, hatten alle gespürt und respektiert. „Ein 0:0 der gehobenen Sorte“, hatte Bochum Coach Peter Neururer gesehen und ausnahmsweise damit untertrieben (…) Einer alten Fußballweisheit zufolge sind es die Abwehrreihen, die Meisterschaften gewinnen. Und in der Defensive, das zeigte sich gerade in Bochum, wo die Stuttgarter in der Offensive kaum große Szenen hatten, liegt der Kern ihres Erfolgs. Obwohl in den letzten Wochen vor allem die Gefahr des Angriffsduos Kuranyi/Szabics, die Eleganz von Hleb oder die Sturmläufe der Außenverteidiger Hinkel und Lahm bestaunt und bejubelt wurden, ist es die spektakulär geordnete Defensivarbeit der Stuttgarter, die das Team zum großen Meisterschaftsfavoriten macht. „Stuttgart ist eine der vielleicht stärksten Mannschaften in Europa“, sagte Bochums Sunday Oliseh, und das war nicht einfach so dahin gesagt.“

Habitus des selbstgewissen Tabellenführers

Martin Teigeler (taz 1.12.) ist enttäuscht: „Wenn es zwischen den Eckfahnen ungemütlich wird, reden sich die Trainer mit warmen Worten die Spiele schön. Eingepackt in einen dicken Anorak stand Bochums Coach Peter Neururer nach Spielende auf dem Platz und behauptete: Das war die beste Heimleistung meiner Mannschaft. Ja, ein teilweise überragendes Spiel wollte Neururer gesehen haben, ein null zu null der absolut gehobenen Kategorie. VfB-Kollege Felix Magath hatte sich mit einem wärmenden Schal vermummt, schmunzelte zufrieden und sagte: Nach dem großen Erfolg gegen Glasgow Rangers war es normal, dass man durchatmet und zufrieden ist, das war okay. Als die 30.088 Zuschauer nach dem torlosen Spitzenspiel längst vor der Kälte geflüchtet waren, machten Magath und Neururer eine rhetorische Wärmestube auf. Dabei hatten die Fans im Bochumer Ruhrstadion langweiligen und risikofreien Herbstfußball zu sehen bekommen. Die Überraschungsteams der Saison agierten, als hätten sie Winterreifen aufgezogen. Der gegenseitige Respekt überführte das Spielfeld von Beginn an in eine verkehrsberuhigte Zone. Stuttgart ging drei Tage nach dem Achtelfinaleinzug in der Champions League komplett auf Nummer sicher (…) Das junge Stuttgarter Team hat schnell gelernt. In Bochum überwachte der VfB das Spiel mit dem Habitus des selbstgewissen Tabellenführers. Kein Schritt zu viel, kein Foul zu wenig, kein Gedanke an die Träume der Fans vom schönen Fußball. Stuttgart kann an schlechteren Tagen wie am Samstag in Bochum bereits vom Ruf des europaweit bekannten Erfolgsteams leben. Zudem wird der Mannschaft von Felix Magath auch schon der branchenübliche Bonus des Bundesliga-Ersten zuteil. Schiedsrichter Edgar Steinborn leistete sich keine schwerwiegende Fehlleistung, aber die Dutzend-Entscheidungen, die in jedem Spiel üblichen Minifouls, Rempler und kleinen Ordnungswidrigkeiten wertete er auffällig oft zugunsten der Gäste.“

Bayer Leverkusen – 1860 München 2:2

Die Canyons in Augenthalers Gesicht waren tief wie der Mariannengraben

Christian Zaschke (SZ 1.12.) berichtet den Groll des Leverkusener Trainers: „Klaus Augenthaler warf sein faltiges Gesicht in Furchen. Der Trainer war unzufrieden. Er war so unzufrieden, dass er sein zerfurchtes Gesicht in Krater und riesige Schneisen warf, tief wie der Grand Canyon. Er sagte erst einmal gar nichts, er schaute. Dann hob er an, analysierte ein wenig, lobte 1860, schließlich knurrte er: „Wir wollten die erste Möglichkeit nutzen, damit 1860 aufmachen muss. Die Möglichkeit war da, in der sechsten Minute für Oliver Neuville.“ Augenthaler sprach den Namen Neuville aus wie eine große Plage, etwa wie: Erst brannte die ganze Stadt aus, aber dann breitete sich auch noch Neuville unter der Bevölkerung aus. Augenthalers Stimme schnitt: „Den muss er machen. Oliver hätte das Spiel in der ersten Halbzeit allein entscheiden können. Aber das zieht sich ja bei uns durch wie ein roter Faden.“ Die Canyons in Augenthalers Gesicht waren jetzt tief wie der Mariannengraben. Armer Oliver Neuville.“

Bayern München – 1. FC Köln 2:2

Unverhoffter Punktgewinn mit Klebestift und Schere

Andreas Burkert (SZ 1.12.) notiert die Worte der Beteiligten nach und vor dem Spiel: „Ottmar Hitzfeld sprach nach der verpassten Kontaktaufnahme mit der Tabellenspitze von einer „großen Enttäuschung, wir haben uns heute blamiert“. Und dann tadelte er einen Spieler öffentlich – das tut er gewöhnlich nicht. Es traf Hasan Salihamidzic, der Kölns 1:0 mit einem sagenhaften Fehlpass eingeleitet und auch den 2:2-Ausgleich begünstigt hatte. „Jeder hat gesehen, dass da nicht die ganze Mannschaft beteiligt war“, stichelte Hitzfeld, „das waren zwei individuelle Fehler von einem Spieler.“ Dass sich Salihamidzic als einziger Bayern-Profi den Analysezirkeln stellte („da sah ich blöd aus“), muss man ihm anrechnen. Es blieb die einzig herausragende Leistung der Gastgeber. FC-Coach Marcel Koller registrierte den ersten Punkt im dritten Einsatz eher verhalten, wiewohl er zufrieden über sein fruchtbares Mentaltraining referierte. Die Woche über hatte er in der Kabine ein Plakat gezeigt, auf dem seine Spieler ein Potpourri der gehässigsten Schlagzeilen der zu allen Gemeinheiten fähigen Kölner Presse studieren konnten. Am Spieltag präsentierte der Schweizer eine selbst erstellte Collage mit positiven Überschriften, damit habe er „die Sonntagspresse nach einer Überraschung in München visualisieren“ wollen. Er darf jetzt behaupten, mit Klebestift und Schere einen unverhofften Punktgewinn erzielt zu haben. Hitzfeld benötigt keine Plakate. Ihm wird diese Woche ein Blick in die Tagespresse zum Aufbau von Wut und Spannung genügen. Dort dürfte zu lesen sein, dass seine Mannschaft ihre Strukturkrise nicht mehr leugnen kann; dass sein Team zusammenhanglos auftritt und in wirklich jedem Mannschaftsteil Gefahren lauern: Die Abwehr ließ sich von den zunehmend geschickt konternden Kölnern weitaus häufiger als im Celtic Park in Aufregung versetzen. Im Mittelfeld behielt am ehesten der pubertierende Jüngling Schweinsteiger die Übersicht. Ballack dagegen nähert sich seinem künstlerischen Tiefpunkt und sieht seine Aufgabe offenbar zunehmend darin, nach misslungenen Alibipässen zu lamentieren.”

Augenwischerei

Roland Zorn (FAZ 1.12.) warnt die Bayern: „Um den Anspruch Erster auf Dauer glaubwürdig zu erheben, müssen sich die Bayern bald finden. Möglichst schon in Bremen am Samstag. Verlieren die Münchner auch dort, wird ein anderer Glasgower Kernsatz von Manager Hoeneß noch oft und höhnisch zitiert werden: Wir werden jetzt wieder voll angreifen, so daß die Gegner vor dem FC Bayern wieder Angst haben müssen. Schon nach dem 2:2 gegen den Letzten ging Bayern-Präsident Beckenbauer inhaltlich auf Distanz zu seinem Manager: Was der Uli nach dem Spiel in Glasgow gesagt hat, war reine Augenwischerei. Schon dort waren wir so schlecht wie jetzt gegen den 1. FC Köln. Die Bremer Tabellenzweiten dürfen sich auf den Besuch des wackligen Meisters freuen.“

Roland Zorn (FAZ 1.12.) gratuliert Stefan Wessels zu seiner Leistung: „Er schien die vertraute Bühne Olympiastadion gar nicht mehr verlassen zu wollen. Während Oliver Kahn, sein am Samstag sprachloser Kollege Cheftorwart von gestern, flugs die Arena seines Mißvergnügens verließ, kostete dessen ehemaliger Stellvertreter Wessels den Szenenapplaus aus. Der 1,89 Meter lange Niedersachse, der bei den Bayern in sechs Bundesligaspielen und ein paar Champions-League-Partien nur dann zum Einsatz kam, wenn sein Vorgesetzter unpäßlich war, stand endlich auch an alter Stätte im Mittelpunkt. Natürlich feierte der Kölner Fanblock den Mann des Tages in dem grellorangefarbenen Pullover angemessen lauthals; daß Wessels dann aber auch herüber zur Südtribüne lief und sich dort bei den ihm überaus wohlgesinnten Hardcoreanhängern der Bayern für den freundlichen Empfang bedankte, hatte Giovane-Elber-Format. Die Fans haben auch meine Arbeit für den FC Bayern honoriert, sie haben ein Feingefühl für den Typen Stefan Wessels. Dieser Typ stahl Kahn am Samstag mit glänzenden Reaktionen, Reflexen und Paraden in Serie die Schau.“

Eintracht Frankfurt – VfL Wolfsburg 3:2

Bei Willi Reimann ist das Glas immer halbleer, nie halbvoll

Thomas Klichenstein (FR 1.12.) rümpft die Nase wegen der Griesgrämigkeit des Frankfurter Trainers: „Wenn man Willi Reimann lauscht, muss man nicht gleich auf die Idee kommen, dass das ein schöner Samstag war für die Eintracht. Statt die aufkommende Begeisterung über den mit Herzblut errungenen Erfolg aufzugreifen, statt gute Stimmung zu verbreiten und den Rückenwind zu einem kleinen Aufschwung zu nutzen, legt er sich ohne Not erneut mit den Fans an. Wieder deckelt er Journalisten, die harmlose Fragen stellen, wieder und wieder erinnert er daran, wo der Club vor eineinhalb Jahren stand, wieder spricht er von Gegnern, die besser sind als Eintracht Frankfurt. Gerade aber hatte die Eintracht einen besseren geschlagen. Das alles klingt eher trist. Er mag ja mit seiner nüchternen, staubtrockenen Herangehensweise nicht ganz falsch liegen; natürlich hat der Club schwere Zeiten hinter sich gelassen, ganz schwere, aber das ist Vergangenheit. Die Gegenwart ist: Eintracht Frankfurt gehört sportlich hier zu Lande zu den 18 besten Clubs und hat die gleichen finanziellen Schwierigkeiten wie 15 andere. Das ist nicht gering zu achten. Bei Willi Reimann ist in der Regel das Glas immer halbleer, nie halbvoll. Er ist keiner, der Menschen mitreißt, sie begeistert oder Emotionen herauskitzelt. Er ist sachlich, meistens wortkarg. Für gute Stimmung sollen andere sorgen. Freunde macht man sich damit nicht.“

Nicht nur Michael Eder (FAZ 1.12.) hält die Eintracht für konkurrenzfähig: „Wie Röber am Ende dasaß und über sein fahriges Personal vor allem in der Abwehr klagte, da konnte sich nebenan Kollege Willi Reimann nur wundern. Der Frankfurter Trainer kann von millionenschweren Zugängen, wie in Wolfsburg mittlerweile üblich, nur träumen. Und wenn Röber nun vorsichtig schon wieder nach neuem Personal verlangt und damit eingesteht, mit dem aktuellen, prominent besetzten Kader die ehrgeizigen Ziele wohl nicht erreichen zu können, dann könnten sie in Frankfurt schon ein wenig neidisch werden. Reimann verlor am Samstag mit dem Brasilianer Chris Hening bereits seinen vierten Innenverteidiger in dieser Saison wegen Verletzung oder einer Sperre. Wenn er viel Glück hat, wird ihm der neue Vorstandsvorsitzende der Eintracht Frankfurt Fußball AG, Heribert Bruchhagen, im Winter einen neuen Stürmer spendieren, auf mehr kann er nicht hoffen. Für Bruchhagen, bislang Geschäftsführer bei der DFL, beginnt seine Mission bei der Eintracht offiziell an diesem Montag, und er durfte sich am Samstag schon einmal bestätigt fühlen in seiner Einschätzung, daß der Verein nicht chancenlos sei im Kampf gegen den Abstieg. Reimann blieb nach dem dritten Saisonsieg gewohnt zurückhaltend (…) Röber mußte sich nach der desolaten Verfassung seiner Mannschaft, die er in einem Luxushotel in der Nähe von Frankfurt auf das Spiel eingestimmt hatte, auch Fragen gefallen lassen, ob er sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz mache, was ihn sichtlich irritierte. Kollege Reimann hat mit solchen Fragen in dieser Saison schon des öfteren Erfahrung gesammelt, doch der Arbeitsplatz des chronisch schlechtgelaunten Fußball-Lehrers ist in diesen Tagen so sicher wie schon lange nicht mehr. Die beiden letzten Spiele haben in Frankfurt für eine Menge Optimismus gesorgt. Erst die unglückliche und von Fehlentscheidungen des Schiedsrichters geprägte Niederlage in Freiburg, nun der Kraftakt gegen Wolfsburg – die Frankfurter haben zweimal bewiesen, daß sie sich nicht aufgegeben haben und durchaus in der Lage sind, Fußball auf Bundesliganiveau zu spielen.“

Hertha BSC Berlin – Schalke 04 1:3

Unser Huub ist zu schade für Berlin

Javier Cáceres (SZ 1.12.) stellt fest, dass sich eine Erörterung über das Engagement Hubb Stevens’ nicht vermeiden lassen wird: „Dem Verhältnis von Trainer Stevens zu den Hertha-Anhängern könnte dieser Misserfolg besonders schaden. Denn die Berliner Fans können Schalke nicht leiden, und sie nehmen es ihrem Trainer übel, dass er sechs Jahre in Gelsenkirchen gearbeitet hat. Allen Beteuerungen Stevens’ zum Trotz, dass er Herthaner sei. Vor sem Spiel gegen Schalke ließen Herthas Verantwortliche deshalb ein Plakat drucken, auf dem neben Stürmer Luizão und einem Fan auch Stevens zu sehen war: „Wir gegen Schalke“. Manager Dieter Hoeneß sagte: „Vielleicht wird damit auch dem Letzten klar, auf welcher Seite Huub Stevens steht.“ Umso mehr Wirkung entwickelte der offensichtliche Versuch, die S 04-Ressentiments unter den Herthanern wieder zu befeuern, mit dem die gestrige Bild am Sonntag aufwartete. „Stevens-Brüder: Schön, wenn die Hertha verliert“, stand in der Berliner Ausgabe fett auf Seite eins; im Inneren des Blattes war unter einem Familienbild die Zeile zu lesen: „Unser Huub ist zu schade für Berlin – Familie Stevens drückt Schalke die Daumen, damit der Bruder fliegt.“ Ein Bruder des Trainers, Nick Stevens, wurde mit der Einlassung zitiert: „Schalke ist unser Lieblingsverein. Er gewinnt in Berlin, und Huubs Zeit ist bald abgelaufen.“ Und weiter: „Es tut mir leid für Huub, dass er das alles in Berlin ertragen muss. Nur Dieter Hoeneß ist nett, die anderen, die dort herumlaufen, sind komisch. Es war sein Fehler, nach Berlin zu wechseln. Aber am Montag ist er ja vielleicht wieder bei uns.“ Es gibt einige Blätter in Berlin, die erkennbar für einen Rauswurf stimmen; das Verhältnis zwischen Stevens und den Medien ist zerrüttet, und es wäre unredlich zu behaupten, dass der Trainer daran schuldlos ist. Eine derart ins Familiäre reichende Stimmungsmache aber ist neu. Auch Stevens hat am gestrigen Sonntag die Bams aufgeschlagen; er soll auch deshalb überrascht gewesen sein, weil er ausdrücklich darum gebeten hatte, seine Familie aus dem Spiel zu lassen. Stevens, sagte Herthas Sprecher Hans-Georg Felder, fand die Geschichte „unterirdisch“. Dass die Schalker Fans in Berlin ihren ehemaligen Trainer mit Sprechchören feierten, wird Stevens allerdings nur ein schwacher Trost gewesen sein.“

Borussia Mönchengladbach – 1.FC Kaiserslautern 2:1

Stilvolle Herren

Ulrich Hartmann (SZ 1.12.) erklärt den Stil-Unterschied zwischen dem sportlichem Erfolg der Gladbacher und einem ganz anderen: „Die Gladbacher Mannschaft hat ein ganz außerordentliches Kompliment bekommen – für ihr „überdurchschnittlich stilvolles Auftreten“. Dieses Lob, man ahnt es, hat gar nichts damit zu tun, dass gerade zwei Bundesligaspiele hintereinander gewonnen wurden nach zuvor fast viermonatigem Warten auf einen Sieg – für ein besonders stilvolles Auftreten allerdings haben sie auch in dieser umkämpften Auseinandersetzung eher keine Auszeichnung verdient. Dieses größte Kompliment der jüngeren Klubhistorie hat die Fußballtruppe soeben vom Deutschen Mode-Institut erhalten, welches aus fragwürdigen Motiven alljährlich den „Krawattenmann des Jahres“ kürt und sich diesmal im Plural für die Gladbacher Fußballer und ihre feinen Ausgehanzüge entschieden hat mit der Begründung, zur Unternehmenskultur dieser Lizenzspieler-Abteilung gehöre ein „sensibel gepflegtes Outfit von Spielern und Offiziellen“. Die derart sensibel eingekleideten Fußballer freuten sich verständlicherweise sehr – „auch wenn die meisten von uns gar nicht gewusst haben, dass es diesen Preis gibt, wie der Stürmer Arie van Lent gestand. Am Samstag war dann aber wieder echte Drecksarbeit gefordert, eine Tätigkeit, auf die sich die stilvollen Herren recht gut verstehen und sogar noch ein bisschen besser als auf repräsentative Auftritte in Nadelstreifen. Es bedurfte gegen Kaiserslautern allerdings einer gewissen Phase der Rückbesinnung auf die fußballerischen Tugenden.“

Hansa Rostock – Borussia Dortmund 2:1

Beide Mannschaften auf dem Weg ins Mittelmaß

Ronny Blaschke (BLZ 1.12.) referiert weitere Ernüchterung der Dortmunder: „Der Ort, an dem die Profifußballer von Borussia Dortmund auf bessere Zeiten hofften, hätte besser nicht gewählt werden können. In Heiligendamm, dem ältesten Seebad Deutschlands, unweit von Rostock entfernt, werkelte die gescholtene Equipe von Matthias Sammer an der eigenen Renaissance. Dort, wo vor Jahrhunderten schon die Kaiser kurten, in einem Hotel-Ensemble klassizistischer Villen, verordnete der Trainer seiner verunsicherten Mannschaft vor allem Ruhe. Mit Strandspaziergängen und vielen Einzelgesprächen wollte er seiner Gefolgschaft den Misserfolg austreiben. Schließlich erweist sich frische Ostseeluft nicht nur im hohen Alter als förderlich. Dass die Welt der fünf Sterne auch auf die Arbeit auf dem Rasen abgefärbt hatte, war am Sonntagabend im Ostseestadion allerdings nicht zu erkennen – in einer Begegnung, die so viel Rasanz zu bieten hatte wie eine Kaffeefahrt auf dem Rhein. Bleibt die Erkenntnis, dass beide Mannschaften einen weiteren Meilenstein auf dem konsequenten Weg ins Mittelmaß verbucht haben. Mit dem Unterschied, dass sich die Rostocker darüber freuen.“

Hannover 96 – SC Freiburg 3:0

Sascha Zettler (FAZ 1.12.) teilt Hannover Aufschwung mit: „In Hannover hat sich einiges verändert seit dem Aufstieg 2002. Als Sinnbild steht das Stadion. Auf der Baustelle AWD-Arena erinnert nur noch eine Tribüne an das altehrwürdige Niedersachsenstadion. Gleiches gilt für die Mannschaft. Nur noch sieben Aufstiegshelden zählen zum Kader. Und spätestens seit Samstag ist auch das Aufstiegssystem Geschichte. 4-3-3 lautete Rangnicks Zauberformel. Frisch und offensiv hatte er die Zweite Liga gestürmt, im ersten Bundesligajahr für Furore gesorgt und zum Start in die laufende Spielzeit die Experten verzückt. Aber als das Personal schwand, sich die Ausfälle von Lala und Simak als langfristig nicht kompensierbar erwiesen, schwand jenes Selbstvertrauen, das nötig ist, um der Konkurrenz stürmisch zu begegnen. Die Folge: eine Flut von Gegentoren, Unverständnis bei Klubchef Martin Kind und reichlich Unruhe (…) Leverkusens Leihstürmer Brdaric brillierte nach schweren Wochen. Erst war er verletzt, dann gesperrt und dann hatte er auch noch die falschen Töne getroffen. Zumindest nach dem Geschmack seines Trainers. Eine CD über Torhüter hatte er im Herbst aufgenommen, Frank Rost, Jens Lehmann und Oliver Kahn in seinem Lied verspottet. Rangnick wollte das Erscheinen des Kunstwerks stoppen lassen, doch Brdaric ließ sich nicht aufhalten Der 28 Jahre alte Angreifer stürmte zwar nicht die Charts, sein Song wurde kein Hit, immerhin dringt er wieder erfolgreich in die gegnerischen Strafräume ein. Harte Arbeit, versichert er, steckt dahinter. Ich habe mit Konditionstrainer Edward Kowalczuk viel gearbeitet. Kowalczuk hatte in der Vorsaison schon Fredi Bobic fit gemacht. Verhilft er nun dem nächsten ausgemusterten Nationalstürmer zum Re-Entry in Völlers Team?“

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2:1-Sieg Senegals gegen Schweden

Zum 2:1-Sieg Senegals gegen Schweden schreibt Peter B. Birrer (NZZ 17.6.). „Die Senegalesen und ihr französischer Trainer Bruno Metsu sind drauf und dran, die Sport-Historie Afrikas um ein aufregendes Kapitel zu erweitern. Wer die Spieler und den Trainer nach dem Erfolg gegen Schweden gesehen und gehört hat, weiß, dass sich hier Sonderbares, dem Mainstream ein Stück weit Zuwiderlaufendes, Freudvolles abspielt, das nach dem Viertelfinal gegen Japan oder die Türkei noch fortgesetzt werden könnte (…) Der Vergleich zwischen Schweden und Senegal war einer fürs Fußball-Lehrbuch, der sattsam bekannte Strickmuster mit allen ihren Stärken und Schwächen aufzeigte. Hier die Nordländer, bestens organisiert, solid, sehr systemtreu, schematisch auch und daher in der Tendenz unberechenbar und unflexibel. Da die Afrikaner, der freien Kunst frönend, verspielt, mit dem steten Hang zu Soloauftritten und einen Wellengang zeigend, der im Positiven wie Negativen vieles möglich machte. In der drückenden Hitze von Oita hatten beide Seiten ihre lichten Momente, das Geschehen war weitgehend ausgeglichen und hätte durchaus einen anderen Ausgang nehmen können.“

Zum selben Spiel schreibt Thomas Klemm (FAZ 17.6.). „Frechheit siegt, wenn auch noch eine gehörige Portion Glück hinzukommt. Der Kampf der Systeme, kühle schwedische Defensivstrategie gegen eine erfolgreiche Verbindung von afrikanischer Spielfreude und Kontertaktik, endete nach neunzig Minuten unentschieden, und das hatten sich beide Seiten durchaus verdient. Die Schweden dominierten den Anfang beider Halbzeiten und das Ende der neunzig Minuten, die Afrikaner deuteten mittendrin an, warum sie es so weit gebracht haben. Nach dem Schnellstart der Skandinavier, die schon vor Larssons Führungstreffer durch Olof Mellberg und Anders Svensson zwei Tormöglichkeiten in der dritten Minute nicht nutzen konnten, stemmten sich die Senegalesen mit robustem Körpereinsatz gegen weitere Unbilden.“

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