indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Allgemein

Effenbergs Abschied

Christian Eichler (FAZ 04.05.02) bedauert den Abschied einer schillernden Figur. „Natürlich hat Effenberg es immer allen leicht gemacht, ihn nicht zu mögen. Allzu demonstrativ zeigte er gern, wie wenig ihn die öffentliche Meinung interessierte, manchmal wie ein Halbwüchsiger, der stets beweisen muss: Was ihr denkt, ist mir egal. Manche nennen das Pubertät, manche Persönlichkeit. Aber rufen nicht immer alle nach den Typen, die der Fußball braucht? Wer sie will, muss aushalten, dass es Typen wie Effenberg sein können – der Kicker als Gegenentwurf zum Kuscheltier. Ohne ihn wird Deutschland langweiliger.“

Stefan Effenberg, Mittelfeldspieler des FC Bayern München, schlug in einem Playboy-Interview vor, das Arbeitslosengeld zu kürzen, was nicht nur bei Gewerkschaftern einen Sturm der Empörung auslöste.

Martin Hägele (NZZ 23.04.02) fragt „Wie verabschiedet Bayern die Reizfigur?“. „Die Chefs von Deutschlands wichtigstem Fußballklub gehen mittlerweile davon aus, dass jenes Thema, das die ganze Republik, aber auch ihren Verein gespalten hat, mit jedem Tag mehr an Brisanz verliert. Man werde Stefan Effenberg gebührend verabschieden, sagt Trainer Hitzfeld, „obwohl es mir sehr weh getan hat, dass es so gekommen ist“. Ähnlich empfindet wohl auch Effenberg selber, ganz bestimmt im persönlichen Gespräch seinem Mentor gegenüber – nur öffentlich kann das einer seines Schlages nicht zugeben. Es war unklug von Effenberg, sich auf seine letzten Tage in Deutschland in eine gesellschaftspolitische Diskussion über Arbeitslose einzulassen. Erst recht im Playboy. Multimillionäre sollten nicht noch ihren Senf dazu geben zu solch ohnehin schon brisanten Sozialdebatten. Zumal diese auch jene Klientel betreffen, die Professionals wie Effenberg erst reich und wichtig (?) gemacht hat.“

„Stefan Effenbergs Abschied gerät zur moralischen Geschichte“, schreibt Philipp Selldorf (SZ 22.04.02). „Ob die gemeinsame Geschichte Stefan Effenbergs und des FC Bayern gut oder schlecht endet, wird sich im Gegensatz von Idealismus und Pragmatismus auflösen. Realpolitisch, also sportlich betrachtet, gäbe es keinen Grund mehr für Ottmar Hitzfeld, den Kapitän in einem der beiden letzten Spiele einzusetzen. Die Mannschaft gewinnt auch ohne ihn, offensichtlich spielt sie sogar besser. Aber der Idealismus, auf den sich die Münchner oft berufen und der Werte wie Dankbarkeit und Loyalität einschließt, kann es natürlich nicht zulassen, dass der Kapitän der seit 25 Jahren erfolgreichsten Bayern-Elf seinen Abschied vom Klub erzwungenermaßen daheim auf dem Sofa in Pullach erlebt – bewacht von der Polizei, weil irgendjemand mit einer Bombe gedroht hat, wie immer.“

Evi Simeoni (FAZ 20.04.02) ist aufgefallen,“dass der kickende Sympathieträger Stefan Effenberg nun wirklich langsam zum alten Eisen gehört – und zwar deswegen, und das klingt nur paradox, weil er immer noch nicht erwachsen geworden ist. Denn Leute, die wie die Made im Speck sitzen und aus dieser fetten Position heraus laut tönend sozialkritische Parolen von sich geben, solche verwöhnten Salon-Revolutionäre sind längst aus der Mode.“

Christian Zaschke (SZ 20.04.02) findet, dass Effenberg einen „Ehrenkodex“ verletzt hat, „welcher besagt, dass man die Fans nicht vorführt“. „Er entfernt sich von den Menschen, die den Fußball anschauen wollen und bezahlen sollen. Er steht als Symbol für die Entfremdung des Fußballs von seinen Fans (…) Die meisten Menschen schwiegen. Lass ihn reden. Ein Fußballer. Doch sie machen sich Gedanken. Sehen Effenbergs Gesicht, diese Härte, hören Effenbergs Worte, diese Häme, und fragen sich, was sie eigentlich noch mit dieser Welt des Fußballs zu tun haben. Einer Welt, die ihre Spiele ans Bezahlfernsehen verkauft und ihre Spieler zu vielfachen Millionären macht. All dies haben die Menschen, die den Fußball trotzdem lieben, ertragen, weil Neid ein Wort ist, dass sie nicht kennen.“

Philipp Selldorf (SZ 20.04.02) erkennt im „Ausmaß seiner (Effenbergs, of) gedankenlosen Arroganz“ ein historisches Vorbild: „Kaiser Nero in jungen Jahren“. „Es gibt viele Fußballfans in Deutschland und viele Leute, die mit Fußball nichts am Hut haben, die ihm gern Geschenke machen würden: zum Beispiel eine stinkende Kröte oder eine giftige Viper. Effenberg hat sich oft unbeliebt gemacht während seiner Karriere, aber selten solchen Schaden angerichtet wie mit seinem im Playboy geäußerten Vorschlag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit: „Ich würde die Stütze auf ein Minimum herabsetzen, sodass jeder arbeiten muss.“ Effenberg glaubt nämlich, dass „viele vom Arbeitslosengeld so gut leben, dass sie keine Lust haben, morgens früh aufzustehen und bis in die Abendstunden zu buckeln“. Nur eine unsinnige, primitive Privatansicht? Schon, aber weil Effenberg der hoch bezahlte Kapitän des FC Bayern ist, wird seine Aussage nicht durch das Prinzip der Meinungsfreiheit neutralisiert (…) Mögen Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge die Ignoranz Effenbergs und den Schaden für den Ruf des Klubs auch verfluchen. Aber dass die Bayern sich immer schon die umstrittenen Persönlichkeiten des deutschen Fußballs geleistet haben, beruht auf Methode – sie prägen sein Bild und schaffen den Gegensatz der Meinungen, der das Interesse wach hält.“

Das Streiflicht (SZ 20.04.02) findet „es nicht ganz unpassend, wenn ein Opel-Manager nun in der Bildzeitung behauptet, Stefan Effenberg denke „über den Tellerrand hinaus“. Was für ein Teller mag das sein, über dessen Rand einer wie Effenberg hinausdenkt? Es ist, um in Bildern weiterzuarbeiten, die soziale Hängematte, die nach gängiger Ansicht längst das Ende der Fahnenstange erreicht hat. „Effe“ hatte im Playboy, dem Magazin für Sozialfragen, die These riskiert, vielen Arbeitslosen gehe es so gut, dass sie keine Lust mehr hätten, früh aufzustehen und bis abends zu buckeln. „Zu buckeln wie Effenberg“, ergänzten die Arbeitslosen und ihre Freunde mit bitterem Hohn, und seitdem richten sich vier Millionen Stinkefinger „gen Himmel“ (so Gaby Ott aus Kankelau in einem Brief an die AZ).“

Alexander Steudel (Die Welt 18.04.02) zu Effenbergs Image. „Die Herzen, die sich ihm nach dem Champions-League-Sieg 2001 geöffnet hatten, sind verschlossen. Das Faszinosum Effenberg funktioniert nur im Erfolg, und den Menschen Effenberg haben die Fans sowieso immer skeptisch gesehen (…) Selbstkritik ist nicht die große Stärke des 33-Jährigen, was wiederum – paradox – seine große Stärke ist: Auf dem Platz ließen Arroganz und Härte die Gegner nicht selten vor Angst erstarren, Effenberg tritt auch nach dem 15. Fehlpass auf, als führe seine Mannschaft im WM-Finale 4:1.“

Roland Zorn (FAZ 18.04.02) über die Ausführungen Effenbergs. „Dass sich hier einer, dessen privilegierte Laufbahn allmählich ausklingt, deutlich irrt und mit Vorurteilen hausieren geht, könnte Effenbergs Privatsache sein, wenn er seine Stammtischparolen bei sich behalten hätte. So aber verbreiten sich die Worte aus dem geistigen Mittelfeld eines künftig selbst von der Arbeitslosigkeit bedrohten Balltreters in einem Augenblick, da der Fußball an seiner Verschwendungssucht zu knabbern hat. Daß Bayern München dem früheren Nationalspieler großzügigerweise geschätzte vier Millionen Euro per annum überweist, ist für Deutschlands größten und betuchtesten Verein kein Zahlungsproblem; wohl aber krankt der Fußball längst an den von den Effenbergs dieser Welt mit ihrer Maßlosigkeit in Gang gesetzten Preisspirale.“

Auch die NZZ (18.04.02) geht hart mit dem „Arbeitsverweigerer“ Effenberg ins Gericht. „Seit Jahren weigert er sich, seine Künste dem Deutschen Fussball-Bund und der Nationalmannschaft zur Verfügung zu stellen. Lieber – so hat er das mehrfach gesagt – kümmert er sich um seine Familie und legt die Beine hoch. Da entbehrt es nicht einer gewissen Skurrilität, wenn solch ein Herr beginnt, über die angebliche Nicht-Motivation von Arbeitslosen zu räsonieren und die Kürzung von Arbeitslosengeld verlangt, um die seinem Pseudo-Wissen nach Arbeitsunwilligen der Deutschen Post zuzuführen. Die findet, so weiß der ehemalige Postbeamte in einer Illustrierten zu berichten, nicht genügend Arbeitswillige. Seltsam nur, dass die Deutsche Post, seitdem sie an der Börse notiert ist, Schalter schließt, Öffnungszeiten verkürzt und Filialen stilllegt.“

Gewinnspiel für Experten

Internationaler Fußball

Matthäus in Hüttelsdorf

Christian Zaschke (SZ 26.04.02) über die Situation von Rapid Wien und dessen Teamchef Lothar Matthäus: „Seit gut einem halbem Jahr ist der ehemalige Weltstar nun Trainer der ersten Fußballmannschaft des SK Rapid Wien, er ist Achter mit der Mannschaft, in einer Liga, die zehn Vereine umfasst. Das wäre mit keiner Mannschaft ein besonderer Erfolg, aber mit Rapid, dem österreichischen Rekordmeister, dem Traditionsverein aus Hütteldorf, ist es katastrophal (…) Es ist eine Art Handel: Matthäus ist eine PR-Lokomotive für den Verein. Dafür darf er bei einem Traditionsklub probieren wie es ist, ein Trainer zu sein. Und deshalb sind wohl auch alle Prognosen falsch, die Matthäus‘ Ablösung vorhersagen. Ein Jahr, so heißt es in Wien, darf er wohl noch.“

Uwe Marx (FAS 21.04.02) zum selben Thema: „Es sieht so aus, als sei Matthäus angekommen in Wien. Seit sieben Monaten ist Deutschlands Rekordnationalspieler Sportlicher Leiter beim SK Rapid, und er sagt: „Die Stadt, der Klub und ich, das passt zusammen.“ Zumindest der zweite Teil dieser Bilanz überrascht, denn Rapid erlebt die schlechteste Saison seiner Geschichte.“

Ballschrank

Leo Kirch

„Gute Beziehungen zu internationalen Fußball-Funktionären ließ sich der TV-Unternehmer Leo Kirch etwas kosten“, vermeldet die SZ (22.4.). „Über die Gemengelage berichtete die Süddeutsche Zeitung am Ostersamstag. Anschließend dementierten Beckenbauer und Radmann, sich „unbotmäßig Vorteile“ verschafft zu haben, gleichzeitig stellte das Manager Magazin einen „verräterischen Brief“ und einen „geheimnisvollen Beratervertrag“ in das Internet. Immer öfter quellen nun, ein Jahr nach der Kirch-Insolvenz, Papiere hervor, die fragwürdige Praktiken in der kommerziellen Sportbranche dokumentieren (…) Die beteiligten deutschen Fußball-Größen weisen alle Vorwürfe, hier sei womöglich geschoben und nachgeholfen worden, strikt zurück. WM-Lobbyist und FC Bayern-Aufsichtsratschef Franz Beckenbauer sagte in Bild am Sonntag: „Wer meint, dass man mit Freundschaftsspielen eine WM bekommt, hat keine Ahnung.“ Sein Freund Radmann ist, was den positiven Effekt solcher Arrangements angeht, schon merklich vager: „Das ist international üblich.““

Hintergrund SZ

Gängige Schlachtordnung

Thomas Kistner (SZ 22.4.) kritisiert die Drohungen Karl-Heinz Rummenigges, der FC Bayern werde seine TV-Rechte künftig einzeln vermarkten. „Man könnte meinen, der Profifußball hätte in Zeiten rasant schwindender Einnahmen drängendere Sorgen, als seine internen Verletztheiten zu pflegen. Aber der Mensch ist Mensch; und so hauen sie nun tüchtig aufeinander ein, in der gängigen Schlachtordnung. Hier der FC Bayern, dort die Deutsche Fußball-Liga, die sich bei diesen Feldzügen nie ganz sicher sein kann, dass sie wirklich alle anderen Klubs hinter sich hat. Besonders jetzt, da die Bayern wieder mächtig ins Horn stoßen. Vorstandschef Rummenigge sagt, dass sich die Bayern 2004, wenn die zentrale Fernsehvermarktung endet, die Chance der Einzelvermarktung offen halten – also die Option, die Solidargemeinschaft der 36 Profiklubs beim Verteilen der TV-Gelder zu sprengen. Dieses Geld ist die Haupteinnahmequelle der Klubs. Beispielsweise, so Rummenigge launig, könnte der Rekordmeister seine Heimspiele an RTL verkaufen. Statt der 15 Millionen Euro, die er wie jeder Bundesligist bisher pro Jahr kassiert, erwartet Rummenigge dann bis zu 70 Millionen Euro. Das Kalkül mag stimmen. Kurzfristig. Auf Dauer trägt es nicht, schon, weil den Münchnern binnen kurzem die attraktiven Gegner ausgehen würden. Bereits in der laufenden Saison ist zu besichtigen, wie öde ein Titelkampf wird, der nicht stattfindet. Ein Deal mit RTL müsste überdies daran scheitern, dass er das Ende der Bundesliga im Pay-TV bedeuten würde. Von dem profitieren auch die Bayern.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Spielerberater, ein Berufstand im Zwielicht

René Martens (FTD 10.12.) beäugt Spielerberater: „Spielerberater sind an einer beständigen Karriere ihrer Klienten wenig interessiert. In den Boomjahren des Fußballs haben sie zahlreiche Transfergeschäfte vorangetrieben, von denen allein sie profitierten. Zu den aktuellen Opfern dieser Praktiken gehört der argentinische Offensivkünstler Ariel Ortega: Trotz eines bis 2006 gültigen Kontrakts mit Fenerbahce Istanbul, zu dem er sich offensichtlich von einem ehemaligen Berater hatte drängen lassen, will er nicht mehr für den Klub spielen. Der Weltverband Fifa ließ Ortega wenig erquickliche Wahlmöglichkeiten: Entweder er zahlt Fenerbahce wegen Vertragsbruchs 9,5 Mio. Euro, oder er darf nie wieder in einem Verein gegen den Ball treten. Der britische investigative Journalist Tom Bower, der vorher unter anderem Bücher über das Nazigold veröffentlicht hat, ist kein Fußballanhänger, aber die Macht der Spielerberater hat ihn derart irritiert, dass er in diesem Jahr ein Standardwerk zum Thema vorgelegt hat („Broken Dreams“). Der Autor präsentiert hier schockierende Indizien dafür, dass der Absturz mancher englischer Traditionsklubs nicht zuletzt Managern anzulasten ist, die viele Spielerwechsel allein aus einem Grund abwickelten: um ihnen wohlgesonnene Vermittler zu befriedigen. Ein verheerendes Beispiel gibt der Premier-League-Absteiger FC Sunderland ab. Unter dem Manager Peter Reid, dessen Amtszeit im letzten Herbst nach sieben Jahren endete, gab der Klub für 66 Spieler 96,5 Mio. Euro aus und erwirtschaftete so eine negative Transferbilanz von 69 Mio. Euro – dagegen verblasst sogar die Kapitalvernichtungsleistung des Hamburger SV, der in den letzten fünf Jahren im Transfergeschäft ein Minus von 25 Mio. Euro machte. Noch einkaufsfreudiger als Sunderland, freilich auf niedrigerem Level, zeigte sich hier zu Lande der SV Waldhof Mannheim. Unter dem mittlerweile vereinslosen Trainer Uwe Rapolder holte man zwischen 1997 und Mitte 2001 fast 110 Spieler. In diesem Sommer hatte der Klub nicht einmal das Geld für die Regionalliga-Lizenz (…) Um das Treiben der ehrenwerten Herren einigermaßen in Bahnen zu lenken, bastelt die DFL seit mehr als einem Jahr an einem Ehrenkodex. Demnach sollen die Klubs Beratern maximal zehn Prozent vom Jahresgrundgehalt eines Spielers zahlen – und falls der Verhandlungspartner mehr verlangt, auf den umworbenen Kicker verzichten. Ursprünglich sollte der Kodex auf der Mitgliederversammlung im August verabschiedet werden. Doch es sei „nun mal nicht einfach, die Vereine dazu zu bringen, sich selbst zu beschränken“, sagt DFL-Sprecher Tom Bender.“

Die haben danach alle nur über mein Holzfäller-Hemd geschrieben

Roland Leroi (FR 10.12.) hat Thomas Hörster aufgesucht, der nach seiner Entlassung als Cheftrainer wieder die A-Jugend Bayer Leverkusens trainiert: “Manche meinen, es sei absurd, dass ausgerechnet so einer wieder im selben Club sein Glück findet. Hat der Mann kein Selbstwertgefühl? Verfolgt ihn nicht das Verlangen, es all jenen zu zeigen, die ihn damals in die Schublade des erfolglosen, verkniffenen Anti-Trainers steckten? Der seltsame Herr Hörster, titelte der Kölner Express und in den Augen des Altmeisters Udo Lattek wirkte der Trainer gar wie ein verschüchtertes Würmchen. Geärgert habe ihn das nie. Die kannten mich ja alle gar nicht, sagt Hörster, der anders als Kollegen wie Ewald Lienen oder Hans Meyer nicht das Mittel der publicity-wirksamen Medienschelte nutzte. Ich bin Trainer und kein Öffentlichkeits-Referent, sagt Hörster heute. Vielmehr habe sich der frühere Profi darüber gewundert, mit welcher Massivität die Kritik kurz nach seiner Amtsübernahme auf ihn einprasselte. Ich ging von der üblichen 100-Tage-Schonfrist aus, bekam aber nicht mal eine Woche, erinnert sich Hörster. Dabei sei er gerne eingesprungen, als sein Vorgänger Klaus Toppmöller entlassen wurde und Bayers Manager Reiner Calmund bei Hörster um Hilfe bat. Ich habe mir das zugetraut, sagt Hörster. Direkt auf der ersten Pressekonferenz, die ihn vorstellen sollte, sei der Kahn aber in die entgegengesetzte Richtung gefahren. Die haben danach alle nur über mein Holzfäller-Hemd geschrieben, erinnert sich der Coach, der fortan als der Mann, der zum Lachen in den Keller ginge, gesehen wurde. Und wenn er dann doch mal lachte, war es auch nicht richtig. Als Bayer im Champions League-Spiel in Barcelona 0:2 verlor, orderte ihn der Fernsehsender RTL zum üblichen Interview. Wegen technischer Missgeschicke musste die Prozedur aber viermal aufgezeichnet werden. Dem TV-Team war es peinlich, doch als der letzte Versuch endlich klappte, haben sie sich alle herzlich gefreut. Auch Hörster, dessen strahlendes Grinsen schließlich als Einstieg gesendet und mit dem bissigen Unterton, was der denn noch zu lachen habe, versehen wurde. Ich ging viermal hin und dann haben die mich wie einen Idioten behandelt, meint er. Lehrreich sei das gewesen. Heute denkt Hörster, der in elf Spielen immerhin 14 Punkte als Grundlage für den Klassenerhalt holte, dass er Fehler gemacht habe. Ich hätte manche Dinge anders verkaufen sollen, meint er. Etwa öffentlich zu bekennen, dass er die Champions League herschenken wolle, um die nötigen Reserven für den Abstiegskampf zu haben, sei kein kluger Schachzug gewesen. Ich bin eben zu ehrlich, so Hörster, und war vielleicht deshalb das ideale Opfer. Ehrlich war er auch am 10. Mai, als Leverkusen mit 1:4 in Hamburg verlor. Nach der Leistung habe ich aufgegeben, sagte Hörster danach in die Fernseh-Kameras und wurde tags darauf gegen Klaus Augenthaler ausgetauscht. Inzwischen bereut Hörster den aus purer Verärgerung gesprochenen Satz. Er ist überzeugt, dass er den Abstieg genauso wie Augenthaler verhindert hätte.“

Martin Hägele (SZ 10.12.) berichtet das Trainer-Engagement Guido Buchwals bei den Urawa Red Diamonds: „Viele seiner Freunde haben ihm schon länger zu diesem Schritt geraten, denn nirgendwo ist der Mittelfeldspieler aus Franz Beckenbauers Weltmeistertruppe von 1990 prominenter als in Nippons Fußballszene. Wenn nicht hier, wo sonst könnte die zweite Karriere des sportlichen Vorbilds wieder Schwung bekommen, erst recht nachdem Buchwalds erste Schritte ins Management unter keinem guten Stern gestanden hatten. Die Aufgaben, die erst beim Karlsruher SC und später bei den Stuttgarter Kickers auf den Manager Buchwald zukamen, sind ohne die entsprechende Unterstützung eine Nummer zu groß für den gelernten Elektro-Installateur und Jung-Unternehmer in der Büro- und Kommunikationsbranche gewesen. In Urawa, einer Vorstadt der 17-Millionen-Metropole, braucht sich der 41-Jährige nicht mit Vorurteilen oder einem kritischen Umfeld herumzuplagen. Wer in Japan einmal zum Held wurde, bleibt für immer Held. Und es gibt nur ganz wenige Gai-jin, wie hier die Fremden genannt werden, die einen solchen Status besitzen. Die Ehrenrunde, die der Urawa-Spieler mit der Nummer 6 nach seinem letzten Auftritt auf einem Schimmel reitend absolvierte, gehört neben dem WM-Triumph von Rom und dem Kopfballtor in Leverkusen, das die Deutsche Meisterschaft 1992 zu Gunsten des VfB entschied, zu den Höhepunkten von Buchwalds Karriere.“

Birgit Schönau (SZ 10.12.) spöttelt: „Auch in Italien hat Rivaldo Victor Borba Ferreira einen Preis gewonnen. Die Goldene Mülltonne für den „Reinfall des Jahres“, verliehen vom populären Programm Catersport des Staatsrundfunks Rai. Rivaldo verwies Al Saadi Gaddafi, ehemals Perugia, und Carsten Jancker, noch Udinese Calcio, auf die Plätze zwei und drei. Jancker antwortete auf die fragwürdige Auszeichnung mit einem Tor. Gaddafi hat nie gespielt und trotzdem gedopt. Rivaldo ist still von der Bildfläche verschwunden. Rivaldo! Das war er gar nicht, behauptete nun die Gazzetta. Rivaldo war nie in Italien, hat nie in der Serie A gespielt, niemals das Trikot des AC Mailand getragen. Oder hat hier jemand zwischen August 2002 und Ende November 2003 den Außerirdischen gesehen? Über den Platz schlich, mit der Nummer 11, ein Fußkranker mit Rivaldo-Maske. Die Gespensterstunde ist jetzt auch vorbei. Im September hatte der Weltmeister schon einmal versucht, den Abflug zu machen. Hatte eine Pressekonferenz einberufen und stolz verkündet: Wo er nicht spielen darf, da bleibt ein Rivaldo nicht. Sah nach starkem Abgang aus. Tags drauf verabschiedete er sich im Meazza-Stadion von den Tifosi, schon ganz in ziviles Trauerschwarz gewandet. Noch einen Tag später wurde er von den Chefs zurückgepfiffen.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

Ballschrank

Broadway-Star in der Provinz

Klaus Brinkbäumer (Spiegel 1994) stellt den neuen Bayern-Trainer vor: „Zwei stämmige Herren vom Sicherheitsdienst, die Giovanni Trapattoni durch die dichten Reihen Freiburger Fans zum Bus bringen, halten den Trainer fest, als führten sie ihn zum Galgen. Ein Betrunkener zupft an seinem Jackett. Andere rufen hämisch benefatto, signore (gut gemacht). So werden Missionare behandelt, deren Lehre nicht verfängt. Im Hotel versucht der FC Bayern München wenig später ohne seinen italienischen Trainer, jene 1:5-Niederlage zu verstehen, die gerade über den Deutschen Meister hereingebrochen ist. Die Profis diskutieren mit dem Busfahrer. Manager Uli Hoeneß balanciert einen Schuh auf den nackten Zehen und erregt sich über unsere angeblichen Nationalspieler. Trapattoni ist auf sein Zimmer gegangen und hat sich die Krawatte abgenommen. Spielt seine Mannschaft nicht richtigen Fußball, sieht er ihn sich eben im Fernsehen an, hintereinander auf allen Kanälen. Calcio, sagt der Trainer so verklärt, wie ein Kind Eis schleckt: Calcio ist Liebe, Calcio ist Leben. Aber in München, beim FC Bayern, da ist Fußball derzeit auch ein wenig wie Sterben. Die meisten Bundesligatrainer haben sein Team zum Favoriten erklärt, aber dann verliert es fast alle wichtigen Testspiele, fliegt gegen Amateure aus dem DFB-Pokal, stochert gegen Aufsteiger Bochum lustlos zum Sieg und läßt sich in Freiburg vorführen. Trapattoni, 55, ist ein Fan. Er hat ein romantisches Verhältnis zu dem Spiel, das ihn nach eigenem Verständnis vom Sohn eines Bauern zum Weltbürger machte. Jeder einzelnen partita scheint er dafür zu danken; Stunden vor jedem Anpfiff macht er sich fein wie zum Kirchgang. Nun soll er erklären, warum die Mannschaft, die ohne ihn Deutscher Meister wurde, mit ihm ständig verliert. Trapattoni zittert ein wenig, schüttet Kondensmilch über den Tisch und stürzt den Kaffee in einem Zug hinab. Schnell nimmt er Haltung an. Die Gefahr, entlassen zu werden, sagt er schon wieder spöttisch, sehe er nicht. Dieser Verein habe schließlich auf ihn gewartet. Die Bayern, das läßt er jeden spüren, haben ihn doch verpflichtet, weil sie einen der Größten, einen aus der Kategorie der Franz Beckenbauer oder Johan Cruyff wollten. Führt nicht er diese Elite sogar an, weil er mehr Titel als alle anderen Trainer gewann, 16 oder 17? Und nun soll alles nur ein Irrtum sein? Wie ein kleiner Bruder der CSU glaubt der FC Bayern, die Nation ständig von der eigenen Größe überzeugen zu müssen. Bislang hielt Präsident Fritz Scherer dann eine Rede, in der er, bajuwarisch zünftig, die Gegner niedermachte. Und schon hatte der alte Oanszwoa-gsuffa-Stallgeruch die Führung, wie Hoeneß die Funktionäre gern nennt, wieder eingeholt. Darum suchten die Bayern für die Trainerbank eine Art Richard von Weizsäcker des Fußballs, eine Figur, einen Typ, einen Namen, so Hoeneß. Trapattoni, glaubten die Chefs, sei schon da, wo der FC Bayern hinwill – er würde den Verein zwischen Mailand und Madrid gesellschaftsfähig machen. Der Neue, der aus dem gelobten Land des Vereinsfußballs kam, sollte der komplette Trainer für komplizierte Zeiten sein: italienisch und erfolgreich, kompetent und kommunikativ. Er sei, wurde der Mannschaft eingetrichtert, sogar der bessere Beckenbauer. Der Vorgänger, nahezu magisch und mystisch, war seltsam ungreifbar; Trapattoni hingegen hat sich seine Pokale erarbeitet. Solche Siege, sagten sich die Bayern, seien noch echte Produkte und damit wertvoller. Dann überrascht der Trainer in den ersten Münchner Wochen seine Spieler damit, daß sie nur eine Viertelstunde üben würden. Aber kaum hat er das Tonband abgehört, auf dem er während des Trainings die vielen Fehler der Profis speichert, da müssen sie doch wieder zweieinhalb Stunden am Stück arbeiten. Auch die kleinen Machtkämpfe besteht er. Findet Kapitän Lothar Matthäus es irgendwann langweilig, wie ein Handballspieler Körpertäuschungen zu proben, ordnet der Libero kurzentschlossen etwas Spaß und ein Elfmeterschießen an. Trapattoni aber bellt drei Nachwuchsprofis zu sich, stellt, als wäre er der letzte Zampano, den rechten Fuß auf einen Ball und läßt weiterüben: Immer Pressing, bum, bum! Und als er in der Nacht darauf Matthäus beim Small talk in der Hotelbar erwischt, schnellt zweimal der Daumen über die Schulter in Richtung Ausgang. Ruck, zuck, feixt Hoeneß, war der Lothar im Bett. So ist jeder Befehl, jede Übung immer auch populistisch: Endlich, murmeln Zaungäste, würden die Wohlstandsjünglinge wieder lernen, was deutsche Wertarbeit ist – und sei es von einem Ausländer. Den direkten Kontakt zwischen Fan und Fußballer hat der FC Bayern weitgehend abgeschafft. Der Trainingsplatz ist eingezäunt; Kommunikation findet über die Medien statt, und das, sagt Giovanni Trapattoni, kann ich. Da funktioniert er, weil er verstanden hat, daß die Glitzerwelt Profifußball nach immer neuen Begriffen giert, die mehr aus dem Ballspiel machen: plakativ, originell, schlicht. Wie programmiert liefert Trapattoni die Bilder. Mal ist Fußball polyphone Musik und Bayern wie Bach. Doch kaum heißt der Coach Don Giovanni (Abendzeitung), erklärt er das Spiel bereits zur Wissenschaft. Reportern, die er schon kennt, stärkt er das Ego, indem er sie in großer Runde mit einem Augenzwinkern grüßt. Während der Antworten zieht Trapattoni Mund und Nase hoch, als sollten sie durch die Augen verschwinden: Sehr, sehr ernst, heißt das, nimmt er jede Frage. Seine Taktik erläutert er, indem er Glas, Flasche und Kronkorken über den Tisch schiebt. Ähnlich wie sich etwa der Kollege Dragoslav Stepanovic als cleverer Kauz, eine Art Einstein von Leverkusen, stilisiert, spielt auch Trapattoni eine Rolle. Er gibt den Guru, den die Branche seit Beckenbauers Abgang vermißt hatte. Was im deutschen Fußball faul ist? Taktische Defizite heißt die Diagnose, die prophylaktisch schon vor seiner Ankunft verbreitet wird; Disziplin Trapattonis Therapie. Beinahe jeder Trainer im Land spricht auch die banalsten Weisheiten nach, als sei endlich der Coach gefunden, der das ewig ungelöste Rätsel des Fußballs entschlüsseln kann und den Sieg garantiert. Vorab steht der Broadway-Star in der Provinz (Bremens Manager Willi Lemke) damit als Gesamtbester praktisch fest. Seine drei Maßanzüge, die er pro Spieltag für Trainerbank, Pressekonferenz und Fernsehinterview braucht, darf der Italiener siegesgewiß, wie immer neue Gelbe Trikots, tragen. Trapattoni tritt als personifizierter Gesamtverein auf. Mal plaudert er charmant vor sich hin wie der höchste Mann im Klub, so daß der neben ihm leise vor sich hin schmatzende Präsident Scherer langsam zu entschwinden scheint. Mal sieht er den modernen Trainer als technischen Geschäftsführer, dessen erste Aufgabe es sei, daß die Spieler am Ende einer Saison mehr wert sind als am Anfang – gerade so, als könne nun Hoeneß in Rente gehen. Dann wieder steht er in kurzen Hosen auf dem Platz und kickt mit. Doch fordert er den Bayern-Spielmacher Mehmet Scholl auf, bei ihm einen Beinschuß zu versuchen, traut der sich nicht recht. Da war Roberto Baggio, damals bei Juventus Turin, ganz anders.

Ballschrank

Teams vor dem Saisonstart, wirtschaftliche Lage in Kaiserslautern und Frankfurt, Dortmunder Torwartfrage

Roland Zorn (FAZ 28.7.) analysiert die Dortmunder Torwartfrage. „Hätten wir in Roman Weidenfeller nicht einen sehr talentierten Torhüter, hätten wir Jens den Weg nach London verbauen müssen, sagt der Dortmunder Präsident Gerd Niebaum über das deutsch-englische Wechselspiel. Der Dortmunder Jurist flicht Lehmann, der über den Umweg AC Mailand Ende 1998 nach Dortmund kam, im nachhinein noch einmal Kränze: Jens ist einer der besten Torhüter Europas. Er hatte im Vorjahr einen großen Anteil an unserem Meisterschaftsgewinn. Sportlich gesehen, ist sein Weggang ein Verlust. Niebaum erinnert in diesem Zusammenhang an den Generationswechsel, den der BVB schon einmal mit Erfolg auf der Position des Torhüters riskierte, als der junge Stefan Klos den erfahrenen Wolfgang de Beer verdrängte. Mit Klos gewann der BVB zwei deutsche Titel und, 1997, die Champions League. Der 22 Jahre alte Weidenfeller müsse, sagt Niebaum über den in der Bundesliga schon erprobten Schlußmann, seine internationale Feuertaufe erst noch bestehen. Insofern sei es gut, daß hinter dem aus Eisbachtal stammenden und beim 1. FC Kaiserslautern ausgebildeten Athleten in dem ehemaligen französischen Nationaltorwart Warmuz ein grundsolider Mann auf seine Chance warte. Das auf die Konten des Vereins fließende Geld aus dem Weggang des 16maligen Nationaltorwarts kann der Tabellendritte der vorigen Bundesliga-Spielzeit im übrigen gut gebrauchen, da der sparsam gewordene Klub auf der Suche nach einem angemessenen Ersatz für die wegen Kreuzbandverletzungen mindestens ein halbes Jahr ausfallenden Evanilson und Frings ist. Wer immer verpflichtet wird, dürfte rasch bemerken, was Niebaum im Blick auf die für den BVB am kommenden Samstag auf Schalke beginnende Saison jetzt schon feststellt: Bei uns ist die junge Generation mehr und mehr gefordert. Der 22 Jahre alte Christoph Metzelder als neuer Kapitän, der gleichaltrige Tomas Rosicky als dessen Vertreter und nun auch der ebenfalls dem Jahrgang 1980 zugehörige Weidenfeller verkörpern den Trend, der auf eine Perspektive mit Gewinn deutet.“

Provinzialismus, der dem Klub eigentlich wesensfremd ist

Christoph Biermann (SZ 29.7.) beleuchtet Kölner Saisonperspektiven. „Gefühl heißt im kölschen Idiom „Jeföhl“ und ist eine komplexe Befindlichkeit aus sentimentaler Verheultheit, trunkenem Überschwang und provinzieller Selbstverliebtheit. „Jeföhl“ steckt auch darin, dass Dirk Lottner nicht nur Mannschaftskapitän des 1.FC Köln und Spielmacher des Aufsteigers ist, sondern erster Fan des Klubs. In seinem Garten steht ein Gartenzwerg im rot-weißen Trikot, zuhause an der Wand hängt das metallgefräste Vereinsemblem und sein Sohn schläft in FC-Bettwäsche. Eines der klassischen Bekenntnisse von Lottner lautet: „Wenn ich den Dom nicht sehe, bin ich unglücklich.“ (…) Sehnsucht nach Lokalkolorit gibt es bei Fußballfans überall. Doch in Köln, der Stadt, die so sehr um sich selbst kreist, ist sie noch ausgeprägter. Lottner weiß, dass er davon profitiert: „Die Herkunft ist nicht ganz unerheblich, da verzeiht man schon mal mehr.“ Die Fans hängen an ihm schließlich nicht nur trotz seiner Schwächen, sondern wohl auch, weil sie dem kölschen Selbstverständnis entsprechen. So haben sie bei den diversen Versuchen mitgelitten, Lottner den rheinischen Schlendrian auszutreiben. Besonders in der Ära Lienen liebten sie den Trainer und den Star, nur kamen die beiden irgendwann miteinander nicht mehr aus. Als Lienen gehen und der 1.FC Köln trotzdem absteigen musste, nahm auch Lottners Ansehen Schaden. Lienen trug mit seiner demonstrativen Nähe zum Publikum auch wesentlich dazu bei, dem 1.FC Köln ein anderes Image zu verpassen. Eines, dessen wichtigster Protagonist Lottner fast automatisch werden musste. Auch das scheint ihm inzwischen klar geworden zu sein. „Der FC war früher ein sehr hochnäsiger, arroganter Verein“, sagt er. Heute gilt das nicht mehr, viel haben Mannschaft und Verein in den letzten Jahren an einem verbindlicheren Auftreten gearbeitet. „Auslöser dieser Entwicklung war Lienen“, sagt Lottner, „er hat uns das vorgelebt.“ Noch immer ist Lottner mit all seiner Heimattümelei und den Beschwörungen von allem Kölschen der wichtigste Protagonist des Klubs. Doch zugleich steht er damit für einen Provinzialismus, der dem Klub eigentlich wesensfremd ist.“

Über die Situation in Kaiserslautern schreibt Roland Zorn (FAZ 25.7.). „Die Vergangenheit des 1. FC Kaiserslautern, auch das wurde bei der Saisoneröffnungspressekonferenz am Mittwoch überdeutlich, ist längst nicht abgearbeitet. Es droht nach all den Vorwürfen, die in Richtung Steuerdelikte geäußert werden, ein Nachspiel vor Gericht gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Jürgen Friedrich, den ehemaligen Aufsichtsratschef Robert Wieschemann und andere. Der Basler Geschäftsmann Jäggi, ein cooler Charmeur, scheint von dem einmal eingeschlagenen Pfad, am Betzenberg aufzuräumen, nicht abweichen zu wollen. Mögen sich inzwischen auch die Stimmen mehren, die nach Mäßigung und einer gütlichen Einigung zwischen den zerstrittenen Parteien rufen. Dem entgegnet der oberste Sanierer des noch vor kurzem nahezu illiquiden Klubs: Am Anfang hieß es, ihr geht zu schonend vor, jetzt heißt es, bitte nicht so hart. Ich sage, was gut war im letzten Jahr, kann jetzt nicht schlecht sein. Der in der fernöstlichen Kampfsportart Judo erprobte Schweizer bemühte für seine Haltung sogar die chinesische Lesart des komplementären Gegeneinanders. In der chinesischen Philosophie gibt es die Gesetze des Yin und Yang. Zum Guten kommt das Böse, zum Starken der Schwache, das Leben besteht aus einer Wechselwirkung. Weil er und sein sportlicher Kompagnon, Trainer Erik Gerets, in einem Alter seien, da sie es nicht mehr nötig hätten, sich verbiegen zu lassen, wollten sie nun auch ihren Weg so lange weitergehen wie erwünscht. Steckte in diesen mit asiatischer Weisheit überwölbten Sätzen schon der Hauch einer Abschiedsankündigung? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wo Yin und Yang mitspielen, bleibt Deutungsspielraum.“

Öffentliche Hand als spendabler Gönner

Michael Ashelm (FAS 27.7.) erklärt die wirtschaftliche Lage von Eintracht Frankfurt. „Zum Kreis der Premium-Partner gehören die bundeseigene Bahn AG, der regionale Verkehrsverbund und der städtische Energiedienstleister. Einziger Privatfinancier bleibt unter den Topsponsoren die Licher-Brauerei.Auf der Suche nach neuen Geldquellen zeigt sich in diesen schweren Zeiten ausgerechnet die öffentliche Hand als spendabler Gönner. Stolz und freudig kann die Frankfurter Eintracht kurz vor Saisonbeginn also neue staatliche Partnerschaften verkünden. In den Marketing Fonds des Bundesligavereins zahlen nun auch die für Busse und Bahnen zuständige Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main sowie die Landesbank Hessen-Thüringen ein. Die Kreditanstalt hatte schon im vergangenen Jahr durch Vermittlung des Ministerpräsidenten Roland Koch der Eintracht mit einer umstrittenen Bürgschaft aus der Patsche geholfen, als die Lizenzierung für den Profifußball auf der Kippe stand. Im Gegenzug erhalten die Politiker öffentlichkeitswirksame Fußballämter. In den Aufsichtsrat der ausgegliederten Fußball AG wurden jüngst der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Franz-Josef Jung, sowie Frankfurts Bürgermeister und Sportdezernent Achim Vandreike aufgenommen. Schon länger sitzt dort mit Herbert Becker ein Vertreter der Fraport AG. Bei allen Bemühungen für erstklassigen Fußball in Frankfurt entwickelt sich das Großprojekt der im Bau befindlichen WM-Arena für die Eintracht zum Glücksfall. Die hoch verschuldete Stadt und das Land suchen händeringend einen Betreiber für das neue Waldstadion, um nicht auf einem Großteil der Kosten von 126 Millionen Euro sitzenzubleiben. Also muß dafür gesorgt werden, daß sich das Fußballteam in der Bundesliga hält, denn nur mit sportlicher Konstanz auf höchstem Niveau dürfte ein Investor überhaupt für das Stadion zu finden sein. Solange rollt der Ball auch hier zu hundert Prozent auf Rechnung des Steuerzahlers. Und wo so viel öffentliches Engagement besteht, darf ein gebührenfinanzierter Fernsehsender nicht fehlen. Als neuer Mediapartner der Eintracht wurde unlängst der Hessische Rundfunk vorgestellt.“

Zukunft ungewiss, Frankfurter Kontinuität

Marcus Meyer (FTD 29.7.) kritisiert das Frankfurter Führungsverhalten. “Kontinuität gibt es in jedem Verein. Ist halt nur eine Frage der Definition. Auch bei Eintracht Frankfurt. Vergangenes Jahr erstritt der Traditionsklub erst im letzten Augenblick und vor Gericht die Lizenz für die zweite Liga, in diesem wird der Aufsteiger nach heftigen Machtkämpfen an der Führungsspitze wohl ohne Vorstandschef in die Saison gehen. Die „Diva vom Main“ ist bekannt für Unterhaltung abseits des Rasens. Solche speziellen Verhältnisse kennt Willi Reimann von seinen früheren Trainerstationen auf St. Pauli und in Nürnberg. Daher nimmt man es dem Eintracht-Coach beinahe ab, wenn er behauptet, dass ihn das Sommerchaos im Klub „nicht im Geringsten in der Vorbereitung gestört“ habe. „Ich kann meinen Job, den mache ich schon seit 25 Jahren. Ich behalte immer einen klaren Kopf und verliere nicht die Übersicht“, sagt der 53-Jährige. Reimann ist keine Plaudertasche. Aufregung ist ihm unangenehm, forsche Töne auch. In einer hochtourigen Medienlandschaft wirkt er bisweilen fremd. Dröge, sagen manche. Reimann überzeugt lieber mit Arbeit. So wie in der vergangenen Spielzeit. Von vielen anfangs belächelt, schaffte die Eintracht den Aufstieg mit einem furiosen Schlussspurt. Im letzten Saisonspiel schob sie sich noch an Mainz vorbei, nachdem Alexander Schur in der 93. Minute das 6:3 gegen Reutlingen geschossen hatte. Wunder-Willi nennen sie Reimann jetzt (…) Nach dem erbitterten Führungsstreit der vergangenen Wochen über die Nachfolge des bis Ende Juni ehrenamtlich tätigen Vorstandschefs Sparmann herrscht Stille. Vorstand und Aufsichtsrat konnten sich nicht auf einen Nachfolger einigen. Derzeit leitet Finanzvorstand Thomas Pröckl die Geschicke. Das ist vielleicht kein Nachteil. Dem Klub droht monetäres Ungemach, nachdem der designierte britische Stadionbetreiber und Investor Stadi Varios in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Zukunft ungewiss, Frankfurter Kontinuität.“

Dahingegen lobt Tobias Schächter (taz 29.7.) Trainer Reimann. „Das schüttere Haar glatt nach hinten gekämmt, ein Allerweltsgesicht, auf dessen Nase eine unaufdringliche Brille sitzt, ein weißes Poloshirt, das Bäuchlein verhüllend, eine beige Stoffhose, die dünnen O-Beine umschlingend, und die Füße von weißen Slippers beschützt: Der, dem sie in Frankfurt ein Wunder zuschreiben, wirkt ziemlich gewöhnlich. Und dennoch ist dieser Prototyp des Buchhalters jener Mann, den sie Wunder-Willi tauften, weil er die totgesagte Diva Eintracht aus den Niederungen der Zweitklassigkeit dahin zurückführte, wohin sie nach ihrem Selbstverständnis auch gehört: in die erste Liga des deutschen Fußballs. Die Frankfurter Eintracht hat zur Saisoneröffnung geladen, und um keinen Spieler scharen sich die Autogrammjäger so zahlreich wie um den Trainer. Willi Reimann ist Kult. Der 53-Jährige ist an einem 24. Dezember geboren und nicht nur deshalb für die Eintracht-Fans so etwas wie das Christkind. Sein Signum scheint begehrter zu sein als der gute, alte Äbbelwoi an diesem heißen Sonntag, dem letzten vor Beginn der 41. Fußballbundesligasaison. De Willi lernt heit schreiwe, ruft einer, worauf Willi Reimanns Gesicht eine Regung zeigt, die man als Lächeln, aber auch als Drohung interpretieren könnte. So genau weiß man das nie bei ihm. Der Westfale hält nichts von großen Worten. Stattdessen wiegelt er gerne ab. Den Aufstieg sieht er entgegen hiesiger Meinung keinem Wunder geschuldet, sondern harter Arbeit. Viele sind gekommen im Schatten der Bauruine Waldstadion, um die neue Eintracht zu sehen. Doch pünktlich zum Bundesligastart am Freitag bei den Bayern und nach einer für Frankfurter Verhältnisse harmonischen Saison, die in allerletzter Sekunde in einem Finale Furioso den Aufstieg bescherte, präsentiert sich das Umfeld des Bundesligagründungsmitglieds wie eh und je: chaotisch und skandalumwittert. Als Aufsichtsratschef Jürgen Neppe die Verpflichtung von Torwart Markus Pröll aus Köln kritisierte und es Neppe zudem nicht gelang, den Leverkusener Wolfgang Holzhäuser als Nachfolger des scheidenden Vorstandsvorsitzenden Volker Sparmann zu verpflichten, polterte der kompromisslose Reimann aus seinem Urlaubsort in Sylt medienwirksam: Ich lasse mir meine Arbeit nicht kaputtmachen! Neppe solle sich gefälligst raushalten, riet Reimann und fragte außerdem, wo Neppe denn gewesen sei vor einem Jahr, als die Eintracht fast in die Regionalliga durchgereicht worden wäre.“

Mit Kumpels im Jugendhaus Bonames eine Runde Pool

Ingo Durstewitz (SZ 28.7.) porträtiert den Frankfurter Jungstar. „Jermaine Jones wird in der nach schrägen Typen lechzenden Fußballwelt vom Boulevard medial zum streitbaren Star aufgebaut, weil er heraussticht: er ist schnell, wild, draufgängerisch, er fliegt in jeden Zweikampf als sei es sein letzter; er trägt wechselnde Frisuren und Tattoos, Ketten, Ohrringe, er hat ein loses Mundwerk und diese rüpelhafte Respektlosigkeit. Schon heute ist er bekannter als jeder andere aus der farb- und gesichtslosen Eintracht-Mannschaft, obzwar er erst zweimal ein paar Minuten im Fußball-Oberhaus gespielt hat. „Was hat er denn vorzuweisen?“, fragt Kapitän Keller rhetorisch, „30Zweitligaspiele. In der Bundesliga wird er sich umgucken, da warten andere Gegenspieler auf ihn.“ Jones, der Hip-Hopper in Fußballschuhen, ist in seine Rolle von kleinauf gewachsen. Er hat nie etwas geschenkt bekommen, außer das Talent, besser Fußball spielen zu können als andere. Jones stammt aus ärmlichen Verhältnissen, aufgewachsen ist er im Ben-Gurion-Ring, einem sozialen Brennpunkt im Frankfurter Stadtteil Bonames. Sein Vater, ein amerikanischer GI, haute früh ab; seine Mutter zog fünf Kinder groß. Das Geld war knapp – ein Leben von der Hand in den Mund. Das Gesetz der Straße, des Stärkeren galt. Jones hat damals mit seinen Kumpels jede freie Minute gekickt, auf dem Bolzplatz oder im Hof, wo Teppichstangen als Tor dienten. Heute ist der Furcht einflößende Schwergewichtler Mike Tyson sein Vorbild, weil der sich aus armen Verhältnissen nach oben geboxt hat. Wie Jones selbst. Bild widmete ihm neulich eine Seite: Der Junge aus dem Ghetto, der es allen gezeigt hat. Doch Jones, der nur noch eine Saison in Frankfurt spielen und dann zu Bayer Leverkusen wechseln wird, fühlt sich missverstanden. „Ich lasse nicht den Superstar raushängen, und wenn ich als Shootingstar gehandelt werde, dann interessiert mich das nicht. Ich bin auf dem Boden geblieben“, sagt er und erzählt, dass er sich noch heute mit seinen Kumpels im Jugendhaus Bonames trifft, um eine Runde Pool zu spielen.“

Zu den Ambitionen der Berliner Hertha lesen wir von Stefanie Kneer (FR 29.7.). „Fredi Bobic und Artur Wichniarek durften von nun an mitspielen. Die beiden neuen Stürmer gehören gemeinsam mit Mittelfeldspieler Niko Kovac zu Herthas neuer Lebensphase und zur Mannschaft des Huub Stevens. Denn der Trainer hatte im ersten Jahr noch Altlasten zu verwalten, er versuchte, das Team seines Vorgängers Jürgen Röber zu formen. Jetzt hat er sich seine eigene Mannschaft gestaltet, von der er hofft, dass sie selbstständiger wird. In den vergangenen Spielzeiten galt Hertha oft noch als zu brav oder – wie es Neuzugang Bobic bei Amtsantritt formulierte – als unheimlich unproblematisch. Doch Manager Dieter Hoeneß kündigte vor der Saison vorsorglich die unbequemste Hertha aller Zeiten an. Und so verwundert es nicht, dass er einen wie Niko Kovac verpflichtet hat. Der ehemalige Bayern-Profi weiß, was von ihm erwartet wird: Wir müssen auch mal Drecksäue sein. Es ist die Diskussion um Führungsspieler, die beispielsweise der DFB-Teamchef Rudi Völler fordert oder um Galligkeit, wie es BVB-Trainer Matthias Sammer nennt. Hertha BSC hat sich Fredi Bobic und Niko Kovac als zwei neue Typen geholt – auf den Platz und für die Aktivitäten daneben. Beide gehören bereits in ihrer ersten Saison dem Mannschaftsrat an, und der neue Stürmer wirbt schon vor seinem ersten Pflichtspiel für die Hertha-Card einer Berliner Bank. Auch sportlich sagt Bobic, wo es langgeht. Nach dem Aus im Ligapokal (1:2 gegen den Hamburger SV) übte er erste leise Kritik: So leicht dürfen wir es dem Gegner nicht machen, gegen uns Tore zu schießen.“

Hamburger SV vor der Saison Tsp

VfL Wolfsburg vor der Saison Tsp

FC Schalke 04 vor der Saison Tsp

Hertha Berlin vor der Saison Tsp

SpOn-Interview mit Armin Veh (Trainer Hansa Rostock)

SpOn-Interview mit Jörn Andersen (Trainer RW Oberhausen)

„Walther Seinsch und einige andere reiche Männer wollen den FC Augsburg in die Bundesliga hieven“, schreibt Dominik Prantl (SZ 29.7.). „Manche sehen in ihm den Messias des Augsburger Fußballs. Fest steht, dass Seinsch verrückt ist, verrückt nach Fußball. Als Rheinländer drückt er das natürlich anders aus, er sagt: „Ich bin ein Fußballjeck.“ Manchmal stellt er sich in die Fankurve. Außerdem ist er reich und weil das kein Geheimnis ist, hat es die Spekulationen über sein Engagement beim FC Augsburg bereichert. Wahrheit und Dichtung sind inzwischen kaum mehr zu trennen. Gerüchte taxieren seinen Beitrag, den er jährlich in den schwäbischen Klub pumpe, auf zwei Millionen Euro. Seinsch mag es nicht, als „der Mann mit dem Geldsack“ zu gelten. Schon alleine deshalb nicht, „weil ich eine gewisse Verpflichtung gegenüber meiner großen Familie habe“. Sechs seiner neun Kinder hat er adoptiert. Er hat die „Stiftung Erinnerung“ gegen das Vergessen der Naziverbrechen gegründet. 2001 kaufte er sich mit einer Investorengruppe beim FCAugsburg ein und als Vorstandsvorsitzender guckt er seitdem weniger auf die Berge (…) Das Saisonziel erklärt sich von alleine. Man müsse zwar nicht aufsteigen, meint Bircks, „aber langfristig kalkulieren die Investoren schon mit einem Return-of-Investment. Das ist nur im Profifußball möglich.“ Dann soll auch eine neue Heimstätte her, mit 35000 Plätzen. Krapf würde 2007 gerne in einem reinen Fußballstadion in der ersten Bundesliga spielen. „Das wäre unser Traum“, sagt er.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

„Trainingsgalopp“

„Mit einer an WM-Turnieren selten zu beobachtenden spielerischen Leichtigkeit“ (NZZ) ist die deutsche Elf in einem „Trainingsgalopp“ ins Turnier gestartet. Damit gab Völlers Elf zumindest ein „kleines Versprechen für die nächsten Partien“. Sonntägliche Pressestimmen zu den gestrigen Spielen sind allerdings noch spärlich. Wir haben den Montag abzuwarten, wie der deutsche 8:0-Erfolg gegen Saudi-Arabien von den Zeitungen aufgenommen wird. Dahingegen hat Spaniens Presse – auch die seriöse – zu alter Kriegsmetaphorik zurückgefunden, wenn es darum geht, deutsche Erfolge auf dem Fußballfeld zu beschreiben.

Außerdem: das „robuste, taktisch perfekt eingestellte Ensemble“ (NZZ) aus Dänemark, Remis der deutschen Gruppengegner, Blatters Image, Nationalfeiertag in Senegal, taktische Fragestellungen an die WM 2002 sowie ein schwarzer Bildschirm.

„Es sah so aus, als ob sie drei Meter groß wären“, titelt die spanische Tageszeitung El País (1.6.) über die deutsche Elf nach deren Kantersieg. „Mit einem kriegerischen Spiel hat Deutschland Saudi-Arabien mit acht Toren überrollt. Deutschland zeigte keine Gnade mit einer Amateurmannschaft, doch sie haben nichts Neues erfunden. Man sieht keine besondere Fähigkeiten, außer bei Ballack, der ein sensationelles Spiel geliefert hat. Er spielt zwar nicht konstant, aber seine Fähigkeiten sind außerordentlich. Er ist der interessanteste Fußballer, der in den letzten zehn Jahren in Deutschland groß geworden ist. Das Ergebnis wird einen euphorisierenden Effekt auf eine Mannschaft haben, die in den letzten Jahren in Misskredit geraten ist. Jetzt erkennt man wieder das alte Deutschland, dessen Fußball immer gefürchtet wurde. Es stellt sich nur die Frage, ob es Fiktion oder Wirklichkeit ist, denn Saudi-Arabien bildet keinen gültigen Referenzwert. Aber die Zeit wird es zeigen. Nur eins ist sicher: Aus der Entfernung hört man das Rauschen, denn die Deutschen kommen mit der ganzen Feldtruppe im Galopp.“

Uwe Marx (FAS 2.6.) sieht in dem gestrigen Auftritt der Deutschen Anlass zu Hoffnung. „Zwei gute Nachrichten vorneweg. Die erste: Deutschland kann Fußball spielen. Die zweite: Saudi-Arabien auch. Das sah (…) zwar nicht so aus, dürfte aber als gesichert gelten (…) Den kleingewachsenen Saudis, speziell jenen, die gegen den deutschen Hünen Jancker verteidigen mussten, mochte man zwischen durch zurufen: Der beißt nicht! Die körperliche Überlegenheit der deutschen Mannschaft war gewaltig; ansonsten wären fünf Kopfballtore nicht möglich gewesen. Und doch garantiert sie allein nichts – wie mancher gestrauchelte Fußball-Goliath weiß (Deutschland zum Beispiel). Eine WM-Partie so aussehen zu lassen, als ob Erwachsene gegen A-Jugendliche spielten, ist keine Selbstverständlichkeit.“

Die öffentliche Erwartungshaltung in Deutschland erahnt Sven Goldmann (Tsp 2.6.). „Die Deutschen werden Völlers Mannschaft in Fernost viel verzeihen, sofern sie sich sympathische repräsentiert sehen. So, wie sie selbst gerne sein würden. Ein gewisses Maß an Ästhetik. Zwei, drei schöne Spielzüge. Alles, nur kein Rückgriff auf Tendenzen, mit denen die Deutschen 1954 in der Schweiz Weltmeister wurden. Heute hört es kein Deutscher mehr gern, wenn diese Tugenden typisch deutsch genannt werden. Damals hat sich die junge Bundesrepublik grätschend und Rasen pflügend den Weg aus der Isolation erarbeitet. Die Deutschen von 1954 wollten Respekt, die von 2002 wollen Zuneigung. Gestern haben sie dafür schon mal acht Gründe geliefert.“

Thomas Klemm (FAS 2.6.) erklärt das Zustandekommen des dänischen 2:1-Siegs über Uruguay. „Je länger das Spiel dauerte, umso deutlicher zeigte sich die taktische Überlegenheit der Europäer. Der dänische Offensivstil nach holländischem Vorbild – flach, schnell und über die Flügel – führte zum Erfolg.“

Helmut Schümann (Tsp 2.6.) über die unterlegenen Südamerikaner. „Die Uruguayer verfügen über keine Mannschaft, da ist kein zwingendes Zusammenspiel erkennbar, und konditionsschwach waren sie gegen die Dänen auch noch.“

Die NZZ (2.6.) über das Remis zwischen Kamerun und Irland. „5675 Kilometer Luftlinie trennen die irische Hauptstadt Dublin von der Kapitale Kameruns Yaoundé – noch mehr Distanz liegt allerdings zwischen den Fußballkulturen, welche die beiden nationalen Auswahlen repräsentieren: Wenngleich sich die die Grenzen zunehmend verwischen, die zu Stereotypen stilisierte Ausrichtung der Spielsysteme blieb gleichwohl jederzeit erkennbar. Hier der technisch versierte, leichtfüßige Gewinner des diesjährigen Afrika-Cups, dort der hemdsärmlige, von Leidenschaft getriebene Kraftakt der Iren.“

Die Irish Times (1.6.) wertet das Unentschieden gegen Kamerun als Erfolg: „Irlands Weltmeisterschaftsfeldzug begann heute beherzt, als sie nach einem Rückstand noch ein 1:1-Unentschieden gegen Kamerun erreichten. Die Männer von Mick McCarthy erfuhren in der Kabine anscheinend eine Metamorphose. Als sie zur zweiten Halbzeit mit Steve Finnan anstatt mit Jason McAteer aufliefen, erhöhten sie das Tempo und drücken vermehrt nach vorne. Als der japanische Unparteiische abpfiff, war es der amtierende Afrikameister und Olympiasieger, der erleichterter dreinschaute.“

Die Feierlichkeiten auf Senegals Straßen nach dem Sieg über den ehemaligen Kolonialherren Frankreich beschreibt Robert von Lucius (FAS 2.6.). „Überall wehten die Nationalfarben Rot, Grün, Gelb. Kinder mengten sich in das Gewühl: Präsident Abdoulaye Wade hatten ihnen schulfrei gegeben, weil niemand habe erwarten können, dass sie während Senegals Auftaktspiel bei einer WM lernten. Geschäfte änderten ihre Öffnungszeiten, um Angestellten das Fernsehspektakel zu ermöglichen. Nach dem Spiel fuhr auch der Präsident mit seinem Jeep, drapiert in den Nationalfarben, durch die Straßen, feierte mit und erklärte den Freitag zum Nationalfeiertag.“

Christian Eichler (FAS 2.6.) über das TV-Ereignis WM-Eröffnungsspiel. „Die Welt schaute zu. Halt, da haben wir aber zwei rückständige Flecken auf der Weltkarte vergessen. Nordkorea natürlich, letzte Wüste der Medienwelt. Und die blühenden Landschaften des digitalisierten Deutschland. Dort, wo man sich auf dem neuesten Stand der Empfangstechnik glaubte, schauten am Freitag ein paar Millionen in die Röhre: der schwarze Kanal, Ausgabe 2002. Tags darauf konnte sich auch der Rest Deutschlands vorstellen, wie das ist, im neuen Tal der Ahnungslosen, abgeschnitten vom Rest der Welt.“

Roland Zorn (FAS 2.6.) über Fifa-Präsident Blatter, der bei seiner Eröffnungsrede von den Stadionbesuchern in Seoul ausgebuht wurde. „Der Mann genießt kein Vertrauen mehr, nicht einmal beim gemeinen Fan auf der Tribüne, der im Vorstandsvorsitzenden der Weltfirma Fifa längst nur noch den Strippen ziehenden Sachwalter eines auf Zuwendungen, Absprachen und Begünstigungen ruhenden Systems eines sinnfreien Gebens und Nehmens erkennt.“

Fußball-Fachmann Christoph Biermann („Der Ball ist rund“) referiert (SZ 1.6.) über Fußballtaktik. „Fußball-Weltmeisterschaften haben den Charakter von Fachmessen, bei denen der jeweils neueste Stand des Spiels festgestellt werden kann (…) Beim WM-Turnier in Fernost wird es besonders um die Mischung aus individuellen Qualitäten und überlegener Organisation auf dem Platz gehen (…) Die Mannschaften müssen auf dem Platz eine gemeinsame Antwort auf die beiden wichtigsten Fragen finden, die der moderne Fußball stellt: Wie verwandle ich Defensive in Offensive, und wie entkomme ich in Ballbesitz der Enge des Raums?“

In Einklang mit dem Tagesspiegel am Sonntag (2.6.) vermissen wir TV-Zuschauer einen Mann: nämlich Radioreporter Günther Koch. „Der größte Skandal dieser Weltmeisterschaft ist, dass ihm all die angepassten Schalterbeamten der ARD-Anstalten vorgezogen wurden.“

über Spaniens Elf

über Schwedens

Stimung in China

über Chilavert

Scolari , Brasiliens Trainer

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Lybische Ambitionen

Maik Grossekathöfer (Der Spiegel5.5.) schildert lybische Ambitionen. „Der Sohn des Revolutionsführers spricht ein Machtwort. Als Saadi Gaddafi eine Viertelstunde vor dem Anpfiff bemerkt, dass nur 5.000 Fans im riesigen Stadion des 11. Juni in Tripolis sitzen, ordnet er per Telefon an, den Preis für ein Ticket sofort von 50 Dinar auf 20 zu reduzieren. Schließlich spielt die libysche Nationalmannschaft, deren Star er ist, an diesem Abend gegen Argentinien – da sollen die Ränge voll sein. Wie sieht denn das sonst aus? Das Last-Minute-Angebot macht offenbar schnell die Runde. Mitte der ersten Halbzeit sind 60.000 Zuschauer in der Arena. Gaddafi junior trägt das Trikot mit der Nummer 11. Zwei Stunden später sitzt Saadi Gaddafi, der jüngste Filius des Despoten Muammar, im Saal Schahhat des Fünf-Sterne-Hotels Corinthia mit seinen südamerikanischen Gästen beim Gala-Diner. Drei Männer in weißen Gewändern bringen mit einem Dudelsack und Bongotrommeln Folklore zum Vortrag. Auf drei Leinwänden werden pausenlos Dias gezeigt: Gaddafi beim Torschuss, Gaddafi mit Pokal, Gaddafi jubelnd. Der Mann mit dem Backenbart, der in Libyen wegen seiner Ausbildung bloß Ingenieur genannt wird, schneidet mit dem argentinischen Mannschaftskapitän Juan Pablo Sorín eine Torte an. Saadi Gaddafi ist ein guter Gastgeber. Jedem Spieler überreicht er einen Pokal mit persönlicher Gravur. Dem Stürmer Javier Saviola schenkt er noch eine goldene Rolex – der Profi in Diensten des FC Barcelona ist Gaddafis Liebling. Saviola bedankt sich artig. An der Wand hinter ihm hängt ein Plakat mit der Aufschrift Friends get together. Die Freundschaft zur argentinischen Nationalelf hat Saadi Gaddafi, 29, eine Million Dollar gekostet. Das Länderspiel vorigen Mittwoch bildet den vorläufigen Höhepunkt eines bizarren Werbefeldzugs der libyschen Diktatorenfamilie. Im Auftrag seines Vaters versucht Saadi mit sportlichem Engagement die internationale Isolation des Wüstenstaats aufzubrechen. 1992 verhängte die Uno Sanktionen gegen Libyen – als Reaktion auf den Anschlag gegen einen Pan-Am-Jumbo, der vier Jahre zuvor über dem schottischen Lockerbie explodiert war. 270 Menschen kamen ums Leben. Im April 1999 wurde das Embargo ausgesetzt. Libyen hat unter den Repressalien extrem gelitten, sagt Gaddafi junior. Jetzt müssen wir all unseren Reichtum, all unser Potenzial dazu nutzen, um ein positives Bild von uns zu entwickeln. Und dafür gibt es nichts Besseres als Fußball. Die Scheckbuch-Diplomatie hat inzwischen eine Menge illustrer Profiteams ins nördliche Afrika gelockt. Werder Bremen war bereits da, demnächst kommt der FC Liverpool, und den Kontakt zu Karl-Heinz Rummenigge hat Saadi Gaddafi auch schon aufgenommen. Bayern München steht wie Schalke 04 auf seinem Wunschzettel ganz weit oben. Aber es reicht ihm nicht, nur Gastgeber für zwei Tage zu sein. 2010 will Gaddafi die Weltmeisterschaft ausrichten (…) Dass Afrika die WM 2010 bekommen soll, ist zwar ausgemacht. Aber mit Marokko, Südafrika und Ägypten sind starke Kandidaten im Rennen. Welchen Vorteil hat Libyen den anderen afrikanischen Aspiranten gegenüber? Gaddafi: Wir haben keine Krankheiten im Land. Die zivilen Defizite des Ölstaats verschweigt er: Medien unterliegen der Zensur, politische Parteien gibt es nicht, Oppositionelle werden ohne weiteres inhaftiert. Gaddafi ist Vizepräsident des libyschen Fußballverbandes, aber er verkörpert den heimischen Fußball auch auf dem Platz. Er ist Kapitän des Erstligisten al-Ittihad Tripolis, agiert als dritte Sturmspitze, will sich aber künftig auch als Regisseur im Mittelfeld probieren. Als Einziger in der Mannschaft hat er einen Stammplatz sicher, und natürlich bestimmt nur er selbst, ob er ausgewechselt wird. Seine Entscheidungen werden nicht diskutiert, sagt Ittihad-Trainer Giuseppe Dossena. Es lohnt sich nicht, ihm zu widersprechen. Schließlich ist er auch Eigentümer und Präsident des Clubs. Was passiert, wenn man seinen Kommandos nicht Folge leistet, musste im September Nationaltrainer Francesco Scoglio erfahren. Zwar führte der Italiener das Team innerhalb von acht Monaten in der Weltrangliste um 16 Plätze nach oben. Aber weil er sich weigerte, Gaddafi in der Qualifikation zum Afrika-Cup einzusetzen, wurde er gefeuert. Saadi sei als Spieler wertlos, wettert Scoglio. Er ist eine totale Null. Der Sohn des großen Revolutionsführers sieht das selbstverständlich anders. Beim Training der Nationalmannschaft stolziert er wie ein Löwe über den Rasen. Seine Fußballstutzen sind hochgezogen wie bei keinem anderen. Selbst wenn er im Gras liegt und die Beinmuskeln dehnt, scheint er irgendetwas Wichtiges zu tun. Doch Gaddafi ist kein begnadeter Kicker. Er ist ein Fußballer von Vaters Gnaden. Als im Juli 1996 aufgebrachte Fans das Spielfeld stürmten, weil der Schiedsrichter Gaddafis Team bevorzugte, eröffneten Saadis Leibwächter das Feuer. Heute mag sich an das Ereignis, bei dem mindestens acht Menschen starben, niemand mehr erinnern. Stattdessen legen ihm die Mitspieler im Strafraum den Ball ebenso uneigennützig wie präzise auf, damit er ihn bequem ins Tor befördern kann. Wenn Saadi Gaddafi Freistöße übt, wirft sich der Torwart schon in eine Ecke, bevor der Ball unterwegs ist. Da jede körperliche Attacke einer Majestätsbeleidigung gleichkäme, halten die Gegenspieler dezent Abstand. Kein Wunder, dass der Stürmer mit 17 Treffern in der vergangenen Saison Torschützenkönig wurde.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Löwe im Käfig

Karl-Heinz Wildmoser verhaftet; „Löwe im Käfig“ (FTD); „im Sport ist Deutschland kein unbelasteter Standort mehr“ (SZ) – „Dauer-Retter Lienen“ (FTD) u.v.m.

Thomas Kistner Wolfgang Görl (SZ 10.3.) beschreiben die Geldgier der Wildmosers: „Zu viele haben sich doch schon abgewandt in der bald 14 Jahre währenden Wildmoser-Ära, darunter viele, die sich als Klub ehrenamtliche im Kräftemessen mit dem wuchtigen Oberlöwen blutige Nasen geholt haben. Wildmoser – das war nur vordergründig ein Synonym für bayerische Hemdsärmeligkeit, in Wirklichkeit hat der Amtsführung des Allmächtigen oft der Ruch des Geschäftsfilzes angehaftet. Diskrete Deals, die in der Familie blieben, waren erstmals im Herbst 1994 aufgeflogen. Damals hatte ein so genannter Freundeskreis des TSV 1860 dem Klub Darlehen über insgesamt 1,6 Millionen Mark gewährt, zum saftigen Zinssatz von neun Prozent. Als Empfänger quittierte Wildmoser senior, als Darlehensgeber für den Freundeskreis Wildmoser junior – und überdies hatte jener Darlehensvertrag die gutverzinste Gönnerschaft unverblümt an den Verbleib Wildmosers im Präsidentenamt geknüpft. Als der Handel publik wurde, rümpfte selbst der DFB die Nase, vereinsintern aber wurde erstmals das praktiziert, was von Kritikern auch in späteren Jahren als Säuberungsaktion bezeichnet wurde. Zug um Zug wurde nun bei Vereins- und Delegiertenversammlungen in rauer Biertischmanier das System Wildmoser etabliert; Fragesteller, die sich allzu engagiert für Transfer- oder Bilanzdetails interessierten, wurden öfter niedergebrüllt oder, wie so mancher geschasste Vereinsangestellte beklagte, flott weggemobbt. Wildmoser regierte, das Fußballvolk parierte. Treue Bündnisgenossen im Vorstand ebneten die Dienstwege: „Wildmoser muss sagen, wo es langgeht, und wo es langgeht, werde ich auch folgen“, sagte zum Beispiel Paul Wonhas im Herbst 1997 – da war der Pensionär just zum Vizepräsidenten neben Kurt Sieber berufen worden, einem Münchner Großmetzger. Externe Mitstreiter indes fühlten sich häufig ausgenutzt und schieden im Zwist. (…) Gegen den erbitterten Widerstand der Fan-Basis boxte Wildmoser sogar den Umzug ins ungeliebte Olympiastadion durch, womit er ein Kernstück der Vereinstradition preisgab. Die Identität ging verloren. Gleichzeitig führte Wildmosers Kurs – entgegen dem Modernisierungsprozess in der Ballbranche – den Klub Schritt für Schritt in die Vergangenheit zurück. Heute ist der TSV 1860 der letzte Bundesligist, der wie ein Familienunternehmen geführt wird. Emotion statt Information, nach dieser Devise regierte der Patriarch. Tauchten Probleme auf, griff Wildmoser auf bewährte Schauspielkunst zurück: Mal wurde der Bauch rausgedrückt („Es passt ois“) und durchmarschiert, war aber der Ärger zu groß, badete er öffentlich in Tränen des Selbstmitleids. Kaum eine Saison verging, in der Wildmoser nicht mit angeblicher Amtsmüdigkeit kokettierte: „Ich bin nur noch ein Wrack.“ Richtig verlassen konnten sich seine Widersacher darauf aber nie. Was dazu führte, dass der Großgastronom zu einem der prominentesten Männer der Stadt aufstieg. Dass er, der Franz Beckenbauer so sehr bewundert, nun auch das Image der Bayern beschädigt, ist eine der pikantesten Facetten des Münchner Fußballskandals.“

Wachsendes Unbehagen

Roland Zorn (FAZ 10.3.) kommentiert die Verhaftung Karl-Heinz Wildmosers: „Money, money, money: Daß es beim Profisport auch um Geld, um sehr viel Geld geht, ist eine seiner längst allgemein akzeptierten Geschäftsgrundlagen. Befremdlich muten dagegen Versuche an, mit hehren Absichtserklärungen die eigene Raffgier zu verschleiern. Auf gar kein Verständnis darf derjenige rechnen, der etwa in den Grauzonen der Busineß-Klasse des großen Fußballs persönlichen Gewinn abschöpfte. Ob Karl-Heinz Wildmoser, der Patron des Münchner Bundesliga-Zweitklubs 1860, und sein Sohn, der Geschäftsführer der Löwen und der Stadion-GmbH, unter Bereicherungsgesichtspunkten bei der Vergabe von Bauaufträgen für die neue Allianz-Arena strafbar gehandelt haben oder nicht, wird sich erst noch zeigen müssen. Das Publikum aber, in Fragen des rechten Umgangs mit dem teuren Gut Geld seit je auf Distanz zu den Verschwendern und Nutznießern des Profitsports, wird sich sein Vorurteil rascher bilden als die Staatsanwälte und Richter ihre gerichtsfesten Erkenntnisse. Der Wunsch, daß es auch in der professionellen Welt des ge- und verkauften Athletentums wieder honoriger zugehe, ist jedenfalls dieser Tage deutlich spürbar. Mögen auch die Fälle – Mißwirtschaft bei Borussia Dortmund, Nationalitätenwechsel geldgieriger Fußballprofis, möglicherweise unlautere Praktiken beim Bau des neuen Münchner Stadions – nicht miteinander vergleichbar sein, so herrscht doch ein Gefühl des wachsenden Unbehagens beim Konsumenten vor. In Geldfragen sensibler zu werden möchte man allen empfehlen, die seit Jahr und Tag am großen Rad des Sports drehen und dabei die Versuchung besiegen müssen, sich nicht blenden zu lassen vom eigenen Ehrgeiz, vom merkantilen Erwerbstrieb oder von der Aussicht auf en passant gezahlte Provisionen. Zum Glück greifen auf der Seite derjenigen, die das Geschäftsgebaren im Sport oder auf sportaffinen Schauplätzen kontrollieren, die Gesetzmäßigkeiten des Marktes, gegebenenfalls der Justiz.“

Thomas Kistner (SZ 10.3.) sorgt sich um die WM 2006: „Um ein bayerisches Folklorestück handelt es sich diesmal nicht – die Erschütterungen reichen weit über die Achse Giesing-Fröttmanning hinaus. Der deutsche Profifußball, angeknockt durch immer mehr fragwürdige Finanzpraktiken von Kaiserslautern bis Dortmund, erfährt den bislang heftigsten Tiefschlag. Die Frage, wie es (auf beängstigend breiter Ebene) bestellt ist um die Geschäftsmoral in diesem Unterhaltungsgewerbe, findet just dort eine Antwort, wo man sie am wenigsten gesucht hätte: Im reichen Süden, sogar im unmittelbaren Zuständigkeitsbereich des Rekordmeisters FC Bayern. Ohne eigenes Verschulden gerät ja auch der Renommierklub in die Ausläufer eines offenbar handfesten Kriminalstücks – und in Mitleidenschaft wird auch die deutsche WM-Organisation gezogen. Dass die Münchner Allianz-Arena, Schauplatz der feierlichen WM-Eröffnung 2006, fortan mit dem Makel einer Bestechungaffäre belastet ist, lässt sich leider so wenig beiseite schieben wie die Frage, ob noch einiges mehr kommen könnte. In großem Stil gebaut und subventioniert wird ja auch noch andernorts in dieser Fußball-Bananenrepublik – also auch getrickst, gedealt, getäuscht?“

Robert Ide (Tsp 10.3.) ergänzt: „Das Sportereignis des Jahres, ein gigantisches Kulturfest, ein Signal des Aufschwungs – das sollte die Fußball-WM 2006 werden. Nun droht schon zwei Jahre vor dem Anpfiff die quälende Aufarbeitung interner Finanzströme und öffentlicher Bauaufträge. Das tut der Vorfreude sicher nicht gut. Doch Aufklärung ist dringend geboten. Nur so kann das Land seinen Ruf als ordentlicher Organisator dieses wichtigen Ereignisses wahren. Sport und Politik bilden nicht immer eine gute Allianz. Schon die Leipziger Bewerbung für Olympia 2012 wäre fast an fragwürdigen Provisionsgeschäften der Beteiligten gescheitert. Nun erscheint ein Ereignis, das bislang unbeschadet aussah und mit dem Kanzler Gerhard Schröder gerne warb, in einem schlechten Licht. Für die Organisatoren bedeutet das: Sie müssen ihre Geschäfte überprüfen lassen und öffentlich machen. Nur so lässt sich der Verdacht ausräumen, dass Kriminelle an der Fußball-WM verdienen.“

Korruption in Deutschland ist eine gesellschaftliche Veranstaltung

Heribert Prantl (SZ 10.3.), verantwortlich für SZ-Innenpolitik, sorgt sich um Deutschland: „Der Ort und der Gegenstand der Korruption ist 258 Meter lang, 227 Meter breit und fasst 66 000 Menschen: Es handelt sich um das neue Münchner Fußballstadion, in dem im Jahr 2006 Eröffnungsfeier und Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft stattfinden sollen. In Wahrheit ist aber der Ort der Korruption noch gewaltiger: Er ist 990 Kilometer lang, 720 Kilometer breit und fasst 82,5 Millionen Menschen. Es sind dies die Daten der Bundesrepublik Deutschland. Der Bestechungsskandal, der soeben zur Verhaftung des Präsidenten des Fußballvereins 1860 München geführt hat, ist nämlich nur die Schnurrbartspitze des kriminellen Phänomens, das von der polizeilichen Kriminalstatistik derzeit praktisch überhaupt nicht erfasst wird; die registriert alljährlich nur 3000 Korruptionsfälle. (…) Korruption in Deutschland ist keine Tat von ein paar Einzelgängern, sondern eine gesellschaftliche Veranstaltung. Der Fall in München ist, auch wenn er wegen des Objekts und der Subjekte der Tat ein besonders spektakulärer Fall ist, letztlich nur ein weiterer Fall zur Aufhellung eines großen Dunkelfeldes. Es gilt der Satz: Wer suchet, der findet. In Deutschland wird zu wenig gesucht.“

In der SZ liest man: „All dem vorangegangen war eine jahrelange Diskussion um das Olympiastadion, seit vielen Jahren gemeinsame Spielstätte der beiden Bundesligisten. Der Tenor: Das „Oly“ ist kein Fußballstadion, nicht mehr zeitgemäß, man sitzt oder steht viel zu weit weg vom Spielfeld, es kommt keine Stimmung auf, und überhaupt gehören hier nur Leichtathleten oder Rockstars rein.Hitzkopf Beckenbauer hoffte gar „dass sich irgendein Terrorist finden lässt, der das Ding in die Luft sprengt“.“

Hannover 96 engagiert Ewald Lienen. Frank Hellmann (FR 10.3.) ist skeptisch: „Ungeachtet aller spielerischen Highlights, die die Spaßfußballer zeitweise unter Ralf Rangnick vortrugen, ist der Club bis heute in weiten Zügen ein Amateurverein geblieben. Zuschauer sitzen auf der Großbaustelle AWD-Arena hinter riesigen Stahlgerüsten – und doch hat der Verein gleich im zweiten Bundesliga-Jahr die Eintrittspreise kräftig erhöht. Das ist genauso unvernünftig wie die Maßnahme, nun dem eher sinnfrei zusammengekauften Söldner-Ensemble, das Stärken allenfalls in der Offensivbewegung entfaltet, den akribischen Arbeiter und Defensivspezialisten Ewald Lienen als Heilsbringer zu verordnen. Doch in der sportlichen Not blieb kaum eine andere Wahl: Wunschkandidat Erik Gerets wollte nicht, Huub Stevens sollte nicht, Friedhelm Funkel durfte nicht. Für den Trainertausch in prekärer Lage haben Gesellschafter und Großsponsoren nochmal einen siebenstelligen Betrag bewilligt. Längst wandelt Hannover 96 auch finanziell am Abgrund. Kind räumt auf FR-Anfrage ein, dass die Stadiongesellschaft im Fall des Abstiegs Zins und Tilgung nicht aufbringen kann. Die Refinanzierung der WM-Arena gelingt nur im Oberhaus. Auch solche Planungen sind kühn, geradezu tollkühn. Hier Lienens Zettelwirtschaft, dort Kinds Misswirtschaft – unter dem Strich könnte bei dieser unheilvollen Konstellation stehen, dass der Traditionsverein dauerhaft dorthin abstürzt, wo er 13 lange Jahre war: in die wenig beachteten Ligen zwei oder drei.“

Ballschrank

Kirch-Zahlungen

Roland Zorn (FAZ 18.3.) kommentiert die verdeckten Kirch-Zahlungen. „Warum wurden die Abmachungen zwischen den Münchner Bayern und Kirch, zwischen Jürgen W. Möllemann und Kirch, zwischen Fedor Radmann und Kirch, zwischen dem DFB und Kirch stets unter dem Siegel der Verschwiegenheit getroffen? Jetzt ist der Konzern insolvent, und es kommt heraus, daß Kirch vermutlich über 150 solcher Geheimabkommen geschlossen hat. Verträge, die mit einem Generalverdacht beargwöhnt werden: dem nämlich, daß Kirch damit vor allem gut Wetter für die eigene Firmenpolitik machen wollte. Den Soupcon des lohnenden Lobbyismus zu entkräften dürfte denen, die jetzt nach Erklärungen suchen, schwerfallen. Wofür Kirch manchmal viel Geld bezahlte, stand nach allem, was bekannt wurde, in einem seltsamen Gegensatz zu den dafür eher verschwommen definierten, oft weniger wertvollen Gegenleistungen. Der Münchner Medienunternehmer machte sich jedenfalls, als er noch groß und mächtig war, viele Freunde, auf die er zählen wollte, wenn es galt, ein gutes Wort für die Firma einzulegen. Besonders unangenehm ist die jüngste Enthüllung für den früheren DFB-Ligadirektor und Geschäftsführer der Wirtschaftsdienste, Wilfried Straub. Der 63 Jahre alte Hesse ist heute Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga (DFL) und hat in dieser Funktion auch den der Öffentlichkeit jahrelang vorenthaltenen Pakt zu prüfen, den die Bayern mit Kirch schlossen, ehe sie von entschiedenen Befürwortern der dezentralen Bundesliga-Fernsehvermarktung zu eindeutigen Anhängern der Zentralvermarktung wurden. Ob und wie die Münchner hierfür im nachhinein zu bestrafen wären, soll der nach den Erkenntnissen vom Wochenende wohl befangene Straub mitentscheiden. Ein Unding. Dabei stand gerade die Integrität Straubs als persönlich unabhängiger Sachwalter der Interessen des deutschen Profifußballs bisher nie in Frage. Sollte sie jetzt, und sei es nur leicht, beschädigt worden sein, wäre dem in Ehren ergrauten, innovativen Gedankenguts unverdächtigen Wilfried Straub zu wünschen, daß er in absehbarer Zeit auch eine zweite Konsequenz zöge: in den Ruhestand zu gehen.“

Aus dem Unterhaus

Thomas Kilchenstein (FR 15.3.) porträtiert Jörg Berger. „Jetzt ist der Mann, der mal der Feuerwehrmann der Ersten Liga war, nur dankbar. Dankbar für jeden Tag, für jede Woche, dankbar, dass dieser Kelch an ihm vorbeigegangen ist. Jetzt will er was zurückgeben. Er, der wie viele lax mit Vorsorgeuntersuchungen umgegangen war, engagiert sich nun stark für die Kölner Krebsstiftung Lebenswert, er tritt in Talkshows auf und rät dringend zur Vorsicht. Jedes Jahr sterben 30.000 Menschen an Darmkrebs, das ist ein volles Stadion. Viele könnten überleben, wenn der Krebs rechtzeitig entdeckt würde. Seine Appelle, die mehr fruchten, weil er prominent ist, haben bereits zwei Menschen das Leben gerettet. Auf seine Initiative hin waren sie zur Vorsorge gegangen, es wurde Krebs festgestellt – und erfolgreich operiert. Jörg Berger hat es noch einmal geschafft, ich bin gesund, so weit man das sagen kann, im März steht die nächste Kontrolluntersuchung an. Zehn Tage nach seiner Operation hat er die Uni-Klinik Köln verlassen, am 7. Januar dieses Jahres ist er mit seiner Mannschaft ins Trainingslager gefahren, in die Türkei nach Belek. Am ersten Rückrundenspieltag Ende Januar, gegen den SC Freiburg, stand Berger wieder an der Linie, schön, dass du wieder da bist, hat ihn Volker Finke begrüßt. Es ist ihm heiß und kalt den Rücken runtergelaufen. Auch als er die zahllosen Briefe und Faxe körbeweise erhalten hatte von Menschen, die ihn gar nicht kannten, vor allem aus Frankfurt, Aachen und aus Schalke, die ihm Mut machten, Hoffnung gaben, eine Stütze waren. Der Fußball, findet er, ist eine große Gemeinschaft. Jörg Berger ist zurück im Leben, zurück in der Mühle. Aber sie macht ihm Spaß, wieder Spaß. Es ist ein anderer Spaß als vor dem 8. November. Die Werte haben sich verschoben. Schicksalsspiele gibt es keine mehr für ihn, das Leben hat sich verändert für ihn, er ist gelassener geworden, vielleicht auch ruhiger. Aber nicht weniger ehrgeizig: Gegen die Eintracht habe ich noch nie verloren, das ist ein gutes Pflaster für mich. Das wichtigste Spiel hat Jörg Berger eh schon gewonnen.“

Zur Lage beim MSV Duisburg heißt es bei Roland Leroi (SZ 17.3.). „Wenn es Walter Hellmich gut geht, dann raucht er gerne eine dicke Zigarre. Meist stammen die aus dem Fundus von Rudi Assauer. Dem Manager von Schalke 04 errichtete Hellmich in seiner Funktion als Bauunternehmer neulich die Vorzeige-Arena AufSchalke. Seitdem hat Hellmich nur noch selten geraucht. Der 58-Jährige ist seit einem knappen Jahr Vorsitzender des Zweitligisten MSV Duisburg und hat es sich langfristig zum Ziel gesetzt, mit seinem Kumpel Assauer auf sportlicher Ebene gleichzuziehen. Davon trennt ihn momentan eine ganze Menge. Der MSV hat sich nach einem mäßigen Rückrundenstart im Mittelmaß der zweiten Liga festgefahren, und die Aufbruchstimmung, die Hellmich bei seinem Amtsantritt mitbrachte, hat mittlerweile eher die Wirkung einer Abrissbirne. Deshalb reagiert er auch zunehmend trotzig, wenn er auf die Defizite in seinem Verein angesprochen wird. „Auch wenn es heute keiner glaubt: Der MSV hat in der nächsten Saison eine Mannschaft, die um den Aufstieg mitspielen kann“, sagt der Mann, der 1997 für sein soziales Bauengagement in Ostdeutschland das Bundesverdienstkreuz am Bande erhielt. In Duisburg haben sie ihm vor zwei Monaten nur einen Karnevalsorden verliehen. Damals durfte der MSV immerhin vom Erstliga-Comeback träumen, als die Mannschaft als Tabellensiebter mit sechs Punkten Abstand zu Platz drei überwinterte. Seitdem wurde nur noch ein Sieg verbucht. Trainer Norbert Meier, der erst im Januar die Nachfolge von Interimstrainer Bernard Dietz antrat, muss sich das immer wieder vorrechnen lassen. Unter Dietz holte der MSV in sechs Spielen 15Punkte, Meier brachte es in acht Versuchen nur auf sechs Zähler. Zudem gab es Knatsch um den zur Rückrunde verpflichteten Vasile Miriuta. Der Mittelfeldspieler, der schon bei Energie Cottbus seinen Starstatus genoss, brachte nicht den versprochenen Erfolg, wurde mehrfach ausgewechselt und muckte öffentlich gegen Meier auf. Miriuta, dessen geringer Bewegungsradius auch aus dem Mannschaftskreis kritisiert wurde, musste daraufhin auf die Reservebank und 2000 Euro Strafe zahlen. Für Duisburger Verhältnisse ist das eine Menge. Erst am vergangenen Freitag, als der MSV bei LR Ahlen ein 0:0 erreichte, durfte Miriuta wieder 90 Minuten lang spielen. „Vasile hat sich gut bewegt und der Mannschaft geholfen“, stellte Meier fest und lobte den zuvor in Frage gestellten „überragenden Teamgeist“. Meier muss Argumente sammeln, um Volkes Zorn einzudämmen. Die Fans skandieren schon seit Wochen: „Und wir wollen keinen andern außer Dietz.“ Dietz dreht sich bei derlei Ovationen angewidert weg. Er hat dem Profifußball bereits mehrmals abgeschworen und will nur noch die Amateure des MSV trainieren. Außerdem ist Dietz von Meier, den er als seinen Nachfolger vorschlug, überzeugt, weil der „ein Arbeitstier“ sei.“

Thomas Kilchenstein (FR 18.3.) beleuchtet die Stärke von Eintracht Frankfurt. „Dass Eintracht Frankfurt Tore schießt, wenn auch nicht viele, und somit eine sehr respektable Rolle spielt in dieser Runde, hat auch damit zu tun, dass die Mannschaft inzwischen Sachen beherrscht, die früher für sie Bücher mit sieben Siegeln waren: Standards zum Beispiel. Standards werden jene Situation im Spiel genannt, in denen der Ball ruht und geplant in diese oder jene Richtung getreten werden kann, Ecken und Freistöße. Im Anschluss an diese Standards erzielten die Frankfurter vier ihrer letzten fünf Tore, in Duisburg fielen die Treffer jeweils nach Eckbällen, gegen Karlsruhe (zum 2:0) und jetzt gegen Aachen jeweils nach Freistößen. Das ist insofern bemerkenswert, als Eintracht-Spieler lange Zeit dafür bekannt waren, harmloseste Eckbälle und ungefährlichste Freistöße zu schießen. Ex-Trainer Horst Heese hat dafür gar einen Begriff kreiert: Schmusebällchen. Viele Spiele werden über Standardsituation entschieden, sagt Eintracht-Trainer Willi Reimann. Jede Ecke, jeder Freistoß sei demnach eine Torchance, weswegen der Eintracht-Coach auf die stete Verfeinerung dieser Technik achtet. Ein, zwei Tage vor dem Spiel intensiviert der Fußballlehrer die Übungen mit dem ruhenden Ball, dann werden die Pappkameraden aufgestellt und Freistöße geübt. Mit Erfolg: Ervin Skela zirkelte am Sonntag den Ball aus 20 Metern wunderschön ins Tor. Die Standards sind extrem wichtig, findet auch Alex Schur. Vor allem, wenn keiner aus dem Spiel heraus ein Tor schießen kann, vor allem dann, wenn die Stürmer verletzt auf der Tribüne sitzen.“

Der Trend im Amateurfußball geht zum Kunstrasen Gießener Anzeiger

Diskussion um WM-Logo

Anlässlich der Präsentation neuer Vorschläge für ein WM-Logo fasst Gerhard Matzig (SZ 15.3.) die Diskussion zusammen. „Es sind in jedem Fall die Chiffren, die die Welt bedeuten – da sie die Welt deuten. Wer dazu „No Logo!“ sagt (wie das die Autorin Naomi Klein unter eben diesem Titel sehr erfolgreich getan hat), der schafft auch selbst ein Logo. Es gibt kein Entrinnen vor den Bildern. Auch deshalb wirken die Szenen vom November vorigen Jahres so stark nach. Damals wurde das WM-Logo vom Kulissen- und Zeremonienmeister André Heller „auf Schalke“ feierlich inthronisiert. (Beckenbauer: lobend. Blatter: lobend. Die Welt: lachend.) Aber womöglich ist das ja sogar ein Hinweis darauf, dass das Logo auf absurde Weise bestens funktioniert. Es ist zwar von erlesenem Dumpfsinn, es ist ein einziges infantiles Lallen im Reich der Zeichensprache, es ist das vielleicht dümmste Zeichen der Welt – aber es ist bereits heute bestens bekannt. Das Erstaunen darüber hält sich jedoch in Grenzen: Logo ergo sum. Das Dasein aber ist nicht schon deshalb falsch, weil das Design darin nicht richtig ist. Andererseits: 500 Millionen Menschen, das sagt man sich in den Design- Zirkeln, hatten im Jahr 2002 das WM-Finale zwischen Brasilien und Deutschland am Bildschirm gesehen. 500 Millionen Augenpaare hatten sich auch das dazugehörige Design-Produkt, das Signum der Spiele, betrachtet. 500 Millionen Mal habe man vom Wesen des Logos auf das Wesen der Gastgeber (Japan und Südkorea) geschlossen. Folglich müsse man sich jetzt schon fürchten vor den millionen-, ja milliardenfachen Deutschland-Assoziationen, die sich in Westaustralien, Grönland oder China angesichts des 2006-Emblems einstellen werden. Wobei die Vermutung einer brasilianischen Tageszeitung noch zu den charmantesten Interpretationen dieses Zeichens zählt. O Globo sah in den „celebrating faces of football“ so etwas wie Smileys „auf Ecstasy“. Gemeint sind jene vier auf benettonbunte Weise geblähten Lach-Ballons, die einerseits die Zahl „2006“ repräsentieren sollen und andererseits ein vor Spaß beim Fußball, glänzenden Wirtschaftsdaten und herausragenden Pisa-Ergebnissen sich halbtot lachendes Schunkeldeutschland. Es ist bestimmt gut, dass wir noch ein paar andere Designer haben. Gut aber auch, dass wir noch ein paar andere Probleme haben.“

Markus Völker (taz 15.3.) meint dazu. „Wer kann sich noch an das Logo der letzten WM in Japan und Korea erinnern? Die Wenigsten. Was man also den drei Grinseköpfen vorwerfen kann, ist, dass sie sich nicht dezent im Hintergrund halten, dass die Öffentlichkeit nicht indifferent darauf reagiert und damit das Logo auch nicht die verblassende Präsenz einer Einweg-Zeichnung ausüben kann. Statt eines Palimpsests ist, uups, ein Markenzeichen kreiert worden. Im krampfigen Bemühen, den von der wirtschaftlichen Depression geplagten Deutschen ein notorisch heiteres Gemüt unterzujubeln, ist aus unauffälligem Normalo-Design ein logoistischer Hotspot geworden. Nun stehen nicht mehr nur drei harmlose Lachsäcke zur Diskussion, sondern das Wohl und Wehe einer ganzen Nation, die vermittels einer Zeichnung äußerst emotionalisiert über ihr Selbstverständnis diskutiert. Drei Jahre Lächerlichkeit im Vorfeld der WM sind kein gutes Zeichen. Das kann keiner ertragen, heißt es von den 11 Designern. Solch ein Logo könne Identität stiften und ein neues nationales Zusammengehörigkeitsgefühl evozieren, sagen sie. Aber das ist nicht Aufgabe eines WM-Logos, welches sich, um nicht provokant zu sein, hinter den echten Markenzeichen der Globalisierung zu verstecken hat. Das macht die Smarties-Familie nicht. Das ist doch was! In Wahrheit sind die drei heimliche Globalisierungsgegner. Gut gemacht, Fifa!“

Henning Harnisch (taz 15.3.) hingegen bemerkt. “Das lächerliche Logo schafft zunächst nur eins: Es schafft das Bedürfnis zu diskutieren. Deshalb muss man eigentlich auch froh sein, dass das Logo so und nicht anders aussieht. Wie sieht es denn aus? Eine Vorbemerkung: 1972 wurde die BRD unter dem luftigen Dach des Münchner Olympiastadions bunt. Sie wurde so bunt, wie der reproduzierbare Regenbogen der damaligen Zeit Farben fassen konnte; oder, anders gesagt, sie wurde so bunt, wie sich die schwule Subkultur noch heute zu erkennen gibt. 31 Jahre später schaue ich auf ein Logo und sehe: das farbige Innenleben der Solero Shots von Langnese. Ich habe es ja geahnt, sie sind verstrahlt, diese Eistropfen aus der Tube. Was ich bisher nicht wusste: sie spielen da drinnen, sie reiben sich, Farbe an Farbe, Gott, sind die witzig. Computererzeugte Happynese. Ja und, wo liegt denn da das Problem? Genau, das frage ich mich gerade selber. Jede Zeit hat doch die Oberflächen, die sie verdient und generieren kann. Das Problem liegt wohl eher darin, dass ich auf das erste sichtbare Zeichen für die in dreieinhalb Jahren in diesem Land stattfindende Fußball-WM gestoßen bin und (unfreiwillig) eine erste Ahnung von der drohenden Gesamtinszenierung bekomme. Diese Kreismeisterschaft war ja erst der Anfang. Was noch, unvermeidlich, kommen wird: das Maskottchen. Der Song. Die Plakate. Der Trailer…“

Finanzkrise des Qualitätsjournalismus

Herausgeber Frank Schirrmacher (FAZ 17.3.) bemerkt. „In einem wahrhaft evolutionären Prozeß hat sich in den vergangenen Jahren bei den deutschen Qualitätszeitungen eine wachsende und immer umfassendere intellektuelle Kompetenz herausgebildet. Die Zeitungen übernahmen sogar Aufgaben, die früher Fachpublikationen vorbehalten waren, ersetzten publizistische Organe und Institutionen, die nicht mehr finanzierbar oder massenfähig waren. Wie die Leimruten die Fliegen, so fingen sich in den Nischen der Redaktionen und Ressorts noch die seltensten Grillen und Schmetterlinge, kleine Kostbarkeiten in der Woche und am Samstag und Sonntag. Dieser Prozeß verlief synchron mit der beispiellosen Verflachung durch das Privatfernsehen einerseits und den monothematischen Konzentrationsbewegungen in der Publizistik à la WAZ andererseits. Enzensbergers Satz, ein Weltkonzern wie Bertelsmann habe im Laufe seiner ganzen Geschichte keinen einzigen Schriftsteller entdeckt oder durchgesetzt, läßt sich erweitern auf intellektuelle und politische Themen überhaupt. Die Arbeitsteilung funktionierte bislang reibungslos: Drei bis vier unabhängige überregionale Medien formulierten und animierten den politischen, wirtschaftspolitischen und intellektuellen Diskurs – anders als das staatlich subventionierte Fernsehen als einzige marktwirtschaftlich operierende und deshalb die Bedürfnisse des Landes spiegelnde Institutionen. Das steht auf dem Spiel (…) Neben Preis, redaktionellem Aufwand und der Frage, wer zu der Elite gehört, die Qualität erkennt und würdigt, stellt sich die Frage nach dem Wert von intellektueller Kompetenz an sich. Unzählige Zeitungen und Zeitschriften in diesem Lande, unzählige Internetforen und Newsgroups leben, bewußt oder unbewußt, von den Voraussetzungen, die täglich von den wenigen überregionalen Qualitätszeitungen, ihren Redakteuren und Korrespondenten geschaffen werden. Entpuppt sich dieses System als nicht mehr gewollt oder finanzierbar, dann schlägt sich der Substanzverlust sofort bis ins letzte Glied der intellektuellen Verwertungskette nieder. Die Qualitätszeitungen leiden nicht, weil sie zuviel Qualität produziert haben. Sie leiden, weil die Anzeigen fehlen. Ihr Dilemma ist, daß sie von denen, die in Deutschland mit Zeitungen noch Geld verdienen, nur begrenzt lernen können. Wo Qualität als Rationalisierungs- und Effizienzhindernis gilt, versagt die Expertise noch des wirtschaftlich aufgeklärtesten Redakteurs (…) Qualitätsjournalismus lebt von Individuen, auch von Selbstbewußtsein, auch davon, daß Intellektualität gesellschaftlich über Einfluß verfügt – und sei es der subtile Einfluß, der sich intellektueller Einschüchterung verdankt. Nie war die berühmte machtgeschützte deutsche Innerlichkeit, das heißt: Gedankenreichtum und innere Freiheit, historisch reifer als in den großen überregionalen Organen. Sie sind in unserer medial-oralen Plappergesellschaft der einzige, der allerletzte Ort, in dem sich schriftsprachliche, das heißt: literarische Intelligenz überhaupt noch entfalten kann. Das heißt: jenes Minimum an Überprüfbarkeit, Logik, konsekutivem Diskurs, den Fernsehen und Internet vereiteln. Diese Tradition steht vor Beeinträchtigungen. Gewiß: Der Untergang des Abendlandes steht nicht bevor. Aber es könnte sein, daß irgend etwas oder irgendwer diesem Land einen Teil seiner Seele raubt.“

Die Krise der Tageszeitungen Spiegel

Portrait des Perlentaucher, einem Verwandten (oder besser: einem Vorfahren) des indirekten freistosses SZ

Weiteres

Joachim Göres (FR 15.3.) beschreibt die Rassismusdiskussion in Hannover. „Vor allem farbige Spieler leiden unter Rassismus. Die ehemaligen 96-Profis Gerald Asamoah und Otto Addo wurden 1997 in Cottbus beschimpft und mit Bananen beworfen. Als beim Spiel gegen Leverkusen der Stürmer Idrissou den Ball verlor, schrie ein 96-Fan: ,Geh zurück in den Urwald!‘ Wichtig ist, dass man dazu deutlich seine Meinung sagt, meinte ein Fan unter dem Beifall der 200 Besucher. Nach Auskunft von 96-Fan-Betreuern kommen vor allem von Jugendlichen in einem bestimmten Stadionblock solche Sprüche. Spieler, die nicht auf der Bank sitzen, sollten in diese Blöcke gehen und den Fans deutlich machen, was sie davon halten. In England ist das schon lange üblich, und seitdem haben dort rassistische Äußerungen nachgelassen, sagte der Sportsoziologe Gunter Pilz. Seiner Meinung nach sollten Spieler häufiger in Schulen gehen: Sie haben starken Vorbildcharakter, gerade auch für Migrantenkinder. Sie können zeigen, dass Menschen aus verschiedenen Nationen gut miteinander zusammenleben können. Pilz kündigte an, dass Profivereine künftig nur noch eine Lizenz erhalten werden, wenn sie sich aktiv gegen Rassismus einsetzen.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Wer kauft denn nun die TV-Rechte? – Werbefranz – Bern 54: Ungarn in rot oder schwarz?

Herr Lehrer, ich weiß was

In Sachen Medienpolitik versucht Roland Zorn (FAZ 6.6.), den Überblick zu erhalten. „Wenn die Fernsehprogramme dieser Woche so ungenau ausgedruckt wären, wie die programmatischen Aussagen über die aktuellen Fernsehfußballpläne klingen, würde bald niemand mehr sein Gerät einschalten. Da aber in einigen Zeitungen mangels vorzeigbarer Abschlüsse die Spekulation darüber, wer demnächst was zu welchen Preisen übertrage, ersatzweise blüht, wird erst einmal zerredet, worüber noch gar nicht in medias res gesprochen worden ist. Was da alles in München oder anderswo ausgeheckt, für wahrscheinlich oder mindestens denkbar gehalten wird, sind halbgare Erkenntnisse nach dem Motto Herr Lehrer, ich weiß was. Soviel ist sicher: Die Bundesliga-Erstrechte für das frei empfangbare Fernsehen, bisher für rund 80 Millionen Euro jährlich bei Sat.1 verankert, sind für die neue Spielzeit noch nicht vergeben (…) Nun aber soll die ARD mit wohlwollender Unterstützung der Mainzer Kollegen vom ZDF richtig ran an den Brocken Bundesliga-Fußball aus erster Hand gehen. Wird gemunkelt. Dazu paßt das letzte Gerücht, daß sich die ARD zuerst um die sieben Samstagsspiele, das ZDF dafür vorneweg um die zwei Sonntagsbegegnungen kümmern werde. Weil beide zusammen nicht den Preis zahlen wollen, den Sat.1 bei seinem chronischen Verlustgeschäft mit dem Fußball tapfer berappt hat, werde, heißt es, zum werblichen Ausgleich ein Sponsor als Programmpresenter in die Bresche springen. Der große Wohltäter als Retter des angeblich garantiert großen Preises, den die Deutsche Fußball Liga (DFL) für die neue Saison von Infront erwartet?“

Alle Werbefreiheiten

Elisabeth Schlammerl (FAZ 6.6.) befragte Beckenbauers Werbepartner Erdinger über die Werbewirksamkeit des RTL-Experten. „Franz Beckenbauer, so sagt der Besitzer der oberbayerischen Privatbrauerei, Werner Brombach, ist ein Mann der Neutralität, ein Mann für alle. Oder besser, ein Mann, der sich alle Werbefreiheiten nimmt. Das hat ihm beim Fußballprimus FC Bayern schon den einen oder anderen Ärger eingebracht. Beckenbauer bewirbt eben gerne die Firmen, die in Konkurrenz zu den Sponsoren des deutschen Rekordmeisters stehen. Bayern fuhr einst Opel, Beckenbauer Mitsubishi. Bayern warb für das Energieunternehmen e.on, Beckenbauer für Yello-Strom. Bayern telefoniert mit t-mobile, Beckenbauer lieber mit O2. Jetzt trinkt Bayern Paulaner und Beckenbauer bei der Konkurrenz. Das müssen sie akzeptieren, sagt der Fußball-Kaiser dazu stets nur. Außerdem laufe seine private Partnerschaft mit der Brauerei schon seit eineinhalb Jahren. Also zunächst noch parallel zu dem Engagement des Unternehmens mit den Bayern. Franz Beckenbauer tanzt aber nicht nur bei seinem Klub aus der Reihe, sondern jetzt auch als Präsident des Organisationskomitees der WM 2006. Der Weltverband Fifa hat einen Vertrag mit der amerikanischen Brauerei Anhäuser-Busch, der Deutsche Fußball-Bund mit Bitburger. Bei der Weltmeisterschaft in drei Jahren wird in deutschen Stadion nur Werbung mit Bieren des Fifa-Sponsors zu sehen sein. Daran wird sich der Weißbierfreund Franz Beckenbauer halten müssen – aller Neutralität zum Trotz.“

Ralf Wiegand (SZ 6.6.) glossiert. „Es ging an diesem Morgen in einem Münchner Restaurant um die Partnerschaft, die Franz Beckenbauer mit einer Brauerei eingegangen ist. Es ging aber nicht nur darum, weil der Franz ja immer in besonderen Umständen ist, beruflich und privat und überhaupt: ein Gesamtkunstwerk. Denn, ja mei, es kommt halt schon wieder was Kleines daheim, und er hat halt auch bei einer anderen Brauerei unterschrieben als bei der, die mit dem FC Bayern zusammen arbeitet, wo der Franz noch Präsident ist. Und es ist natürlich noch einmal eine andere Brauerei als die, die für die Nationalmannschaft am Zapfhahn steht, deren Ehrenspielführer er ist. Indes – Herrgott, man kann ja nicht auf alles achten – ist da noch eine weitere Brauerei, die als WM-Hauptsponsor dient, und die WM ist ja das, was der Franz so organisiert. Also vier Brauereien, wobei die Brauereien drei und vier, hat der Chef von Brauerei eins erzählt, „im Ringkampf sind“, wegen der WM und so, während der FC Bayern und Brauerei zwei schlucken mussten, dass der Franz nun Brauerei eins verpflichtet ist, von der sich die Bayern gerade getrennt haben. „Die haben’s“, sagte der Franz über diese, seine Bayern, also „die mussten’s akzeptieren.“

Uwe Marx (FAZ 5.6.) vermeldet eine Fundsache. „Da tauchen nach fast fünfzig Jahren lange verschollene Farbaufnahmen vom WM-Endspiel 1954 zwischen Ungarn und Deutschland auf, und dann das: Rot oder nicht rot, das war nach der erfolgreichen Recherche der Kölner Produktionsfirma AZ Media kein Gesinnungstest, sondern die Frage nach der Farbe der ungarischen Trikots. Inzwischen ist klar: Sie waren rot. Auch wenn es auf den entdeckten Bildern nicht immer so aussieht. Aufgespürt wurde das zwei Minuten lange Filmdokument, das kürzlich zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, im Keller eines deutschen Immigranten in Hamburg, der aus Brasilien zurückgekehrt war. Bern 1954, das überraschende 3:2 der Deutschen gegen den Favoriten Ungarn, die Tore von Morlock und Rahn an einem trüben Julitag. All das gab es in Schwarzweiß zu sehen, und folglich färbte sich auch die Erinnerung so. Fünfzehn Minuten Filmmaterial aus der Wochenschau waren übriggeblieben. Der Rest wurde weggeworfen, zerschnitten oder so abgelegt, daß es keiner mehr fand. Jetzt also zwei Minuten Bern 1954 in Farbe.“

FR-Portrait Hellmut Krug

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Real Madrids fragwürdige Entschuldung – Mythos Ronaldo

Geflecht von Sport, Politik und Wirtschaft

Peter Burghardt (SZ 21.1.) begutachtet skeptisch die Entschuldungspolitik Real Madrids: „Die fantastische Genesung galt als Ergebnis einer Operation, mit der Wunderheiler Perez im Wahlkampf geworben hatte: dem Verkauf der Sportstadt Ciudad Deportivo im Norden der spanischen Metropole an die Kommune. Der Ertrag lag bei mindestens 480 Millionen Euro, das genügte dem Vernehmen nach bisher für Entschuldung und Einkaufsbummel, dazu kam eine moderne Vermarktung. Seltsam allerdings fanden den Deal nicht nur die Feinde und Neider der weißen Gemeinde – er beschäftigt auch die Europäische Kommission. Im Zuge der Durchleuchtung von Sportklubs widmet sich EU-Kommissar Mario Monti der interessanten Frage, wie sich der fantastische Preis für die besagte Sportstadt rechtfertigt. Das riesige Grundstück war Real Madrid während des Regimes von Diktator Franco in den fünfziger Jahren von einem Adligen überlassen worden und ausschließlich für Leibesübungen vorgesehen. Vor der Übernahme hatten die Städteplaner das Areal auf einmal zum Baugrund für kommerzielle Investoren hochgestuft, worauf sich der Wert mehr als verdoppelte. Geplant sind dort vier Hochhäuser, außerdem gehört das Gebiet zur Madrider Olympiabewerbung für 2012, die zufällig mit der Verwandlung von Real Madrid zur Weltelf zusammenfällt. Kritiker vermuten ein politisches Manöver zugunsten eines Bewerbers, was nach den EU-Richtlinien unzulässig wäre. „Untypische Einkünfte“ durch ein „urbanistisches Abkommen“, schreibt der frühere EU-Abgeordnete Pere Esteve, ein Katalane, den Real Madrid und seine Freunde schon lange nerven. Der zuständige Wächter Mario Monti hat die Unterlagen angefordert, im schlimmsten Fall droht ein Verfahren. Doch vorläufig bleibt es bei Gerüchten. Eingeweihte aber wissen längst um dieses Geflecht von Sport, Politik und Wirtschaft, das als Metapher für das zeitgenössische Spanien und seine Machtstruktur taugt.“

Ingo Durstewitz (FR 20.1.) bewundert kopfschüttelnd Ronaldo: “Der junge Mann mit der berühmtesten Zahnlücke der Welt ist mit einer klaren Direktive nach Sevilla gekommen: Den Begriff Standfußball neu definieren und dabei verdammt gelangweilt aussehen. Das klappt prima. Ronaldo (ja, der große, einzigartige, gefürchtete, verehrte, der Ronaldo) steht. Er steht, wenn Real verteidigt, wenn Real sich mit spielerischer Eleganz befreit, wenn Real stürmt. Wenn er nicht steht, dann geht er, er spaziert, stolziert, schreitet, wie immer man es drehen will. Er schlendert ins Abseits, dann heraus, manchmal ist er nicht mal dazu schnell genug, aber wir wollen ja nicht pingelig sein. Ballkontakte nach zehn Minuten: null. Nach 30 Minuten: fünf. Nach 45 Minuten, sieben. In der Halbzeit schüttelt einer den Kopf und raunt: Der sieht aus wie Muhammad Ali nach seinem zweiten Comeback. Ali, der Große, sah übel aus damals. Die spanischen Zeitungen nennen den brasilianischen Wunderstürmer (pah) nur den Dicken, und das ist, man mag es kaum glauben, geschmeichelt. Das Schlimmste aber: Er hat keinen Bock. Die anderen aus dem Königshaus, dem Ensemble der Außergalaktischen, die anderen Mega-Hyper-Monster-Superstars lösen gemischte Gefühle aus: Einmal Strumpfkicker, Freibad-Maradonas, dann wieder Genies, Magier. Sie bemühen sich aber wenigstens: Luis Figo (über seinem Zenit, reibt sich gegen einen pfeilschnellen, giftigen Kerl mit Pferdeschwanz auf), Roberto Carlos (matt, nur am Maulen), Zinedine Zidane (vielleicht vom Mars, auf jeden Fall nicht von dieser Welt), David Beckham (mit Zöpfchen, halbrechts, aber: besser als gedacht, kämpft und räumt ab, der Beau), Raul (mit so einem Sturmpartner gestraft), Ronaldo, der Klops am Tag circa 20 000 Euro schwer, indes tut so, als ginge ihn das alles nichts an. Die Führung für Betis, Tabellen-Fünfzehnter, tangiert das regungslose Denkmal in Kickstiefeln nicht. Das Hirn schreit nach Gerechtigkeit für diese grenzenlose Arroganz, aber Betis schwächelt, versiebt das 2:0 mehrfach. 59. Minute: Zidane mit einem wunderhübschen, traumhaften Zuckerpass, vorne startet der Dicke, er explodiert, wie aus dem Nichts, er hängt seinen Verfolger locker ab, er schaut auf, ganz kurz nur, dann patsch, patsch, düpiert er den Keeper mit einem atemberaubenden Übersteiger, er ist vorbei und schiebt den Ball aus sauspitzem Winkel ins Netz. 1:1. Es ist die Szene, die im Gedächtnis haften bleiben wird. Um 20 nach 10 ist der Mythos auferstanden.“

Lieblingsverein der Bohème

Birgit Schönau (SZ 21.1.) rezensiert Mailänder Theater: „Am Dienstag trat Massimo Moratti mit sofortiger Wirkung zurück. Mit ihm verließen sein Sohn Angelo, sein Neffe Angelo und sein Freund Marco Tronchetti Provera, der Chef des Hauptsponsors Pirelli, den Verwaltungsrat. Vom Auszug der Familie Moratti vernahm Trainer Alberto Zaccheroni in einem Mailänder Theater. „Das ist jetzt aber kein Drama“, betonte der nächtens vor seinem Haus interviewte Ex-Präsident, und damit hat Massimo Moratti natürlich Recht. Sein zweiter Rücktritt nach 1999 wirkt eher wie ein neuer Akt der altbekannten Inter-Operette. Denn Inter bleibt im Besitz des schwerreichen Erdöl-Magnaten, der den Klub 1995 mit dem erklärten Ziel übernommen hatte, die Grande Inter seines Vaters Angelo zu neuem Leben zu erwecken. Es war, selten genug in Italien, ein Schritt ohne politisches und ökonomisches Kalkül, vielmehr Handeln aus purer Nostalgie, das Moratti junior zur letzten, hamletischen Figur des von Machtinteressen jeglicher Art korrumpierten calcio werden ließ. Dem übermächtigen Vater, dessen Vorname die Enkel-Generation in der Klubführung nach italienischer Familientradition führt, ein weiteres Denkmal zu setzen und gleichzeitig an der Spitze der Internazionale aus seinem Schatten zu treten. Das trieb Massimo Moratti um, aber nach neun Jahren Regentschaft hat der Patron sein Ziel noch immer nicht erreicht (…) Man hat ihn weinen sehen, nach der schweren Knieverletzung Ronaldos und versteinern, als sich Inter im Mai 2002 den sicher geglaubten Meistertitel aus den Händen reißen ließ. Ein Fluch schien auf der Internazionale zu liegen, dem neben Juventus einzigen, nie aus der Serie A abgestiegenen Klub, dessen graue Eminenz Giuseppe Prisco einst sagte, in seiner letzten Stunde wolle er noch schnell ein Fan des AC Mailand werden, „denn so stirbt einer von denen“. Prisco ist tot und Helenio Herrera, der 1997 verstorbene „Mago“ des Großvaters Angelo, hat noch immer kein Grab in seiner letzten Wahlheimat Venedig gefunden. Es sind diese düsteren, unheilschwangeren Geschichten, an denen die Inter-Fans sich berauschen. Die Internazionale, deren Name dem faschistischen Diktator Mussolini zu links klang, weswegen er sie in „Ambrosiana“ umbenennen ließ, ist der Lieblingsverein der Bohème, der Intellektuellen und der Mailänder „radical chic“-Bourgeoisie. Ein Klub der unerfüllten Sehnsüchte, das Fußball gewordene Hamlet-Syndrom. 600 Millionen Euro hat Massimo Moratti für seine Leidenschaft hingeblättert, 102 Fußballer gekauft und neun Trainer verschlissen. Er liebe den Fußball, aber er verstehe ihn nicht, finden Morattis Kritiker.“

Dazu teilt Peter Hartmann (NZZ 21.1.) mit: „„Wenn ihr Inter kauft, werde ich euch enterben”, drohte Erminia, die Witwe des Familienpatriarchen Angelo Moratti, ihren Söhnen halb im Scherz. Doch 27 Jahre nach dem Tod des Vaters, der in den sechziger Jahren mit dem „Magier» Helenio Herrera auf der Bank vier Meistertitel und zweimal den Meistercup gewonnen hatte, konnte Massimo Moratti der nostalgischen Versuchung nicht widerstehen. Sein erster Coach war Roy Hodgson, der ihm erklärte, weshalb Roberto Carlos, der beste Offensivverteidiger der Welt, nicht in sein Spielkonzept passte: der Beginn eines immer gleich gestrickten Melodramas mit ständigen Wechseln auf der Bank und einem hektischen Import-Export-Geschäft mit prominenten Spielern – bis hin zum Machtkampf zwischen dem argentinischen Beton-Trainer Hector Cuper und dem frustrierten Ronaldo, einer Neuauflage des Hodgson-Carlos-Konflikts. Moratti, hin und her gerissen von den Einflüsterern seines Hofstaates, entschied sich für die Vernunftlösung, also für Cuper. Ronaldo triumphierte mit der brasilianischen Weltmeistermannschaft und legte mit Real Madrid eine glänzende Saison hin. Dafür beharrte der Präsident weiterhin auf seinem Liebling Recoba, der in Mailand als völlig überschätzte Maradona-Attrappe wie die Made im Speck lebt.“

Peter Hartmann (NZZ 20.1.) kommentiert die Tabellenspitze der Serie A: „Von den reichen „sieben Schwestern“ des Calcio, die in den vergangenen neunziger Jahren ihre Überlegenheit mit Geld zementierten, haben nur drei noch Erfolg. Die AC Fiorentina ging schon vor zwei Jahren pleite. Der Parmalat-Klub Parma droht im Milliardenskandal seines Besitzers Calisto Tanzi unterzugehen. Lazio Rom verlängert die Agonie im Schuldenmeer von 415 Millionen Euro mit einer Kapitalerhöhung, der vierten innert 30 Monaten, falls denn die überlebensnotwendigen 120 Millionen Euro bis zum Fälligkeitstermin am 5.März überhaupt einbezahlt werden. Und „la pazza“ (die verrückte) Internazionale verbohrt sich, wie jedes Jahr, in einer hausgemachten Krise, die sich diesmal um den renitenten Stürmerstar Vieri rankt. Die AS Roma hat die Niederlage gegen den Rivalen Milan vom 6.Januar überwunden und Sampdoria Genua mit einer „Doppietta“ des unwiderstehlichen Regisseurs Francesco Totti besiegt. Ein vorweggenommenes Tor des Jahres, sein zweites innert sieben Minuten zum endgültigen 3:1, das elfte in dieser Saison, entsprang einem Alleingang des 27-jährigen Ballkünstlers, der vor zehn Jahren im gleichen Stadion gegen den gleichen Gegner in der Serie A debütiert hatte, über das halbe Feld des hingerissenen „Olimpico“. „Die gegnerische Mauer schien sich ihm zu öffnen wie das Rote Meer vor Moses (oder die Verteidigung der Engländer vor Maradona)“, delirierte die Gazzetta dello Sport. Als Dessert zu seinem Solo lieferte Totti noch seine Spezialität ab, den „Cucchiaio“, das Löffelchen, den beiläufigen Heber aus dem Fussgelenk. Und zur Abrundung der Vorstellung im Zirkus Roma parierte der Ersatztorhüter namens Zotti einen Elfmeter des Sampdoria-Stürmers Flachi, den er selber verursacht hatte. Der 21-jährige Carlo Zotti hatte seinen ersten Auftritt in der Meisterschaft; vor drei Jahren war er drauf und dran, seine Fussballkarriere aufzugeben und sich mit seiner Gitarre als Rockmusiker zu versuchen.“

Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich

Martin Pütter (NZZ 20.1.) beobachtet Alex Ferguson, Manager Manchester Uniteds: „Neben all seinem Ehrgeiz und seiner Fachkenntnis, die ihn zum bisher erfolgreichsten Manager in England gemacht haben, verfügt er über die Begabung, jede Woche mindestens eine grosse Schlagzeile zu liefern. Meistens ist ein Streit der Grund für die Headlines. Entweder sind es die Football Association, die Fifa, die Konkurrenz (vor allem in Person von Arsenals Manager Arsène Wenger) oder Spieler seiner Mannschaft, mit denen er nicht zufrieden ist (siehe David Beckham). Sein Motto scheint zu sein: Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Dabei geht er verbal ähnlich vor wie sein Captain Keane auf dem Spielfeld. Ferguson kann durchaus als Querulant unter den englischen Managern bezeichnet werden. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Als die FA Ende September letzten Jahres eine Disziplinaruntersuchung gegen Ryan Giggs und Christian Ronaldo wegen ihrer Beteiligung an den Rangeleien im Spiel gegen Arsenal einleitet, schäumt der Schotte vor Wut. Nachdem Martin Keown, Lauren und andere Spieler der „Gunners“ zwei Monate später deswegen gesperrt worden sind, behauptet Ferguson, dass die Londoner (deren Vizepräsident David Dean im FA-Vorstand sitzt) und der Verband einen Deal geschlossen hätten – ihm waren die Sperren zu niedrig. Den neuen FA-Chief-Executive Mark Palios beschuldigt er, an seinem Verteidiger Rio Ferdinand wegen eines verpassten Dopingtests ein Exempel statuieren zu wollen. Und Ende Dezember droht er, notfalls vor einem Zivilgericht gegen Ferdinands Sperre vorgehen zu wollen – und widerspricht damit gleichzeitig dem Fifa-Präsidenten Sepp Blatter. Spanischen Spielern wirft er öffentlich vor, dreckige Tricks anzuwenden, und die Uefa hatte er auch schon einmal beschuldigt, die Auslosung zur Champions League zuungunsten von Manchester United manipuliert zu haben. Wenn es um Kontroversen und Schlagzeilen in der Presse geht, ist Alex Ferguson eine Klasse für sich.“

Wir bitten um eine Spende für die freistoss-Kasse, und empfehlen Sie uns. Vielen Dank!BankverbindungDeutsche Bundesbank (Filiale Gießen)BLZ: 513 000 00Nr.: 513 015 03Empfänger: indirekter-freistoss – Projekt-Nr. 6000 0208

« spätere Artikelfrühere Artikel »
  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

102 queries. 1,135 seconds.