indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Deutschlands Sportredaktionen

„Wenn jeder, der mehr als drei Bier am Tag trinkt, als krank gelten würde und mit einer Kündigung zu rechnen hätte, wären Deutschlands Sportredaktionen verwaist.“

Gewinnspiel für Experten

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Assauers schwierige Trainersuche – VfL Osnabrück steigt in die Zweite Liga auf – Alternativfußball

Assauer muss ein As mit dem zweiten Aufschlag servieren

Richard Leipold (TspaS 8.6.) analysiert die Folgen der bisher erfolglosen Schalker Trainersuche für Manager Assauer. “Den Trainerposten zu besetzen ist eine der schwierigsten, unangenehmsten Aufgaben, die der Manager in den vergangenen zehn Jahren zu bewältigen hatte, zumal ein weiterer Fehlgriff in der Saison des hundertjährigen Bestehens besonders schwer wöge. Da Marc Wilmots als Teamchef auf Zeit den Schaden aus dem gescheiterten Experiment mit dem Berufsanfänger Frank Neubarth nicht zu begrenzen vermochte, spielt Schalke nur im UI-Cup. Die Teilnahme an diesem Pausenfüller wirkt auf Trainer von internationalem Spitzenformat nicht gerade verlockend. Erschwerend kommt hinzu, dass der neue Mann eine fertige Mannschaft übernehmen müsste, ohne große Möglichkeiten, auf dem Transfermarkt Personal anzuwerben, das seinen Wünschen entspricht. Damit hätte Jupp Heynckes sich vielleicht noch abgefunden, aber der Rheinländer, der einst Real Madrid zum Gewinn der Champions League führte, wollte mit einem umfangreichen Mitarbeiterstab anrücken. Schalke indes bevorzugt schlanke Strukturen mit kurzen Dienstwegen, die zumeist im Büro des Managers zusammenlaufen (…) Neuerdings werden auch wieder die üblichen Verdächtigen wie Klaus Toppmöller und Frank Pagelsdorf genannt. Gegen sie spricht vor allem, dass sie seit Beginn der Suche frei waren und übergangen wurden. Sie wären stärker als andere mit dem Makel behaftet, zweite oder dritte Wahl zu sein. Wie heikel die Lage ist, zeigt das beharrliche Schweigen Assauers, das auf den ganzen Verein übergreift. Aus dem internen Zirkel dringt vielstimmig und doch eintönig die Stereotype kein Kommentar nach draußen. Der Impresario braucht Ruhe, um sich zu konzentrieren. Assauer muss sich fühlen wie ein Tennisspieler, der nach einer Reihe leichter Fehler in Bedrängnis geraten ist und nun einen außergewöhnlichen Punkt braucht. Er muss ein As mit dem zweiten Aufschlag servieren.“

Jörg Marwedel (SZ 10.6.) gratuliert dem VfL Osnabrück zum Aufstieg. „Mit einem 2:0-Sieg gegen Holstein Kiel hatte sich der VfL Osnabrück die Rückkehr in jene Spielklasse erkämpft, in der man sich trotz zweier Abstiege seit den Siebziger Jahren zu Hause fühlte – die Zweite Bundesliga. Und als sich nach dem Schlusspfiff nicht nur die Pforten zum Innenraum des Stadions öffneten, sondern auch die Schleusen des Himmels, da hat der kräftige, warme Sommerregen die meisten Fans nicht davon abgehalten, den neuen, zuletzt vor zwei Jahren verlorenen Status der Zweitklassigkeit auf dem Rasen mit einem lila-weißen Tanzreigen zu feiern. Nass bis auf die Haut. Dass es sich beim VfL Osnabrück aber keineswegs um ein unbeschwertes Glück handelt, wurde schon am Tag nach dem großen Triumph offenkundig. Bei einem Essen bei seinem Lieblings-Italiener Alimentari teilte Trainer Jürgen Gelsdorf, 50, der perplexen Mannschaft mit, er werde seinen Vertrag nicht verlängern. Eine Entscheidung, die auch Präsident Dirk Rasch und Manager Lothar Gans kalt erwischte, zumal Gelsdorf betonte, keineswegs ein anderes, lukrativeres Angebot in der Tasche zu haben. Er verwies nur auf seine finanzielle Unabhängigkeit und sagte: „Wenn ich nach Jahren als Erstligaprofi und -Trainer meine Schäfchen nicht im Trockenen hätte, hätte ich etwas falsch gemacht.“ Insider vermuten hinter seinem Schritt eine tiefe Kränkung, die ihren Ursprung im Winter hatte, als er sich womöglich mehr Rückendeckung aus der Führungsetage gewünscht habe. Es hatte nämlich manches Mal geknirscht im Osnabrücker Gebälk – bis Gelsdorf nach einigen Rückschlägen genug hatte von den Diskussionen mit den „vielen Trainern in der Mannschaft“ und seine Richtlinienkompetenz kompromisslos durchfocht: „Ich habe ihnen gesagt, ihr könnt selber entscheiden, was für ein Kasper vor euch steht. Wollt ihr den Knüppel? Ich habe alles im Köcher,“ erzählt der frühere Erstligacoach (Leverkusen, Mönchengladbach, Bochum), der fortan nur noch diktierte.“

Wie ein alternatives Familienfest

Eduard Hoffmann Jürgen Nendza (FAS 8.6.). „Ob in Kassel oder Freiburg, Bremen, Bielefeld oder Köln: Trotz anfänglicher, teils heftiger Animositäten durch DFB und Behörden gehört der Alternativfußball längst zum Erscheinungsbild vieler Städte und steht für eine Vielzahl kurioser Geschichten. Die Bunte Liga Aachen, mit 70 Teams, eigenem Sportplatz und rund 1300 Spielern die größte Deutschlands, feiert in diesem Jahr ihr 20jähriges Bestehen. Dort wurde mit Villa Kunterbunt eine Strafgefangenenmannschaft der Justizvollzugsanstalt in den Spielbetrieb integriert. Als gar das Buntliga-Team der Aachener Polizisten, die Aachen Bulls, einmal zum Kicken in den Knast mußte, gab es ein brisantes Wiedersehen alter Bekannter. Um für ihre Belange, vor allem für umfassendere Nutzung öffentlicher Sportplätze, zu werben, verpflichteten die Aachener 1992 sogar Papst Johannes Paul II. als Ehrenmitglied. Man schrieb den Heiligen Vater auf lateinisch an, beklagte die Transfersummen im Profifußball als unchristlichen Ablöse-Menschenhandel und bot, als Zeichen dafür, daß auch oft für unüberbrückbar gehaltene ideologische Grenzen überschritten werden können, dem päpstlichen Sportsfreund die Ehrenmitgliedschaft an. Subversivität gehört ebenso zum Credo des Alternativfußballs wie Selbstparodie. Längst hat man bei Juventus Senile die Zukunft des Alterns erkannt und jedem Spieler die Zahl seines Geburtsjahrgangs aufs Trikot gestanzt und gleich siebenmal die Rückennummer 57 verteilt. Der Alternativkick, allem voran sein jährlicher Höhepunkt, die Deutsche Alternative Fußballmeisterschaft (DAM), die dieser Tage in Bremen stattfindet, ist auch bei Prominenten beliebt. Grünen-Politiker wie Ludger Volmer und Rezzo Schlauch sind mit dem Bundestagsteam Grüne Tulpe schon mehrmals bei der DAM aufgelaufen und haben dort den Einklang von Ball- und Basisgefühlen entdeckt. Rezzo Schlauch: Das Alternative der DAM ist eigentlich das Drumherum, also der Lebensstil. Es ist wie ein alternatives Familienfest. Dabeisein ist wirklich alles.“

taz-Bericht von der Alternativfußball-Endrunde

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Zusammenhang zwischen Nikotin und fußballerischem Erfolg

Christoph Biermann (taz 17.4.) analysiert qualmend den Zusammenhang zwischen Nikotin und fußballerischem Erfolg. „Zu den unerzählten Geschichten des Fußballs gehört es, dass weitaus mehr Profis zur Zigarette greifen, als man annehmen würde. Bewegend hat mir etwa Kölns Mannschaftskapitän Dirk Lottner von durchwachten Nächten in jener Zeit erzählt, als er sich das Rauchen abgewöhnen wollte. Seine Welt war erst wieder in Ordnung, als er sich der Sucht gebeugt hatte. Ansonsten soll hier jedoch niemand geoutet werden, der mich während eines Interviews mal angeschnorrt hat. (Rauchende Fußballspieler kaufen nämlich häufig keine Zigaretten, wohl um vor sich selbst nicht als Raucher dazustehen). Denn zu rauchen ist natürlich besonders selbstzerstörerisch, wenn man mit dem optimalen Funktionieren des Körpers seinen Lebensunterhalt verdient. Trotzdem paffen selbst veritable Nationalspieler und echte Weltstars. Es sei nur an Johan Cruyff erinnert, von dem es ein Foto gibt, wie er, nur mit einer Sporthose bekleidet, schon in der Kabine eine Zigarette raucht. Irgendwo schwingt immer ein schlechtes Gewissen mit, weshalb dem Geständnis eines Bundesligatrainers, der dringend darauf besteht, dass dies nicht publiziert wird, besondere Bedeutung zukommt. Er ist nämlich der Überzeugung, dass Rauchen leistungsfördernd für seine Spieler ist. Er selbst hatte als Aktiver bis zu zwei Schachteln am Tag geraucht, hat es inzwischen aufgegeben, würde aber sofort wieder anfangen, wenn er noch einmal Leistungssportler wäre. Denn, so ist seine These, die Gifte im Tabak würden positiv in den Nervenzellen wirken. Allerdings scheut der Mann noch die Konsequenz, seine Spieler schon beim Training eine anstecken zu lassen. Dabei würde man ihn gerne über den Trainingsplatz schreien hören: Ihr pafft ja schon wieder, ich habe inhalieren gesagt.“

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Darbietung der DFB-Auswahl

Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen sind enttäuscht von der Darbietung der DFB-Auswahl beim mageren 1:1 im EM-Qualifikationsspiel gegen Litauen. Für die SZ wurde Völlers Team “Opfer ihrer Selbstgefälligkeit“, während die FAZ sich in ihrer Erkenntnis bestätigt sieht, dass es ohne Michael Ballack zu keinen großen Sprüngen fähig sei. Insgesamt vernimmt man auch leise Kritik am Teamchef selber, speziell an seinen Wechseln.

Der Berliner Tagesspiegel bringt die Angelegenheit auf den Punkt: „Auch wenn es mit der Nationalelf noch nicht so weit gekommen ist wie mit Bayer Leverkusen, so lassen sich Parallelen finden. In gewisser Weise hat die Formkurve der Nationalmannschaft bayerdeske Züge angenommen. Vor knapp einem Jahr begeisterte der Dreifach-Vize aus Leverkusen die Menschen auf spielerische Weise. Wenige Wochen später erreichte die Euphorie um die Nationalelf ihren Höhepunkt. Bald darauf wurden beide Mannschaften von der Tagesrealität eingeholt.“

Im Hinblick auf die an Schottland verlorene Tabellenführung in der Gruppe 5 resümiert die taz: „Die Lage ist ernst. So ernst, dass jetzt sogar schon Schottland vor Deutschland liegt. Nur zur Erinnerung: Schottland hat Berti als Trainer. Noch Fragen?“

Zur Lage der DFB-Auswahl wirft Jörg Hanau (FR 31.3.) ein. „Die deutschen Nationalkicker haben es nicht verstanden, die Begeisterung in und um die Mannschaft in den Alltag hinüber zu retten. Rudi Völler dümpelt mit seinem Team in der Grauzone des europäischen Fußballs herum. Das reicht, um den in Japan und Südkorea zurückgewonnen Kredit leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Verzockt haben sie ihn aber noch nicht. Bei allem Frust über das unnötige Remis gegen die zweitklassigen Fußballer aus dem Baltikum, es ist dies nicht der erste turmhohe Favorit, der sich in der Qualifikation zu einem großen Turnier vergaloppiert, ohne deshalb gleich aus dem Sattel zu fallen. Deutschlands vermeintlich beste Fußballer haben es selbst in der Hand, den dornigen Weg nach Portugal mit ein paar Kratzern im Lack zu überstehen. Gegen Litauen haben sie den Sieg fahrlässig aus den Händen gleiten lassen. Vielleicht auch, weil eine gehörige Portion Hochmut mit im Spiel war, den sich keine Mannschaft der Welt mehr leisten kann und darf. Eigentlich sollten dies gerade und vor allem die deutschen Fußballer wissen. Sie selbst haben in Asien vorgeführt, was einer vorab schwächer eingestuften Mannschaft alles gelingen kann. Erfolg im Fußball, wer wüsste das besser als die Deutschen, ist nicht immer eine Frage spielerischer Überlegenheit.“

Michael Horeni (FAZ 31.3.) kennt die Ursachen der deutschen Schwäche. “Was Völler und Co. schon vor dem 1:1 gegen die Balten wußten, wurde angesichts der deutschen Krankheit (Völler) schnell und eindrucksvoll aufs neue belegt: Mittelfeldchef Michael Ballack ist nicht zu ersetzen. Der Wert des torgefährlichen Mannschaftsspielers war selbstverständlich schon offensichtlich, als er Bayer Leverkusen ins Endspiel der Champions League und fast zum Titelgewinn führte – und kurz darauf trotz hartnäckiger Verletzung die entscheidenden Treffer im Viertel- und Halbfinale der WM erzielte. Aber erst seitdem er Bayer komplett verlorengegangen ist und die Eigendynamik der Weltmeisterschaft bei der Nationalmannschaft vollständig dahin ist, wird unter negativen Vorzeichen die besondere Bedeutung Ballacks erschreckend deutlich. Leverkusen ist vom Abstieg massiv bedroht. Die Mannschaft ist ohne ihren Anführer des Vorjahres, und die Spruchweisheit kann man getrost wörtlich nehmen, tatsächlich nur noch die Hälfte wert. Die Nationalmannschaft ist dank ihrer größeren Qualität zwar etwas weniger, aber immer noch stark von ihrem strategischen Kopf abhängig. Das 1:1 gegen Litauen wie auch das 1:3 gegen Spanien machten im EM-Ernstfall wie unter Testbedingungen eine Tendenz mehr als deutlich: Nationalelf minus Ballack-Faktor macht internationalen Durchschnitt. Mehr nicht, eher weniger.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 31.3.) analysiert den Auftritt der Sorgenkinder. „Es hätte ein kurzes Entrinnen aus dem tristen Alltag in Leverkusen sein sollen. Aber immer wieder wurden Carsten Ramelow und Bernd Schneider in den Tagen im Frankenland an ihren Klub erinnert. Vor dem Länderspiel gegen Litauen und auch noch danach. Dabei haben die beiden Nationalspieler am Samstag einiges dafür getan, daß wenigstens der Ausflug mit Rudi Völler ein erfolgreicher wird. Sie haben beide ein Tor erzielt, allerdings zählte nur das von Ramelow: Bei Schneiders Treffer in der zweiten Halbzeit, kurz bevor Litauen den Ausgleich erzielte, hatte der Linienrichter den Ball vor dem Zuspiel von Fredi Bobic im Aus gesehen. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten gewonnen und ich hätte kein Tor gemacht, sagte Ramelow. Aber gutgetan habe der Treffer schon. Der Leverkusener Kapitän hob sich im Frankenstadion über weite Strecken ebenso positiv ab von einigen Mitspielern, wie er es schon in den vergangenen Wochen bei seinem Klub getan hatte. Er war zwar zunächst eingeteilt für die Vierer-Abwehrkette, dort hielt ihn aber nicht viel. Als die deutsche Nationalmannschaft in den ersten 20 Minuten die braven Litauer scheinbar mühelos beherrschte, war es meist Ramelow, der die Impulse dafür gab. Eigentlich wäre dies die Aufgabe von Torsten Frings gewesen als Ersatz des verletzten Michael Ballack im Zentrum. Der Dortmunder wirkte aber von Anfang an überfordert mit dieser Rolle und hielt sich mehr in der Defensive auf. Nach der Pause durfte er auf die linke Seite wechseln – eine Position, die ihm mehr zusagt, aber dennoch nicht zu einer besseren Leistung antrieb. Der Auftritt von Ramelow und Schneider bestätigte Teamchef Völler darin, daß er an den beiden festgehalten hatte. Viel war vorher darüber diskutiert worden, ob es überhaupt sinnvoll sei, die Leverkusener zu bringen, weil sie womöglich psychisch angeschlagen sind.“

Philipp Selldorf (SZ 31.3.) vermerkt zu diesem Thema. „Aus der Kabine der Deutschen im Frankenstadion kamen nach dem Spiel müde, zerknirschte Männer, die der Reihe nach davon erzählten, wie enttäuscht sie über dieses 1:1 gegen Litauen seien oder die, wie Jörg Böhme, gleich von einer „Katastrophe“ sprachen. Einer aber schlenderte entspannt durch den Kabinengang, machte Witze und lächelte. Es war Carsten Ramelow, dem während der vergangenen Woche unentwegt nachgesagt wurde, er trage mit seinen in Leverkusen geschulten Verlierererfahrungen den bösen Keim von Melancholie und Tristesse ins Nationalteam. Der Alt-Internationale Olaf Thon hatte in einer Expertise für denkicker sogar dafür plädiert, Ramelow und dessen gleichfalls geschlagenen Teamgefährten Bernd Schneider zu Hause zu lassen: „Damit sie sich auf Leverkusen konzentrieren können.“ Im Sinn hatte er wohl eine Art Quarantäne: Damit die beiden die anderen Nationalspieler nicht mit Versagensängsten anstecken. Doch Ramelow durfte nicht nur mitspielen (Rudi Völler lässt seine loyalen Mitarbeiter niemals im Stich), er schoss in seinem 36. Länderspiel auch sein erstes Tor. Und was für eins.“

Michael Horeni (FAZ 31.3.) analysiert die Reaktionen nach dem Spiel. “Wir hatten Angst, uns zu blamieren, stellte Oliver Kahn zwar unmittelbar nach dem Spiel nur fest, aber wir wollen jetzt nicht in Panik verfallen. Viel mehr sprach der Kapitän, der ja selbst in aller Munde ist, diesmal nicht. Obwohl ganz nebenbei mit dem als peinlich empfundenen 1:1 auch noch die Führung in der Gruppe 5 ausgerechnet an Berti Vogts und dessen schottisches Team abhanden kam. Aber trotz aller tabellarischen Zusatzbeschwernisse: Eigentlich, und das wußten bei der Nationalelf alle, hatte Kahn zur rundum enttäuschenden dritten Qualifikationsbegegnung zur Europameisterschaft ja schon längst alles gesagt: vor gut sechs Wochen nach dem 1:3 im Testspiel gegen Spanien. Mehr Herz und einen anderen Geist – das hatte er sich schon im Vormonat auf der Ferieninsel Mallorca gewünscht und eindringlich gefordert. Aber erhalten hatte Kahn nur öffentliche und interne Kritik – und nun keineswegs die entsprechende sportliche Reaktion. Denn ein mutiges Herz und ein unternehmerischer Geist blieben beim Weltmeisterschaftszweiten auch gegen Litauen allenfalls flüchtige Begleiter einer Mannschaft, die vergeblich damit beschäftigt war, innere Stabilität, ein spielerisches Gesamtkonzept und eine entsprechende Führungskraft zu finden. Kahn blieb trotz aller Defizite still. Aber dafür ging es in der Kabine laut zu. Rudi Völler machte seinen Spielern unüberhörbare Vorwürfe. Seinen Ärger über eine nur in den ersten 20 Minuten reife, danach unendlich lange teilnahmslose und erst nach dem Ausgleich wieder engagierte Mannschaft konnte der Teamchef nur schwer unterdrücken (…) Das 1:1 durch Razanauskas war die schon nicht mehr ganz unerwartete Folge für ein Team, das sich vor allem im Mittelfeld beharrlich weigerte, Kontrolle auszuüben, Druck zu entfalten und Torerfolge als Ziel des Spiels anzuerkennen. Vor allem Torsten Frings erlebte den wohl ernüchterndsten Abend in der Nationalmannschaft seit seinem grandiosen internationalen Aufstieg vor rund einem Jahr. Als Ersatz für Ballack sollte er diesmal einen entscheidenden Beitrag leisten, aber er werde der Führungsaufgabe genauso wenig gerecht wie Dietmar Hamann. Und da sich auch Schneider von seiner überragenden WM-Endspielform nach neun traumatischen Leverkusener Monaten entfernt hat, war das Mittelfeld vor allem eins: ein Vakuum. Der Teamchef mußte sich indes fragen lassen, warum er seinen Wackelkandidaten im Mittelfeld zur Pause das Leben noch zusätzlich erschwerte. Er nahm Tobias Rau zur Halbzeit mit Jörg Böhme den Partner auf der aktiven linken Seite. Auch wenn der Schalker sich ein paar Patzer leistete, ging schon wie gegen Spanien von diesem Duo die größte Dynamik aus. Mit der Einwechslung von Rehmer stärkte Völler allein das ohnehin viel zu große statische Element seiner Mannschaft. Auch der wenig effektive Wechsel von Frings nach der Halbzeit auf die linke Seite sprach nicht gerade für ein erfolgreiches taktisches Grundkonzept.“

Frank Ketterer (taz31.3.) meint dazu. „Es ist schwierig, gegen eine so kompakt stehende Mannschaft zu spielen, sagte etwa Carsten Ramelow. Es war zu viel Angst im Spiel. Angst vor der Niederlage. Wenn du so Angst hast, passiert es erst recht, ergänzte Oliver Kahn. Warum es erst nach der eigentlich beruhigend wirkenden Führung passierte, sagte der Torhüter nicht, kaum weiter erhellend war auch der Hinweis auf die Spieler in der Hinterhand, die diesmal verletzt gefehlt hätten, beispielsweise Michael Ballack oder Jens Jeremies. Stürmer Klose wiederum waren die Räume zu eng, der Ball zu hart und der Rasen zu glitschig. Der Pfälzer hat das wirklich gesagt – und wahrscheinlich auch noch so gemeint. Übertroffen wurde er dabei noch von Fredi Bobic. Das ist eine abgezockte Truppe, urteilte der Sturmpartner über die Litauer. Was Bobic nun wirklich nicht wissen konnte: Die Kicker aus dem Baltikum mussten nicht nur auf drei ihrer Leistungsträger verzichten, sondern agierten in diesem Spiel erstmals mit Viererkette. Sonderlich abgezockt klingt das nicht. Gänzlich uncool wirkte indes, dass Teamchef Völler dem Schiedsrichterassistenten die Schuld in die Schuhe schieben wollte für das als Blamage empfundene Remis. Eine Sauerei sei es gewesen, dass der in der 71. Minute einen Ball im Toraus gesehen, der sich dort gar nicht befunden habe, weil von Bobic noch von der Linie gekratzt und von Bernd Schneider schließlich ins Tor geschoben, was man erst später im TV genau sehen konnte. Es wäre das 2:0 für Deutschland gewesen. Es wäre der sichere Sieg gewesen, wie alle fanden, am Ende sogar die Litauer. Vielleicht aber hätten Völler und seine Burschen auch besser daran getan, über die Tatsachen dieser Partie zu sprechen als über ihre Eventualitäten. Darüber zum Beispiel, dass weder Schneider noch Torsten Frings den verletzten Michael Ballack als Spielmacher zu ersetzen vermochten und das deutsche Spiel schon dadurch führungslos vor sich hintrieb. Oder darüber, dass auch Didi Hamann, bei der WM noch großer Stratege, dem Spiel diesmal kaum Impulse nach vorne geben konnte. Oder einfach nur darüber, dass es erstaunlich viele Fehlpässe gab und Unzulänglichkeiten auch in der Ballbehandlung, die kaum vizeweltmeisterlich anmuteten. Vielleicht hat Rudi Völler das alles ja auch alles bemerkt und war deshalb so zerknirscht. Gesagt hat der Teamchef: Das Unentschieden war nicht unverdient. Das wiederum ist die traurige Wahrheit.“

Reaktionen von Valdas Ivanauskas (Co-Trainer von Litauen) BLZ

Daniel Pontzen Michael Rosentritt (Tsp 31.3.) fassen zusammen. „Auch wenn es mit der Nationalelf noch nicht so weit gekommen ist wie mit Bayer Leverkusen, so lassen sich Parallelen finden. In gewisser Weise hat die Formkurve der Nationalmannschaft bayerdeske Züge angenommen. Vor knapp einem Jahr begeisterte der Dreifach-Vize aus Leverkusen die Menschen auf spielerische Weise. Wenige Wochen später erreichte die Euphorie um die Nationalelf ihren Höhepunkt. Bald darauf wurden beide Mannschaften von der Tagesrealität eingeholt. Von den sieben Länderspielen seit dem WM-Finale hat die Nationalelf zwei gewonnen, drei unentschieden gespielt und zwei verloren. Mittlerweile ist nicht mehr nur der Schwung des Sommers 2002 verloren, die Nationalmannschaft scheint außer Tritt geraten zu sein.“

vor dem Spiel

„Oliver Kahn belegt bei der Nationalmannschaft, dass er Privates und Beruf zu trennen vermag”, lesen wir in der SZ. Wenn der Kapitän der DFB-Auswahl sich äußert, hören alle genau hin. Außerdem: die mamteurhaften Verhältnisse beim heutigen Gegner aus Litauen.

Schildklappe tif ins Gesicht gezogen

Michael Horeni (FAZ 29.3.) beobachtete die Pressekonferenz des Kapitäns der deutschen Nationalmannschaft. “Oliver Kahn trägt selten Baseballkappen. Schon gar nicht, wenn er als Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu Pressekonferenzen erscheint. Als er jedoch am Freitag vor dem Europameisterschafts-Qualifikationsspiel gegen Litauen das Podium in der Turnhalle der Herzogenauracher Berufsschule betritt, trägt er eine dunkle Schildkappe. Er hat sie tief ins Gesicht gezogen, und diese Äußerlichkeit wirkt keineswegs wie eine modische Laune. Es scheint vielmehr, als wollte Kahn mit teils verdecktem Gesicht eben auch nur einen Teileinblick in sein derzeitiges Leben und Gefühlsleben als öffentliche Person gestatten. Denn als Torwart, das wußte er nur zu gut, würde er über das Länderspiel an diesem Samstag in Nürnberg kaum befragt werden. Kahn sollte vor allem über sich selbst sprechen, über seine Rolle als Kapitän und seine Zukunft, und er tat es mit unbewegtem Blick. Es war Kahns erster offizieller Auftritt, nachdem sein Privatleben über Wochen in die Öffentlichkeit gezerrt wurde und über die sportlichen Folgen der Affäre und der darauffolgenden Boulevardkampagne bei der Nationalmannschaft und dem FC Bayern München ausgiebig spekuliert wurde. Wechsel ins Ausland, Rücktritt aus der Nationalmannschaft oder Verzicht auf das Kapitänsamt – das waren die Stichworte, die nicht zuletzt Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld geliefert hatte (…) In der Affäre Kahn, die so viele Schlagzeilen machte, ging es aber nicht nur um die Berichterstattung, sondern zunächst auch um das Verhalten des Kapitäns, dem während der Schwangerschaft seiner Ehefrau eine andere Beziehung nachgewiesen wurde. Die Frage, ob er als Kapitän noch Vorbild sei, wollte Kahn nur indirekt beantworten. Er sei in dieser Frage im permanenten Austausch mit ihm nahestehenden Menschen. Vorbildfunktion sei für ihn ein sehr wichtiger Begriff. Aber ich bin, wie sie vielleicht wissen, auch ein Mensch. Mein Leben besteht nicht nur daraus, den Erwartungen anderer Menschen gerecht zu werden und permanent Vorbildfunktionen zu erfüllen. Ich tue dies, wo es mir möglich ist. Aber privat mache ich Fehler wie andere auch. Das bitte er zu respektieren. Die negativen Auswirkungen des turbulenten Privatlebens auf seine Leistungen glaubt Kahn weiterhin begrenzen, wenn nicht sogar unterdrücken zu können.“

Dieser Einzelgänger taugt nicht zur Leitfigur

Jörg Hanau (FR 29.3.) wirft ein. „Im Grunde taugt dieser Einzelgänger von seltsam zerrissener Wesensart nicht zur Leitfigur. Nicht auszuschließen, dass er das bereits erkannt hat. Kahn ist seinen Mitspielern längst entrückt, seine Aufgaben als Kapitän nehme er kaum noch wahr, ist aus Kreisen der Mannschaft zu hören. Die Oliver-Kahn-AG hat sich verselbstständigt. Er könne sehr gut trennen zwischen Beruf und anderen Dingen, sagt er. Die Rolle des Unfehlbaren, in die sie ihn gedrängt haben, drückt Kahn schon lange. Schutzmechanismen will er sich über die Jahre angeeignet haben. Ich glaube nicht, dass es noch etwas gibt, das mich umwerfen kann, sagt Kahn, der am öffentlichen Anspruch, ein besserer Mensch als der Durchschnittsbürger zu sein, gescheitert ist. Einem Anspruch, den er nie an sich selbst gestellt hat.“

Wie gepanzert

Philipp Selldorf (SZ 29.3.) meint zu dieser Personalie. „Ob sich Oliver Kahn verändert hat, seitdem er wegen seines Privatlebens in den Leute-Magazinen Schlagzeilen macht, ist dieser Tage schwer zu klären und wurde auch gestern bei seiner ersten Pressekonferenz nach dem Beginn der Turbulenzen nicht offenbar. Kahn zeigte keine Emotionen, dafür eine stringente Abwehrlinie. Auf Fragen nach seinem persönlichen Befinden war er vorbereitet. Er habe „eine sehr dicke Haut“, ließ er, eher abweisend, wissen. Sieht man ihn dieser Tage auf dem Trainingsplatz im figurbetonten Dreistreifen-Einteiler, kann man nur zustimmen. Der Körper wirkt so fest, als sei er gepanzert. Während Kahn mit dem Torwarttrainer Sepp Maier arbeitet, findet sich auch seine Aussage bestätigt, er könne das Privatleben „gut vom Beruf trennen.“ Tatsächlich haben die Trainingssessions, die Kahn und Stellvertreter Jens Lehmann mit ihrem Betreuer Maier absolvieren, die Qualität einer meditativen Sitzung. Es wird kaum ein Wort gesprochen, und beim Dehnen und Strecken ähnelt der Gesichtsausdruck der beiden Torhüter der Versunkenheit von Schachgroßmeistern in der tiefsten Konzentrationsphase. Diesen vergeistigten Zustand beeinflusst es auch nicht, ob sich das Training hinter verschlossener Tür abspielt oder, wie am Donnerstag Nachmittag, bei der Schauveranstaltung im Nürnberger Frankenstadion vor 2000 Teenagern, die abwechselnd nach „Olli“ und „Rudi“ (Völler) kreischen. Während seiner heiligen Pflichterfüllung ignoriert Kahn die Kinder, als gebe es außer ihm auf der ganzen Welt nur noch diesen Sepp Maier, der aus sieben, acht Metern einen Ball nach dem anderen hart aufs Tor knallt. Bei dieser mit militärischer Strenge vorgetragenen Übung sind Kahns Reaktionen nicht bemerkenswert – sie sind fantastisch.“

Interview mit Tobias Rau (VfL Wolfsburg) Tsp

Ferien für den Fußball

Die amateurhaften Verhältnisse des heutigen Gegners der DFB-Auswahl schildert Hartmut Scherzer (FAZ 29.3.). „Der Sportdezernent der Stadt Wilna hat sich sieben Tage unbezahlten Urlaub genommen. Die beiden EM-Qualifikationsspiele Litauens gegen Deutschland und Schottland sind dem Mann in diesen Tagen wichtiger als der Bürokram auf seinem Schreibtisch. Nun ist Algimantas Liubinskas nicht etwa nur ein ranghoher Schlachtenbummler aus dem Rathaus. Der Abteilungsleiter im städtischen Direktorium für Kultur, Erziehung und Sport hat vor drei Wochen die Fußball-Nationalmannschaft als Cheftrainer übernommen. Diese Aufgabe aber unterliegt nicht seiner dienstlichen Zuständigkeit. Also keine Freistellung auf Kosten der Stadt für die Reise nach Nürnberg. So sind bei uns nun einmal die Vorschriften, sagt der 51 Jahre alte Stadtdirektor und freut sich dennoch über seine Ferien für den Fußball. Der nationale Nebenjob sei ihm eine Herzenssache (…) Mit Liubinskas‘ Amtsantritt wurde Litauens Fußball-Ikone Valdas Ivanauskas zum Assistenztrainer berufen. Der einstige Torjäger das Hamburger SV, der im vergangenen Oktober an der Sporthochschule Köln die Trainerlizenz erwarb und mit seiner Familie immer noch in Schortens bei Wilhelmshaven wohnt, legt Wert auf die Bezeichnung Berater. Er bekomme keinen Euro. Die Bezahlung seines Chefs sei auch nur lächerlich. Wir machen das aus Liebe zu Litauen und zum Fußball. Mit dem Herzen, versichert Ivanauskas. Trainer der litauischen Nationalmannschaft ist kein Fulltimejob. Fußball in Litauen, das bedeutet wenig Professionalismus und erfordert viel Idealismus und Improvisation. Das Quartier für Mannschaft und Mitreisende, ein verwinkeltes, romantisches Hotel im Familienbetrieb mitten in der Nürnberger Altstadt, wurde von der Kindernothilfe in Litauen e.V. vermittelt. Gegessen wird in den umliegenden Restaurants. Kein Problem für den umtriebigen Team-Manager Robertas Tautkas, die Reisegesellschaft samt Spieler aufzuteilen: Fünfunddreißig zum Italiener, fünfunddreißig zum Königshof.“

(28.3.)

Moralische Aufrüstung für und von Klose

Zum wiedererhöhten Stellen- und Marktwert des deutschen WM-Helden bemerkt Philipp Selldorf (SZ 28.3.). „Klose galt bisher als schüchtern und still; um seine öffentlichen Äußerungen verstehen zu können, musste man die Ohren spitzen wie ein Jäger auf der Pirsch. Diese Zeiten sind vorbei, denn es ist etwas passiert mit dem vom Ruhm überwältigten Torjäger, der bei der WM fünf Tore erzielte und seitdem trotz aller folgenden Probleme im Strafraum ein Spekulationsobjekt erster Klasse ist. Gestern erst berichtete die italienische Sportpresse, dass Juventus Turin erwäge, ihn als Sturmpartner für den französischen Nationalspieler Trezeguet zu verpflichten, und diese Botschaft gibt dem Kaiserslauterer Präsidenten Rene C. Jäggi recht, der kürzlich darauf hingewiesen hatte, wie schnell die Branche alle über Monate genährten Vorbehalte vergisst, sobald ein einigermaßen hoffnungsvoller Stürmer wieder ein paar Tore schießt. Klose trifft, und der FCK siegt wieder – und die noch vor kurzem akuten Sorgen, dass der Hochbegabte in der Versenkung verschwinden könnte, sind plötzlich passé (…) Kloses aufgefrischtes Selbstwertgefühl geht aber nicht nur aus seinen jüngsten Toren in der Bundesliga und seinem gehobenen Stellenwert auf dem Transfermarkt hervor, sondern äußert sich plötzlich auch wieder durch die Anerkennung im Nationalteam, zu dessen Problemfall er nach der WM wurde. Seinen Status als Angreifer der ersten Wahl bestätigen ihm außer dem Teamchef („Der Herr Völler hat ein ganz gutes Händchen“) auch die Juniorpartner, die seine Konkurrenten sind. Denn Deutschlands Angriff formiert sich neuerdings aus den Tiefen der Bundesligaprovinz, und im Kreis von Kevin Kuranyi (VfB Stuttgart), Paul Freier (VfL Bochum) und Benjamin Lauth (TSV 1860) fühlt sich Klose schon als Altgedienter. Dass Lauth den Mitspieler Klose zum „Vorbild“ erklärt hat, nimmt der Pfälzer gern zur Kenntnis. „Das ehrt einen schon, dass der Benni zu mir aufschaut“, sagt er und fügt an, er habe „viel mit ihm geredet“. Solche Anmerkungen hat früher im DFB-Team der Ultraroutinier Lothar Matthäus getroffen, wenn er Mitspieler moralisch aufrüstete.“

So viel Klose wie noch nie

Daniel Pontzen Michael Rosentritt (Tsp 28.3.). „Der 24-Jährige scheint gestärkt aus dieser ersten Formkrise hervorgegangen zu sein. Wenn er antwortet, starrt er nicht mehr schüchtern zu Boden, sondern blickt seinem Gesprächspartner immer öfter in die Augen. Noch wirkt er ein wenig ungelenk, aber das kann sich mit der Zeit legen. Rudi Völler hat ihn damals trotz seiner Abschlussschwäche immer wieder zur Nationalmannschaft beordert. Mit wachsendem Erfolg. Klose erfühlt wieder seinen Marktwert. Dass die Herren Rummenigge (Bayern München) und Meier (Dortmund) im Wechsel und wöchentlichen Takt so tun, als sei ihr Interesse an der Verpflichtung Kloses erloschen, lässt ihn kalt. „Was in der Öffentlichkeit erklärt wird, will ich nicht beurteilen. Ich halte mich an Fakten“, sagt Klose. Dann steht er auf, bedankt sich freundlich für den Plausch und bahnt sich selbstbewusst den Weg durch die Menge. So viel Klose gab es noch nie.“

Interview mit Ramelow FR

(27.3.)

Sich überstürzende Geschehnisse in der kleinen deutschen Fußballwelt

Philipp Selldorf (SZ 27.3.) weilt in Herzogenaurach und beschreibt die Atmosphäre im DFB-Kader. „Den sich dermaßen überstürzenden Geschehnissen in der kleinen deutschen Fußballwelt setzen die Nationalspieler eine ihrer besttrainierten Fähigkeiten entgegen: demonstrative Gleichmut. Dass soeben sein Trainer entlassen wurde, kontert der Schalker Nationalspieler Jörg Böhme mit der gelangweilt vorgetragenen Entgegnung: „Ja gut, der Zeitpunkt ist etwas überraschend.“ Das erinnerte daran, wie Kuranyi auf seine DFB-Nominierung reagiert hatte: „Ich wusste gar nicht, dass ein Länderspiel ist.“ Aber Rudi Völler traut der Fassade des Unerschütterlichen nicht. Nachdem der Teamchef bereits am Dienstag genervt Auskunft über die Nachwirkungen der Eheaffäre Oliver Kahns gegeben hatte („es ist alles ausgelutscht“), er gestern einen Kommentar zur Entlassungswelle bei den Bundesligatrainern sprechen musste („da hat sich ’n bisschen was getan – ’n bisschen viel auf einmal“), versuchte er verzweifelt, die Rede aufs Spiel gegen Litauen zu lenken. Dort geht es um Punkte für die EM-Teilnahme.“

Ritterschlag von Magath

Jörg Hanau (FR 27.3.) porträtiert Kuranyi. „Sein bescheidenes Auftreten kommt gut an. Ich habe noch viel zu lernen, sagt der Mann mit den schmalen Koteletten und dem akurat geschnittenen Peace-Bärtchen. Das Symbol des Friedens schmückt seit zwei Wochen sein Kinn. Eine unkonventionelle Friedensbotschaft des Fußballstars. Star? Ich? Nein, ich bin kein Star, erwidert Kuranyi energisch. Oliver Kahn ist einer – ich nicht. Kuranyi zählt nicht zu den typischen Wohlstandsjünglingen der Bundesliga, denen die Flausen im Kopf nicht auszugehen scheinen. Nicht mehr. Obwohl erst 21 Jahre alt und mit seinen 13 Bundesligatreffern bester deutscher Torjäger, ist es ein Verdienst meines Trainers Felix Magath, sagt der Stürmer und erinnert sich an die vergangene Saison, da er erstmals zum Profikader des VfB Stuttgart zählte, fünfmal mitspielen durfte, ein Tor gegen den 1. FC Kaiserslautern schoss, dann aber wieder mit den VfB-Amateuren in den Niederungen der Regionalliga verschwand. Aussortiert von eben jenem Magath, der ihn jetzt zum Nationalspieler geformt hat. Ich dachte damals, ich sei schon ein Großer, sagt Kuranyi ziemlich abgeklärt. Vor allem mit der Disziplin hatte er früher so seine Schwierigkeiten. Mal kam er zu spät zum Dienst, dann nahm er die Einheiten etwas zu locker. Und das nicht nur unter der Aufsicht Magaths, der seinen Schützling mittlerweile jedoch über den grünen Klee lobt. Sein Aufstieg sei kein Zufall, sagt der Cheftrainer des VfB heute, Kevin hat sich alles hart erarbeitet. Aus Magaths Mund kommt solch eine Aussage einem Ritterschlag gleich. Aus Sicht seines Beraters Karlheinz Förster war es im Nachhinein gut, dass er wieder zu den Amateuren musste. Da hat er kapiert, dass es nur auf Fußball ankommt. Nun, im Kreise der besten deutschen Fußballer, verspricht Kuranyi, nicht wieder denselben Fehler zu begehen.“

Vom Neuling im DFB-Kader ist Christof Kneer (BLZ 26.3.) angetan. “Niemand muss meinen, dass Kevin Kuranyi ein normaler Spieler ist. Die Generation Bravo liebt ihn, weil er ein cooles Kinnbärtchen trägt und lustig lispelt. Gleichzeitig ist er auch so etwas wie ein großes Kind. Er ist ein bisschen unsicher und ein bisschen naiv, und in Stuttgart fürchten sie, dass ihr Jüngling auf der große Bühne noch nicht betriebssicher ist. Sie fürchten, dass sich der Schüchterling verplappern könnte, wenn es ein paar böse Pressebuben darauf anlegen. Und die entgegengesetzte Furcht haben sie auch, nämlich, dass plötzlich ein cooler Jungstar vom Länderspiel nach Hause kommt und nur noch von Real Madrid träumt – gerade jetzt, da der VfB dem für kleines Geld bis 2005 Gebundenen einen besser dotierten Vertrag bis 2007 anbieten will. Man kann also sagen, dass Kevin Kuranyi ein Star ist, und gleichzeitig ist er ein Anti-Star. Vielleicht ist er der unnormalste Spieler, den das Land zu bieten hat. Vielleicht muss man auch den Plural nehmen und sagen: Den die Länder zu bieten haben. Kuranyi ist ein Deutscher, ist ein Brasilianer, ist ein Panamaer. Man kommt ziemlich rum, wenn man seinem Stammbaum hinterher recherchiert. Kuranyis in Frankreich geborener Vater lebte in Stuttgart, bis es ihn nach Brasilien verschlug, wo seine panamaische Frau ihm Kevin gebar, der über eine deutsche, eine brasilianische und eine panamaische Staatsbürgerschaft verfügt. Flankierend kann er einen dänischen Urgroßvater in Anrechnung bringen, sowie einen ungarischen Opa, dem er seinen Nachnamen verdankt. Es hat in Stuttgart einmal eine Zeit gegeben, als Krassimir Balakow, Giovane Elber und Fredi Bobic den Ehrentitel „Das magische Dreieck“ führten. Sie haben dem genialen Trio lange nachgetrauert beim VfB, aber inzwischen brauchen sie es nicht mehr. Die Schwaben haben jetzt ein neues magisches Dreieck. Es heißt Kevin Kuranyi. Vielleicht ist dies das Unnormalste an dieser erstaunlichen Begabung. Kevin Kuranyi kann schon jetzt so unglaublich viel, dass einem fast angst und bange werden kann dabei. Kuranyi ist geschmeidig wie Elber, er ist kantig wie Bobic, und manchmal schleicht er sich ins Mittelfeld und schüttelt ein listiges Pässchen aus dem Fußgelenk wie Balakow.“

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Die Spielverderber sind zurück

Ronald Reng (Berliner Zeitung 24.4.) resümiert ebenso entsetzt. “Hart knallte die Wahrheit all jenen ins Gesicht, die naiv genug waren zu glauben, erfolgreicher Fußball sei im 21. Jahrhundert immer auch mutig und elegant. Die Spielverderber sind zurück. Mit diesem schrecklichen Pragmatismus, der den italienischen Fußball schon seit Jahrzehnten prägt, erreichte Juventus genauso wie Inter Mailand, das im anderen Duell vom Dienstag den FC Valencia ausschaltete, das Halbfinale. Manchester United, Real Madrid, sogar Bayern München – es waren die Mannschaften, die nicht nur gewinnen, sondern auch spielen wollten, die zuletzt den Europacup prägten. Als der AC Mailand zu Beginn dieser Saison plötzlich betörende Fantasie in sein Spiel mischte, sah es so aus, als würden selbst aus den italienischen Zynikern noch Romantiker. Welch ein Trugschluss, welch eine Enttäuschung. Milan spielt längst wieder seinen schematischen Stiefel, und diese sterile Passivität, dieses aufreizende Sich-Beschränken auf ein paar Gelegenheiten, mit denen sich Inter sowie Juventus am Dienstag durchsetzten, trieb einem die Wut ins Gesicht; die Wut der Machtlosen. Aber Sieger haben immer Recht.“

Ein scheußlicher Fußball, den Inter sich erlaubt

„Am Ende konnten sich die Mannschaften aus den beiden spanischen Mittelmeermetropolen nur mit ihrem fürs Auge schönen Spiel trösten; durchgesetzt hat sich der norditalienische Zweckfußball“, lesen wir von Walter Haubrich (FAZ 24.4.). „Nach einem hervorragenden Spiel mit 27 Schüssen auf das von Francesco Toldo exzellent gehütete Tor von Inter Mailand gegenüber nur drei Torschüssen der Italiener reichte der 2:1-Sieg nicht für den Einzug ins Semifinale. Schon im Hinspiel war der FC Valencia die bessere Mannschaft gewesen. Doch das alles zählte letztlich nicht. Hector Cúper, der vor seinem Engagement in Mailand den FC Valencia trainiert hat, stellte nach dem Zufallstor von Vieri – Verteidiger Ayala war der Ball vom Fuß gerutscht – acht, häufig sogar neun Spieler als Schutz vor Toldo, der im Mestalla-Stadion so gut wie vielleicht nie in seiner langen Laufbahn hielt. Nur Aimar und Baraja schafften es, Toldo zu bezwingen, doch am Ende fehlte Valencia ein Tor zur Wende. Ein scheußlicher Fußball, den Inter sich erlaubt, schreibt die große Madrider Zeitung ABC. Catenaccio von der schlimmsten Art und dazu noch zelebriert von einem Trainer wie Cúper. Den Argentinier Cúper mochte man bei allen Erfolgen in Valencia nie über die Maßen. Als Mensch verscherzte er sich wegen seiner unwirschen Art die Sympathien, sein purer Nützlichkeitsfußball ohne Rücksicht auf jegliche Ästhetik mißfiel den lebensfrohen Valencianern. Fast scheint es, als hätte Cúper für seine Unbeliebtheit in Valencia doppelt Rache nehmen wollen. Im vergangenen Jahr versperrte er mit demselben puren Defensivfußball Valencia den Weg ins Finale des Uefa-Cups; jetzt hat er seiner früheren Mannschaft auch den weiteren Weg in der Champions League versperrt. Eine Mannschaft wie Inter Mailand unter Cúper, die es nicht interessiert, den Ball zu spielen, ist die Negation eines schönen und populären Sports, schreibtEl País. Cúper antwortete auf solche Kritik barsch und knapp, wie es seine Art ist: Wir haben ein erlaubtes Spielsystem gewählt, ob das nun gefallen mag oder nicht. Rafael Benítez, der Coach des FC Valencia, dagegen fällte ein vernichtendes Urteil über den Mauerfußball der Sieger: Wenn alle so wie Inter spielen, kommen bald keine Zuschauer mehr ins Stadion.“

Der Schlaks mit dem weichen Akzent der Venetier

Birgit Schönau (SZ 24.4.) porträtiert den Spieler des Spiels in Valencia mit den Augen einer Frau. „Beim Stand von 1:1 sehnte Inter Mailand den Pausenpfiff herbei, da musste Francesco Toldo es allen noch einmal ganz schnell zeigen. 46. Minute, Vicente von rechts: abgewehrt. Zum Ersten. Sekundenbruchteile später Vicente von links: mit den Fäusten über’s Tor gelenkt. Zum Zweiten. Im Strafraum stand, wie aus dem Boden gewachsen, Pablo Aimar. Toldo ließ sich fallen, der Ball klatschte an ihm ab. Zum Dritten. Der Schlussmann tobte aus seinem Kasten, auf seinen Mannschaftskameraden Gigi Di Biagio zu, der Aimar an sich vorbeigelassen hatte und auch noch ein paar andere. Die Augen schienen dem rasenden Toldo aus den Höhlen zu treten, er streckte die riesigen Hände in den Lederhandschuhen aus, als wolle er Di Biagio eine kleben. Aber Toldo schrie nur, irgendetwas, machte sich Luft nach seinen drei Paraden in 15 Sekunden (…) Toldo, der Schlaks mit dem weichen Akzent der Venetier, ist abseits des Spielfelds alles andere als ein Löwe. Ein freundlicher, unprätentiöser Mann, der zur Hochzeit mit seiner Jugendliebe Manuela auf einer Vespa vorfuhr. Manuela war Verkäuferin gewesen in einem Wäschegeschäft in Padua, und Toldo war wochenlang um sie herumgestrichen, bis er sich ein Herz fasste und den Laden betrat. Er habe ihr lange verschwiegen, dass er Fußballspieler sei, hat Manuela Toldo einmal berichtet – und zwar aus Scham. Francesco Toldo aus Padua hätte Kellner werden können und hätte sich dessen ganz sicher nicht geschämt. Aber niemand wäre glücklich darüber gewesen. Außer vielleicht den Kickern vom FCValencia.“

Brüchige Moral, zerrissener Charakter

Die NZZ(24.4.) sucht nach Ursachen und Beschreibungsmustern für den Misserfolg der Barcelonesen. „Vorbei sind die rauschenden Fussballfeste im Camp Nou, als jeweils an die 100.000 Menschen in einem Meer von blauroten Tüchern, Schals und Fahnen zu ertrinken schienen und hinterher ein rhythmisches Hupkonzert im Stau bis ins Stadtzentrum und dessen Ramblas die Nacht zum Tag werden liess. Vorbei die Glanzstunden des katalanischen Fussballs – er wurde gedemütigt. Der FC Barcelona ist sportlich pleite, ohne grosse Perspektiven, von Juventus Turin brutal in der Verlängerung eines mitreissenden Spiels im eigenen Stadion aus dem internationalen Fenster geworfen. Erstmals seit 1942 droht der 16fache spanische Meister eine arg missglückte Saison in der unteren Tabellenhälfte der Primera Division zu beenden, aus der er in der ganzen Klubgeschichte noch nie abgestiegen ist. Der Abschied der Katalanen aus der Champions League wurde zu einem denkwürdigen Schauspiel, zur Tragödie, und das lag allein an dem, was der Schriftsteller Javier Marías die „brüchige Moral“ des FC Barcelona genannt hat – seinem unentschlossenen, zerrissenen Charakter, der oft mehr an Hamlet als an einen Fussballverein erinnert: in einer Minute Weltklasse, in der nächsten ein Häufchen Elend, und dazwischen lediglich ein winziger Schritt (…) Taktik, Kampf und Disziplin setzten sich schliesslich gegen die grössere Kreativität durch, die „nicht vollendet wurde“ (Trainer Antic) – als ob der Fussball ein künstlerisches Werk von Beethovens Rang und nicht einfach ein sportlicher Wettbewerb wäre. Es war denn auch typisch, dass zuletzt der „Abräumdienst“ in den hinteren Regionen der Turiner – mit Thuram als Kopf – weit grösseres Lob als die Kreativität von Xavi, Luis Enrique oder Saviola erhielt. Barça „Ausgabe 2003“ ist eben nur noch eine Kleinkunstgruppe, die nun von Intertoto-Qualifikation statt Champions League sprechen muss (…) Die wirklichen Probleme, die letztlich zum Niedergang Barcelonas in dieser Saison führten, sind allerdings im Umfeld zu orten. Das seit drei Jahren vergiftete Klima erschwert die Arbeit der Trainer ungemein. Früher hatte Johan Cruyff die Kontrolle über alle Sektoren, was entscheidend zur Beruhigung in kritischen Momenten beitrug, nun wollen zu viele Leute ihren Einfluss dazu benutzen, sich zu profilieren.“

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Ronald Reng: Alberto Méndez bei Arsenal

Eine sehr lesenswerte Geschichte einer Randfigur erzählt („Traumhüter“-Autor) Ronald Reng (Zeit 5.6.). „Alberto Méndez glaubte mit 22, er habe sein Leben bereits gefunden. Morgens zur Uni in Nürnberg, abends Fußball in Feucht, feste Freundin, ein Zimmer bei seinen Eltern. Als er im Mai 1997 im Kicker las, dass ihn Arsenal-Trainer Wenger im letzten Spiel der Landesliga-Saison beobachten werde, dachte er sich: Blödsinn. Doch Wenger, der aus dem Elsass stammt und in der deutschen Fußballszene viele Bekannte hat, folgte dem Tipp eines befreundeten Agenten tatsächlich. Mit 150 anderen Zuschauern sah sich der weltberühmte Trainer die fünftklassige Partie ESV Rangierbahnhof Nürnberg gegen SC Feucht an. Der Ball war viel zu fest aufgepumpt und sprang wie irre über das Feld, es war bullenheiß, und die Mannschaft, der der Aufstieg bereits sicher war und die in den vorangegangenen drei, vier Wochen „ziemlich viele inoffizielle Aufstiegsfeiern gemacht hatte“, wie sich Méndez erinnert, verlor bald die Lust: 0:2. Méndez’ Leistung war entsprechend. Am nächsten Morgen um neun, nach einer weiteren durchfeierten Nacht, klingelte sein Telefon. „Der will dich“, sagte Dieter Nüssing, sein Trainer in Feucht. „Wer?“, fragte Méndez. „Na, der Wenger“, sagte Nüssing. „Du hast doch noch ’nen Rausch“, sagte Méndez. „Ja, er war wirklich schlecht“, damals gegen Rangierbahnhof, erinnert sich Wenger. „Aber ich konnte sein Potenzial erkennen: Der Junge ist etwas Besonderes.“ So bereitete sich Méndez statt auf sein Vordiplom plötzlich mit Patrick Vieira, Marc Overmars, Dennis Bergkamp auf die englische Meisterschaft vor. Er machte sechs Spiele im ersten Jahr, manches wie gegen Birmingham im Ligapokal richtig gut. Doch er lebte einfach weiter, als ob er noch immer ein Student wäre. Wenn seine Schwester zu Besuch war, streiften sie manchmal stundenlang zu Fuß durch London. Er ernährte sich von Pizza und Cola, und wenn gerade ein guter Film im Fernsehen kam, ging er halt später ins Bett. „Irgendwann war ich völlig platt.“ (…) Der Moment, an dem aus dem Traum Alltag wurde, lässt sich festmachen. Unterhaching. „Das war ein Knackpunkt.“ In seinem dritten Jahr bei Arsenal war abzusehen, dass er in dieser Weltklasse-Elf kaum über eine Nebenrolle hinauskommen würde, doch das war keine vernichtende Erkenntnis. Er würde anderswo ein ordentlicher Erstligaspieler werden. Unterhaching, der kleine Münchner Vorortverein, der im Sommer 2000 gerade in die Bundesliga aufgestiegen war, schien die ideale Bühne. „Vom Talent hätte er es locker packen müssen“, sagt Lorenz-Günther Köstner, der damalige Trainer. „Aber er hat die Ellenbogen nicht ausgefahren. Der Alberto war sehr beliebt in der Mannschaft, als Trainer muss ich sagen: fast zu beliebt. Wenn ich neu bin, muss ich auch mal einem vors Schienbein hauen, um mich durchzusetzen.“ Sechsmal wurde Méndez in Bundesligapartien eingewechselt. Im nächsten Spiel saß er jedes Mal wieder auf der Ersatzbank. Mal lobte ihn der Trainer, aber öfter triezte er ihn, um das Beste aus ihm rauszukitzeln, wie Köstner sagt. Als Méndez einmal im Training ein Dutzend gute Flanken schlug und die 13. versaute, brüllte ihn Köstner an: „Lass dich nicht so gehen, hast du keinen Ehrgeiz?!“ Méndez reagierte, aber diesmal nicht mit noch mehr Einsatz, wie der Trainer wohl hoffte. Er brüllte zurück. Er beschimpfte Köstner wüst. „Jetzt ist er endlich mal aus sich herausgegangen“, sagte Köstner zu seinem Assistenten – und setzte Méndez danach nicht einmal mehr auf die Ersatzbank. „Unterhaching hat mich gezeichnet“, sagt Méndez. Es raubte ihm die Illusion. Er hatte geglaubt, um es als Profi zu schaffen, würde es reichen, einfach gut Fußball zu spielen. Nun wusste er es besser: Taktische Fragen, Stammrechte der etablierten Profis, die Form der Kollegen, Präferenzen für bestimmte Spielertypen beim Trainer, Glück – all das kann aus einem guten Fußballer einen mäßig erfolgreichen Profi machen.“

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Big Brother bei Bayer 04

„Im Theater Leverkusen geht es immer toller zu, und dem Publikum muß es vorkommen, als würde es Zeuge immer neuer Big-Brother-Folgen, die plötzlich alle in Leverkusen spielen“, spöttelt die FAZ nach der erneuten Heimniederlage von Bayer 04 (1:3 gegen Schalke 04) und den vorangegangenen Personaldebatten um Udo Lattek und Thoma Hörster. Die Financial Times Deutschland sieht die Werkself in Anbetracht der harmlosen Spielweise „nahe an der Selbstaufgabe“und schreibt witer: „Gott ist kein Bayer-Fan, das ist sicher nach diesem Wochenende. Da feiert die Christenheit am Ostersonntag die Auferstehung Jesu, und Leverkusen läutet mit der Heimniederlage gegen Schalke die finale Etappe seines unaufhaltsamen Absturzes ein.“

Ehrliches Erschrecken, grundsolide Panik

Christian Zaschke (SZ 22.4.) traf alte Bekannte unterm Bayer-Kreuz. „Er ist wieder da, der verlässlichste Mitarbeiter der Fußball-Bundesliga. Seit ewigen Zeiten dabei, routiniert, eiskalt und doch ausgestattet mit dem herrlichsten Sinn für Humor. Lange hält dieser Mitarbeiter sich versteckt während der Saison, manche vergessen ihn völlig, obwohl sie bereits gelitten haben unter seinen Späßen. Doch dann, im letzten Drittel der Spielzeit, sitzt er plötzlich auf der Tribüne eines Vereins und grinst, lungert am Trainingsplatz herum und erschreckt die Fans, oder er tritt ohne anzuklopfen durch die Tür des Vereinsheims und sagt: „Gestatten, Gespenst. Abstiegsgespenst.“ Dazu dieses Grinsen. In diesem Jahr hat sich das Gespenst den eminent feinen Witz überlegt, den vormaligen Champions-League-Finalisten Bayer Leverkusen zu besuchen. Es wollte ihn nur ein wenig erschrecken, kleiner Spaß am Rande, und dann wieder gehen. Doch als es sah, wie wunderbar verschreckt die Leverkusener reagierten, konnte es nicht widerstehen. Es blieb (…) an jenem Ort, an dem noch ehrliches Erschrecken herrscht, grundsolide Panik und ein fein ausgeprägter Horror, um seinen bislang schönsten Witz zu präsentieren. Es entsandte einen Mann namens Udo Lattek, seit ewigen Zeiten dabei, routiniert, eiskalt, und ließ ihn sich als Trainer anbieten. Dann schickte es ihn am Sonntag auf Parade durchs Leverkusener Stadion. Das Land lachte. Leverkusen? Überlegte! Sie haben ihn dann leider doch nicht engagiert. Denn als sie in sein Gesicht blickten, da sahen sie es, ganz deutlich: dieses Grinsen.“

Jürgen Kohler hat so gar nichts von einem Herrn Direktor an sich

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 22.4.) analysiert den Niedergang in Leverkusen. „Bayer 04 war mal ein Musterbetrieb der Fußball-Bundesliga. Ein Werksklub mit all seinen Vorzügen und Nachteilen. Man arbeitete beflissen vor sich hin und wirkte aufs Publikum dennoch so fade wie eine blasse Pille. Deren innerer Wert beweist sich auch erst nach Einnahme. So richtig wahrgenommen wurde Bayer erst, als der Uefa-Cup gewonnen wurde, man später fast abgestiegen wäre, die Reise schließlich ins Fußball-Wunderland bis auf Platz zwei der Bundesliga und sogar ins Finale der Champions League führte. Bayer erwarb sich vor allem im Vorjahr den geballten Respekt der Liga. Als die Elf einst mit Rudi Völler in Abstiegsnöte geriet, mischte sich das Bedauern noch mit Häme. Und jetzt? Der neue Sportdirektor Jürgen Kohler hat so gar nichts von einem Herrn Direktor an sich. In seiner Außendarstellung reicht es nicht einmal zu einem Abteilungsleiter. Nichts gegen seine Vorliebe für den einen oder anderen kompetenten Mann, mit dem er sich noch beraten möchte. Aber Kohler selbst macht den Eindruck, als reichte seine Kompetenz nicht für seine schwierige Mission in schwierigen Zeiten. Der Ruf des Halbwaisen nach der Vaterfigur Udo Lattek brachte Calmund dermaßen auf die Palme, daß dieser im Stile des Dorfrichters Adam lospolterte (…) Dazu ist auch noch der Nachbar 1. FC Köln auf dem Rückweg in die Bundesliga. Ach, du dickes Ei, werden sie sich bei Bayer zu Ostern sagen. Das hätte den Leverkusenern gerade noch gefehlt: Köln wieder oben und sie selbst in der zweiten Liga. Noch bleiben fünf Spieltage, den Albtraum abzuschütteln.“

Der Calmund ist an allem schuld

Ulrich Hartmann (SZ 22.4.) beschreibt die Stimmungslage in Leverkusen. „Als am Stadion die Dämmerung einsetzte, schob Bernd Schneider Überstunden im Kundendienst. Umringt von folkloristisch gekleideten Endverbrauchern gab der Leverkusener bereitwillig Auskunft über Firmenphilosophie und Mitarbeitermotivation. Die Fans zeigten sich dabei gewohnt extrovertiert. „Mit dem Lattek macht Ihr Euch lächerlich“, polterte einer und erntete Zustimmung. „Ich sehe das ähnlich“, antwortete Schneider leise und schaute sich konspirativ um. Bald kam das Gespräch auf seine Zukunft in Leverkusen, bald auf die Leistungen der Mannschaft, aber da war Schneider dann schon nicht mehr so zugänglich. Mit manchem Schulterzucken lavierte sich der Nationalspieler durch die Fragestunde für die Fans. „Dabei kannst Du ja noch am wenigsten für die ganze Scheiße“, sagte einer und ließ sich ein Autogramm aufs Trikot kritzeln. Den Menschen in Leverkusen ist in diesen Tagen nach Konversation zumute. Dieses Bedürfnis hat das 1:3 gegen Schalke noch verstärkt. Weil die Fußballer das erschlagende Argument eines Sieges nicht fanden und trotz einer anfänglich ambitionierten Vorstellung schließlich wieder mit leeren Händen da standen, gehen die Diskussionen weiter um einen Klub, dem vor einem Jahr alles gelang – und nun nichts mehr (…) Als nach Spielschluss die ersten weinenden Fans auf der Tribüne kauerten – bei abstiegsgefährdeten Klubs ein untrügliches Zeichen für die Dimension der Not – beteuerte im Innern des Stadions Reiner Calmund zum wiederholten Male, er übernehme gern die volle Verantwortung für den Niedergang – persönliche Konsequenzen schloss er allerdings aus. Das Durchhaltevermögen des Geschäftsführers imponiert nicht allen Anhängern des Vereins, und das teilten sie dem Klubangestellten Bernd Schneider zu vorgerückter Stunde dann auch sehr offen mit. „Der Calmund ist an allem schuld“, schrie in der abendlichen Fragestunde einer erregt aus der zweiten Reihe. Schneider schwieg. Es war schon alles gesagt.“

ein lesenswertes Calmund-Portrait

Ich ruf gleich wieder an, ich quatsche grad mit dem Bernd Schneider

Erik Eggers (taz 22.4.) sieht schwarz. „Was passiert euch denn, wenn wir absteigen?, fragte ihn die Vox populi, oder spielst du etwa weiter in Leverkusen? Schneider, dem für diesen Fall ein Angebot aus Dortmund vorliegt, ging darauf nicht ein. Sondern bat die Fans um Unterstützung auch für das kommende Auswärtsspiel in Mönchengladbach. Die Begegnung barg schöne Miniaturen: Wie ein weiblicher Fan aus einem halben Meter Entfernung immer wieder das Gesicht ihres großen Idols musterte. Wie jemand unter allgemeinem Johle in sein Handy sprach: Ich ruf gleich wieder an, ich quatsche grad mit dem Bernd Schneider. Rund 20 Minuten stand der Nationalspieler da, vermittelte Nähe, gab Autogramme und ließ sich bereitwillig fotografieren. Die Szene lieferte das Bild dieses Tages: Bernd Schneider scheint der Einzige in Leverkusen, der überhaupt noch Kontakt zur Außenwelt besitzt. Alle anderen im Kokon des Noch-Vizemeisters scheinen diesen längst verloren zu haben. Das vermittelten jedenfalls die Aussagen der Verantwortlichen nach dieser Partie, die erneut alle Mankos der Mannschaft manifestierte: fehlender Biss und Zaghaftigkeit im Zweikampf, kein Siegeswillen, verblüffende Harmlosigkeit im gegnerischen Strafraum, mangelnde Entschlossenheit, wie sie sich unter anderem in dem zu späten Herauslaufen Jörg Butts vor dem entscheidenden 1:2 durch Sand äußerte. Vor allem aber ist dieses Team offenbar unfähig, ein Spiel zu drehen; zwei Halbchancen nach dem Rückstand sprachen erneut ein deutliche Sprache. Bleibt es bei dieser Unfähigkeit, wird die Mannschaft, deren Fußball vor elf Monaten noch halb Europa verzauberte, unweigerlich absteigen. Nur einer scheint neben Schneider den Willen zu besitzen, sich nicht in dieses Schicksal zu fügen: Lucio.“

Latteks ausgedehnte Werbeveranstaltung in eigener Sache

Peter Heß (FAZ 22.4.) versetzt sich ins Innere der am Abstiegskampf Beteiligten. „Das Gnädige an Albträumen ist ihre Kürze. Nach ein paar Minuten oder Stunden erwacht der Gepeinigte. Zurück bleibt höchstens ein mulmiges Gefühl und verschwitzte Bettwäsche. Bayer Leverkusen wird diese Gnade nicht zuteil. Den Bundesligaverein quält schon seit Monaten ein Albdruck. Er wird voraussichtlich noch fünf Wochen andauern, und am Ende werden die Auswirkungen des bösen Traumes nicht mit einer Waschmaschinenladung bereinigt sein (…)Was hat Bayer nicht schon alles getan? Trainer Toppmöller entlassen, Amateurcoach Hörster zum Chef berufen, Kohler zum Sportdirektor befördert, den Namen Lattek als Berater ins Spiel gebracht: Jetzt soll ein anderes, bisher noch nicht ausprobiertes Mittel helfen: Ruhe und Selbstbesinnung. Ob’s hilft? Auf jeden Fall wird Leverkusen, falls es sich an die selbstverordnete Verhaltensweise hält, ein besseres Bild in der Öffentlichkeit abgeben. Daß Altmeistertrainer Lattek die Leverkusener Situation zu einer ausgedehnten Werbeveranstaltung in eigener Sache mißbrauchen konnte, war dieses Vereins nicht würdig: Ich würde das nicht machen – Ich wäre verrückt genug, es zu tun – Ich habe mich auf dem Flug von München hierher entschieden, dem Verein nicht als Trainer oder etwas Ähnliches zur Verfügung zu stehen. Nach Jahren besetzte Lattek wieder einmal Schlagzeilen, nachdem er als Fernsehkommentator eher weniger Aufmerksamkeit erregt hatte. Es wird nun wieder ruhiger um ihn werden, nachdem er sich am Sonntag endgültig öffentlich gegen ein Angebot entschied, das er nicht hatte. Latteks Wiederbelebung wurde nur durch Hörsters Hinweis möglich, er klammere sich nicht an seinen Job in exponierter Stellung, falls die sportliche Leitung einen besseren Mann für diesen Posten hätte. Einiges spricht dafür, daß der neue Sportdirektor Kohler und der alte Geschäftsführer Calmund diese Frage unterschiedlich bewerteten. Im Moment gilt Calmunds Richtlinie: Das Trainerthema ist erledigt, wir werden den Trainer nicht mehr wechseln. Und prompt gab Hörster wieder den harten Hund: Einen Rücktritt von mir wird es nicht geben.“

Interview mit Reiner Calmund SpOn

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Hier ziehen nicht alle mit

Trägt die Euphorie in Stuttgart Gefahren in sich? – Bayern-Krise: „Geschichte wiederholt sich“ (SZ) – Diskussion um den Charakter der Bayern-Elf und um Michael Ballacks Führungsstärke – mit Matthias Sammer legt man sich besser nicht an – Dortmund beißt sich durch – Mike Hanke, von der dunklen Tribüne ins Licht – Tsp-Interview mit Christian Hochstätter – Fabian Ernst, gut in Form

Oliver Trust (FR 8.11.) warnt vor den Gefahren des Stuttgarter Aufschwungs: “Neulich sorgte die Stuttgarter Zeitung für Aufregung unter der schwäbischen Lehrerschaft. Die Landesregierung, so berichtete das Blatt scherzhaft, habe sich offenbar entschlossen, ohne vorherigen Erlass in Baden-Württemberg eine einheitliche Schuluniform einzuführen. Wie anders sei es ernsthaft zu erklären, dass Stuttgarter Schüler gleich klassenweise einheitlich gekleidet zum Unterricht erschienen, nämlich im Trikot des örtlichen Fußballclubs VfB Stuttgart. Der neue Höhepunkt der Euphorie im Schwäbischen gehört zu den netten Begleiterscheinungen der bemerkenswerten Erfolge, die überall als Fußballmärchen beschrieben werden. Die Mitgliederzahl der Roten aus Bad Cannstatt stieg in ein paar Monaten von 8000 auf über 11 000, Prominente, obwohl in weit entfernten Teilen der Republik polizeilich gemeldet, füllen Mitgliedsanträge aus als seien es Liebesbriefe und in den Sportteilen steht, die Stuttgarter seien das neue Bayern München. Nun besteht zwar die Aussicht, der VfB könnte die einzige deutsche Mannschaft im Achtelfinale der Champions League sein. Ernsthafte Vergleiche mit dem Branchenriesen aus dem Süden schmecken weder Präsident Erwin Staudt noch Magath. Er sehe darin eine ernste Gefahr, meinte Magath. Dass wir siegen ist selbstverständlich geworden, niemand fragt danach, ob wir noch genügend Zeit haben, uns gewissenhaft auf unsere Aufgaben vorzubereiten, so Magath. Die Bayern, so Staudt, seien allenfalls auf dem Wirtschaftssektor ein Vorbild (…) Nicht nur die Aussicht ausgerechnet bei einem der Kellerkinder der Liga die erste Niederlage zu kassieren, bereitet den Schwaben Sorge. Den Jungstars Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel flattern reihenweise Angebote auf den Tisch. Das jüngste Gerücht erzählt vom AC Mailand, der nach einer Unterschrift Kuranyis trachte. Während Magath vom Klub fordert, man solle gerade jetzt in der Phase des Aufschwungs ein gewisses finanzielles Risiko eingehen und die Verträge mit Kuranyi und Hinkel verlängern, sieht er sich nicht von allen unterstützt. Vor allem Finanzvorstand Ulrich Ruf bremst und neidet Magath die Machtfülle, die der Trainer-Manager in Stuttgart genießt. Hier ziehen nicht alle mit, sagte Magath.“

Philipp Selldorf (SZ 7.11.) kommentiert die Folgen der Münchner Niederlage gegen Lyon: „Die Geschichte wiederholt sich, und für Ottmar Hitzfeld ist es eines der dunklen Kapitel seiner ungemein erfolgreichen Laufbahn, das sich hier ankündigt. Vor einem Jahr stand Hitzfeld vor dem Ende seiner Amtszeit beim FC Bayern, weil die Mannschaft aus der Champions League ausgeschieden war, unter Umständen, die Rummenigge als „Schande“ geißelte. Die Bayern hatten mit ihrem sich neu formierenden Team ein Jahr des Umbruchs bestehen wollen, für den Generationswechsel habe man „wie die Wahnsinnigen“ investiert, sagte damals Uli Hoeneß. Das Niveau im Herbst 2002 lag den Erwartungen fern, aber Hitzfeld schaffte die Umkehr und am Ende reihte er zwei weitere Titel in seine Sammlung ein. Im Herbst 2003 ist die Lage folgende: Der Verein hat investiert wie wahnsinnig – und steht in der Champions League am Rande des Abgrunds. Das Betriebsklima auf dem Platz entspricht der Kälte des Verteilungskampfes, den die Bayern um Fernseh- und Sponsorengelder führen. Der von Rummenigge stolz als „Beckenbauer Südamerikas“ präsentierte Martin Demichelis wirkt wie eine argentinische Variante von Georg Schwarzenbeck, und die Behauptung von Uli Hoeneß, Real Madrid fürchte sich nur vor dem FC Bayern, wie ein satirischer Beitrag. Damals, im Herbst 2002, schaffte Hitzfeld mit seiner Mannschaft durch einen Sieg gegen Borussia Dortmund die Wende. Das wird diesmal nicht reichen. Er wird viel Kraft brauchen in den nächsten Wochen.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 8.11.) fügt hinzu: „Selten kommt es vor, daß Ottmar Hitzfelds Worte drastischer sind als die seiner Vorgesetzten. Der Trainer, der bei seinen Analysen meist Phrasen bemüht, sprach nach dem Spiel gegen Lyon davon, daß er am liebsten im Boden versunken wäre, so habe er sich geschämt in der zweiten Halbzeit. Ich habe meine Mannschaft noch nie so schlecht gesehen. Hitzfeld monierte, daß Leistungsträger gravierende Fehlpässe über fünf Meter unterlaufen sind. Vergeblich hatte er gehofft, daß uns da noch einer rausreißt. Die Mannschaft ist auseinandergefallen. Daß der Münchner Boulevard sich zurückhält bei der Trainer-Kritik, hat womöglich auch mit dem vergangenen Jahr zu tun. Damals waren die Bayern zum gleichen Zeitpunkt schon einen Schritt weiter, nämlich ausgeschieden aus der Champions League, und die Bild-Zeitung hatte behauptet, die Tage von Ottmar Hitzfeld seien gezählt. Vor einem Jahr hatten die Verantwortlichen eine andere Strategie gewählt und beschlossen, bis zu jenem Spiel gegen die Borussia nichts zu sagen. Jedes Wort, das sie verlören, das war ihnen damals klar gewesen, wäre als eines gegen Ottmar Hitzfeld ausgelegt worden. Allerdings hatte gerade dieses beharrliche Schweigen den Trainer auch in Bedrängnis gebracht, weil er allein gelassen schien in dieser prekären Lage. Dieses Mal wird geredet bis zum Sonntag. Die Spieler des FC Bayern allerdings reden nur untereinander in einem zweitägigen Trainingslager am Tegernsee. So sachlich und gemäßigt, wie die Verantwortlichen derweil die Krisenbewältigung in der Öffentlichkeit betreiben, sollten die Gespräche zwischen den Spielern allerdings nicht sein.“

Seine besten Auftritte hatte Ballack unter Daum, Toppmöller und Völler.

Philipp Selldorf (SZ 8.11.) antwortet auf die Frage nach der Führungsstärke Michael Ballacks: „In der Nationalelf hat Ballack die Frage längst beantwortet. Keiner stellt mehr in Abrede, dass er als Kopf des Teams fungiert und allenthalben anerkannt wird. Warum also entsteht in München ein anderer Eindruck? Weil Ballack nicht die Manieren und den Charakter Effenbergs hat? Das kann niemandem ernsthaft missfallen, und das Gerede, Ballack ziehe durch seine große öffentliche Geltung Neid und Widerstand der Mitspieler an, findet keinen überzeugenden Beleg. Ebenso wie Rudi Völler hat auch Ottmar Hitzfeld den Mittelfeldspieler aus gutem Grund für unersetzlich erklärt. Allerdings spielt er in den Vorstellungen des Münchner Trainers eine andere Rolle als im Spielsystem des Teamchefs, dessen Idee Ballacks Wünschen weitaus näher liegt (…) Seine besten und spektakulärsten Auftritte hatte er nicht bei den Bayern, sondern unter den Trainern Daum, Toppmöller und Völler. Deren Spielauffassung ermöglichte ihm Freiheiten nach vorn, die er sich unter Hitzfeld nur mit Gewissensbissen nehmen kann. In München muss Ballack in der hintersten Linie des Mittelfeldes oft eine Arbeit machen, wie sie im Nationalteam Carsten Ramelow erledigt. In Hitzfelds unumstößlichem Spielentwurf stellt er nur einen von elf Bestandteilen dar, und wenn es auch ein herausgehobener Part sein mag, so bleibt er doch immer dem Sicherheitsvorrang unterworfen. Des Trainers 4-4-2-Ordnung ist das Gesetz jedes Bayern-Spiels: bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit, gegen jeden Gegner. Das sorgt für stabile Verhältnisse – und erfriert manchmal in einer Aufteilung, in der nichts Überraschendes geschieht, weil sich kein Spieler überraschend bewegt. Gegen Lyon kam das statische System gänzlich zum Stillstand.“

Die Reporter haben Angst vor diesen attackierenden 180 Zentimetern

Sehr lesenswert! „Matthias Sammer hat alle weich gekocht, es geschafft, jedes Gespräch zu diktieren“, schreibt Ingo Durstewitz (FR 8.11.): “Wenn der Feuerkopf in den Interview-Ring klettert, halten sogar die Kameramänner gespannt die Luft an: Hüsteln unterdrücken, flach atmen, durch die Nase am besten, nur nicht schnaufen (unsichtbar machen geht leider nicht, wäre aber nicht schlecht). Hitze breitet sich aus im kleinen, stickigen Studio, es knistert, als sei er, der Feuerkopf, elektrisch geladen (ist er ja auch, irgendwie). Rotlicht, Auftritt Matthias Sammer, 36, Fußballtrainer, Wüterich, Raubein – und Wanderprediger mit Grobrhetorik in der guten Sache Borussia Dortmund. Sammer reißt die kalten Augen auf, die so unsagbar böse funkeln können, zieht die (fast unbehaarten) Brauen hoch, die käsige Stirn legt sich in Falten wie ein Rollladen, die Narbe über dem rechten Auge tanzt auf und ab. Er schließt die Augen, vergräbt die rechte Hand in der Tasche der Trainingshose, dreht den Oberkörper um 90 Grad; gedankenverloren lässt er mit der anderen Hand das Wasserglas rotieren. Dann strafft sich der Körper, Sammer fährt herum – und stiert! Penetrant, durchdringend. Er starrt seinen Gegenüber an, als wolle er in ihn hineinkrabbeln und ihn aushöhlen. Ausgebuffte Fernsehmänner stottern, vergessen die Syntax, weil sich in Sammers Augen die Verachtung für die Möchtegern-Experten mit ihren schwachsinnigen Fragen widerspiegelt. Diese Frage ist ja wohl ein Scherz. Das ist nicht Ihr Ernst. Blafft er gerne. Dann ist er gut drauf. Sammer, die Impulsivität auf zwei Beinen, keift und zetert, wütet und zischt. Sein Ton ist schneidend, er streut elend lange Ähs ein, um seine nächste Attacke vorzubereiten, in seiner Stimme schwingt ein drohender Unterton mit, eine subversives: Freundchen, pass auf! Die Reporter (nicht nur weichgespülte Kuschel-Talker) haben Angst (ja, Angst) vor diesen attackierenden 180 Zentimetern mit dem roten Haupthaar und den roten Stoppeln im Gesicht. Sammer hat alle weich gekocht, es geschafft, jedes Gespräch zu diktieren. Er sagt, was er will, weil ihn niemand mehr etwas fragt (…) Neulich, als Borussia Dortmund in Frankfurt gespielt hat, ist ein Zuschauer hinter ihm aufgesprungen und hat Sammer angeschrieen, er solle seiner Mannschaft mal diese nervige Schauspielerei abgewöhnen. Sammer ist wie eine Furie herumgeschossen, hat vier Finger hochgehalten und zurückgebrüllt: Vier Kreuzbandrisse hab‘ ich. Was willst du also?“

Spannend, spannender, Borussia

Roland Zorn (FAZ 8.11.) schildert Dortmunder Durchhaltevermögen: „Schade, daß das Münchner Oktoberfest schon vorbei ist. Die Reisegesellschaft nämlich, die am Sonntag in der bayerischen Landeshauptstadt zu Gast ist, liebt Achterbahnfahrten. Borussia Dortmund hat schwindelerregende Berg-und-Tal-Partien im heimischen Westfalenstadion hinter sich. Dabei ist der Tabellenvierte der Fußball-Bundesliga am vergangenen Sonntag im Meisterschaftsspiel gegen den Hamburger SV zunächst in Untiefen gestoßen worden wie am Donnerstag in der UEFA-Pokalbegegnung mit dem FC Sochaux. Wurde aus einem 0:2 noch ein 3:2-Sieg über den HSV, reichte es nach dem 0:2-Rückstand gegen die Franzosen immerhin noch zu einem 2:2 im Hinspiel der zweiten UEFA-Cup-Runde. Beim verletzungsgeplagten BVB jedenfalls geht es dieser Tage so rund, daß den Anhängern der Westfalen im Auf und Ab der Gefühle manchmal der Atem stockt. Spannend, spannender, Borussia. Und nun geht’s zum klassischen Bundesliga-Gipfel, Bayern, selbst krisengeplagt, ruft, und die Borussia kommt allen Personalsorgen zum Trotz gern. Manager Michael Meier jedenfalls ist vor dem Gang ins Olympiastadion am Sonntag nicht bang. Was uns im Augenblick auszeichnet, ist westfälische Durchhaltementalität. Der einzelne gilt weniger, dafür um so mehr das Gemeinschaftsgefühl.“

Richard Leipold (FAZ 8.11.) schüttelt Mike Hanke die Hand, vor kurzem Schalkes Ersatzspieler, nun zweifacher Torschütze im Uefa-Cup: “Vor sechs Jahren, als die Generation der Eurofighter Schalker Fußballgeschichte schrieb, stand Mike Hanke als Jugendlicher in der Nordkurve. In Block drei des Gelsenkirchener Parkstadions jubelte er den Königsblauen zu, die am Ende überraschend den Titel gewannen. Die Eurofighter sind längst in den sportlichen Ruhestand getreten, und aus Hanke, dem Fan, ist ein Profi geworden, der sich anschickt, die Herzen der Anhänger zu erobern. Der Aufstieg aus der Nordkurve ins Sturmzentrum ist eine Erfolgsgeschichte, die gerade in einer Hochburg der Emotionen die Menschen begeistert (…) Vor kurzem faßte er sich ein Herz und ging zu Trainer Jupp Heynckes, um ihn zu fragen, warum er über den Status einer Randfigur nicht hinauskomme. Ermuntert, offen seine Meinung zu sagen, beklagte der junge Mann sich über mangelndes Vertrauen. Dann ist Heynckes ein wenig lauter geworden, berichtet Hanke. Er hat mir erklärt, was ich falsch mache, was ich ändern muß, um hier eine Zukunft zu haben. Heynckes habe ihm vorgeworfen, er laufe zu wenig und gebe nicht alles für den Klub und den Beruf. Seit diesem Beratungsgespräch hat sich vieles geändert, und zwar prompt. Der Trainer vertraut Hanke neuerdings und hat ihn dreimal nacheinander für die Startelf nominiert. Hanke zahlt den Vorschuß durch gute Leistungen zurück – und durch wertvolle, teils technisch anspruchsvolle Tore wie gegen Bröndby. Mike hat sich in den letzten zwei, drei Wochen um 180 Grad gedreht, er ist so gut wie Stammspieler, sagt Heynckes. Die vermeintlich übermächtigen Rivalen haben Hanke offenbar unterschätzt; ehe sie sich versahen, hat der Emporkömmling sie verdrängt.“

Ich hatte Signale aus Mannschaft und Umfeld, dass schnell etwas passieren musste

Tsp-Interview mit Christian Hochstätter

Tsp: Lienens kam Entlassung aber sehr plötzlich.

CH: Ich glaube, das Problem war, dass wir die Entscheidung vor der Öffentlichkeit getroffen haben. Die Medien und auch die Zuschauer waren darauf noch gar nicht vorbereitet. Hätten wir noch 14 Tage gewartet, hätte die Entlassung wahrscheinlich einen ganz anderen Touch bekommen. Aber ich hatte eben Signale aus der Mannschaft und aus dem Umfeld, dass schnell etwas passieren musste.

Tsp: Lienens Entlassung hat eine Diskussion über die Sitten im Profifußball ausgelöst. Ist die Branche verlogen?

CH: Was heißt verlogen? In der freien Wirtschaft ist es auch nicht anders. Nur wenn dort ein leitender Mitarbeiter entlassen wird, wird nicht wochenlang in den Medien diskutiert, ob die Entscheidung moralisch verwerflich ist.

Tsp: Der Spiegel hat geschrieben, dass die Vereinsmanager nun stärker unter Druck geraten.

CH: In meinem Fall trifft das sicherlich zu, weil unser Präsidium gesagt hat, wenn das mit dem neuen Trainer Holger Fach nicht funktioniert, reden wir auch über den Sportdirektor. Aber mein Vorgänger Rolf Rüssmann durfte hier fünf Trainer verschleißen und 30 Millionen Mark Schulden machen. Ich werde schon nach meiner ersten Trainerentlassung in Frage gestellt.

Tsp: Für alle bisherigen Trainerentlassungen waren recht junge Manager verantwortlich: in Hamburg Dietmar Beiersdorfer, in Köln Andreas Rettig und eben Sie. Werden die Neulinge in diesem Geschäft schneller nervös?

CH: Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Wie stellen Sie sich das denn vor: dass Christian Hochstätter zu Ewald Lienen geht und sagt: „So, du bleibst ab jetzt zu Hause“ – und erst danach das Präsidium informiert? Kein Manager trifft eine solche Entscheidung alleine.

Tsp: Glauben Sie, dass es auch elegante Trainerwechsel gibt?

CH: Sicher gibt es die: Wenn die Trainer aus ihrem Vertrag rauswollen, ist es meistens elegant. Wenn der Verein es will, ist es meistens nicht elegant. Das war in Gladbach so und in Hamburg auch. Aber Kurt Jara hat sich so verhalten, wie man sich als Trainer verhalten sollte. Natürlich ist er enttäuscht, aber ich habe nicht ein böses Wort von ihm gehört. Mit solchen Trainern kann man arbeiten.

Tsp: Ewald Lienen hingegen hat sehr emotional reagiert. Ihr Präsidium soll Ihnen untersagt haben, sich zu seinen Vorwürfen zu äußern.

CH: Das stimmt nicht. Ich weiß selbst, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich glaube nicht, dass Christian Hochstätter über Ewald Lienen Müll ausgekippt hat. Das war eher umgekehrt. Und selbst darauf habe ich nicht reagiert, weil ich Verständnis dafür habe, dass der Ewald sauer ist. Was ich seltsam finde, ist, dass es jetzt heißt, ich hätte ihm die Zukunft verbaut. Ich war derjenige, der ihm überhaupt eine gegeben hat – weil ich ihm hier im März eine Chance gegeben habe.

Christof Kneer (BLZ 8.11.) schätzt die Qualitäten von Fabian Ernst, Werder Bremen: “Es ist vielleicht das größte Kompliment für diesen jungen Mann, dass sie bei Werder fast schon vergessen haben, dass Torsten Frings hier einmal Wunder wirkte. Manchmal gibt es noch diese Tage, an denen die Bremer diesen kompakten Treibauf vermissen, der mit dem Ball am Fuß gegnerische Abwehrreihen sprengte. Sie haben ein Weilchen gebraucht, bis sie das unsichtbare Spiel seines Nachfolgers entziffert hatten, aber nun wissen sie, dass diese Unsichtbarkeit ein Teil seines Erfolges ist. Fabian Ernst ist weniger präsent als Frings, aber dafür hat sein Spiel ein Geheimnis. Manchmal sieht man seine Heldentaten erst hinterher, in Zeitlupe. Man sieht dann im Fernsehen einen jubelnden Ailton – erst später sieht man, dass das Tor hinten im Mittelfeld angebahnt wurde, von Fabian Ernst. Es ist wahr, dass die Bremer derzeit den farbigsten Fußball der Liga spielen – wahr ist aber auch, dass Ernst dem poppigen Vortrag erst einen Rhythmus gibt. Fabian Ernst ist eine moderne Nummer sechs, und es ist definitiv eine neue Qualität in seinem Spiel, dass er inzwischen auch Jagd macht auf die Rekorde, die sonst die offensiven Kollegen unter sich aufteilen. Alle einschlägigen Scorerlisten führen den Bremer in der Spitzengruppe, obwohl er in dieser Saison noch kein Tor geschossen hat – aber er hat schon acht vorbereitet. Zehn Vorlagen fehlen noch, dann fällt der Bundesliga-Rekord des ehemaligen Vereinskollegen Andreas Herzog.“

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Parasiten, Diebe

Bayern mit dem Rücken zur Wand am stärksten? –Uli Hoeneß und Michael Ballack fast in Einklang – „auch der beste Manager der Bundesliga arbeitet nicht fehlerlos“ (FTD) – Celtic Glasgow, heimstark und auf dem Weg zu europäischen Höhen – Henrik Larsson, Torschütze vom Dienst – Andrej Schewtschenko, Liebling Milans, Liebling Ancelottis, Liebling Berlusconis – Renaissance des Jugendstils in Amsterdam

Klaus Hoeltzenbein (SZ 25.11.) erwartet, im Fall einer Niederlage Bayerns, Lärm und Krach. „Es könnte, dazu bedarf es keiner besonderen Weitsicht, Hitzfelds letzte Auswärtsfahrt mit den Bayern in der Champions League gewesen sein. Die Mannschaft ist nur für diesen Wettbewerb konzipiert, Bundesliga und Pokal, die in der vergangenen Saison nach dem Erstrunden-K.o. gewonnen wurden, gelten als vitales Nebengeschäft. Nur ist dort derzeit, anders als im Vorjahr, für den Titelverteidiger wenig Trost zu finden – zudem hat Manager Uli Hoeneß orakelgleich verkündet: „Die Meisterschaft oder das Double sind in dieser Saison kein Ersatz mehr.“ Bereits nach dem 1:2 gegen Olympique Lyon, das die aktuelle Dramatik entfacht hat, schien es, als nehme der Vorstandsvorsitzende Rummenigge seinen Vorturner in die Kritik. Man sehe doch, die Mannschaft sei nicht fit, hieß es da. Damit habe er die Spieler gemeint, nicht den Trainer, hieß es später. Der Trainer wiederum sagte, er sage nichts dazu, doch wenn einer die Mechanismen kennt, dann Stratege Hitzfeld. Er weiß, das etwas hängen bleibt, und er kennt den Königsweg, wie vieles vergessen wird: allein durch die gewünschten Resultate. Sollte dieser Spielplan jedoch scheitern, wird das Drama hinter den Kulissen fortgesetzt. Zwar wurde Hitzfelds Vertrag bis 2005 verlängert, dennoch würde wohl die Trennung zumindest erwogen. Von beiden Seiten, kaum schon zur Winterpause, wohl aber zum Ende der Saison. Wer passt denn schon zu diesen Bayern? Einem Team, das aus vielerlei Gründen als schwer regierbar gilt. Auch in Glasgow wird wieder viel davon abhängen, was Michael Ballack macht. Denn was er nicht macht, macht keiner. Zu sehr, so scheint es, haben sich die Bayern in Abhängigkeit von ihrem rackernden Schöngeist begeben (…) In solchen Augenblicken, in denen den Münchnern alles Leichte so fern zu sein scheint, täte es gut, Kraft aus der Tradition zu schöpfen. Glasgow könnte ihnen liegen, dort hat die Bayern-Troika Beckenbauer-Rummenigge-Hoeneß am 12. Mai 1976 gegen AS St. Etienne zum dritten Mal hintereinander den Pokal der Landesmeister gewonnen. „Parasiten“ fluchte ihnen Daily Mail hinterher, „Diebe“ nannte sie The Sun. Schlagzeilen halt, wie sie die Bayern lieben. Wie sie sie auch am Montag nach dem Münchner Derby gegen 1860 im Gepäck hatten. So ein fieses, wunderschönes 1:0 wie damals gegen St. Etienne, wie gegen die Löwen, das wär’s, wäre das eine Gaudi.“

Demontage von Michael Ballack

Michael Ashelm (FAZ 25.11.) widmet sich bayerischen Debatten: „Die Demontage von Michael Ballack macht Fortschritte. Es begann unmerklich vor einigen Wochen, als die Bayern sich aufmachten, nach der Form der früheren Jahre zu suchen. Aber als sie sich dann irgendwann nicht mehr scheuten, als Argumentationshilfe selbst Stefan Effenberg wie eine Mumie aus dem Wüstensand auferstehen zu lassen, kehrte damit wie ein böser, alter Fluch die Diskussion um Ballacks Führungsqualitäten ins Münchner Fußball-Leben zurück. Und seitdem will sie nicht mehr weichen, vielmehr verstärkt sie sich von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel, bis Manager Uli Hoeneß am Samstag im Sportstudio das bisher härteste Urteil über den Fußballer des Jahres verkündete: Er kann nicht laufen. Er ist nicht fit. Vom Weltklassespieler zum Fußkranken – so gnadenlos schnell kann das bei den Bayern gehen. Michael Ballack wußte vor dem Fernseher sofort, daß die Attacke des eine besonderer Qualität besaß, und einem altbekannten Ziel diente: Den sportlichen Sündenbock schon mal vorab in Position zu bringen, falls das wichtigste Spiel des Jahres (Hoeneß) tatsächlich danebengeht und der FC Bayern wie im Vorjahr wieder auf dem ersten Treppchen in Europa stürzt. Die Münchner Reisegesellschaft konnte am Montag auf ihrem Flug in den Norden dann auch gleich nachlesen, wie sich die Spannungen zwischen Ballack und Hoeneß erhöht haben. Der Nationalspieler gab in freundlicher, aber dennoch eindeutiger Form zu verstehen, daß die Bayern doch in Glasgow auf ihn verzichten sollten, wenn sie glaubten, er könne nicht mehr laufen. Ballack hält sich für topfit – und er sieht in der Art und Weise, wie Hoeneß seine körperliche Tauglichkeit in Abrede stellt, Methode.“

Auch der beste Manager der Bundesliga arbeitet nicht fehlerlos

Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 25.11.) erläutert die Gesprächstaktik von Manager Uli Hoeneß: „Bei seinem engagierten Auftritt im ZDF fehlte dem Manager nur noch ein Damaszenerschwert, um seine angeschlagenen Spieler nch wirkungsvoller schützen zu können. Was Hoeneß bot, war mehr als nur der Versuch, seine Mannschaft aus der Kritik zu nehmen und sie – trotz Hilflosigkeit im Spiel gegen 1860 München – als schlagkräftig zu verkaufen. Der Auftritt von Hoeneß geriet selbst für seine Verhältnisse etwas arg selbstgerecht – der Manager legte geradezu Fährten in Richtung des Verdachtes, es könnte etwas im Argen liegen. Nicht nur innerhalb der Mannschaft, sondern auch in der Schaltzentrale des FC Bayern. Zu krampfhaft und erbittert war das stete Bemühen, bestimmte Themen mit gespieltem Humor zu bagatellisieren oder aggressiv zu tabuisieren. Dieser Stil war schon bei der Pressekonferenz zu dem unter Depressionen leidenden Sebastian Deisler aufgefallen, als Hoeneß angeblich unsachliche Fragesteller zornig bloß stellte oder gar der Berufsverfehlung zieh. In einem dieser Fälle war die reichlich legitime Frage gestellt worden, ob die Bayern-Bosse das eine oder andere Signal für die seelischen Probleme Deislers nicht früher hätten bemerken können. Dass Sensibilität nicht gerade zu den Stärken der Verantwortlichen zählt, zeigte nicht nur die schroffe Reaktion des Managers. Schon die Ratlosigkeit des Vorstands über die kollektive Empörung vieler Bayern-Fans im Zusammenhang mit der brüsken Abschiebung Elbers zu Olympique Lyon hatte dies belegt. Spätestens seit Elbers Tor gegen die Bayern sieht sich Hoeneß, die treibende Kraft im Transfer des Brasilianers, im Rechtfertigungszwang. Mit Roy Makaay führte Ottmar Hitzfeld ein neues Spielsystem ein. Wie das zu verstehen ist, wissen selbst Eingeweihte bis heute nicht. Sicher ist, dass das Spiel der Bayern seither an Vitalität, Inspiration und Attraktivität eingebüßt hat. Doch Kritik jedweder Art verbittet sich Hoeneß – wenn es sein muss, lautstark. Es wird immer deutlicher, dass der Manager seine Politik beliebig betreibt: So, wie es gerade ist, ist alles richtig und gut. Und zwar deshalb, weil es von der Geschäftsführung für richtig und gut befunden wird. Es musste so sein. Oder so kommen. Und sei es noch so ärgerlich. Wie der Abstand zur Bundesliga-Tabellenspitze. Wie das drohende Aus in der Champions League. Wie das Beinahe-Aus im DFB-Pokal. Hoeneß bemüht sich, Deislers Depressionen als von jedermann nachvollziehbare Krankheit zu vermitteln. Freilich mit einer entscheidenden Ausschlussklausel: Die Nachvollziehbarkeit endet vor dem Wahrnehmungsvermögen der Bayern-Verantwortlichen. Das alles lässt nun den Eindruck entstehen, es könnte Hoeneß vor allem um eines gehen: selber unantastbar zu bleiben. Oder in Frageform: Hat der Manager vom FC Bayern München einen Unschuldskomplex? Wenn die Bayern vielleicht um ihre letzte Chance spielen in Glasgows Celtic Park, wird Hoeneß ein Gespenst im Nacken sitzen. Elber lautet sein Name. Sollten die Bayern verlieren, so könnte es der Brasilianer auf dem Fuß haben, Hoeneß in Erinnerung zu rufen, dass auch der beste Manager der Bundesliga nicht fehlerlos arbeitet.“

Mit Herz spielte Celtic immer, nun auch noch mit Kopf

Christian Eichler (FAZ 24.11.) warnt vor Celtic Glasgow: „Der schottische Fußball mag nach kurzem Aufmucken gegen die Holländer durch das 0:6 in Amsterdam letzten Mittwoch wieder zurechtgestutzt worden sein. Der schottische Klubfußball aber ist dabei, sich davon unabhängig zu machen. Nachdem Rangers und Celtic viele Jahre lang den Preis für ihre einseitige Überlegenheit in Schottland bei Ausflügen nach Europa bezahlten, haben sie längst Routine darin gewonnen, im kontinentalen Vergleich zu bestehen. Für Celtic war besonders der lange Marsch ins UEFA-Pokal-Finale 2003 wie eine europäische Reifeprüfung. Und ihre starke Leistung im unglücklich verlorenen Endspiel gegen den FC Porto, einer der besten Partien dieses Jahres, zeigte, daß ein Team von internationaler Klasse entstanden ist. Mit Herz spielte Celtic immer, nun auch noch mit Kopf. 63 Heimspiele ohne Niederlage können sich auch im europäischen Vergleich mit namhaftester Konkurrenz sehen lassen – etwa mit dem Rekord von 85 Heimspielen ohne Niederlage des großen FC Liverpool (1978 bis 1981); vielleicht irgendwann sogar mit dem Weltrekord der legendären Ära von Real Madrid, das von 1957 bis 1965 in der spanischen Liga in 122 Heimspielen ungeschlagen blieb. Bei Celtic erklärt man die Serie bescheiden vor allem mit der schwachen heimischen Konkurrenz; aber das ist nur die halbe Wahrheit. Seit jenem 0:1 gegen Ajax Amsterdam im August 2001, das zudem gar keine richtige Niederlage war, weil Celtic aus dem Hinspiel der Champions-League-Qualifikation einen 3:1-Vorsprung mitgebracht hatte, haben die Glasgower vor ihren legendären Fans im Celtic Park auch gegen feine europäische Konkurrenz bestanden. Von den 63 Spielen fanden 13 im Europapokal statt (elf Siege, zwei Unentschieden). Unter denen, die hier verloren, waren Teams wie Juventus Turin, FC Porto, Valencia und Stuttgart (…) Torwart Hedman und Torjäger Hendrik Larsson sind die einzigen Landsleute in der Elf von Celtic. Die anderen neun, die gegen Anderlecht so gut spielten, daß selbst der eigene Trainer ganz begeistert war, kommen aus neun Ländern. Längst ist aus der grüngestreiften Auswahl der schottischen und exilirischen Katholiken ein buntes Europa-Team geworden. Noch fehlt manches, um auch ein Europa-Spitzenteam zu sein, vor allem auswärts. Doch zu Hause spielt es großartig und profitiert von einer Druckatmosphäre, wie sie in kaum einem anderen Stadion der Champions League erzeugt wird.“

Das leichte Dasein eines Torschützenkönigs.“

Wolfram Eilenberger (Tsp 25.11.) porträtiert Henrik Larsson, Glasgower Torschütze vom Dienst: „Larssons Karriere bleibt mit dem Makel behaftet, sich dem Verteidigungsdruck einer europäischen Spitzenliga entzogen zu haben. Vom schwedischen Helsingborg über Rotterdams Feyenoord führte sein Weg in eine Liga, die aus zwei titelorientierten Fußballkonzernen sowie einem Rest ebenso übermotivierter wie chancenloser Spielgemeinschaften besteht. Da tanzt er dann auf roher Narbe, lässt einen übergewichtigen Grobmotoriker nach dem anderen im Regen stehen und wirkt dabei so entspannt wie ein Komiker, dem es nichts mehr ausmacht, seine Fans mit Witzen zu betören, die unter eigenem Niveau liegen. Am besten lässt sich Larssons Klasse anhand all der Körperschäden beschreiben, mit denen Schottlands Abwehrrecken ihn bedachten. Waden-, Schienbein-, Rippen- und Kieferknochen wurden jeweils doppelt gebrochen. Dennoch blieb er ein kompletter Stürmer. Filigran in der Ballbehandlung, einfallsreich im Dribbling, federnd im Antritt und mit überragendem Kopfballtiming, zeichnet Larsson eine Vollstreckungskälte aus, die mit dem Wort Coolness unzureichend beschrieben ist. Noch immer verkörpert sein Fußball ein Gefühl unbesorgter, wegweisender Leichte. Der Vorwurf, Larsson habe sein Talent auf Schottlands Äckern vergeudet, mag treffen. Doch wo andere Supertalente von ihren Fähigkeiten erdrückt werden, entschied er sich für das leichte Dasein eines Torschützenkönigs.“

Ich liebe es, mit Berlusconi über Fussball zu diskutieren

Peter Hartmann (NZZ 25.11.) beschreibt das Verhältnis zwischen Milan-Trainer Carlos Ancelotti und Liebling Andrej Schewtschenko: „Unverzichtbar in der Squadra des Champions-League-Siegers scheint momentan nur einer zu sein:, dessen unaussprechlicher Name im Trikotaufdruck zu „Sheva“ verkürzt wird, ein ultraschneller Konter-Dynamo wie einst Blochin (der nie in den Westen gelassen wurde), ein leichtfüssiger Draufgänger, der den Fallenstellern des Catenaccio davonlief und schon im ersten Jahr als 22-jähriger Calcio-Debütant mit 24 Treffern Torschützenkönig der Serie A wurde. Als er den Kokon der Familie, die ihn nach Mailand begleitete, aufzubrechen begann und im Blitzlicht der Discos auftauchte, liess seine fabelhafte Konzentration nach. Seine letzte Saison war seine schwächste, aber die Fügung – genau: Ancelotti – hatte ihn ausersehen, in der Mainacht von Manchester den zehnten Elfmeter des Lotterieschiessens im Endspiel der Euroliga gegen Juventus Turin zu treten. Mit „chirurgischer Präzision“, befand der Corriere della Sera, zirkelte „Sheva“ den Ball an Juve-Torhüter Buffon vorbei, das wichtigste aller seiner Tore, das auch Ancelotti vom Verlierer (er hatte mit Juventus zwei Meistertitel im letzten Moment verspielt) endgültig zum Sieger beförderte. Die Legende ist wieder aufgeköchelt worden, dass Silvio Berlusconi in der Freizeit, die ihm der Job des Ministerpräsidenten lässt, als heimlicher Über-Trainer in die Aufstellung hineinredet. In der Branche gilt es als ausgemacht, dass der Besitzer als Lobbyist seiner Lieblingsspieler gelegentlich über das Handy Anweisungen zur Trainerbank übermittelt, dass er etwa Serginho als Angreifer forderte oder auf dem Angriff Inzaghi-Schewtschenko bestand, den Ancelotti anfänglich für nicht kompatibel hielt, weil sich die beiden Egoisten im Strafraum übersahen. In seinem neuesten Buch über Berlusconi veröffentlichte der Talkshow-Moderator Bruno Vespa handschriftliche taktische Skizzen zum Endspiel von Manchester aus der Milan-Denkfabrik, die er dem Boss zuordnete. Doch Ancelotti hat augenblicklich das graphologische Copyright für sich reklamiert, und ohne Bedenken, dass ihm der Arbeitgeber in dieser Vaterschaftsfrage widersprechen könnte, mit schmeichlerisch-ironischem Unterton festgehalten: „Ich liebe es, mit Berlusconi über Fussball zu diskutieren, und seine Ratschläge als grosser Fachmann bereiten mit Vergnügen. Aber diese Pläne sind von mir, das beweist schon die Handschrift. Ich habe ihm die Papiere geschenkt, weil ich ihn an meiner Arbeit teilhaben lassen will.“ Vielleicht versuchte der Autor Vespa auch nur Verwirrung im Hause Milan zu stiften. Er selber ist unverbrüchlicher Anhänger von Juventus.“

Bertram Job (FTD 25.11.) ist fasziniert von der jungen Ajax-Mannschaft: “Die Ajax-Youngster Rafael van der Vaart, 20, und Wesley Sneijder, 19, hatten sich in der Stunde der Wahrheit vor heimischer Kulisse als Leistungsträger in der Oranje-Elf präsentiert, wobei diesmal vor allem Sneijder glänzte. Das erste Tor selbst erzielt, drei weitere vorbereitet, fast jeder Zweikampf und jedes Zuspiel erfolgreich“. Vielleicht habe er zu lange an den älteren Spielern festgehalten, grübelte Bondscoach Dick Advocaat nach dem Kantersieg in einem seltenen Anflug von Selbstkritik. Was sich im Oranje-Team allmählich andeutet, hat man bei Ajax hingegen schon vollzogen. Mit der vielleicht besten Talentschule im Rücken herrscht bei Hollands Renommierklub schon seit einiger Zeit wieder der Jugendstil. Nach und nach hat Koeman die größten Talente aus dem Juniorenteam „Young Ajax“ in die Stammelf des Champions-League-Teilnehmers eingebaut. Zuerst den torgefährlichen van der Vaart, der in den letzten beiden Jahren zum begehrtesten Profi des Landes avancierte, dann Sneijder. Der mit beiden Füßen gleich starke Mittelfeldspieler, seit dem siebten Lebensjahr Zögling der Ajax-Schule, wurde in diesem Februar erstmals eingesetzt und landete schon ein paar Monate später im Kreis der Nationalmannschaft. Inzwischen ist er auch der Mann für wichtige Tore (…) Van der Vaart und Sneijder sind nur die derzeit prominentesten, aber längst nicht die einzigen ungeschliffenen Juwelen im Ajax-Team. Da gibt es auch den hoch gehandelten, knapp 19-jährigen Nigel de Jong und den 20-jährigen Johnny Heitinga, nach langer Verletzungspause wieder in die U 23 zurückgekehrt. Auch sie entsprechen dem holländischen Prototyp des ballfertigen, modernen Defensivspielers. Und da sind der vor zwei Jahren verpflichtete, 22-jährige Brasilianer Maxwell, ein weiteres Riesentalent im Abwehrbereich, und der gleichaltrige, aus Südafrika rekrutierte Mittelfeldspieler Steven Pienaar. Sie alle sollen mit den routinierten Spielern bald zu einer großen Elf zusammenfinden, die den alten Ajax-Traum vom ebenso ästhetischen wie unwiderstehlichen „aanvallend voetbal“ (Angriffsfußball) ins wirkliche Leben versetzt. Im Mikroklima der nationalen Liga hat der Jugendstil schon überzeugend funktioniert: Hier steht Ajax nach zwölf Spieltagen mit vier Punkten Vorsprung vor dem PSV Eindhoven an der Spitze der Tabelle. Auf höchstem europäischen Niveau steht die Bewährungsprobe dagegen noch aus.“

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Historische Vergleiche über Stefan Effenberg nach dessen inszeniertem Abgang

„Seit Donnerstag ist Wolfsburg wieder Wolfsburg“, kommentiert der Tagesspiegel die überraschende Kündigung Stefan Effenbergs beim VfL, dem „wohl knalligsten Abschied, den je ein Star auf der Bundesliga-Bühne hingelegt hat“ (SZ). Mit Hinblick auf Effenbergs vermeintliches Übergewicht spöttelt die FAZ: „Ob es nun so war oder nicht – unter dem Strich wird als Grund für die Flucht des alternden Platzhirschs aus der Provinz, der vom neuen Trainer Jürgen Röber verscheucht wurde, folgendes in den Köpfen der Fans bleiben: Effe war zu dick.“ Über die spitze Feder der Journalisten darf er sich nicht wundern, hat der selbstgefällige – nebenbei auch wortgewandte und keineswegs einfältige – Ex-Nationalspieler diese schließlich seine Verachtung über Jahre hinweg spüren lassen.

An dieser Stelle gilt es, “Freunde der Sonne”, inne zu halten: Hat man ihn vielleicht immerzu missverstanden, den vielfachen Millionär und sechsten Wirtschaftsweisen, der einmal Arbeitslosen die Stütze kürzen wollte? Sind Schreiberlinge überhaupt dazu in der Lage, das Schicksal und Innenleben solch großer Menschen, ausgezeichneter Menschen, hochdekorierter Menschen nachzuvollziehen? Hätten wir in Effenberg den jungen Goethe sehen müssen, der seine argwöhnische Kritikerschar als „lästige Schmeißfliegen“ bezeichnete, die dem Gipfelsturm des strebenden Helden mangels Talent und Substanz nicht folgen kann? Oder sollte man, wie Philipp Selldorf (SZ) es einmal tat, im “Ausmaß Effenbergs gedankenloser Arroganz das historische Vorbild Kaiser Nero“ erkennen?

Es geht durchaus auch zwei Nummern kleiner: Effenberg in Wolfsburg, „der letzte Anarchist des Fußballs, da Mario Basler längst selig auf der Reservebank Platz nimmt“ (SZ): Das war von vornherein ein „PR-Gag in Stollenschuhen“, schreibt die Berliner Zeitung angesichts des scheinbar primär auf öffentliche Wirkung ausgerichteten Kauf des boulevardfähigen Effe. Zwar gibt es in Expertenkreisen keinen Zweifel darüber, dass er dem VfL Wolfsburg sportlich nicht die Spur geholfen hat. „Der als Leitwolf verpflichtete Effenberg stand eher für sportliche Stagnation als für den Aufschwung“, urteilt die FAZ. Aber „immerhin hat er dem grauen Klub aus Niedersachsen eine Folge von schlagzeilenträchtigen Knalleffekten beschert.“ Daher ist es kein Wunder, wenn die neben ihrem Star noch zwergenhafter wirkenden Verantwortlichen des Klubs kein Wort der Reue über dessen Verpflichtung erst vor knapper Jahresfrist verlieren. Dazu gibt es keinen Anlass. Schließlich wird der Werbewert Effenbergs für den Verein von eigener Seite auf 20 Millionen Euro geschätzt.

Fleisch gewordene Ich-AG

Thomas Kilchenstein (FR 4.4.) resümiert den Wolfsburg-Aufenthalt Effenbergs. „Dass das etwas anderes als ein besserer Treppenwitz war, das Effenberg’sche Engagement beim VfL Wolfsburg, dem Synonym für Langweile, Unauffälligkeit, Unscheinbarkeit, hatten ernsthaft allenfalls die Verantwortlichen des VW-gestützten Clubs gedacht. Effenberg, der Tiger, und Wolfsburg, die Provinz – das passte nie. Die Fleisch gewordene Ich-AG ist am Ende seiner Karriere für ein paar Monate noch mal dahin gegangen, wo es das meiste Geld zu verdienen gab, Wolfsburg eben. Angekommen ist der Klaus Kinski aus dem Stadion (Bunte) in Niedersachsen nie. Dort, beim kreuzbraven Verein für Leibesübungen, sollte er Leitgolf (SZ) sein, doch er hat, kaum interessiert, allein sein Ding durchgezogen, hat sich um Kritik oder Teamspirit wenig gekümmert, auch weil er genau wusste, dass ein schwacher Trainer Wolfgang Wolf ihm reichlich Privilegien gestattet hat. Wer wollte denn einem Effenberg, dessen Werbewert für den Club auf 20 Millionen Euro taxiert wurde, ernsthaft Paroli bieten? Nein, dem Egomanen war, bis Jürgen Röber kam, keiner gewachsen, sie ließen ihn in Wolfsburg machen und tun, was er wollte, weil sie froh waren, überhaupt einen zu haben, über den die Medien berichteten. Stefan Effenberg hat sich kein bisschen mit dem VfL identifiziert.“

Veraltete Spielweise

Frank Heike (FAZ 4.4.) meint zu diesem Thema. „So bescheiden die sportliche Bilanz auch sein mag, betrachtet man die Verpflichtung vom August 2002 allein unter dem Aspekt des PR-Wertes für den VfL, so waren die acht Monate an der Aller eine gute, ja aufregende Zeit. Effe fuhr mit dem Auto durch die Wolfsburger Fußgängerzone, er verjagte einen Fotografen von seinem Grundstück, in Badelatschen. Seine Freundin zog nach Hamburg, und am Ende soll er auch noch einen Polizisten beleidigt haben. Das war so viel Futter für die Zeitungen, daß sich die seriösen Herren im von VW bestimmten Aufsichtsrat der VfL-Fußball-GmbH schon fragten, ob das nicht ein bißchen zuviel des Guten sei (…) Das alles hätte niemanden gekümmert, wenn sich die Extratouren sportlich ausgezahlt hätten. Taten sie aber nicht. Effenbergs Spielweise mit langen Bällen auf die Spitzen wirkte veraltet, in manchem Zweikampf wurde sein Übergewicht sehr deutlich. Daß sich der Rest des Teams dann auch noch hinter dem privilegierten Star versteckte, sich der eigentlich für die Effenberg-Position gekaufte Karhan in den Schmollwinkel verzog und die Mannschaft am Ende in zwei Lager gespalten war, führte zum Absturz nach der Winterpause, den erst der neue Trainer Jürgen Röber bremsen konnte. Ihm muß klar gewesen sein, daß er in Wolfsburg leichter ohne Effenberg würde arbeiten können.“

Durchwachsene Bilanz seines Wirkens

Jörg Marwedel (SZ 4.4.) vermutet. „Tatsächlich kam Effenberg mit seiner fristlosen Kündigung, die ihn fast 500.000 Euro kostet, womöglich einem noch unangenehmeren Ausklang zuvor. Längst zeichnete sich ab, dass es beim VfL keine Mehrheit für eine Vertragsverlängerung gab. Die Bilanz seines kurzen Wirkens war ja auch durchwachsen. Zwar brachte der Name Effenberg Wolfsburg, wie gewünscht, in die Schlagzeilen – oft jedoch nur als putzige Kulisse für die eigenen Inszenierungen und nicht immer im Sinne der um ein sauberes Image bemühten Herren vom VfL-Gesellschafter VW. Mal drohte er einem Fotografen Prügel an, mal soll er einen Polizisten „Arschloch“ genannt haben, was noch gerichtsanhängig ist. Und statt des vom Werk gestellten Dienstwagens bevorzugte er meist einen italienischen Edelflitzer. Schlimmer noch: Als seine Leistungen nach passabler Vorrunde immer schwächer wurden, spaltete der macht bewusste Stratege das Team – in Effenberg-Anhänger wie Schnoor oder Jung-Nationalspieler Tobias Rau und in Effenberg-Gegner wie Miroslav Karhan oder Dorinel Munteanu. Statt das Ziel Uefa-Cup-Platz anzupeilen, rutschte man mit der schlechtesten Punktausbeute seit Jahren in die Nähe der Abstiegszone. Erst als der Meister im März verletzt ausfiel, gab es wieder Siege.“

Durchschnitt und Mittelmaß

Thomas Kilchenstein (FR 4.4.) urteilt. „Vielleicht ist das die Ohrfeige, die Stefan Effenberg am ehesten trifft: Dass sein Fortgang beim Bundesligisten VfL Wolfsburg sportlich kein großer Verlust ist. 19 Spiele hat der alternde Star nur für die Niedersachsen bestritten und drei Tore geschossen seit seinem spektakulären Wechsel im August des vergangenen Jahres, wobei im Grunde keines irgendwie im Gedächtnis haften geblieben ist. Man kann nicht sagen, dass Effenberg, 34, sonderlich schlecht gespielt hätte, aber auch nicht, dass er besonders auffällig geworden wäre. Er spielte so, wie er, der selbst ernannte Führungsspieler, nie sein wollte: durchschnittlich, mittelmäßig, als einer unter vielen.“

“Wir stellen unsere Mannschaft nicht nach Gewicht auf”

André Görke (Tsp 4.4.) fasst Wolfsburger Reaktionen zusammen. „Bernd Storck, der Wolfsburger Kotrainer, saß neben Röber im Wagen. Was auf ihn am nächsten Morgen zukommen würde, ahnte er noch nicht. Da ließ Effenberg in Bild mitteilen, dass er Storck nicht verstehen könne. Effenberg sei gewogen worden, daraufhin habe Storck gesagt: „Bis zur nächsten Woche hast du zwei Kilo abgenommen.“ Für Stefan Effenberg war das „der Höhepunkt“. Das las Storck am Frühstückstisch. Und er war irritiert. Dem Tagesspiegel sagte er: „Ich habe mit Stefan völlig normal gesprochen. Seine Fitness war ein Thema, und Stefan hat gesagt: Okay, ja, ich muss mehr machen“. Dass Effenberg Übergewicht habe, „das haben wir nie behauptet. Wir haben ihn nie an den Pranger gestellt. Das ist Schwachsinn.“ Storck sagt: „Wir wiegen jeden Spieler. Und das wöchentlich. Wir stellen unsere Mannschaft nicht nach Gewicht auf.“ Da müsse „etwas anderes“ sein, Effenberg habe „vielleicht einen Vorwand gesucht“ (…) Über Cheftrainer Röber hat sich Effenberg ebenfalls Gedanken gemacht. Es habe „unüberbrückbare Differenzen“ mit Röber gegeben, „persönliche Probleme“. Röber versteht nicht, was Effenberg meint. „Es ist nicht ein böses Wort gefallen, es gab keine Diskussion, nichts“, sagt Röber. Am Mittwochnachmittag habe Effenberg noch trainiert, seitdem sei er verschwunden. Effenberg habe Pander seine Entscheidung mitgeteilt, nicht der Mannschaft und auch nicht dem Trainer. Röber meint: „Dieser Abgang ist, ganz ehrlich, nicht nachzuvollziehen.“ Und: Diese Geschichte sei „irgendwie Kinderkram“. Am Nachmittag wurde Effenberg dann konkret: „Ich habe nicht eine Sekunde gespielt, trotzdem gab es immer wieder Statements über meine Person. Ich habe Röber darauf angesprochen, aber es hat sich nichts geändert. Er hat auch jetzt wieder gesagt, ich sei nicht fit. Ich kann das nicht nachvollziehen.“ Dann: „Jürgen Röber sollte lernen, wie man sich gewissen Spielern gegenüber verhält.“ Und schließlich: „Meine Karriere in der Bundesliga ist definitiv beendet.“ Es gebe Angebote, „wenn aber nichts Vernünftiges dabei ist, kann ich mir vorstellen, absolut Schluss zu machen“.

zwei Fundstück aus dem Ballschrank

Effenberg verabschiedet sich aus München und äußert sich über Arbeitslosenstütze

Effenberg foult Balakov, nein: erschießt ihn ab

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Sonstiges

Quatar will Brasilianer einbürgern und sie in der Nationalelf spielen lassen – „Politik ist in Italien die schönste Nebensache der Welt“ (FAZ) – SZ-Interview mit Geburtstagskind Sepp Maier – Traditionsverein SV Wuppertal auf dem Weg zurück nach oben – Benfica Lissabon wird 100 Jahre alt u.v.m.

In Qatar sprudelt Öl, in Brasilien Talente

Quatar will Brasilianer einbürgern und sie im Nationalteam spielen lassen, Michael Horeni (FAZ 27.2.) kommentiert: “Auch wenn es ein wenig schwerfällt, muß man zugeben, daß Qatar besser als alle anderen verstanden hat, wie es im von der petrochemischen Industrie getriebenen Fußball-Busineß derzeit läuft. Sich gleich eine Nationalmannschaft zu kaufen ist ein noch exklusiveres und konsequenteres Geschäftsmodell als jenes des Branchenkollegen Roman Abramowitsch. Der Russe bescheidet sich mit seinen Petrodollars noch mit Vereinen wie dem FC Chelsea und dem AS Rom. Ob das alles läuft wie geschmiert und brasilianische Fußballstars wie die umworbenen Ailton oder Dede tatsächlich dort leibhaftig erscheinen, wird man wohl bald erfahren. Bis zum Montag jedenfalls will sich Ailton entscheiden. Über eine Zusage dürfte man sich nicht wundern. Denn wenn man die arabischen Zahlen liest, dann ist es, als riebe im Scheichtum irgend jemand an der Wunderlampe. Eine Million Euro Handgeld scheint dabei als sofortige Belohnung für die Einbürgerung auf, und 400 000 Euro kommen jedes weitere Jahr dazu. Wo soviel Öl, Milch und Honig fließen, da ahnt Rudi Assauer wohl schon, daß er auch mit seiner dicksten Zigarre keinen Dampf mehr machen kann. Der Manager der Schalker, der selbst Fußball-Shoppingtouren liebt, vermag seine jüngste Erwerbung daher nur schwach vor einem arabischen Abenteuer zu warnen. Ailton aber, der wie Dutzende brasilianische Ausnahmespieler für die eigene Nationalelf nicht gut genug ist, reizt ein Auftritt auf der Weltbühne. Eine Marktlücke: In Qatar sprudelt Öl, in Brasilien Talente. Falls aus diesem Joint-venture tatsächlich etwas wird, dann muß sich nicht nur Assauer, sondern auch Deutschland und der Rest der Fußballwelt sorgen. Die Scheichs müßten die Einbürgerungsbehörde nur an die Copacabana verlegen.“

„Politik ist die schönste Nebensache der Welt“ – zumindest in Italien, meint Dirk Schümer (FAZ 27.2.): „Es gibt Situationen, da kennen Italiener keine politischen Parteien mehr. So geschieht es jede Woche, wenn etwa Juventus Turin oder der AC Mailand auf dem Fußballfeld aufläuft und die Nation in Befürworter und Gegner der jeweiligen Mannschaft spaltet. Der Riß geht quer durch Ehepaare, Sippen, Nachbarschaften und Gemeinden, die sonst wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Und er geht tief. Nach einer ungerechten oder unerwarteten Niederlage des eigenen Vereins sprechen Gekränkte tagelang kein Wort mit ihren unsolidarischen Liebsten oder legen sich schmollend ins Bett. Umgekehrt hat der Fußball in seinem eigentlichen Heimatland – denn als Calcio wurde das Spiel in Florenz einst erfunden – wundersame Heilkräfte, die Wildfremde und Verfeindete fest verbrüdert. So ist der AC Mailand vor allem bei Industriearbeitern populär; die Fanclubs schmücken sich gern mit roten Fahnen und Porträts von Berlinguer. Daß der Eigner des Vereins der verhaßte Ministerpräsident ist, wird keinen Milanista zum Abschwören der schwarzroten Weltanschauung nötigen. Es ist leichter, von Stalin zu Mussolini und retour zu wechseln, als etwa fahnenflüchtig zu werden und die notorisch erfolglosen schwarzblauen Inter-Farben gegen die siegreiche Schwarzweißflagge von Juventus einzutauschen. Man kann den Italienern alles nachsagen, aber keinen Opportunismus, keine Untreue in der Ballbehandlung. Ein Gerhard Schröder, der sich wechselweise als Fan von Hannover, Dortmund oder Cottbus einkleidet, gälte südlich der Alpen als ehrloser Lump. Und weil Italiens Politiker sich als echte Volksvertreter keinen Deut von den Normalbürgern unterscheiden, wurde unlängst im römischen Parlament der überfällige Schritt einer Parteigründung vollzogen: Torhüter Buffon hob endlich einen hauseigenen Juve-Fanclub aus der Taufe und fand gleich hundert Abgeordnete, die sich für die Turiner Nobelmannschaft einschrieben. Solche Stärke würde für eine achtbare Regierungspartei reichen. Präsident ist ein rechtskonservativer Volksvertreter der Exfaschisten, Ehrenpräsident ein in der Wolle gefärbter Kommunist, und im Präsidium finden sich bunt gemischt Berlusconianer, Grüne, Sozialdemokraten. Die neue Fraktion ist allzeit bereit, geschlossen zu Wahlkämpfen – sprich Auswärtsspielen – aufzubrechen, gemeinschaftlich zu bibbern, zu jubeln und es mit Gegenparteien – etwa dem linksdominierten Fanclub von Berlusconis AC Milan – notfalls handgreiflich aufzunehmen.“

Vincenzo Delle Donne (Tsp 28.2.) berichtet Ärger für italienische Klubs: “Seit Jahren schon warnen Kritiker, mit der glamourösen italienischen Fußballwelt könnte es schnell vorbei sein. Jetzt scheinen sie Recht zu bekommen. Der italienische Fußball wird vom schwersten Finanzskandal seiner Geschichte erschüttert – vom so genannten Bilanzdoping der Klubs. Am Donnerstag rückten landesweit Hundertschaften von Finanzpolizisten aus und nahmen Razzien bei allen Erst- und Zweitligaklubs vor. Daneben ordnete die Staatsanwaltschaft auch die Durchsuchung der Zentrale des Fußballverbandes in Rom und des Ligaausschusses in Mailand an. Die Klubs werden verdächtigt, die Bilanzen im großen Stile gefälscht und sowohl Steuern als auch Rentenversicherungsbeiträge hinterzogen zu haben. Auch der Verdacht von schwarzen Kassen und der Geldwäsche steht im Raum. Die Polizei beschlagnahmte tonnenweise verdächtige Dokumente. Ausgelöst wurden die Durchsuchungen durch jüngste Äußerungen von Giuseppe Gazzoni Frascara. Der Präsident des AC Bologna hatte in der Halbzeitpause des Spiels seiner Mannschaft gegen den AS Rom gesagt: „Rom spielt gut. Aber wir zahlen dafür auch jährlich 14 Millionen Euro Steuern an den Staat.“ Die ausstehenden Steuerschulden des AS Rom würden jedoch 50 Millionen Euro betragen, ohne dass der Staat seine Forderungen einziehe, was eine Wettbewerbsverzerrung darstelle. Nach dem Spiel legte Frascara der römischen Justiz ein umfangreiches Dossier vor.“

SZ-Interview mit Sepp Maier, der heute 60 wird

SZ: Wie feiern Sie Ihren 60.?

SM: Ich bin mit guten Freunden in Zürs beim Skifahren. Der Uli Hoeneß hat mir ja ein paar Tage freigegeben.

SZ: Das scheint ja ein strenges Regiment zu sein beim FC Bayern. Stimmt es eigentlich, dass Sie als Kind öfter eine Watschn bekommen haben, wenn Sie nach dem Kicken mit verdreckten Kleidern nach Hause kamen?

Maier: Ja, das war früher gang und gäbe. Da ist selten ein Tag vergangen, an denen man keine gefangen hätte – wir sind manchmal mit geduckter Haltung ins Haus gekommen. Später haben meine Eltern aber alles dafür getan, um mich bei meiner Fußballkarriere zu unterstützen.

SZ: Sie haben als Feldspieler angefangen und waren mal Torschützenkönig in der Jugendmannschaft beim TSV Haar. Warum sind Sie Torwart geworden?

SM: Das hat sich so ergeben. Ich war Kreismeister im Dreikampf, ein erfolgreicher Turner als Kind. Die Zähigkeit und Flinkheit hab’ ich dann gebraucht, als ich als kleiner Pimpf mit den Älteren im Verein mitkicken durfte. Irgendwann hat mich der Trainer ins Tor gestellt. Gegen meinen Willen. Die Dicken und die Faulen, die kommen ins Tor, hieß es.

SZ: Sie waren dick und faul?

SM: Nein, und mir hat es dann doch Spaß gemacht, im Tor zu stehen. Wenn der Boden weich war und man sich richtig in den Dreck schmeißen konnte! Als wir im Pokal gegen die zweite Bayern-Jugend spielten, bin ich dem Jugendleiter aufgefallen – obwohl wir 12 Gegentore kassierten. Ich sollte zum Probetraining kommen, was ich erst gar nicht wollte – da gab es ja schon so viele Talente bei den Bayern. Ein Freund hat mich überredet. Irgendwann hab’ ich mich aufs Mofa geschmissen und bin hingefahren.

SZ: Ist der Job des Torhüters nicht grausam? Ein Missgriff, so wie er jetzt Oliver Kahn beim Real-Spiel unterlaufen ist, und man ist der Depp der Nation.

SM: Das muss jedem Torhüter bewusst sein. Solche Fehler sind nicht mehr gut zu machen. Aber das Härteste ist es, sich immer wieder neu zu motivieren. Oliver Kahn ist jetzt seit sechs Jahren der beste Torhüter der Welt – für den liegt die Messlatte so hoch, das hält ein normaler Mensch nicht aus.

SZ: Sie haben in Ihren besten Jahren die Reporter gerne zum Narren gehalten.

SM: Einmal hab’ ich einem gesteckt, ich würde mit Haftschalen gegen Real Madrid spielen – ich seh’ heute noch die Schlagzeilen. Ein andernmal hab’ ich behauptet, wir würden zum Frühstück immer ein Stamperl Schnaps trinken. „FC Bayern dopt sich gegen Glasgow Rangers mit Whiskey“, haben die geschrieben. Dann habe ich im Bus das Gerücht gestreut, Dean Martin würde uns in der Säbenerstraße besuchen. Was passierte? Zum Bayern-Training erschienen lauter Kamerateams, hungrig auf Dean Martin – was haben wir gelacht.

SZ: Zu Journalisten sollen Sie kein sehr gutes Verhältnis gehabt haben.

SM: Ach was. Gut, zu meiner aktiven Zeit war ich schon mal grantig zu Reportern. Einen hab’ ich geohrfeigt, im Trainingslager, weil er ständig unfair über mich berichtete. Eine saubere Watschn war das, rechts und links, Zackzack. Heinz Engler hieß der Mann, ausgerechnet ein guter Freund von Nationaltrainer Helmut Schön! „Was soll denn das!“, schreit der auf. „Das ist die Quittung für den saublöden Artikel, den du über mich geschrieben hast.“ Danach war der nur noch nett zu mir.

Georg Bucher (NZZ 28.2.) blättert in der Chronik Benfica Lissabons: „Dem sportlichen wie wirtschaftlichen Malaise zum Trotz fasziniert der „Mythos“ Benfica weiterhin die Massen. Rund 45 Prozent aller Lusitaner (14 Millionen einschliesslich Emigranten) sind Sympathisanten des rotweissen Emblems und schwelgen gerne in Erinnerungen an die sechziger Jahre: 1961 in Bern und 1962 in Amsterdam gewann Benfica unter Bela Guttmanns Regie den Meistercup und erreichte noch dreimal in Folge das Endspiel. Die stürmenden Protagonisten dieser Epoche werden heute Samstag an der einem Staatsakt vergleichbaren Feier zum hundertjährigen Bestehen in der ersten Reihe sitzen: Eusebio und Coluna, beide gebürtig aus Moçambique, Jose Augusto, Jose Aguas und der aktuelle Sportdirektor Antonio Simões. Vor dem Hintergrund des Jetzt erscheinen sie als strahlende Helden, Träger jener „Mystik“, die in der heutigen materiellen Überhitzung schmerzhaft vermisst wird. Primus inter Pares und offizieller Botschafter Benficas ist der 62-jährige Eusebio da Silva Ferreira. Gewürdigt werden auch die Vereinsgründer, Schüler des seit Monaten in einen Pädophilie- Skandal verwickelten Waisenhauses Real Casa Pia de Lisboa, die Präsidenten Bogalho, „Vater“ des 1954 eingeweihten Estadio da Luz, und Fernando Martins, der das Fassungsvermögen auf 120000 Plätze erweiterte. In diese Tradition einreihen könnten sich Manuel Vilarinho sowie der amtierende Chairman Luis Felipe Vieira. Nachdem ihr Vorgänger João Vale e Azevedo wegen Veruntreuung zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war, gelang es ihnen, Vertrauen bei Anhängern und Banken zurückzugewinnen. So war es denn auch möglich, das neue Stadion mit 65000 Sitzplätzen zu finanzieren und kurzfristige in langfristige Verbindlichkeiten umzuwandeln. Mit dem Gewinn der Taça Latina, damals der wichtigste europäische Wettbewerb, war Benfica 1950 in den Blickpunkt gerückt. Ted Smith leitete die Equipe in den Endspielen gegen Girondins de Bordeaux, die erst in der Verlängerung entschieden wurden. Mitte der fünfziger Jahre kam mit Otto Gloria die Professionalisierung. Der Brasilianer gründete ein Spielerheim, verpflichtete aus den afrikanischen Kolonien und aus der Lissabonner Banlieue die besten Spieler lusitanischer Sprache und bescherte dem Nationalteam, einer verstärkten Benfica-Equipe, 1966 den dritten WM-Rang. Guttmann erntete die Früchte des Aufbaus, erwies sich auch als genialer Stratege, der es vermied, die Kreativität seiner Angreifer in taktische Fesseln zu zwingen. Unter Jimmy Hagan erlebte Benfica in den siebziger Jahren eine Renaissance; Sven-Göran Eriksson (1981 bis 87 und 1989 bis 92) ist als letzter Trainer von Weltformat in die Annalen eingegangen.“

Daniel Theweleit (FR 28.2.) hofft auf die Rückkehr des SV Wuppertal in den Profifußball: „Es regnet oft in Wuppertal. Metall rostet vor sich hin, die Träger der Schwebebahn ebenso wie die Rohre des Bayer-Chemie-Werks an den Ufern der Wupper. Wer mit der Schwebebahn Richtung Südosten fährt, passiert kurz hinter der Innenstadt ein großes Industriegebiet und gelangt zum Stadion am Zoo. Auch hier mischen sich mühsam konservierter Glanz und von der Witterung angenagtes Material. Eine prunkvoll restaurierte Haupttribüne mit einer Fassade im Kolonialstil verdeckt die vermoosten und aus der Balance geratenen Betonstufen der Stehtribünen, die sich in den Hang am Rande des engen Tals schmiegen. Doch dieser Ort birgt die große Hoffnung auf neuen Glanz. Hier spielt der Wuppertaler SV. Der WSV ist das beherrschende Thema der Stadt, sagt Georg Kreß, der Trainer des Traditionsclubs, der zwischen 1972 und 1975 in der Bundesliga spielte und 1973 sogar den Uefa-Cup erreichte. Nun führen die Wuppertaler als Aufsteiger die Tabelle der Regionalliga Nord an, die heute ihre Winterpause beendet. Die Leute leben immer noch mit den Ansprüchen aus der Erfolgszeit in den 70ern, das hat hier viel verhindert in der Vergangenheit, sagt Kreß, der selbst Teil der merkwürdigen Mixtur dieser Stadt ist. Gerade mal 41 Jahre alt, führte er den WSV gemeinsam mit Manager Thomas Richter, ebenfalls 41, zu lange vermissten Erfolgen. Trotz des mit 1,6 Millionen Euro vergleichsweise bescheidenen Etats hat der Club sieben Punkte Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz und beste Aussichten auf den Sprung in Liga zwei. Der jungen Führung steht dabei ein in die Jahre gekommenes Team zur Verfügung. Zehn Spieler sind über 30. Jugendlich wirkende Verantwortliche und alternde Spieler: Das ist das Erfolgsrezept des Wuppertaler Fußballs – eine Mischung, die indes auch seltsame Blüten treibt. Im kargen Büro, das sich Trainer und Manager teilen, befinden sich zwei Tische, drei Stühle, zwei Aschenbecher und zwei Telefone. Es wird viel geraucht, Kaffee getrunken, und es werden alberne Witze gerissen. Wäre da nicht der ältere Herr im Vorzimmer, der die Stellung in der Geschäftsstelle hält, könnte man sich glatt in der Schaltzentrale einer Studentenvertretung wähnen.“

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Europas Fußball vom Wochenende in Zahlen NZZ

Besonders süße Revanche für das Vorjahr

Christian Eichler (FAZ 6.5.) gratuliert Manchester United zum Titel. „Mit dem gewaltigen Endspurt von vierzehn Siegen und drei Unentschieden in siebzehn Spielen fing es die Rivalen von Arsenal, einst mit zehn Punkten Vorsprung Tabellenführer, noch ab. Diese späte Wende war für Ferguson eine besonders süße Revanche für das Vorjahr, als sein ungeliebt kultivierter Rivale Arsène Wenger den Titel ausgerechnet mit einem Sieg in Manchester gewonnen hatte. Bis Anfang April dominierte Arsenal auch in dieser Saison die Premier League, doch dann brachte das überraschende Ausscheiden in der Zwischenrunde der Champions League einen Rückschlag, von dem sich das Team bisher nicht vollständig erholt hat. Nun bleibt dem taumelnden FC Arsenal nur noch die Hoffnung auf die Wiederholung des Pokalgewinns am 17. Mai gegen den FC Southampton. Manchester dagegen gehen gerade nun, da man so richtig ins Rollen gekommen ist, die Aufgaben aus. Die Mannschaft, am Anfang der Saison durch Operationen von sieben Spielern geschwächt, nun aber kerngesund, strotzt vor Kraft und Spiellaune. Doch nach dem Schaulaufen am letzten Spieltag in Everton nächsten Sonntag muß der Meister seine Topform mit in den Urlaub nehmen. Denn nach dem künstlerisch wertvollen Ausscheiden gegen Real Madrid findet das Saisonfinale im Old Trafford, das Endspiel der Champions League, ohne die Hausherren statt.“

Überheblichkeit

Martin Pütter (NZZ 6.5.) erklärt die Erfolgsursachen Manchesters. „Die Entscheidung in der Premier League fiel auf bezeichnende Weise. Ohne selber gespielt zu haben, gewann Manchester United am Sonntag die englische Meisterschaft, weil Arsenal mit der 2:3-Heimniederlage gegen Leeds United die letzte, allerdings nur noch geringe Chance vergab. Doch „Arsenal verpackte den Titel für die United“, schrieb die Times gestern unter der Überschrift „Das Geschenk“. Dazu war die Trophäe abgebildet, verpackt in einem Karton, auf dem stand: „An Alex von Arsène. Zurück an den Absender.“ Das Blatt steht mit dieser Meinung nicht alleine da. Der achte Triumph in der Premier League von ManU innerhalb von elf Jahren war mehr auf den Leistungseinbruch der „Gunners“ während der vergangenen zwei Monate als auf die Qualität der unbestreitbar konstanten „Red Devils“ auf nationaler Ebene zurückzuführen. Noch Anfang März hatten die Londoner, mit einem Spiel gegenüber dem Rivalen von Old Trafford im Rückstand, acht Punkte vor diesem gelegen. Aus den letzten sieben Partien gewann das Team Wengers allerdings nur noch 9 Punkte – ManU brachte es im gleichen Zeitraum auf deren 19. Der einzige Punktverlust resultierte dabei im Direktkampf (2:2), doch die Mannschaft von Sir Alex Ferguson hätte auf Grund ihrer Überlegenheit auch diesen Match deutlich gewinnen müssen. Im spielerischen und kämpferischen Bereich sind die Unterschiede zwischen dem Duo Mannschaften, das seit 1994 (Blackburn Rovers) die Meisterschaft unter sich ausgemacht hat, vernachlässigbar gering. Die Differenz lag demnach mehr im mentalen Bereich. Das erkannten auch beide Manager, allerdings auf unterschiedliche Weise. Für Arsène Wenger war das Ausscheiden aus der Champions League verantwortlich für das frappierende Nachlassen. „Das hatte im Kopf der Spieler etwas getötet, und davon haben sie sich nicht erholt“, sagte der Elsässer letzten Freitag. Laut Ferguson lagen die Erfolgsursachen in „unserer Hartnäckigkeit und Entschlossenheit auf der Basis grosser individueller Fähigkeiten. Wir gaben nie auf, und das brachte uns den Erfolg.“ Der grösste Teil der Motivation kam allerdings aus einer Trotzreaktion heraus. Als Arsenal mit begeisterndem Offensivfussball das erste Saisondrittel dominierte und der französische Coach sich zur Überheblichkeit hinreissen liess, erzürnte dies United und ihre Verantwortlichen, die von den Medien zu früh abgeschrieben wurden.“

Der zerknirschte Fußballprofessor aus dem Elsass

Raphael Honigstein (taz 6.5.) fasst die Reaktionen der beiden Trainerrivalen zusammen. „Wenger, der mit seinem Team die Tabelle noch Anfang März mit derselben Differenz angeführt hatte, gab bitter enttäuscht zu bedenken, dass er in den letzten Wochen auf eine ganze Reihe von Stammspielern verzichten musste und hatte ansonsten wie immer seine Probleme mit dem Verlieren: Wir haben den Titel verloren. Ich denke aber, dass wir das beste Team der Liga sind. In der Tat hatten die Londoner lange Zeit Angriffs-Fußball von atemberaubender Qualität gezeigt – bis ihnen nach dem Champions-League-Aus auch in der Liga die Luft ausging. Das sensible Künstlerensemble lebte von dem Glauben an die eigene Brillanz, als sich Zweifel einschlichen, fehlte Plan B. Anders als United konnte der Vorjahres-Meister Siege nicht durch Kampf und Willen gewinnen. Ob United es verdient hat? Der zerknirschte Fußballprofessor aus dem Elsass ist sich nicht sicher. Sie waren bestimmt nicht überragend, aber konstant. Und sie haben rechtzeitig zu ihrer Form gefunden. United spielte bis zum Frühjahr eine äußerst mittelmäßige Saison, doch im entscheidenden Moment bewies das Team seine Siegermentalität: 15 der vergangenen 17 Spiele entschieden die Red Devils für sich. Ferguson konnte so hochzufrieden die heroische Aufholjagd und den fantastischen Mannschaftsgeist seiner Spieler loben und leicht boshaft die triumphalistischen Aussagen der Arsenal-Führung in Erinnerungen rufen: Wir dagegen sind ruhig geblieben und haben unsere Arbeit gemacht.“

Wie Schauspieler in einer populären Serie

Georg Bucher (NZZ 6.5.) meldet aus Madrid. „Seltsame Szenen spielten sich am Freitag in der spanischen Kapitale ab. Ein Paar, das David Beckham und seiner Frau Victoria täuschend ähnlich sieht, kickte auf der Strasse vor dem Bernabeu-Stadion und wurde von Autogrammjägern umlagert. Eingefädelt hatte das Verwirrspiel mit Doppelgängern eine englische Zeitung in der Absicht, Beckhams möglichen Wechsel nach Madrid auszuschlachten. Dankbar für die Kurzweil, fühlten sich Passanten wie Schauspieler in einer populären Serie. Dass der Präsident Florentino Pérez pro Jahr einen Weltstar verpflichtet hat, erst Figo, dann Zidane und zuletzt Ronaldo, gab den Gerüchten um den „Spiceboy“ noch Auftrieb. Spanische Blätter sehen eher den wirtschaftlichen als einen sportlichen Hintergrund. So schrieb Don Balón, Beckham sei der ideale Werbeträger für jedes Unternehmen mit globalen Ambitionen, in Asien bekannter als Michael Jackson und Tiger Woods. Im August fliegen die Madrilenen nach China, Japan und Malaysia, wo sie für vier Spiele acht Millionen Euro erhalten. Wichtiger ist die Imagekampagne – mit britischem „Botschafter“? Zehn Millionen Euro werfen die drei Fanartikel-Shops in Madrid jährlich ab, ein landesweites Netz befindet sich im Aufbau, und auch in Südamerika zieht die Marke. Real profitiert dort von der kolonialen Vergangenheit wie ManU in Asien. Weil der asiatische Markt aber höhere Einnahmen verspricht, will man hier den Hebel ansetzen.“

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