indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Bundesliga

Gefühl der Hoffnungslosigkeit hat Konjunktur

Die Lage der Liga “Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit hat Konjunktur”

Hamburger SV – Bayer Leverkusen (4:1) Mitleid mit hoffnungslosem Hörster

Hertha Berlin – Bayern München (3:6) Münchner Angriffsfußball

Borussia Dortmund – 1. FC Nürnberg (4:1) Kein Mut der Verzweiflung in Nürnberg

VfB Stuttgart – Werder Bremen (0:1) Teams der verpassten Chancen

Vfl Wolfsburg – 1. FC Kaiserslautern (2:2)

1860 München – Energie Cottbus (3:0) Nun muss man mit Geyer fürchten, dass Cottbus ganz von der Fußball-Landkarte verschwindet

Borussia Mönchengladbach – Hansa Rostock (3:1) Mika, wir schenken dir ein Zuhause

Europas Fußball vom Wochenende: Resultate – Torschützen – Tabellen – Zuschauerzahlen NZZ

Gewinnspiel für Experten

Bundesliga

Akribisches Marketing in Wolfsburg

Tsp-Interview mit Huub Stevens über seine Arbeit bei Hertha BSC Berlin – das akribische Marketing des VfL Wolfsburg (SZ) – Juri Schlünz, einer von Hansa (SZ) u.v.m.

Ich habe mir von Nico Kovac mehr erwartet

Tsp-Interview mit Huub Stevens über seine Arbeit bei Hertha BSC Berlin

Tsp: Ist Ihnen der Verein egal?

HS: Das meinen Sie nicht ernst, oder? Ich gehe mit Manager Dieter Hoeneß essen, telefoniere mit Spielern und meinem Nachfolger Hans Meyer. Mir ist der Verein nicht egal; ich glaube daran, dass Hertha nicht absteigt. Ich trage eine Mitschuld, ich war verantwortlich. Aber ich bin nicht alleine schuld.

Tsp: Wer denn noch?

HS: Ich habe nie einen Spieler öffentlich kritisiert, ich tue das auch heute nicht. Es war eine Verkettung von Missverständnissen und unglücklichen Dingen. Im ersten Spiel bricht sich Marcelinho den Fuß, wir verlieren 0:3 gegen Bremen, kurz danach reißt bei Thorben Marx das Kreuzband. Und dann gab es Spieler, die ihre Aufgabe nicht erfüllt haben.

Tsp: Niko Kovac?

HS: Wir haben ihm gesagt: Niko, du spielst hinter Marcelinho und hältst der Zentrale den Rücken frei. Aber er hat sich in die Offensive eingeschaltet, und das ist nicht seine Stärke. Ich habe mir von ihm mehr erwartet.

Tsp: Wie beurteilen Sie im Nachhinein das Ultimatum von der Vereinsführung an Sie? Sie mussten zwei Spiele hintereinander gewinnen, sonst wären Sie entlassen worden.HS: Ich war nicht gegen die Vereinbarung, aber ich war dagegen, sie öffentlich zu machen. Hoeneß wollte das. Wir wollten die Spieler in die Verantwortung ziehen. Ich hatte mich lange genug vor sie gestellt. Das Team hat abgestimmt und mich in einem offenen Brief unterstützt. Sie stünden 100 Prozent hinter mir, hieß es. Heute habe ich meine Zweifel.

Tsp: Warum?

HS: Als ich entlassen war, kam Andreas Thom als Trainer. Und am nächsten Tag muss ich von einem älteren Spieler mit internationaler Erfahrung lesen: „Er ist einer von uns.“ War ich das nicht? Dieser Satz hat vieles verraten.

Tsp: Sie meinen einen Spieler aus dem Spielerrat.

HS: Ich werde seinen Namen nicht sagen.

Tsp: Sie stellen sich immer noch vor die Spieler.

HS: Sie haben genug zu tun in ihrer Situation. Da muss ich nicht für Unruhe sorgen.

Tsp: Ihr Bild in der Öffentlichkeit ist nicht das beste. Sie wirken aggressiv und abweisend. HS: Wer mit mir täglich zusammenarbeitet, hat ein anderes Bild. Ich bin ehrlich geblieben. Dazu gehört, dass ich eine Meinung habe und diese sage.

Tsp: Das macht Hans Meyer auf humorvolle Art.

HS: Ich kann das nicht jeden Tag. Ich bin kein Schauspieler wie andere in der Branche.

Tsp:Bayern-Coach Hitzfeld tritt smarter auf.

HS: Ich verstelle mich nicht. Und falls Sie meine Trainingsanzüge meinen: Ich bin Trainer. An einem Spieltag geht es nicht um den Coach und seine Kleidung, sondern allein um die Mannschaft. Aber das zählte in Berlin nicht.

Tsp: Sind Sie beleidigt?

HS: Es wurde eine Linie gegen mich gefahren, gegen die ich keine Chance hatte. Verstärkt wurde das durch die „Stevens raus!“-Rufe. In der ersten Saison, nach vier Wochen. Weil ich von Schalke kam. Die Fans mögen sich nicht, der Manager und ich hatten diese Emotionen unterschätzt.

FAZ-Interview mit Gerd Niebaum

FAZ: An diesem Freitag veröffentlicht die börsennotierte Borussia Dortmund KGaA ihre Halbjahresbilanz, die Vorveröffentlichungen zufolge Verluste von mindestens 25 Millionen Euro ausweisen soll.

GN: Die genauen Zahlen kann und darf ich noch nicht nennen, nur so viel: Man wird zwischen dem operativen Verlust und den Abschreibungen unterscheiden müssen. Der operative Verlust ist maßgeblich durch das Nichterreichen der Champions League und das Verfehlen anderer sportlicher Ziele im UEFA-Cup wie im DFB-Pokal bedingt. Wir haben dort überall mit Zitronen gehandelt, so daß für Borussia Dortmund der worst case, ein Super-GAU, eintrat. Dem können wir immerhin noch ein Eigenkapital von rund hundert Millionen Euro entgegenhalten. Das Bilanzbild von Borussia Dortmund kann einen solchen Verlust vertragen, auch wenn das bei unseren schärfsten Kritikern untergeht. Vielleicht hätten wir zum 31. Dezember schon einen Transfer machen können. Das haben wir deshalb nicht gemacht, weil wir einen Gestaltungsspielraum bis zum 30. Juni brauchen. Danach werden wir in erheblichem Maße konsolidieren.

FAZ: Was war Ihr größter Fehler als Präsident des Vereins und Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft auf Aktien?

GN: Nachdem wir im letzten Spiel der vergangenen Saison die direkte Qualifikation für die Champions League verpaßt hatten, hätten wir die Konsolidierung aus rein wirtschaftlichen Gründen vielleicht schon in Angriff nehmen müssen. Dann hätten wir erhebliche Transfererlöse erzielt und sportliche Substanz abgegeben. Das nicht getan zu haben, kann man mir natürlich vorwerfen. Hätten wir das gemacht, wäre es sicher sehr unpopulär gewesen – so kurz vor den Champions-League-Qualifikationsspielen gegen Brügge. Es war eine Fehleinschätzung, zu glauben, daß wir uns für die Champions League qualifizieren.

„Borussia Dortmund veröffentlich heute seine Halbjahresbilanz“ Tsp

Aktion Dr. Fridolin-Kinderklinik-Keks

Jörg Marwedel (SZ 27.2.) erforscht das Marketing des VfL Wolfsburg: „Bei einem herkömmlichen Klub würde Kurt Rippholz Pressesprecher heißen, in Wolfsburg ist er „Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ und steht einem mehrköpfigen „Serviceteam“ vor. Früher leitete Rippholz die Konzernkommunikation von VW, und ähnlich interpretiert er seinen neuen Job – als Lobbyist, der mit klaren Absichten den Kontakt zu den Medien sucht. Nicht einmal der Bayer-Ableger aus Leverkusen arbeitet so konsequent wie die 90-prozentige VW-Tochter VfL an seinem Image als Fußballmarke. Und mehr noch als in Leverkusen wird fehlende Tradition durch einen nahezu perfekten Kundenservice ersetzt. In der schmucken Volkswagen Arena, realisiert von der durch Stadt und Werk getragenen „Wolfsburg-AG“, gibt es kaum eine Klientel, die nicht speziell bedacht würde – von Nichtrauchern über Blinde bis zu den Kindern im „Badeland-Familienblock“. Klaus Fuchs sagt: „Wir haben Mühe, die Vitrinen mit unserer Fußball-Vergangenheit zu füllen, aber viele Ideen, dieses Handicap auszugleichen.“ Fuchs, früher Geschäftsführer beim 1. FC Kaiserslautern und beim Karlsruher SC, ist eine Art Baumeister dieser Arena. Auch soziale Aktivitäten [of: Gequassel! „Aktivität“ ist ein Abstraktum, von dem man kein Plural bilden kann – wie „Glück“ oder „Wut“. „Das Singular Aktivität ist bereits die Summe aller Aktionen“, sagt Wolf Schneider, Stil-Lehrer; Aktivitäten seien überdies ein „falsch übersetzter Anglizismus: activities.“] bis zur Förderung von Terre des Hommes oder der Hospizbewegung sind dem Diplomkaufmann ein Anliegen. Um die „hohe soziale Kompetenz des Vereins“ nachzuweisen, hat man sogar das Berufsbild des Fußballprofis Roy Präger, 32, radikal verändert. Der kontaktfreudige Stürmer, für die Bundesliga nicht mehr gut genug, wird nun als Sympathieträger auf Tingeltour geschickt. Mal taucht er bei einem Jugendtraining in der Umgebung auf, mal in einer Bücherei, mal bei der „Aktion Dr. Fridolin-Kinderklinik-Keks“ in einer Bäckerei. Die Erfolge solcher Offensiven, zu denen noch eine große Plakatkampagne zählt, sind messbar und scheinbar unabhängig von den sportlichen Rückschlägen. In einer Umfrage, die der VfL bei einem Marktforschungsinstitut in Auftrag gab, werden dem Klub nun Attribute wie „aufstrebend“ oder „volksnah“ zugeschrieben. Der Zuschauerschnitt stieg innerhalb eines Jahres um fast 25 Prozent auf über 21 000 Fans.“

Ronny Blaschke (SZ 27.2.) porträtiert Juri Schlünz, Trainer Hansa Rostocks: „Juri Schlünz lässt wenig Raum für Interpretationen. Wahrscheinlich ist es das, was die Fans des FC Hansa Rostock so an ihm schätzen. Sein Gestus ist schwer zu entschlüsseln, ob Freude oder Frust, die Gesichtszüge des Rostocker Fußballlehrers künden selten von großen Gefühlen. So haben sie es gern an der Küste. Wenn da jemand ist, der sich nicht der Konjunktur unterwirft. Der sich die Huldigungen der Spontanjubler verbietet, in Zeiten des Erfolgs. Und den notorischen Nörglern mit Gelassenheit begegnet, wenn der Erfolg einmal ausbleibt. Juri Schlünz, seit fünf Monaten Cheftrainer in Rostock, ist eine Art Emotions-Regler im biederen Mecklenburg. Die Menschen vertrauen ihm, mehr als sie jemals einem Trainer vertraut haben. „Juri ist einer von uns“, sagt Professor Horst Klinkmann, der Aufsichtsratschef des Vereins, „wir brauchen hier keine Hollywood-Komiker.“ Besser hätte man die Gegebenheiten nicht umschreiben können. Schlünz, der seinen Vornamen dem Kosmonauten Jurij Gagarin verdankt, personifiziert die Unscheinbarkeit des FC Hansa wie kein Zweiter. Er pflegt eine liebevolle Beziehung zum Klub. 36 Jahre ist es nun her, als ihn sein Vater bei einem Spaziergang in der Kindermannschaft der Rostocker angemeldet hat. Er reifte rasch zum König der Jongleure heran, schon als Zehnjähriger konnte er den Ball 800 Mal hochhalten, raffiniert waren seine Pässe, gefürchtet seine Freistöße. Fast 400 Pflichtspiele bestritt er für die erste Mannschaft, als Kapitän führte er sie 1991 zur einzigen DDR-Meisterschaft. Die Beförderung auf den wichtigsten Posten im Verein war die logische Konsequenz, man könnte fast sagen, sie war vorhersehbar in der Laufbahn des Juri Schlünz. Vermutlich würden die Fans ihn sogar zum Ministerpräsidenten erheben. „Juri for President“, hatte einmal jemand geschrieben im vereinseigenen Internetforum.“

Was bringt es jetzt, die Spieler in Feldbetten schlafen zu lassen?

FTD-Interview mit Falko Götz

FTD: Herr Götz, nur ein Sieg aus den vergangenen zehn Spielen für die Löwen. Im ganzen Land munkelt man: 1860 München steigt ab. Wie wollen Sie das verhindern?

FG: Mit viel Arbeit – und: Wir müssen den Spielern jetzt die Ohren durchpusten. Sie haben ein Problem im Kopf, ein Psychoproblem. Wolfsburg, dieses klägliche 1:3, war der Tiefpunkt. Seither haben wir an der Analyse gearbeitet, mit den Spielern gesprochen, sie gefragt: Was haben wir in unseren erfolgreichen Spielen anders gemacht?

FTD: Und, Ihr Ergebnis?

FG: Das sieht so aus wie bei unserem 3:1-Sieg gegen Bochum nach einem 0:1-Rückstand. Und die Bochumer sind ja keine Thekenmannschaft. Wir brauchen einfach wieder ein Erfolgserlebnis. In Köln wollen wir damit beginnen. Und ich verspreche: Wir steigen nicht ab!

FTD: Die Öffentlichkeit sieht Sie als smarten Mann. Müssten Sie nicht härter auftreten?

FG: Intern wird knallhart gesprochen. Aber es hilft nicht, in puren Aktionismus zu verfallen. Was bringt es jetzt, die Spieler kaputt zu trainieren oder in Feldbetten schlafen zu lassen? Zum Schluss holt sich einer noch ein schlimmes Kreuz.

Deutsche Elf

Völler bleibt bis zur WM 2006

Völlers Entschluss, bis 2006 Teamchef der Nationalmannschaft zu bleiben, macht alle im Land glücklich.

Rudi Völler bleibt bis 2006. Die Nachricht aus Frankfurt hat in ganz Deutschland für Erleichterung und Klarheit gesorgt. Ludger Schulze (SZ 8.12.) sieht in Völler „die Idealbesetzung für einen Posten, der beinahe so viel öffentliche Aufmerksamkeit genießt wie das Kanzler-Amt“. Völler brauche selbst majestätischen Vergleich nicht zu scheuen. „Seit Franz Beckenbauer sich auf die Trainerbank niederließ, hatte kein Vorturner mehr fachliche Kompetenz und uneingeschränkte Sympathie gleichermaßen einzubringen“ (Schulze). Detlef Esslinger (SZ 8.12.) kommentiert Völlers Entscheidung als „friedenserhaltenden Entschluss. […] Die wichtigste Personalangelegenheit, sozusagen die K-Frage im deutschen Fußball, ist also geklärt“ (Esslinger). Auch Alexander Steudel (Welt 8.12.) sieht in Völler die richtige Wahl. „Wie soll ein Schlitzohr wie Völler jemals scheitern? […] Auch ohne Trainerschein ist Völler im Moment der richtige Mann für diesen Posten […] schließlich hatte er als Spieler auch keinen Spielerschein und wurde Weltmeister.“ Cai Philippsen (FAZ 8.12.) feiert Völler als würdigen Nachfolger Beckenbauers. „Mit Rudi Völler kehrt die Melange positiver Beckenbauer-Eigenschaften im Sommer 2000 zurück” (Philippsen). Doch er hat auch die Gefahren des langfristig dotierten Vertrags im Auge. „Sollte das DFB-Team nach der Vorrunde der WM heimkehren, wird es für Völler und DFB-Präsident Mayer-Vorfelder keinen Champagner mehr geben” (Philippsen).

Nebenbei verweist Esslinger auf den „Zufall der Terminplanung“. Im Anschluss an die Pressekonferenz nämlich wurde die Bewerbung der Stadt Leverkusen als WM-Spielort für 2006 eingereicht. „Leverkusen mit seinem kleinen Stadion, 22.000 Zuschauer, gilt eigentlich als wenig aussichtsreicher Kandidat. Eigentlich.“ (Esslinger). Nunmehr jedoch werde man Völlers eigentlichen Arbeitgeber bei dieser wichtigen Frage nicht mehr unberücksichtigt lassen können. Die Entscheidung, ihn für das wichtigste Traineramt in Deutschland freizustellen, dürfte somit leichter gefallen sein.

Beim kicker (10.12.) war „die Freude über die Einigung” zwar groß, aber nicht groß genug, um auf der Titelseite Beachtung zu finden. Statt dessen versteckte man die Meldung zwischen zwei Bundesliga-Spielberichten. Herausgeber Karl-Heinz Heimann ist die spitzfindige Beobachtung zu verdanken, dass Völlers Vertrag „der erste befristete Vertrag ist, den ein Verantwortlicher für die Nationalmannschaft mit dem Verband abschloss” (Heimann). Zudem prangten „Vorwürfe gegen den DFB“ in großen Lettern über dem Foto, das Teamchef Völler mit Mayer-Vorfelder zeigt. „Rudi Völler ist als Teamchef der Nationalmannschaft von der Übergangs- zur Dauerlösung geworden”. Die „Attacken aus München, Dortmund und Leverkusen” (kicker), die allesamt noch „Rechnungen“ mit dem DFB zu begleichen hätten, war den Redakteuren des Fachmagazins wichtiger als das primäre Ereignis selbst. Die Vereine fühlten sich bei der Entscheidung durch den DFB wohl übergangen. Insgesamt hat man sich in der Redaktionsstube von Deutschlands Marktführer offenbar nicht zu einem Urteil über die Personalie Völler durchringen können.

Abgerundet wird das Meinungsbild in der Presse durch Franz Beckenbauer (Bild 8.12.). Dieser hält die zum großen Teil ironischen Vergleiche mit seiner „Regentschaft“ als Ball, den man zurückspielen sollte. „Jetzt werden es wie bei mir auch 6 Jahre“ weissagt Beckenbauer. Einen Hintergedanken, er wolle die Bundestrainer-Diskussion um Hitzfeld verhindern, weist er in überzeugter Manier von sich: „Schmarrn, Ottmar Hitzfeld hätten wir vor 2004 ohnehin nicht freigegeben“. Eine Aussage, die seiner Meinung nach keineswegs eigene Ansprüche karikiere, wonach die Bayern die „Retter des deutschen Fußballs“ (Manager Uli Hoeneß) seien. Als Fazit übersetzt Beckenbauer seiner Fangemeinde: „Rudi und Nationalelf, das passt wie Hitzfeld und Bayern“. Dank Rückendeckung von Boulevardpresse und Aristokratie steht einer großen Zukunft der deutschen Nationalmannschaft folglich nichts mehr im Wege.

siehe dazu auch die Vertragsverlängerung mit Michael Skibbe

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Champions League

Phantastischste Fußball-Nacht, die im Gottlieb-Daimler-Stadion jemals gefeiert worden ist

Champions League

Was soll an den prickelnden Erfahrungen jugendgefährdend sein?

Michael Horeni (FAZ 4.10.) ist begeistert: “Rudi Völler mußte etwas Nachhilfeunterricht erteilen, als er mit seinem Gast in Stuttgart zusammentraf. Sven-Göran Eriksson, der Trainer der englischen Nationalmannschaft, wollte zusammen mit dem deutschen Teamchef den international noch ziemlich unbekannten Bundesliga-Tabellenführer gegen Manchester United begutachten. Er konnte mit Stuttgart nicht viel anfangen, sagte Völler, der daher vor Spielbeginn unter Kollegen gerne ein wenig theoretische Vorarbeit leistete. Aber schon nach 45 Praxisminuten habe er Eriksson nichts mehr über den VfB erklären müssen – und erst recht nicht, als der großartige 2:1-Sieg gegen den englischen Meister an einem wunderbaren Stuttgarter Fußballabend feststand. Es war beeindruckend – für ihn und für mich, sagte Völler über die imponierende deutsche Fußballwerbung, die der VfB Stuttgart in der Champions League gegen den europäischen Altmeister vor einer berauschten Kulisse betrieb (…) Was soll an den prickelnden Erfahrungen, die sie gegen Sir Alex Fergusons Weltauswahl gesammelt haben, schon jugendgefährdend sein? Vor allem dann, wenn die angeblich jungen Wilden in der großen Fußballwelt wie abgezockte Türsteher auftreten, die mit allen Tricks und Finten des Lebens bestens vertraut sind. Schon in der ersten Halbzeit wirkte der VfB mit seiner stabilen Abwehr und seiner taktischen Ausgereiftheit nie wie ein Neuling der Meisterklasse, sondern wie ein langjähriges Mitglied im Klub der Besten. Und als dann nach der Pause die beiden herrlichen Treffer durch Imre Szabics und Kevin Kuranyi hinzukamen, war dies eine perfekte Mischung aus Solidität und Explosivität. Selbst durch einen unberechtigten Elfmeter ließen sich die Schwaben dann nicht mehr beirren. Auch wenn Manchester weiter den Druck erhöhte und die Abwehr entblößte – in Gefahr gerieten danach eigentlich nur die Champions von gestern. Die letzte und schwierigste Reifeprüfung des Abends hatte die schwäbische Jugendauswahl zu bestehen, als Meira in der 80. Minute einen Elfmeter vergab. Aber trotz dieses Rückschlags ließ sich der VfB in der letzten Viertelstunde kaum mehr bedrängen. Meisterhaft verstanden es die Stuttgarter, den Favoriten auf Distanz zu halten.“

In die Herzen ihrer Landsleute gespielt

Martin Hägele (FR 4.10.) auch: „Am Tag der Deutschen Einheit ist zwischen Boden- und Ostsee keine Tageszeitung erschienen – die Fußball-Gang aus dem Schwabenland hätte sonst nämlich baden können im Applaus aller bundesdeutschen Blätter. Der ölige Dampf, der zu diesem Anlass dabei aus der Wanne steigt, vermag auch Köpfe zu betören, die psychisch gefestigter sind als die Jung-Combo vom Roten Haus. Die Kuranyi, Hinkel und Co. müssen nun damit fertig werden, dass sie sich über Nacht als regionale Musterschüler bundesweit in die Herzen ihrer Landsleute gespielt haben. 9,67 Millionen Fernsehzuschauer sorgten bei Sat 1 für die höchste Reichweite des Fußball-Senders in diesem Jahr. Teamchef Rudi Völler hat als Augenzeuge der überzeugenden Darbietung gegen ManU die Grenzen des Bundesliga-Tabellenführers ganz schön hoch gesetzt. Der VfB habe sich zu einer deutschen Spitzenmannschaft entwickelt, erklärte Rudi Nationale schon vorm Schlusspfiff der erregenden Partie, die haben eine gute Chance, ins Achtelfinale der Champions League zu kommen. Die Wertschätzung von Deutschlands höchster Ball-Instanz teilte auch Sir Alex Ferguson, Manager von Manchester United. Für Ferguson sind die Stuttgarter nun die ernsthaftesten Rivalen um den Gruppensieg. Aber ist die Region mittlerer Neckar nun auch in Deutschland schon Top-Standort?“

SpOn-Interviewmit Felix Magath

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Am Grünen Tisch

Schiedsrichterdiskussion

Zur Schiedsrichterdiskussion schreibt Jan Christian Müller (FR 24.6.). „Am liebsten wären die Koreaner derzeit einfach nur stolz auf ihre Fußball-Nationalmannschaft. Das können sie aber nicht ungetrübt, weil es eine ganze Reihe Menschen aus Europa gibt, die ihnen Machenschaften mit der Fifa und deren Schiedsrichtern unterstellen. Oder die behaupten, der Druck, der durch den Ohren betäubenden Lärm der roten Menge in den Stadien auf die Unparteiischen und deren Assistenten wirkt, beeinflusse deren Entscheidungen zugunsten des Co-Gastgebers. Bei vielen Koreanern mischt sich in den Stolz und die Freude über das Unerwartete daher ein schlechtes Gewissen. Was ausgesprochen schade ist. Denn dieses gastfreundliche, gegenüber Ausländern (und also auch Schiedsrichtern) höchst rücksichtsvolle Volk trägt selbstverständlich nicht die Verantwortung für Entscheidungen, die – viel mehr noch als den auf peinlichste Art und Weise überreagierenden Italienern – den Spaniern das Weiterkommen verwehrt haben. Solange es für die Konspirationstheorie nicht den Ansatz eines Beweises gibt, verbietet sie sich die These. Die Unterstellung, die Unparteiischen würden ihre Unparteilichkeit aufgrund der Atmosphäre in den Stadien verlieren, ist noch grotesker. Kaum ein koreanischer Fan würde es überhaupt merken, wenn ein gegnerischer Spieler ein Tor weit aus dem Abseits heraus erzielt hätte. Dazu fehlt es den meisten Koreanern schlicht an Fachwissen.“

„Wenn bei der K.-o.-Runde der Weltmeisterschaften mehr als über Spiele und Spieler über die Unparteiischen geredet wird, steht die Glaubwürdigkeit einer großen Sportveranstaltung auf dem Spiel“, konstatiert Roland Zorn (FAZ 24.6.). „Zufall? Pfeift da wer auf Wunsch? Das fragen sich inzwischen manche Fußballfreunde, ohne sogleich ein Komplott zu unterstellen. Auch wer die bösesten und schlimmsten Gedanken im Blick auf die Schiedsrichter unterdrückt, kommt zu dem Schluss, dass bei einer Weltmeisterschaft in Zukunft nicht mehr 36 Unparteiische und 36 Assistenten eingeladen werden sollten – noch dazu ausgesucht unter Quotierungs- und Paritätsgesichtspunkten. Die Masse macht’s bei dieser WM eben nicht, wenn wie am Samstag in Gwangju zwei Linienrichter aus Trinidad-Tobago und Uganda vom Tempo des Spitzenfußballs überfordert sind und von der Kulisse eingeschüchtert werden.“

Ralf Wiegand (SZ 24.6.) kritisiert die Schiedsrichterschelte aus Europa. „Unfähige, womöglich angestiftete „Unparteiische“ hievten Südkoreas müdes Fighting Team ins Halbfinale. Erst Italien, jetzt Spanien. Das ist das Bild, das in Europa nun gezeichnet wird. Gastfreundliches Asien? Pah! Es ist ein ebenso primitiver wie unhöflicher Akt, den Frust, den die so genannten Fußball-Nationen empfinden, in die finstere Theorie einer konspirativen Bevorzugung der Koreaner münden zu lassen (…) Der blanke Hass, der dem Golden-Goal-Schützen Jung Hwan Ahn aus Italien entgegenschlägt, und die Andeutungen einer Verschwörung, die nun vor allem in Europa kursieren, treffen ein aufgeputschtes Korea mitten ins glühend heiße Herz. Diese Nation ist gerade dabei, sich mittels Fußball vom Komplex zu befreien, Europa und Amerika unterlegen zu sein und gibt deshalb eine ganze Menge auf die Meinung des Auslandes. Den Respekt spüren Gäste in Korea auf Schritt und Tritt. Dass die Koreaner nun hören müssen, die vermutlich größte Sensation der WM-Geschichte sei nur eine kleine Mogelei, macht sie traurig und wütend. In den Zeitungen des Landes werden die Reaktionen aus Europa heute ein entsprechendes Echo finden, die Korea Times etwa bezeichnet die hochnäsige Art, den koreanischen Erfolg unfähigen Schiedsrichtern zuzuschreiben und nicht den leidenschaftlichen Spielern, als eine besondere Form des Rassismus, der nur Ländern mit einer Vergangenheit als Kolonialherren einfallen könnte.“

Philipp Thommen (NZZ 25.6.) analysiert das Anforderungsprofil eines Linienrichters. „Während bei Schiedsrichtern die Athletik und die Intuition im Vordergrund stünden, sind im Gebiet zwischen Mittellinie und Cornerfahne andere Eigenschaften entscheidend. Ein Assistent könne fast immer nur Fehler machen, sagt Züger. Um mit dieser ganz eigenen Drucksituation umzugehen, müsse ein Linesman mental in hohem Masse belastbar sein. Im Gegensatz zum Schiedsrichter, der auch einmal intuitiv entscheiden müsse, dürfe sich ein Assistent allein auf seine optische Wahrnehmung verlassen, was ein hohes Maß an Konzentration erfordert. Dass ein Assistent daher idealerweise schielen müsste, um bei Spielzügen über große Distanz sowohl den Moment der Ballabgabe als auch den letzten Mann im Auge zu behalten, hört Züger (Schweizer Schiedsrichter-Assistent u.a. beim Champions-League-Finale 2002, of) zwar nicht gern, dies treffe aber dennoch dem Grundsatz nach zu. Weil er aber nicht schielt, gelte seine höchste Priorität stets der idealen Position auf der Höhe des letzten Abwehrspielers. Diese Position stets richtig einzunehmen, sei eine Frage der Erfahrung, welche nur routinierte Linesmen mitbrächten, nicht aber unbedingt noch so routinierte Schiedsrichter, denen auf einmal eine Fahne in die Hand gedrückt wird.“

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Allgemein

Mitgefühl mit Berti Vogts – Hymnen statt Abgesängen auf Holland

of Die deutschen Medien beobachten diese Woche internationalen Fußball, drei Mannschaften der EM-Qualifikation gilt besondere Aufmerksamkeit: Erstens fühlen die Autoren mit Berti Vogts und seiner Mannschaft aus Schottland, 0:6-Verlierer in Holland. Die Berliner Zeitung erkennt elementaren Mangel auf zwei Seiten: „Vogts hat seine Analysen in einer Art englischer Sprache vorgetragen. Das klang, bar jeder Grammatik, in etwa so, wie seine Mannschaft gespielt hat: willkürlich in der Wahl der Mittel, ohne erkennbares System, voller kurioser Fehler.“

Zweitens müssen sich die Journalisten ihre Schadenfreude über ein holländisches Ausscheiden verkneifen. Vor dem rauschhaften Sieg am Mittwoch konnte man viele Abgesänge auf „Oranje“ lesen, auf holländischen Hochmut und Dekadenz. Auch holländische Zeitungen waren nach der Niederlage im Hinspiel böse auf ihr Team: „eine Versammlung überschätzter Fußballer“ und „eine Mannschaft im Zustand der Verwesung“, schrieben Het Parool und Volkskrant in Titelzeilen. Heute sei „die Oranje-Magie wieder da“ (De Telegraaf), und die taz schwärmt von dem Land, „wo Stürmer mit Tulpen um die Wette wachsen“. Auf die Spiel-Ästhetik unserer nordwestlichen Nachbarn singen deutsche Journalisten meist Hymnen, wie Christian Eichler in der FAZ: „ein Team, das nur ein, zwei Erfolgserlebnisse braucht, um sich wieder am eigenen Können berauschen und Spielkunst in Vollendung bieten zu können – das ewige Wunder des holländischen Fußballs“.

Drittens leiden die Chronisten mit der Türkei, die derzeit – sollte man meinen – von schlimmerem Schicksal getroffen ist als von einer verpassten EM-Qualifikation. Doch die türkische Presse urteilt hart über ihre National-Elf, 2:2-Verlierer gegen Lettland: „Historische Schande“ (Hürriyet), „wir haben Selbstmord begangen“ (Fotomac), „tretet alle zurück und macht euch davon, meine Herren!“ (Sabah). Die Financial Times Deutschland sieht den deprimierten WM-Dritten, auf den seine Anhänger hoffen durften und der stets Tatendrang signalisierte, „zurück aus der Zukunft“.

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Bundesliga

Eines der rührendsten Kapitel Bundesliga-Geschichte

Christoph Biermann (SZ 26.5.) freut sich mit Gladbach. „Eines der rührendsten Kapitel Bundesliga-Geschichte wurde in diesem bewegenden Moment geschrieben, denn noch nie in den vierzig Spielzeiten haben sich ein Trainer und sein Vorgänger gemeinsam vom Publikum feiern lassen. Es sprach für den Respekt von Ewald Lienen, dass er den in seiner ganzen Bulligkeit verlegenen Meyer die Hände in den Himmel werfen ließ und sagte: „Hans, das ist deine Mannschaft und dein Beifall.“ Die Rettung vor dem Abstieg wollte Lienen sich „nicht allein an die Fahne heften“, und entsprechend überschütteten die Fans abwechselnd ihn und Meyer mit ihren Liebesbekundungen. „Wir sind in gegenseitiger Achtung auseinander gegangen“, sagte Hans Meyer, und das passiert in der Bundesliga selten genug. Am 23. Spieltag war Meyer nach unappetitlichen Scharmützeln mit Teilen der Presse zurückgetreten und am Samstag zum ersten Mal ins Mönchengladbacher Stadion gekommen, den Jubelsturm von den Rängen konnte er nur als eine Genugtuung empfinden. Das furiose Happy End der Saison mit dem 4:1-Sieg über Werder Bremen und die emotionale Abschlussfeier knüpfte aber auch das Band zwischen dem Verein und seinen Fans noch fester, das dem Team in den schweren Wochen des Saisonfinales so sehr geholfen hatte. „So etwas habe ich noch nie erlebt, da wollte man gar nicht gehen“, sagte Ewald Lienen später ganz entrückt.“

Familiäre Atmosphäre

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 26.5.) auch. „Die Mannschaft hatte Ex-Trainer Meyer vom Platz auf der Tribüne hinunter zu sich geholt. Gerührt und zugleich ein wenig steif stand Meyer dann da, von Lienen zu einer gemeinsamen, ungelenk geratenen Ola-Welle angestiftet. Lienen, kontrolliert bis zur Selbstverleugnung, mied das Bier, das ihm Igor Demo partout über den Kopf gießen wollte. Und er bestand auf der Würdigung seines Vorgängers, der zweieinhalb Jahre die Geschicke der Borussia bestimmt hatte: Ich kann mir nur elf Spiele an die Fahne heften. Dieser Schulterschluß hatte etwas. Lienen beschwor den Geist von Helmut Grashoff, dem einstigen Manager der Borussia, der der erste seiner Zunft in der Bundesliga war. Lienen schwärmte von der familiären Atmosphäre, von der Harmonie, von der Freude, hier arbeiten zu dürfen. Und ihm wurde wehmütig ums Herz beim Gedanken, hier einmal ausziehen zu müssen, wenn das neue Stadion vor den Toren der Stadt fertig ist und das alte abgerissen wird.“

siehe auch: zur Lage der Liga

Internationaler Fußball

Englische Klubs, Spielzeuge von Neureichen

Lord-Protektor des in die Schieflage geratenen englischen Fussballs

Heinz Stalder (NZZ 31.10.) stellt uns den Mann vor, der in England aufräumen will: „Jeder kennt die FA, die Football Association. Aber wer ist dieser sportlich und gut aussehende 51-Jährige namens Mark Palios, der sich bei zwei weltweit operierenden, englisch zurückhaltenden Finanz- und Consultingfirmen als erfolgreicher Partner noch bescheidener gab, als es das britische Understatement ohnehin erlaubt? Seit geraumer Zeit wurden im englischen Fussball Urständ der rüdesten Art gefeiert. Auf den Spielfeldern wurde gespuckt und grobschlächtig gefoult, was das Zeug hielt. Spieler mit Wochenlöhnen, die dem drei- bis vierfachen Jahresgehalt eines Arztes im nationalen Gesundheitssystem entsprechen, gaben sich ungestraft widerlichen Orgien hin und erlaubten sich noch mehr, als sie sich mit ihren schier grenzenlosen Einkommen schon erkaufen konnten. Von der Königin geadelte Trainer würzten ihre öffentlichen Kommentare ungehindert mit Begriffen, die in der Qualitätspresse immer noch durch Sternchen ersetzt werden. Alles schien erlaubt. Und der neue Buchhalter in der Chefetage der FA sah nichts, hörte nichts, sagte nichts. Zwei Monate lang schien Palios in den edel ausgestatteten Räumen am Soho Square das neueste Modell des Wembley-Stadions zu bestaunen, sich gemächlich einzuarbeiten und dann verdächtig gewissenhaft über die Bücher zu gehen. Plötzlich aber stand er auf und wurde mit einer einzigen entscheidenden Geste zum Lord-Protektor des in die Schieflage geratenen englischen Fussballs, zum Saubermann, auf den, auch wenn es bisher niemand allzu laut ausgesprochen hatte, alle gewartet hatten. Der Starverteidiger Rio Ferdinand, der sich um eine angeordnete Dopingkontrolle foutiert hatte, wurde nach einem noch arroganteren Protest des Manchester-United-Managers für das EM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei aus der Nationalmannschaft verbannt. Die Drohung der Komplizen Ferdinands, ohne ihn in Istanbul streiken zu wollen, wurde zunichte gemacht, als hätte Margaret Thatcher am Soho Square ein neues Betätigungsfeld gefunden. Nicht genug damit: Sir Alex of Manchester United wurde im Spiel gegen Fulham wegen vorgängig schlechten Benehmens wie ein Schuljunge vom Spielfeldrand auf die Tribüne verbannt. Doch niemand spricht vom neuen, besser kehrenden Besen – auf Mark Palios reimen sich keine Phrasen.“

Aus der Welt der Neuriechen und des Parvenüs erzählt Felix Schönauer (Handelsblatt30.10.): „Leeds und „ManU“ könnten schon bald ihre Notierung verlieren – und damit einen Trend im englischen Fußball verstärken. Denn wer etwas auf sich hält, scheint es, kauft sich in diesen Tagen einen Fußball-Club. „Es ist geradezu trendy, sich mit einem Verein zu schmücken“, sagt Analyst Leigh Webb von WestLB Panmure. Das Beispiel des FC Chelsea London macht Schule. Kürzlich vom russischen Geschäftsmann Roman Abramovich gekauft, deckte sich der Club für mehr als 150 Mill. Pfund mit Spielern ein und sorgt in der nationalen Konkurrenz und der europäischen Champions League für Furore. Seitdem kochen die Spekulationen unentwegt. Das Kandidaten- Karussell dreht sich vom Club Aston Villa, der mit einem venezolanischen Geschäftsmann in Verbindung gebracht wird, bis zu Tabellenführer Arsenal London, dem ein russischer Geschäftsmann nachstellen soll. Gestern kamen Spekulationen auf, der schwer reiche thailändische Ministerpräsident Thaksin Shinawatra interessiere sich für den Londoner Fußballclub FC Fulham – derzeit noch im Besitz des Harrods-Milliardärs Mohammed Al Fayed. „Die meisten Clubs würde ein Gebot freuen, weil sie nicht profitabel genug sind“, sagt Webb. Wegbrechende Fernseheinnahmen lassen europaweit riesige Löcher in den Bilanzen der Vereine klaffen. Das ist auch bei Leeds der Fall, das vor allem auf das Engagement ihres Vize-Chairmans Allan Leighton hofft. Dessen Firma pumpte kürzlich mehr als 4 Mill. Pfund in den Club. Der Kredit soll sich einst in Aktien umwandeln lassen, so der Plan. Auf diese Art könnte Leighton ein Drittel der Anteile anhäufen. Bei ManU dagegen sieht die Lage etwas anderes aus. Der Club ist mit einem Vorsteuer-Gewinn von zuletzt fast 48 Mill. Pfund kerngesund. Hier hat das Hin- und Herschieben diverser Aktienpakete in der jüngeren Vergangenheit Übernahmespekulationen angeheizt. Die haben den Kurs zwar auf ein Zweijahreshoch von gut 230 Pence gehoben. Doch sie haben auch Unruhe verbreitet (…) Der Trend zur Übernahme von Fußball-Clubs deutet sich übrigens auch in Ländern wie Italien und Spanien an. Nur in Deutschland, so schätzen Experten, dürften weniger als eine Hand voll Vereine in Frage kommen. Ein Analyst: „Was wäre mein Prestigegewinn als Besitzer des VfL Wolfsburg?““

Eine weitere Filmbesprechung über „Das Wunder von Bern“ schreibt Rolf Niederer (NZZ 30.10.): „Wortmanns Film, der am diesjährigen Filmfestival Locarno den Publikumspreis erhalten hat, löst – wie das im Übrigen auch bei Fussballspielen der Fall ist – widersprüchliche Gefühle aus. Der Fussballfan spielt gleichsam gegen den Filmkritiker. Ersteren packt die Dramatik der ballsicher nachgestellten Spielszenen und die Emotionalität des Fussballspiels sowie das Vergnügen ob der trefflichen Charakterisierung des Bundestrainers Sepp Herberger und des aufmüpfigen Helmut Rahn. Der Zweite möchte zwar kein Spielverderber sein, ist angesichts der Heimkehrergeschichte, deren versöhnlicher Ausgang für Matthias und seinen Vater ein doppeltes «Wunder von Bern» bedeutet, aber trotzdem versucht, einige offsideverdächtige Verkürzungen und Klischierungen anzuzeigen. So findet der Vater den Zugang in die Gefühlswelt seines Jüngsten fast über Nacht; und als der Morgen dämmert, befinden sich die beiden auf dem schnellstem Weg nach Bern, ein Reiseziel, das vom Ruhrgebiet aus offenbar nur über bunte «Almen» und Kuhweiden zu erreichen ist. Die Aussage des Films ist denn auch eher politisch als sporthistorisch zu verstehen. Zum Schluss entschwindet ein Zug langsam in ein von der Sonne geküsstes ländliches Idyll. In ihm fährt das deutsche Siegerteam seinem Zuhause und der Zukunft entgegen: „Ein Jahr später kamen die letzten Kriegsgefangenen nach Hause zurück. Ein Jahr später begann das Wirtschaftswunder. Die Elf von Bern spielte nie wieder zusammen.“ Auch auf der Leinwand soll so erhärtet werden, dass der Sieg der deutschen Fussballnationalmannschaft neun Jahre nach dem Weltkrieg die Menschen aus ihrer inneren Kriegsgefangenschaft befreite und den wirtschaftlichen Aufbruch ankündigte. Wortmanns Verfilmung des gleichnamigen Romans von Christof Siemens über den Anbruch einer neuen Zeit interpretiert den kollektiven Glückszustand, in den nicht nur der fussballbegeisterte Bevölkerungsteil fiel, als „ein ermutigendes Gegenbild zum Nazireich“. Zum Vorteil des zuweilen pathetisch-distanzlosen Films wird die Parabel auf das deutsche Wirtschaftswunder immer wieder ironisch gebrochen. Zuständig dafür ist die Angetraute eines jungen Sportreporters, dem sich überraschend die Chance bietet, über das Spiel zu berichten. So fahren die Jungverliebten statt auf die Hochzeitsreise nach Ägypten eben in die Schweiz. Die Frau erweist sich dabei als unerschöpfliche Quelle sportjournalistischer Inspiration: Nur sie ist auf Anhieb fähig, die klugen Schachzüge des Bundestrainers zu verstehen.“

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Gewinnspiel für Experten

Bundesliga

Stevens vor der Entlassung – VfB Stuttgart, der „FC Bayern light“

of Die wichtigste Erkenntnis des Bundesliga-Wochenendes – für die FAS eine Vorlage zum Kalauer: „Der Huub-Raum hat sich gegen null verdichtet.“ Mit der Entlassung von Trainer Huub Stevens rechnet nicht nur Fußball-Berlin stündlich – und nicht erst seit der 1:4-Niederlage gegen Bayer Leverkusen. Mitleid wird es nicht geben, die wenigen Freunde, die Stevens in Berlin hatte, hat er verloren. Die SZ hat die Szenerie genau beobachtet: „Huub Stevens verließ seinen Platz als Trainer von Hertha BSC Berlin noch früher, als es in all den genüsslich geführten Debatten der Stadt prognostiziert worden war. Es war 16.42 Uhr, als er von Schiedsrichter Markus Merk der Bank verwiesen und hinauf auf den Rohbau einer Tribünentreppe geschickt wurde. Dort war Stevens von nun an allein.“

Andres ist die Lage beim Gewinner, der mit den Berlinern mitfühlen kann. Bayer Leverkusen startete in die Vorsaison auch mit großen Zielen – und fiel auch ans Tabellenende. Jetzt ist Bayer Tabellenführer; aus dem abschreckenden Beispiel ist ein Vorbild geworden. Die SZ gratuliert grinsend: „einem großen Jahr steht nichts mehr im Weg. Und in Leverkusen bedeutet das bekanntlich immer: Bayer wird Vizemeister.“ Günstiger sind die Voraussagen nur für den VfB Stuttgart, 3:1-Sieger beim Tabellenersten Werder Bremen: „ein Team, souverän wie ein Meister“, staunt die FTD, „kühl und effektiv wie der FC Bayern an seinen meisterhaften Tagen“, applaudiert die FAZ.

Hertha BSC Berlin – Bayer Leverkusen 1:4

Nichts als geplatzte Träume und verlorene Illusionen

Rainer Seele (FAZ 20.10.) beschreibt die Berliner Krise: „Just in der Hauptstadt, wo ein immenser, illuminierter Ball vor dem Brandenburger Tor aufgestellt wurde als Symbol für die WM 2006, ist das Elend derzeit besonders groß: Hertha BSC Tabellenletzter in Liga eins, Union am Ende der Zweiten Bundesliga, nichts als geplatzte Träume und verlorene Illusionen in einer Stadt, die auf die Schnelle, vielleicht mit zu großem Tempo, Aufbruchstimmung erzeugen wollte, nicht zuletzt im Fußball. Vermutlich hat Stevens, angezogen von der Kapitale Berlin nach dem Intermezzo im Ruhrpott, sein neues Team überschätzt. Und womöglich hatte man bei Hertha auch zu hohe Erwartungen an einen Mann geknüpft, der eher zur Arbeiterklasse im Fußball zu passen scheint als zu einem Verein der vermeintlichen Hautevolee. Hertha BSC, die in die besseren Kreise des Fußballs, in die Champions League, vorstoßen wollte, stellt sich als ein Team ohne Profil, ohne spezielles Erkennungsmerkmal dar. Das muß man Stevens zuschreiben, aber auch Manager Dieter Hoeneß, zusammen mit dem Niederländer vor allem verantwortlich für die Komposition des Kaders. Welcher Name spricht schon für sich? Der des Stürmers Fredi Bobic, der des Torhüters Gabor Kiraly, gewiß der des Brasilianers Marcelinho, der – so scheint es – als einziger Profi von Hertha BSC dem Berliner Spiel einen Schuß Inspiration zu geben vermag. Arne Friedrich mag man in dieser Reihe noch nennen oder Marko Rehmer, aber das ist offenbar selbst für größere nationale Ambitionen zuwenig. Und es macht klar, daß allein mit einer Trennung von Stevens die Krise von Hertha BSC nicht zu bewältigen sein dürfte.“

Schlingerkurs in Sachen Mannschaftsführung

Frank Hellmann (FR 20.10.) erläutert die Fehler des Berliner Trainers: „Wenn Huub Stevens zu viel Stress verspürt, geht er mit seinem Golden Retriever spazieren. Raus aus dem Haus in Berlin-Charlottenburg, rein ins Waldrevier am Teufelsberg. Der Vierbeiner darf sich freuen: Er wird in den nächsten Tagen viel Auslauf erhalten. Denn Herrchen wird ab heute viel Zeit zum Nachdenken haben. Stevens ist als Trainer nicht mehr zu halten – selbst sein wichtigster Verbündeter Dieter Hoeneß hat den Daumen gesenkt. Zu groß nicht nur der öffentliche Druck, zu riesig vor allem die irrationale Abneigung weiter Teile von Herthas Anhängerschaft, die sich von Anfang an mit dem Holländer und Ex-Schalker nicht arrangieren wollte und konnte. Das ist langfristig vernichtender als die Momentaufnahme, siegloser Tabellenletzter zu sein. Der Trainer Stevens ist detailversessen, streb- und arbeitsam, ein exzellenter Profi. Einer, der auf dem Trainingsplatz Fußball lebt, der ehrlich und geradlinig den Spielern entgegen tritt, der sich nur mit den medialen Erfordernissen an einen Fußball-Lehrer ungern anfreundet. Und doch hat er sich in den vergangenen Wochen auch in Fachfragen angreifbar gemacht: mit personellen Wechselspielen, taktischen Experimenten, einem Schlingerkurs in Sachen Mannschaftsführung, der in der Sackgasse endete. Die Schelte auf dem Trainingsplatz vor laufenden Kameras war der letzte Versuch, öffentlichkeitswirksam zu beheben, was nicht mehr zu retten war. Eine überteuerte und überschätzte Mannschaft zu einen, ihr Zutrauen in nicht vorhandene Fähigkeiten einzureden, ihr ein klares Profil und einen eigenen Stil zu geben: Das hat der Trainer versäumt.“

Christian Ewers (FAZ 20.10.) zweifelt, ob Hertha zu trösten ist: “Reiner Calmund hätte schwärmen können. Über das 4:1, über die Rückeroberung der Tabellenspitze, über seinen humpelnden Verteidiger Lucio, der die Abwehr trotz einer Fußverletzung perfekt organisiert hatte. Aber dem Leverkusener Manager war nicht nach einer Jubelrede. Er sprach mit gedämpfter Stimme, seine Hände hatte er in den Taschen seines Trenchcoats vergraben. Daß du unten drin stehst, zeigt doch nur, daß es im Kopf nicht stimmt, sagte Calmund. Anders ist das nicht zu erklären. Er machte eine kurze Pause, um dann im tiefen Brustton fortzufahren: Wichtig ist jetzt, daß im engsten Umfeld, also in der Mannschaft und in der Vereinsführung, eine gewisse Ruhe herrscht. Man muß die Störfeuer draußen halten. Calmund hatte sein Thema schnell gefunden nach dem Abpfiff im Olympiastadion. Über das eigene Team zu sprechen war ihm zu langweilig, statt dessen machte er sich an eine Generalanalyse der Krise von Hertha BSC. Einkaufspolitik, Mediensituation, Publikumserwartungen – Calmund ließ keinen Aspekt aus. Für die Hertha-Spieler, die hinter Calmunds breitem Rücken in die Umkleidekabine schlichen, muß der wohlmeinende Vortrag wie eine Demütigung geklungen haben. Ausgerechnet vom Gegner Trost und Ratschläge zu bekommen, nicht mehr als sportlicher Widerpart, sondern nur noch als Opfer wahrgenommen zu werden – das ist bitter. Nicht nur Calmund war die Hilfsbedürftigkeit der Berliner Mannschaft aufgefallen. Das Publikum formulierte seine Tips jedoch wesentlich uncharmanter. Stevens raus! brüllte die Fankurve, als das Spiel noch gar nicht begonnen hatte (…) So wie Hertha sich fühlt, haben wir uns die ganze letzte Saison gefühlt. Man muß die Augen zumachen, dann geht es auch wieder aufwärts (Calmund). Daß Bayer nicht nur die Augen geschlossen, sondern auch zwei Trainer entlassen hatte im Kampf um den Klassenverbleib, verschwieg er allerdings in seiner Predigt.“

Werder Bremen – VfB Stuttgart 1:3

Kühl und effektiv wie der FC Bayern an seinen meisterhaften Tagen

Roland Zorn (FAZ 20.10.) applaudiert dem Sieger: „Von unbändiger, lausbübischer Freude war bei den Spielern des VfB Stuttgart nichts zu spüren. Die daheim als junge Wilde plakatierten Schwaben genossen ihren Triumph beim gestürzten Tabellenführer ohne jede Selbstbeweihräucherung. Kritisch wie sein Trainer Felix Magath kommentierte der 21 Jahre alte Andreas Hinkel die schwächere zweite Halbzeit des noch immer unbesiegten Tabellenzweiten der Fußball-Bundesliga: Wir haben uns viel zu sehr hinten reindrängen lassen, das war nicht das, was wir wollten, mit der zweiten Hälfte kann man nicht zufrieden sein. Der Jungnationalspieler, ein Wirbler auf der rechten Seite, erfreute Magath als His Masters Voice im nachhinein wie schon während der neunzig Minuten. Die kühl bis ans Herz ihre Gelegenheiten nutzenden Stuttgarter, voran Magaths frühreife Spunde, stellten sich am Samstag ein Klassezeugnis aus: Hinkel tunnelte sogar vor seiner Vorlage zum 1:0 seinen bemitleidenswerten Bremer Verfolger Stalteri. Das war riesig, lobte Meister Magath einen seiner Lieblingsschüler. Auch der noch heftiger umworbene 21 Jahre alte Nationalstürmer Kevin Kuranyi vollendete abgebrüht wie ein Altstar, was ihm der 22 Jahre alte Hleb zum 2:0 auf den Fuß gezaubert hatte. Der Weißrusse Hleb, dem Spitzenklubs aus Italien und Spanien längst hinterherjagen, spielte, als die Begegnung Spitz auf Knopf stand, den 21 Jahre alten Christian Tiffert in letzter Minute frei, und es hieß 3:1. Tiffert geht seit dem Jahr 2000 durch die Stuttgarter Schule und macht aus seiner Bestimmung als gesetzter Einwechselspieler meistens das Beste. Da konnte Werder die erste halbe Stunde noch so eindeutig bestimmen und die gesamte zweite Halbzeit noch so nachhaltig diktieren – wenn es darauf ankam, schoß der VfB die Tore. Kühl und effektiv wie der FC Bayern München an seinen meisterhaften Tagen setzten die Stuttgarter ihre Wirkungstreffer.“

Bayern light

Jörg Marwedel (SZ 20.10.) prüft den – derzeit beliebten – Vergleich zwischen dem VfB Stuttgart und dem FC Bayern: „Jetzt hat er begonnen, der Modeherbst, und mit ihm die Zeit der Schals; Felix Magath hatte zum Auftakt einen weinroten gewählt und ihn sich nach dem Spiel über den dunklen Anzug geworfen. Das sah ähnlich gediegen aus wie gewöhnlich die Garderobe von Ottmar Hitzfeld und doch einen Schuss verwegener, frischer, weniger konservativ als die Accessoires des Bayern-Trainers. Warum dieser Ausflug in die Modewelt? Ganz einfach – weil die Auswahl des mutigen Ästheten und Fußballlehrers Magath ihre Entsprechung auch auf dem Rasen des Bremer Weserstadions fand. Mit kühler Schönheit und äußerster Effektivität setzten die Stuttgarter im Spitzenspiel beim bisherigen Tabellenführer SV Werder die entscheidenden Treffer. Dazu gaben sie einmal mehr jene Prise Spielfreude, die einem Team mit den Ansprüchen des Rekordmeisters bei der alltäglichen Pflichterfüllung zuweilen abgeht. Der VfB Stuttgart als eine Art „Bayern light“, der seine Spiele gegen einen emsig anrennenden Gegner so ausgebufft nach Hause schaukelt wie die Münchner? „Wir spielen besser“, sagte Magath trocken und meinte: besser als der FC Bayern an einem durchschnittlichen Tag. Stuttgarts mächtigster Mann hat es längst aufgegeben, die Freude über die prächtige Entwicklung seiner „Jungen Wilden“ zu vertuschen. Natürlich hat er professionell bemängelt, dass „wir uns schwer taten, ins Spiel zu kommen“ und dass man den Gegner nach der Pause „eingeladen hatte, Druck zu machen“. Auch war ihm nicht entgangen, dass man nach Bremens Anschlusstor Glück benötigte gegen die nun beherzteren Bremer. Andererseits ist es gerade die Umsetzung der neuen, ökonomischen Spielweise, die Magath gefällt: „Das geht nicht anders, wenn man auch im internationalen Geschäft ist. Wir haben im letzten Jahr zu viel investiert.““

Zu Werder, da kannst du hingehen, da ist immer was los, die bieten was Tolles an

FAS-Interview mit Thomas Schaaf

FAS: Das öffentliche Bild von Ihnen besteht vor allem aus Klischees …

TS: Bitte nicht. Das ist ein ganz altes, durchgekautes Kaugummi. Was wollen Sie hören? Daß ich zum Lachen in den Keller gehe? Ich bringe mich so rüber, wie ich bin. Ich verstelle mich nicht.

FAS: Nachdem Schalke Ihnen Ailton und Krstajic weggeschnappt hat, haben Sie in einem Interview von einer ungeheuren Wut gesprochen, die in Ihnen aufsteige. War das in dieser Deutlichkeit eine neue Seite ihres Charakters?

TS: Das ist doch auch ein Klischee. Daß ich immer ruhig bleibe. Ich hatte dieses Gefühl der Wut. Das mußte raus. In dem Falle war ich innerlich wütend, weil ich nichts tun konnte.

FAS: Haben Sie diese Ihre Wut öffentlich und gezielt eingesetzt?

TS: Nein. Es mußte raus.

FAS: Werder war bis zum Samstag Tabellenführer. Mancher sagt, Werder stünde nur oben, weil es bislang schwache Gegner gab.

TS: Ja. So wie Dortmund. Dieses: Jetzt habt ihr gegen Schalke und in Berlin gewonnen, das zählt aber nicht mehr, weil sie so schwach sind. Das verstehe ich nicht. Wir haben sie doch erst in diese Situation gebracht. Und bei der Niederlage in Dortmund haben wir den Ball ja mit reingeschubst. Wir wollen das weitermachen, was wir bisher angeboten haben. Das wollen wir auch gegen Spitzenteams zeigen.

FAS: Gibt es einen Unterschied zur Situation vor einem Jahr?

TS: Einen besseren Start. Richtige Verpflichtungen. Alle haben sich weiterentwickelt. Es paßt noch besser als im vergangenen Jahr.

FAS: Welche Ziele verfolgen Sie denn mit Werder?

TS: Ich habe ja als Spieler hier Sachen erlebt – das sind meine Maßstäbe. Das habe ich als schön und interessant empfunden. Besonders die internationalen Spiele. Das ist Maßstab und Ansporn für einen selbst. Dahin zu kommen ist unser Ziel. Wir sind auf einem guten Weg. Wir liegen schon über gewissen Zielen. Wir haben etwas geschaffen in der Stadt: über Werder sprechen. Mit Werder identifizieren. Auf hohem Niveau etwas anbieten. Zu Werder, da kannst du hingehen, da ist immer was los, die bieten was Tolles an. Dazu gehört, international dabeizusein. Ich habe erlebt, daß es nicht immer so war.

FAS: Sind Sie mit Werder verwachsen?

TS: Irgendwann ist das Ding doch mal vorbei. Nach drei Spielen oder 14 Jahren.

FAS: Schaaf, der neue Rehhagel?

TS: Nein. Sie sehen, es klappt nicht, mich zu provozieren. Manchmal bin auch gut drauf.

Borussia Mönchengladbach – Bayern München 0:0

Jörg Stratmann (FAZ 20.10.) sah verbesserte Gladbacher: „Wer Borussia Mönchengladbach auf das gute alte Synonym Bökelberg reduziert, dem könnte angst und bange werden. Bye-bye Bökelberg steht neuerdings bei Heimspielen des abstiegsbedrohten Vereins auf der Anzeigetafel des Stadions inmitten des feinen Wohnviertels. An diesem neunten Spieltag mit dem Zusatz: Noch 13mal. Danach, soll das heißen, geht hier das Flutlicht aus. Die eigentlich frohe Botschaft, die sich dahinter verbirgt, ist seit diesem Wochenende wieder besser erkennbar. Denn so energisch, wie sich die Borussia beim 0:0 gegen Meister Bayern München präsentierte, könnte es klappen, daß der Klub nächsten Sommer den Umzug ins neue Stadion im Norden der Stadt weiterhin als Mitglied der höchsten Spielklasse vollzieht. Zwar gelang den Gladbachern nun auch im dritten Spiel unter ihrem neuen Trainer Holger Fach kein Sieg. Doch Fortschritt ist erkennbar. Es sei die bislang beste Vorstellung unter seiner Verantwortung gewesen, sagte Fach. Was Beobachter gerne auf alle neun Saisonspiele erweiterten. Nicht nur, weil die Borussen oft schon in des Gegners Hälfte den Ball eroberten und munter über die Flügel stürmten. Der Aufwärtstrend zeigt sich auch in der Tabelle, wo sie auf Nichtabstiegsrang 15 kletterten. Wir haben eine Leistung gezeigt, die wohl keiner für möglich gehalten hat, sagte Fach. Die Stars aus München hinken auf ihre Weise hinterher.“

Trostloser Auftritt der Münchner

Philipp Selldorf (SZ 20.10.) sieht das ähnlich: „Formell endete die Partie zwar 0:0, und es gab weder Sieger noch Besiegte, bloß einen Punkt für beide Seiten als kargen Lohn. Aber die Gladbacher fühlten sich als Gewinner und die Münchner als Verlierer. Und das Spiel gab den Empfindungen Recht. Es war ein trostloser Auftritt der Münchner, die zum Start der englischen Herbstwochen mit sieben bedeutenden Begegnungen in allen relevanten Wettbewerben einen Auswärtssieg einkalkuliert hatten, aber keine Idee entwickelten, das Selbstverständliche zu verwirklichen. Die Bayern verbreiteten mit ihrem emotionslosen Stil Langeweile, woran auch Hitzfelds taktische Formation Anteil hatte: Das Spiel des Meisters stotterte vor allem im zentralen Maschinenraum, weil der 21-jährige Gaede den von vornherein erschöpften Regisseur Ballack niemals in Frieden ließ, und weil sich das Duo Demichelis/Jeremies dermaßen zwillingshaft ergänzte, dass die Lösung nur lauten konnte: Einer ist überflüssig (…) Es gab also nicht viel zu vermelden für Bayern-Pressechef Markus Hörwick, der die Ehre übernommen hat, Giovane Elber mit dem Mobiltelefon von den Ereignissen bei seinem früheren Klub zu unterrichten. Was sollte er ihm mitteilen? Etwa diesen beispielhaften Höhepunkt aus der 40. Minute?: „Deisler flankt von rechts. Pizarro und Strasser balgen sich um den Ball wie zwei Hunde um den Knochen.“ Doch Elber erlebte vor dem Wiedersehen mit seinen Kollegen am Dienstag in der Champions League selbst eine trübe Stunde. Während sich Roy Makaay so vornehm raushielt, dass er kaum das Pensum eines Professors beim Abendspaziergang übertraf, legte der Münchner Brasilianer in Frankreich ebenfalls ein unbefriedigendes Vorspiel hin. Womöglich erfährt Elber zu viel Ablenkung vom Toreschießen, indem er täglich neue kleine Provokationen ausheckt. Jüngster Vorstoß, aus einem Interview mit der tz: „Wenn Bayern keinen Titel holt, werden die Fans sauer. Dann werden sie wieder nach mir rufen.“ Uli Hoeneß gelangte dank großzügiger Berechnung zu der Erklärung, „dass unsere Spieler in den vergangenen 14 Tagen in der ganzen Welt unterwegs waren“ – unterwegs mit ihren zunehmend als Betriebsstörung empfundenen Nationalteams, weshalb die Elf „70 Minuten überhaupt keinen Rhythmus gefunden“ habe, wie der Manager klagte.

Bernd Müllender (FR 18.10.) ermüdet: „Das Remis zwischen Borussia Mönchengladbach und den Bayern aus München, der Klassiker der Liga im glorreichen Einstmals, war ein ziemlicher Rohrkrepierer. 90 Minuten Leidenschaft, das durchaus. Aber sonst reichlich Krampf, Fehlpässe en masse mit manchmal Ballbesitzwechsel im Sekundentakt, desaströse Schussversuche, bisweilen eine Kaskade von Befreiungsschlägen, garniert von vielerlei alberner Schiedsrichterentscheidung. Kurz: Schreckensfußball. Bayernbändiger Ottmar Hitzfeld war mit der ersten Halbzeit nicht zufrieden und sah in der zweiten eine schwache Leistung. Roy Makaay war ohne jede Szene geblieben und wurde erstmals ausgewechselt. Martin Demichelis, von der Bayern-Führung in Anderlecht noch in den Adelsstand der Weltklasse erhoben, um von der mäßigen Gesamt-Vorstellung abzulenken, zeigte ein großes Repertoire an Fehlerfähigkeit. Nein, die Bayern waren zwar nicht irgendeine Gurkentruppe (Borussentorwart Jörg Stiel), aber erstaunlich passiv und durchsetzungsschwach, voller Spielrhythmusstörungen. Manager Uli Hoeneß sprach die Zeitläufte schuldig: Das ist bei uns immer so nach einer 14-tägigen Pause.“

Borussia Dortmund – Hannover 96 6:2

Manche von Sammers Reservisten machen einen besseren Job als seine Favoriten

Freddie Röckenhaus (SZ 20.10.) schildert das Lob auf die Dortmunder „B-Elf“: „Christian Wörns formulierte die etwas spitzfindige Frage, die sich in Dortmund derzeit alle stellen: „Ich bin wirklich gespannt, wie es weiter geht, wenn jetzt bald ein paar von unseren Technikern wiederkommen.“ In den Worten des robusten Kämpfers Wörns schwang Genugtuung mit, denn Dortmund setzte mit seiner Notmannschaft den achten Sieg im neunten Pflichtspiel. Auch Trainer Matthias Sammer versuchte sich, so verklausuliert wie möglich, an diesem schwierigen Fall von Trendwende: „Ein bisschen mehr von dieser Einstellung hätte ich mir oft gewünscht, als wir noch einige von unseren Spielern mit hoher Spielkultur dabei hatten.“ Ohne elf verletzte Spieler aber kam es wieder einmal so, wie es derzeit offenbar kommen muss. Dortmund rettete sich über eine schwächere erste halbe Stunde, in der es gut 1:0 oder 2:0 für die Gäste hätte stehen können. Dann rumpelte sich Sammers letztes Aufgebot in eine Spiellaune, die die 80 500 Zuschauer im Westfalenstadion aus den Plastikschalen riss. „Natürlich“, sagte Altmeister Stefan Reuter, „macht jedes Tor in dieser Aufstellung mehr Selbstvertrauen, jeder sieht, dass er mehr kann als vorher gedacht.“ Und so steht Sammer vor der für ihn nicht ganz schmeichelhaften Situation, dass manche seiner ursprünglichen Reservisten einen besseren Job machen als seine Favoriten. Lars Ricken etwa.“

Peter Penders (FAZ 20.10.) beschreibt den Stimmungswandel in der Südkurve: „Schlechte Erinnerungen verdrängen die meisten Menschen gerne, und bei Fußballfans ist diese Eigenschaft besonders ausgeprägt. Himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt – dazwischen gibt es im Zweifelsfall nicht viel, und je mehr der Fußball für die jeweilige Region bedeutet, desto heftiger sind diese Gefühlsausschläge. Im Dortmunder Westfalenstadion erhoben sich am Samstag beim Schlußpfiff 80 000 Fans und feierten ihre Mannschaft nach dem 6:2-Erfolg gegen Hannover aus guten Gründen mit Ovationen. Doch ein paar hundert von denen, die nun quasi auf den Stühlen standen, haben sich neulich erst aus Protest und Enttäuschung vor den Bus der Borussia gesetzt und die Abfahrt der Profis verhindert. Das ist erst drei Spieltage her und geschah nach der 0:1-Niederlage beim VfB Stuttgart am 20. September. Der Dortmunder Trainer Matthias Sammer hat es nicht vergessen: Ich bin froh, daß die Leute heute zufrieden nach Hause gehen. Es herrscht große Euphorie, aber man muß auch verstehen, daß ich das nicht mitmache. Trainer sind mißtrauisch, was die Loyalität der Fans angeht, müssen wohl auch mißtrauisch sein.“

1. FC Köln – SC Freiburg 1:0

Hinten-dicht-und-vorne-hilft-der-Liebe-Gott-Fußball

Christoph Biermann (SZ 20.10.) findet, dass es ein schlechtes Spiel war: „Beide Mannschaften trugen ihren Teil zu einer Partie bei, die wohl auch am Ende der Saison noch in der Top Ten der schlechtesten Spiele ihren Platz finden wird. 33 000 Zuschauer dämmerten auf den Tribünen vor sich hin und warteten auf Kombinationen des 1. FC Köln, die nicht kamen. Mit der Geduld tibetischer Mönche taten sie das, und so leise wurde es mitunter wie bei einem Spiel in der Kreisliga. Nur als der Stadionsprecher zur Halbzeit von der „super Spannung“ im ersten Durchgang sprach, brach das Publikum in schallendes Gelächter aus. „Wir haben schon bessere Spiele gemacht, die wir am Ende verloren haben, so ist es mir natürlich lieber“, sagte Friedhelm Funkel, der Erfolge ja immer für das einzige wirkliche Maß hält. Jetzt wird eine Woche lang nicht über seine Entlassung diskutiert (…) „Sie müssen mich bitte verstehen, ich möchte ungern was sagen“, sagte Kölns Manager Andreas Rettig. Dann stürzte er auf Volker Finke zu, mit dem er früher in Freiburg zusammengearbeitet hatte. Wahrscheinlich, um sich für das unappetitlich defensive Gekicke der Kölner zu entschuldigen. Mehr noch dürfte ihn jedoch die Frage umtreiben, ob der 1. FC Köln mit seinem Hinten-dicht-und-vorne-hilft-der-Liebe-Gott-Fußball wirklich die Klasse halten kann. „Die Mannschaft hat von der ersten Minute an gezeigt, dass sie das Spiel gewinnen will“, sagte Funkel, was aber von einem Match in einer anderen Welt erzählte. Köln zeigte von der ersten Minute an, dass sie Freiburgs Spiel verhindern wollten. Der Rest waren Griffe in die Lostrommel. Weil an diesem trostlosen Nachmittag nur die Arena in Müngersdorf noch Trost bot – sie ist auf dem Weg, die schönste in Deutschland zu werden –, hatte Volker Finke seinen Blick über die Tribünen schweifen lassen. „Wenn man das Stadion sieht, ist alles egal, was hier passiert“, sagte er, „in vier, fünf Jahren wird hier großer Fußball gespielt, weil es nicht anders geht.“ Das mag sein.“

Kein Pfiff, kein Spott, kein Schimpfen während der quälend langen siebzig Minuten

Richard Leipold (FAZ 20.10.) schildert Kölner Harmonie und Geduld: “Küssen verboten? Nicht, wenn die Freude so groß ist wie beim Kölner Manager Andreas Rettig am späten Samstag nachmittag. Nach dem Schlußpfiff küßte Rettig Cheftrainer Friedhelm Funkel beinahe inbrünstig auf die Wange. Fußball zum Verlieben hatte der 1. FC Köln beim 1:0 über den SC Freiburg nicht geboten, dafür aber mitten im Herbst Frühlingsgefühle geweckt. Rettigs Bruderkuß symbolisierte den Zusammenhalt zwischen dem Manager und einem Übungsleiter, der in letzter Zeit häufig in Frage gestellt wurde. Auf den zärtlichen Glückwunsch seines sportlichen Partners angesprochen, ließ sich sogar Funkel zu einer humorvollen Replik hinreißen. Es war ja nicht der erste Kuß von ihm, das ist schon das eine oder andere Mal vorgekommen. Sonst machte der FC-Trainer einen angespannten, ernsten Eindruck. Die Leistung seiner nur kämpferisch überzeugenden Mannschaft muß ihm zu denken geben (…) Bei den Kölnern, die für ihren Überschwang bekannt sind, ist eine merkwürdige Ruhe eingekehrt. Obwohl der FC daheim defensiv wie eine Auswärtsmannschaft spielte, fühlte sich das Publikum offenbar ausreichend unterhalten. Kein Pfiff, kein Spott, kein Schimpfen während der quälend langen siebzig Minuten bis zum Tor des Tages. Trainer, Manager, Fans und Fußballspieler warteten gemeinsam auf ihre Chance. Rettigs Geduld mit Funkel scheint sich auf die Kölner Mehrheit unter den 33000 Zuschauern übertragen zu haben.“

VfL Wolfsburg – Hansa Rostock 3:1

Frank Heike (FAZ 20.10.) widmet sich dem Debüt Juri Schlünz’: „Für seine erste Spielanalyse als Cheftrainer hatte sich Juri Schlünz keine besonders bequeme Position ausgesucht. Eingeklemmt zwischen einem Fernseher von oben, dem Podium von hinten und Journalisten von beiden Seiten, mußte sich Schlünz fühlen wie seine Mannschaft: feststeckend dort, wo man gar nicht hinwollte – im Tabellenkeller nämlich. Nach vier Niederlagen nacheinander konnte auch der von den Fans und der Region freundlich begrüßte Schlünz nicht sofort Punkte bringen. So schlecht hatte es gar nicht ausgesehen, was seine auf zwei Positionen veränderte Mannschaft vor knapp 20 000 Zuschauern in der VW-Arena geboten hatte, zumindest offensiv nicht. Hinten aber, dort, wo über Abstieg oder Nichtabstieg entschieden wird, zeigte Hansa groteske Abwehrfehler.“

Europas Fußball vom Wochenende: Resultate – Tabellen – Torschützen NZZ

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Gewinnspiel für Experten

Bundesliga

Das Wunder von Bern und die Macht der Bilder

In der Bundesliga gibt man Millionen für Spieler aus, an der Sprache wird gespart.

Jens Kitzler (taz 14.10.) lobt ein Deutsch-Lehrbuch für ausländische Fußballer: „Von Berlins Mittelfeldstar Marcelinho wurde letzte Saison berichtet, er habe auf einer Feier des Vereins einen Redebeitrag halten sollen. Sag, wie es dir in Berlin gefällt, hatte ihm wohl ein Kollege geraten, bevor der Brasilianer ans Mikrofon gegangen war und ‚Wie es dir in Berlin gefällt‘ in die ratlose Festgesellschaft sprach. Für Lacher war gesorgt, doch ob es auch Marcelinho lustig fand? Eher nicht. Und wer sich sprachlich in seiner Umgebung nicht wohl fühlt, der bringt auch auf dem Platz keine Höchstleistung – glaubt jedenfalls der Dortmunder Linguist Uwe Wiemann. Sprache, Integration und Arbeit hängen ja zusammen, sagt er. Doch darum kümmere man sich bei den Vereinen zu wenig. Wiemann: In der Bundesliga gibt man Millionen für Spieler aus, aber an der Sprache wird gespart. Wie könne es sonst sein, dass Lizarazu nach vier Jahren in Bayern immer noch kein Deutsch spricht? Und dass Sammer seine Anweisungen lange via Dolmetscher an Evanilson weiterbrüllen lassen musste? Um die pädagogische Lücke etwas zu schließen, entwickelt Wiemann derzeit mit zwei Kollegen ein Sprachlehrbuch für Fußballprofis. Den Praxistest übernehmen dabei die ausländischen Spieler von Bayer Leverkusen und deren Betreuer Frank Ditgens. So haben die Linguisten bereits Feedback von Lucio, Franca, Placente und Juan bekommen: Die Spieler hatten sehr viel Spaß damit, freut sich Uwe Wiemann. Das ist keineswegs selbstverständlich, sagt er, denn hoch bezahlte Stars seien didaktische Sonderfälle und müssten mit den richtigen Themen an Deutsch herangeführt werden. Das richtige Thema: Fußball. Das falsche: Haushalt. Man kann Fußballern, die fürs Lernen ohnehin wenig motiviert sind, nicht mit Sockenstopfen kommen, sagt Wiemann. Von den gängigen Lehrmaterialien hatte dann auch Lucio irgendwann genug – er wollte sich nicht mehr von den Kollegen auslachen lassen, wenn er über Näharbeiten radebrechte.“

Omnipotenter Strippenzieher

Andreas Morbach (NZZ 14.10.) beglückwünscht Otto Rehhagel zu seinem „ungewöhnlichsten Triumph“: “Die schier endlose Erfolgsschleife in Bremen, die Meisterschaft mit Aufsteiger Kaiserslautern – alles schön und gut, aber eben in der Heimat erreicht. Jetzt jedoch arbeitet Rehhagel in Griechenland. In einem Land, dessen Sprache er nicht versteht, dessen Bewohner das Leben im Gegensatz zu ihm gerne scharf an der Grenze zur Anarchie absolvieren, und das dem Nationalteam etwa mit so viel Begeisterung begegnet wie ein Eiswürfel der Sonne. Schwierige Umstände. (…) Geschafft hat er es wieder einmal mit der zentralistischen Methode: Rehhagel als omnipotenter Strippenzieher, der in erster Linie gute Vasallen braucht. In Griechenland ist dies sein Assistent und Dolmetscher Ioannis Topalidis, der „ganz nahe bei der Mannschaft ist, während ich den Oberchef mache“, wie Rehhagel das System erklärt. Und Präsident Vassilis Gagatsis fügt bei: „Er hat mir vom ersten Tag an jegliche Unterstützung zukommen lassen.“ Gagatsis macht, was Rehhagel sagt, sagen die Griechen.“

Mit Hinblick auf das Wunder von Bern kommentiert Malte Oberschelp (SZ 14.10.) die Macht der Bilder: „Fünf Tage nach dem Finale kam der Film „Fußballweltmeisterschaft 1954“ von Sammy Drechsel in die Kinos, und er war geschnitten wie ein ran-Spielbericht: wenig Fußball, viel Kulisse. Nach der vergebenen Chance gab es mitfiebernde Zuschauer zu sehen, nach dem nächsten Spielzug den skeptischen Trainer – ein als Dokumentation verbrämter Spielfilm. Aus dem wiederum bedienten sich die Fernsehsender und sendeten jahrzehntelang die immer gleichen Szenen. Der künstliche Charakter der Bilder wurde dabei noch verstärkt, indem man sie mit Herbert Zimmermanns legendärer Rundfunkreportage unterlegte – eine Kombination, die es nie gegeben hatte. Durch die Nachsynchronisation wirkte das Ganze wie moderne Sportberichterstattung, mit der historischen Realität hatte es immer weniger zu tun. Als Rahn in der 84. Minute aus dem Hintergrund schießen müsste, gab es gar den Vorwurf, ein Teil des Materials stamme aus ganz anderen Szenen des Spiels. Der Sportjournalist Dieter Kürten berichtet in seiner Autobiografie „Drei unten, drei oben“, wie kein geringerer als Bundestrainer Sepp Herberger beim Studium der Bilder stutzig wurde: „Stopp! Das ist nicht das Tor vom Boss!“ Tatsächlich ist ausgerechnet das 3:2 schlampig inszeniert: Gerade als Rahn mit dem Ball am Fuß in den Strafraum eindringt, wird von Totale auf Nahaufnahme umgeschnitten. In der sieht man vom Spieler aber bestenfalls noch den Arm am linken Bildrand. Wir alle sind am 4. Juli 1954 Weltmeister geworden, aber wir haben Helmut Rahn nie wirklich schießen sehen. Das änderte sich erst, als die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor dem 50. WM-Jubiläum nach anderen Aufnahmen zu suchen begannen. Zum Pokalfinale der vergangenen Saison präsentierte die ARD vorab Farbaufnahmen, die das 3:2 in einem Rutsch zeigen. Aber auch die neuen Bilder irritierten: War der Rasen nicht viel zu grün, um echt zu sein? Warum sahen die roten Trikots der Ungarn fast schwarz aus? Sollte man nachkolorieren? „Wenn das ganze Spiel noch auf Film vorhanden wäre, wäre es nicht so ein Mythos geworden“, sagt der Sammler Johann Schlüper, der aus Archiven in Deutschland, Ungarn und der Schweiz mittlerweile 35 Minuten des Berner Finales rekonstruiert hat. Aber weil es davon immer nur so wenige Ausschnitte zu sehen gab, haben die vermeintlich authentischen Bilder längst die gleiche irreale, märchenhafte Qualität gewonnen, mit der Sönke Wortmann das Wunder von Bern im Zeitalter digitaler Postproduktion nun erneut aufgeführt hat.“

Evi Simeoni (FAZ 11.10.) erzählt: “Es war kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Stadion in Ismailia in Ägypten. Eine Mannschaft deutscher Kriegsgefangener spielte gegen die Sieger aus Großbritannien. Das war eine Atmosphäre! So begeistert wie damals habe er, der selbst zu den Gefangenen, aber nicht zum Team gehörte, nie wieder ein Fußballspiel verfolgt. Die Besiegten wollten natürlich unbedingt gewinnen. Und das taten sie dann auch. 3:2, das weiß ich noch genau. Sie hätten sogar einen Nationalspieler dabeigehabt. Er hieß Ma . . ., Ma . . . ach, es ist zu lange her. Die britischen Truppen hätten sie übrigens ihre Niederlage nicht büßen lassen. Die Engländer, das sind Sportsleute. Über solche Fußballspiele wird zwangsläufig immer weniger gesprochen. Doch keines außer dem Finale von 1954 hat für deutsche Zuschauer wohl je wieder eine solche Bedeutung gehabt wie diese Begegnungen ohne Titel und Pokale, die wahrscheinlich bis heute die Wurzeln der deutschen Fußballbegeisterung bilden. Nur noch im Archiv stößt man auf das legendäre weihnachtliche Match 1915 in der Nähe des nordfranzösischen Städtchens Lavantie zwischen einem bayerischen und einem walisischen Regiment während des grauenvollen Stellungskriegs im Ersten Weltkrieg. Da soll es plötzlich zaghaft aus den britischen Schützengräben gerufen haben: Hello, Fritz! Und aus den deutschen antworteten sie: Hello, Tommy! Wenig später wurde gekickt, und die Feinde balgten sich spielerisch im Schnee. 50 gegen 50, so ungefähr, das Ergebnis blieb unbekannt. Das Spiel wurde von einem englischen Offizier rüde beendet. Der Spaß durfte auf keinen Fall Schule machen. Das hätte die Wehrkraft zersetzt. Ein bitterer Gedanke.“

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Bundesliga

Unverzichtbarer Cardoso, die Arena AufSchalke: ein wirtschaftliches Risiko

Über den neu entfachten Machtkampf in Kaiserslautern berichtet Christian Zaschke (SZ 26.11.). „Zur Zeit kämpft der neue Präsident René C. Jäggi gegen den Aufsichtsrat des Vereins. Jäggi hat diesem jetzt erst einmal „Stillosigkeit“ und einen Satzungsverstoß vorgeworfen. Der Aufsichtsrat hatte seinerseits offenbar beschlossen, an Jäggi vorbei Karl-Heinz Feldkamp als Sportdirektor zu installieren. Diese Idee gilt in Fußballerkreisen als ungefähr so gut wie seinerzeit die Berufung Erich Ribbecks zum deutschen Nationaltrainer. Feldkamp lebt – wie damals Ribbeck – in Spanien und genießt dort sein Leben. Geht es nach René C. Jäggi, wird Feldkamp das auch weiterhin tun. Und es spricht einiges dafür, dass es beim 1.FC Kaiserslautern weiterhin so geht, wie Jäggi das will. Der Vorstandsvorsitzende hat mit Rücktritt gedroht, falls der Aufsichtsrat seine Pläne verwirklicht. Das ist eine massive Drohung. Ohne den Vorstandsvorsitzenden, so viel gilt als sicher, hätte der finanziell angeschlagene FCK Probleme bei den Banken. Jäggi gilt als Sanierer (…) Jäggis Macht beruht darauf, dass er von einer breiten Koalition gestützt wird. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck hat sich für den 53-Jährigen stark gemacht. Beck unterstützt mit 25 Millionen Euro Steuergeldern den Umbau des Fritz-Walter-Stadions, das Land und die Stadt haben Bürgschaften für den Verein übernommen. 2004 ist Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, die Opposition wittert bereits ein Wahlkampfthema. Selten wohl hatte ein Politiker ein so elementares Interesse am Erfolg eines Fußballklubs.“

Roland Zorn (FAZ 26.11.) schreibt. „Hans-Peter Briegel druckste am Telefon herum, als wollte er gar nichts sagen. Der frischgewählte stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende beim vermeintlich eben erst dem blanken Chaos entronnenen 1. FC Kaiserslautern rückte dann aber doch mit seiner Meinung heraus. „Ich wäre sicher dafür, daß Kalli Feldkamp zurückkommt“, sagte der ehemalige Fußball-Nationalspieler zum Thema des Tages beim schulden- und sorgenbeladenen Tabellenletzten der Bundesliga. Der ehemalige Meistertrainer und Chefmotivator der Pfälzer Fußballprofis soll nach Ansicht Briegels baldmöglichst „mithelfen, das sinkende Schiff zu retten, denn soviel ist klar: Ein Abstieg in die zweite Liga wäre für den Verein in jeder Hinsicht eine Katastrophe.“ (…) Briegel kündigte „für die nächsten ein, zwei Tage eine abgestimmte Antwort des Aufsichtsrats auf die Aussagen von Jäggi“ an, „denn wir sind am Sonntag angegriffen worden“. In der Lage, in der sich der Klub befinde, gehe es „nicht um den Trainer, den Herrn Briegel und den Herrn Jäggi, sondern nur um den Verein“. Jäggi, der sich sein weiteres Engagement in der Pfalz gewiß überlegen wird, habe die „von ihm erzeugten Turbulenzen jedenfalls in Kauf genommen“. Das Pfalztheater geht weiter, die nächste Vorstellung kommt bestimmt – bis der Vorhang ganz fällt.“

1860 München – 1. FC Nürnberg 2:2

Elisabeth Schlammerl (FAZ 26.11.). „Michael Weiner, dem Unparteiischen vom Sonntag, muß das Olympiastadion allmählich vorkommen wie ein verwünschter Ort. Vor zwei Wochen hat er an gleicher Stelle das Spiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund geleitet und dafür reichlich verbale Hiebe verpaßt bekommen. Der 33 Jahre alte Polizeibeamte aus Hildesheim hat bei seiner Rückkehr nach München nicht sehr viel falsch gemacht, jedenfalls nicht mehr als andere Schiedsrichter jede Woche auf anderen Plätzen, aber dennoch unglücklich agiert. Der Stein des Anstoßes war die Wiederholung eines Foulelfmeters in der 21. Minute. Sasa Ciric hatte im ersten Versuch getroffen, mußte aber noch einmal antreten, weil Weiner neben vielen Münchnern auch einen Nürnberger zu früh in den Strafraum stürmen sah. Hätte Ciric auch das zweite Mal getroffen und nicht am Tor vorbeigeschossen, hätte sich niemand über diese zwar regelkonforme, aber etwas kleinliche Entscheidung aufgeregt. Augenthaler hatte auch drei Gegenspieler im Strafraum gesehen, allerdings noch nie, „daß ein Schiedsrichter deshalb wiederholen läßt“. Die Nürnberger fühlten sich benachteiligt, denn zu diesem Zeitpunkt hatten sie schon 1:0 geführt und mit einem frühen zweiten Tor wäre die Partie vielleicht schon entschieden gewesen. So aber wurden die „Löwen“ stärker, ohne zu überzeugen. Die bessere Mannschaft, die stürmischere, spielfreudige war der 1. FC Nürnberg, aber die Offensivkräfte Cacau, Müller, Jarolim und Ciric vergaben ein halbes Dutzend Chancen. Die beiden Nürnberger Tore erzielte ein Verteidiger, einer ohne viel Profierfahrung dazu. Der 22 Jahre alte Thomas Stehle stahl in seinem 18. Bundesligaspiel den Etablierten im Team die Show.“

Volker Kreisl (SZ 26.11.) ist angetan vom Nürnberger Spiel. „Zu sehen war in München insbesondere ein Mittelfeld, das die Vorgaben für die Zukunft erfüllt: Die Defensiveren entlasteten die Abwehr und schnürten die Räume der Sechziger zu, die Offensiveren übernahmen die Bälle für kreative Darbietungen. David Jarolim tat sich rechts mit Rade Todorovic und links mit Lars Müller zusammen, gemeinsam spielten sie Doppel- oder Dreieckspässe und erwiesen sich geistig und körperlich schneller als 1860. Der 1. FC Nürnberg spielte elegant – bis zum Fünfmeterraum, der Zone der Dämonen. In fremden Stadien gab es eine derartige Nürnberger Überlegenheit bislang nicht zu sehen, neu war auch, dass dem Gegner zwar der Ausgleich, nicht aber der Sieg gewährt wurde. Der Club spielt immer besser, aber er wird noch lange gegen den Abstieg kämpfen.“

Bundesliga

Zu den Spekulationen um eine Rückkehr Fredi Bobics nach Stuttgart heißt es bei Marko Schumacher (NZZ 26.11.). „Nur bis zum Saisonende läuft Bobics Vertrag in Hannover, und Gespräche über eine Verlängerung will er erst dann führen, wenn der Klassenerhalt gesichert ist. Schon jetzt aber mehren sich die Anzeichen, der 31-Jährige könnte im Herbst seiner Karriere zurück nach Stuttgart wechseln. Aus seiner Liebe zum VfB hat Bobic nie ein Hehl gemacht. Wohl auch deshalb wurde ihm bei seinem Gastspiel am Samstag ein begeisterter Empfang bereitet. Die ganze Partie über wurde der einstige Publikumsliebling in Sprechchören gefeiert, und es schien, als wolle ihn der schwäbische Anhang zu einer Rückkehr an den Neckar geradezu drängen. Noch verweist der Sportdirektor Rüssmann auf leere Kassen – aber auch er wird sich überlegen, ob der jungen VfB-Mannschaft, die überraschend auf Platz drei liegt und derzeit der ganzen Republik als Vorbild in Sachen Nachwuchsarbeit dient, ein Leader vom Schlage Fredi Bobics nicht gut tun könnte.“

Michael Ashelm (FAZ 23.11.) analysiert die Position des VfB-Trainers. „Magath genießt mittlerweile in dieser Stadt eine hohe Popularität, seine Position beim Traditionsklub ist stärker als je zuvor. Die von ihm betreute Mannschaft gehört zu den positivsten Überraschungen der Saison, und vielleicht ist gerade der enge Zusammenhalt der „VfB-Familie“ das Geheimnis des Erfolgs dieser Tage bei der hochverschuldeten Fußball-Unternehmung (…) So einen starken Typen könnten sie hier in Stuttgart gebrauchen. Allein Bobic bringt an diesem Samstag 10.000 oder 15.000 Zuschauer mehr ins Gottlieb-Daimler-Stadion, heißt es. Da kann Magath derzeit mit seinen Mannen noch so tolle Arbeit abliefern und dem kränkelnden Betrieb wenigstens sportliche Erfolge bescheren, seiner Mannschaft fehlt ein unverwechselbares Profil, sagen Werbefachleute. Das Label der „Jungen Wilden“ reicht derzeit nicht aus, mehr Menschen anzuziehen und zu begeistern. Auch die schöne Serie im Uefa-Pokal bringt da keine Verbesserung. Mit einer erstarkten Ikone wie Bobic sähe das natürlich anders aus. So schließt VfB-Manager Rolf Rüssmann nicht aus, nochmals einen Anlauf zu unternehmen, den 31 Jahre alten Stürmer im nächsten Jahr aus Niedersachsen wegzulotsen. „Alles ist möglich“, sagt Rüssmann. Vor dieser Saison hätten die Stuttgarter vergeblich angestrebt, Bobic aus Dortmund zu verpflichten. Doch ihnen fehlte das Geld, „sonst wäre Fredi hier gewesen“, bestätigt Rüssmann.“

Uwe Marx (FAZ 23.11.). „Gerets gilt zwar als guter, engagierter Trainer, aber auch er kann nur auf das zurückgreifen, was er bei seinem Dienstbeginn Anfang September vorgefunden hat – und das ist wenig. Also hat er variantenreich versucht, die Wende zu erzwingen: mal mit erfahrenen Spielern, mal mit jungen, mal mit Thomas Hengen als Abwehrchef, mal mit Ciriaco Sforza, mal mit Koch im Tor, zuletzt, beim 3:5 in Bremen, mit dem jungen Tim Wiese. Geändert hat das alles nichts. Zu viele Spieler sind außer Form, und zu viele passen nicht zusammen. Von einigen will sich der Verein schon im Winter trennen; das hat der neue Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi bereits angekündigt. In einer nicht funktionierenden Mannschaft ist Sforza so etwas wie der Getriebeschaden in Person. Seit seiner Rückkehr Mitte August hat der Schweizer, der mit viel Geschick einen Anschlußvertrag als Sportmanager in Kaiserslautern aushandelte, noch kein gutes Spiel absolviert. Sforza, eine Hinterlassenschaft der alten Vereinsführung, wird gegen die Bayern, seinen früheren Verein, nicht spielen. Er sitzt eine Gelb-Rot-Sperre ab. Sein Platzverweis sei verantwortlich für die Niederlage zu zehnt in Bremen gewesen, sagte Gerets. Sforzas Beliebtheit innerhalb des Kaders hat das nicht gefördert.“

„Die Traditionsklubs 1860 München und 1. FC Nürnberg leiden: der eine am großen Nachbarn, der andere an der Glorie von einst“ erzählz Volker Kreisl (SZ 23.11.). „1860 und der Club verbindet mehr als der Streifen 30 Kilometer nördlich und südlich der Donau, in dem sie um junge Fans buhlen. Beide waren in den sechziger Jahren Deutscher Meister und haben daraus eine Verpflichtung. Beide sind danach sportlich bedeutungslos oder heruntergewirtschaftet worden. Beide wurden gerettet von geltungsfreudigen Präsidenten. In der Zwischenzeit mussten ihre Anhänger mit ansehen, wie andere abgestürzte Traditionsklubs in eigene große Arenen oder in die Champions League einzogen. Selber verharren beide im Mittelmaß, der Club im unteren, 1860 im gehobenen. 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser sagt, es sei undenkbar, neben dem FC Bayern ein großer Verein zu werden. Der Rekordmeister trainiert nur drei Häuserzeilen östlich und daraus wird gerne ein dunkler Schatten gemacht, der über dem Sechziger-Gelände liege (…)Der 1. FC Nürnberg hatte keinen Rekordmeister in der Nähe, der seine Entwicklung blockiert. Nürnbergs Rekordmeister-Dämon liegt in der Vergangenheit, bis 1987 hatte der Club ja die meisten Titel in Deutschland und viele Zuschauer hängen den Erfolgen der zwanziger Jahre nach. Die Nürnberger Spieler der Vergangenheit werden verklärt. Deshalb muss die Mannschaft, die heute von Klaus Augenthaler trainiert wird, hohe Hürden nehmen. Mal werden sie von den Fans auf den Händen getragen, mal nach der Rückkehr vom Auswärtsspiel mit Eiern beworfen.“

Jörg Marwedel (SZ 23.11.). „Zum beliebten Zeitvertreib der Statistiker ist es geworden, auch Fußballspiele in Strichlisten zu verwandeln. Emsige Zähler ermitteln etwa, wie viele Pässe der Spieler X gespielt und an den eigenen Mann gebracht hat. Das sagt, wie alle Zahlenwerke, alles und nichts. Dem Statistiker ist nämlich egal, ob ein paar dieser Pässe den Gegner in arge Not gebracht haben, oder ob es sich um risikolose Routinearbeit handelte. Jetzt gibt es, dem Fachmagazin kicker sei Dank, eine Statistik mit verblüffender Aussagekraft. Sie erzählt uns fast alles über die Mannschaft des Hamburger SV und den Spieler Rodolfo Esteban Cardoso, 34. Nämlich: In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat der HSV in 68 Spielen ohne Cardoso 72 Punkte geholt, was mageren 1,05 Punkten pro Spiel entspricht; die 19 Spiele, in denen Cardoso mitwirkte, erbrachten dagegen 35 Punkte, also 1,78 pro Begegnung. Hochgerechnet bedeutet dies: Hätten die Hamburger sämtliche Spiele ohne Cardoso bestritten, wären sie dreimal in den vergangenen vier Jahren abgestiegen. Die Quote mit Cardoso wiederum hätte immer für einen Uefa-Cup- Platz gereicht. Einmal, als er praktisch die komplette Saison 1999/2000 durchspielte, qualifizierte sich der HSV sogar für die Champions League. Selten ist die Abhängigkeit einer Mannschaft oder gar eines ganzen Klubs von einem einzigen Spieler so eindrucksvoll belegt worden. Selten aber hat ein Klub auch so fahrlässig auf einen Profi gebaut, der eigentlich schon Invalide wäre, hätte er nicht immer weiter gekämpft.“

„Wenn der Kredit der Fans verlorenginge, würde es kritisch“, schreibt Christian Eichler (FAS 24.11.) über die Wirtschaftlichkeit der Arena AufSchalke. „Es ist das modernste Stadion Europas, eine Arena fürs 21. Jahrhundert, eine Zeit, in der ein Fußballklub wie andere Unternehmen gar nicht genug wissen kann über seine Kunden. Wer dabei ein bißchen an Orwell denkt, ist in der falschen Arena. Für Orwell war Fußball „ein Krieg ohne Schießen“. Genau das ist er im Fußball der Zukunft, dem sie in Schalke ein Zuhause geben, schon lange nicht mehr. Ein friedlicher Ort, hell und zaunlos (…) Spieler und Schiedsrichter haben sich immer noch nicht gewöhnt an die atmosphärischen Bedingungen im großen Druckkochtopf des Fußballs. Der Überdruck von 1,6 Milliarden Kubikmetern Luft entlädt sich durch bauliche Ventile wie den Schlitz im Schiebedach. Doch für die Akteure da unten ist die Arena dichter, drückender, drängender als andere. Die Schalker mußten lernen, nicht überzukochen. Noch heute passiert das manchmal, wie gegen Leverkusen vor zwei Wochen, als das reizbare Verhalten mancher Spieler an Tropenkoller erinnerte. Noch schwerer haben es die Schiedsrichter. Trainer Neubarth wirft ihnen gar vor, eher gegen Schalke zu entscheiden, um ja nicht dem Druck der Arena nachzugeben (…) Im Parkstadion (Vorgänger der Arena, of) hing der Besuch vom Wetter ab, der Durchschnitt lag bei 38.000. In die Arena kommen fast immer 60.600. Zum alten Fan-Publikum hat sie das neue Fun-Publikum geholt. Das sind die Konsumenten mit Gespür fürs Kultige, mit Spaß am Spektakel (…) Fußball funktioniert; das teure Wörtchen heißt „multifunktional“. Die Entcheidung, die Arena nicht nur für Fußball auszurichten, war kostspielig und bleibt es. Die Zahlen zeigen: Die Kernkompetenz subventioniert die Löcher im Nebengeschäft (…) Weil Fußball eine Religion ist, muß auch der blau-weiß umrahmte gläserne Palast, der sich im industriellen Brachland zwischen Schalke und Buer als einträglicher Tempel des Schalker Glaubens erhebt, die kleinen, peinlichen Sentimentalitäten pflegen. Kinder werden in der Arena-Kapelle getauft. Ehen werden in der Arena-Außenstelle des Standesamtes Gelsenkirchen geschlossen. Dabei weiß jeder echte Fan, daß der dauerhafte Bund des Lebens der mit Schalke ist.“

Thomas Klemm (FAS 24.11.) kommentiert die Schiedsrichterdebatte. „Bei manchen Kommentatoren hat es den Anschein, als ob sie vor lauter Nabelschau blind für ihre Umwelt geworden sind. Immer wieder heißt es, gerade in der Bundesliga ließen Spieler und Trainer jeglichen Respekt vor den Unparteiischen vermissen, seufzend ergänzt um die Behauptung: Italien, Spanien, England – ihr habt es besser! Oder gar: Ihr seid besser! Doch der angebliche „deutsche Weg“ entspringt auch einer Portion Verklärung. Verdrängt oder vergessen scheint das jüngste Treffen der Fußballkulturen in Asien, als die Schiedsrichter und ihre Assistenten auch – und zu Recht – in der Kritik standen. Gerade die hierzulande als diszipliniert im Umgang mit den Unparteiischen gelobten Südeuropäer hielten ihr Temperament nicht im Zaume, attackierten die Schiedsrichter nicht nur verbal: Die folgenreich benachteiligten Italiener warfen Schiedsrichter Moreno nach dem Aus gegen Südkorea „Komplott“ und „Korruption“ vor, die ebenfalls dem Mit-Gastgeber unterlegenen Spanier wetterten nicht minder gegen die Unparteiischen, versuchten, handgreiflich zu werden. Der Portugiese Joao Pinto wurde sogar nach einer Tätlichkeit gegen Schiedsrichter Sanchez von der Fifa gesperrt. Vorkämpfer für Fairplay und Vorbilder für gegenseitigen Respekt sehen anders aus.“

Jürgen Ahäuser (FR 23.11.) wirft dazu ein. „Mit ihm an der Seitenlinie geht ein Ruck durch Deutschland einig Fußball-Land. Kein Meckern, kein Grimassen schneiden, keine Beleidigungen mehr. Nur noch die armen Dienstmägde Jesu Christi werden respektvoller miteinander umgehen als die Kickerzunft in diesem unserem Lande. So jedenfalls haben es sich die Funktionäre gedacht, die mit beachtlicher Geschwindigkeit auf die außer Kontrolle geratene Balltreter-Szene reagierten und den vierten Schiri aus dem Hut zauberten. Viel mehr als eine Beruhigung an der Außenlinie, was dringend notwendig ist, und ein paar fromme Wünsche werden aber nicht übrig bleiben. Valium für das Fußballvolk. So lange in den Kicker-Köpfen steckt, dass Schiedsrichter blind und irgendwie minderbemittelt sind, so lange Fehlentscheidungen der Unparteiischen als Frevel am Fußball angeprangert werden, so lange wird die Respektlosigkeit bleiben. Schiedsrichter, die falsch entscheiden, sind (und bleiben wahrscheinlich) die Idioten. Fußballer, die das leere Tor nicht treffen, sind einfach nur Menschen.“

Christian Eichler (FAZ 23.11.). „Gesucht wird: die Zukunft der deutschen Linken. In der Mitte Ideenstau. Rechts Überangebot. Und links? Böhme. Manchmal Ziege. Früher Bode. Oder Tarnat. Vielleicht bald gar ein gewisser Münch. Dem stellte ein Reporter die anatomisch interessante Frage: „Wie sehen Sie als Linksfuß die Lage der deutschen Nationalmannschaft?“ Ja, wenn die Füße Augen hätten, die könnten was erzählen! Die Lage der Nation jedenfalls ist so, daß sich, in einer anderen Liga, Kollege Lafontaine wieder für linke Positionen ins Gespräch bringt. All das sind bestimmt fähige Profis. Aber leider meist nicht mal mit Stammplatz im eigenen Heimteam. Offensichtlich wird: Seit Marx und Engels, Rahn und Overath hat die deutsche Linke kein Weltniveau mehr erreicht. Zusammenhänge zwischen Fußball und Politik mögen mitunter zufällig sein. Doch geschah es auffällig knapp nach der Wahl, daß Rudi Völler klagte: „Wir haben keinen klassischen Linksfuß.“ Klassische Linksfüßer waren zum Beispiel Kafka, Nietzsche, Goethe, Einstein. Klassische Rechtsfüßer dagegen Walter, Beckenbauer, Matthäus, Sammer. Der deutsche Fußballstar als solcher ist gebürtig Rechtsfüßer. Nur zur Beimischung in Weltmeisterteams waren auch linke Vögel nötig: Rahn 1954, der Rechtsaußen, der mit linker Klebe traf; Overath 1974; Brehme 1990, der links spielte und schoß, aber den WM-Elfmeter rechts verwandelte. „Linksbeiner“ nennt die Fachliteratur das gesuchte Phänomen. Das klingt nach aussterbender Gattung auf deutscher Wildbahn. Auf der wuchs nie ein Maradona oder Puskas. Aber auch in anderen Sportarten kamen deutsche Heroen stets über rechts. Graf und Becker brauchten den linken Arm nur zum Ballwurf. Schmeling fällte Louis mit der rechten Geraden. Selbst Ferrari-Schumi, bei dem es egal wäre, ist Rechtshänder (…) Im Fußball wiederum haben die Rechtsfüßer dank beidbeiniger Ausbildung die Arbeit der Linksfüßer oft gleich mit übernommen. Ein Zidane oder Ballack schießt links wie rechts. Eine Studie zeigte, daß Topspieler bei einer Torchance keine Zeit darauf verschwenden, das Lieblingsbein zu suchen. Dennoch, der Linke wird gebraucht. Die Wissenschaft bescheinigt ihm strategisches Denken, vernetzte Wahrnehmung, Phantasie, Individualismus – Talente, ohne die Fußball langweilig wird. Tröstlich, wenn man mit dem Mangel nicht allein dasteht. Bei der EM 2000 mußte der Engländer McManaman rechtsfüßig auf links spielen, das Aus kam in der Vorrunde. Warum, erklang die Frage auf der Insel, verschwinden die Linksfüßer? Als eine mögliche Ursache wurde genannt: die evolutionären Folgen des Linksverkehrs. Klarer Fall von Rechtsunsicherheit.“

Zweite Liga

Zur komfortablen Situation von Eintracht Frankfurt lesen wir von Thomas Kilchenstein (FR 26.11.). „Dass der Klub, der im Sommer mit eineinhalb Beinen schon in der Amateurliga stand, finanziell unterbelichtet, momentan derart gut in der Tabelle positioniert ist, ist allein das Verdienst des gelernten Karosseriebauers. Reimann, der sich nach seiner Karriere als Bundesligaprofi (Hamburger SV, Hannover 96) als Trainer beim Landesligisten SC Egenbüttel erste Meriten verdiente, hat binnen kurzem ein Team zusammengefügt, das funktioniert und Erfolg hat. Es kommt wieder an beim Publikum, wirkt sympathisch und ehrlich. Er hat es fit gemacht, taktisch wie konditionell (…) Eintracht Frankfurt ist in der Zweiten Liga angekommen mit allem, was dazu gehört: Kampf, Engagement und der Fähigkeit, im Notfall den Ball auch mal auf die Tribüne zu schlagen. Dazu genießt der Coach großen Respekt bei der Mannschaft, in der es, wie Uwe Bindewald findet- auch einer, der schon immer da ist – „so harmonisch zugeht wie lange nicht mehr“. Bild nennt ihn schon „Wunder-Willi“. Reimann, Typ harter Hund, legt viel Wert auf Ordnung, Fleiß und Disziplin, die guten, alten deutschen Tugenden eben, und wenn einer dagegen verstößt, wie David Montero, früher Stammspieler, dann senkt der „eiserne Willi“ den Daumen. Montero hat seine Zukunft bei Eintracht Frankfurt hinter sich, trotz angespannter Personaldecke. Dazu schafft es der Fußball-Pädagoge durch seine spröde, von Grund auf bodenständige, unaufgeregte Art jedwede, gerade in Frankfurt sehr leicht aufkommende Euphorie zu bremsen. Wer von Aufstieg spricht oder Eintracht Frankfurt als Spitzenmannschaft bezeichnet, kriegt regelrecht Ärger mit ihm.“

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Internationaler Fußball

Olympique Lyon, Serbischer Beckham

Themen: Überraschender Kantersieg im italienischen Pokalfinalhinspiel – Olympique Lyon französischer Meister – Parallelen zwischen der politischen Entwicklung Serbiens und dem dortigen Fußball – Beckham goes Armani

Eine nie dagewesene Schmach, ein surreales Ergebnis

Birgit Schönau (SZ 22.5.) berichtet einen überraschenden Kantersieg im Hinspiel des italienischen Pokalfinals. „Carlo Ancelotti muss eine Vorahnung gehabt haben. Als die 60.000 AS-Rom-Fans im Olympiastadion ihre Vereinshymne sangen, trällerte der Milan-Trainer einfach mit. „Das ist eine besondere Hymne“, gestand Ancelotti später. „Einige meiner Spieler haben sie auch gesungen.“ Alessandro Nesta wohl nicht, der war mal Kapitän von Lazio Rom. Nesta, einer der Superstars von Milan, saß auf der Bank. Neben ihm Andrej Schewtschenko. Maldini, Seedorf und Inzaghi waren gleich in Mailand geblieben, Kräfte sammeln für das Champions-League-Finale gegen Juventus Turin kommende Woche. Nach Rom hatte Ancelotti die Formation Milan due mitgebracht, gegeben wurde ja bloß das Final-Hinspiel um den Italien-Pokal, da musste die Reservemannschaft reichen. In der Hauptstadt waren sie empört. Für die Roma, die nach einer sehr durchwachsenen Saison aus der Champions League vorzeitig ausgeschieden war und in der Meisterschaft auf Platz acht festsitzt, bedeutete der Einzug ins Pokalfinale die Chance zur Rettung der Saison. Im Halbfinale war der Lokalrivale Lazio in zwei spektakulären Derbys geschlagen worden, nun fieberten Mannschaft und Tifosi ihrem Match des Jahres entgegen. Und da schickten die Snobs aus Mailand nur die Reserve! In dem guten Dutzend lokaler Radiosender, die sich in Rom ausschließlich mit Fußball beschäftigen, machten sich die Fans Luft. Im Stadion entrollten sie ein Spruchband: „Ihr habt nur die Mode, wir die Geschichte.“ Ein Glück, dass angesichts der Ewigkeit Roms die 90 Minuten vom Dienstag Abend wie ein Lufthauch erscheinen werden. Milan zwei schlägt Roma eins 4:1, eine nie dagewesene Schmach, ein surreales Ergebnis.“

Das französische Real Madrid

Jean-Marie Lanoë (NZZ 22.5.) gratuliert Olympique Lyon zur französischen Meisterschaft. „Einerseits empfingen 7000 Supporter ihr Team in der Nacht auf Mittwoch frenetisch. Andererseits liess sich der zurückhaltende Trainer Paul Le Guen, der im Alter von 38 Jahren als viertjüngster Trainer in der Geschichte der französischen Eliteliga die wichtigste nationale Trophäe gewonnen hatte, auf Schultern tragen. Für den Bretonen, der als defensiver Mittelfeldstratege bei Paris-SG seine grössten Erfolge als Spieler verbuchen konnte, ist die Genugtuung umso grösser, als der Weg zum Titel speziell für ihn ein sehr steiniger war. Dazu trug die “Altlast” bei, die ihm der momentane Nationalcoach Jacques Santini in Form des Meistertitels im vergangenen Jahr hinterlassen hatte. Dann aber auch der Umstand, dass Le Guen hinter Perrin (bei Marseille), Halilhodzic (Rennes, ab nächster Saison P-SG) und Bölöni nur vierte Wahl war, als er im vergangenen Frühjahr in die zweitgrösste Stadt Frankreichs berufen wurde. OL erwarb sich in der ersten Saisonhälfte unter Le Guen den Ruf eines „französischen Real Madrid“. Mit dem ausgeprägt offensiv ausgerichteten Mittelfeld Dhorasso/Carrière/Juninho wurden wohl Tore fast am Laufband erzielt, aber die Abwehr unter Edmilson schlug allzu oft Leck. Die Ambivalenz dieser Ausrichtung zeigte sich auch in der Champions League, in der beispielsweise dem späteren Halbfinalisten Inter in zwei Matches vier Punkte abgetrotzt, aber auch die taktischen Limiten gegen Ajax aufgezeigt wurden. Die Monate Dezember und Januar wurden dann gar zur ernsthaften Nagelprobe für Le Guen. Sein Ensemble scheiterte im Uefa-Cup, in den die Lyonnais nach dem Ausscheiden aus der Champions League verbannt worden waren, am mediokren türkischen Verein Denizlispor. Im Januar bedeuteten im französischen Cup die Amateure von Libourne Saint-Seurin Endstation. Mitverantwortlich für die Baisse war die langwierige Adduktorenverletzung des Tore-Garanten Anderson. Die Rückkehr des brasilianischen Goalgetters und taktische Umstellungen im Mittelfeld (Violeau in der defensiven Zentrumszone und Dhorasso als Mann des ersten Passes vor die Abwehr nominiert) zeitigten ihre Wirkung. Seither hat der neue Meister nie mehr verloren.“

Sven Gartung (FAZ 22.5.) resümiert. „Mit Lyon, Marseille, Bordeaux und Monaco haben sich zum Ende der Meisterschaft in der zwanzig Vereine umfassenden Liga wie erwartet die etablierten Klubs mit den großen Budgets und den stärksten Spielerkadern auf den für die europäischen Wettbewerbe wichtigen Plätzen festgesetzt. Jenseits aller Erwartungen liegt Paris Saint-Germain mit Weltmeister Ronaldinho: Nach zahlreichen Eskapaden, die sich Mannschaft und Trainer Luis Fernandez leisteten, war die Folge Mittelmaß. PSG kam nicht weiter als bis auf Platz neun. Auch AJ Auxerre spielte entgegen der Prognosen nie ernsthaft um die Meisterschaft mit. Letztlich fielen auch die vom deutschen Trainer Gernot Rohr famos geführten Aufsteiger aus Nizza aus der Spitzengruppe bis auf Platz acht zurück.“

Fußballgeschichte kann das politische Leben im heutigen Jugoslawien illustrieren

Dragan Velikic (FAZ 21.5.) zieht Parallelen zwischen der politischen Entwicklung Serbiens und dem dortigen Fußball. “Zu Titos Zeiten und noch zehn Jahre danach figurierte die jugoslawische Nationalmannschaft im internationalen Fußball als prestigeträchtiges Team, obwohl sie bei Europa- und Weltmeisterschaften niemals große Erfolge erzielte. Dennoch wurde sie von allen respektiert, denn sie war ein unangenehmer Gegner und konnte auch die beste Auswahl überraschen. Aber in der Praxis überraschte sie meist sich selbst, indem sie auch solche Spiele verlor, bei denen sie unangefochtener Favorit war. Jugoslawische Nationalspieler kickten in den berühmtesten europäischen Clubs, sie waren echte Größen, häufig sogar Stars, aber die höchste Errungenschaft der Nationalmannschaft war der vierte Rang bei einer Weltmeisterschaft. Die Ursache dafür ist nicht leicht zu ergründen, aber es ist eine interessante Tatsache, daß die Spieler auf der Bank oft besser waren als die, die auf dem Feld herumrannten. Diese Fußballgeschichte kann das politische Leben im heutigen Jugoslawien illustrieren. Der Nukleus der serbischen Mafia ist nicht zufällig im Fußball entstanden. Arkan übrigens, der serbische Al Capone, von Milosevic zum Patrioten ernannt und ein Führer der paramilitärischen Banden, die in Kroatien, Bosnien und im Kosovo wüteten, war Ende der achtziger Jahre Anführer der Fußballfans von Roter Stern Belgrad. Nicht zufällig erbaute er seine Villa gegenüber dem Stadion. Wenn wir den Fußball auf das politische Leben von Milosevics Jugoslawien übertragen und die Reservebank mit der Opposition identifizieren, können wir sagen, daß die fähigsten Politiker länger als zehn Jahre aus dem Spiel waren und dubiose Spieler das Land auf dem politischen Terrain vertraten und sein Schicksal bestimmten. Man sollte nicht vergessen, daß all das vor vollen Stadien ablief, daß also Publikum da war. Und daß auch die schlechten Spieler ihre Fans hatten.“

Philipp Selldorf (SZ 21.5.). „Beckhams Leistungen auf dem Fußballplatz mögen gelegentlich schwanken, aber in modischen Dingen ist er eine Autorität. Deshalb trägt Englands Nationalelf künftig eine Kollektion von Giorgio Armani. Dem besagten Treffen in London mit dem italienischen Modedesigner wohnte außer dem Flankengott aus Manchester ein qualifiziertes Gremium bei: Nationalkeeper David James, seit Jahren nebenberuflich auf Laufstegen tätig, die schicken Verteidiger Sol Campbell und Rio Ferdinand und der mit einem Mannequin liierte Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson. Man war sich einig, und jetzt starteten Beckham und Freunde zum ersten Mal in ihrer neuen Uniform zur großen Länderspielreise, mit Ziel Südafrika. Versehen mit maßgeschneidertem marineblauem Anzug, perlgrauem Knopfkragen-Hemd, Krawatte, Schuhen, Gürtel, Unterwäsche und natürlich der erwähnten Strickjacke aus Kaschmir. 4.000 Pfund sind pro Mann dafür fällig. Sicherlich wird es ein erhebender Anblick sein, wie die seit Paul Gascoignes First-Class-Eskapaden berüchtigtsten Flugreisenden des Fußballs in ihren Luxusklamotten die Bordbar plündern und anschließend feierlich zertrümmern. Im allgemeinen ist man in England mit der Wahl zufrieden. Es hätte wahrlich schlimmer kommen können, denn Beckhams Geschmack birgt Gefahren. Öffentliche Auftritte in indonesischen Gewändern sowie in der Unterwäsche seiner Frau ließen ganz andere Möglichkeiten zu. So hält sich der Spott in Grenzen, und es heißt, dass Armanis Aufgabe darin bestehe, das Team neben dem Platz besser aussehen zu lassen als auf dem Platz.“

TV-Tipp! 3sat sendet heute ab 22.25h einen Themenabend zum FC Basel. Mit seinen legendären Fußballnächten in der Champions League hat der Schweiter Meister landesweite Begeisterung ausgelöst.

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