Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Schalke wirbt um Kevin Kuranyi – Jan Šimak ist in Hannover unten durch
Jan Christian Müller (FR 12.11.) kommentiert die anhaltenden Wechselgerüchte um Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel (VfB Stuttgart): “Der ungeheure sportliche Erfolg kommt wie ein Bumerang in Form spürbar höherer finanzieller Forderungen der Kuranyi, Hinkel, Hildebrand und Kollegen zurück. Die wirken mit Gehältern von deutlich unter einer halben Million Euro im europäischen Spitzenvergleich nämlich gnadenlos unterbezahlt und können künftig durchaus das Vierfache erwarten. Zumal dann, wenn einer wie Rudi Assauer mit dem Dukatenesel durchs Land zieht und bestimmt nichts dagegen hätte, seinem neuen Intimfeind Felix Magath, von dem er sich bei den Vertragsverhandlungen im Sommer nicht zu Unrecht benutzt fühlte, eins auszuwischen. Das gesteigerte Interesse der in- und ausländischen Konkurrenz am eigenen, gereiften Nachwuchs birgt für den VfB jedoch auch eine veritable Chance: Er könnte sich mit einem Schlag sanieren. Als Trainer hat Felix Magath viel geleistet in Stuttgart. Als Manager bislang nur in eigener Sache.“
Schalke würde am liebsten Real Schalke heißen
Christof Kneer (BLZ 12.11.) hat das Gefühl, dass die Fußball-Welt Kopf steht: “Hat man Dortmund nicht immer doof gefunden, weil die den Kapitalismus erfunden haben? Musste man nicht Stuttgart nachtragen, dass es von MV regiert wurde? War Schalke nicht der Meister der Herzen? Und heute? Heute spielen in Dortmund junge Burschen, die Gambino und Senesie heißen. Heute muss man den VfB lieben, weil er so eisgekühlt schönen Fußball spielt. Und Schalke gibt sich alle Mühe, dem anderen Verein aus der Nähe von Lüdenscheid den Kapitalismus zu klauen. Der FC Schalke 04 ist der Meister der Schmerzen, er quält die Liga, wo er kann. Erst hat er Werder Bremen, dem zweiten Lieblingsteam der Liga, hinterrücks die Spieler Ailton und Krstajic entwendet, worauf eine Umbenennung in Werder 04 drohte. Nun könnte es sein, dass der Klub bald als VfB Schalke firmiert; den Stuttgarter Hinkel locken sie schon lange, den Stuttgarter Kuranyi seit neuestem auch. Die Wahrheit hinter der Wilderei ist, dass der Klub am liebsten Real Schalke heißen würde. Der Klub hat einen Trainer, der früher einmal am Hofe des richtigen Real angestellt war, aber leider hat dieser Jupp Heynckes eine Mannschaft, mit der er nicht einmal den SC Freiburg schlägt. Das Gute an der bösen Tat ist also, dass man die Fleddereien auch als gigantisches Bekenntnis zum Trainer werten kann.“
Argwohn in Hannover
Jörg Marwedel (SZ 12.11.) bemerkt, dass Jan Šimak in Hannover seinen Kredit verspielt habe: „Die vermeintlich schöne Botschaft von den Genesungsfortschritten des seit dem 20. September wegen eines „Erschöpfungssyndroms“ krank geschriebenen Spielers löste allerdings das Gegenteil von Freude aus, nämlich Ärger. Wortmeldungen aus dem Lager Šimaks werden bei seinem Arbeitgeber Hannover 96 inzwischen als gezielte Störung aufgefasst. Oder, so formuliert es Carsten Linke, Šimaks zum Manager-Novizen aufgestiegener ehemaliger Kollege, als „reine Taktik“. So wolle man offenbar dem Eindruck entgegenwirken, der Profi tue zu wenig für seine Gesundung, wofür es genügend Indizien gebe. Den Argwohn haben nicht nur Fernsehberichte geschürt, die Šimak beim Besuch eines Vergnügungsviertels in seiner Heimat zeigten, sondern auch die bislang eher spärlichen Sitzungen mit seinem Psychologen Hans-Dieter Hermann. Über sporadische „Telefon-Therapie“ wird gespottet, während Leutrum von forcierten Bemühungen spricht, und Hermann sagt: „Wir sind auf einem guten Weg, aber die Eingliederung in das Berufsleben ist ein weiterer Schritt.“ Die Wahrheit ist so schwer zu ergründen wie Šimaks wahres Krankheitsbild, das laut Hermann nicht, wie zunächst vermutet, unter den Begriff Depressionen fällt, und dessen Ende von den Medizinern offen gelassen wird. Die vielen Rätsel machen es der Vereinsführung offenbar unmöglich, Verständnis für Šimak aufzubringen. Längst besteht dort Konsens darüber, dass der begabte Fußballer selbst bei einer baldigen Rückkehr nicht mehr ins Team integrierbar sei (…) Dabei wusste man in Hannover schon seit Šimaks erstem Gastspiel bei den „Roten“, das er 2002 trotz diverser Eskapaden als Held des Bundesliga-Aufstiegs beendete, um dessen Labilität. Damals, so beschreibt es ein Insider bildhaft, habe Rangnick den antriebsarmen Genius „morgens aus der Kneipe geholt, ihm den Geldbeutel geordnet und dafür gesorgt, dass er zum Training und zum Spiel kommt“. Täglich fünf Stunden habe der Trainer dem Tschechen gewidmet, der ihm deshalb „die paar glücklichen Fußballmomente im Leben zu verdanken“ habe. Als Šimak zurück kehrte, hat er sich eine solche Rundumversorgung dann verbeten – und ist womöglich daran gescheitert.“
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Jörn Andersen, Trainer von RW Oberhausen – falsche und veraltete Trainingsmethoden in der Bundesliga – neuer Ausraster von Michael A. Roth
Am Rande der Fußballidyllen Dortmund und Schalke
Ulrich Hartmann (SZ 6.10.) widmet sich der Aufgabe Jörn Andersens in Oberhausen: „In der Vereinsgaststätte von Rot-Weiß Oberhausen hören sie am liebsten WDR4. Gute-Laune-Radio mit Schlagern und Schnulzen. „Heute haben wir Zeit, Morgen ist unendlich weit“, schmalzte Vicky Leandros dort aus den Lautsprechern, als Jörn Andersen Ende der Woche sein Mittagessen einnahm. Bei Eintopf mit Kartoffeln und Hackfleisch hat er erzählt, dass er eines Tages gerne norwegischer Nationaltrainer wäre. Es müsse auch wunderbar sein, fand er, den FC Bayern München zu trainieren. Er wolle schließlich voran kommen und nicht auf ewig Trainer bei RWO bleiben. Seit drei Monaten gibt Jörn Andersen, 40, den Übungsleiter beim Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen. Für die zweite Hälfte seines Fußball-Lebens hat sich der frühere Torjäger eine Karriere als Trainer vorgenommen. Es gibt allerdings Unwägbarkeiten auf dem Weg in den siebten Himmel: zum Beispiel Oberhausens Fußball-Boss Hermann Schulz. Der Bauunternehmer hat binnen fünf Zweitliga-Jahren bereits sechs Trainer vor die Tür gesetzt. In Oberhausen ist Morgen nie unendlich weit (…) Man setzt in Oberhausen auf jüngeres Personal und auf einen juvenilen Trainer, der ein offensives System etablieren soll. „Ich gucke erst im November auf die Tabelle“, sagt Schulz so generös wie bedrohlich. Dabei ist der Klassenerhalt, wenn man dem Vereinsboss glauben darf, dramatisch wichtig für Rot-Weiß Oberhausen. „Wenn wir absteigen, werden wir die Lizenz für die Regionalliga erst gar nicht beantragen“, sagt er. „Unsere Alternativen heißen: Zweite Liga oder Breitensport.“ Schulz fürchtet sich nach sechs harten Zweitliga-Jahren vor der teuren und unattraktiven Regionalliga. In diese graue Mischung aus Hoffnung und Apokalypse ist Jörn Andersen nun hinein geraten. 243 Bundesligaspiele hat er bestritten, ehe er 1995 in die Schweiz ging, um erst in Zürich zu spielen und dann in Locarno und Luzern Trainer zu werden. Mit seiner Frau, seinen Kindern und einer sehr genauen Vorstellung vom offensiven 4-4-2-System ist Andersen nun nach Oberhausen gezogen, in jene Stadt, die am Rande der Fußballidyllen Dortmund und Schalke liegt und in der man bei Heimspielen nur auf 4000 Zuschauer kommt. Trotzdem ist der neue Job für Andersen eine große Sache.“
Gerd Schneider (FAZ 7.10.) kann es nicht fassen: „Man kann nun wirklich nicht behaupten, daß Michael A. Roth, der Präsident des Fußball-Traditionsklubs 1. FC Nürnberg, mit seinen Analysen häufig ins Schwarze träfe. Aber so daneben wie am Sonntag lag der umstrittene Club-Patriarch schon lange nicht mehr. Ich habe eine Pistole samt Waffenschein und würde einigen (Spielern) am liebsten das Hirn durchpusten, so zitierte ihn die Nürnberger Abendzeitung nach dem 1:2 gegen den VfB Lübeck. Den Club-Profis sei geraten, vorsichtshalber in Deckung zu gehen und den Kopf einzuziehen, falls Roth erscheint. Auch wenn mancher Schuß nach hinten losgeht.“
Trainingsmethodik scheint nicht auf dem neuesten Stand zu sein
Joachim Mölter (BLZ 7.10.) verneint die gängige Auffassung von der Überlastung der Profis: „Am nächsten Sonnabend ist nur ein Länderspiel, aber danach geht es bis Ende Oktober im Drei-Tages-Rhythmus weiter. Das wird wieder ein Wehklagen geben unter den Fußball-Profis: Belastungsgrenze erreicht! Unzumutbar!! Egal, wie gestresst die Kicker auch sein mögen: Sie werden nicht müde zu betonen, wie müde sie doch sind, und das schon im Herbst, wo die Saison gerade begonnen hat. Beim stets vorauseilenden FC Bayern haben sie bereits vor drei Wochen angefangen, über die Strapazen zu klagen, bezeichnenderweise nach der 2:3-Niederlage in Wolfsburg. Es ist tatsächlich ein Dauerthema, das zum Überdruss werden könnte, meint der Sportmediziner Wilfried Kindermann, lange Internist des Nationalteams. Volker Finke, Trainer des Freiburger SC, war die Jammerei schon vor zwei Jahren zu viel. Bei einer Tagung des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer fand er: Andere Sportarten lachen uns teilweise aus. Grund dazu hätten sie: In anderen Mannschaftssportarten hier zu Lande wird mehr gespielt als im Fußball – und weniger gejammert. Warum das so ist, weiß keiner. Vergleicht man Meisterschafts- und Pokalbegegnungen, europäische Wettbewerbe, Länderspiele und WM- oder EM-Turniere, dann können deutsche Eishockey-Profis in dieser Saison auf rund hundert Einsätze kommen, rund ein Drittel mehr als die Kicker (69). Nur die Volleyballer werden ähnlich wenig beansprucht. Im Hockey, sagt dessen Sportdirektor Lutz Nordmann, werden in Spielzeiten vor Olympia bisweilen vierzig, fünfzig, sechzig Länderspiele bestritten, freilich nicht alle als offizielle (…) Es gibt keine vergleichenden Studien über die unterschiedlichen Intensitäten in den einzelnen Disziplinen, weitgehend ist man sich aber darin einig, dass im Fußball viel Ausdauer gefordert ist. In den meisten anderen Sportarten ist indes mehr Tempo im Spiel, Handball-Bundestrainer Heiner Brand vergleicht da gern mit dem Ski-Langlauf: Der Sprint und die 50 Kilometer sind beides extreme Belastungen, halt jeweils anders geartet. In einer Studie zur Leistungsphysiologie im Fußball kamen Kindermann und sein Kollege Tim Meyer zu der Erkenntnis, dass Fußball-Profis während eines Spiels zwischen sieben und dreizehn Kilometer zurücklegen. Eine Zahl, die von Außenstehenden bezweifelt wird. Dann müsste einer ja hundert Mal die Seitenlinie rauf- und runterrennen, rechnet Nowitzkis Betreuer Holger Geschwindner vor: Die meisten gehen doch nur spazieren. Da hat er sogar Recht: Fußballspieler bewältigen zwei Drittel ihrer Laufstrecke gehend oder trabend, nur etwa zehn Prozent sprintend. Was also gibt es zu jammern? Die Herbstmüdigkeit der Fußballer lässt sich auf drei Gründe zurückführen. Die Trainingsmethodik scheint nicht auf dem neuesten Stand zu sein.“
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Stimmen zur Lage des FC Bayern München
Harry Nutt (FR 6.11.) analysiert exzellent das Vereinsleitbild des FC Bayern. „Suchte man nach einem signifikanten Ausdruck der gegenwärtigen sozialen Befindlichkeit, so fände man ihn vielleicht in den Gesichtszügen des Münchner Fußballlehrers Ottmar Hitzfeld. Mit jeder Falte widerspricht der Trainer seiner eleganten äußeren Erscheinung, mit der er unlängst auf dem Modelaufsteg für eine Marke mit dem Image passabler Mittelmäßigkeit eine gute Figur machte. Äußere Standfestigkeit, Professionalität und Pflichtgefühl ließen Hitzfeld in den vergangenen Tagen jedoch als Sorgenmännchen der Nation auftreten, obwohl doch bloß ein paar Fußballspiele nicht ganz nach Wunsch verlaufen sind (…) Die Krise des FC Bayern München, die im sportiven Unterhaltungsgewerbe als handelsübliche saisonale Ware im Sortiment geführt wird, verhandelt hierzulande stellvertretend die Paradoxien des gewerblichen Leistungsstrebens. Immer noch Spitzenreiter, gibt die Millionentruppe von der Säbener Straße ein Passionsspiel vom Niedergang ohne erkennbare Zeichen von Leidenschaft. Glanzloses Siegen, das weiß man in Fußballmünchen, ist nur der Anfang einer anderen Qual. Und das muss etwas zu bedeuten haben für dieses Land. Das ideelle Gesamtensemble Bayern München konnte seit jeher als Parallelaktion eines Modells Deutschland gelesen werden, das als Marke hinaus trat in die Welt, um doch als lokales Handwerksprodukt identifiziert zu werden. Weltmaßstab und provinzieller Rückraum sowie rücksichtsloses Gewinnstreben und ein an Familienstrukturen orientierter Korporatismus bildeten die Koordinaten, in die die Fans ihre Gefühlswerte eintragen konnten. Bayern-Bettwäsche und Allianz-Arena beschreiben seither die emotionale wie ökonomische Verfasstheit eines expandierenden Unterhaltungskonzerns, der sich in ständiger Unruhe befindet und in dem doch alles so bleibt wie es ist. Die wärmenden Bindekräfte der Tradition werden im Münchner Modell ebenso geboten wie die kalten Triebkräfte wirtschaftlicher Rationalität. Seit den späten sechziger Jahren war Bayern München ein Symbol einer doppelten bundesrepublikanischen Haushaltsführung. Hohe soziale Mobilität bei gleichzeitiger Selbstverpflichtung auf Herkunft nahmen im Münchner Fußballclub Bayern eine quasimonarchische Repräsentationsform an, während die sportlichen Erfolge stets von Egalität und Dynastie gekennzeichnet waren, die nach Belieben von bräsiger Gemütlichkeit auf selbst verleugnerischen Drill umgeschaltet werden konnten. Eine Art bayerischer Doppelpass.“
Gerhard Pfeil (Der Spiegel 4.11.) beschreibt die nunmehr eingetretene Erkenntnis der Bayern-Verantwortlichen, „dass der geplante Entwicklungsprozess des deutschen Rekordmeisters, der Umbruch vom Mittelständler zum Konzern, fürs Erste krachend gescheitert ist. Über Jahrzehnte war der familiär strukturierte FC Bayern stolz darauf, mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln Clubs wie Manchester United oder Real Madrid Paroli bieten zu können. Der Gewinn der Champions League 2001 dient als Beweis, dass auch konservative Vereinspolitik – wenn das Schicksal es gut meint – zum Ziel führt. Um sich aber auf Dauer im Konzert der Großen zu etablieren, so die vorherrschende Meinung in der Vorstandsetage, war mehr Risiko vonnöten. Hoeneß plünderte das Festgeldkonto (…) Dass da ein deutsches Unternehmen der Sportunterhaltungsindustrie zum Sprung auf Weltniveau ansetzte, fand die werbetreibende Wirtschaft ganz prima. Doch nun, nach dem internationalen Aus, landet der FC Bayern in einer neuen Wirklichkeit. War der Club in den vergangenen Jahre vornehmlich aus Imagegründen zum Gewinnen verdammt, gerät er nun aus wirtschaftlichen Zwängen unter Erfolgsdruck. Einnahmeverluste von rund 30 Millionen Euro brutto sind nach dem Scheitern in der Champions League zu beklagen. Der teure Spielerkader ist für einen Verein ohne internationale Einsätze überdimensioniert. Als wäre er nun ein ganz gewöhnlicher Bundesligist, tritt der FC Bayern erstmals seit langer Zeit ohne das wohlige Gefühl eines dicken Bankkontos als Sicherheitspolsters an.“
Christoph Biermann (taz 7.11.) ist die Schadenfreude über die Bayern-Krise vergangen. „Kölner mögen sich die Hände reiben, wenn Leverkusen scheitert, Fans von St. Pauli bereiten Pleiten des HSV Vergnügen und umgedreht. Aber die Bayern? Längst ist der Klub auf einen fernen Planeten übergesiedelt. Seine Krisen werden verhandelt, als würde es gerade Daimler-Benz an den Kragen gehen und der Wirtschaftsstandort Deutschland endgültig geschlossen werden (…) Die Debattierzirkel im Fernsehen sind während der KRISE DES FC BAYERN zu Geisterbahnen geworden, die Schaudern auslösen. Da randalieren die üblichen Verdächtigen unter Anführung von Paul Breitner über die Kanäle, dass es nur so ein Stumpfsinn ist. Neben Breitners gedoptem Blut-und-Boden-Gefasel darf sich Lothar Matthäus um Kopf und Kragen reden. Franz Beckenbauer gar wurde zur Chimäre eines bösen Drogentraums. Hinter seinem Sofathron loderte der Kamin und vorne im Bild erigierte uns ein Mikrofon des Bezahlsenders entgegen, der des Kaisers Gerede halbexklusiv hat. Man muss schon ein Herz aus Stein haben, um im Angesicht solchen Irrsinns nicht augenblicklich Mitleid zu entwickeln. Wie werden Ottmar Hitzfelds Magenwände diesen Terror überstehen? Findet Oliver Kahn den Weg in diese Welt zurück? Wird Karl-Heinz Rummenigge bald mit irrem Blick durch die Wälder irren? Ist das noch Fußball oder schon offene Psychiatrie – mit Breitner als sadistischem Pfleger? Das ganze Vergnügen an Pleiten, Pech und Pannen in München ist einem dadurch natürlich gründlich verdorben. Fast will ich schon, dass die Bayern endlich wieder gewinnen. Am besten sogar von Sieg zu Sieg eilen und mit 45 Punkten Vorsprung deutscher Meister werden. Damit endlich Ruhe ist! Damit die Kinder sich nicht mehr erschrecken und schlecht schlafen, weil wieder dieser Breitner im Fernsehen war und mit glühenden Augen von leeren Köpfen gefaselt hat. Nein, den FC Bayern kann man nicht verhöhnen, weil man damit in schlechte Gesellschaft gerät.“
Frank Ketterer (taz 6.11.) fasst den Saisonstart der Münchner zusammen. „Die Jagd ist eröffnet, und zum lustigen Medien-Hallali geblasen wird freilich nicht nur auf Kahn, den ebenso weltbesten wie kotzbrockigsten Torhüter, sondern auf so ziemlich alles, was berufsmäßig das Bayern-Trikot trägt oder sonst irgendwie mit dem Verein zu tun hat. Dass Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld dabei im Epizentrum des Orkans steht und von den Medien längst schon zum Abschuss freigegeben ist, folgt nur den Gesetzmäßigkeiten der Branche. Zwar hat Hitzfeld den FC Ruhmreich noch vor eineinhalb Jahren zu einem seiner größten Erfolge, dem Gewinn der Champions League, geführt, nun aber, so heißt es, habe er sich doch in den Mühlen des Alltags aufgerieben, verbraucht irgendwo zwischen Mailand und Wolfsburg. Wie sonst hätte der FCB in diesem Jahr schon in der Vorrunde der Champions League scheitern können, und das auch noch sieglos, wo er, geblendet von den nicht selten erduselten Erfolgen der Vorjahre, doch längst mindestens das Erreichen des Viertelfinals als standesgemäß erachtet? Mindestens! Das wird natürlich als „eine Blamage“ empfunden, als „Schande“, wie Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende der Bayern AG, sogleich in bester Kaiser-Manier firlefranzelte. Aber, ach Gott: Was ist denn so schändlich daran, ein Fußballspiel gegen La Coruña zu verlieren oder den AC Mailand, zwei internationale Top-Mannschaften, und das auch noch, zumindest teilweise, unter – gänzlich bayernuntypisch – unduseligen Umständen? (…) Dass die Bayern zum Bundesligastart die Lederkugel phasenweise ganz gefällig und, zumindest in der Liga, auch durchaus erfolgreich übers Grün getreten haben, mag beim ein oder anderen für vorfreudige Verblendung gesorgt haben; bei manchem Vereinsoberen war dieser Zustand freilich gar schon vor Rundenbeginn eingetreten. Etwa bei Karl-Heinz Rummenigge, der vom „Weißen Ballett“ schwadroniert hatte, als das der FC Bayern künftig über die Fußballfelder Europas ziehen werde. Damit hat er nicht nur die Erwartungshaltung an die Mannschaft in nahezu unerfüllbare Höhen gejagt, sondern gleichsam den fußballerischen Paradigmenwechsel postuliert, dem die selbsterklärten Fußballschöngeister aus der Führungsetage, zuvorderst Rummenigge selbst sowie der allgegenwärtige Kaiser Franz, ihren Verein so gerne unterwerfen würden: Der FC Bayern soll künftig nicht mehr nur erfolgreichen, sondern auch noch schönen Fußball spielen. Schwanensee statt Polka. Bisher ist die Mannschaft mit diesem Ansinnen lediglich in die Krise getanzt – und in die Schlagzeilen.“
Philipp Selldorfs (SZ 6.11.) Formbarometer. „Willy Sagnol, 25: Sein drittes Jahr bei Bayern ist sein mit Abstand schlechtestes. Zuletzt ein Nervenbündel in der Abwehr, nach vorn regungs- und wirkungslos. Weigert sich bis heute, die Mannschaftssprache Deutsch zu sprechen.“
„Bayern boxt“ Tsp
Zur vermeintlichen Bedeutung des Siegs für Trainer Hitzfeld heißt es bei Thomas Becker (FR 8.11.). „DFB-Pokal! Ein Wettbewerb, der in der Wahrnehmung des Lichtgestalts-Präsidenten Franz Beckenbauer wahrscheinlich überhaupt nicht existiert, eine zweite Runde ja erst recht nicht. Und dann: Hannover! Ein Team, das vor ein paar Monaten, als der FC Ruhmreich noch Weltpokalsieger war, sich mit Reutlingen, Oberhausen Co in den Untiefen von Liga zwo rumtrieb. Ein solches Spiel soll wichtig sein für einen Ottmar Hitzfeld, als Trainer deutscher Meister und Super-Cup-Gewinner 95 und 96, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 97, Deutscher Meister 1999, 2000 und 2001, DFB-Pokalsieger 2000, Ligapokal-Sieger 1998, 1999 und 2000, Champions-League-Sieger und Weltpokalsieger 2001. Aber: Das Spiel war verdammt wichtig für ihn. Er gewann. 2:1. Halleluja! Ein Sieg, der die Panik beim FCB und den angehörigen Boulevardblättern nur ein wenig dämpfen wird. Zu harm- und ideenlos die bayerischen Krisen-Kicker, zu großzügig der gegebene Fast-Kein-Foul-Elfmeter, zu lustlos der ebenbürtige Aufsteiger aus Hannover (Trainer Rangnick: „Hier war mehr drin“), zu peinlich der Auftritt von Oliver Kahn in der Schlussminute, als er unnötig einen Strafstoß verursachte. Und doch gewonnen: Die Rückkehr der Dusel-Bayern.“
Aus den letzten Tagen
Auf deutschen Sportseiten dreht sich momentan alles um die Situation bei Bayern München und „den seit Wochen unaufhaltsamen Niedergang einer Mannschaft, die als weißes Ballett in die Saison schwebte, sich in falscher Hoffnung zu Traumtänzern entwickelte und in Bremen nur noch wie eine Stolpertruppe vom Lande durchs Weserstadion irrlichterte“, wie die FAZ ungewohnt streng urteilt.
Während die sportliche Durststrecke dieses Klubs im Herbst 2001 hauptsächlich die Position des damaligen Führungsspielers Stefan Effenberg schwächte, sieht sich derzeit allerdings Trainer Ottmar Hitzfeld nach der erneuten 0:2-Niederlage in Bremen den Zurechtweisungen seitens des Boulevards, den so genannten TV-Experten und anderen Narren ungeschützt ausgesetzt. Wie nicht anders zu erwarten, tritt in solchen Zeiten so mancher Gernegroß als Kritiker in Erscheinung; und blamiert sich dabei so gut er kann. Das Ärgerliche daran ist, dass die nunmehr besserwissenden Breitner, Matthäus Co. dem renommierten Hitzfeld nicht im Ansatz das Wasser reichen können, zumal sie im Traineramt bisher nichts geleistet haben.
Darüber hinaus – und das ist für ihn viel fataler – ist der erfolgreichste Vereinstrainer des letzten Jahrzehnts in den Machtkampf der bayerischen Führungsriege geraten; und dort zwischen die Mühlsteine der persönlichen Eitelkeiten. Mit Hoeneß und Rummenigge hat der kürzlich von diesen aus dem Tagesgeschäft gedrängte Beckenbauer nämlich noch eine Rechnung offen. Der Moment der Schwäche, auf den der Degradierte gewartet hat, ist nun gekommen. Dabei scheint er nicht davor zurückzuscheuen, Hitzfeld für eigene Begierden und Einflusszugewinne zu opfern.
Zur Situation von Hitzfeld lesen wir von Michael Horeni (FAZ 5.11.). „Der Mathematiklehrer Hitzfeld hat sich ein Bewertungssystem geschaffen, nach dem er die Beiträge der alten Münchner Meister über den Fußballlehrer Hitzfeld ordnet. Ganz unten auf der Kritikerrangliste befindet sich sein derzeit schärfster öffentlicher Ankläger und gnadenloser Richter in Personalunion, Paul Breitner. Weltmeister zwar, aber sonst nichts geleistet und nur fürs Stänkern bezahlt, da kümmert sich der Bayern-Trainer nicht um Parolen, die da lauten: Angsthasen-Fußball unter Hitzfeld, der Trainer muß weg. Eine kleine Stufe über Breitner – aber immer noch ziemlich weit unten – rangiert für ihn Lothar Matthäus. Weltmeister und Weltrekordnationalspieler zwar, aber als Trainerneuling gescheitert – auch da hört Hitzfeld kaum hin, wenn Matthäus in Bremen über teilnahmslose Bayern-Profis spricht. Was dagegen Udo Lattek, einst einer der erfolgreichsten Trainer der Welt, zu sagen hat, findet Hitzfeld durchaus bedenkenswert. Lattek stellte fest, daß mit dem Abschied von Stefan Effenberg die Hierarchie der Bayern-Mannschaft zusammengebrochen sei, der Trainer die verfehlte Einkaufspolitik nicht allein zu verantworten habe, aber seine Arbeit dennoch wohl nur auf Abruf erledigen könne – bis die Bayern einen Nachfolger gefunden haben. An der Spitze der Münchner Meinungshitparade steht, wie es sich gehört und niemand wundert, der Fußball-Kaiser (…) Was Hitzfeld so fein auseinanderhalten wollte, läßt sich im Münchner Meinungs-, Beziehungs- und Intrigenstadl aber nie und nimmer trennen. Breitner poltert dort, wo auch Beckenbauer als Kolumnist sein Geld verdient, aber derzeit schweigt. Da sich Beckenbauer als Aufsichtsratsvorsitzender vom Vorstandsvorsitzenden Rummenigge und Manager Hoeneß aus dem Tagesgeschäft gedrängt fühlt – auch wenn er diese Rolle mal anstrebte –, spart Beckenbauer auch nicht mehr an Spott und Kritik am Führungsduo, während Kapitän Kahn die Haudraufkritiker Beckenbauer und Rummenigge gegen den Schweiger Hoeneß ausspielt. In dieser Münchner Personalityshow als schwächstes Mitglied unbeschadet zu bleiben ist ein Kunststück, das Hitzfeld nicht mehr vollbringen wird.“
Michael Horeni (FAS 3.11.) erkennt „viele Zeichen, daß Oliver Kahn für den FC Bayern zu einem Rätsel geworden ist. „Mit ihm stimmt etwas nicht, irgend etwas paßt ihm nicht, das merkt man“, sagte Franz Beckenbauer schon vor gut zwei Wochen. Aber was? Der FC Bayern ist jedoch offenkundig bis heute nicht dahintergekommen, und das ist vielleicht das größte Versäumnis des Klubs in dieser Saison. Oliver Kahn hängt zwar ohnehin der Meinung an, daß – von höheren Mächten abgesehen – nur einer in der Lage ist, ihn zu verstehen: Oliver Kahn. Der Torwart vermittelt für viele allzuoft den Eindruck, daß sein Leben ein bißchen zu außergewöhnlich geraten ist, um es zu verstehen, wenn man dieses Leben nicht selbst lebt. Aber irgendwie kennt man diese Tragik ja schon seit der Antike: Titanen und Cesaren sind einsam. Wenn nicht alle Zeichen trügen, befindet sich Kahn aber tatsächlich in einem Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt – und er darum weiß. Nicht nur Teamchef Rudi Völler ist der Meinung, daß der Gewinn der Champions League im vergangenen Jahr ohne Kahn nicht möglich gewesen wäre für den FC Bayern. Trotz der exzellenten Führungskräfte, trotz der Finanzkraft, trotz der großen Macht, über die der Münchner Rekordmeister verfügt – der Erfolg hängt von einzelnen Spielern ab, und Kahn ist sich seiner Rolle und seiner Verantwortung vollkommen bewußt.“
Wie könnte eine mögliche Zukunft Hitzfelds aussehen? fragt sich Joachim Mölter (FAS 3.11.). „Mit solch einem Lebenslauf muß man sich um die Zukunft keine Sorgen machen, sollte man meinen. Ottmar Hitzfeld aber macht sich offenbar welche. Manchmal erweckt er sogar den Eindruck, richtiggehend Existenzangst zu haben. Auf der anderen Seite: Wo will einer denn auch schon hin, wenn er mal beim FC Bayern München gearbeitet hat? In der Bundesliga ist das das Ende, da geht nichts mehr drüber, da kommt nichts mehr. Wer in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Trainer beim FC Bayern engagiert war, hat sich danach entweder zur ruhe gesetzt (Udo Lattek), ist ins Ausland gegangen (Jupp Heynckes, Sören Lerby) oder irgendwo Nationaltrainer geworden (Erich Ribbeck in Deutschland, Otto Rehhagel in Griechenland, allerdings erst nach einem Intermezzo in Kaiserslautern). Der Posten des deutschen Bundestrainers, für den Ottmar Hitzfeld nach der EM-Pleite im Jahr 2000 im Gespräch war, ist nun langfristig besetzt von Rudi Völler. Da bliebe Ottmar Hitzfeld wahrscheinlich nur noch die Rückkehr in die Schweiz, wo er vor seinem Engagement in Dortmund jahrelang als Spieler und Trainer beschäftigt war. Dort ginge es zwar gemütlicher und friedlicher zu als beim umjubelten und umtrubelten FC Hollywood München – aber ob sich das mit seinem bekannten Ehrgeiz verbinden ließe? Für den General bedeutet Friede Frust.“
Andreas Burkert (SZ 5.11.) beleuchtet die Lage der Münchner. „Der FC Bayern ist nicht nur der Pfau des deutschen Fußballs, das Feindbild für seine Konkurrenz. Sondern längst auch ein Wirtschaftsunternehmen, dem nur Titel ordentliche Rendite garantieren. Noch wird Hitzfeld durch seine Reputation und den Mangel einer Alternative geschützt. Dennoch wird er vermutlich nur dann das Saisonende in München erleben, wenn rasch der Erfolg wiederkehrt. Wenn seine nicht von allen im Klub goutierte Variante der sensiblen Menschenführung nicht weiter Schaden anrichtet. Wenn die eklatante Vakanz auf den Führungspositionen einer Star-Auswahl, die er erschaffen durfte, vom Comeback der mannschaftlichen Geschlossenheit ausgeglichen wird. Überhaupt ist Hitzfeld in den nächsten Wochen auf Unterstützung angewiesen. Von der sportlichen Leitung, und von seinen Spielern. Die Wende im Alleingang zu erzwingen, dazu ist er nicht mehr in der Lage. Dafür hat sich seine Wirkkraft zu sehr abgenutzt, und Hitzfeld sollte diesen logischen Vorgang akzeptieren.“
Zur Niederlage in Bremen schreibt Michael Horeni (FAZ 5.11.). „In Bremen jedenfalls war rein gar nichts von einstiger bayerischer Stärke oder Widerstandskraft in der Krise zu sehen. Alle Appelle Hitzfelds an die Kampf- und Leistungsbereitschaft drangen zu den Spielern nicht mehr durch. Anstatt einer Trotzreaktion war bei den Bayern in der ersten Halbzeit nur Hilflosigkeit zu besichtigen, nach dem Wechsel Harmlosigkeit. Einige Spieler hielten dem Druck offensichtlich nicht stand (…) Neben der aktuellen Einstellung, die sich um fundamentale Notwendigkeiten im Bundesligafußball nicht mehr kümmert, haben die Bayern offenbar auch einen Kampf der Kulturen in ihren Reihen auszufechten. Wir haben unterschiedliche Philosophien von Fußball, sagte Linke, und es ist nicht schwer zu erraten, welche Tugenden der knorrige Verteidiger für die richtigen hält – und welche Philosophie die neuen kreativen Kräfte wie Michael Ballack und Zé Roberto aus Leverkusen zu ihren ehemaligen Bayer-Kollegen und brasilianischen Landsleuten mitgebracht haben. Der Bayer-Virus vom schönen Fußball als Ende der Münchner Erfolgsgeschichten?“
Andreas Burkert (SZ 5.11.) meint dazu. „Hitzfelds erstaunliche Zuversicht und seine öffentliche Gelassenheit sind derzeit die einzigen unumstößlichen Werte im Herbststurm, welcher das prachtvolle Gebilde einer vermeintlich großen Mannschaft recht herzlos eingerissen hat. Diese Mannschaft, das hat ihr verzweifelter Auftritt von Bremen manifestiert, sie liegt in Trümmern, und niemand weiß wirklich, wie die Renovierung gelingen könnte, nicht einmal Oliver Kahn, gewöhnlich ein überzeugender Vertreter der Immer-weiter-immer-weiter-Theorie (…) Einen Fortschritt haben die Bayern in Bremen dennoch gemacht, einen kleinen: Sie lamentieren nicht mehr. Niemand verfluchte nach der angemessenen Niederlage durch die Tore von Daun und Krstajic übergeordnete Mächte. Die Münchner waren in allen Anklagepunkten geständig: Kahn hat nun endgültig zugegeben, dass er sich in einer Sinnkrise befindet und als Leitfigur derzeit nicht zu gebrauchen ist , und seine Kollegen hadern nicht mehr über vergebene Chancen. Weil es ja kaum welche gibt. Gegen den kompakten SV Werder, zuvor viermal nicht siegreich, sah man nach der Pause nur Hargreaves und Santa Cruz in einer Szene, die Puristen als Torgelegenheit durchgehen ließen. Der Rest wirkte wie das kalkulierte Bemühen, kein Disziplinarverfahren wegen Arbeitsverweigerung zu riskieren.“
Zur Diskussion um Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld wirft Wolfgang Hettfleisch (FR 4.11.) ein. „Dankbarkeit aber darf der leitende Angestellte nicht erwarten. Für einen Topklub wie die Bayern sind Trophäen schon am Tag, nachdem sie von glückstrunkenen Mannsbildern in den Himmel gestemmt wurden, kaum mehr als schmucke Staubfänger. Die Vergangenheit, in diesem Metier doch so oft und gern beschworen, ist nichts weiter als ein Steinbruch für wohlfeile Legenden. Er wird bevorzugt dann aufgesucht, wenn jemand schweres Material benötigt, um es einem anderen über den Schädel hauen zu können. Und so kann der November-Hitzfeld 2002 dieser Tage wahrhaftig seinem eigenen Mythos begegnen – in Stein gemeißelt, von anderen drohend über seinem Haupt geschwungen. Einer muss selbiges ja hinhalten, wenn die Dinge nach den überaus strengen Maßstäben der Bayern-Verantwortlichen aus dem Ruder laufen. Hatte nicht Hitzfeld freie Hand, anzuheuern, von wem auch immer er sich sportliche Rendite versprach? Hat nicht der 53-Jährige vor dieser Saison in Michael Ballack den torgefährlichsten deutschen Mittelfeldspieler und in Zé Roberto die höchste in der Liga verfügbare B-Note bekommen (…) Einem anerkannten Meister seiner Kunst, einem mit vielen Meriten und tadelloser Reputation, schießt man nicht auf offener Bühne in den Rücken. Da gibt es andere Möglichkeiten. Fortwährendes Geschwätz kann töten. Kaltblütiges Schweigen auch. Im Fußball und in etlichen fälschlich Redaktion geheißenen Garküchen drumherum sind derlei Techniken vertraut. Und Mathe-Lehrer Hitzfeld kann allemal zwei und zwei zusammenzählen. Was da um ihn herum läuft, ist die Inszenierung seines angekündigten Todes. Trainer-Mord auf Raten.“
Daniel Pontzen (Tsp 4.11.). „Die Sympathien der meisten Münchner gehören ohnehin 1860. Selbst in Zeiten, als der Marienplatz dem Meister zu Ehren alljährlich in tiefem Rot versank und Sechzig in der Bayernliga der SpVgg Plattling und dem TSV Ampfing trotzte, war das nicht anders. Auch der Vergleich der sportlichen Führung spricht derzeit nicht für die Bayern. Beckenbauer, nach der AG-Umwandlung aus dem Tagesgeschäft verdrängt, geißelt wortreichalles und jeden, der an der Säbener Straße Verantwortung trägt. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Manager Uli Hoeneß verweigern beharrlich Rückendeckung für den Trainer. Geordnete Kompetenzverteilung sieht anders aus. Etwa so wie bei 1860: Ein Organigramm der Entscheidungsgewalt beim TSV 1860 ließe sich mit einem Kreis und einem darin stehenden Namen darstellen. Mit dem von Karl-Heinz Wildmoser. Der Präsident, der für seine kickende Belegschaft regelmäßig charmante Kosenamen wie „Haubentaucher“ oder „Halberwachsene“ erfindet, herrscht in großmütiger Gutsherrenart an der Grünwalder Straße. Jüngst ließ er verkünden: „Der Peter Pacult, der kann doch froh sein, dass er einen Bundesligisten trainiert.“ Dabei macht Pacult – nimmt man Beckenbauers Forderungen zum Maßstab – seine Sache sehr manierlich. „Ich als Trainer würde es als große Herausforderung ansehen, mal einen jungen Spieler auszubilden und den in die erste Mannschaft zu bringen“, moserte der einstige DFB-Teamchef in Richtung Hitzfeld – ein Vorwurf, der Pacult kaum zu machen ist. Bedingungslos setzt der Österreicher auf junge Spieler wie Martin Stranzl, Remo Meyer und vor allem Benjamin Lauth, der bereits als nationaler Hoffnungsträger gehandelt wird. Owen Hargreaves und Roque Santa Cruz dagegen, erwiesenermaßen ausgestattet mit erheblichem Talent, haben selbst nach drei Jahren im Bayern-Kader noch keinen Stammplatz.“
Detlef Dresslein (Tsp 2.11.) beschreibt die Münchner Stadtmeisterschaft. „Es sind dies die Tage des stillen Genießens für alle Fans des TSV 1860 München. An der Säbener Straße, beim stets so superioren FC Bayern, findet ein Inferno statt, blamiert man sich sportlich wie administrativ. Und das ewig im Schatten stehende weiß-blaue Münchner Fußball-Unternehmen von der Grünwalder Straße ist derweil unbemerkt auf Platz drei der Bundesliga-Tabelle geklettert. Für gewöhnlich dürfen sich die Sechziger wie ein überflüssiges Anhängsel fühlen. Bestenfalls beachtet man sie, wenn es darum geht, ein neues Stadion zu bauen. Sonst wird der TSV 1860 vom FC Bayern ignoriert. Was ja fast schon schlimmer ist, als bekämpft zu werden. Aber im Gegensatz zu den Bayern hat der TSV 1860 in dieser Saison alles richtig gemacht. Und das mit weit weniger finanziellem Aufwand und ohne überhöhte Erwartungen zu wecken. Trainer Peter Pacult spricht nie vom besten Kader aller Zeiten. Ob er das ist, sei dahingestellt. Ein guter ist es auf jeden Fall.“
Thomas Becker (FR 2.11.) erkennt einen Emanzipationsprozess. „Diesen Möchte-Gern-FC-Bayern, die früher nur ins Fernsehen kamen, weil sie ein Rumpelstilzchen auf und vor allem vor die Trainerbank platziert hatten? Wegen ihres Präsidenten, der nicht nur eine Gaststätte hatte, sondern auch eine heftige, gern auch öffentlich schwankende Männerfreundschaft zu eben diesem Rumpel-Trainer? Die in den vergangenen acht Jahren (mit einer Ausnahme: Rang vier im Jahr 2000) stets im Tabellen-Niemandsland zwischen sieben und 14 landeten. Die lange vor allem wegen des kleinen, säbelbeinigen Ex-Weltstars und seiner untreuen Manager-Gattin in der Zeitung standen. Deren kaum mehr als 20.000 Fans wieder zurück ins kuschlig-baufällige Grünwalder Stadion wollen, bald aber mit den ungeliebten großkopferten Nachbarn vom FC Ruhmreich in den schon vor Grundsteinlegung gehassten Kaiser-Palast in Fröttmaning ziehen müssen. Dieser so offenkundig merkwürdige Verein scheint sich gemausert zu haben. Hat einen Trainer (meist auf der Bank), der zwar ein bisschen komisch redet (er ist Österreicher), sich aber nicht aufführt, sondern still seine Philosophie von Fußball umsetzt, statt wie ein Angeschossener durch die Gegend zu blaffen (…) Pacult, dem etwas zäh wirkenden Wiener, trauten viele nicht allzu viel zu. Zu lange hatte er als Co-Trainer unter Lorant gedient und wohl auch gelitten. So wundert es nicht, dass die Emanzipation langsam von statten ging. Doch wer sich heute den Löwen-Kader anschaut, findet darin Namen und Geburtsdaten, die es unter Lorant nie gegeben hätte.“
Martin Hägele (NZZ 4.11.) zum Spiel Werder-Bayern (2:0). „Wenn ein Goalie beim Herauslaufen die Kugelverfehlt, werden ihm die Folgen schon automatisch angekreuzt. Dass die Fehler und Aussetzer ihres Captains ausgerechnet in jener Phase treffen, da im Kader des FC Bayern nach Männern gesucht wird, die Verantwortung übernehmen, verschärft die eh schon kritische Situation noch mehr. Nun gibt es gar keine feste Grösse mehr, dafür jene Experten, die schon länger behaupten, Kahn, im Sommer zur überragenden Persönlichkeit der WM gewählt, habe seither nur noch seinen Kult und Status gepflegt. Statt jene Paraden zu zeigen, die den Gegner zermürben und das Selbstbewusstsein der Kollegen steigern. Umgekehrt kann solch ein Prozess fatale Folgen haben: Die Werder-Professionals haben nämlich keineswegs überragend gespielt. Doch das Gefühl, dass den Bayern diesmal ein Anführer fehlte, einer, der sich richtig gegen die Niederlage stemmt, machte sich schon bald auf dem Platz und auf den Rängen breit. Hitzfeld, Kahn und Co. steht nun eine harte Woche bevor. Alle werden sie nun an den trotzigen Parolen ihres Torhüters gemessen, der nach dem Aus in der Champions League verkündet hatte: „Jetzt zählt nur noch das Double.“ Teil eins des Saisonziels kann sich bereits am Mittwoch erledigen, wenn mit Hannover 96 und Goalgetter Bobic ein äusserst ambitioniertes Team im Olympiastadion aufkreuzt.“
Gewinnspiel für Experten
Champions League
Anti-Star in Badeschlappen
Oliver Kahns Innenleben und „Allmachtsphantasien“ (FAZ); Roy Makaay, „Anti-Star in Badeschlappen“ (FAS); David Beckham, die „Queen von Madrid“ (FAZ); “Vorne hilft Raúl, hinten der liebe Gott“ (FAZ) u.v.m.
Champions League
Claudio Klages (NZZ 10.3.) läutet das Spiel zwischen Real und Bayer nein: „Wieder sind die Deutschen Aussenseiter, und trotzdem spricht auch einiges für sie. Auf dem Weg zum Gipfel im europäischen Fussball muss der Gastklub eine besonders heikle Aufgabe bestehen, und entsprechend wurde das ballspielende Personal in den vergangenen zwei Wochen mit Lobeshymnen überschüttet. Grossen Fussball hätten die Bayern im Hinspiel gezeigt, die Wende zum Guten sei eingetreten, ja Real Madrid sei auseinander genommen worden, Werder Bremen im eigenen Land schon bald eingefangen. Arroganz, wo früher Krisenstimmung herrschte. Schön gesagt. Aber beweisen, ob Real im Kühlschrank Olympiastadion tatsächlich so schwach und Bayern so stark gewesen war, lässt sich erst am Mittwoch in der Endabrechnung. Denn wer wollte besten Wissens aus dem Teilerfolg der Bayern (oder nicht viel eher Reals?) schon einen Gesamtsieg ableiten? Die Art und Weise, wie heutzutage Spitzenfussballer mit dem Spiel umgehen, zeigte sich deutlich im ersten Vergleich in München: Meist dominieren so lange wie möglich Sicherheitsstrategien, bestimmt die Taktik das Geschehen. So kommt es zwischen zwei etwa gleichwertigen Teams immer wieder zu Pattsituationen nach Hinspielen, hervorgerufen auch durch den Hang aller Beteiligten, zunächst einmal ohne Gegentor zu bleiben. Mut zum Risiko verriet Bayern vor zwei Wochen erst nach der Pause – für viele Experten etwas spät. Wer Versäumtes auswärts nachholen will, dem bleibt nur die Flucht nach vorn.“
NZZ-BerichtFC Chelsea – VfB Stuttgart (0:0)
Allmachtsphantasie
Michael Horeni (FAZ 10.3.) befasst sich mit dem Innenleben Oliver Kahns: “Die spanische Sportzeitung As berichtet seltsame Dinge vom Trainingsgelände Las Rozas: Trainer Carlos Queiroz bereitete seine Wundermannschaft zunächst wie üblich auf eine Begegnung der Champions League vor, doch auf einmal gab es eine Änderung im gewohnten Programm. Der Portugiese holte den Notfallplan heraus. Er ließ die Superstars antreten, um sie mit einem Ereignis vertraut zu machen, das im Drehbuch der Wunderbaren von Real Madrid an diesem Mittwoch gegen den FC Bayern München im Estadio Santiago Bernabéu eigentlich gar nicht vorgesehen ist: Elfmeterschießen – und für den Ausnahmezustand mußten Zinedine Zidane, Luis Figo, Hernán Solari und David Beckham schon einmal zum Üben antreten (als fünfter Schütze ist Raúl vorgesehen), denn mit den Brasilianern Ronaldo und Roberto Carlos fehlen Real zwei Experten für diese womöglich allerletzte Nervenprobe. Wenn es die Bayern in diesem Achtelfinal-Rückspiel tatsächlich so weit bringen sollten, dann wäre auch der ganz besondere Moment gekommen, den sich an diesem Abend wohl niemand sehnlicher wünschte als Oliver Kahn. Aus der Allmachtsphantasie des im Hinspiel tief getroffenen Torwarts, der in Madrid ein Solo mit triumphalem Ausgang ankündigte, könnte an diesem Abend vielleicht doch noch Wirklichkeit werden. (…) In Madrid werden seine Schreckgespenster fehlen. Ronaldo, der im Weltmeisterschaftsendspiel Kahns Fehler kühl nutzte, ist verletzt. Roberto Carlos, dessen Freistoß-Kullerball in München Spott und Häme gegenüber Kahn wie nie zuvor freisetzte, ist gesperrt. Ein Zeichen für ein gutes Ende? Kahn jedenfalls hat eine Schwäche für Happy-Ends. Nach dem Hinspiel hat er seinen Schmerz mit der Verfilmung des Romans Papillon von Henri Charrière gelindert. Da wird ein Unschuldiger zu lebenslanger Haft in der Gefängnishölle von Französisch-Guayana verurteilt. Steve McQueen, dem Tode nahe, gelingt aber dennoch die Flucht. Und zwar in einem Moment, wo niemand mehr daran glaubt, sagt Kahn. Das sind die Bilder, die ich immer im Kopf habe. Oliver Kahn muß nur für zwei Stunden nach Bernabéu. Wie er dort aber wieder herauskommt, ist die spannende Frage.“
Hier ißt der Anti-Star
Michael Horeni (FAS 7.3.) porträtiert Roy Makaay in Badeschlappen: “Am Abend zuvor schwebte David Beckham mit seiner Privatmaschine in Deutschland ein. Geschäftlich. Adidas hat eingeladen, um seinen Mega-Sponsorendeal mit dem populärsten Fußballspieler der Welt ersten Glanz zu verleihen. Beckham kommt drei Stunden zu spät aus Madrid, aber er sieht trotzdem fabelhaft aus im Nadelstreifenanzug. Seine natürliche Liebenswürdigkeit fasziniert die ausgesuchten Gäste und Journalisten. Beckham bittet höflich um Entschuldigung für sein verspätetes Erscheinen, seine Maschine hatte einen Defekt. Er könnte auch sagen, er habe einen Umweg über den Mond einlegen müssen, und alle hätten zufrieden gelächelt. Was Beckham dann bei dieser Mischung aus PR-Termin und Frage-Viertelstündchen von sich gibt, ist von charmanter Belanglosigkeit. Aber auch das macht nichts, denn die Menschen lieben Beckham. Am nächsten Morgen erscheint Roy Makaay zum Pressetermin. Er ist der teuerste Spieler, den die Bundesliga je gesehen hat, und er ist die große Hoffnung von Bayern München, mit seinen Toren der Wundermannschaft aus Madrid ein Ende zu bereiten. Makaay kommt in Turnschuhen, Jeans und Sweatshirt. Er sieht aus wie unzählige von jungen Männern, die jeden Tag an der Säbener Straße vorbeikommen, um sich eine Eintrittskarte für die Bayern zu kaufen. Makaay hat die Utensilien des klassischen Fußballers dabei: Handy, eines dieser modernen Smartphones, Kulturbeutel. Irgendwann während Makaays Termin taucht eine Mitarbeiterin des FC Bayern auf. Sie stellt einen mit Alufolie abgedeckten Teller auf den Tisch. Makaay hat sich Chicken Wings mit Barbecuesauce kommen lassen, er trinkt Cola dazu. Sehr gesund, sagt die Dame. Das Essen hat sie aus dem Restaurant gebracht, das auch die Fans versorgt. Makaay läßt es sich schmecken während des Gesprächs, und er bietet wie selbstverständlich an, sich doch auch einen Hähnchenschenkel vom Teller zu nehmen, wirklich lecker. Wenn diese Episode am Mittagstisch etwas über den Holländer preisgibt, dann das: Hier sitzt Roy Makaay, der teuerste Spieler des reichsten und mächtigsten Vereins in Deutschland, der aber von all dem Brimborium drum herum nichts wissen will. Hier ißt der Anti-Star. Makaay verbreitet keine Message. Makaay schießt Tore. Das ist es.“
Stark und sexy, sportlich und spirituell, er liebt Kinderhüten und Shopping
ehr lesenswert! Evi Simeoni (FAZ 10.3.) deutet das Phänomen Beckham mit den Augen einer Frau: “Wie konnte es nur passieren, daß David Beckham der berühmteste Fußballspieler unseres Planeten wurde? Eigentlich müßte er demnach der Pelé, der Beckenbauer des 21. Jahrhunderts sein. Doch was ist das Wichtigste an dem Engländer? Seine präzisen Kunstschüsse vielleicht? Seine zielgenauen Flanken gar? Oder sein unermüdlicher Einsatz für das Team von Real Madrid? Nein. Nur noch Fußballpuristen halten sich mit solchen Qualitätskriterien auf. In der glitzernden Medienwelt der Oberfläche, in der Schönheit als höchste Leistung anerkannt wird, ist das wichtigste an dem 28 Jahre alten Beckham seine Frisur. Er selbst weiß das am besten und arbeitet unermüdlich daran. So konnte er sich beim Hinspiel zwar nicht mit seinen berühmten Schüssen in Szene setzen. Dafür fiel er durch ein anderes Erfolgserlebnis auf: Er fand im frostigen Gras des Olympiastadions in Null Komma nichts sein Zopfgummi wieder, das ihm vorübergehend entglitten war. Er nahm das Teil in den Mund wie ein Mädchen in der Oberschule, legte den Kopf in den Nacken, bündelte mit den Händen sein blondes Schnittlauchhaar und stülpte das Gummi über. Da schaukelte er wieder, der Pferdeschwanz. (…) Ein echter Mann? Was ist das? Die Frage, die sämtliche Frauenzeitschriften der Welt seit dem Tag ihrer Erfindung am meisten beschäftigt, erhält in diesen Tagen durch Beckhams vielseitig vermarktbare Hülle eine neue Antwort: Er schwitzt nicht mehr in jeder Lebenslage seine Hormone aus oder malt in Latzhosen Aquarelle. Der Mann Marke Beckham ist nach dem Wunsch der Konsumanimateure metrosexuell. Stark und sexy, sportlich und spirituell, er liebt Kinderhüten und Shopping (!), ist ehrgeizig und liebevoll. Und? wird im Anschluß an solche Postulate meist zweifelnd gefragt. Laufen solche Exemplare auch in der freien Wildbahn herum? (…) Sein Englisch, das er in einem Arbeiterviertel im Norden Londons gelernt hat, klingt anders als das der Queen. Doch man vertraut demselben Vermögensverwalter. Andere Sportstars mögen unter der öffentlichen Aufmerksamkeit die Nerven verlieren. Beckham nicht. Obwohl er auch schon als Buhmann herhalten mußte: Im Achtelfinale der WM 1998 gegen Argentinien flog er nach einem Revanchefoul gegen Diego Simeone vom Platz. Der Verteidiger hatte ihn nicht nur von hinten umgetreten, sondern, schlimmer noch, sein Haar zerzaust und daran gezogen. England verlor im Elfmeterschießen, und die ganze Nation machte Beckham für das Ausscheiden verantwortlich – sein Bild wurde auf Dartscheiben geklebt, vor den Pubs wurden Beckham-Puppen verbrannt. Erst 2001, als er mit einem Freistoßtor gegen Griechenland in der letzten Minute England zur WM-Endrunde schoß, wurde ihm verziehen. (…) Der schmächtige Junge aus London ist sich treu geblieben. Er hat sich auf dem Weg zum Weltstar nicht verloren, sondern gefunden. Er lebt nicht nur in der Glitzerwelt, er ist Teil von ihr. Er dient nicht nur als Symbol für Schönheit, Lust und Spielfreude. Er verkörpert sie. Schon als Kind trug er exzentrische Kleider. Heute steht er da wie eine perfekte Kreation des Cyberspace, und er scheint auch so zu leben. In seine Frau hat er sich beim Ansehen eines Videoclips verliebt. Nun empfiehlt er seinen Geschlechtsgenossen ungeniert, doch einmal wie er für ihre Herzdame das Obst auf dem Teller in Herzform zu arrangieren. Manch eine Romantikerin dürfte bei diesem Gedanken sehnsüchtig aufseufzen, falls sie nicht plötzlich entdeckt, daß ihr eigener Lebensgefährte auf Beckhams Spuren ganz ungeniert ihre Nagellackfläschchen und Cremetiegel durchprobiert hat. Beckham, ein Traum. Selbst Luigi Collina, der wohl angesehenste Fußballschiedsrichter der Welt, kann sich seinem Zauber nicht entziehen. Er hat in seiner Autobiographie zugegeben, daß Beckham sein Lieblingsspieler sei. Es ist ein ganz subjektives Gefühl, räumte der Italiener ein, ich kann nicht erklären, warum und wofür. Ja, warum nur? Es wird doch wohl nicht daran liegen, daß der Unparteiische keine Haare mehr hat?“
Vorne hilft Raúl, hinten der liebe Gott
Paul Ingendaay (FAZ 9.3.) hat Spaß an Real Madrid: „Es ist an der Zeit, mit dem deutschen Vorurteil aufzuräumen, Real Madrid sei ein arroganter Verein. Die Männer in den weißen Trikots können es einfach nicht lassen, mit dem Ball zu zaubern und ihre Tore mit dem Gedanken an nostalgische Videositzungen in dreißig Jahren zu erzielen: Sie zaubern ja auch für die Geschichte! Aber das hat weder etwas mit Arroganz noch mit Mißachtung des Gegners zu tun. Wären die Madrilenen arrogant, würden sie etwas mehr an den zählbaren Erfolg denken und sich eine Hintermannschaft zulegen, die das Wort verdient. Präsident Florentino Pérez jedoch weigert sich, für die Verteidigung Geld auszugeben. Ein Jahresgehalt von sechs Millionen Euro für Raúl, Zidane, Figo, Ronaldo und Beckham ist kein Problem. Aber was hat die Vereinsführung gestrampelt, bevor sie einer kleinen Gehaltserhöhung für den rechten Außenverteidiger Míchel Salgado zustimmte! Die Philosophie dahinter ist kindlich, geradezu sandkastenhaft und im Grunde sympathisch. Sie lautet: Was kümmert es uns, hinten ein paar Dinger zu kassieren, wenn wir vorne so viele schießen, daß wir gewinnen? (…) Vorne hilft Raúl, hinten der liebe Gott.“
Paul Ingendaay (FAS 7.3.) hat Spaß an Raúl: „Man muß Raúl oft spielen gesehen haben, um ihn einen Weltklassestürmer zu nennen, denn keine seiner Stärken ist einzigartig. Viele Stürmer sind schneller als er, einige athletischer oder eleganter. Die einen dribbeln besser, die anderen schießen mehr Tore. Besonders furchterregend sieht der Sechsundzwanzigjährige mit dem unschuldigen Gesicht ohnehin nicht aus, weshalb man ihn leicht unterschätzt.Doch auch er selbst scheint nicht genau zu wissen, was er von sich erwarten soll. Das gilt auch für den nächsten Mittwoch im Champions-League-Duell gegen Bayern München. Schießt er in einer Saison 24 Tore, sind es in der darauffolgenden nur noch 14. Tritt er in manchen Partien als klassischer Torjäger auf, setzt er sich bei anderer Gelegenheit als Spielmacher in Szene. Mit seinem Instinkt hat Raúl unzählige Gerd-Müller-Tore geschossen, doch er beherrscht auch gefühlvolle Heber und stramme Zwanzig-Meter-Schüsse. Selbst in schwachen Spielen ist die Nummer 7 von Real Madrid in der Lage, das entscheidende Tor zu erzielen.All das hätte jedoch nicht ausgereicht, den in Madrid geborenen Raúl Gonzalez Blanco, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, zum unangefochtenen Idol des neunmaligen Champions-League-Gewinners zu machen – trotz eines Zidane, Ronaldo oder Beckham. Das tiefste Geheimnis des Stürmers ist sein unbedingter Siegeswille, gepaart mit einem Sinn für die Ästhetik des Angriffsfußballs. Kein Spieler kann bei Real Madrid erfolgreich sein, ohne diesen Offensivgeist verinnerlicht zu haben.“
Ralf Itzel (FR 10.3.) ergänzt: “Auch am heutigen Mittwoch wird sich das Estadio Santiago Bernabéu erst ganz kurz vor dem Anpfiff füllen, die Besucher trinken gerne noch ein Bierchen in einem der Lokale am Fuß der enormen Betonschüssel. Ausverkauft ist die natürlich auch diesmal. Die Socios, die Mitglieder mit Jahreskarte, genossen Vorkaufsrecht und viele der 83 000 haben das genützt. Sie sind die eigentlichen Machthaber des Klubs. In der vermeintlichen Monarchie Real herrschen demokratische Verhältnisse, so wählt das Volk seinen König, den Präsidenten, selbst. Das Real im Namen ist ohnehin nichts Besonderes, auch wenn König Juan Carlos hier zuweilen auf der Tribüne sitzt. Sein Großvater Alfonso XIII verlieh den Adelstitel im Jahre 1920. Aus dem Madrid Fútball Club wurde der Real Madrid Club de Fútbol, doch das Privileg teilen die Hauptstädter mit der Hälfte der Erstligakonkurrenten. Der Vorzeigeverein ist auch nur im Ausland als Real bekannt, die Spanier benennen mit la Real die Basken der Real Sociedad San Sebastian, während der Krösus meist unter el Madrid firmiert. Sonderlich majestätisch ist auch das Verhalten der Zuschauer nicht. Wenn sie nicht pfeifen, haben sie den Mund voll, schimpfte einst der ungarische Fußballer Puskas. Man ist verwöhnt im Bernabéu, die einzigen, die wirklich anfeuern, sind die Ultras Sur, rund 700 überwiegend rechtsextreme Fanatiker hinter dem südlichen Tor, das sie vor sechs Jahren vor einer Partie gegen Borussia Dortmund aus dem Boden rissen. Auch heute droht von ihnen Gefahr, zumal die Sportzeitungen das Duell mit den Münchnern gnadenlos angeheizt haben. Ärgern wird die Ultras bereits, dass beim Einlauf der Spieler das übliche Champions League-Gedudel ertönt, und nicht wie in der Liga die schwülstige neue Clubhymne. Für die Hundertjahrfeier 2002 komponiert und von Placido Domingo geschmettert, sollte sie nach dem Jubiläum wieder durch das alte Lied ersetzt werden, aber Präsident Florentino Perez ist verliebt in die Arie und behält sie bei.“
Die NZZ (10.3.) teilt das Ausscheiden Manchester Uniteds mit: „Harmonie und Stil sind dem noch im Vorjahr so stabilen United-Team in letzter Zeit abhanden gekommen. Das illustrierte einerseits die vor dem Match abermals von Manager Ferguson mitinitiierte Polemik gegen den lusitanischen Widersacher – mithin nicht vom selben Kaliber wie das teure englische Ensemble –, der sich im Hinspiel vor allem durch Schauspielerei hervorgetan habe. Besonders aufs Korn genommen wurde der Goalie Vitor Baia, der den Platzverweis (und damit die Sperre) von Hitzkopf und Captain Roy Keane in Porto mit übertriebenem Simulieren geradezu provoziert habe; entsprechend wurde der Keeper in Old Trafford anfänglich von Buhrufen begleitet. Anderseits spiegelte auch die Wahl der Spieler nicht eben Phantasiereichtum des Teamverantwortlichen – oder sie fiel vor allem typisch (britisch) aus. Denn von den Ausländern Ronaldo, Kleberson, Saha, Solskjaer und Forlán stand keiner in der neuerdings umgestellten Startformation. Ein Kick-and-rush-Festival mit vielen rüden Fouls, Ballverlusten und Unterbrechungen.“
NZZ-Bericht Juventus Turin – Deportivo La Coruna (0:1)
Ballschrank
2:2-Remis der DFB-Auswahl in Bulgarien
Insgesamt erreicht das 2:2-Remis der DFB-Auswahl in Bulgarien wenig Resonanz in den hiesigen Gazetten. „Völler nutzte die Gunst, die ihm und nun auch seiner Mannschaft entgegengebracht wird“, kommentiert die FAZ den Auftritt des Vize-Weltmeisters und spielt auf den „Zukunftsmut“ des Teamchefs an, zahlreichen unerfahrenen Spielern zu vertrauen. So war am Mittwoch in Sofia „eine Auswahl zusammen, wie sie im Sommer 2000 lautstark, aber im Sommer 2002 gar nicht gefordert wurde“, erinnert die FAZ an die Appelle der Experten nach der desaströsen Europameisterschaft, denen Völler damals mit „erzkonservativer“ Strategie begegnet war. Allerdings blieb ihm keine andere Wahl, hatten doch etliche Etablierten erwartungsgemäß Absagen erteilt. Also spricht die SZ von einer „Forschungsreise mit dünnem Ergebnis“ und einem „wackligen Premierenauftritt der Generation Jugend forsch“. „Rückschlüsse über die wahre Leistungsstärke der DFB-Auswahl gut zwei Wochen vor dem ersten EM-Qualifikationsspiel in Kaunas gegen Litauen ließen sich angesichts der akuten Personalnot aber nicht ziehen“, resümiert die FR folgerichtig.
Weitere Themen: Finanzkrise in Italien – Saisonstart der Frauen – Umverteilung der Fernsehgelder? u.a.
Michael Horeni (FAZ 23.8.) lobt die Strategie des deutschen Teamchefs. „Im Erfolg, so heißt es, werden die größten Fehler gemacht. Es fällt schwer, andere Wege zu gehen, wenn die bekannten so erfolgreich waren. Völler nutzt indes klug die neuen Sympathien zu Testversuchen, die mit großer Nachsicht und einiger Geduld begutachtet werden. Die Debüts in Sofia waren durchwachsen, mitunter sogar enttäuschend. Aber wen sollte das tatsächlich überraschen, wenn Neulinge fast nur Neulinge neben sich finden? Vor zwei Jahren hätten junge Spieler vielleicht schon in neunzig Minuten Kredit für lange Zeit verspielt. Völler kann es sich aber mit dem zweiten Platz bei der WM leisten, in die Zukunft zu investieren. Und der Teamchef ist Realist genug, darüber die Gegenwart Europameisterschaft nicht zu vergessen. Ein Weg, der sich lohnen kann.“
Zum Vorschlag Werner Altegoers, Präsident des VfL Bochum, eine Umverteilung der Fernsehgelder zu Gunsten der „Kleinen“ vorzunehmen, meint Christoph Biermann (SZ 22.8.).“ Das Fußvolk der Liga trifft ein Rückgang der TV-Gelder um rund 20Prozent härter, weil sie einen größeren Teil der Etats ausmachen. Der FC Bayern hingegen hat große Werbeverträge abschließen können, Borussia Dortmund kann auf Mittel aus der Aktienemission zurückgreifen und Bayer lebt mit der Sicherung eines Großkonzerns. Außerdem können diese Klubs mit den internationalen Fernsehgeldern rechnen, von denen sie ihren Konkurrenten anders als früher nichts abgeben müssen (…) Ein Argument der Spitzenklubs zählt jedoch nicht mehr, seitdem in Italien oder Spanien etliche Klubs mit der Pleite ringen. Der Verteilungsschlüssel von 1998 war nämlich vor allem damit begründet worden, dass sie international sonst nicht konkurrenzfähig bleiben würden.“
Zur Finanzkrise in Italiens Fußball heißt es bei Birgit Schönau (SZ 22.8.). „Die Ausgaben für Gehälter betragen mittlerweile fast 80 Prozent des gesamten Umsatzes – die Klubs haben sich in der Hoffnung auf Gewinne aus ihren TV-Rechten übernommen. In Italien vollzieht sich, was in Deutschland, England und Spanien später und in verkleinertem Maßstab geschehen kann: der große Crash.“
Bei Dirk Schümer (FAZ 22.8.) heißt es zu diesem Thema. „Wenn die Italiener wie jedes Jahr Anfang September vom Strand zurückkommen und wieder mit frischen Kräften an die Arbeit gehen, wird ihr Alltag anders verlaufen als geplant: Der heißgeliebte und nahezu bankrotte Profifußball kann seine Saison nämlich nicht pünktlich beginnen. Statt zum 1. September nehmen die beiden Profiligen ihren Spielbetrieb erst zwei Wochen später auf. In siebzig Jahren bezahlten Fußballs ist dies, von zwei im Weltkrieg abgesagten Spielzeiten und der Saison nach den Olympischen Spielen von Sydney einmal abgesehen, noch nie geschehen. Immer deutlicher wird damit der „Calcio“ der Fußball, den bedeutende Wirtschaftskapitäne des Landes unterhalten, zum Inbegriff einer Systemkrise.“
Anlässlich des Saisonstarts der Frauen-Bundesliga schreibt Matthias Kittmann (FR 22.8.). „Gemäß dem Motto „Scheitern als Chance“ ist zumindest der ewige Zweite Potsdam willens wie nie zu vor, den 1. FFC endlich einmal von der Spitze zu verdrängen. Dafür ist der einzige Bundesligaklub aus den neuen Bundesländern sogar ein wenig von seinem Prinzip abgegangen, nahezu ausschließlich auf Talente aus der eigenen Region und dem angeschlossenen Sportgymnasium zu setzen. Mit der Verpflichtung der Nationalspielerinnen Petra Wimbersky (FC Bayern München) und Navina Omilade (FFC Brauweiler) setzt Potsdam alles auf eine Karte. Wenigstens ein Titel muss her. Ob´s funktioniert, ist eine andere Frage. Aber wenigstens zeigt Potsdam jenen Biss, der anderen Klubs oft abgeht.“
Ein Nachruf auf Chillida, spanische Torhüterlegende der 40er Jahre, von Javier Cáceres (SZ 22.8.). „Es gibt viele Intellektuelle, die dem Fußball verbunden sind. Bei manchen hat sich das Interesse auf die Haupttribüne reduziert; andere bekannten, meist ohne Scham, den Sport selbst betrieben zu haben. Interessanterweise entpuppen sich viele später als Torhüter: Camus, Benedetti, Nabokov, Che Guevara. Doch wohl kaum einer hat sich derart intensiv mit dem Wesen des Torwarts und seinem Spiel auseinander gesetzt wie Chillida. Die Frage danach, ob ihn der Fußball in irgendeiner Form beeinflusst habe in seiner Tätigkeit als Bildhauer, pflegte Chillida zu bejahen, und zwar mit Vehemenz. Sie sei in gewissem Maße sogar Schule gewesen.“
FAZ (23.8.). „In der britischen Fußballwelt sind Schuldverschreibungen indes zum bewährten Mittel der Fremdfinanzierung avanciert. Angesichts fallender Börsenwerte, wegbrechender Fernseheinnahmen und steigender Kosten für Spielereinkäufe setzen immer mehr Vertreter der ersten und zweiten Fußball-Ligen auf Emissionen von Anleihen: Vor Manchester City haben schon Leeds United, Newcastle United, FC Everton oder der Zweitligist Leicester City ähnliche Papiere mit langfristiger Laufzeit begeben.“
Didier Rey (Le Monde diplomatiqueintaz 9.8.) erinnert. „Es ist schon erstaunlich, was ein Pfeifkonzert korsischer Schlachtenbummler gegen die französische Nationalhymne in Gang setzen kann. Es geschah im Pariser Fußballstadion am 11. Mai dieses Jahres, beim französischen Pokalfinale zwischen Lorient und Bastia. Staatspräsident Jacques Chirac kam, hörte und verließ empört die Tribüne. Erst als der Präsident des französischen Fußballverbands sich inständigst bei dem Staatsoberhaupt entschuldigte, kehrte Chirac auf seinen Platz zurück. Von den Medien und der politischen Klasse Frankreichs und Korsikas wurde der Zwischenfall fast einhellig verurteilt, und in Paris ertönte sogar der Ruf nach einer Untersuchungskommission (…) Die Vorsitzenden der korsischen Vereine und ihre Spieler, das Publikum und die Presse sahen sich als Opfer einer „Verschwörung“ der kontinentalfranzösischen Fußballbosse, die sie, nur weil sie Korsen sind, von den nationalen Meisterschaften fern halten wollten. Diese Selbstwahrnehmung als Opfer war aber nicht darauf angelegt, die Anhänger für regionalistische Autonomiebestrebungen zu begeistern. Ganz im Gegenteil: Es war ein verzweifelter Versuch, die Forderung nach Gleichstellung irgendwie mit dem Gefühl des Andersseins zu vereinbaren (…) Gleichwohl ging die Aktion für die Nationalisten eher nach hinten los. Sieht man von der spontanen Bekundung im Vorfeld des Spiels ab, fällt auf, dass sich die Bastia-Fans während des gesamten Spiels ausschließlich auf das sportliche Geschehen konzentrierten, nationalistische Transparente und Parolen bildeten die Ausnahme.“
Direkte Freistöße
Interview mit Rudi Völler SpOn
Interview mit Jens Lehmann FR
Interview mit Peter Neururer SpOn
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Eine Bannmeile ist nicht verfügt
das skurrile Geisterspiel in Aachen – Marcio Amoroso und Florian Gerster: ein Vergleich – SZ-Interview mit Riccardo Pacifici, Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Rom, über das erstmalige Gedenken an die Shoah der italienischen Juden in Italiens Stadien – Leonidas ist tot, einer der besten Fußballer aller Zeiten und Erfinder des Fallrückziehers – eine Filmrezension über Shaolin Kickers u.v.m.
Bernd Müllender (FTD 23.1.) freut sich auf das heutige Geisterspiel in Aachen: „Vor einer Woche hatte am Aachener Stadttheater Alban Bergs schwer verdauliche Oper „Wozzeck“ Premiere: 90 disharmonische Minuten um die Eskalation von Gewalt und das Leid geschundener Kreaturen, die gleichzeitig Täter und Opfer sind. Am Aachener Tivoli, dem Fußballstadion der Stadt, folgt am Montag ein nicht minder groteskes Schauspiel. Gegeben wird das erste „Geisterspiel“ in der Geschichte des deutschen Profifußballs: ohne Publikum, ohne Gesang, aber mit reichlich bizarrem Drumherum. Ein Wozzeck-Drama für einen Ball mit viel Stille. Das Zweitliga-Match Alemannia Aachen gegen den 1. FC Nürnberg, zwei Favoriten für den Aufstieg in die Bundesliga, endete im November 1:0. Weil aber bei Fan-Tumulten Gästetrainer Wolfgang Wolf durch einen Bierbecher am Kopf getroffen und verletzt wurde, wollte das DFB-Sportgericht „ein Exempel statuieren“: Alles noch mal. Vor leeren Rängen. Die Aufführung wird eine komplizierte Sache. Seitenlang hat die DFL Regularien aufgelistet und in Dutzenden Treffen und Telefonaten neue Formalitäten angeordnet. Nicht dass es wie 1988 bei Real Madrid endet, als bei einem ähnlichen Spiel mehrere Tausend als Ordner getarnte Vereinsfreunde die Tribünen bevölkerten. Abgezählt 40 Personen pro Verein sind zugelassen. Die Gruppe umfasst jeweils Spieler, Trainerstab, Betreuer, Offizielle. 450 Ordner werden „eine Menschenkette um das Stadion bilden“, sagt Alemannias Geschäftsführer Bernd Maas. Nicht ins Stadion dürfen VIPs, Spielerfrauen, Spielbeobachter der nächsten Gegner und jegliche Ehrengäste. Aber einen Stadionsprecher wird es geben dürfen. Grabesstimmung ist allerdings nicht Pflicht, auch keine neutrale Kleidung. „Wer im Stadion ist, darf genauso jubeln wie sonst auch. Auch mit Schal. Jedenfalls“, fügt Maas hinzu, „haben wir bislang noch nichts Gegenteiliges gehört.“ Aachens Journalisten planen, eine Mini-Ola mit Bleistift einzustudieren. Die Parkplätze werden abgeriegelt. Eine Würstchenbude aber darf besetzt sein. Ob Nürnberger auf den Grill kommen, lächelt Maas, sei noch nicht entschieden. Ist eine Toilette offen? „Ja, sogar zwei.“ Mit Personal? „Ja, das ist erlaubt, und die zählen nicht zu den 40.“ Auch Platzwart, Hausmeister und ein Elektriker, Feuerwehr und die Malteser gehen extra. Einen Spezialfall bildet DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun, 78. Er ist Aachener und kommt mit selbst erteilter Ausnahmeerlaubnis. Braun wird auf einem Bänkchen neben dem Spielertunnel eine Art Ehren-Wozzeck geben. Hunderte Journalisten haben Akkreditierung beantragt mit „teilweise eigenartigen Presseausweisen“, wie Alemannia-Sprecher Thomas Mörs feststellte. Man ist aber gehalten, die Medien-Öffentlichkeit zu verstecken. Das DFB-Urteil hatte „Ausschluss der Öffentlichkeit“ angeordnet. Gleichwohl wurde der Termin dann dem Deutschen Sportfernsehen genau ins Sendeschema platziert: Montag um 20 Uhr 15. Die Fans fühlen sich nach wie vor um den Sieg vom November betrogen. Ob nun Tausende anrücken und den Ordnerring umringen? Eine Bannmeile ist nicht verfügt, aber das Ordnungsamt hat den Wirten „in der Knautschzone des Tivoli“ den Verzicht auf Alkoholausschank abgerungen.“
Feuilleton! Thomas Steinfeld (SZ 23.1.) vergleicht Marcio Amoroso mit Florian Gerster: „Der Fußballer Marcio Amoroso, einst einer der Besten bei Borussia Dortmund, ist zu einem zwielichtigen Mann geworden. Diesen Ruf verdankt er vor allem seinen Beratern, Leuten, die immer dann für ihn denken und reden, wenn es um sehr viel Geld geht, und die ihn, wenn er ihr Treiben zu verteidigen sucht, als einen besonders zickigen Menschen erscheinen lassen. Beides verbindet ihn mit Florian Gerster, dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit. Marcio Amoroso ist ein Mensch von großen Talenten. Der Fußballer braucht seine Berater, um, was er nur schlecht selbst tun kann, aus diesen Talenten ein möglichst gutes Geschäft zu machen. Diese Berater vermehren das Kapital, das für ein paar Jahre in diesem Mann steckt. Der Vorstandsvorsitzende – ja, wozu braucht der eigentlich Berater? Dient sein Unternehmen nicht selbst der Beratung, und warum sollen sich Berater beraten lassen? Ist er womöglich ein Fürst, der seinen Rang der Geburt oder der Protektion verdankt und der diesen Zufall kompensieren muss, indem er Sachverständige hinzuzieht? Nein, er ist der Chef einer Behörde, die keine mehr sein soll. Oder besser: Er ist derjenige, der die scheinbare Privatisierung einer ehemals elementaren staatlichen Funktion durchzusetzen hat – scheinbar, weil das Geld, von dem dieses Unternehmen existiert, auch in Zukunft vom Staat kommt. Der Fußballspieler braucht Hilfe in Dingen, von denen er selbst wenig versteht und die er in eigener Person nur unter Schwierigkeiten vertreten kann: etwa, dass ein möglicherweise gar nicht vorhandener Riss des Kreuzbandes so real wird, dass die Möglichkeit seiner Operation monatelang erwogen werden kann. Der Vorstandsvorsitzende ist in einer ähnlichen Situation: Er braucht Hilfe, weil das von ihm verwaltete Gut gar nicht in der Form existiert, in der es vermakelt und verkauft werden soll.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen NZZ
Sehr lesenswert! SZ-Interview mit Riccardo Pacifici, Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Rom, über das erstmalige Gedenken an die Shoah der italienischen Juden in Italiens Stadien
SZ: Dottor Pacifici, am Sonntag, dem 18. Spieltag der Serie A, werden sämtliche Fußballspieler in den italienischen Stadien ein besonderes Trikot anziehen.
RP: Nicht nur die Spieler der Serie A, auch die der zweiten Liga, der Serie B. Und nicht nur die Fußballer, auch die Schiedsrichter und Linienrichter. Vermutlich auch viele Sportmoderatoren im Fernsehen. Auf dem Hemd, mit dem die Mannschaften das Spielfeld betreten, wird vorne für das Benefizfußballspiel von TV-Stars, Sängern und Journalisten am kommenden Dienstag geworben, dessen Erlös in das geplante römische Shoah-Museum fließt. Noch wichtiger aber ist, was auf dem Rücken der Spieler steht. „27. Januar: Tag des Erinnerns, um nicht zu vergessen.“ Wir müssen dem Olympischen Komitee, dem Fußballverband und dem Profiligaverband danken, die unsere Idee so engagiert vorangetrieben haben.
SZ: Dass auch im Stadion an die Shoah erinnert wird, ist eine ungewöhnliche Aktion am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Alliierten.
RP: Ich würde sogar sagen: Es ist eine sehr riskante Sache. Die Erinnerung an einen so tragischen Moment der Geschichte wie die Shoah, die Vernichtung des jüdischen Volkes, wird in die Fußballstadien getragen, also dorthin, wo man sich amüsieren und austoben will. Es war eine schwierige, auch durchlittene Entscheidung. Auch von jüdischer Seite gab es Kritik. Aber am Ende haben wir gemeint, dass wir auf diese Weise die stärkste Wirkung in den Medien haben und die meisten Menschen erreichen. Fußball ist der wichtigste Volkssport in Italien, wie in den meisten europäischen Ländern, ab dem Nachmittag bis weit nach Mitternacht dreht sich das Fernsehprogramm um Fußball. Und alle, alle werden über diese Aktion reden. Der Tag des Erinnerns ist damit nicht mehr nur eine Angelegenheit für Schulen und das Parlament. Sondern es wird erstmals die breite Mehrheit der Fernsehzuschauer erreicht – und das Publikum im Stadion.
SZ: „Auschwitz ist eure Heimat, eure Häuser sind die Öfen“, stand vor einigen Jahren auf einem berüchtigten Spruchband, das Tifosi von Lazio Rom bei einem Derby im Olympiastadion hochhielten. Aber auch in anderen italienischen Fankurven kommt es immer wieder zu antisemitischen Ausfällen.
RP: Da muss ich Sie berichtigen. Antisemitische Episoden sind keinesfalls nur auf die Curva beschränkt, wo die Fans mit den billigsten Eintrittskarten stehen. Antisemitismus und neofaschistische Tendenzen gibt es auch auf den teuren Tribünen, übrigens ebenso wie Äußerungen des Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das ist ein relativ neues Phänomen, ich würde sagen der letzten 15 Jahre. Da gab es diesen Fall in Udine, Anfang der neunziger Jahre. Udinese Calcio hatte den Israeli Ronnie Rosenthal von Standard Lüttich verpflichten wollen. Der Transfer kam deshalb nicht zu Stande, weil die Tifosi aus Udine den Juden Rosenthal nicht wollten. Und die Klubführung gab unter diesem Druck klein bei.
SZ: Vergangene Woche wurden die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, nach der 34 Prozent der befragten Italiener okkulte jüdische Kräfte hinter der Finanz- und Medienwelt wähnen. Die jüdischen Gemeinden warnten vor einem neuen Antisemitismus, der der Unwissenheit über jüdische Geschichte und Kultur entspringt. Sieht man in den Fußballstadien die Spitze des Eisbergs?
RP: Das sind 100, 200 Tifosi, die mit außerparlamentarischen, rechtsextremen Gruppen in Verbindung stehen. Ich kann heute nicht mehr den Standpunkt vertreten, dass auch die äußerste Rechte im Parlament diese Gruppen unterstützt oder ihre Aktionen richtig findet. Zumindest formell wird diese Form des Rechtsextremismus von allen verurteilt, und das ist das Wichtigste in der Politik. Einen anderen Aspekt muss ich hinzufügen: Es existieren besorgniserregende Verbindungen zwischen Gruppen rechtsextremer und linksextremer Tifosi. Zu bestimmten Themen haben die verblüffend ähnliche Ansichten. Das weiß auch die Polizei. Übrigens wissen die Ordnungskräfte genau, mit wem sie es zu tun haben. Es gibt in Italien harte Gesetze gegen gewalttätige Fußballfans. Dass man ihrer trotzdem nicht Herr wird, liegt auch an der Langsamkeit unserer Justiz.
Homem de Borracha, Gummimann
Matti Lieske (taz 26.1.) trauert um Leonidas, einer der besten Fußballer aller Zeiten und Erfinder des Fallrückziehers: “Die Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften ist reich an verheerenden Trainertölpeleien. Helmut Schöns Entscheidung, Franz Beckenbauer im Finale von 1966 zur Bewachung Bobby Charltons abzukommandieren; Alf Ramseys Gegenzug vier Jahre später, als er besagten Charlton bei einer 2:0-Führung der Engländer im Viertelfinale gegen die Deutschen vom Platz nahm; oder Bilardos Weigerung, im Finale 1986 den verletzten argentinischen Libero Brown auszuwechseln, weil er dann den in Ungnade gefallenen Passarella hätte bringen müssen, und den Deutschen so den Ausgleich zu ermöglichen. Nichts allerdings kommt dem gleich, was sich Adhemar Pimenta beim WM-Turnier 1938 in Frankreich leistete. Brasiliens Coach war so siegessicher vor dem Halbfinale, immerhin gegen Titelverteidiger Italien, dass er den damals besten Fußballer der Welt, und einen der besten aller Zeiten, draußen ließ. Leonidas da Silva, so Pimentas Argumentation, solle für das Finale frisch sein. Es wurde aber nur das Match um Platz drei, denn die Italiener gewannen 2:1 und krönten sich anschließend gegen Ungarn zum Weltmeister. Leonidas traf noch zweimal beim 4:2 gegen Schweden. Acht Tore in vier Spielen hatte er bei dieser WM geschossen. Wegen Pimentas Dummheit sollte es noch 20 Jahre dauern, bis Brasilien Weltmeister wurde. Für Leonidas jedoch gab es keine Chance mehr. Der war zwar bis 1950 aktiv, die letzten acht Jahre beim FC São Paulo, doch das nächste Weltturnier fand erst im Jahr seines Abschieds statt, und da hatten in Brasilien bereits jüngere Stars wie Zizinho oder Ademir sein Erbe angetreten. Geboren wurde Leonidas 1913 in Rio de Janeiro, mit 17 betrat er beim Klub Sirio-Libanes die große Fußballbühne. Sein internationales Debüt war Aufsehen erregend. Zehn Minuten vor Ende einer Partie gegen Uruguay lag Brasilien mit 0:1 zurück, in seiner Verzweiflung schickte der Trainer den 18-Jährigen aufs Feld. Mit zwei Treffern schoss dieser sein Team noch zum Sieg, ein Tor erzielte er per Fallrückzieher – eine bis dahin unbekannte Form der Fußballakrobatik, als deren Erfinder Leonidas gilt. In seiner Heimat nannte man ihn Homem de Borracha, Gummimann, populärer wurde jedoch bald jener Name, den ihm die beeindruckten Uruguayer verliehen: Schwarzer Diamant (…) Die Diskussion, ob Leonidas oder Pelé Brasiliens bester Fußballer gewesen sei, dauert bis heute an.“
if-Leser sieht gerne Film: „Der Shaolin-Student Sing (Stephen Chow) sucht verzweifelt nach einem publikumswirksamen Weg, Kung-Fu wieder populär zu machen. Die Lösung: ‚Kung-Fußball‘! Zusammen mit seinen alten Shaolin-Gefährten und dem abgehalfterten Ex-Fußballstar Fung (Ng Mang-tat) als Coach, gründet Sing das ‚Shaolin Soccer Team‘. Mit ihrer furiosen Mischung aus Martial-Arts und Fußball räumen die ‚Shaolin Kickers‘ in der nationalen Liga auf – bis sie im Endspiel auf das brutale ‚Evil Soccer Team‘ treffen… ‚Shaolin Soccer‘ ist die erfolgreichste Hong-Kong-Produktion aller Zeiten und hat zahlreiche Preise gewonnen, darunter die Auszeichnungen für den besten Film, die beste Regie, den besten Haupt- und Nebendarsteller und die besten visuellen Effekte bei den 21. Hong Kong Film Awards. Mit schrägem Humor, originellen Spezialeffekten und den überzogenen Actionszenen verbindet Stephen Chow – Regisseur, Autor und Hauptdarsteller – Kung-Fu und Fußball in einer höchst unterhaltsamen Action-Komödie. Auch wenn die völlig verrückten Spiele im Film mit dem Fifa-Reglement nichts zu tun haben: Für Liebhaber des asiatischen Kinos und Fußball-Fans, die einmal eine ganz andere Variante des Sports erleben möchten, ist ‚Shaolin Kickers‘ wärmstens zu empfehlen.
Shaolin Kickers (Shaolin Soccer) – Kinostart: 11.03.2004
Die Wonnen der Ahnungslosigkeit, das Glück der Ignoranz
Das Streiflicht (SZ 26.1.) bespricht das Fernseh-Wochenende: „Schon am nächsten Wochenende fängt die Bundesliga wieder an. Dann wird das Leben wieder ein anderes sein. Denn vom Fußball, da verstehen wir was! Wir wissen genau, warum ein Mittelstürmer versagt und ein Trainer weg muss. Und die alten Sprechchöre werden wieder machtvoll erklingen: Nieder mit dem Bayernpack! Oder auch: S-null-vier, die Scheiße vom Revier. Kennerschaft ist immer mit Leidenschaft verbunden – und Leidenschaft immer mit Leiden. Unsere Lieblinge werden untergehen, unsere Feinde aber triumphieren. Doch beim Wintersport sind uns Sieg und Sieger vollkommen egal. Hier genießen wir die reine, ruhevolle Meditation. Die Wonnen der Ahnungslosigkeit, das Glück der Ignoranz. Niemals werden wir es lernen, den genialen Skiflieger vom mittelmäßigen zu unterscheiden. Oder den Innenski vom Außenski. Oder das Kochen der Oberschenkel von ihrem Brennen. Umso freier sind wir für den Zauber der winterlichen Natur. Für den Heldenmut der Akteure. Oder auch für den schieren Klangzauber ihrer Namen. Kati Wilhelm! Matti Hautamäki!! Anni Friesinger!!! Man bekommt eine Gänsehaut – und das weiß Gott nicht von der Kälte. „Es gibt“, hat Thomas Bernhard behauptet, „nichts Schöneres als einen verregneten Nachmittag im Bett“. Der Mann war Dichterfürst und Alpenkönig. Trotzdem muss man ihm diesmal widersprechen. Das Allerschönste ist ein verschneiter Tag vor dem Fernseher. Ein Tag, an dem alle Lieben zu Besuch kommen, wie in einer Großfamilie. Ein Tag mit Wasi, Waldi und Rubi. Mit Kati und Matti, Anni und Hanni. Genießen wir jede Stunde, bis das Tauwetter kommt!”
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Top-Themen des 16. Bundesliga-Spieltags
Bayern spielt „Herz zerreißend schlechten Fußball“ (FTD) – Werder Bremen Meister-Favorit dank “„hanseatischem Neorealismus“ (SZ)
of Man macht sich nicht unbedingt Freunde, wenn man den Mund voll nimmt. Man macht sich nicht unbedingt Freunde, wenn man Sätze über sich selbst im Superlativ spricht. Wenn man seinen Gegenüber spüren lässt, dass man ihn bestenfalls als fügsame Nummer Zwei duldet, rechnet man besser nicht mit dessen Liebe und Loyalität. Bayern-Manager Uli Hoeneß muss man über diese allgemeinen Gesetze menschlicher Kommunikation offensichtlich aufklären. Regelmäßig kündigt Hoeneß keine großen Taten seiner Mannschaft; er verspricht größte Taten des „besten Vereins“ mit dem „modernsten Reisebus“ (Pressemitteilung des FC Bayern). Fallen die Leistungen des FC Bayern vier, fünf Nümmerchen kleiner aus, wundert und ärgert er sich über die Häme der Beobachter und bezichtigt sie des Neids – eine wirkungsvolle, armselige Argumentation.
Nach dem 1:0 des FC Bayern gegen den VfB Stuttgart schlagen die Fußball-Journalisten die Hände vors Gesicht. Gegen die „ungestümen Emporkömmlinge“ (FAS) aus Stuttgart, spielerisch besser, in Nähe des Gegner-Tors harmlos und ungenau, siegen die Bayern mit geringstem Aufwand und Geschick. Die Financial Times Deutschland sieht „Herz zerreißend schlechten Fußball“, die FAZ „beklagenswert langweiligen Sicherheitsfußball“ und bedauert: „Feuerwerke gibt es bei Bayern erst nach dem Abpfiff.“ Die Bild-Zeitung steigert: „Bayern siegt so schlecht wie nie“, und die FAS rügt die „bayerische Planwirtschaft“. Neider eben.
Werder Bremen bescheinigen die Autoren eine bestandene Reifeprüfung zum Meister-Favoriten. Bisher spielstark und tordurstig entdecken die Bremer 3:1-Sieg in Leverkusen neue Stärken: Kühle, Kalkül und Kontrolle; die SZ schätzt den „hanseatischen Neorealismus“.
Presse-Stimmen zu allen Spielen
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„Fans retten Auge“
„Fans retten Auge“ titelte die Nürnberger Abendzeitung und drückte damit treffend die allgemeine Überraschung aus, die den Worten des Club Präsidenten Michael Adolf Roth entsprang: „Klaus Augenthaler hat diese und nächste Saison einen Vertrag, und der wird auch auf jeden Fall erfüllt. Und ich hoffe, wir können mit Klaus Augenthaler dann zu entsprechender Zeit verlängern.“ Vor einer Woche, als der Club auf dem Betzenberg in Grund und Boden gespielt wurde, klang das noch ganz anders. Aber Roth wäre nicht Roth, würde er seine Meinungen nicht innerhalb weniger Tag komplett ändern können. (mehr …)
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Bedeutungsverlust britischer Derbys
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Zuschauer NZZ (mehr …)
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Stuttgart besiegt Manchester – Bayern erreicht Remis in Unterzahl und Anderlecht – Inter gewinnt knapp gegen Kiew
Frech, selbstsicher und ordentlich abgebrüht
Felix Reidhaar (NZZ 2.10.) berichtet den Sieg Stuttgarts: „Das Schwabenland stehe hinter dem VfB wie seit Jahrzehnten nicht mehr, erzählen Einheimische. Die über Erwarten gute Vorsaison, die erstmalige Qualifikation für die europäische „Königsklasse“ und der glänzende Start in dieses Bundesliga-Jahr mit einem seit 735 Minuten nicht überwundenen Keeper Hildebrand hatten den grundsätzlich reservierten Schwaben aus der Reserve gelockt. An diesem frühherbstlichen Mittwochabend schliesslich, vor einer erwartungsfroh bis euphorisch gestimmten Kulisse, öffnete sich das Ventil vollends: Der VfB hatte sich gegen die Reichsten des Fussballgeschäfts aus Manchester respektlos und überzeugend hinweggesetzt. Das Ergebnis hätte deutlicher ausfallen können gegen einen britischen Widersacher, der seltsam verhalten, uninspiriert wirkte und recht biederen Fusswerks den Herausforderer zu stoppen trachtete. VfB-Coach Felix Magath kann nachempfunden werden, dass ihn die schnellen Fortschritte seines Teams beinahe erschrecken. Dass es diesen „Lauf“ auch in der Champions League fortsetzen könnte, hatte er insgeheim erhofft; wie die selbstsicheren und von den eigenen Fähigkeiten überzeugten Spieler ihre Vorsätze umsetzten, imponierte und unterstrich, wie sicher eine Erfolgsserie machen kann. Allerdings kommt man nicht umhin, die Leistung des Favoriten als enttäuschend einzustufen. Manchester United, obwohl im eigenen Land souverän gestartet, verriet defensive wie konstruktive Schwächen, wirkte relativ unausgeglichen und hatte ein paar Spieler in den Reihen, auf deren vorzeitige Auswechslung man vergebens wartete. Was Alex Ferguson veranlasste, während 94 Minuten auf die Neville-Brothers (vor allem den jüngeren und völlig überforderten Philip) zu setzen, bleibt sein Geheimnis. Und weshalb er den blutjungen Cristiano Ronaldo als Linksaussen nominierte, blieb ebenso unergründlich. Doch Sir Alex ist für solche Massnahmen bekannt. In Stuttgart bekam er die Quittung. Sein Team, so machte es in diesem abwechslungsreichen, schnellen Match ohne viele Torszenen den Anschein, ist stehen geblieben. Wenn etwas an diesem Abend erstaunte, dann waren es Selbstverständlichkeit und Gelassenheit, mit denen das junge Stuttgarter Team dem Favoriten entgegentrat. Von Captain Soldo (36-jährig) und Heldt (33) abgesehen, stand da eine Gruppe teilweise sehr unerfahrener Nachwuchskräfte Anfang zwanzig ohne lange Praxis, alle frech, selbstsicher und bis zu einem gewissen Grad auch schon ordentlich abgebrüht.“
mehr zu diesem Spiel am Samstag
Wir haben mal wieder alles richtig gemacht
Christian Eichler (FAZ 2.10.) deutet das Remis der Bayern: „Abgewendete Niederlagen, erfolgreiche Schadensbegrenzungen sind mitunter hilfreicher als leichte Siege, weil sie helfen, das gemeinsame Positive zu finden. So war den Verantwortlichen des deutschen Meisters nach dosiertem Schwärmen zumute. Trainer Ottmar Hitzfeld lobte, was Trainer immer in solchen Fällen loben, nämlich Moral und Charakter der Mannschaft. Vorstandschef Karlheinz Rummenigge pries, was Vorstandschefs besonders gern sehen in diesen schweren Zeiten, nämlich die Leidenschaft für das gemeinsame Unternehmen. Und Manager Uli Hoeneß jubelte über das Ergebnis, wie es Manager tun, die in schwieriger Lage erfolgreich verhandelt haben: Man habe klug gewartet, bis die anderen sich ausgetobt hatten. Wohlgemerkt, man sprach nicht von einem Sieg, sondern einem Remis; aber einem Remis der Rubrik Aufbauhilfe. Gegenüber der Bundesliga, so Rummenigge, war das ein Schritt nach vorn. So wurde es kein Abend, um sich lästige Fragen zu stellen: etwa die, warum sich Claudio Pizarro in der 35. Minute so dumm anstellte, nur eine Minute nach einer Verwarnung mit hohem Ellbogen in einen Luftkampf zu gehen und so sein Team in Unterzahl zu bringen; warum Sturmpartner Roy Makaay keinen Stich machte gegen den siebzehnjährigen Vincent Kompany (gratis aus der A-Jugend von Anderlecht); warum sich Robert Kovac von Dindane Aruna so leicht ausspielen ließ und warum Oliver Kahn diesem so überstürzt an der Auslinie entgegenrannte, daß das Tor nach Arunas Rückpaß auf Mornar ganz frei war; und warum die Bayern sich trotz einer spielerischen Überlegenheit im Mittelfeld in der ganzen Partie nur eine einzige Torchance erarbeiteten. Die aber nutzten sie – und das war ein hundertprozentiges Argument nach Bayern-Art, das alle Fragen vom Tisch wischte. Irgendwie klang das kollektive Schulterklopfen der Bosse auch nach einem indirekten Selbstlob. Besonders die fast hymnische Belobigung des argentinischen Einkaufs Martin Demichelis, der sich noch vor einer Woche über seine Reservistenrolle beklagt hatte, klang nach einer lautstarken Rechtfertigung für die Ausgabe von 4,5 Millionen Euro. Weltklasse nannte Hoeneß den defensiven Mittelfeldspieler übertrieben, Hitzfeld fand ihn den besten Mann auf dem Platz, und Rummenigge verriet: So stellen wir uns das vor. Bei alledem klang jener erfolgsverwöhnte Ton durch, den Bayern-Hasser so hassen und Bayern-Liebhaber so lieben: Wir haben mal wieder alles richtig gemacht.“
Weltklasse in Effektivität
Bernd Müllender (taz 2.10.) erklärt die Reaktionen der Münchner nach dem Spiel: „La Capitale hatte die Richtung vorgegeben. Die Gazette hatte das Spiel der Münchner Bayern beim Brüsseler Vorortclub RSC Anderlecht mit dem ganzseitigen Foto einer Maß-beladenen Hofbräuhaus-Kellnerin launig ein Derby de la bière getauft, ein Bierduell also, weil beide Städte maßgeblich Großes zur nationalen Braukunst beitragen. Und tatsächlich wurde die Begegnung überaus bierlastig. Der FC Bayern wäre nicht der FC Bayern, hätten seine Repräsentanten das 1:1 beim belgischen Rekordmeister nicht selbstbesoffen bewertet wie nach einer ex gekippten Flasche extra-prozentigen belgischen Abteibiers. Ottmar Hitzfeld hatte ein sehr gutes Champions-League-Spiel beobachtet, stammgewürzt durch, so Karl-Heinz Rummenigge, große Leidenschaft und in der zweiten Halbzeit Weltklasse bei Martin Demichelis. Manager Uli Hoeneß, in Rostock noch schimpfend auffällig geworden, wollte gar eine grandiose Leistung in der letzten halben Stunde gesehen haben. Hatte der FC Bayern, nach Claudio Pizarros dummem Doppelfoul innerhalb von 60 Sekunden ab Minute 36 gelb-rot-dezimiert (Hitzfeld: das war internationale Härte), dem belgischen Tabellenführer wirklich so vehement eingeschenkt? Die Statistik führte in der Rubrik Schüsse aufs Tor für die Bayern nachher den Wert 1 wie auch für die Rubrik Tore. Der selbst ernannte Favorit war also Weltklasse in Effektivität. Insofern einigten sich alle auf den Begriff hochzufrieden. Nüchtern betrachtet war es ein Spiel, das bis zum Platzverweis zwar deutlich überlegene Bayern gegen eine biedere, aber defensiv brillant organisierte Heimelf sah, mit netten Ballstafetten unter sichtlichem Führungsanspruch von Michael Ballack, aber einheitlich ohne Torchancen.“
Grätschen, Kontern, Gewaltschüsse
Birgit Schönau (SZ 2.10.) berichtet den 2:1-Sieg Inter Mailands über Dynamo Kiew: „Sechs Spiele, sechs Siege. Die Italiener machen in dieser Champions-League-Saison da weiter, wo sie mit Pokalgewinner AC Mailand aufgehört hatten. Vier Klubs sind im Rennen, neben Milan auch Inter, Juventus und Lazio Rom. Wer vor zwei Wochen Arsenal – Inter gesehen hatte, rieb sich verdutzt die Augen. Ausgerechnet die Mailänder Internazionale, die sich mit konsequenter Verweigerung zuletzt bis ins Halbfinale gequält hatte, machte es britischer als die Briten. Und gewann 3:0. Ohne Christian Vieri. „Helden von Highbury“ wurden sie sofort zu Hause genannt. Man ahnte schon: Eine Glanzleistung macht noch keine Mannschaft. In der Meisterschaft hat Inter zwei Nullnull hinter sich. Nach solch peinlichen Auftritten deuten immer alle auf Christian Vieri, der sich vor drei Wochen beim Länderspiel gegen Serbien verletzt hatte. Vieri ist der beste Torjäger der Serie A. Gegen Dynamo Kiew haben es Debütant Daniele Adani und Vieri gerichtet. Ein Auftritt des Stürmers war von Hector Cuper, diesem irdischen Stellvertreter der Göttin Prudentia, überhaupt nicht vorgesehen. Vieri präsentierte sich kurz vor dem Spiel in der Kabine und setzte sich durch. „Wollte spielen“, murmelte er später, da hatte er mit seinem Kopfball zum 2:1 in den Schlussminuten noch eine Blamage abgewendet. „Jetzt seid mal nicht so kleinlich, wir haben gewonnen, und das Ergebnis zählt“, sagte Vieri dann noch – diesen Satz kann jeder Inter-Spieler mittlerweile im Schlaf. Wie fast immer machte auch Trainer Cuper nicht den Eindruck, als hätte er sich amüsiert. „Wir haben gelitten“ – ein anderer Satz aus dem Inter-Gencode – „denn wir wussten: Wenn die den Ball kriegen, kennen sie keine Gnade.“ Gnadenlos, auf diese Formel könnte man das Spiel von Dynamo Kiew tatsächlich bringen. Einst galt das Team, das noch heute fast identisch mit dem Nationalteam der Ukraine ist, als Kollektiv der Alleskönner. Das war unter „Oberst“ Valeri Lobanowski. Inzwischen ist Lobanowski tot, sein Starspieler Andrej Schewtschenko wurde zum Star beim AC Mailand, und Dynamos Spieler können vor allem austeilen. 31 Fouls in 90 Minuten, dazu kamen nicht wenige, die der französische Schiedsrichter Brè gar nicht gesehen hatte. Lobanowskis Nachfolger Michailitschenko lässt mit Libero und Manndeckung spielen, mit eiserner Manndeckung, aus deren Griff sich Inter über weite Strecken nicht befreien konnte. Dynamo ging es vor der gähnend leeren Kulisse von San Siro (15 000 Zuschauer) erst recht darum, ein brauchbares Resultat zu erreichen. Grätschen, Kontern, Gewaltschüsse, das war ihr Programm, und die Italiener ließen sich davon beeindrucken.“
FC Porto – Real Madrid (1:3) NZZ
Gewinnspiel für Experten
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Carsten Jancker mit englischen Augen gesehen und englischer Feder beschrieben
Problem Afrika-Cup – Carsten Jancker mit englischen Augen gesehen und englischer Feder beschrieben – Bundesliga sei in Japan unpopulär geworden (FAZ) – Düsseldorfer Auferstehung? (FTD) u.v.m. (mehr …)
Ballschrank
Bitte keine Ironie, das verstehen die Leute hier nicht
Volker Weidemann (FAZ 9.5.) besuchte eine Pressekonferenz Stefan Effenbergs. „Die Versuche des Verlegers, seinen Neu-Autor als guten Menschen zu präsentieren sind der peinlichste Moment des Tages. Lesen Sie es. Und jeder, der es gelesen hat, wird sehen, in diesem Mann steckt ein weicher Kern. Es ist ein etwas lächerlicher, etwas hilfloser Moment. Natürlich weiß auch Lunkewitz, daß das Buch ein Erfolg ist, weil es verspricht, eine Art Bibel des Bösen zu sein. Eine rücksichtslose Abrechnung mit allem und jedem. Ohne Respekt. Ohne Angst. Doch wer einerseits mit dem mitleidlos Bösen Geld machen möchte und auf der anderen Seite noch auf der moralisch richtigen Seite stehen will und seinen Autor als guten Menschen präsentiert, der bekommt früher oder später ein Problem. Und so mußte es wohl zu diesem einen entlarvenden Moment kommen, als Stefan Effenberg angab, als einziges Buch der Weltliteratur das Tagebuch Adolf Hitlers gelesen zu haben. Der Moment, in dem das Bündnis aus dem Willen zur Provokation und geistiger Schlichtheit sich offenbart. Bernd Lunkewitz saugt da immer nervöser an seiner Zigarre, kommt später ganz von selbst auf das Thema zurück, wohl wissend, daß da eigentlich nichts mehr zu retten ist und erklärt: Ich habe Stefan vorher extra noch gesagt, er soll nicht ironisch sein. Bitte keine Ironie, das verstehen die Leute hier nicht. Doch die Leute hatten es schon verstanden. Besser als dem Verleger in diesem Augenblick lieb war.“
Prolliges Umkleidekabinendeutsch
Christian Ewers (FTD 9.5.). “Vernichtende Besprechungen hatte Effenberg lesen müssen, sein Buch wurde zerfetzt, bevor es auf dem Ladentisch lag. Die Schelte hat den ehemaligen Kapitän des FC Bayern nicht beeindruckt: „Wir leben in einer Demokratie“, sagte Effenberg, „jeder darf seine Meinung äußern. Ich kann niemandem etwas verbieten.“ Mit dieser Einstellung, dass jeder alles sagen darf, hat Effenberg offensichtlich sein Buch verfasst. „Ich hab’s allen gezeigt“ liest sich wie das ungefilterte Protokoll einer endlosen Stammtischgeschichte. Der Protagonist säuft viel, kotzt in Kloschüsseln und erobert im Vollrausch nebenbei noch Frauen. Die Kapitel des Buches tragen Titel wie „Einmal blasen, bitte“, „Eine teure Verarschung“ und „Bekloppt vor dem Fernseher“. Es ist ein Leichtes, die Effenberg-Biografie zu verreißen. Jede Seite liefert ein Dutzend Steilvorlagen, man muss gar nicht inhaltlich werden, allein das prollige Umkleidekabinendeutsch bietet ausreichend Angriffsfläche. Es gibt dennoch eine Lesart, die Gewinn bringend sein kann. Ein, zwei Kapitel Lektüre genügen, und man hat eine Vorstellung, wie die Lebens- und Gedankenwelt eines der ehemals besten Fußballer Europas aussieht. Diese Welt ist ziemlich klein, weil sie Ego-Welt ist und nur Platz für Effenberg hat. Aber so scheint Hochleistungssport zu funktionieren: Da ist der unerschütterliche Glaube an die eigene Heldenhaftigkeit – und sonst nicht viel. Von diesem Glauben ist Effenberg noch immer beseelt, obwohl sein Marktwert tief gesunken ist.“
(7.5.)
Kickender Sozialdarwinist
Bernd Dörries (SZ 6.5.) hält nicht viel von Stefan Effenbergs Ergüssen. „In Bild schreibt er, dass er durchaus nicht gegen die Todesstrafe sei, wenn es um Kinderschändung geht. Und dass man Arbeitslosen doch bitte das Geld streichen sollte, und überhaupt, dass es mit Deutschland und der Regierung so nicht weiter gehe. Stefan Effenberg, 34, Profifußballer in der vorletzten Spielminute seiner Karriere, ist unter die Autoren gegangen: Seit zwei Wochen nun druckt Bild Auszüge aus der in dieser Woche offiziell erscheinenden Autobiografie Ich hab‘s allen gezeigt des kickenden Sozialdarwinisten – 320 Seiten geschriebenes „Ich sach ma“. Weil der Proll-Faktor bei Effenberg hoch ist, schreckten Verlage wie Random House oder Ullstein diesmal zurück; dabei stürzen sie sich sonst auf solche Werke, etwa die Selbst-Enthüllungen eines Dieter Bohlen. So kam der Berliner Aufbau-Verlag zum Zug, ein bisher angesehener Vertreter einer kränkelnden Branche; hier erscheint etwa Bertolt Brecht. Nun schreibt hier Effenberg im Bewusstsein, „dass Millionen mit mir einer Meinung sind“. Und man hofft, dass dem nicht so ist.“
(5.5.)
Wer Effenberg gelesen hat, der wird in Verona Feldbusch eine charmante Abgesandte des Bürgertums sehen
Nach der Lektüre von Effenbergs Werk ist Claudius Seidl (FAS 4.5.) entsetzt. „Der ehemalige Fußballer Stefan Effenberg hat etwas getan, was man wohl, allen inneren Widerständen zum Trotz, schreiben nennen muß, ein ganzes Buch mit dem Titel Ich hab’s allen gezeigt, Bild druckt vorab, die Konkurrenz zitiert – und schon nach unserer ersten Woche mit Effenbergs Prosa stellt sich die Frage, ob es tatsächlich, wann immer man glaubt, den absoluten Tiefpunkt gesehen zu haben, noch ein bißchen tiefer, schmutziger, gemeiner geht. Effenberg jedenfalls ist ganz weit unten – in den Vereinigten Staaten würde man Schauplatz und Personal seines Buchs als White Trash bezeichnen. Er schreibt über Sex (mit der Frau eines ehemaligen Mannschaftskameraden), über Drogen und deren Folgen (…mußte erst mal auf die Toilette und ordentlich über der Kloschüssel abhängen, um zu kotzen), über Leute und was er von ihnen hält (Verpisser) – und die einzige halbwegs angenehme Wirkung dieser Prosa ist die: Die jüngere Vergangenheit der deutschen Trash-Kultur erscheint auf einmal in einem milderen Licht. Wer Effenberg gelesen hat, der wird in Verona Feldbusch eine charmante Abgesandte des Bürgertums sehen (…) Stefan Effenbergs Prosa wirft nicht nur ästhetische, sondern vor allem auch moralische Fragen auf. Es gibt da eine Passage, die müßte man, um die Probleme wirklich deutlich zu machen, eigentlich wörtlich zitieren; und andererseits möchte man sie, noch während man die Sätze liest, am liebsten schon wieder vergessen haben. Es geht darin um einen bösen Morgen im Leben des Fußballers, um den Tag, an dem er in seiner Einfahrt einen Penner liegen sah, einen Mann, der in seinem eigenen Schmutz lag, mit blutverschmiertem Gesicht, einen Menschen, also, dem es an jenem Morgen offenbar sehr schlecht ging. Effenberg allerdings sieht weniger die Kreatur als seinen eigenen Ekel, den er ausführlich beschreibt, und das einzige, was ihm leid tut, sind die Sohlen seiner Schuhe, mit denen er den Mann berührt, um ihn aufzuwecken. Offenbar wissen Effenberg und seine Ghostwriter nicht, was sie da tun – sonst hätte ihnen doch, was die Ästhetik der Szene angeht, auffallen müssen, daß die Begriffe, die armseligen Sätze und die Gossenwörter, mit denen hier hantiert wird, noch fürchterlicher stinken als der Mann, den sie beschreiben wollen: daß also ein durchschnittlich sensibler Leser sich eher vor Effenberg als vor dem armen Penner ekeln wird. Was die Moral angeht, war wohl nichts anderes zu erwarten von diesem Mann – das Bestürzende an dieser Passage ist nicht bloß der Umstand, daß da einem Mannschaftsspieler solche Gefühle wie Mitleid und Erbarmen offenbar völlig unbekannt sind: Beunruhigend ist vor allem, daß der Mann sich traut, seine eigene Verkommenheit so lautstark zu bekennen. Wenn das die Emanzipation der unteren Schichten ist, dann wünscht man sich ganz dringend eine Elite zurück, welche über genügend Autorität verfügte, einen wie Effenberg, wenn schon nicht zur Scham, dann wenigstens zum Schweigen zu bringen. In dieser Hinsicht ist Effenbergs Text jedenfalls mehr als bloß das Selbstzeugnis eines besonders unangenehmen Zeitgenossen: Dieter Bohlen forderte moralische Autoritäten noch heraus. Stefan Effenberg weiß überhaupt nichts mehr von deren Existenz. Und offenbar ist er nicht der einzige. Man darf nicht traurig werden über der Lektüre und auch nicht pessimistisch. Man muß solche Typen bekämpfen.“
Gewinnspiel für Experten
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