indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Themen: der Abschied Elbers, Publikumsliebling – das Comeback Möllers – der gelungene Einstand Beckhams – Besorgnis erregender Zustand des italienischen Fußballs u.v.m.

Solch einen Brasilianer wird man in der Bundesliga lange nicht mehr sehen

Christian Eichler (FAS 31.8.) verabschiedet einen Publikumsliebling aus der Bundesliga. „Servus, Giovane de Sousa, genannt Elber – solch einen Brasilianer wird man in der Bundesliga lange nicht mehr sehen. Einen solch deutschen Brasilianer: ein Prädikat, das er als Kompliment ansah. Neun Jahre gelang Elber, was den wenigsten aus dem Land des Fußball-Karnevals gelingt: klarzukommen mit der Kälte, der fremden Sprache, den abendlich leeren Straßen, den mürrischen Gesichtern, der ganzen strebsamen Unsinnlichkeit des effizienten Deutschland. Nun verläßt er es als der effizienteste Ausländer, den die Bundesliga je hatte – 133 Tore in 256 Spielen, vier Meistertitel, vier Pokalsiege (einen davon mit Stuttgart), als Krönung der Champions-League-Sieg mit den Bayern 2001. Er funktionierte wie ein Roboter: So beschrieb er, was die Bayern von ihren Profis verlangen. Und doch behielt sein Spiel den letzten Funken an Spaß und Spontaneität, der Fußball zum bunten Variete machen kann. Die Bayern domestizierten ihn zum Fußball-Deutschen. Sein Fußballherz blieb das eines Brasilianers. Als er 1991 zum AC Mailand kam, schien die große Karriere programmiert. Doch das damals weltbeste Vereinsteam verlieh den Neunzehnjährigen gleich weiter zu den Grasshoppers nach Zürich. Dort, im kalten Winter fern der Heimat, litt er wie ein Hund – und biß sich durch. Fabrizierte riesige Telefonrechnungen – und Tore am Fließband: 59 in 72 Einsätzen in der Schweiz. Die Bundesliga merkte auf: ein winterfester Südamerikaner. So landete er 1994 beim VfB Stuttgart und traf gleich im ersten Einsatz gegen HSV-Torwart Uli Stein (ein zweiter Debütant namens Fredi Bobic köpfte das Siegtor zum 2:1). Dem Reporter dieser Zeitung gefiel der entzückende Schweizer Akzent, mit dem der Neuling schilderte, daß sein Künstlername Elber eine Erfindung seiner Mutter sei und eigentlich gar nichts bedeutet. Sein erstes Bundesliga-Interview beschloß er mit den Worten Isch guat? Schon damals war sein Deutsch besser und wortreicher als das mancher deutscher Kollegen – Sprachgewandtheit als Form der Fußball-Intelligenz. Die Probleme seines Freundes und Landsmanns Marcio Amoroso in Dortmund sieht Elber auch darin begründet, daß dieser auch nach zwei Jahren immer noch nicht die Landessprache gelernt habe. Mit diesen Sprachkenntnissen und diesem Namen hätte Elber auch einen guten deutschen Nationalspieler abgegeben. Und welche Karriere hätte er gemacht in einer Zeit, in der Stürmer wie Jancker, Marschall oder sein früherer Landsmann Paolo Rink Deutschland bei Welt- und Europameisterschaften vertraten. Im brasilianischen Nationalteam hatte er übermächtige Konkurrenz: Erst waren es Romario und Bebeto, dann Ronaldo und Rivaldo, gegen die Elber sich trotz sieben Toren in fünfzehn Länderspielen nie durchsetzen konnte. Wer vom brasilianischen Spiel schwärmt, denkt an Angriffsfußball. Doch setzten sich in der Bundesliga nur die defensiven Brasilianer wirklich durch: Jorginho, Dunga, Julio Cesar, später Lucio. Bis Elber kam. Im verpoppten Fernsehfußball der ran-Jahre wurde das Magische Dreieck um Elber, Bobic und den Bulgaren Balakow ein festes Show-Element. Elber hatte von Beginn an fast alles: glänzende Technik, eine Schnelligkeit, die immer leicht aussieht, und beim Torschuß jene Ruhe und Lässigkeit, die großartig wirkt, wenn sie zum Treffer führt, und ein wenig überheblich, wenn nicht.“

Hey, Andi, komm‘, auf, schnür‘ die Schuhe, du musst uns helfen

Ingo Durstewitz (FR 1.9.) kommentiert die Rückkehr Andreas Möllers. „Der Mittelfeldspieler, der am Dienstag ins Training einsteigt, möchte weder sich noch die Mannschaft unter Druck setzen lassen: Lasst uns einfach Fußball spielen. Das sensible Gebilde einer Fußballauswahl soll durch ihn, den Weltstar von einst, nicht aus dem Gleichgewicht geraten: Das Team steht im Vordergrund. Über seine Zeit bei der Eintracht vor mehr als einem Jahrzehnt will Möller nicht mehr sprechen. Ich blätter‘ nicht in der Vergangenheit. Auch mit den vielen Artikeln, die vom verlorene Sohn erzählen, könne er sich nicht anfreunden: Ich sehe das nicht so theatralisch. Warum er sich die Bundesliga, die Eintracht noch mal antut? Ich muss nichts beweisen, betont er, ich will helfen. Die Sache habe irgendwie eine Eigendynamik angenommen, die Bild-Zeitung hat sich für ihn ins Zeug gelegt, Umfragen gestartet, Kommentare geschrieben, und die Leute kamen zu mir und sagten: ,Hey, Andi, komm‘, auf, schnür‘ die Schuhe, du musst uns helfen.‘ Drei Monate hat er nicht gegen den Ball getreten, hat sich mit Waldläufen fit gehalten. Der medizinische Check, sagt Reimann, habe dennoch hervorragende Werte ergeben, bessere als die von manch anderen meiner Profis. Möller wollte unentgeltlich spielen, was die Eintracht aber ablehnte. Viel wichtiger war da die Offerte, von Sommer 2004 an als Assistent des Vorstands – vor allem in repräsentativer Funktion – zu arbeiten. Rudi Assauer, Manager auf Schalke, habe ihm schon angeboten: Wenn du willst, kannst du bei mir in die Lehre gehen.“

Thomas Klemm (FAS 31.8.) fügt hinzu. „Möllers künftige Mitspieler zeigen sich verhalten, abwartend, gespannt; sie verweisen darauf, sich auf das brisante DFB-Pokalspiel beim ewigen Rivalen, dem Regionalligaklub Kickers Offenbach, an diesem Montag konzentrieren zu müssen. Immerhin der Vereinsvorsitzende Peter Fischer hat am Freitag nach Gesprächen mit den Profis positive Signale empfangen. Ja, lautete die Botschaft, der Spätheimkehrer könne im Abstiegskampf helfen. Kann er das wirklich, der Andreas Möller, der nicht gerade dafür berühmt geworden ist, stets aufs neue die Ärmel hochzukrempeln und eine Mannschaft mitzureißen, dem immerzu und überall der Ruf eines zimperlichen Fußballspielers vorauseilt? Möller, der an diesem Dienstag sein 36. Lebensjahr vollendet, habe in den besten Mannschaften gespielt und kann uns fußballerisch und mit seiner Erfahrung sicher weiterbringen, sagte Willi Reimann am Samstag. Eine Woche zuvor hatte es der Eintracht-Trainer abgelehnt, irgendeinen Spieler vom Liegestuhl auf Gran Canaria weg verpflichten zu wollen. Warum also Andreas Möller, der vor sieben Wochen sein Engagement beim FC Schalke 04 und vorgeblich auch seine Karrierre beendet hat? Nach einigen Vier-Augen-Gesprächen mit Möller ist Reimann zu der Überzeugung gelangt, daß sich der kurz vor Transferschluß gekommene Frankfurter Bub für seinen alten Verein reinhängen wolle. Bevor sich Möller der Öffentlichkeit stellt, plauderte er vorweg über seine mutige Entscheidung, elf Jahre nach seinem unrühmlichen Frankfurter Abgang gen Juventus Turin, unmittelbar nach der verpaßten Meisterschaft 1992, für ein kleines Entgelt wieder beim Abstiegskandidaten anzuheuern. Es sei eine emotionale Entscheidung gewesen, sagte Möller der Bild-Zeitung, selbst die Handwerker in seinem neuen Haus im unweit von Frankfurt gelegenen Bad Homburg hätten ihn gebeten zu helfen.“

Ich will Erstligafußball an meinem Lebensmittelpunkt

FAZ-Interview mit Andreas Möller

FAZ: Die Eintracht ist zuletzt nicht gerade durch eine seriöse Vereinsführung aufgefallen.

AM: Macht es überhaupt Spaß, ins Eintracht-Chaos zurückzukehren?

Was los war, interessiert mich nicht. Entscheidend war das Gespräch mit Trainer Willi Reimann Anfang der Woche. Ich hatte das Gefühl, wir sind auf einem Nenner. Er ist Profi und sieht das ganz nüchtern, er führt mich an das Team heran. Ihm ist klar, daß mir drei Monate fehlen. Das Pokalderby heute gegen Offenbach sehe ich mir noch am Fernseher an.

FAZ: Reimann soll gegen Sie gewesen sein, er wird zitiert, er könne keine Leute aus dem Liegestuhl in Gran Canaria gebrauchen.

AM: Damit war ich nicht gemeint, den Schuh ziehe ich mir auch nicht an.

FAZ: Haben Sie ihn im Gespräch von sich überzeugt, oder haben ihn andere überredet, es mit Ihnen zu versuchen?

AM: Ich glaube kaum, daß Reimann sich von irgendeinem etwas reinsingen läßt, wie ich ihn kennengelernt habe.

FAZ: Haben Sie nicht Angst, Ihren guten Namen zu verlieren?

AM: Nein, ich fühle mich ganz locker und relaxt, ich muß nichts mehr beweisen. Ich glaube, auch die Fans machen keinen Druck. Sie wissen: Er hat es nicht nötig, uns zu helfen, und macht es trotzdem. Viele fragen mich: Warum tust du dir das an? Dabei ist es ganz einfach: Ich will Erstligafußball an meinem Lebensmittelpunkt. Ich werde alles tun, damit die Eintracht erstklassig bleibt, aber ich bin nicht der Garantieschein für den Nichtabstieg. Und ich bin auch nicht der verlorene Sohn, der zurückkehrt, das ist mir viel zu theatralisch. Frankfurter Bub, das lasse ich mir noch gefallen.

Golden balls

Peter Burghardt (SZ 1.9.) berichtet den gelungenen Einstand David Beckhams. „Der berühmteste Engländer spielt jetzt bei Real Madrid, da gibt es im Bernabeu-Stadion viel Besuch von der Insel. Der auffälligste Anhänger war zum Start der spanischen Meisterschaft aus London eingeflogen, und er hatte wie üblich nichts mehr an, als er um 20.15 Uhr den Rasen erreichte. Ronaldo wollte gerade den Anstoß zur zweiten Halbzeit gegen Betis Sevilla ausführen, da rannte eine nackte Gestalt mit Perücke auf den Platz, begleitet vom Raunen der 60000 Zuschauer, die erst aus der Zeitung erfuhren, dass es sich bei dem Überraschungsgast um einen erfahrenen Spezialisten handelte. Er heißt Mark Roberts, hatte an seiner Männlichkeit zwei Christbaumkugeln befestigt und trug auf der Haut den Hinweis, er sei der wahre (the real) Mann mit den goldenen Bällen. Ein britischer Scherz halt, zur Ehre desjenigen, um den es auch diesmal vor allem ging. Das war natürlich David Beckham, dem seine Gattin Victoria Adams einmal Golden balls zugeschrieben haben soll, wie auch immer man das verstehen mag. Und zum Glück für die Gastgeber blieb die Einlage seines Landsmannes Rogers nicht der einzige Höhepunkt der Veranstaltung. Die Hausherren gewannen 2:1, mit wesentlicher Beteiligung des Spice Boys, der seit seiner offiziellen Premiere sechs Tage zuvor einen sagenhaften Aufschwung erlebt hatte. Beim ersten Supercupspiel auf Mallorca wurde Beckham ausgewechselt, und sein Team verlor kläglich. Zum Sieg im Rückspiel steuerte er ein Kopfballtor zum 3:0 bei. Beim Ligabeginn traf er nun bereits nach zwei Minuten und 41 Sekunden mit dem rechten Fuß, nach großartigem Zuspiel des Brasilianers Ronaldo von Linksaußen. Zur Belohnung zog ihn Kahlkopf Ronaldo am blonden Pferdeschwanz, die beiden Meister verstehen sich.“

Walter Haubrich (FAZ 1.9.) ergänzt. „David Beckham hatte schon im Finalrückspiel um den – allerdings nur kommerziell wichtigen – Supercup mit einem Kopfballtor imponiert. Bis vor einer Woche waren die meisten Anhänger des spanischen Rekordmeisters noch der Meinung, Real brauche Beckham gar nicht, und der sei eigentlich nur aus kommerziellen Gründen, vor allem wegen des Trikotverkaufs, nach Madrid gekommen. Nach nur zwei Spielen im Bernabéu-Stadion hat der im Londoner Osten geborene und bei Manchester United berühmt gewordene Ehemann des Spice Girls Victoria Adams die Sympathien der Madrider gewonnen: durch seine guten Leistungen auf dem Spielfeld, aber auch mit seinen höflichen Umgangsformen und seinem freundlichen Wesen. Beckham erzählt in Gesprächen mit Journalisten, denen er nie ausweicht, immer wieder, wie glücklich er sich in Spanien fühle. Daß seine Pässe noch nicht so genau ankommen wie die zwischen den schon eingespielten anderen Stars, verzeiht man ihm gern. Ein Problem hat Beckham allerdings in die Madrider Mannschaft gebracht, und das heißt Figo. Der Portugiese hat beim FC Barcelona wie bei Real Madrid immer an der rechten Außenlinie gespielt, und diesen Platz mußte er jetzt Beckham überlassen. Doch als linker Außenstürmer fühlt sich der Rechtsfüßler Figo sichtbar unwohl. Er weicht häufig in die Mitte aus, steht dort aber manchmal Zidane – auch gegen Betis wieder bester Spieler von Real – im Weg. Figo versucht weiter, aber weniger erfolgreich, die gegnerischen Verteidiger mit dem Ball am rechten Fuß zu überspielen. Sympathieträger für das Publikum war der griesgrämige Portugiese im Gegensatz zu Raúl, Zidane und Beckham noch nie; dagegen galt er bis jetzt als Lieblingsspieler des autoritären Vereinspräsidenten Florentino Pérez. Der hatte schließlich dank Figos Verpflichtung die Wahlen im Klub gewonnen.“

Fußball in Europa vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Allgemeines Füßewaschen im italienischen Fußball

Über den Zustand des italienischen Fußballs lesen wir von Dietmar Polaczek (FAZ 30.8.). „Nun ist eine mehrfache Fußballkrise ausgebrochen, die wieder bis in die Politik reicht. Deren erster Teil besteht im Gewaltenteilungskonflikt zwischen autonomen Sportgerichten und der Ziviljustiz, den Catania (Serie B) mit der Anrufung von Zivil- und Verwaltungsgerichten wegen schwerer Regelverletzung (Siena verwendete den gesperrten Spieler Martinelli) ausgelöst hat. Unabhängige Zivilrichter entscheiden anders als die Sportgerichte – ein heilloses Durcheinander entstand. Catania-Präsident Riccardo Gaucci wirft dem Fußballbund-Präsidenten Franco Carraro, der den Beschluß stützt, die Mannschaft absteigen zu lassen, persönliche Vendetta vor. Ministerpräsident Berlusconi, über seineFußballmannschaftspräsidentschaft populär geworden, wußte, was auf dem Spiel stand, und hat vor einer Woche mit einem Dekret (Erhöhung der Mannschaftszahl in der zweiten Liga auf 24) den Krieg verhindern wollen. Doch auch am kommenden Sonntag streikt die B-Liga und boykottiert das schwarze Schaf Catania, das gewagt hat, schmutzige Wäsche öffentlich zu waschen. Die zweite Wurzel der Krise ist die Korruption der Klubs. Einige stecken wegen überhöhter Ablösesummen in schweren Geldnöten. Sie versuchten ihre Teilnahme an der Nationalliga mit Bürgschaften zu sichern. Einige Klubs (Roma, Napoli, Cosenza, Spal) stehen jetzt unter dem Verdacht der Fälschung; die Rechte verteidigt sie als Opfer des Betrugs. Die Spuren schwarzer Geldgeschäfte führen wie so oft in die Schweiz. Die Klubs haben längst nicht mehr sportliche Ziele, sondern sind Aktiengesellschaften: börsennotiert, werbeinteressiert und gewinnorientiert. Ihr unsauberes Finanzgebaren (angeblich erpreßte Bestechungsgelder, Schwarzkonten, Steuerhinterziehung) paßt in den Rahmen der auferstandenen Tangentopolis. Berlusconi hatte oft genug erklärt, der Sport dürfe von Politik und Justiz nicht behelligt werden. Dann griff er selber ein, um die nicht unter Spiel-, sondern unter Finanzschwäche leidende Klubs zu salvieren. Wer im Fußball gewinnt, wurde schon bisher über Bankkonten und Öffentlichkeitsarbeit entschieden, nicht auf dem Spielfeld. Jetzt haben sich Politik, Straf- und Zivilrecht des Fußballs angenommen – er erhitzt die Gemüter mehr als Rezession, Rentenpleite und Gesundheitsreform. Wird es jetzt in Italien nach Sauberen Händen auch Saubere Füße geben? Folgt auf die Prozeßwelle Mani pulite ein Großreinemachen und allgemeines Füßewaschen im italienischen Fußball?“

Wir Isländer sind sportverrückt

FAS-Interview mit Asgeir Sigurvinsson, Trainer Islands:

FAS: Deutschland muß am nächsten Samstag in Reykjavik um die EM-Qualifikation zittern. Was erwartet den WM-Zweiten beim Tabellenführer Island?

AS: Wir Isländer haben ein großes Herz. Diese Spieler geben alles. Wir sind keine Brasilianer. Aber die Deutschen auch nicht.

FAS: Als einer der besten Bundesliga-Mittelfeldspieler der achtziger Jahre führten Sie den VfB Stuttgart 1984 zur deutschen Meisterschaft. Helfen die Deutschland-Kenntnisse bei der bevorstehenden Aufgabe?

AS: Ich kenne die Deutschen so gut, fast besser als meine Spieler in Island. Wenn es darauf ankommt, sind sie da. Deshalb bin ich sicher, daß Deutschland Gruppenerster wird. Aber um Zweiter vor Schottland zu werden und in die Play-off-Spiele zu kommen, brauchen wir einen Sieg gegen die Deutschen. Angst haben wir keine.

FAS: So nah ist Island der Qualifikation für ein großes Turnier noch nie gewesen. Wie kommt es, daß ein Land, das weniger Einwohner hat als Bielefeld oder Wuppertal, nun einen solchen Mini-Aufschwung im Fußball erlebt?

AS: Wir Isländer sind sportverrückt. Fußball ist Sportart Nummer eins, auch die Handballer sind sehr stark. Manchmal machen sie uns Konkurrenz um die Talente. Wir hatten einmal einen Spieler, der stand gleich in drei Nationalteams: Fußball, Handball, Volleyball. Im Fußball profitieren wir derzeit von einer sehr guten Jugendarbeit. Und in der Nationalelf haben wir einen sehr guten Spieler, Eidur Gudjohnsen vom FC Chelsea.

FAS: Sind Sie in Island ein Star?

AS: Nein, hier gibt es keine Stars. Hier kennt jeder jeden. Hier braucht kein Mensch ein Autogramm.

FAS: Haben Sie eine Trainerkarriere angestrebt?

AS: Nein, ich habe erst nur nebenher als Berater für den Verband gearbeitet. Als Atli Edvaldsson im Mai das Handtuch als Trainer warf, bat der Präsident mich einzuspringen. Ich sagte zu, aber nur für den Rest der EM-Qualifikation.

FAS: Sie waren der beste Fußballprofi, den Island hatte, nun sind Sie mit drei Siegen in drei Spielen wohl auch der erfolgreichste Trainer. Macht das Lust auf mehr?

AS: Doch, schon. Ich habe jetzt um zwei Jahre verlängert. Die Qualifikation für die WM 2006 in Deutschland werde ich auch noch als Trainer bestreiten.

FAS: Und die WM 2006 dann auch?

AS: Ja, das wäre wirklich ein Ding.

Zum Abschluss das Streiflicht (SZ 1.9.). „Der in seinem Anglizismuskampf fast manische Verein Deutsche Sprache hat den DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder nun zum „Sprachpanscher des Jahres“ ernannt. Der Grund: Im Katalog Fan Corner des Deutschen Fußball-Bundes finden sich Produkte wie Home Shirts und Away Shirts oder Reversible Tops, dazu, wie wir ergänzen, das gerade heute so unendlich wichtige Oliver Kahn Signature Shirt, für 65 Euro eine echte occasion. Einen wie Mayer-Vorfelder haut das freilich nicht von den Home Socks: Er bezeichnet die Aktion als „reinen Populismus“ und als „Witz“. Sollte er mit Letzterem Recht haben, wäre es vielleicht nicht dumm, die ganze Sache in jenen kleinen Rucksack zu packen, den die Fan Corner für schlappe 25 Euro anbietet. Er hört auf den Namen Funset.“

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Türkeis Vorliebe für deutsche Fußballtrainer wird um eine Episode erweitert: Werner Lorant wird Trainer bei Fenerbahce Istanbul

Eher skeptisch bewertet die deutsche Sportpresse Lorants langfristige Erfolgsaussichten. Schließlich gelte der Trainerjob bei Fenerbahce „nicht unbedingt als der sicherste Europas“, schreibt Jochen Schlosser (Welt 03.01.). Der ehemalige Löwen-Trainer habe, Gerald Kleffmann (SZ 03.01.) zufolge, den neuen Job „seinem Ruf als strenger Trainer zu verdanken“. Türkische Öffentlichkeitsorgane begrüßten ihn als „Durchgeknallten“ und „geradeheraus“, der seinen Präsidenten schon mal als „Hosenscheißer“ (taz 03.01.) betitelte. Und: „Man muss verrückt sein, um in der Türkei und speziell in Istanbul als Fußballtrainer zu arbeiten“, wird der türkische Journalist Ozturk zitiert, womit er auf die ein Trainerdasein erschwerenden Umstände in seiner Heimat anspielt: kurzfristiger Erfolgsdruck durch die Öffentlichkeit, immense und ständige Medienpräsenz, Unruhe durch verbale Störfeuer eitler Funktionäre und besserwisserischer Ehemaliger. „Türkischer Meister sollte man eigentlich ziemlich bald werden, sonst geht´s einem noch schlechter als zu Hause“ (Christoph Biermann in SZ 03.01.). Der größte Fanklub des Vereins nenne ihn bereits jetzt einen „zweitklassigen Trainer“ (Uwe Marx in FAZ 04.01.). Folglich wirkt die Einschätzung Lorants etwas blauäugig: „Fußball ist überall gleich.“

Ob seine Entscheidung also tatsächlich, wie Stefan Hermanns (Tagesspiegel 03.01.) meint, auf Lorants Einsicht beruhe, „dass er mit seinen Arbeitsmethoden aus dem fußballerischen Paläolithikum in seriösen Ligen wohl keine begründete Chance mehr auf eine Anstellung gehabt hätte“, darf daher angezweifelt werden. Jedoch gilt die Türkei als „Ort der Hoffnung für alle Verdammten und Verfluchten, Verjagten und Vergessenen“ (Biermann). In der Tat waren es in erster Linie diejenigen Trainer Deutschlands, deren „Haltbarkeitsdauer“ (Biermann) abgelaufen war: Jörg Berger, Christoph Daum, Reinhard Saftig, Rüdiger Abramczik, Hans-Peter Briegel, Rainer Hollmann, Kalli Feldkamp, Jupp Derwall. Letzterer gilt am Bosporus noch heute als Pionier, obwohl er zur Zeit seiner Beschäftigung bei Galatasaray „hier zu Lande bestenfalls noch als Pilsnase in Erinnerung“ gewesen sei, wie Biermann abfällig bemerkt. Es liegt nun also in den Händen Lorants, die türkische Hochachtung vor deutschen Fußballlehrern nicht zu enttäuschen und des Weiteren gewachsene bilaterale Traditionen weiterzuführen, wie sie „Hobby-Historiker Christoph Daum“ (Biermann) so trefflich formulierte: „Im ersten Weltkrieg waren wir Waffenbrüder, dann kamen die Gastarbeiter nach Deutschland und später Jupp Derwall in die Türkei.“

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1. FC Kaiserslautern – Werder Bremen 1:0

Michael Ashelm (FAZ 29.4.) beschreibt den positiven Einfluss des FCK-Trainers. „Die Aufbauarbeit von Erik Gerets macht sich jetzt in der entscheidenden Phase des Jahres noch mehr bemerkbar. Auch wenn der Belgier bei seinen Spielern erste Ermüdungserscheinungen erkennt, gerade der jüngere Teil der Mannschaft des 1. FC Kaiserslautern läßt den Trainer nicht im Stich. Wenn man seit Januar unter Druck steht und sehr hart arbeitet, dann kostet das viel Energie, analysierte Gerets, sprach dann aber nach dem 1:0 gegen Werder Bremen am Sonntag auch von einer Superleistung. Hauptsächlich ging es wohl über einen ausgeprägten Willen, weshalb die Lauterer letztlich zu dem Erfolg kamen. Denn spielerisch waren ihnen die Bremer, die ihre Teilnahme am internationalen Geschäft immer mehr gefährden, fast zwei Halbzeiten lang überlegen. Sie hatten in der Summe sogar die weitaus besseren Chancen, die Partie auf dem Betzenberg für sich zu entscheiden. Keine Überraschung also, daß Miroslav Klose, neben seinem Torwart-Kollegen Tim Wiese der Matchwinner des Abends, den Sieg zu einer Sache des Kopfes erklärte. Im Endspurt um die Zugehörigkeit zur Fußball-Bundesliga, der für den wirtschaftlich gebeutelten Klub eine ganz besondere Bedeutung einnimmt, haben die Lauterer den entscheidenden Schritt vollzogen. Zwar ist rechnerisch das Schlimmste noch möglich, doch das Gefühl spricht gegen den GAU. Wir brauchen nur noch einen Punkt, glaubt der 21 Jahre alte Wiese, und den holen wir uns am Wochenende bei den Bayern.“

Der gefährlichste Torschütze der Weltmeisterschaft hat einen Elfmeter verwandelt

Oliver Trust (FR 29.4.) berichtet Pfälzer Stimmung. “Es ist ein Graus in diesen Tagen. In der Pfalz auf alle Fälle. Und für Fußballspieler im Besonderen. Schwermütig könnten sie allesamt werden. Da strampeln sie sich ab in der rauen Wirklichkeit des Abstiegskampfes, und ihr Chef spielt den bösen Wolf. Dabei ist das Märchen in Kaiserslautern doch so schön: Auferstanden aus Ruinen. Wie gut passt die Erfolgsmeldung vom 1:0 über Werder Bremen in den Fundus der Geschichten um den berühmten Berg der Mythen. Finanzielles Chaos, keine Lizenz für die zweite Liga, Absturz bis in die Verbandsliga. Die Schlagzeilen hatten sich wie schwarze Gewitterwolken turmhoch aufgebaut. Und jetzt? Gerettet mit 38 Punkten. Fast jedenfalls. Doch es wird ein Happy End mit Schmerzen. Als Miroslav Klose den Ball vom Elfmeterpunkt aus ins Tor schoss, standen die Zuschauer mit feuchten Augen auf den Sitzen. Ihre Helden versprühten keinen Glanz, aber gekämpft und nie aufgegeben, das hatten sie. Ein Sieg, pfälzisch, kantig, eckig, mit viel Verzweiflung errungen. Der sechste Heimerfolg in Folge ohne Gegentor, die beste Rückrunde jemals. Ein Hauch Geschichte wie ein Regenbogen. Dann er. Dieser Chef in der Rolle des Griesgrams mit helvetischem Akzent, der eine ganzen Fußballregion zum Landstrich der Enthaltsamkeit machen will und muss. Ein flüchtiges Lächeln, mehr von der Regie des Anstandes bestimmt, sonst ein Gesicht, in dem die abgekämpften Kicker vergeblich Zweifel und Wankelmütigkeit suchten. Mitten im tosenden Jubel stand Jäggi und enttäuschte die natürlichen Erwartungen nach einer Belohnung. Stattdessen lieferte Jäggi ein nüchternes Bild der Lage. Sollen wir uns zu Standing Ovations erheben, weil wir ein Heimspiel gewonnen haben, weil der gefährlichste Torschütze der Weltmeisterschaft einen Elfmeter verwandelt hat?, fragte Jäggi mit einer Spur Fatalismus in der Stimme. Wir sind noch nicht gerettet.““

Energie den Saft abdrehen

Arminia Bielefeld – Energie Cottbus 2:2

Roland Zorn (FAZ 29.4.) sah ein gerechtes Ergebnis. „Energie den Saft abdrehen, hieß es auf dem Titelblatt der Alm-Post. Passend zu dieser hochgemuten Forderung der Stadionzeitung von Arminia Bielefeld mußten sich die Spieler von Energie Cottbus schon vor dem Anpfiff ein abwertendes Urteil hartgesottener Arminen-Fans anhören: Absteiger, Absteiger. Dann fing das Spiel an, und schon nach 33 Sekunden war der Ball drin – im Bielefelder Tor. Gebhardt nutzte den Ausrutscher von Verteidiger Hansén; derselbe Spieler, bis zur verletzungsbedingten Auswechslung (59.) überragend auf seiten der Cottbuser, schoß nach 40 Minuten auch noch das 2:0 unter Mithilfe des überlaufenen Arminen-Kapitäns Reinhardt und von Torhüter Hain, der den Ball hätte halten müssen. Bei Halbzeit schien nicht Energie, sondern die Arminia saft- und kraftlos. Statt des allseits erwarteten Sieges des Bundesliga-Aufsteigers, der damit so gut wie aus dem Abstiegsschneider gewesen wäre, drohten die Ostwestfalen im dicksten Schlamassel zu landen. Doch dann rieb sich Eduard Geyer, der strenge Fußballehrer der Lausitzer, verwundert die Augen. Ich habe in der Kabine nicht gesagt, daß wir uns hinten reinstellen und um das 2:2 betteln sollen, sprach sich der Coach des Tabellenletzten von jeglicher Mitschuld am Endergebnis frei.“

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Ronaldo

Peter Burghardt (SZ 10.5.) porträtiert Ronaldo. „Jeder wisse, dass Ronaldo einer der besten Spieler der Welt sei, sagte Real-Präsident Florentino Perez bei seiner Präsentation, „aber er hat einen einzigartigen Aspekt, das ist seine universale Ausstrahlung“. Es gebe viele Spieler, die 25 Tore pro Saison schießen könnten, „aber nur ein Spieler holt so viel wieder rein“. Das Hemd mit der Nummer 11 wurde in zwei Monaten 200.000 Mal verkauft, mehr als die von Zidane, Figo, Raul. In Brasiliens Trikot mit der Neun steckt ohnehin jedes zweite Kind, und in Asien sind seine Pausbacken spätestens seit der WM so berühmt wie die Ohren von Mickey Mouse. Dabei steht hinter dem Schwarm der Massen kein Dressman mit wechselnden Frisuren und Popstar-Frau, sondern ein ziemlich gewöhnlicher Kindskopf, der im Übrigen gut zuhören kann. Außer einer Affäre mit einem Model und einer offenbar kurzen Ehe mit der blonden Fußballerin Milene hat Ronaldo wenig Show zu bieten. Diesmal war er nicht mal beim Karneval in Rio, keine Zeit; ersatzweise wurde eine Pappfigur durch die Straßen getragen. Außerdem hilft er Staatschef Lula beim Kampf gegen den Hunger. Am liebsten spielt er mit einem Ball, Fußball und Golf, gerne gegen sich selbst und meistens mit Spaß, ob im Bernabeu-Stadion oder im Sand von Copacabana, und die Zuschauer vergisst er. Heißt es. „Ich habe mein ganzes Leben geschafft, mich vor dem Druck und den Erwartungen zu drücken“, sagt er. „Ich will einfach nur Fußball spielen, den Rest überlasse ich den Leuten an meiner Seite.“ Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira bekommt einen väterlichen Blick. Ach, Ronaldo. Parreira hatte die Auswahl schon einmal betreut gehabt und dort 1994 erstmals das Wunderkind eingesetzt, Ronaldo war damals 17. Er hat bessere Fußballer erlebt als ihn, Pelé, Zico, auch Rivaldo. Pelé“, schwärmt er, „ist die 100 Meter in elf Sekunden gerannt und aus dem Stand zwei Meter weit gesprungen.“ Und was der mit dem Ball konnte! „Aber man darf die Epochen und die Typen nicht vergleichen. Ronaldo ist ein Torjäger, er schießt Tore, und das war’s. Er ist schnell, intelligent und hat einen starken Willen. “ Und klar, ein Individualist, „alle Stars sind Individualisten, aber er lebt mit der Gruppe. Er hat sich nicht sehr verändert. Ronaldo ist ein Symbol im besten Sinne“, sagt er, „ein positives Idol“.“

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Deutschland im Achtelfinale

Der Guardian (London) titelt: „Die Deutschen spielen ihre Karten richtig.“ Paul McInnes berichtet in seinem Artikel – für englische Verhältnisse weiterhin überraschend wohlgesonnen: „Rudi Völlers Deutsche kamen mit einer Leistung in die zweite Runde, die alle Tugenden des deutschen Fußballs aufzeigte, von der Kunst, mit allen erlaubten Tricks zu gewinnen sowie Robustheit. Aber trotz ihrer besten Leistung und dem fünften Tor von Miroslav Klose, stahl ihnen der Schiedsrichter Lopez Nieto die Show, nachdem dieser einen neuen WM-Rekord von 16 gelben Karten in 90 Minuten aufstellte. Lopez hatte schlicht vergessen, dass Fußball ein Spiel mit Körperkontakt ist.“

Die kroatische Zeitung Vecernji List urteilt. „Die Deutschen waren nur ein Schatten der Mannschaft, die gegen Saudi Arabien acht Treffer erzielte. Immerhin war es die deutsche Tugend Hartnäckigkeit, die der Elf einen weiteren Sieg einbrachte. In einem äußerst spannenden Match reihten die Kameruner die Chancen aneinander, der Schiedsrichter Nieto hingegen Verwarnungen. Die Deutschen müssen sicherlich mehr zeigen, wenn sie auf diesem Turnier eine glänzendere Spur hinterlassen wollen.“

Die Irish Times kommentiert den deutschen Sieg ähnlich unspektakulär, wie es das Spiel selbst war: „Ein sauberer Abschluss von Marco Bode und ein unausweichlicher Kopfball von Miroslav Klose ermöglichten Deutschland ein 2:0 über Kamerun, das den dreimaligen Weltmeister in die zweite Runde des World Cup bringt.“ Da das Match auf einem solch hitzigen Niveau stattfand, hatte sicherlich nichts mit den schlechten Platzverhältnissen zu tun.„Aber Deutschland hatte auch sehr gute Momente. Klose zeigte sich als Vorbereiter, als er einen punktgenauen Pass auf Bode spielte, der seit der Halbzeit für den schlechten Carsten Jancker spielte und dieser den Ball flach an Torwart Boukar Alioum ins lange Eck schob.“

Guerric Poncet (Le Monde) über die Schiedsrichterleistung. „Der Schiedsrichter Lopez Nieto hat eine sehr gute Leistung gezeigt. Es ist ihm gelungen, seine Autorität unter äußerst schweren Umständen zu wahren.“

Zur Leistung des Schiedsrichters des bis dato kartenreichsten WM-Spiel urteilt die senegalesische Tageszeitung Le soleil. „Der Schiedsrichter, der schneller verwarnt als sein Schatten.“

Das Ausscheiden Frankreichs bewegt die Gemüter der Italiener ungleich mehr als der Sieg Deutschlands über Kamerun, der angesichts der alles andere als klammheimlichen Freude über den Misserfolg der „Coq de France“ weit auf die hinteren Sportseiten der Tageszeitungen rückt. „Mit den Torbrüdern Ballack und Klose fliegt Deutschland ins Achtelfinale“ heißt es im Corriere della Sera und: „Klose und Ballack spielen zwar nicht im selben Verein, sie haben aber eine Eigenschaft, die sie miteinander verbindet und vom Rest der Mannschaft unterscheidet: Sie verfügen über Fußballbewusstsein und Intelligenz, die sie in den Dienst des Kollektivs stellen.“ Unter der Überschrift „Deutschland unerbittlich – vorwärts mit Bode und Klose“ heißt es in La Repubblica: „Es ist immer eine Frage des Kopfes. Entweder man hat einen oder man hat keinen. Miroslav Klose zum Beispiel hat einen, und er hat mit ihm fünf der Tore geschossen, die aus ihm den Torschützenkönig der WM machen. (…) Kamerun dagegen hat schnelle Beine, kräftige Körper und bewegliche Füße, aber keinen Kopf.“ Ein paar Absätze später präzisiert der Korrespondent: „Um die Wahrheit zu sagen, Klose benutzt den Kopf nicht nur als Hammer: der Beweis dafür sind zwei erstklassige Torvorlagen für Ballack und Bode.“ Ansonsten spiele Deutschland wieder sehr deutsch: „solide, tetragonal, weise. Nicht brillant.“

Argentinien scheidet aus

„Argentinien auf der Gefallenenliste“ titelt die Irish Times. „Die Schweden drängten den WM Favoriten Argentinien aus dem Turnier, nachdem die beiden in einem packenden Match in Miyagi Unentschieden spielten. Argentinien benötigte einen Sieg, um die Vorrunde zu überstehen und begann daher gut, obwohl die zwingenden Chancen fehlten. In der zweiten Halbzeit bestraften die Schweden ihre Gegner für die ausgelassenen Torchancen.“

Der Guardian titelt gar: „Arrogante Argentinier fliegen raus“. „Argentinien ist der zweite große Gefallene der Weltmeisterschaft, da die WM-Favoriten den amtierenden Champion Frankreich auf dem frühen Heimflug aus Fernost begleiten können. Für den Trainer Marcelo Bielsa war es ein erneutes frustrierendes Match, nachdem er und seine Mannschaft nun sich fragen müssen, wie sie nur aus der Vorrunde ausscheiden konnten. Obwohl sie die Schweden vollkommen unter Kontrolle hatten und 65% Ballbesitz in der ersten Halbzeit hatten, schafften sie es nicht ihre Überlegenheit in Tore umzumünzen, bis es zu spät war.“

Das Ausscheiden Frankreichs ist den Italienern Schlagzeilen auf den Seite 1 wert: „Frankreich unter Schock, die WM verliert die Sieger“ schreibt La Repubblica. Vittorio Zucconis Kommentar, ebenfalls auf Seite 1, beginnt so: „Da man als Christ Mitleid auch für die eigenen Peiniger empfinden soll, neigen wir heute das Haupt vor dem Golgatha derer, die uns selbst so viele davon zugefügt haben, jenen Coq de France, die sich jetzt in einer für sie grausamen WM in Fußballkapaune verwandelt haben.“ Im Sportteil der Repubblica wird „Das Ende der französischen Herrschaft“ ausgerufen. Der Sportteil des Corriere della Sera macht auf mit einem herzlichen „Adieu“ in neun Zentimeter hohen Lettern, daneben steht ein Erinnerungsfoto von der WM 1998 mit dem rituellen Kuss Blancs auf die Glatze von Barthez.

Die französische Tageszeitung Liberation titelt: „Deutschland kommt gestärkt weiter“. „Deutschland ist unversehrt aus seinem entscheidenden Spiel hervorgegangen. Obwohl die deutsche Mannschaft während des Spiels dominiert wurde, konnte sie durch ihr physisches Spiel, das sich oftmals über dem Erlaubten bewegte, den Sieg davontragen. Die Taktik der Deutschen, den Ball in den eigenen Reihen zu halten, schlug schnell fehl. Sie hatten es letztlich der Einzelleistung Kloses zu verdanken, der vier (!)Verteidiger binden konnte und Bode entscheidend in Szene setzte. Der junge deutsche Stürmer war einmal mehr die tödliche Waffe seiner Mannschaft.“

Zum Weiterkommen ihrer die Mannschaft schreibt die senegalesische Tageszeitung Le soleil. „Es war hart, aber es hat gereicht! Die Feier geht weiter! Schlussendlich hat der Senegal die zweite Runde erreicht. Das ist historisch für die erste Teilnahme bei einer WM! Insbesondere in einer Gruppe A, die keinesfalls leicht gewesen ist!

Der senegalesische Staatschef Abdoulaye Wade beglückwünscht die Löwen. „Afrika ist stolz auf diese Löwen und kann nicht aufhören, es zu betonen. Ich hätte mich gefreut, wenn Frankreich den Senegal in das Achtelfinale begleitet hätte, aber so ist das Spiel. Frankreich kann stolz darauf sein, in seiner Liga auf die senegalesischen Fähigkeiten gesetzt zu haben und somit vielen Spielern des Senegal in ihrer Ausbildung geholfen zu haben. Von nun an, spielen wir für den Senegal, für Afrika und für Frankreich.“

Gérard Davet (Le Monde) sucht nach Gründen für das Ausscheiden Frankreichs. „Die Blauen, amtierender Europameister und Weltmeister, sind nicht in der Lage gewesen, die erste Runde der Weltmeisterschaft 2002 zu überstehen. Das ist ein wirklicher Misserfolg. Es ist allerdings davor zu warnen, diese hochgelobte Mannschaft einfach zu vergessen, die uns zum Träumen veranlasst hat und deren Scheitern nicht gänzlich unvorhersehbar gewesen ist. Es hat einerseits an Spielerpersönlichkeiten, wie Blanc und Deschamps, gefehlt. Keiner der Akteure konnte seinen Mitspielern den Weg zum Erfolg weisen. Jeder hat seinen Part gespielt, und der Mythos der eingeschworenen Truppe ist zusammengebrochen. Freundschaft war nicht mehr der Motor dieser französischen Mannschaft. Sicher gab es Solidarität, aber nicht mehr die Bereitschaft sich für seinen Mitspieler zu zerreißen. Wie kann man nun das persönliche Versagen des Kapitäns Marcel Desailly deuten? Der Verteidiger vermochte es nicht diese Mannschaft zu leiten, da er zu sehr mit seinen persönlichen Schwierigkeiten und Problemen als sein eigener Geschäftsmann beschäftigt war.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Zinedine Zidane, einzigartiger Welt-Fußballer

seltene Einigkeit zischen DFL und Bundesliga-Offiziellen bei Verhandlung um Fernsehrechte (FAZ) – Zinedine Zidane, einzigartiger Welt-Fußballer– Birgit Prinz ist Welt-Fußballerin – Werner Dreßel will Trainer bei Greuther Fürth bleiben (SZ) – SpOn-Interview mit Monica Lierhaus über ihre Arbeit als TV-Moderatorin und über Sprachsensibilität – Boca Juniors besiegen lustlose Mailänder im Weltpokal-Finale – Lothar Matthäus in Ungarn u.a.

Das war die beste Sitzung, seit es die DFL gibt

Roland Zorn (FAZ 16.12.) berichtet den unerwarteten Schulterschluss zwischen der DFL und führenden Bundesliga-Offiziellen bei der Verhandlung um Fersehrechte: „Vorher war von einem Frankfurter Krisengipfel die Rede, nachher sah man lauter fröhliche Gesichter. Karl-Heinz Rummenigge, in der Vergangenheit schon mal als scharfer Kritiker der DFL öffentlich aufgefallen, gab die Feelgood-Stimmung der großen Runde aus allen 36 Bundesligaklubs mit dem Tagessatz wieder: Das war die beste Sitzung, seit es die DFL gibt. Die nach dem vorjährigen Crash des Kirch-Konzerns, ihres langjährigen Fernsehgroßvermarkters, depressive und defensive Atmosphäre innerhalb des deutschen Profifußballs scheint sich zur Jahreswende zu drehen. Wir haben ein Superprodukt zu bieten, die Stadien sind voll, die Einschaltquoten wunderbar, hob Rummenigge hervor, um daraus diese Schlußfolgerung zu ziehen: Das muß sich auch wieder in den nackten Zahlen ausdrücken. Und das heißt, daß wir in Zukunft wieder mehr statt weniger Geld bezahlt haben wollen. Das neue Selbstbewußtsein, zu dem sich das Bündnis für Zusammenarbeit aus der Ersten wie der Zweiten Bundesliga in einem Frankfurter Tagungshotel verstand, bekommt als erstes Infront, die schweizerische Vermarktungsagentur der DFL, zu spüren. Nachdem sich die Liga vor dieser Saison zehn Millionen Euro von der ursprünglich vereinbarten Fernsehvermarktungssumme abhandeln ließ und somit 290 Millionen Euro an Fernsehhonoraren für diese Spielzeit ausbezahlt bekommt, gibt es ab sofort keinen Spielraum für Kompromisse mehr. Entweder zieht Infront die Option auf zwei weitere Spielzeiten zu Beträgen von 295 und 300 Millionen Euro, oder die Bundesliga verkauft ihre Spiele selbst an die interessierten Fernsehsender. Infront hat der DFL ein aus der Sicht der Fußballprofis inakzeptables, modifiziertes Angebot von 272 Millionen Euro für die Saison 2004/05 und 277 Millionen Euro für die Spielzeit 2005/06 unterbreitet und dazu um eine Fristverlängerung bis zum 31. Januar 2004 nachgesucht.“

Wäre auch zu schön, würde nach einer DFL-Sitzung Einigkeit herrschen

Frank Hellmann (FR 16.12.) hingegen wirft ein: „Werner Hackmann ist seit eh und je überzeugt vom Stellenwert eines Sports und einer Liga, die bei einem gewissen Ereignis 2006 tolle Quoten, hohe Reichweiten und viele Zuschauer garantiert. Dies ist die mitunter waghalsige Einschätzung, die die DFL öffentlich seit der Kirch-Krise im Mai 2002 zur Show trägt. Dass Premiere und Infront im Sommer 2002 ein Darlehen von 50 Millionen Euro gewährten und den Vereinen das Überleben sicherte, möchten die Bosse nur am Rande erwähnen. Auch inwieweit dieses Überbrückungsgeld zum reduzierten Infront-Angebot geführt haben könnte. Derzeit wird die Politik betrieben, sich handlungsfähig zu zeigen. Wir können die Sache selbst in die Hand nehmen, sagt Winfried Straub, wir sind darin nicht ungeübt und verfallen nicht in Depression. Doch der Tonfall zwischen Liga-Spitze aus Frankfurt und der Netzer-Firma mit Sitz in Zug ist rauer geworden, der Zeitdruck größer denn je. Was dafür spricht: Den Wunsch von Infront, die Option bis zum 31. Januar 2004 zu verlängern, lehnte die DFL ab. Straub: Wir haben genug Zeit verloren. Das indes ist auch Schuld der sieben Sonderlinge in der großen Solidargemeinschaft (Hackmann). Bayern, Dortmund, Leverkusen, Bremen, Hertha, Schalke und Stuttgart – sieben der acht Vereine, die sich am 19. November in München zu einem Geheimtreffen versammelten – haben nämlich den Bescheid über den Freistellungsantrag zur Zentralvermarktung bei der EU-Kommission verzögert, weil sie gesonderte Bemerkungen abgaben. Grundsätzlich stimmen sie der Zentralvermarktung zu, doch wollen die Großclubs im Internet oder gegenüber Mobilfunkanbieter ihre Spiele einzeln vermarkten. Vor allem der FC Bayern mit Sponsor Telekom im Rücken erhofft sich daraus große Gewinne, Spielausschnitte gegen Gebühr im Internet oder per Handyclips zu übertragen, und möchte sich in dieser Frage partout nicht bevormunden lassen. Wäre ja auch zu schön, würde nach einer vorweihnachtlichen DFL-Sitzung wirklich Einigkeit herrschen.“

Nadeschda Scharfenberg (SZ 15.12.) drückt Werner Dreßel die Daumen, dass er Trainer bei Greuther Fürth belieben darf: „Für eine Liebeserklärung braucht es nicht viel: einen Topf grüner Farbe, einen Streifen Papier und zehn Worte. „Das Team ohne Werner Dreßel wär’ wie Winter ohne Schnee“, dichteten die Anhänger der SpVgg Greuther Fürth vor dem 3:3 gegen Duisburg zu Ehren ihres Trainers, und ein Blick über das Stadiondach genügte, um sie zu verstehen. Hässliche Häuserklötze türmen sich rund um die Playmobilarena, wie schön wäre es doch, wenn eine Schneehaube die harten Kanten weich zeichnen würde. Der Schnee soll ja kommen, jetzt zu Wochenbeginn, aber über Dreßels Zukunft gibt es keine sicheren Prognosen. Er lacht trocken. „Es macht mir Spaß, und ich würde gerne weitermachen“, sagt er, kreuzt die Arme und fährt fort: „Aber das entscheidet das Präsidium.“ Dann dreht er sich um und geht. Eigentlich ist es falsch, Werner Dreßel, 45, hier als Cheftrainer des fränkischen Zweitligisten einzuführen, laut der Vereins-Homepage ist dieser Posten „zur Zeit unbesetzt“. Dreßel firmiert dort weiter als Co-Trainer, was er seit gut zwei Jahren ist. Eine Zwischenlösung sollte er sein, nachdem Vereinsboss Helmut Hack am 5. November genug hatte von den Eskapaden des extrovertierten Fußballlehrers Eugen Hach, unter dem das Team den Aufstiegsambitionen weit hinterher hinkte. „Die Suche nach einem neuen Cheftrainer hat ab sofort begonnen“, sagte Hack damals, „die Sache muss so zügig wie möglich über die Bühne gehen.“ Außerdem soll der Präsident angeführt haben, Dreßel sei „nicht die Leitfigur, die wir brauchen“. Seither hat Fürth keine Partie verloren und mit einem Sieg beim 1. FC Köln das Pokal-Viertelfinale erreicht. Die Laune könnte besser nicht sein bei den Fürthern (…) Die Fans haben ihr Transparent längst zusammengefaltet, sie können ja nicht mehr tun, als ein bisschen zu werben für Dreßel, der Franke ist wie sie. Jetzt warten sie wieder, auf den Schnee und auf die frohe Botschaft aus dem Präsidium. Dreßel mag es sicher nicht, das Warten, aber er spricht nicht darüber. Bloß keine Ansprüche stellen, bloß nicht maßlos wirken. Er hat ja oft genug davon geredet, wie viel Spaß ihm der Job macht, es ist alles gesagt, die Bewerbung ist vollständig.“

FR-Bericht zur Diskussion um die „Ausländerquote“

Volker Finke verneint die „Ausländerquote“ FR

Zidane gelingt es, das Spiel in größerer Weise zu beseelen

Christian Zaschke (SZ 16.12.) gratuliert Zinedine Zidane zur Wahl zum Welt-Fußballer des Jahres: „Zidane wirkt asketisch, das trägt zu seiner Ausstrahlung bei, und er ist, obwohl er enorm trickreich spielt, ein asketischer Spieler: Fast nichts von dem, was er auf dem Platz unternimmt, ist zu viel. Seine Übersteiger und Hackentricks, seine Drehungen mit Ball in vollem Lauf, seine Pässe mit Effet – all das ist niemals Show, sondern die für ihn beste Möglichkeit, die jeweilige Spielsituation weiter zu entwickeln. Jeder Trick dient dem Spiel, und deshalb gibt es keinen Fußballer, der attraktiver spielt als Zidane. Bei Real Madrid, seinem Klub, spielen noch ein paar andere Stars, Ronaldo etwa, oder Figo, Beckham, Raul, Roberto Carlos, usw. Selbst aus diesem Ensemble der besten Fußballer der Welt ragt Zidane regelmäßig und zuverlässig heraus. Manchmal schießt ein anderer ein paar Tore, bisweilen legt ein Kollege einige feine Dribblings hin, das alles ist dann sehr beeindruckend und wirklich schön anzusehen. Doch Zidane gelingt es, das Spiel in anderer, in größerer Weise zu beseelen.“

SZ: „Birgit Prinz ist Weltfußballerin des Jahres und überlegt, sich für ihre Leistung in Italien bezahlen zu lassen“

Lothar Matthäus ist Nationaltrainer Ungarns Tsp

Martin Hägele (Tsp 15.12.) berichtet den Weltpokal-Sieg der Boca Juniors über den AC mailand: „Uli Hoeneß hätte seine hellste Freude an der Inszenierung des Weltpokalendspiels gehabt. Der Mann liebt das große Kino. Dass die Blitze und Sterne schon gen Himmel fliegen, bevor überhaupt der Ball rollt, war die jüngste Idee der japanischen Veranstalter. Es war keine schlechte, um die Atmosphäre bei diesem offiziell Toyota-Cup genannten Vergleich zwischen den beiden führenden Fußballkontinenten zu Beginn ordentlich aufzupeppen. Vor allem die europäischen Vertreter vom AC Mailand wirkten lange nicht so motiviert wie in den Interviews vor der Partie, als sie den Gewinn der riesigen Statue gewissermaßen zum Staatsauftrag erkoren hatten. Der Weltpokal, der in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, sollte im Trophäen-Kabinett ihres Klubchefs Berlusconi landen, der Padre des AC Milan lässt sich doch so gerne zusammen mit seinen Stars feiern. Es kam anders. Die Boca Juniors Buenos Aires gewannen mit 3:1 im Elfmeterschießen. Die geplanten Empfänge in Rom und der lombardischen Metropole fallen zu Recht aus; Pirlo, Seedorf und Costacurta scheiterten vom Elfmeterpunkt. Vom Sieger der Champions League hatte man weit mehr Spielkultur und Einfallsreichtum erwartet, als Maldini und Kollegen zu bieten hatten. Im Vergleich zum Vorjahr, als die Stars von Madrid eine Show im Stil der Haarlem Globetrotters abzogen, war dies mehr als nur ein Klassenunterschied.“

Als die Titelmelodie zum Vorspann lief, wäre ich am liebsten weggerannt

SpOn-Interview mit Monica Lierhaus, ehemals „ran“-Moderatorin, die von Premiere zur ARD-Sportschau wechseln wird

SpOn: Jetzt folgen Sie seinem Wunsch und wechseln zur Sportschau. Was gefällt Ihnen denn, abgesehen vom Gehalt, bei den öffentlich-rechtlichen Sendern besser?

ML: Es war keine Frage des Geldes. Die Arbeit bei der Sportschau wird relativ ähnlich sein, weil die Fußballberichterstattung in den letzten Jahren auch bei den Privaten auf einem sehr hohen Niveau war. Da wird es im Studio oder im Stadion nicht völlig anders zugehen. Ich finde sowieso, dass ran in der Nachbetrachtung zu schlecht wegkommt.

SpOn: Woher kommt denn das schlechte Image?

ML: Ich glaube, es hatte sich der Eindruck verfestigt, dass mehr Show als Fußball geboten wurde, was ich nicht ganz nachvollziehen kann.

SpOn: Hatten Sie befürchtet, als Frau besonders scharf kritisiert zu werden?

ML: Aber ja! Bei der ersten ran-Sendung hatte ich Riesenangst. Als die Titelmelodie zum Vorspann lief, wäre ich am liebsten weggerannt. Ich hatte vor allem die Sorge, dass es mir ein Berufsleben lang anhängt, wenn es nicht gut geht. Wenn man sich beim Fußball einmal einen Riesenschnitzer leistet, dann interessiert es keinen mehr, dass man jahrelang als Reporterin für die Nachrichten unterwegs war, dass man Landtagswahlen moderiert oder aus Belfast und Brüssel berichtet hat. Das ist dann alles weg.

SpOn: Außerdem hatten Sie Huberty ja schon so schwer beeindruckt, dass er sie später als Wunschkandidatin für die Sportschau vorgeschlagen hat, noch bevor die ARD die Fußballrechte wieder gekauft hatte.

ML: Ich glaube, ihm hat meine Professionalität gefallen. Ich bin, glaube ich, schon immer extrem gut vorbereitet gewesen und habe es gelernt, mir auch in der Routine eine gewisse Neugier zu bewahren. Als Fußballmoderatorin habe ich dann einfach so weiter gearbeitet wie vorher auch.

SpOn: Was konnte Ihnen denn Huberty überhaupt noch beibringen?

ML: Unheimlich viel: etwa auf Plattitüden zu verzichten. Redewendungen wie die roten Teufel oder die Königsblauen. Das habe ich versucht, immer zu beherzigen. Auch so Sachen wie die Räume werden eng oder es brennt lichterloh im Strafraum, all die Dinge, die jetzt auf der schwarzen Liste stehen.

Zum Thema Sprachkritik klugscheißert of: Wenn Huberty Lierhaus die Plattitüden ausgetrieben hat, dann hätte er ihr auch das Wort „nachvollziehen“, beliebt in Alltag, Politik und allen Ressorts, abgewöhnen sollen. „Nachvollziehen“ enthält den Vollzug, also die Tat und deren Nachahmung, wird jedoch meist im falschen Sinn von verstehen und nachempfinden gebraucht (siehe Lierhaus-Interview oben). Beispiel: Wenn ich sage: „Ich kann Kannibalismus nicht nachvollziehen“, sollte man mir zurufen: „Um Himmels Willen! Das sollst Du auch gar nicht!“

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Themen

Themen: 40 Jahre Bundesliga: die FAZ gratuliert – Gerd Müller, „der erstaunlichste, der unglaublichste, der einzigartigste Spieler, den die Liga in vierzig Jahren gesehen hat“ (FAZ) – 40 Jahre ZDF-Sportstudio: kein Ort des kritischen Journalismus – sehr lesenswertes SZ-Feature: Hamid Altintop, der türkische Jung-Held Schalkes -Rudi Assauer, der mächtige Manager Schalkes, hat in seinem Verein viel erlebt, erreicht und geschaffen -der HSV steckt in seiner Tradition und im Mittelmaß fest – in Frankfurt regiert ein Emporkömmling, berichtet die FR -Soziologie meets Fußball: eine Phänomenologie des Torjubels und wie dieser den Wandel der Gesellschaft ausdrückt (FR)u.v.m.

Ein einfaches, einfach wunderbares Spiel

Die Bundesliga, die morgen 40 Jahre alt wird, „bleibt für immer jung“. Roland Zorn (FAZ 23.8.) gratuliert. „Nirgendwo sonst ist der sportliche Alltag so aufregend verankert wie in dieser ersten Klasse für Millionen. Die Bundesliga-Ergebnisse noch in den fernsten Weltwinkeln pünktlich zu erfahren gehört zum Ritual. Und der deutsche Kanzler kickt mit: Kein Regierungschef kann es sich heute noch erlauben, ohne Affinität zum Fußball vor sein Wahlvolk zu treten. Dem einstigen Oggersheimer Mittelläufer Helmut Kohl folgte der frühere Mittelstürmer des TuS Talle, Gerhard Schröder, unter einheimischen Fußballern Acker genannt, ins wichtigste politische Amt des Landes. Fußball, das ist eine breite Basis deutschen Selbstverständnisses in einem Land, dessen beste Kicker schon dreimal Weltmeister wurden. Die Bundesliga lieferte über all die Jahre den Stoff und die Helden für den deutschen Stammtisch, während die Menschen im globalen Dorf über die zähen germanischen Kämpfer staunten, die sich bei großen Turnieren immer wieder gegen größere Talente und größte Weltstars behaupten und durchsetzen konnten. Inzwischen ist diese Bundesliga zur offenen Bühne für Spieler aus aller Herren Ländern geworden. Versuche, sie wieder deutscher zu machen, wirken angesichts des paneuropäischen Zusammenrückens in Wirtschaft und Politik anachronistisch. Bei allem Kommen und Gehen ist das Wichtigste an dieser Liga identisch geblieben: Es wird nach vertrauten Regeln über neunzig Minuten gekickt, und es gibt dabei in schöner Regelmäßigkeit jene Momente, in denen sich Fans und aktiv Beteiligte sagen: Das haben wir ja noch nie erlebt! Die Wiederkehr des Immergleichen, gemischt mit den exklusiven Augenblicken, in denen man dabeigewesen sein muß: auch das macht die Faszination Bundesliga aus und die unverbrüchliche Treue zu diesem einfachen, einfach wunderbaren Spiel.

Verlust der Urteilsfähigkeit

„40 Jahre alt wird das Sportstudio an diesem Wochenende, und wenn man Geburtstag hat, ist es das Schlimmste, dauernd zu hören: Früher war aber alles besser bei euch. Aber, so ist es nun mal.“ Holger Gertz (SZ 23.8.) vermisst kritischen Sportjournalismus im TV. „Der Sport ist mehr denn je ein schmutziges Geschäft, von IOC bis Fifa regieren oder regierten dubiose Gestalten, abgesehen von den gefeierten Helden in den Arenen, die irgendwann als dopende Betrüger auffliegen. Aber, das sind Randthemen im Sportstudio. Harry Valérien, der knorrige Sportstudio-Mann von damals, hat drei Sondersendungen zum Doping in den Plan genommen, gegen den Widerstand im Sender. Und er hätte aufgehört, wäre ihm die Aufklärung verboten worden. Bei Poschmann, dem glatten Chef von heute, war einmal die Weitspringerin Susen Tiedtke zu Gast, ihr rotes Kleid wurde belobigt, und insgesamt fand Poschmann sie so betörend, dass er vergaß, nach ihrer Doping-Sperre zu fragen. Das Sportstudio ist eine Unterhaltungsshow geworden, konsumierbar, schnell vergessen. Wenn ein brasilianischer Fußballer zu Gast ist, laden sie schon mal eine Rhythmusgruppe aus Rio dazu ein, damit der Fußballer ein bisschen Samba tanzen kann. Die Interviewer sind Conférenciers, Wolf-Dieter Poschmann filtert haspelnd jede Spitze aus seinen Fragen heraus, Michael Steinbrecher kommt samtener daher als früher der zarte Meister Dieter Kürten. Und der fast tägliche Quälgeist Johannes Baptist Kerner umkurvt mit seiner Kunst der sterilen Interviewführung bereits unter der Woche in seiner Talkshow jede Gelegenheit, Gästen Relevantes zu entlocken (…) Der Journalist Josef-Otto Freudenreich, studierter Soziologe, hat ein Buch geschrieben, in dem die Kräfte analysiert werden, die Sportsendungen zu dem werden lassen, was sie sind. Die Sportler müssen umschmeichelt werden, sonst kommen sie nicht mehr oder sagen nicht mehr „Poschi“ zu Poschmann. Die Zuschauer wollen sich ihr Bild vom Sport nicht durch den ewigen Dopingschmutz zerstören lassen, da schalten sie weg, heißt es. Jetzt, wo es so viele Konkurrenzkanäle gibt, ist das noch leichter. Aber früher war es auch nicht einfach für die Macher des Sportstudios. Der Moderator Bruno Moravetz, schreibt Freudenreich, „warf schon nach vier Sendungen das Handtuch, nachdem er gemerkt hatte, dass ihm das Talent zum seichtfröhlichen Entertainment fehlt“. Moravetz sprach zum Abschied einen großen Satz: „Ich bin zu ernst für diese Arbeit.“ Der ehemalige ZDF-Sportchef Alfons Spiegel sprach zum Amtsantritt 1981 einen noch größeren. „Das wesentliche Merkmal der Begeisterung ist der Verlust der Urteilsfähigkeit.“ Er wollte den Sport versachlichen, Helden wieder zu Menschen machen, Lichtgestalten wieder zu Beckenbauers. Gleich kriegte er Prügel von der Boulevardpresse, nicht nur die Hamburger Morgenpost mäkelte, dass seit Spiegels Amtsantritt dem Sportstudio „die Zuschauer entschlummern“, eingelullt von zu viel Kritisiererei. Inzwischen werden sie eingelullt von großer Beliebigkeit, aber, immerhin, das Sportstudio hat seinen Vierzigsten noch erlebt. Das ist schon eine Leistung. Die meisten anderen Sportmagazine im Fernsehen, etwa im ZDF der Sportspiegel, wurden für immer entsorgt: keine Quote – und so enthält jede Kritik am Sportstudio auch eine an den Zuschauern, die zugelassen haben, dass es so heruntergekommen ist. Poschmann und seine Mainzelmänner mit den orangenen Mikros wähnen sich schließlich im Auftrag des Publikums, wenn sie den Sport als Show verkaufen, und so gesehen kann ihm das Geschwätz der Puristen egal sein.“

Ein Machtwort von Beckenbauer beendete den letzten Versuch, das ZDF-Sportstudio zu einer Instanz des kritischen Journalismus werden zu lassen

„1963 startete das Aktuelle Sportstudio als affirmatives Gute-Laune-Fernsehen, hatte dank kompetenter Moderatoren aber auch immer wieder lichte Momente. Heute präsidieren schleimige Entertainer über seinem Niedergang.“ Matti Lieske (taz 23.8.) übt Fundamentalkritik am Sportstudio. “Natürlich war es der Kaiser höchstpersönlich, der die Dinge wieder zurechtrücken musste. Ein Machtwort von Franz Beckenbauer beendete in den späten 80er-Jahren den letzten Versuch, das ZDF-Sportstudio zu einer Instanz des kritischen Journalismus werden zu lassen. Einige jüngere Mitarbeiter um den aus der Politikredaktion herübergewechselten Marcel Reif hatten es gewagt, ketzerische Anmerkungen und unbotmäßige Untertöne in die Berichterstattung über das deutsche Kickerwesen einfließen zu lassen. Der Gegenschlag der Fußballbonzen und ihrer willfährigen Medien-Handlanger folgte auf dem Fuß. Reif, von der Springer-Postille Welt als Agitprop-Reporter tituliert und von Beckenbauer als Zauberer bespöttelt sowie als Nestbeschmutzer in Grund und Boden verdammt, wurde zurückgepfiffen, und das Sportstudio mutierte endgültig zum lupenreinen Schmuse-TV. Eine Tendenz, die von Anfang an so fest zu dem am 24. August 1963 erstmals auf Sendung gegangenen Format gehörte wie die Wetterkarte zur Tagesschau. Fernseh-Sportberichterstattung vor 40 Jahren war ohnehin streng affirmativ, beschränkte sich aber bis dahin fast ausschließlich auf die sachliche Darstellung des Geschehens. Im damals noch Aktuellen Sportstudio wollte man hingegen die sportelnden Menschen dem Zuschauer näher bringen – auf möglichst unterhaltsame Weise und in einem positiven Licht. Ein revolutionäres Konzept des Gute-Laune-Fernsehens, das kritisches Nachfragen zwar nicht ausschloss, aber kaum förderte. Kontroversen waren nicht erwünscht und entwickelten sich eher zufällig, wie zum Beispiel beim legendären Interview, das Rainer Günzler mit dem eisern schweigenden Boxer Norbert Grupe, Prinz von Homburg, führte. Ausnahmen bestätigen die Regel, zum Beispiel Harry Valériens knallharter Dialog mit Paul Breitner an einem spanischen Swimmingpool, nachdem sich die deutschen Fußballer bei der WM 1982 als charakterlich äußerst fragwürdig erwiesen hatten (Gijón!). Irgendwann musste man fürchten, der bärbeißige Fußballzyniker aus München würde den tapfer bohrenden Reporter jeden Augenblick im Pool ertränken.“

Wenn Sie je ein echtes Müller-Tor gesehen haben, dann jetzt

Christian Eichler (FAZ 23.8.) erinnert an Gerd Müller im Superlativ. „Ein Fußballspiel ist gar nicht leicht, weil es nur schwer zum Torschuß reicht – der Schlager, den Gerd Müller einst sang, scheint aktueller denn je. Das heißt: Zum Torschuß reicht es schon noch bei Müllers Erben in Bundesliga und Nationalelf. Doch immer seltener zu Müllers Refrain: Dann macht es bumm! Es machte nicht bumm gegen Italien am Mittwoch, auch nicht letzten Samstag bei Roy Makaay, den der FC Bayern kaufte, um einer Müller-Quote näher zu kommen. Deshalb und weil die Bundesliga dieses Wochenende runden Geburtstag begeht, ist es der Tag, Gerd Müller herauszuheben. Denn er war der erstaunlichste, der unglaublichste, der einzigartigste Spieler, den die Liga in vierzig Jahren gesehen hat. Im Nationalteam erzielten andere mehr Außenwirkung: Beckenbauer mit heroischer Eleganz, Netzer mit wehender Weiträumigkeit. Dabei war es Müller, ohne den die Erfolge unmöglich waren: EM 1972, WM 1974. Tore, die Gerd Müller schießt, sagte Kommentator Rudi Michel nach dem Siegtor gegen Holland: Tore, die eigentlich nur Gerd Müller schießt. Mit 68 Treffern in 62 Länderspielen kam er auf die Quote von 1,1 Toren pro Spiel. Seit dem Krieg hat kein anderer Deutscher auch nur die Hälfte geschafft. Die Zweitbesten, Walter, Rahn, Völler, Bierhoff und Streich (DDR-Auswahl), bewegen sich bei 0,5 bis 0,55 pro Länderspiel. Wer die verpaßten Gelegenheiten gegen Italien sah, mußte sich wehmütig erinnern, daß Müller es sogar schaffte, den Meistern des Zu-null-Fußballs ein Tor zu stehlen, ein Tor ohne Torchance – jenes Stochertor durch die Beine von Verteidiger und Torwart im Spiel des Jahrhunderts, dem 3:4 im WM-Halbfinale 1970. Wenn Sie je ein echtes Müller-Tor gesehen haben, sagte Reporter Huberty, dann jetzt. Doch Müllers wahre Bühne war die Bundesliga. Seit der knubblige Bursche, dem man die Schnelligkeit und Wachheit nicht ansah, aus Nördlingen zum aufstrebenden FC Bayern gekommen war, wo ihn Trainer Cajkovski kleines, dickes Müller taufte, war er ein Naturereignis in deutschen Strafräumen. Er schoß genug Tore für einen täglichen Abreißkalender: 365 in 427 Bundesligaspielen. Er machte sie mit allen Körperteilen, nicht nur mit seinen an der dicksten Stelle 48 Zentimeter Umfang messenden Beinen; nicht nur mit den Füßen, die er, obwohl sie nur Größe 38 maßen, in 41er-Schuhen unterbrachte, dick bandagiert, um die Knöchel zu schonen und sich noch schneller drehen zu können. Und es war so, daß er als wahrer Torjäger die Bälle gar nicht immer ins Tor jagte, sondern eher: schob, drückte, blockte, tropfte, köpfelte, spitzelte, stocherte. Oder einfach: müllerte. Daß er ein eigenes Verb prägte, das Müllern, zeigte, wie einzigartig seine Kunst war. Dabei waren Müller-Tore keine Traumtore. Nur eines wurde Tor des Jahres, 1976 gegen TB Berlin, als er einen Ball per Grätsche abfing und in 0,8 Sekunden per Drehschuß ins lange Eck setzte. Meist waren es Tore, die einfach aussahen und die doch kein anderer schoß. Doch auch der größte Torjäger brauchte fürs Toreschießen das Erfolgsgefühl des letzten Treffers. Lag der zu lange zurück, kam auch bei ihm die Unsicherheit. Trainer Dettmar Cramer schilderte, wie er Müller von dessen seltenen Ladehemmungen befreite: Er ließ ihn stundenlang von seinen schönsten Toren erzählen. Schon traf er wieder.“

Rudi Assauer hat bei Schalke auf allen Bühnen gestanden

Philipp Selldorf (SZ 23.8.) referiert Bedeutung und Macht Rudi Assauers. „Der FC Schalke 04 zählt mittlerweile zu den wichtigsten Steuerzahlern in Gelsenkirchen, seine Chefs behaupten sogar, nur der Industriekonzern Veba bezahle mehr. „Ja“, sagt Manager Rudi Assauer, „demnächst gehört uns hier die ganze Stadt. Dann bestimmen wir den Bürgermeister. Wir sagen, was gemacht wird. Und dann geht’s wieder bergauf mit dieser Stadt.“ Der Stadt Gelsenkirchen geht es nicht gut, sie leidet unter der seit Jahren höchsten Arbeitslosenrate in Westdeutschland, derzeit rund 17 Prozent. Zuletzt waren ihre Bürger so verzweifelt, dass sie bei der Kommunalwahl 1999 einen CDU-Mann zum Bürgermeister wählten, was eine Revolution im sozialdemokratischen Ruhrgebiet bedeutete. Besser ist die Lage dadurch nicht geworden. Rudi Assauer lacht und spricht: „Wir sagen einfach: Schalke 04 bewirbt sich als Partei für das Stadtparlament. Dann hauen wir sie alle weg, dann hat keiner mehr eine Chance, und dann haben wir alles in der Hand!“ Es ist ein Scherz, aber wahrscheinlich drückt er die Wahrheit aus. In den 40 Jahren Profifußball haben sich einige Vorzeichen verkehrt. „Vom Zyklus her ist das natürlich falsch: Die Stadt wird immer ärmer und ärmer, und der Verein wird wohlhabender und größer“, sagt Assauer. Aber was soll daran falsch sein? Es ist ein Prozess, der in der Logik der Beziehung von Staat und Großunternehmen liegt, und Schalke hat inzwischen mit all seinen Tochtergesellschaften die Struktur eines Konzerns. In den Sechzigern musste die Stadt dem Verein für 850000 Mark das Stadion abkaufen, die 1928 eingeweihte Glückaufkampfbahn, damit er seine Schulden zahlen und in der Liga bleiben konnte. „Und heute“, erklärt Assauer, „müssen wir alles machen, damit die Stadt überleben kann.“ Schalke ist der einzige Klub in der Bundesliga, der drei Stadien bespielt hat. Glückaufkampfbahn, Parkstadion, Arena – drei Häuser eines großen Volkstheaters. Drei ganz verschiedene Bühnen, die für die drei Zeitalter der Bundesliga Modell stehen können, denn der Werdegang dieser urdeutschen Gesellschaftsinstitution lässt sich gut an ihren Stadien ablesen. Die Glückaufkampfbahn, in der während der Dreißiger der Schalker Kreisel geboren wurde, symbolisiert die vormodernen, schwarz-weißen Gründerjahre der Liga und erlangte daher bald den Rang einer Antiquität, denn die Liga entwickelte zügig Geschäftstüchtigkeit. Die Menschen standen dort bis zum Spielfeldrand, Zäune gab’s nicht, aber auch keine Fan-Krawalle. Dann kam die WM 1974, die Ära des Buntfernsehens setzte ein, und die alten Spielplätze wurden ausradiert. Für die sperrigen Geschmack der Siebziger stehen beispielhaft Bauten wie das radikal offene und umso ungemütlichere Parkstadion; das Hamburger Volksparkstadion, als „Kühlschrank von Stellingen“ berüchtigt, das unüberschaubare Düsseldorfer Rheinstadion oder das Frankfurter Waldstadion, für das gedankenlos eine denkmalwürdige Haupttribüne geopfert wurde. Schon im nächsten Jahrzehnt betrachtete man die tristen Riesen als Relikt eines überholten Zeitgeists, und mit der Vergabe der WM 2006 eröffnete sich die Chance zur großen Vergangenheitsbewältigung. Der Fußball spielte seine ganze Macht aus, die größer ist als je zuvor. Hoch verschuldete Städte stürzten sich in aberwitzige Kosten, um irgendwie am großen Turnier teilzuhaben – und blieben, wie Düsseldorf, trotzdem auf der Strecke; in München führten die Löwen und die Bayern für den gewünschten Stadionneubau eine trickreiche Kampagne, die jede politische Partei neidisch machen müsste. Nur Dortmund und Schalke brauchten sich mit ihren Palästen keinem Wettbewerb mehr zu stellen. Die beiden Ruhrpottklubs, jahrzehntelang Schauplätze chaotischen Wirtschaftens, hatten den Fußball früher als alle anderen in die Zukunft geführt, und während in Dortmund der geschäftssinnige Notar Gerd Niebaum und der kluge Manager Michael Meier verantwortlich zeichneten, hatte in Schalke ein Mann den Aufbruch organisiert, der die Bundesliga durch ihre Babyjahre begleitet und sie nie verlassen hat. Rudi Assauer hat bei Schalke auf allen Bühnen gestanden, als Darsteller in allen denkbaren Rollen: Er gehörte zum Ensemble, als er mit Borussia Dortmund in der Glückaufkampfbahn und mit Werder Bremen im Parkstadion spielte. Und später wirkte er hier als führender Bösewicht, als Zampano, Schauspielleiter und Generalintendant, und schließlich als Bauherr des neuen Hauses, der 2001 eröffneten Arena, einem von der Technik geprägten, dem Kommerz geweihten Vergnügungstempel, wie sie nun reihum in den Bundesligastädten entstehen.“

Ein Fußballheld, der goldener Ball heißt: eine fast unglaubliche Geschichte

Sehr lesenswert! Holger Gertz (SZ 23.8.) schreibt ein Feature über Altintop, den Jung-Helden Schalkes. „Berühmt werden, das geht im Fußball manchmal ziemlich schnell, noch schneller als im Fernsehen. Hamit Altintop kannte vor vier Wochen praktisch keiner, aber dann fing die Bundesliga an und mit ihr sowas wie Hamits Reise, vielleicht kann man sich das wirklich als Reise vorstellen, als Alpentour. Was für Bergsteiger ein Berg ist, ist für Hamit Altintop ein großes Spiel, und wo Bergsteiger Fähnchen in den Gipfel rammen, hinterlässt Altintop: Tore. 40 Jahre alt wird die Bundesliga an diesem Wochenende, aber so einen Einstand hat noch selten jemand gehabt. Ohne Altintop, den Zugang aus Wattenscheid, hätte Schalke jetzt vielleicht vier Punkte weniger, ohne Altintop, bis zum Sommer noch in der dritten Liga, würden sie vielleicht noch immer ihren Anführern aus den letzten Jahren, Andreas Möller und Marc Wilmots, hinterher trauern. Aber jetzt, wo er da ist, suchen sie ihn richtig auf dem Feld, gegen Köln war das gut zu beobachten. Ein Schalker hat den Ball und schaut und schaut und findet endlich den dünnen Mitspieler mit der Nummer neun auf dem Hemd und dem Namen Altintop darüber. Altintop, auf deutsch „goldene Kugel“ oder „goldener Ball“. Ein Fußballheld, der goldener Ball heißt. Es ist schon eine fast unglaubliche Geschichte (…) Dann erzählt er davon, wie alles über ihn gekommen ist, und über seine Familie. Über Mutter Merydem und über die drei älteren Schwestern Güllü, Fatima und Gülnaz. Zwillingsbruder Halil, zehn Minuten jünger, hat in dieser Saison als Profi in Kaiserslautern angefangen, aber er, Hamit, lebt noch daheim bei Mama, auf 80 Quadratmetern im vierten Stock. Der Vater ist 1985 gestorben. Nach seinen Toren gegen Dortmund hat er den Reportern gesagt: „Ich geh jetzt nach Hause und erzähl meiner Mutter, wie der Tag so war“, aber als er zu Hause ankam, hatten sich schon Reporter bei der Mutter erkundigt, wie der Tag so war. Ihre Nummer steht im Telefonbuch (…) Vor ein paar Tagen sagt dann seine Mutter zu ihm: Junge, was hast du da eigentlich angestellt. Auf türkisch, sie sprechen türkisch zu Hause, weil die Mutter deutsch nicht so gut kann. Hamit Altintop spricht sehr viel über seine Mutter. Er ist ja erst zwanzig, man vergisst dass manchmal, wenn man auf der Tribüne eines Stadions sitzt und „Scheiß-Millionäre“ brüllt: dass da zum Teil noch halbe Kinder spielen, viel jünger als man selbst. Früher, sagt er, hat sich die Mutter nichts aus Fußball gemacht, er und sein Bruder spielten vor der Grundschule auf einem umzäunten Tartanplatz, den er Affenkäfig nennt, und das Spiel wäre wohl jeden Tag erst mit dem Untergehen der Sonne zu Ende gewesen. Aber bevor die Sonne unterging, kam die Mutter. „Aufhören jetzt, Abendbrot!“ Seine Väter hat er sich später gesucht, in seinen Mannschaften, das waren seine Trainer. Frank Kontny, der Jugendtrainer, hat selbst mal gespielt, zweite Liga, er war keiner, an den man sich erinnert hätte wegen seiner Spielkunst, aber er hat den Laden zusammengehalten und den jungen Spielern gesagt, wo es langgeht. Deswegen ist er später Trainer in Wattenscheid geworden, in der Jugend, wo noch alles ungeschliffen aufeinander prallt: Talent, Schlampigkeit bei den einen, nicht ganz so viel Talent, aber brennender Eifer bei den anderen. Ein Jugendtrainer muss diejenigen trösten, denen der Ball nicht gehorcht, und er muss den Schnelleren, Besseren, Begabteren die Versuchung abgewöhnen, auf die anderen hinabzuschaun. Am Ende muss das eine Mannschaft sein, gebaut aus Arbeitern und Zauberern, Tormaschinen und Abwehrwänden, Vollstreckern und Vorbereitern; der Trainer muss ein unsichtbares Band knüpfen, das elf Jungs zu einem Ganzen schnürt. Frank Kontny sagt: „Manchmal hast du welche in der Mannschaft, die können alles – und sind sich trotzdem für nichts zu schade. Die schleppen die Kisten mit Klamotten, alles. Wenn du solche hast, bist du als Trainer ein glücklicher Mann.“ So gesehen war er vom Glück geküsst, in Wattenscheid, mit seinen Altintops, Hamit und Halil (…) Hamit Altintop könnte sein, in den Medien und Bewusstsein des Publikums: der arme Junge aus Gelsenkirchen, ein bisschen stotternd, aufgewachsen ohne Vater, einer, der sich mit dem Ball aus dem Nichts dribbelt, aber das stimmt schon deshalb nicht, weil er auch ohne Ball etwas gehabt hätte, als Abiturient mit den Leistungskursen Mathe und Bio und der Durchschnittsnote 3,1, immerhin. Altintop könnte sein: perfekte Mischung aus deutschem Ehrgeiz und südländischem Temperament, so ein Zauberer aus 1001Nacht, aber in Schalke achten sie darauf, dass keine Klischeebilder gemalt werden. Altintop könnte schließlich sein: Symbol für die Integration der Türken in Deutschland, besonders dann, wenn er in der deutschen Nationalmannschaft spielte. Allerdings: Würde ein deutscher Nationalspieler Altintop etwas daran ändern, dass auch im Arbeitsamt Gelsenkirchen täglich Dutzende Türken auflaufen, die ihren Job verloren haben und nicht wissen, was mit ihnen werden soll? Könnte ein deutscher Nationalspieler namens Altintop einen deutschen Glatzkopf davon abhalten, einem Türken in der U-Bahn „Kanake“ entgegenzubrüllen? Das kann er nicht (…) Bei der Mutter ist alles wie immer, wie vor vier Wochen, als ihn noch keiner kannte. Fast alles. Jetzt, wo er dauernd im Fernsehen ist, hat sich ihr Verhältnis zum Ball gewandelt, radikal. „Neulich komm’ ich nach Hause, und da erzählt sie mir, wer in der türkischen Liga da und da in der Tabelle steht, wer ausgewechselt worden ist, und von ein paar Torschützen kannte sie sogar die Namen. Meine Mutter!“ Und wie er das erzählt, klingt es, als wäre das von allen Veränderungen in den letzten Wochen die wichtigste.“

Die Vergangenheit ist allgegenwärtig beim HSV

„Beim Hamburger SV ist nur die Selbstzufriedenheit konstant“, schreibt Frank Heike (FAZ 23.8.). „Im Fanshop des Hamburger SV liegt ein Stapel des neuen Jahrbuchs. Gebunden, Hochglanzpapier, ganz auf edel gemacht und doch schlicht: Auf dem Titelbild sind die vier wichtigsten Trophäen des deutschen und europäischen Fußballs abgebildet – die Meisterschale, der Pokal des Deutschen Fußball-Bundes, der Landesmeister-Pokal und der Pokalsieger-Cup. Seht her, signalisiert das Cover, alle diese Titel hat der Hamburger SV schon gewonnen! Im Buchinneren sind dann die Klassiker der HSV-Moderne zu sehen: Das erste Tor in der Bundesliga durch Gert Dörfel, Felix Magath mit der Landesmeister-Trophäe 1983, Horst Hrubesch und die Torjägerkanone 1982. Und natürlich Uwe Seeler, waagrecht in der Luft liegend, gleich mehrfach. Die Vergangenheit ist allgegenwärtig beim HSV. Leider ist die Tradition des Vereins auch fast das einzige, worauf er stolz sein kann. Denn die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart dokumentieren den Abstieg eines großen Klubs von der Spitze der Bundesliga zum heutigen Mittelmaß – seit dem DFB-Pokalsieg 1987 hat der HSV keinen wirklich wichtigen Titel mehr geholt. Das innewohnende System, die Beständigkeit in der Unbeständigkeit, hat auch Kurt Jara längst erkannt, seit zwei Jahren Trainer der Hamburger: Beim HSV geht es ständig bergauf und bergab. Wir stehen jetzt wieder da, wo wir vor zwölf Monaten auch standen. Da bleiben dem Verein und seinen Fans nur der Stolz, als einziger deutscher Klub der Bundesliga seit ihrer Gründung vor vierzig Jahren anzugehören (…) Zwischen 1979 und 1987 war der HSV viermal deutscher Meister, viermal Zweiter. Der HSV, Meister und Europapokalsieger 1983, sollte der norddeutsche Gegenentwurf zu den auch wirtschaftlich so erfolgreichen Münchnern werden. Doch aus verschiedenen Gründen, vor allem dem steten Wechsel auf verantwortlichen Positionen, fiel der HSV nach großen Zeiten ins Mittelmaß. Dort sitzt der Klub mit Ausreißern nach unten und oben bis heute fest.“

Jörg Marwedel (SZ 23.8.) hat gehört. „dass etliche HSV-Profis die in der vergangenen Saison als Tabellenvierter erworbene Popularität allzu gründlich auskosteten. Nachts sollen sie vermehrt in die In-Lokale der Stadt ausgeschwärmt sein, was die Lokalpresse zu der These anregte, „nur auf der Piste“ seien sie „so gut wie die Bayern“. Trainer Jara will zwar nun „nicht rumfahren und um drei Uhr die Diskotheken kontrollieren“, doch sollten neue Fälle bekannt werden, will der Verein, so Sportchef Dietmar Beiersdorfer, „Konsequenzen ziehen“. Schon länger offenbar ist auch die Spannung im Verhältnis zwischen Klubführung und Profis. Seit zu Saisonbeginn die Siegprämien gestrichen wurden, um einen Teil des Vorjahrsdefizits von 14,5 Millionen Euro aufzufangen, reagieren die Spieler sensibel auf die Vereinspolitik. Als Hoffmann und Beiersdorfer kürzlich in London ausloteten, ob der HSV namhafte Bankdrücker der Spitzenklubs Chelsea und Arsenal wie Zenden, Groenkjaer oder Forssell günstig ausleihen könnte, formierte sich gleich die interne Opposition, der sich sogar Trainer Jara anschloss – aus Furcht vor atmosphärischen Störungen im bis dato harmonischen Team. Die Bosse verzichteten auf Verstärkungen, doch die geschlossene Gesellschaft dankte nicht mit Leistung. Kapitän Nico Hoogma mag die Beziehungen zu den Oberen derzeit lieber „nicht kommentieren“. Auch innerhalb der Mannschaft, die Jara zuletzt als „nur noch lieb, nett, brav“ erlebt hatte, gab es nun den von ihm gewünschten „Zoff“. Torwart Martin Pieckenhagen machte dort „Feiglinge“ aus – Spieler, die „vor den Kameras stehen, wenn es gut läuft“, nach Niederlagen aber „nicht zu sehen“ seien. Unschwer zu erraten, dass Pieckenhagen damit auch Sergej Barbarez meinte.“

Oliver Trust (Tsp 23.8.) berichtet die Prämiendiskussion beim VfB Stuttgart. “In der Tat können nur wenige verstehen, dass der Vizemeister seine sportlichen Erfolge nicht auch auf den Marketingbereich übertragen kann und höhere Einnahmen erzielt. Präsident Erwin Staudt, erst seit kurzem im Amt, sagt: „Ich kann nur das Geld ausgeben, das ich in der Kasse habe. Wenn ich jetzt eine Regelung für die ganze Saison treffe, habe ich ein negatives Betriebsergebnis und verstoße gegen die Lizenzauflagen.“ Rund 15 Millionen Euro Schulden drücken den VfB. Magath aber fühlt sich allein gelassen und sieht den sportlichen Erfolg gefährdet. Die beiden Jungnationalspieler Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel wollen längerfristige Verträge mit höheren Bezügen, doch der Verein zögert auch damit. Kuranyi und Hinkel haben mehrfach betont, sie hätten bald die Nase voll. Aber auch diese Botschaft ist beim Stuttgarter Präsidium, das nur aus Wirtschaftsfachleuten besteht, noch nicht angekommen.“

Erbärmlich kleines Karo

Bei Eintracht Frankfurt dirigiert offenbar ein Gernegroß das Geschehen, wenn wir den Worten von Ingo Durstewitz (FR 23.8.) glauben dürfen. “Peter Schuster spricht von Meilenstein-Monitoring. Yeah! Hört sich verdammt gut an. Genauso wie Balanced Scorecard, Due Diligence, Benchmarking oder – schon leicht abgegriffen – Shareholder Value. Noch ein Yeah! Mit Begriffen dieser Art, Marke Erstsemester BWL, kann man Eindruck schinden, zumindest bei jenen, die von den globalen Netzwerken der Wirtschaft keinen Schimmer haben. Andere lassen sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen und attestieren hohles Management-Chinesisch mit nervenden Anglizismen. Wenn Peter Schuster, Vorstandschef der Eintracht Frankfurt Fußball AG, also von Meilenstein-Monitoring spricht, meint er: Er studiert die Tabelle (vermutlich im verhassten Sportteil der Tageszeitung) und liest ab, wie viele Zähler die Eintracht aufs Punktekonto geschaufelt hat. Sind es zu wenige, werden gegebenenfalls Ziele revidiert. Chapeau! Mit solch tiefen Einsichten und herrischem Gehabe hat der 60-Jährige, ein promovierter Jurist, nun auch Bernd Hölzenbein brüskiert. Schuster, der den Weltmann mimt, indes mehr als 20 Jahre bei der Hoechst AG als Syndikusanwalt die Ärmelschoner abwetzte, bot Hölzenbein – über dessen Verpflichtung sehr wohl zu streiten ist – einen Vertrag bis 31. Januar an. 2004, wohlgemerkt. Fünf Monate! Im schnelllebigen Geschäft rund um die Balltreterei, da Schuster selbst Kontinuität das Wort redet, zeugt das von unglaublicher Weitsicht. Schlimmer noch: Schuster hat den Weltmeister von 1974, ein bodenständiger Mann aus Diez, vorgeführt, hat ihn im Gespräch mit englischen Einträgen aus dem Wirtschafts-Lexikon bombardiert, um dann abzuwinken, frei nach dem Motto: So einen Provinz-Heini kann ein expandierendes mittelständisches Unternehmen wie die Eintracht nicht brauchen. Nicht nur Hölzenbein vermutet, dass Schuster ihn in vollem Bewusstsein der Lächerlichkeit preisgegeben hat. In jedem Fall ist Schusters Vorgehen nicht nur provinziell, der Neue aus Kelkheim trägt auch noch erbärmlich kleines Karo. In weiten Teilen des Vereins löst der Name des blasierten Hobby-Kickers Schuster, der mit seinem Fachwissen hausieren geht wie Zeugen Jehovas mit dem Wachtturm, inzwischen ohnehin blankes Entsetzen aus.“

Hintergrund FR

Aus der Rubrik Sport und Ökonomie: Hermanus Pfeiffer (FR 23.8.). „Seit Juli leben Branchenprimus FC Bayern und die Hypo-Vereinsbank (HVB) in einer strategischen Finanz-Partnerschaft. Mit den rund zehn Millionen Bayern-Fans erschließen wir uns ein enormes Kundenpotenzial, freut sich HVB-Boss Dieter Rampl, dessen Fan-Herz dem Vernehmen nach freilich für den Ligakonkurrenten 1860 schlägt. Einzigartig sei diese Liebesheirat. So will die bodenständige Hypo-Vereinsbank, die in diesem Jahr weitere 1000 Stellen streicht, exklusive Finanzprodukte für die Bayern-Anhänger entwickeln und träumt von FCB-Anleihen, deren Kurs an den sportlichen Erfolg gekoppelt ist. Im Gegenzug ist der so genannte Fußballclub sogar bereit, einen ausführlichen Finanz-Bereich auf seiner Internetseite aufzubauen, erklärte der frühere Auswahlstürmer und heutige Vorstandsvorsitzende der Bayern AG, Karl-Heinz Rummenigge. Der Fußballfirma geht es nach Meinung von Beobachtern auch darum, sich im Business-Feld zu etablieren, schließlich ist der frühere Verein selbst dem normalen Fußballgeschäft inzwischen entwachsen. Bislang sind solche Finanzangebote nur bei den internationalen Marktführern Manchester United und Real Madrid üblich. In Deutschland ging dagegen die expansive Koppelung von Fußball und Finanzen zunächst einmal ziemlich schief. Ein FC-Bayern-Fonds der Allianz lief lustlos, Mathematiklehrer Ottmar Hitzfeld hatte sich vor Jahresfrist bei seinem lukrativen Werbevertrag mit der Hypo-Vereinsbank verrechnet, weil er (noch) mit anderen Werbeaktivitäten des FCB konkurrierte, und der FC Schalke 04 wurde vom Oberlandesgericht Hamm kürzlich gerüffelt, weil die Werbung für eine Rentenpolice der Victoria-Versicherung irreführend sei.“

Verborgene Wirken Gottes

Eine Phänomenologie des Torjubels von Martin Hecht (FR 23.8.). „Nicht viele werden sich noch daran erinnern, wie der Dortmunder Timo Konietzka nach seinem ersten Treffer in der Bundesliga im Spiel gegen Werder Bremen am 24. August 1963 in der ersten Minute gejubelt hat. Wie er jubelte, wissen nur die, die dabei waren. Es gibt keine Bilder davon. Aber man darf vermuten, dass er nicht die Eckfahne herausgerissen hat, sich auf den Rücken gelegt und Waaaaahnsinn gebrüllt hat. So etwas tat man damals nicht. Früher wurde nicht nur anders Fußball gespielt, es wurde auch anders gejubelt. Die Art zu jubeln ist keine sich kulturhistorisch konstant abspielende Gebärdenfolge, die bei tausend Kickern aufgrund des gleichen Glücksgefühls im Torerfolg in etwa gleich abgelaufen wäre, als solche sich durch die Zeiten hindurch sozusagen statisch unverändert gezeigt hätte, sondern selbst schwer wiegenden Veränderungen unterworfen. Der Wandel des Torjubels entpuppt sich als Wandel seiner gesellschaftlichen Vorbilder. Der Torjubel ist kein Affekt, sondern gestalteter Auftritt. Der Trend in 40 Jahren Bundesliga ist eindeutig: der Anteil des Affekts geht in dem Maß zurück, in dem der Torjubel inszeniert wird. Von diesem gestalteten Auftritt scheint in der Frühzeit der Bundesliga – und auch noch 1969 – noch nicht viel zu sehen gewesen zu sein, denn noch impfte der Zeitgeist den Menschen ein, Verzicht zu üben – wie im Leben der Knappheitsgesellschaft so im öffentlichen Feiern. 1969 wird Bayern München erstmals Deutscher Meister: Die streng gezogenen Seitenscheitel auf den Häuptern nahezu aller Spieler auf dem Meisterschaftsfoto zeugen trotz der sozialen Unruhen des Jahres von einem Überhang von Werten wie soziale Konformität und Unterordnung, ja Kadavergehorsam, der als unumstrittenes Erfolgsrezept im Fußball gilt. Die Art zu jubeln, die dem Zeitgeist entsprach, vollführte idealtypisch Gerd Müller nach seinem legendären 2:1 im Endspiel der Weltmeisterschaft 1974 in München. Der Luftsprünge machende, sich im Kreise drehende und die Arme in die Luft werfende Müller markiert gleichsam Höhepunkt und Ende dieser frühen traditionellen Epoche. Man konnte in seinem Freudentanz tatsächlich, wie Thomas Hobbes sagt, noch jenes alte verborgene Wirken Gottes erkennen, das man gewöhnlich Glück nennt. Die Geste zeigte eine Freude über ein Gelingen, die zwar dem Stolz über die eigene Leistung entsprang, aber mindestens genauso sehr Dankbarkeit den Göttern des Himmels gegenüber ausdrückte, die so günstig gestimmt waren, dass sie dem Helden diesen Erfolg schenkten. Es steckte darin Enthusiasmus und Naivität. Die Freude war so übermächtig, dass sie jegliche Art einer kontrollierten Choreographie verhinderte. Der Jubel drang unwillkürlich von innen nach außen, und er kannte noch etwas, das sich bald mehr und mehr zurückziehen sollte: das Lachen als Ausdruck der Freude. Das Beispiel Gerd Müllers zeigt einen zweiten Wandel. Das Fehlen einer eigenen Inszenierung im Jubel zeugte noch vom Überhang einer gefühlten Mannschaftsidentität. Anfangs drückte der Torjubel vorwiegend eine Kollektiv- beziehungsweise Mannschaftsidentität aus. Heute bejubelt der Torschütze nicht nur sein Tor, sondern viel mehr als früher sich selbst dafür, dass er es geschossen hat. Ein Gerd Müller, der nach dem Torerfolg in die Fankurve gerannt wäre und in Effenberg-Manier auf seinen Nachnamen auf dem Trikot gedeutet hätte, war damals schlicht undenkbar gewesen.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Fußball-Deutschland muss stolz sein

Die deutsche und deutschsprachige Tagespresse ist fast ausnahmslos begeistert vom Spiel der deutschen Mannschaft. „So pathetisch es klingen mag: Fußball-Deutschland muss stolz sein“, meint die SZ und spricht in Anbetracht des couragierten Finalauftritts von „einem kleinen Fußballwunder“ und sah „das Finale, in dem sich der deutsche Fußball neu definierte“. Die NZZ bemerkt: „Kein anderes Team forderte die Brasilianer so offen und direkt heraus.“ Die FAZ jubiliert: „Brasilien ist Weltmeister – Deutschland die beste Mannschaft der Welt. Was wie ein Widerspruch anmutet, war beim wunderbaren, aber für die Deutschen sportlich traurigen WM-Finale von Yokohama die großartige Auflösung der weltweiten Frage, was geschieht, wenn zwei so verschieden veranlagte Fußballimperien in ihrem ersten Endspiel aufeinandertreffen.“ Dahingegen sah die FR weiterhin die vermeintlichen Gegensätze der beiden extremen Fußballkulturen walten: „Der Deutsche mag rennen und kämpfen und hoch flanken und auch gut halten, doch seine Mittel sind zu beschränkt, um den unvorhersehbaren, lasziven Fußball der Brasilianer aufhalten zu können“ (FR).

Als tragisches Moment begreift man durchweg den kapitalen Fehlgriff des „Götterlieblings Kahn“ (Gazetta24). „Ein Abpraller. Aus und vorbei die Strategie und gleichzeitig auch der Mythos um Oliver Kahn“, schreibt die NZZ. Jedoch wirft die FAZ ein: „Vorwürfe macht Kahn nur einer – er selbst.“ In der Tat: „Noch nie hat man den besten Torwart der Welt so geschlagen gesehen“ (NZZ).

Michael Horeni (FAZ 1.7.) ist vom deutschen Finalauftritt begeistert. „Der imponierendste deutsche Auftritt hinterließ vor allem einen tieftraurigen Kapitän. Aber es kehrt auch eine Mannschaft von der WM zurück, auf die der deutsche Fußball und ihr Teamchef, der sie in so kurzer Zeit und unter großem öffentlichen Druck geformt hat, stolz sein können – ohne jede Einschränkung. Denn die Überraschung dieser WM und des letzten Abends in Yokohama hieß ohne jeden Zweifel Deutschland. Vom ersten bis zum allerletzten Tag wurde diese Mannschaft auf verlorenem Posten gewähnt, weil vor allem die Einzelspieler einer weltmeisterlichen Einzelfallprüfung nicht standzuhalten schienen. Doch auch vor der größten anzunehmenden Herausforderung ließ sich ein durch und durch gefestigtes Team nicht mehr schrecken und lieferte ein Finale, dessen Verlauf auch die größten Kenner des Fußballs verblüffen konnte. Der Riesenmut der angeblich spielerischen Zwerge machte aus dem Endspiel eine in jeder Beziehung ausgeglichene Sache, bis das Schicksal die Wege von Kahn und Ronaldo, den Anführern ihrer Teams, bestimmte.“

Ralf Wiegand (SZ 1.7.) ist überrascht. „Verloren zu haben, ist das Erwartbare. So zu verlieren, war nicht zu erwarten. Dass Brasilien in Schönheit sterben könnte gegen eine deutsche Elf, die mauert und lauert, das war in den Prognosen für möglich gehalten worden, in den finsteren Vorhersehungen, die diese große südamerikanische Fußballseele mit einschlossen und ihre Neigung, manchmal zu einem schwarzen Loch zu werden, in dem sie sich selbst versenken, diese Künstler, wenn es nicht läuft. Aber dass das deutsche Kämpferkollektiv sich in einem Endspiel plötzlich auf das Niveau der Schönsten dieses Sports aufschwingen könnte, einfach so, als wäre es ein Leichtes – das ist bewundernswert.“

„Seltsam“, findet Ludger Schulze (SZ 1.7.): „Die Deutschen kontrollierten das Spiel und waren insgesamt das stabilere Team, aber die genialischen Inspirationen hatten die Brasilianer. Sie wussten, dass sie der Welt auch in der Niederlage eine faszinierende Vorstellung geboten hatten, die alle Vorurteile über die schwerfälligen, vom Glück verfolgten Deutschen überzeugend widerlegte. Diesmal hatte sie dieses Glück einfach im Stich gelassen (…) Die Deutschen spielten am Anfang wunderbar, genau jenen Stil, den man von den Brasilianern erwartet hätte. Schneider düpierte seine Gegenspieler mit Beinschuss, Neuville lupfte die Kugel über seinen Widersacher, die Abwehr ließ sich von den großen Namen Ronaldo, Rivaldo vorerst nicht irritieren. Nach einer Viertelstunde durfte man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass diese Außenseiter dem Favoriten mächtig zusetzen würden.“

Jan Christian Müller (FR 1.7.) meint dagegen etwas nüchterner. „Die deutsche Mannschaft im Jahr 2002 hat (Vor-)Urteile über den deutschen Fußball und den Deutschen an sich bestätigt. Rudi Völler und sein Funktionsteam haben der Welt eine Machbarkeitsstudie über den deutschen Fußball vorgelegt. Keine andere Mannschaft hat es bei dieser WM in ähnlicher Perfektion geschafft, seine eigenen Schwächen zu erkennen, sachlich zu analysieren und daraus die notwendigen, Erfolg versprechenden Schlüsse zu ziehen. Wahrscheinlich ist dies die größte Leistung des Teamchefs Völler und seines Bundestrainers Michael Skibbe: Dass sie ihr ursprünglich verfolgtes Ziel, nach der verkorksten EM 2000 begeisternden Angriffsfußball zu demonstrieren, klammheimlich zugunsten eines Zweckfußballs mit „typisch deutschen“ Eigenschaften abgeändert haben. Jetzt ist der Deutsche wieder, wie er immer schon war: perfekt organisiert, diszipliniert, laufstark, deckungstreu, hausbacken, uninspiriert, humorlos siegend, 1:0, 1:0, 1:0 bis in Finale. Unpopulär, aber hoch geachtet. Die Zahl der Neider hat nicht abgenommen.“

Den öffentlichen Stellenwert der deutschen Nationalmannschaft kommentiert Ralf Wiegand (SZ 1.7.). „Dass mit einem einfachen, überzeugten Wir-Gefühl eine Krise überwunden werden kann, die als existenziell galt, ist kein schlechtes Signal in einem Land, in dem an Krisen kein Mangel herrscht. Völler würde, hätte er Einfluss auf die Bildungspolitik oder den Arbeitsmarkt, höchstwahrscheinlich nichts zum Besseren wenden können. Aber seine aus der Not geborene Bereitschaft, jungen Spielern Verantwortung zu übertragen und die Älteren dazu anzustiften, ihre eigenen Nachfolger zu unterstützen und nicht zu bekämpfen (was in einem Platzhirsch-Sport wie Fußball ein natürlicher Reflex ist), ist ein hübsches Anschauungsbeispiel für eine Gesellschaft der spitzen Ellenbogen und gewohnheitsmäßigen Hierarchien. Die Gruppe kann stärker sein als die Summe der Individuen – wenn sie als Gruppe auftritt (…) Der Fußball in Deutschland hat damit für die kommenden vier Jahre ein traumhaftes Fundament. Es wäre eine herkulische Aufgabe gewesen, bei der WM 2006 im eigenen Land gleichzeitig das Image Deutschlands als eine weltoffene, freundliche und heitere Nation kreieren zu wollen und gleichzeitig verbissen einem sportlichen Erfolg nachrennen zu müssen, den sie dann 16 Jahre nicht gehabt hätte.“

Angesichts des folgenreichen Fehlers von Oliver Kahn bemerkt Martin Hägele (NZZ 1.7.). „Nun kennen auch die Deutschen das Gefühl: Du glaubst, die Brasilianer schon fast am Boden zu haben – und dann zieht es dir plötzlich selber die Beine weg. Ein einziger Moment reichte, und schon war das Szenario, das Rudi Völlers Auswahl so lange und so geschickt aufgebaut hatte, Vergangenheit und Niederlage. Und wie immer bei all den Auftritten der „Auriverde“ suchte sich das Schicksal die Stärksten der gegnerischen Mannschaft aus, wenn es darum ging, der Seleção Tribut zu zollen. Die Härte dieser Schläge warf am Ende sogar Oliver Kahn aus der Bahn.“

Zum Fehlgriff Kahns schreibt Michael Horeni (FAZ 1.7.). „Der Abpfiff erschien wie ein gnadenloses Urteil. Oliver Kahn ging zurück in sein Tor, bewegte sich langsam hinter die Linie und versuchte zu verarbeiten, was er nicht verstehen konnte. Er, ausgerechnet er, der willensstärkste deutsche Spieler, der Anführer, derjenige, der den unglaublichen deutschen Weg ins Finale erst möglich gemacht hatte – ausgerechnet er brachte sich und seine Mannschaft um den allergrößten Lohn. Ein einziger Fehler, sein Fehler. Solch quälende, erbarmungslose Gedanken müssen dem Torwart durch den Kopf gegangen sein, und irgendwie musste die Enttäuschung, die stille Verzweiflung raus. Kahn nahm seine Trinkflasche und warf das gelbe Ding ins Netz. Dann sackte er kurz in sich zusammen und suchte Halt am Torpfosten, innerlich scheinbar vollkommen leer. Und dann kamen sie, die Mitspieler, die selbst Trost gebrauchen konnten, ihn aber zuerst dem Kapitän spendeten.“

Eine Taktikanalyse von Christoph Biermann (SZ 1.7.). „Die deutsche Mannschaft war mit einem Plan in das Spiel gegen Brasilien gezogen und hatte sich daran gehalten. Glänzend war das lange Zeit des Spiels gewesen, defensiv fast bis zur Perfektion und beachtlich im Spiel nach vorne. Die Spieler in den weißen Trikots und den schwarzen Hosen waren ein Team und unterlagen gegen ein amorphes Gebilde aus Improvisation und individuelle Klasse, das am Gestänge einer starren Formation aufgehängt war. Doch entschieden wurde das Spiel durch die Fehler von Dietmar Hamann und Oliver Kahn, wie sie in Fußballspielen eben passieren, und durch Rivaldo und Ronaldo, die diese Fehler provozierten und zu nutzen verstanden (…) Das deutsche Spiel war nicht allein auf die Verhinderung des brasilianischen ausgerichtet. Die deutsche Mannschaft war nicht nur eine gut organisierte Maschine in Weiß und Schwarz, die zerstören wollte, sondern lotete auch die Schwächen der Brasilianer in der Defensive aus (…) Das Kollektiv war den Individualisten unterlegen – durch individuelle Fehler. Das war die bittere Ironie dieses großen Finales.“

Ronald Reng (SZ 1.7.) über die Siegermannschaft. „Es war, entgegen dem allgemeinen Personenkult, nicht Ronaldo, der Brasiliens fünfte Weltmeisterschaft gewann. Das wahre Gesicht der Siegerelf ist ein vielköpfiges, es reicht vom starren Blick des auch im Finale brillanten Torwarts Marcos bis zur notorischen Leidensmiene von Stürmer Rivaldo. Brasilien war nicht Ronaldo. Brasilien war, vielleicht mehr als je zuvor, ein Team (…) Beim ersten Blick auf sein Brasilien denkt man: Nichts Besonderes, außer Ronaldinho Gaucho und Ronaldo. Tatsächlich ist die vermeintliche Biederkeit der Canarinha, der kanariengelben Auswahl, das Außergewöhnliche. Scolari hat es geschafft, die Organisation zu optimieren und die Fehler zu minimieren. Gegen Deutschland hatten sie lediglich 44 Prozent Ballbesitz; Brasilien, weltweit noch immer der Inbegriff für Verspieltheit, war weniger am Ball als der Gegner – und wurde trotzdem Sieger. Trainer Scolari hat eine ganz normale Spitzenmannschaft aus ihnen gemacht. Und das ist als Kompliment gemeint (…) Wenn Kleberson, der in Yokohama auf eine unscheinbare Weise Enormes leistete, und Gilberto Silva am Sonntag im gegnerischen Team gestanden wären, hätten all die italienischen oder englischen Medien wieder gemault: typisch deutsch. In der Tat sind sie sogar schlechtere Einzelspieler als etwa Dietmar Hamann. Aber offenbar braucht eine moderne Fußballmannschaft in der Zentrale nicht mehr und nichts dringlicher als Verlässlichkeit, Fleiß und Aufmerksamkeit.“

Martin Hägele (NZZ 1.7.) wirft ein. „Wahrscheinlich ist es sogar besser so, auf dass Kahn und Co. Beim nächsten Versuch im eigenen Land mit ihren Zielvorstellungen noch zulegen können. Ein Mayer-Vorfelder mit dem Fifa-Pokal in den Händen hätte nun doch nicht zum Zustand des Fußballs im Bundesliga-Land gepasst. Und was hätte der Zeremonienmeister des DFB wohl für eine persönliche Show aus dem Titelgewinn gemacht, nachdem er sich schon bei der Siegerehrung persönlich in die Reihe gestellt hat – ein recht peinliches Bild für einen Oberfunktionär, der nicht genügend Orden bekommen kann.“

Eckart Lohse (FAZ 1.7.) wittert politische Signale. „Sonntag, 12.20 Uhr, nicht weit vom Bundeskanzleramt, ganz nah am Haus der Kulturen der Welt. Drei junge Menschen, eine Frau und zwei Männer, nähern sich dem Veranstaltungszelt namens „Tipi“. Der eine junge Mann ist in eine Deutschland-Fahne eingewickelt, der andere hält eine ebensolche am hölzernen Mast, die Frau trägt ein langes Hemd in den Farben Schwarz-Rot-Gold. All das wäre nicht weiter ungewöhnlich an diesem Sonntag, denn im „Tipi“ wird die Großleinwand zum Naheliegenden genutzt: zur Übertragung des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft. Der Einzug der drei ist dennoch ungewöhnlich, denn in das Zelt eingeladen haben die Grünen, die zwar mittlerweile mehrfach im Namen Deutschlands Krieg geführt haben, aber gleichwohl scheu mit den deutschen Symbolen, allemal der Fahne umgehen (…) Selbst Linke wie der Berliner Ströbele fanden nichts dabei, unter deutschen Fahnen für die deutsche Sache zu sein. Ein ehemaliges Mitglied der Grünen im Bundeskabinett wollte sogar – nur halb im Scherz – in dem Treffen unter deutschen Fahnen einen Höhepunkt der „grünen Reifung“ sehen. Mit Blick auf die deutsche Kriegsbeteiligung auf dem Balkan und in Zentralasien gelte für die Grünen die Reihe: „Kosovo, Afghanistan, Yokohama“.“

Die Reaktionen des brasilianischen Trainers nach dem Sieg fasst Peter Heß (FAZ 1.7.) zusammen. „Scolari lobte die deutsche Mannschaft, sie sei der schwierigste Gegner während des Turniers gewesen. Aber er ließ auch keinen Zweifel daran, dass das bessere Team gewonnen habe. „Die individuelle Klasse einiger unserer Spieler hat zu unserer Überlegenheit geführt.“ Scolari hatte seine Landsleute mit seiner Philosophie verschreckt, dass der schöne Fußball tot sei. Aber bei aller Wertschätzung für die Disziplin beschränkte er nie die Kreativität eines Ronaldo, Rivaldo oder Ronaldinho. So bescherte die Mannschaft ihren Fans nicht immer schöne Spiele, doch zumindest viele schöne Momente.“

Direkter Freistoß

WM-Rückblick auf die einzelnen Spieler der DFB-AuswahlFR SZ (I) SZ (II)

Finalvorschau

„Sein gnadenloser Realismus und seine erfrischende Natürlichkeit, die er bei der WM auszuleben sich nur hinter den Mauern des WM-Quartiers gestattete, bildeten das solide Fundament, auf dem sich seine Mannschaft bewegen konnte“. So beschreibt die FAZ Teamchef Rudi Völler, der es heute als dritter Mensch schaffen könnte, sowohl als Spieler als auch als Trainer den Fußballweltmeistertitel errungen zu haben. Doch er trifft auf einen charismatischen Kontrahenten: den in seiner Heimat noch immer umstrittenen Scolari. Beide verbindet eine nüchterne, ergebnisorientierte Grundhaltung. Auch das ist ein Grund dafür, dass sich die beiden als extrem unterschiedlich wahrgenommenen Fußballstile in großen Schritten angenähert haben, auch wenn die Romantiker bei den Brasilianern noch immer den Inbegriff des Schönen wähnen.

Vor dem Finale bemerkt Christian Eichler (FAZ 29.6.). „Vor ein paar Monaten waren sie Pflegefälle des Fußballs, nun bestreiten Deutschland und Brasilien das Spiel der Spiele. Auf keiner Weltbühne lassen sich historische Trends so rasch umkehren wie bei einer Weltmeisterschaft. Dreißig Tage lang lag zwischen Jubel und Jammer oft nur ein falscher Pfiff, ein dummer Schritt, ein blöder Zufall. Der 31. Tag aber bringt ein Endspiel, das kein Zufall sein kann. Es ist, als hätte die spielerisch enttäuschende WM 2002 nur als Vorspiel gedient, um über den Champion des 20. Jahrhunderts zu entscheiden. Es ist zugleich die Kollision zweier Kulturen, zumindest in der populären Fußballtheorie. Die sieht Brasilien als Wiege der Schönheit, Finten und Finessen, des geschmeidigen, tänzerischen Spiels. Der deutsche Fußball steht für Disziplin, Kampfgeist, Zähigkeit und die Kunst, hässlich zu gewinnen. Das sind natürlich Klischees aus dem Holzschnittblock. Längst ist der Fußball globalisiert. Doch Restbestände der spielerischen Unterschiede bleiben sichtbar.“

Peter B. Birrer (NZZaS 30.6.) wirft ein. „Brasilien gegen Deutschland ist auch das Aufeinandertreffen zweier Extremitäten, wie wir sie zumindest auf dem Papier so gerne skizzieren. Auch wenn die schöne, allerdings mit Klischees behaftete Theorie in Zeiten des harten Kalkulierens schon lange nicht mehr in die Praxis zu übertragen ist, bietet der Vergleich durchaus seine Reize (…) Hier die Brasilianer, die Ballvirtuosen, all die Ronaldos, Rivaldos und Ronaldinhos, die morgens mit dem Ball am Fuß aufstehen und mit ihm abends wieder ins Bett gehen. Die südamerikanische Verspieltheit, begleitet von einem medialen Gewitter, das in seinem Extrembereich im Grunde schon gar nicht mehr wahr sein darf. Dort die Arbeiter Deutschlands, ihre Verbissenheit, ihr Wille, diese Fußballer, die einem zeigen, was mit (relativ) wenig Talent alles zu erreichen ist. Immer und immer wieder. Da kann man noch so sehr einwenden, dass die Tableauhälfte den Fußballern Deutschlands alle Hindernisse aus dem Weg geräumt hat. Oder dass sie Glück gehabt haben. Es bleibt dabei: Sie stehen zyklisch in den Endspielen. So bietet die erste WM in Fernost zum Dessert den Vergleich aus dem Lehrbuch, die Konfrontation zweier grundverschiedener Fußball-Kulturen.“

Die nationale Bedeutung des erfolgreichen Abschneidens der DFB-Auswahl hat Michael Ashelm (FAS 30.6.) im Auge. „Der fernöstliche Erfolgstrip des Teams ist – unabhängig vom Ausgang des letzten Auftritts – durchaus eine Art Ferntherapie für die Daheimgebliebenen. Die gelungene Inszenierung des Ensembles um seinen Dirigenten Rudi Völler könnte helfen, die gedämpfte Stimmung im Lande wieder ein wenig zu beschwingen. Gebeutelt durch die Krise, geoutet als ökonomisches Wachstumsschlusslicht in Europa und getroffen durch die Feststellung, dass auch der (angeblich) lernschwache Nachwuchs im Moment kaum Gründe für den Aufschwung liefert, kommt die fußballerische Erfolgsbilanz nun ganz recht.“

Zu den Interpretationen in Brasilien schreibt Josef Oehrlein (FAZ 29.6.). „Wenn die brasilianischen Fußballbegeisterten in der deutschen Mannschaft auch keinen „Star“ entdecken, so gibt es doch zumindest einen, den sie fürchten: den Torhüter Oliver Kahn. Über ihn werden in Brasilien wahre Wunderdinge verbreitet, als handle es sich um den Leibhaftigen. „O novo muro de Berlin“ wird Kahn in den Zeitungen in dicken Lettern genannt. Diese „neue Berliner Mauer“ sie fast so schwer niederzureißen wie die alte, schreiben die Kommentatoren.“

Christian Eichler (FAS 30.6.) resümiert die Spielweise der WM. „Inzwischen hat sich der perfektionierte Defensivfußball, wie ihn die Franzosen 1998 vorführten, auf alle Kontinente verteilt. Talent lässt sich nicht globalisieren, aber Organisation. Wir erleben die Globalisierung des Erstickungsfußballs (…) Der Fußball braucht einen Neuanfang. Braucht neue Ideen, auch wenn sie vielleicht verrückt klingen. Engere, glattere Trikots, die man nicht mehr greifen kann. Einen Spieler weniger, einen Schiedsrichter mehr. Zeitstrafen. Oder Fausthandschuhe für Grabscher. Und vor allem eine radikal gelockerte Abseitsregel: die zum Beispiel nicht in der ganzen gegnerischen Hälfte gälte, sondern nur im letzten Spielviertel, ab der Mitte zwischen Mittel- und Torlinie. So könnte sich das übervölkerte Mittelfeld wieder öffnen, weil die letzte Abwehrreihe nicht mehr weit vor dem Strafraum postiert werden könnte. Die individuelle Freiheit zum Spiel auf höchstem Niveau ist eine zarte Pflanze. Sie muss der immer weiter perfektionierten Defensivorganisation immer wieder abgerungen werden. Das schönste Spiel braucht neue Luft. Sonst wird es ersticken.“

Roland Zorn (FAZ 29.6.) porträtiert Rudi Völler. „Der Teamchef spricht und denkt manchmal noch so wie der Spieler Völler, er ist der bodenständige Typ geblieben, der er immer war – und dazu ein Trainer ohne Schein, aber mit echten Führungsqualitäten geworden. Geradeaus und unverkrampft trifft Völler seine Entscheidungen, ohne irgendwem gefallen zu wollen. Hinter der guten alten „Tante Käthe“ verbirgt sich nötigenfalls ein kühler, aber berechenbarer Profi. Völler hat auf Anhieb ein Gespür für die richtige Balance zwischen Loyalität und Distanz gegenüber den Spielern gefunden (…) Geradezu stoisch hat Völler personelle Rückschläge vor der Abreise zur Weltmeisterschaft nach Japan und Korea ertragen; nahezu unaufgeregt hat er seine Auswahl danach durch ein Turnier gelenkt, an dessen Ende der Trainernovize Völler fast schon wie der neue große Steuermann des deutschen Fußballs steht.“

Michael Horeni (FAZ 29.6.) zur selben Personalie. „Völlers Geradlinigkeit allerdings, so sagen Kenner, trage auch den Hang zum Starrsinn. Um einmal getroffene Entscheidungen zu revidieren oder neue Wege einzuschlagen, bedarf es mitunter Diskussionen, die über Tage geführt werden. Dabei kommt es vor allem Trainer Michael Skibbe zu, seine analytischen Stärken mit den Instinktentscheidungen Völlers in Einklang zu bringen. Dies ist nicht das geringste Verdienst von Skibbe am Team 2002, das mit dem Ende der Vorrunde aller möglichen personellen Veränderungen bedurfte. Seine Bodenhaftung bringt Völler nicht in die Gefahr, als veränderter Teamchef oder gar als veränderter Mensch von der WM zurückzukehren. Die Medien erleben nur den Schauspieler Völler – das ganze Getue ist ihm lästig.“

Ludger Schulze (SZ 29.6.) schreibt über Völlers Assistenten. „Skibbe ist offensichtlich sein Alter Ego. Häufig läuft die Entscheidungsfindung nonverbal ab, ein Blick, und der andere weiß, welcher Spieler eingesetzt oder welche taktische Maßnahme nach der Pause ergriffen werden sollte.“

Felix Reidhaar (NZZ 29.6.) porträtiert den brasilianischen Coach. „Scolari eilt als Coach der ebenso klischeeartige wie leichtfertige Ruf des so genannten Spieltöters voraus. Das liegt zum einen an seiner Arbeit, den Vorstellungen über Erfolgsgrundlagen in diesem Sport, die er beispielsweise im Team von Porto Alegre applizierte. Grêmios Titel basierten auf Defensivorganisation und limitierter Risikobereitschaft. Zum andern hat er sich verbale Verunglimpfungen selber zuzuschreiben, weil er Floskeln wie „nur der Sieg zählt“ übertreibt. Tatsächlich orientiert sich Scolari an modernen statt antiquierten Gesetzmäßigkeiten des Spiels. Er baut mehr auf mannschaftliche Kompetitivität und individuelle Integrität als auf persönliche Profilierungen, im Wissen, dass man sich über technisch überdurchschnittliche Fähigkeiten brasilianischer Spieler nicht den Kopf zu zerbrechen braucht. Wie jeder Selektionär nationaler Auswahlen richtet er das Augenmerk in der begrenzten Zeit auf die taktische Schulung (…) Die Deutschen nehmen für sich gleichfalls in Anspruch, sich im Verlaufe der Endrunde an ihre Kapazitätsgrenzen hinaufgehangelt zu haben. Sie werden am Sonntagabend in Yokohama mit ihrer athletischen und körperlichen Veranlagung der Gradmesser sein, an dem die Fortschritte einer geraume Zeit an Ort tretenden Seleção zu beurteilen sind.“

Direkte Freistöße

Porträt Miroslav Klose NZZaS

Porträt Ronaldinho NZZaS

Interview mit Dietmar Hamann FAS

Zwei Extreme treffen aufeinander (29.6.)

In Yokohama erwartet uns „eigentlich das Endspiel des vergangenen Jahrhunderts“, meint die FAZ in Anbetracht des Aufeinandertreffens zweier Fußballmächte, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Daher ist dieses Duell nicht der logische Höhepunkt eines Turniers, das wie keins zuvor die bestehenden Hierarchien durcheinander gewirbelt hat. Dabei entfacht das Duell zwischen den „am weitesten voneinander entfernten Polen des Fußballs“ (FAZ) eine Debatte um Stil, Kultur und Ästhetik des Spiels. „Im WM-Finale prallen die erfolgreichsten Fußball-Naturelle aufeinander“, heißt es in der SZ. Doch „eine Verschmelzung der Begabungen hat längst stattgefunden.“

Eine Randnotiz: In den letzten Tagen wurde immer wieder auf das vermeintliche Kuriosum verwiesen, dass die beiden erfolgreichsten Nationen der WM-Historie noch niemals gegeneinander gespielt hätten. Jedoch ist das nicht ganz richtig, denn 1974 trafen die Brasilianer in der Zwischenrunde auf die Auswahl der DDR und siegten mit 1:0. Dass dieses Ereignis in der Finalvorschau der deutschen Tageszeitungen (auch an dieser Stelle) keine Erwägung fand und findet, belegt deren westdeutsche Prägung sowie eine eingeschränkte Sichtweise. Gerade angesichts der Präsenz zahlreicher Akteure aus der „ostdeutschen Kaderschmiede“ (FR) im morgigen Finale – Jeremies, Linke, Schneider, Jancker, Ballack (leider nicht) – , hätte dieses Spiel mindestens eine Fußnote wert sein müssen.

Vor dem Finale bemerkt Michael Horeni (FAZ 29.6.). „Das Endspiel der 17. Weltmeisterschaft in Yokohama mag in Jahren rückblickend vielleicht als anachronistisches Finale einer zu Ende gehenden Belle Époque der alten Mächte betrachtet werden. Am Sonntag jedoch ist es der Höhepunkt der weltweit prägenden Fußballentwicklung der vergangenen 50 Jahre und eine Premiere zugleich, das Duell der Giganten: Brasilien gegen Deutschland. Prestigeträchtiger und bedeutungsschwerer könnte kein Endspiel sein.“

Den deutschen Finalgegner analysiert Ronald Reng (FR 29.6.). „Das ist Brasilien: Sich nicht um den Gegner scheren, sondern agieren, mit all dem Flair, den Tricks und der Raffinesse, die die Canarinha zur erfolgreichsten und beliebtesten Nationalelf auf Erden machten. Oder besser gesagt: Das ist das Bild von Brasilien, das Millionen Fußballfans haben. Man erwartet mehr von ihnen, als Spiele zu gewinnen. Sie müssen es mit Stil tun, und natürlich kam auch bei dieser WM mit den ersten zweckmäßigen Auftritten, vor allem im Achtelfinale gegen Belgien und dann gegen England, der Ruf auf: Dieses Brasilien sei viel schlechter als frühere Brasiliens; Scolaris Team sei ein Verrat an der Tradition des reinen Fußballs. Doch was war denn das beste Brasilien? Etwa die Künstlertruppen um Zico und Socrates in den achtziger Jahren, die vor lauter Tricks das Siegen vergaßen? Oder die Weltmeister von 1970 um Pelé, Gerson und Rivelino, für die ein Tor erst nach dreifachem Doppelpass ein wahres Tor zu sein schien, die aber auch bei Ballverlust im Angriff oft einfach stehen blieben? Wir jagen einer Illusion nach, einem Ideal, das es nicht mehr gibt, wenn wir uns das romantische Brasilien zurückwünschen, das nur dem Schönen, Guten, Wahren des Spiels frönt. Ein Team wie 1970 wird es nie mehr geben – nicht weil sie so gut gewesen wären, sondern weil Fußball heute ein anderes Spiel ist. 1970, das beste Team aller Zeiten? Wer die alten Videos noch einmal sieht, wird lachen. Außenstürmer, die – die Hände in die Hüften gestemmt – an der Seitenlinie stehen und zusehen, wie ihre Abwehrspieler verteidigen; Spielmacher, die im Stand eine kleine Ewigkeit überlegten, wo sie hinpassen würden. Man darf Brasilien 2002 nicht an romantischen Träumen messen, sondern an den Realitäten des modernen Spiels.“

Direkte Freistöße

Interview mit Joesph S. Blatter FR

Interview mit Pelé taz

(28.6.) „Am Sonntag teilt sich die Fußball-Welt“, schreibt die FAZ mit gebanntem Blick auf das Finale in Yokohama. Dass sich die Sympathiewerte auf die beiden Teams gleichmäßig verteilen, ist allerdings unwahrscheinlich. Die internationalen Wahrnehmungen – und Klischees – über die beiden Fußballkulturen könnten unterschiedlicher nicht sein. Brasilien gilt als der Inbegriff des schönen Fußballs, während Deutschland Romantikern wenig Anlass zu Schwärmereien gibt. Mit der DFB-Auswahl verbindet das Ausland meist phantasielosen teutonischen Kraftfußball. Dennoch spricht aus den Kommentaren aus England, Italien und Argentinien der Respekt vor dem deutschen Spiel.

Wird Brasilien zum fünften Mal den Titel erringen können? Peter Heß (FAZ 28.6.) blickt voraus. „Die Brasilianer halten sich für die Größten, womit sie ja vielleicht sogar recht haben. Ihre bisherigen Auftritte in Japan und Südkorea waren immer von der Nonchalance begleitet, die aus dem starken Glauben entsteht: Uns kann keiner. Sogar im Halbfinale durfte sich so mancher türkische Spieler im Rücken seines brasilianischen Gegenspielers freilaufen. Zwei, drei Eckbälle der Brasilianer entpuppten sich als größere Gefahr für das eigene Tor als für das türkische, weil sie, nachdem der Ball abgefangen war, so langsam nach hinten liefen, dass die Türken in Überzahl zu kontern vermochten. Die Fünfte könnte für Brasilien ohne weiteres zur Unvollendeten werden. Denn so kritisch man die deutschen Kicker auch sehen möchte – die Chancen, die sich ihnen bieten, nehmen sie häufiger wahr als alle anderen.“

Zu den unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden Fußballstile heißt es bei Michael Horeni (FAZ 28.6.). „Die Brasilianer spielen ja nicht! Sie zaubern, sie tricksen, sie schnicken, sie schlenzen, sie lupfen. Hacke, Spitze, Tor, vorwärts und noch mal zurück – das ist brasilianischer Fußball, wie ihn die Welt versteht, wie ihn die Welt liebt. Brasilien, das ist Fußball. Fußball, das ist Brasilien. Und die Deutschen, die spielen auch nicht. Sie ackern und rackern, sie schwitzen und stöhnen, sie kämpfen, sie grätschen, sie zerstören. Und plötzlich ist der Ball drin, irgendwie. Das ist deutscher Fußball, wie ihn die Welt sieht, fürchtet und hasst (…) Hier treffen erstmals nicht nur zwei grundverschiedene Fußballkulturen aufeinander, sondern es stehen sich zwei anthroposophische Konstanten gegenüber: der Homo ludens gegen den Homo faber. Oder, ästhetisch gesprochen: das Schöne gegen das Nützliche. So zumindest wird der Fußball wahrgenommen, den Deutsche und Brasilianer der Welt vorführen (…) Die Schönheit als Mittel zum Sieg einzusetzen, dieses ist im deutschen Fußball oftmals die letzte und seltenste aller möglichen Varianten. Die Nationalmannschaft hat sie aber auch bei dieser WM gefunden. Wie gegen Saudi-Arabien oder mit einzelnen, „schön“ herausgespielten Toren. Aber die Wirkung dieser Momente ist flüchtig, da Deutschland über die Jahre hinweg zahlreiche andere erfolgversprechende Wege gewählt hat als „schöne“ Lösung, um ein Spiel in schwieriger Lage doch noch zu gewinnen.“

Stefan Hermanns (Tsp 28.6.). „Im Grunde treffen am Sonntag in Yokohama auch zwei unterschiedliche Prinzipien des Weltfußballs aufeinander: brasilianische Leichtigkeit gegen deutschen Schwermut, Utopie gegen Realismus, Verspieltheit gegen Funktionalität, manche sagen: Gut gegen Böse. Vielleicht ist es doch kein Zufall, dass es noch nie ein Pflichtspiel zwischen Deutschen und Brasilianern gegeben hat. Vielleicht scheut der Fußball einfach eine eindeutige Entscheidung, welches Prinzip das bessere ist.“

Ronald Reng (FR 28.6.) porträtiert den brasilianischen Kapitän. „Cafu spielt Fußball auch in Hochdrucksituationen mit einem Lächeln auf den Lippen. Manchmal könnte man zwar glauben, er übertreibe es, etwa als er im WM-Achtelfinale gegen Belgien, statt den Ball in höchster Bedrängnis wegzudreschen, anfing, aus dem eigenen Strafraum hinauszudribbeln. Das war schierer Wahnsinn. Aber Cafu kam damit durch. Er strapaziert gemeinsam mit Brasiliens anderem Außenverteidiger Roberto Carlos das Sprichwort „Angriff ist die beste Verteidigung“ bis zur Extreme. Im Prinzip haben die beiden eine neue Position im Fußball geschaffen: Sie sind die Angriffsverteidiger. Abwehrspieler, die Stürmertricks wie Dribblings und Doppelpass zum Verteidigen benutzen und bei der nächstbesten Gelegenheit sowieso lieber in den Sturm streunen.“

Peter B. Birrer (NZZ 28.6.) porträtiert den Schiedsrichter des WM-Finals. „Wegen der teilweise unrühmlichen Vorgeschichten war der Entscheid, welcher Schiedsrichter das Finalspiel des World Cup leiten darf, von bedeutenderer Tragweite als auch schon. Als die Spitze des Weltfußballverbands Fifa und des WM-Organisationskomitees am Donnerstag in Yokohama zwecks Lobpreisung der Veranstaltung vor die Medien trat, wurde auf dem Podium zuerst noch kurz hin- und hergeschoben, wer denn nun den Namen des Spielleiters bekannt geben darf. Der Herrenklubhätte sich das kleine Versteckspiel ohnehin sparen können. Wenn nämlich derzeit in diesem Geschäft auf dem Rasen nichts mehr schief gehen darf, wenn jeder Pfiff zur richtigen Zeit erfolgen muss, kann nur noch einer helfen: der 42-jährige Italiener Pierluigi Collina, einer der berühmtesten Glatzköpfe der Welt, eine Autorität sondergleichen, die oberste Schiedsinstanz des Fußballs sozusagen. Collinas stechende Augen fixieren die Darsteller, seine wohl dosierten Gesten beruhigen erhitzte Gemüter, seine theatralische Mimik spricht Bände. Er schüttelt den Kopf, wenn ein Spieler ohne Fremdeinwirkung hinfällt. Er spricht ganz ruhig, wenn einer das Gefühl in die Welt hinausschreit, dass ihm doch Unrecht geschehen sei. Die Leitung des Finalspiels zwischen Brasilien und Deutschland ist der Höhepunkt in der Karriere des aus Viareggio stammenden Italieners.“

(27.6.) „Der Fußball-Olymp ist während dieser Fußball-Weltmeisterschaft ins Wanken geraten, eingestürzt ist er nicht“ heißt es in der FAZ anlässlich des unerwarteten Gipfeltreffens zwischen aus Brasilien und Deutschland. „Der Zufall hat perfekt Regie geführt“ kommentiert die NZZ die ironische Wendung eines Turniers voller Überraschungen und Favoritenstürze, das nun mit dem erstmaligen Aufeinadertreffen der beiden Altmeister seinen Sieger ermitteln wird. „Seit 72 Jahren wartet die Fußballwelt auf diese klassische Premiere“, erinnert die FAZ an den eigenartigen Zufall, dass ausgerechnet diejenigen Teams mit den meisten WM- sowie Finalteilnahmen noch nie bei einer Endrunde ihre Wege kreuzten. „Ein Clash der Fußballkulturen“ erwartet die SZ angesichts der beiden Spielanlagen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Favorit ist wohl Brasilien, doch „mit dem Finaleinzug restauriert die deutsche Mannschaft das verblasste Bild einer Turniermannschaft“ gibt die SZ uns Hoffnung.

Ralf Wiegand (SZ 27.6.) über ein Endspiel, das normal ist und auch wieder nicht, bei einem unnormalen Turnier. „Treppenwitz reihte sich an Treppenwitz in der Geschichte einer WM, die zu einem lustigen Endspiel der Groteske hinaufzuführen schien. Und jetzt: spielt Deutschland gegen Brasilien. Im Wettbewerb der Kuriositäten stehen sich am Sonntag die Pole einer Fußballwelt gegenüber, zwei unvergleichliche und bisher unvereinbare Erfolgsgeschichten ein und desselben Spiels, das Fußball heißt und seine Unberechenbarkeit bewiesen hat, indem es ausgerechnet ans Ende eines bedauerlichen Massensterbens aller selbsterklärten und echten Favoriten ein Gipfeltreffen stellt, das bisher ein Tabu der WM-Geschichte war. Deutschland gegen Brasilien gab es noch nie (…) Man darf den spannenden Vergleich zweier Philosophien erwarten, den Feuilletonisten besprechen werden wie die Standardwerke großer Autoren.“

Das Finale wird „sporthistorische Pflöcke einschlagen“, heißt es bei Felix Reidhaar (NZZ 27.6.). „Brasilianer und Deutsche deshalb als Lückenbüßer zu bezeichnen, würde ihren spezifischen Qualitäten unzureichend Rechnung tragen. Gleichwohl werden sich beide realistischerweise kaum gegen die Relativierung wehren, sie hätten die Finalqualifikation mit mehr Nüchternheit als Fulminanz geschafft (…) Dank der Renaissance künstlerischen Fußballs auf Brasilianisch flammt nach einigen mühsam langatmigen Ausscheidungsspielen nochmals Hoffnung für dieses Turnier auf. Wenn sich die Sorglosigkeit der Südamerikaner in der Defensive vertreiben und mit Ronaldinho ihre miserable Chancenauswertung verbessern lässt, werden sich die Deutschen nochmals um Einheiten steigern müssen.“

George Vecsey (New York Times 26.6.) stellt überrascht fest, dass Brasilien schon wieder einen Torhüter mit Pferdeschwanz überlistet hat. (Da werden sie mit Olli nicht viel Freude haben.). Er findet es schade, dass es kein Finale zwischen Deutschland und der Türkei geben wird. „Über 2 Mio. Türken machen in Deutschland die Drecksarbeit. Die gesamte türkische Diaspora hätte ein Finale Türkei-Deutschland als Ereignis gefeiert, aber schließlich hatte Brasilien doch zu viel Können am Ball für solch einen letzten „kosmischen Witz’“

Ronald Reng (FR 27.6.) zum Finale. „Was für ein Witz: Deutschland und Brasilien, die erfolgreichsten Mächte im Fußball, haben in 72 Jahren und 16 Weltmeisterschaften noch nie gegeneinander bei einer WM gespielt – und nun, ausgerechnet nun, wo ihnen alle Welt seit mehr als zwei Jahren einreden wollte, sie hätten so schlechte, ihrer Tradition unwürdige Teams, treffen sie sich zum ersten Mal.“

Über den deutschen Finalgegner schreibt Philipp Selldorf (SZ 27.6.). „Brasiliens Team hatte bei diesem Turnier bisher wenig gemein mit den historischen Vorgängern. Es fehlt ihm ein wenig an Flair, manches wirkt improvisiert, das allerdings auf der Grundlage überwältigender individueller Begabung. Aber was man der Elf an Unordnung und Desorganisation nachgesagt hat, das hat sie im Match gegen die Türkei nicht bestätigt (…) Bei allem Respekt für Duff, Mboma oder Donovan, die in den vorigen Spielen die Wege von Christoph Metzelder und Thomas Linke gekreuzt haben – es wird vermutlich etwas schwieriger werden für die deutsche Deckung gegen die Giganten Ronaldo, Ronaldinho und Rivaldo. Sollte also irgendjemand immer noch behaupten, die deutsche Mannschaft habe bisher keinen Gegner der Spitzenklasse gehabt – hier ist er.“

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Team Nord-Korea wirbt bei der Frauen-WM für sein Land – Overath zum 60. – Interview mit Reinhold Beckmann

Hat denn niemand mehr Humor?

Matthias B. Krause (FTD 30.9.) beschreibt die Inszenierungsversuche der nordkoreanischen Abordnung während der Frauen-WM in den USA: „Robert Egan ist ein Geschäftsmann aus der Region Philadelphia, der neben guten Beziehungen nach Fernost auch mit einer blühenden Fantasie gesegnet ist. Ob sie den Filmhelden Rocky Balboa kennten, fragte Egan die Funktionäre der nordkoreanischen Frauen-Fußballnationalmannschaft, um sogleich mit einem ungebetenen Rat zu dienen. „Ihr seid in Philadelphia, der Heimat des Underdogs, und ihr spielt in der Weltmeisterschaft. Ihr müsst die Treppen des Kunstmuseums rauflaufen, genau wie Rocky im Film. Großartige Publicity.“ Aus der Sache wurde zwar nichts, aber auf schräge Polit-Werbung in Feindesland versteht sich das nordkoreanische Team bei der Frauen-WM trotzdem. Das aus der DDR bekannte Rollenspiel als Botschafter im Trainingsanzug erlebte ein gruseliges Revival. „Für mein Gefühl sind die koreanischen Menschen eine Nation, sie verbindet dasselbe Blut“, sagte etwa Stürmerin Jin Pyol Hui, und: „Ich bin entschlossen, mein Bestes zu geben, um Freude und Glück für Kim Jong Il zu bringen.“ Der Team-Dolmetscher beginnt seine Statements stets mit einer Lobpreisung des Staatsmannes, dessen Regime der US-Präsident George W. Bush neben Irak und Iran zur „Achse des Bösen“ zählte. Die US-Medien quittieren die ungelenken Polit-Kundgebungen der Nordkoreaner während der WM notorisch mit dem Hinweis, dass es sich um einen stalinistischen Staat handle, in dem die Menschen des Hungers sterben. Die drei Auftritte des nordkoreanischen Teams waren stets von einer Mischung aus Fan-Bezeugungen und politischer Kundgebung begleitet. In Philadelphia etwa, wo es die Nigerianerinnen 3:0 bezwang, riefen 200 Fans in den Zuschauerreihen lauthals und ausdauernd „Ko-re-a!“, schwenkten Flaggen und forderten auf ihren T-Shirts Frieden und Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel. Normalerweise verlassen die Kickerinnen ihr Land nur selten, noch viel seltener den asiatischen Kontinent. Trotzdem sind sie mittlerweile zu einer festen Größe im fernöstlichen Frauen-Fußball aufgestiegen (…) Einem Hersteller von Sportgetränken schlug Egan einen Werbespot vor, in dem immer dann eine Atom-Explosion gezeigt werden sollte, sobald eine Nordkoreanerin auf den Ball drischt. Dass seine Idee nur verstörte Reaktionen provozierte, verstand er nicht: „Hat denn niemand mehr Humor?“

Steffen Haffner (FAZ 29.9.) beglückwünscht: „Wolfgang Overath, der am Montag 60 Jahre alt geworden ist, redet so temperamentvoll über Fußball, wie er einst im Mittelfeld gespielt hat. Fußball, das ist für mich Faszination ohne Ende. Und ich hätte auch Fußball gespielt, wenn ich keine Mark dafür bekommen hätte, sagt der 81malige Nationalspieler. Der gebürtige Siegburger und bekennende Kölner nimmt nicht nur passiv am Fußballgeschehen Anteil, sondern tobt sich noch dreimal in der Woche aktiv am Ball aus, davon zweimal in der Halle: Das ist für jeden guten Techniker das Schönste. Und außerdem kann man in der Halle am besten schwitzen. Dienstags, bei seinem FC, dem ich auch in der Amateurliga die Treue halten würde, wenn eine andere zusammengekaufte Kölner Mannschaft deutscher Meister würde, donnerstags spielt er mit Freunden in der Sportschule Hennef unweit seines Wohnorts Siegburg. Und samstags beschließt der Weltmeister von 1974 seine englische Woche meist in der Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft mit Torhüter Wolfgang Kleff, dem Mittelfeldstrategen Uwe Bein oder den Torschützen vom Dienst Klaus Fischer und Olaf Marschall. Und da diese Prominentenspiele im Freien stattfinden, kann der einst beste deutsche Linksfuß auch seine alte Stärke, den langen Paß, ausspielen (…) Erfolgstrainer Udo Lattek hätte in der Nationalmannschaft immer Overath den Vorzug vor Netzer gegeben, weil er der bessere Turnierspieler war, der sich von Spiel zu Spiel steigern konnte. Der Gladbacher, der bei einer Weltmeisterschaft nur einundzwanzig Minuten spielte, 1974 beim 0:1 gegen die DDR, bezeichnet Overath ebenfalls als den besseren Nationalspieler, weil er mit seiner weniger komplizierten Spielweise kompatibler war als ich. Dennoch hat der Name Netzer heute in der Öffentlichkeit die größere Strahlkraft, weil er als genialer in Erinnerung blieb und nicht zuletzt weil er noch immer als Fernsehkommentator präsent ist. Sein Konkurrent von einst mag dagegen die öffentlichen Auftritte nicht und macht sich eher rar. So auch an seinem Geburtstag, den er irgendwo im Ausland mit seiner Familie feiert.“

Rudi Völler fühlt sich von seinen Vorbildern überfahren

FAZ-Interview Reinhold Beckmann

FAZ: Wie fühlten Sie sich nach der Sendung mit Effenberg?

RB: Nach der Sendung ist vor der Sendung, sagt mein Redaktionsleiter immer. Und das, obwohl er Österreicher ist, also nichts von Fußball versteht. Effenberg hat bei mir den Eindruck hinterlassen, er bilde sich noch was drauf ein, andere mies zu behandeln. Wenn beim Zuschauer derselbe Eindruck entstanden ist, hat das Gespräch seinen Zweck erfüllt. Wir können mit diesem Format keinen Enthüllungs-, sondern nur Selbstdecouvrierungs-Journalismus machen. Wir geben unseren Gästen eine Bühne, lassen sie reden und fragen nach. Der Zuschauer macht sich von ihnen ein Bild, und im Idealfall geht ihm dabei etwas auf. Giovanni di Lorenzo hat bei uns als Redaktionskritiker gesagt, er habe lernen müssen, daß es in der Talkshow nicht darauf ankommt, was die Leute sagen, sondern wie sie es sagen. Ich hoffe, das ist nicht ganz richtig. Ein bißchen Wahrheit steckt aber drin: Die Zwischentöne, die Stimmung, das liefert uns das Bild des Menschen. Bei Effenberg war es genau so. Was hätte es genützt, wenn ich ihm Vorhaltungen gemacht hätte nach dem Motto: Du bist der größte Idiot, du hast ein miserables Buch geschrieben, das du nicht mal selbst verfaßt hast, sondern ein schlechter Koautor. Wenn ich das mache, sitzt er da, sagt nichts, legt die Hände in den Schoß und schaut mich an. Habe ich alles ausprobiert. Es gibt natürlich Autoritäten, manchmal Demagogen, die man anders packen muß.

FAZ: Was Sie jetzt machen, ist das die Endstation: Beckmann, der Talkmaster? Schnittmenge aller Dinge, die Sie gemacht haben? Nach Sport bei Sat.1, der ARD-Unterhaltung?

RB: Es ist sicher die persönlichste Sendung, die ich bisher gemacht habe. Und von daher der Platz, an dem ich mich zu Hause fühle. Ich gehe wahnsinnig gern in dieses Studio, ich habe ein gutes inneres Gefühl dabei, wenn ich mich auf diesen Stuhl setze und diese Sendung mache. Was die große Unterhaltung, respektive die Guinness-Show, angeht: Ich habe das nicht gemacht, um Samstagabendunterhaltung zu machen, sondern weil ich glaubte, es sei etwas Sportaffines. Und so habe ich es auch verstanden. Ich muß aber gestehen, daß mich diese Sendung nicht besonders erfüllt hat.

FAZ: Die Sportschau sieht im Vergleich zu ran ziemlich unflott aus, wirkt ein bißchen steif. Meinen Sie, es stimmt, daß Fußball bei Sat.1 zur Show verkam?

RB: Show ist nicht der richtige Begriff. Wir müssen zurückblenden, damit der Kontext klar ist: 1990/91/92, da gab es Präsentationsformen, die heute selbstverständlich sind, noch nicht. Es gab eine Sportschau, die trocken daherkam und drei Bundesligaspiele zeigte. Diese drei Spiele wurden mit wenigen Kameras statisch fotografiert. Wenn Sie sich heute Premiere, Sat.1, RTL, ZDF und die ARD anschauen – das ist eine andere Welt. Jetzt gibt es bei den Zuschauern wieder das Bedürfnis, daß weniger Pirouetten gedreht werden. Deshalb ist die etwas sachlichere Form der Sportschau genau richtig. Zugegeben, wir sind selbst überrascht über die guten Marktanteile – bei jeder Sendung dreißig bis zweiunddreißig Prozent. Das sind dreizehn, vierzehn Prozent Marktanteil mehr als bei Sat.1 zur gleichen Zeit im letzten Jahr. Oder schauen Sie sich das Sportstudio im ZDF an, immer noch ein wunderbares Format, aber: Da wird getrampelt und gejohlt, daß ich mich manchmal frage: Welche Drogen verteilen die auf dem Lerchenberg vor der Sendung?

FAZ: Wie stehen Sie zu Rudi Völlers Kritik an den Kritikern? An Delling und Netzer? Dahinter steckt die Sache mit dem reisenden Glaskasten. Wenn man mit den Fußballern redet, sagen sie: Ach, da oben, guck mal, da ist er wieder, der Glaskasten. Der Glaskasten der Kommentatoren. Er ist ein Sinnbild. Ich finde die Geschichte um Völler nicht so schlimm. Beide Seiten dürfen kein Glaskinn haben. Netzer und Delling sind kluge Analytiker und ein wunderbares Team. Sie verhalten sich richtig, geben keine Interviews und gehen nicht in Talkshows, um sich zu rechtfertigen. Das finde ich sehr souverän.

FAZ: Also liegt Völler falsch.

RB: Das ist nicht der Punkt. Ich glaube, es tritt ein tieferer Konflikt zutage: Netzer, Breitner, Beckenbauer – das sind die Fußball-Vorbilder von Rudi Völler, die Helden seiner Kindheit. Und von genau denen fühlt er sich jetzt überfahren.

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Die Teams aus Hamburg und Kaiserslautern spielen und gewinnen „für ihre Trainer“

Eintracht Frankfurt – 1. FC Kaiserslautern 1:3

Hinterher lässt sich leicht sagen

„Trotz des Sieges scheint das Verhältnis Gerets´ zu Clubchef Jäggi belastet“, schreibt Jan Christian Müller (FR 23.9.): “Im faden Licht vor der halbfertigen Tribüne umarmte René C. Jäggi, Vorstand, feiner Zwirn, Erik Gerets, Trainer, Sportklamotten. Als er den Untergebenen nach dem 3:1 in Frankfurt fester an sich drücken wollte, misslang das Unterfangen. Gerets stand starr, die Arme hingen bleiern nach unten. Man hat den kleinen Belgier mit dem breiten Kreuz noch nie so mitgenommen, schmal und blass gesehen wie an diesem Sonntagabend. Man hat beim Trainer die ganze Woche gespürt, dass er angespannt ist, berichtete kurz darauf Mittelfeldspieler Steffen Freund und rüffelte den Clubchef recht unverhohlen: Der Präsident hat ein Reizklima geschaffen. Aber das hätte auch in die Hose gehen können, das muss man mal sagen. Das hat einige Spieler doch sehr belastet. Letztlich weiß auch Jäggi, der eloquente Schweizer, dass es nachgerade überflüssig war, Gerets mit einer Vier-Punkte-Forderung aus den Spielen gegen Freiburg (2:2) und nun in Frankfurt unter Druck zu setzen. Deshalb war der Vorstandsvorsitzende zuletzt auch kräftig zurückgerudert und hatte versucht, seine Aussage zu relativieren. Eine Inszenierung, wie manche glaubten, sei das Ganze ganz bestimmt nicht gewesen, sagte Jäggi am Sonntag, dafür war es zu ernst. Eher scheint es, als habe der Eidgenosse, allemal ein erfahrener Medienprofi, dieses eine Mal den medialen Widerhall (das Zentralorgan Kicker etwa titelte auf zwei Panoramaseiten: Das Ultimatum) unterschätzt. Nun kann sich Jäggi vor die Mikrofone stellen und mitteilen, er habe lediglich eine Rolle gespielt. Die des bösen Vaters, derweil für Gerets die der weichen Mutter übrig geblieben ist. Jäggi: Das war für uns beide besser so. Hinterher lässt sich leicht sagen, dass auch die Mannschaft davon profitiert hat.“

Die NZZ (23.9.) ergänzt: „Die Aktion, wie rette ich den Arbeitsplatz meines Vorgesetzten, ist allerdings nicht nur deshalb aufgegangen, weil alle Kicker des Pfälzer Unternehmens mit der erforderlichen Moral ihren Dienst verrichteten. Beim 3:1-Auswärtssieg kam dem FCK wohl auch zugute, dass sich die Equipe von Eintracht Frankfurt wie das schwächste aller 18 Liga-Teams präsentierte. Ein Urteil, das ein paar Tage lang ausser Kraft gesetzt worden war vom grössten Boulevardblatt des Landes. Dort hatte man versucht, in der Person von Altstar Möller Fussball-Mainhattan einen Retter zu verschreiben – wie sich schnell herausgestellt hat, waren die Lobeshymnen auf den zurückgekehrten Hessenbub masslos überzogen.“

Portion Selbstüberschätzung

Thomas Klemm (FAZ 23.9.) erklärt den Unterschied zwischen beiden Teams: „Vom Druck befreit gab Gerets zu, von der Diskussion der vorangegangenen Tage beeindruckt gewesen zu sein. Nur seinen Spielern, deren Nervosität nach Hristows frühem Führungstreffer schnell verflogen war, merkte es der FCK-Trainer nicht an, was auf dem Spiel stand. Und weil sich der 49 Jahre alte Belgier sich selbst nicht allzu wichtig nimmt, verlor er auch kein Wort darüber, was 23 000 Zuschauer spürten und die Pfälzer Spieler zugaben: daß alle für einen spielten – für Erik Gerets. Als uneitler Mensch und ehrlicher Arbeiter ist der Belgier allseits beliebt rund um den Betzenberg. Bei den Pfälzer Fans, die sich schon vor dem Auswärtssieg in Frankfurt in einer Zeitungsumfrage zu 85 Prozent für eine Weiterbeschäftigung Gerets‘ ausgesprochen hatten; bei René C. Jäggi, der trotz seiner öffentlich geäußerten Forderung, seinen Freund und Angestellten Gerets für den optimalen Trainer hält; und bei der Mannschaft, die sich spielend für den Coach stark machte. Überraschend war nur, daß selbst die Frankfurter Fußballprofis so auftraten, als sorgten sie sich um den Arbeitsplatz des gegnerischen Trainers. Nachdem der Aufsteiger eine Woche zuvor beim 2:0 in Mönchengladbach seinen ersten Saisonsieg gefeiert hatte, gingen die Hessen mit einer Portion Selbstüberschätzung auf den Platz. Die Stürmer irrten umher, die Mittelfeldspieler konzentrierten sich ganz auf den ruhenden Ball, die laxe Eintracht-Abwehr buhlte geradezu um Gegentore (…) Ein ernstes Wort müsse er mit seiner Mannschaft sprechen, sagte Eintracht-Trainer Willi Reimann. Wer sonst? Eintracht Frankfurt besitzt überhaupt keinen Vorstandsvorsitzenden, der Trainer und Team in die Pflicht nehmen könnte.“

Auch Ingo Durstewitz (SZ 23.9.) sah überhebliche Frankfurter: “Was tun, wenn in den Ohren der Profis noch die Lobeshymnen für den 2:0-Sieg in Gladbach klingen und den Weg für nüchternen Realismus verstellen? Es ist nahezu unglaublich, aber mitunter sah es schon leicht überheblich aus, was die Frankfurter – ein Sieg in sechs Spielen – gegen die Lauterer da fabrizierten. „Keine Aggressivität, keine Ordnung“, zählte Reimann auf, „einige Spieler waren nicht bereit, ihrem Nebenmann zu helfen, nicht bereit, jedem Ball nachzusetzen, einige Spieler wollten nicht genug investieren“. Eine Analyse, die ins Schwarze zielt. Irgendwie haben sie im Hessischen gedacht, alles werde gut – angeführt von Andreas Möller, dem Heilsbringer wider Willen. Die Eintracht hatte den Glaube an die eigene Stärke entdeckt, schien endlich angekommen im Oberhaus, da ließen sich auch die vernichtenden Prognosen der Stammtischbrüder leichter ertragen. Und jetzt gegen die knietief im Morast steckenden Pfälzer? „Die“, verlautete aus der Mannschaft, „hauen wir weg.“ Nach fünf Minuten (0:1 Hristov) war dann alles über den Haufen geworfen, an die Stelle von Selbstbewusstsein trat Angst.“

Hamburger SV – Hansa Rostock 2:1

Wie es aussieht, wenn eine Mannschaft für ihren Trainer spielt

Frank Heike (FAZ 23.9.) freut sich für Hamburgs Trainer: „In seinen zwei Jahren als Trainer des Hamburger SV hat Kurt Jara manchen Kritiker durch seine in Sieg und Niederlage zurückhaltende Art überzeugt. Das ist etwas Besonderes in einem Verein, der vom Umfeld und von den Hamburger Medien eigentlich nur in zwei immer gleichen Varianten dargestellt wird: Wenn es gut läuft, wird der jeweiligen Mannschaft zugeschrieben, bald an die großen alten Erfolge von Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts anzuknüpfen. Wenn es schlecht läuft, wird die jeweilige Mannschaft täglich daran erinnert, daß sie nie so gut sein werde wie die Magath, Kaltz, Hrubesch und Co. Jara hat das sehr schnell gemerkt und sich seinen eigenen Reim drauf gemacht, indem er immer wieder an die Gegenwart erinnert. Die hieß vor dem Spiel gegen den FC Hansa Rostock: Tabellenletzter. Am Sonntag abend dann, nach dem enorm wichtigen 2:1 gegen Rostock, versuchte der Österreicher gar nicht erst, sein Verdienst am ersten Saisonsieg großartig in den Vordergrund zu stellen (…) Wenn je ein exemplarischer Streifen darüber gedreht werden sollte, wie es aussieht, wenn eine Mannschaft für ihren Trainer spielt, könnten sich die Filmemacher einfach die Kassette von diesem Hamburger 2:1 gegen Rostock ausleihen. Es war sensationell, wie die Mannschaft heute gekämpft hat, sagte Kurt Jara. Auch für ihn.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

„Erfolgsmodell VfB Stuttgart in Gefahr“ (FAZ) – Pessimismus in Dortmund – Knut Madsen und Vahid Hashemian, das filmreife Torduo des VfL Bochum u.a.

Die einfachen Gesetze des Profisports gelten auch für die jungen Wilden

Michael Ashelm (FAZ 17.12.) kommentiert die prekäre Lage des VfB Stuttgart in Führungsetage und Mannschaft: „Wieviel Vertrauen ist noch vorhanden? Daß sich diese Frage jetzt beim VfB Stuttgart stellt, mag für viele überraschend sein. Doch es scheint so, als würde gerade hinter den Kulissen hart gerungen, als könnten die atmosphärischen Störungen das schwäbische Erfolgsmodell in Gefahr bringen. Im Mittelpunkt der Turbulenzen steht Felix Magath, der Trainer des Jahres, der mit seiner jungen Mannschaft seit Monaten das Unterhaltungsprogramm Bundesliga prägt und auch im großen europäischen Fußball positiv auffällig geworden ist. Doch so kurz vor der Winterpause häufen sich die Anzeichen einer schwierigen Situation. Der steile Aufstieg des Vereins für Bewegungsspiele aus dem Mittelmaß heraus zum Trendsetter der Branche stellt höchste Anforderungen an die handelnden Personen, denen nicht alle gewachsen sind, wie zumindest Magath meint. Hier in Stuttgart verhalten sich die Verantwortlichen lieber politisch. Sie vermeiden es, sich festzulegen, und sie scheuen das Risiko, sagte er den Stuttgarter Nachrichten. Zwischen Magath auf der einen Seite sowie dem Präsidenten Erwin Staudt, Aufsichtsratschef Dieter Hundt und Finanzvorstand Ulrich Ruf auf der anderen tauchen immer mehr Unstimmigkeiten auf, die das Verhältnis belasten. Schon zum Ende der vergangenen Saison hatte Magath, der Vater des Erfolgs beim VfB, die Konfrontation mit der Funktionärsriege gesucht, seine Zukunft in Stuttgart in Frage gestellt und mehr Einfluß verlangt. Das wochenlange Pokerspiel gewann der 50 Jahre alte Fußball-Lehrer. Er erhielt mehr Geld, mehr Macht und weitere Ressourcen, die er mit Erfolg einsetzte. Zu einem reibungslosen Zusammenwirken in der Managementebene des VfB hat das aber nicht geführt, so daß Magath nun wieder eine Diskussion öffentlich entfacht (…) Auch die aktuellen Veränderungen innerhalb des Kaders tun wohl ihr übriges, daß eine gewisse Unruhe die Arbeit auf dem Platz erschwert. Die spektakulären Vertragsverlängerungen mit den Jungstars Kuranyi und Hinkel sorgen in der Mannschaft für Gesprächsstoff, lassen den einen oder anderen, der im Moment noch leer ausgeht, neidisch zum Kollegen blicken. Bisher war Geld kein Thema in unserer Mannschaft. Jetzt ist es eines, gibt Magath zu. Die einfachen Gesetze des Profisports gelten also auch für die jungen Wilden aus Stuttgart, haben sie sozusagen nach dem wunderbaren Höhenflug auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wer verdient mehr? Warum bekomme ich nicht soviel? Was zahlen andere? Fragen, die die Atmosphäre innerhalb der Gruppe vergiften können und eine funktionierende Gemeinschaft auf die Probe stellen.“

Christoph Biermann (SZ 17.12.) ist vom Bochumer Sturmduo begeistert: „Sollte irgendwann ein Fernsehproduzent auf die Idee kommen, eine Reality-Soap in der Bundesliga zu drehen, müsste er zum VfL Bochum gehen. Denn dort arbeitet ein dänisch-iranisches Stürmer-Tandem zusammen, das sich ein Besetzungsbüro nicht besser hätte ausdenken können. Peter Madsen, der Sohn eines Polizisten aus Roskilde, entspricht ganz dem Bild des lässig nonchalanten Skandinaviers, und Vahid Hashemian, Sohn eines Obst- und Gemüsehändlers aus Teheran, ist der wahrscheinlich höflichste Profi der Liga. Legendär ist seine Antwort bei einem Fernsehinterview direkt nach Spielschluss: „Ich habe nicht alles verstanden, aber danke.“ Gemeinsam bilden sie mit 17 Toren das derzeit erfolgreichste Angriffsduo der Bundesliga hinter den Bremern Ailton/Klasnic und kommen ganz unterschiedlich, aber doch kompatibel daher. Peter Madsen arbeitet wie ein Pferd und sagt: „Wenn ich das nicht tue, komme ich nicht ins Spiel.“ Vahid Hashemian wird wegen seines außergewöhnlichen Kopfballspiels in Bochum als „Hubschrauber“ gefeiert. Er steht wie einst Karlheinz Riedle in der Luft, und trifft der Perser, wird er ein- oder ausgewechselt, ist im Ruhrstadion über Lautsprecher das Geräusch surrender Rotorblätter zu hören. „Gute Leistung bringt Spitznamen, aber Spitznamen bringt keine Leistung“, sagt Hashemian mit heiligem Ernst, und das ist einer dieser Sätze, die man sich ausschneiden könnte.“

Geschichte wiederholt sich nicht

Richard Leipold (FAZ 17.12.) berichtet Dortmunder Schwarzmalerei: “Borussia Dortmund auf dem Weg in die Abstiegszone? Das klingt pessimistisch, gerade dort, wo die Verantwortlichen so gern in Optimismus machen und weiter die Qualifikation für die Champions League anstreben. Die Mannschaft hat zwar einen gewissen Rückstand aufzuholen, doch dafür ist die Rückrunde schließlich da. Nicht einmal Cheftrainer Matthias Sammer vermag den Gedanken an ein schmerzliches Déja-vu-Erlebnis zu verdrängen. Wir müssen höllisch aufpassen, sagt er, es ist noch nicht so lange her, daß der BVB in den Abstiegsstrudel geraten ist. Vor dem 17. Spieltag jener Saison 1999/2000 stand die Borussia als Tabellensechster genauso schlecht da – oder wie sich weisen sollte – genauso gut wie zum vergleichbaren Zeitpunkt der aktuellen Hinrunde. Auch vor vier Jahren sprachen die Verantwortlichen von der Champions Legue, als die Wirklichkeit längst einen Plan B erforderte, den sie nicht hatten. Die Rückrunde bot den Dortmundern einen Horrortrip, an dessen Ende sich Abgründe auftaten. Als die Ratlosigkeit in Panik ausartete, begann die Trainerkarriere Sammers, der gemeinsam mit dem Altmeister Udo Lattek als Nothelfer das Schlimmste verhinderte. Alles schon mal dagewesen, aber keine Sorge: Geschichte wiederholt sich ja nicht.“

Handelsblatt: „Der neue HSV-Trainer Klaus Toppmöller setzt auf eine Mannschaft mit Zukunft – für Rodolfo Cardoso ist kein Platz mehr.“

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Ballschrank

Die Bedeutung des Tores von Ronaldo beim 1:0-Sieg gegen Türkei

erklärt uns Christoph Biermann (SZ 27.6.). „In diesem entscheidenden Moment von Ronaldo lag der ganze Zauber des brasilianischen Fußballs und des einzigen Teams, das dieser Weltmeisterschaft den Glamour gebracht hat, der ihr im Laufe der Schlussrunden fast ganz entwichen war. Ein Traumteam ist diese Seleçao trotzdem nicht, dazu hat sie zu viele offensichtliche Schwächen. Aber sie kann diese Momente von Klasse aufleuchten lassen, deretwegen sie die populärste Mannschaft der Welt ist. Dabei war die türkische Mannschaft durchaus ein gleichwertiger Gegner. Trainer Senol Günes war zurecht „sehr stolz“ auf seine Mannschaft. Es kann nämlich keine Mannschaft bei diesem Turnier für sich in Anspruch nehmen, die Probleme der Brasilianer so offensichtlich gemacht zu haben, wie die türkische (…) Wie viele Chancen mochten es insgesamt gewesen sein, die sie brauchten, um das eine Tor zu schießen? Sieben, acht, ein Dutzend? Das trug zum leicht unseriösen Eindruck bei, den das brasilianische Team erneut verbreitete. Wieder einmal verbreiteten sie den Eindruck, aus einer anderen Zeit zu kommen schien, als man noch lustig daherspielte und sich nicht drum scherte, was am Ende auf dem Ergebniszettel stand.“

Jürgen Kaube (FAZ 27.6.) beschreibt ein Tor. „Gab es je so viele Chancen, die wie Rückgaben zum eigenen Torwart, abgeschlossen wurden? Hat Brasilien jemals zuvor ein Spiel gewonnen durch einen Schuss, der so verwackelt war, als hätte ihn Gerd Müller selbst ins Netz geschubst? Bei aller Abschlussschwäche, die den Südamerikanern stets zu attestieren war und eigentlich einem tiefen paartänzerischen Trennungsschmerz entspringt: So schnöde hat sich ein Brasilianer noch nie von seinem „einfachen Hier“ getrennt wie der merkwürdig kubisch-scharf frisierte Ronaldo. Das hatte wohl auch Torwart Rüstü, der Mutigste der Mannelucken, vom Brasilianer am wenigsten erwartet und langte daneben, indem er nach einem Schuss griff und einer Kugel, aber eine Coladose angestolpert kam.“

Den türkischen Turnierauftritt fasst Martin Hägele (taz 27.6.) zusammen. „Der türkische Fußball hat sich bei diesem Turnier etabliert. Er ist zu einem Markenzeichen in Europa geworden. In ihren Köpfen aber bleibt jener Augenblick zurück, der den großen Traum verhinderte. Es war kein Tor, wie es sonst in den Filmen von Ronaldo gezeigt wird, wo „Il Phenomeno“ durch die Luft fliegt oder ganze Reihen von Abwehrspielern stehen lässt. Er war im Duell mit den türkischen Verteidigern, er konnte sich nicht entscheidend absetzen. Aber anstatt einen Haken zu schlagen, schlug er plötzlich mit der Stiefelspitze zu, so wie es die kleinen Jungs auf dem Dorfplatz tun – aber auch die Genies dieses Spiels, wenn es der Augenblick erfordert. Für das Tor, mit dem Ronaldo nun auch die Führung in der Torschützenliste des Turniers übernommen hat, wird es keinen Schönheitspreis geben. Und dennoch war es einer der wertvollsten Treffer in der Karriere des wiedergekehrten Superstars.“

Felix Reidhaar (NZZ 27.6.) über das Team Türkei. „Das Team vom Balkan war den Brasilianern auch im zweiten Match, am kühlen Mittwochabend in Saitama, ein nahezu ebenbürtiger Rivale, hielt spielerisch verblüffend mit und hätte mit etwas mehr Abschlussglück auch treffen können gegen die defensiv fehlerhaften, oft etwas leichtsinnigen und nach der Führung gleich auf Absicherung bedachten Südamerikaner. Keine andere Mannschaft aus dieser Konföderation (Uefa) erreichte in Ostasien das spiel- und balltechnische Rendement der Türken.“

Peter Heß (FAZ 27.6.) zum Spiel Brasilien gegen Türkei (1:0). „Während die Deutschen mit ihrem Eintopf der Nützlichkeit immerhin Sättigenderes als die magere Kost der Südkoreaner auf den Tisch brachten, trug die Türkei zum Festmahl beinahe genau so viel zur Tafel bei wie die Brasilianer. Der Unterschied? Der Hauch Genialität, den weder Chefköche noch Fußballprofis erlernen können, sondern der ihnen in die Wiege gelegt wird (…) So einen Spieler hatten die Türken nicht, der in der entscheidenden Sekunde die einzig richtige Entscheidung traf. Aber sie boten eine Mannschaft auf, die sehr vieles richtig machte. Von der taktischen Disziplin über die Kampfkraft bis zu den spielerischen Fähigkeiten. Und sie verloren nie die Beherrschung. Obwohl sie von den Brasilianern in den letzten Minuten provoziert wurden, als die Südamerikaner versuchten, ihr Spielchen mit ihnen zu treiben, sie vorzuführen (…) Im Vergleich der Mannschaftsleistungen wäre ein Unentschieden das gerechteste Ergebnis gewesen. Aber die Brillanz eines Ronaldo und eines Rivaldo verdienten es doch, mit dem Sieg belohnt zu werden.“

Peter B. Birrer (NZZ 27.6.) zum Spiel. „Die Brasilianer dokumentierten vorerst auch ohne zählbaren Erfolg eindrücklich, inwiefern sie sich während des World Cup zu steigern vermochten, inwiefern sie an Sicherheit, guter Laune und nicht zuletzt Rendement hinzugewonnen haben. Rivaldo, dieser spezielle, sich bisweilen richtiggehend über den Rasen schleppende Fußballer, legte gleich mehrere Zeugnisse ab, dass mit ihm zu rechnen ist, vielleicht sogar mehr denn je (…) Obschon sich Ronaldo und Co. nach der dritten WM-Final-Qualifikation in Folge von der selbstsicheren Seite zeigten, darf nicht unerwähnt bleiben, dass der türkischen Mannschaft nicht viel zu einem neuerlichen Coup fehlte. Sie ist eine der technisch versiertesten Equipen des gesamten Teilnehmerfeldes in Fernost, und zwar von Spieler A bis Spieler Z. Sie war auch in ihrem letzten WM-Auftritt gut organisiert, bisweilen auch inspiriert, rannte sich aber mit zunehmender Spieldauer immer deutlicher vor dem gegnerischen Strafraum am festen kanariengelben Cordon fest. Die Torchancen für den Ausgleich der Türken waren durchaus vorhanden. Aber zuletzt fehlten eben doch der letzte Zwick, nach dem Rückstand die Kraft und vielleicht auch die innere Überzeugung, den Widersacher tatsächlich ernsthaft gefährden zu können.“

Die Türkei ist stolz auf ihre Mannschaft. Christiane Schlötzer (SZ 27.6.). „Das Gefühl, die Elf habe die Ehre der krisengeplagten Türkei in der Welt gerettet, durchzog in den letzten Tagen alle politischen Kommentare. Auch die türkische Wirtschaft hat profitiert. Nicht nur stieg die Nachfrage nach rot-weißem Tuch für T-Shirts und Flaggen enorm, auch Verkäufer von Blumen, Luftballons und Knallkörpern melden beste Geschäfte. Das gilt selbst für den Bierabsatz in dem mehrheitlich moslemischen Land.“

Die Stimmung in Kreuzberg schildert Michael Reinsch (FAZ 27.6.). „Deutschland entdeckt seine Türken neu. Und die Türken verstehen sich plötzlich ebenfalls neu als erfolgreiches Fußballvolk. Tatsächlich gibt es reichlich Gemeinsamkeiten zwischen den verhinderten Finalgegnern Deutschland und Türkei: die Gilde der inzwischen mehr als zwanzig deutschen Trainer, die seit Friedel Rausch und Jupp Derwall den türkischen Fußball geprägt haben; und die acht „Deutschländer“ in der türkischen Nationalmannschaft – in Deutschland geborene und aufgewachsene Spieler, die nicht nur die Sprache, sondern auch den Fußball ihres Geburtslandes gelernt haben. Nicht wenige deutsche Fußballfunktionäre halten sie für verlorene Söhne (…) die Berliner Türken längst etabliert. Warum wohl hat der Autokorso, mit dem Hunderte von Fans nach den Siegen ihrer Nationalmannschaft von Kreuzberg aus den Verkehr lahm legen, stets den Kurfürstendamm zum Ziel? Weil sie alte West-Berliner sind! 1961, im Jahr des Mauerbaus, schlossen Deutschland und die Türkei das Anwerbeabkommen, das insgesamt 2,5 Millionen Türken in die Bundesrepublik gebracht hat. Bis heute, im Jahr dreizehn nach dem Fall der Mauer, leben gerade drei Prozent der 130.000 Berliner Türken im Ostteil der Stadt. Ihr stolzer Einsatz der Fahrzeuge aus Stuttgart, Rüsselsheim und Wolfsburg drückt nicht nur den Stolz der wirtschaftlichen Aufsteiger aus, sondern wirkt durchaus stilbildend.“

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