indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Freitag, 30. April 2004

Ballschrank

Länderspiel-Mittwoch

Wer hätte vor dem Spiel gedacht, dass das Freundschaftsspiel in Rumänien auf so viel Beachtung der Medien stoßen wird? „ein 1:5 bringt den deutschen Fußball in Wallung“ (taz); „gespenstische Fußball-Nacht“ (FAZ); „Schockzustand“ (FR); „allüberall Nöte in diesem Land, Haushaltsschwäche, Abspielschwäche“ (Tsp) „was ist mit Charakter?“ (Tsp); – Kritik und Zweifel an Rudi Völler ; „Völler verspielt Urvertrauen der deutschen Fans“ (FAZ) – Holland besiegt Rehhagels Griechen mit 4:0, nachdem sie Vogts’ Schotten mit 6:0 nach Hause schickten: „Oranje-Wirbel, zuviel für deutsche Trainer“ (FAZ) – Tschechien verliert gelassen gegen Japan – Lettland , EU-Mitglied und deutscher Gegner in der EM-Vorrunde u.v.m.

Rainer Hennies (taz 30.4.) berichtet das Spiel der deutschen Nationalmannschaft: „Nikolai Litvin schaute drein wie Oliver Kahn in Bukarest. „Normalerweise ist sie eine gute Torhüterin“, sagte der Trainer der ukrainischen Fußballspielerinnen, „aber sie spielt in einem Verein in Russland, und da war sie in den letzten Wochen Feldspielerin. Ich kann Ihnen das nicht erklären.“ Irina Zvarich von Energia Woronesh war in der Tat die unglücklichste Figur beim 6:0 gegen die deutschen Weltmeisterinnen vor 13.857 Zuschauern in Oldenburg. In der zweiten Minute half sie beim Führungstreffer von Birgit Prinz mächtig mit und glänzte auch später mit Unsicherheiten in einem äußerst schwachen Team. Einziges Manko der DFB-Elf: Die sechs Tore waren, gemessen an den Chancen, immer noch zu wenige. Die La-Ola-Welle kreiste trotzdem durchs Stadion.“

Zweifellos ist ein wenig von dem Urvertrauen verspielt

Michael Horeni (FAZ 30.4.) rauft sich die Haare: “Die Ausschläge bei den Auftritten des dreimaligen Welt- und Europameisters fallen in den zurückliegenden Jahren wie das Klima immer extremer aus – die Schönwetterperioden werden dabei allerdings immer seltener, Ergebnisse wie Donnerschläge dagegen regelmäßiger: 1:5 gegen England 2001, 1:4 gegen Holland 2002, 0:3 gegen Frankreich 2003 – und nun als Tiefpunkt ein 1:5 bei den Rumänen. Zu den Niederlagen mit Gewitterneigung gesellen sich dürre Siege gegen Färöer und Co. Die Befunde, die mit diesen kärglichen Auftritten in der Ära Völler einhergehen, ähneln sich allesamt: Die technischen Grenzen der Deutschen werden immer dann besonders auffällig, wenn auch Einstellung und Aufstellung nicht stimmen. In Bukarest hat sich Rudi Völler zu einem gut Teil für die Niederlage verantwortlich erklärt, weil er mit Jeremies und Ramelow in der Innenverteidigung ein waghalsiges Experiment eingegangen war, das er viel zu spät abbrach. Bei allen Qualitäten, die der Teamchef besitzt, gehört es offenkundig nicht zu seinen Stärken, von Beginn an das passende Personal und die entsprechende taktische Ausrichtung zu finden. Immer wieder hat die Nationalmannschaft an ihren schwarzen Tagen auch mit den Vorgaben ihres Teamchefs und seines Helfers Michael Skibbe zu kämpfen gehabt. Erst die Vorstellung, seine Vorgänger Erich Ribbeck oder Berti Vogts hätten sich solch bitter bestrafte Patzer sechs Wochen vor einem großen Turnier geleistet, zeigt, wie groß der Bonus und die Hoffnung immer noch sind, die sich mit Völler verbinden. Zweifellos ist ein wenig von dem Urvertrauen verspielt, das die deutschen Fans ihrer Mannschaft und dem Teamchef gerne entgegenbringen.“

Wenn Masse die Klasse dominiert, wenn Durchschnitt der Maßstab ist

Ludger Schulze (SZ 30.4.) stöhnt: „Man muss mit dem auskommen, was man hat. Im Falle des deutschen Fußballwesens ist das derzeit so herzlich wenig, dass der Fan sich an einen schaurigen Gedanken gewöhnen muss: an den Abstieg aus der exklusiven Welt-Liga in die Grauzone der Namen- und Besitzlosen. Der Abstieg verlief parallel zum Aussterben der Spezies Weltstar. Wo einst illustre Künstler wie Beckenbauer, Seeler, Müller, Overath im Rudel herumsprangen, hat es heute viel Herde, aber nur zwei Alphatiere – Kahn und Ballack. Wenn Masse die Klasse dominiert, wenn Durchschnitt der Maßstab ist, müssen fehlende individuelle Vorzüge durch taktisches Geschick und außerordentliche Gruppenbindung kompensiert werden. Teamchef Rudi Völler hat gerade im Ressort Innere Befindlichkeit sein Spezialgebiet. Durch seine gewinnende Art und Erscheinung hat er Nationalteam, Publikum und auch Medien weitgehend auf einen Nenner und hinter sich gebracht. Ein fröhliches Klima nach der düsteren Ära unter Ribbeck geschaffen zu haben, ist ein hoher, unbestreitbarer Verdienst. Getrübt wird dies jedoch dadurch, dass Völler und sein Kollege Michael Skibbe nicht zum ersten Mal mit einem untauglichen Konzept antraten. (…) Für ein passables Abschneiden zwei Voraussetzungen zu erfüllen sind: Alle Spieler müssen ihre Leistungsgrenze erreichen – und das Trainer-Duo zu fußballintellektueller Hochform finden. Man muss schließlich auskommen mit dem, was man hat.“

Der Untergang im Land der Karpaten

Frank Hellmann (FR 30.4.) schlägt die Hände überm Kopf zusammen: „Deutschlands beste und bestens bezahlte Fußballer haben ihren Beruf am Mittwoch mit Füßen getreten. Verkommt der von titanischen Torwart-Taten und günstigen Turnier-Konstellationen erzwungene Vorstoß ins WM-Finale 2002 im Rückblick nicht zum unwirklichen Ereignis? Die fernöstliche Energieleistung wirkt wie ein Fluch auf dieselben Fußballer, die sich vor und nach dem Asien-Auftritt weitab vom Weltniveau befanden und befinden. Seit drei Jahren ist die Nationalelf für die Großen nicht mehr gut genug. Nun wird die Lektion rumänischer Art zu einer neuen Last. Der Untergang im Land der Karpaten [of: Ist das von Karl May? Die süchtige Suche nach Synonymen führt uns heute in „das Land der Karpaten“, ein Verwandter der „Mainmetropole“ und der „Domstadt“; Journalisten meinen damit Rumänien, Frankfurt und Köln.] ist nicht zuvorderst in falschen taktischen Systemen, sondern in erheblichen spielerischen Mängeln begründet. Fußballerisch fehlt bei rechtschaffenen Kollegen vom Kaliber Carsten Ramelow Grundsätzliches. Die Nivellierung an den Hochgeschwindigkeitsfußball der Moderne mit taktisch variablen, körperlich und gedanklich flexiblen Profis ist an der auch in den internationalen Wettbewerben versagenden Bundesliga offensichtlich vorbeigegangen. Abgesehen von Dietmar Hamann taugt kein Nationalspieler für einen Kaderplatz in den Top-Ligen Europas.“

Allüberall Nöte in diesem Land, Haushaltsschwäche, Abspielschwäche

Helmut Schümann (Tsp 30.4.) findet „keinen Trost: 1:5. Man muss dazu wissen, dass beim Stand von 0:5 ein Gegentreffer lediglich gewährt wird und Ausdruck von Mitleid ist. 1:5! Gegen Rumänien! Herrgott, nein, im Namen der Helden von Bern, im Namen Uwe Seelers, Günter Netzers, Franz Beckenbauers, Joachim Streichs, Jürgen Sparwassers und, bitteschön, auch im Namen von Lothar Matthäus, muss die Frage hinausgebrüllt werden: Wann jemals hatte deutscher Fußball Mitleid nötig? Jetzt! Es sind nur noch 47 Tage bis die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen die Niederlande zu ihrem ersten Spiel der Europameisterschaft anzutreten hat – einem Wettbewerb, an dem Rumänien mangels Qualität gar nicht erst teilnehmen darf. 47 Tage, und unser Fußball steht da wie unsere Mautgebühr: Wir wollen ja schon, wir können nur nicht. Stimmt also wieder, dass der Ball rollt, wie es das Land verdient hat? Oder anders gefragt: Was müssen wir eigentlich noch alles ertragen? VW und Audi rufen jetzt weltweit 870 000 Autos zurück in die Werkstatt, deutsche Qualitätsautos, die Vorderachse ist defekt. Soll uns etwa trösten, dass es nur die Vorderachse ist, wohingegen die Vorderachse im deutschen Fußballspiel gar nicht erst eingebaut war, wie auch nicht die Mittelachse, und die Hinterachse poröser war, als es die von VW und Audi jemals sein könnten? Allüberall Nöte [of: Nöte! Welch Plural!] in diesem Land, Haushaltsschwäche, Abspielschwäche, die Windenergie steckt in der Flaute, unser Sturm auch, vom Dosenpfand zum Flaschenpfand für unsere Nationalspieler bedarf es nur eines kleinen kalauerischen Gedankensprungs, und wenn man Bundesfinanzminister Eichels Eingeständnis, bis 2006 den Haushalt eben nicht entschulden zu können, fortsetzt auf den Fußball … ganz depressiv möchte man da werden.“

Immer wieder fand sich ein Weg für spielfreudige Rumänen gegen die deutschen Dinosaurier

Michael Horeni (FAZ 30.4.) kann es nicht fassen: “Die Operation „breite Brust“, eines der Erfolgsgeheimnisse bei der WM 2002, ist also, wie Dietmar Hamann resigniert feststellte, „nach so einem Spiel nicht mehr möglich“. Die Floskel von einer lehrreichen Lektion zur rechten Zeit wollte den Deutschen an einem finsteren Abend nicht so recht über die Lippen. „Ich habe dafür keine Worte mehr“, sagte ein erschüttert wirkender Kapitän Oliver Kahn, dessen eindringliche Warnung zuvor, sich die mühsame Aufbauarbeit des EM-Jahres 2004 nicht zerstören zu lassen, ohne jede Wirkung geblieben war. „Für dieses Spiel gibt es überhaupt keine Entschuldigung. Das war eine absolute Blamage. Wir haben uns abschlachten lassen“, sagte Kahn, der als Nationaltorhüter in einer Halbzeit erstmals vier Gegentreffer hatte hinnehmen müssen – undenkbar bisher. An einen 0:4-Rückstand einer deutschen Nationalmannschaft zur Pause kann sich heute wohl auch kein Lebender mehr erinnern. Denn so etwas ereignete sich letztmals vor den beiden Weltkriegen in der Fußballsteinzeit des Jahres 1913 gegen Belgien. 91 Jahre und je drei Titelgewinne bei Welt- und Europameisterschaften später fühlten sich die Deutschen in Bukarest allerdings wieder in Zeiten versetzt, als der Fußball hierzulande laufen lernte. (…) Dabei wird sich der Perfektionist Völler vermutlich am meisten über sich selbst ärgern. Die mit Selbstverteidigung am meisten beschäftigte deutsche Viererkette ließ sich bei jeder Gelegenheit übertölpeln. Ob von rechts, links oder ab durch die Mitte: Immer wieder fand sich ein Weg für spielfreudige, laufwillige und technisch gebildete Rumänen gegen die deutschen Fußball-Dinosaurier.“

Ludger Schulze (SZ 30.4.) klagt: „Den Versuch, in dieser nieseligen Nacht den Hauch von Gutwetter-Stimmung zu verbreiten, hatte bereits ein gruseliger Auftritt seiner Leute vereitelt – wenn man nicht die Hilfskonstruktion bemühen wollte, dass die Deutschen immerhin die letzten fünf Minuten mit 1:0 erfolgreich abgeschlossen hatten. Man hat die Frohnatur Völler noch nie in so desperater Verfassung erlebt wie gleich nach der Geisterbahn-Fahrt gegen die Rumänen, als er die Augen starr auf den Resopaltisch gerichtet hatte und hinter einer Doppeldeckung aus vor der Brust verschränkten Armen tonlos erste Statements abgab. In diesem Moment war seine weitgehend abgeschlossene Planung für die Europameisterschaft polternd zusammengekracht. Es sei noch zu früh, personelle Konsequenzen zu ziehen, sagte er, doch noch habe er Zeit, „über dieses Spiel und die Leistung des einen oder anderen nachzudenken“. Doch auch das wird kaum weiterhelfen, aus der debakulösen Vorstellung gibt es nichts anderes zu saugen als sauren Ampfer. So desorientiert und abseits der Musik, die auf internationaler Bühne aufgelegt wird, hat sich eine deutsche Nationalmannschaft noch nie präsentiert. (…) Will Völler, der ursprünglich auf dem Balkan „Selbstvertrauen tanken“ wollte, nun nach einem Zipfel Zuversicht greifen, wird er nicht umhin kommen, einige radikale Schnitte am Mannschaftskörper anzusetzen. Seine in Stein gemeisselte Treue zum Leverkusener Spielkameraden Ramelow sollte einer nüchternen Betrachtung weichen; zur Disposition stehen auch Jens Jeremies, der erkennbar nicht jünger und flinker wird, sowie Jens Nowotny, der immer noch als Rekonsvaleszent zu gelten hat. Stürmer Fredi Bobic hatte seinen auffälligsten Auftritt in den örtlichen Zeitungen, die ihn beharrlich unter dem Namen „Bobici“ firmieren ließen. Für das Abwehrzentrum, in dem nur der angeschlagene Christian Wörns gesetzt ist, bietet sich der konstant stark spielende Bochumer Frank Fahrenhorst an – und im äußersten Notfall auch Thomas Linke, der immer noch den Status als „Stand-by-Nationalspieler“ besitzt. Den Kölner Angreifer Lukas Podolsi in den Kader aufzunehmen, wäre eine verwegene Idee, die jedoch Charme verriete. Was immer Völler tut – alles ist besser, als es so zu lassen, wie es ist. Denn sonst steht der deutsche Fußball in gut sechs Wochen dort, wo sich die deutsche Wirtschaft schon eingerichtet hat: auf einem Abstiegsplatz der Europaliga.“

Agenturen melden: „Der Günen-Politiker Daniel Cohn-Bendit sieht eine Mitschuld an der Krise des DFB-Teams bei der CDU. Während ihrer Regierungszeit soll die Union die Reform des Staatsbürgerrechts versäumt haben, „dass jetzt 20 Jahre Einwanderung im Fußball fehlen“, so der Europapolitiker Cohn-Bendit im Gespräch mit der „taz“. Bestes Beispiel wie die „Energie der Einwanderung“ in Erfolg umgewandelt werden könne, ist der Franzose Zinedine Zidane als Sohn algerischer Einwanderer.“

Auf anderen Wiesen

Peter Heß (FAZ 30.4.) schildert das 0:1 Tschechiens gegen Japan: “Wenigstens haben die Tschechen das Fußballspielen nicht verlernt. Deutsche Fußballfans, die nach dem 1:5 gegen Rumänien all ihre Hoffnung für die Europameisterschaft auf einen Schwächeanfall der Gegner setzen, bauen auf Sand. Zwar verlor das tschechische Nationalteam am Mittwoch nach zweieinhalb Jahren wieder ein Heimspiel und bekleckerte sich beim 0:1 gegen Japan wahrlich nicht mit Ruhm. Aber die Niederlage trug weder die Züge einer Blamage noch einer Kapitulation, noch einer fußballerischen Bankrotterklärung. An einem wunderschönen Prager Frühlingstag vermochten sich 20 tschechische Fußballprofis einfach nicht zu einer ernsthaften Berufsauffassung aufzuraffen. Sogar Trainer Karel Brückner hatte sich in den Tagen zuvor geweigert, der Partie allzu große Bedeutung beizumessen. Er wolle alle Spieler noch einmal sehen, werde deshalb fleißig wechseln, und ansonsten sei ja noch eine Menge Zeit bis zur EM. Entsprechend gelassen fiel sein Fazit aus. „Ich will aus dieser Niederlage keine Tragödie machen.““

Christian Eichler (FAZ 30.4.) sieht starke Holländer: „Diese Holländer meinen es nicht gut mit Deutschen – mit deutschen Trainern vorerst. 0:6 verloren die Schotten von Berti Vogts im November in Amsterdam. 0:4 verloren die Griechen von Otto Rehhagel diesen Mittwoch in Eindhoven. Noch sechseinhalb Wochen, und man wird wissen, ob wenigstens Rudi Völler und sein Team bei der Europameisterschaft dem neuen Oranje-Wirbel entkommen können. Von Hollands „Superteam“ sprach Rehhagel nach Schlußpfiff. Er wirkte fast erleichtert, den Niederländern schon jetzt und nicht in der Vorrunde in Portugal über den Weg zu laufen. Für die Griechen war es das Ende einer großartigen Serie von 15 Spielen ohne Niederlage. „Da muß man auch mal eine solches Ergebnis hinnehmen“, sagte der deutsche Altmeister, der nicht unzufrieden wirkte. Seine Stammelf hatte in der ersten Halbzeit den heiter kombinierenden, aber noch nicht zwingenden Holländern kein Tor und kaum eine Torchance erlaubt. Die Griechen gaben mit defensiver Raumgestaltung dem deutschen Team ein brauchbares Vorbild, wie man die spiellaunische Elf der Holländer ein bißchen frustrieren kann. (…) Aller Voraussicht nach werden die Holländer im Juni noch stärker sein, wenn ihr Antreiber Edgar Davids, derzeit beim FC Barcelona in glänzender Form, wieder dabei ist. Zudem hat die Bandbreite der Torgefahr, die der Oranje-Jahrgang 2004 entfaltet, zugenommen. Während die klassische Ajax-Schule mit ihrem Hang zum Kombinationsfußball das simple, nicht erspielte, sondern erzwungene Tor als eher zweitklassig betrachtete, ist Advocaats Team auch bei jenen unspektakulären Szenen stark, die in einem Turnier gegen gut organisierte Gegner oft entscheiden: Ecken und Freistöße. Mit dem Linksfuß Rafael van der Vaart, der das 3:0 gegen Griechenland per Freistoßflanke vorbereitete, und dem Rechtsfuß Wesley Sneijder, der gegen die Schotten drei Treffer aus Standardsituationen vorgelegt hatte, verfügt es über schnittig-scharfe Beschleuniger des ruhenden Balles. Rudi Völler und anderen EM-Gegnern droht eine Beschleunigung des Ruhepulses.“

Mit Fleiß und Leidenschaft könne man den Anschluss an Europa schaffen

Lettlands (Fußball-)Aufschwung sei hauptsächlich dem Engagement einzelner gedankt; Josef Kelnberger (SZ 30.4.) berichtet: „In Lettland ist die Europäische Union am weitesten nach Osten fortgeschritten, Richtung Russland, kurz davor, sich zu überdehnen. In keinem anderen der zehn Beitrittsländer fiel beim Referendum die Mehrheit so knapp aus. Hier hatte sich die Sowjetmacht ihr Zentrum für das Baltikum aufgebaut, ein Drittel der 2,4 Millionen Einwohner sind noch Russen, in der Hauptstadt Riga mit fast einer Million Einwohnern mehr als die Hälfte. 500 000 haben keinen Pass, weil sie beim lettischen Sprachtest versagen. Die ethnische Kluft prägt nicht nur die Politik, sondern auch den Sport. Echte Letten, die etwas auf sich halten, schicken ihre Kinder zum Basketball. Eishockey spielen beide Bevölkerungsgruppen, Fußball aber meist russische Kinder, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen. „Das ist unser Erbe der Sowjetzeit“, sagt Janis Mezeckis, 51, Generalsekretär des lettischen Fußballverbandes. „Idealerweise würden elf Letten mit der Hand auf der Brust die lettische Hymne singen. Aber wir sind Profis. Wir müssen mit der Realität umgehen.“ Mezeckis, geboren in Riga, hat ein Talent, die Realität zu seinen Zwecken zu benutzen. Er durchlief alle Fußball-Auswahlen der UdSSR, setzte sich 1993 von Moskau aus nach Belgien ab, wo er einem befreundeten Industriellen die Geschäfte führte. Er sagt, er habe sich damals geschworen, niemals mehr zurück zu kehren in dieses KGB-Reich. Zwei Jahre später übernahm er die Geschäftsführung des lettischen Fußballverbandes. Jetzt sitzt er im ausladenden Besprechungsraum der Verbandszentrale. An den Wänden protzen Trophäenschränke in Gold und Silber, ein Flachbildschirm neuesten Datums macht sich breit. Mezeckis thront mittendrin, energiegeladen. Er fühlt sich als Vater des Fußballwunders. Er hat Geld aus allen möglichen Töpfen von Fifa und Uefa organisiert. Hat gebrauchte Kunstrasenplätze für das Jugendtraining auch von Bayern München erworben. Hat die Vereinigung lettischer Sportfans, die vorwiegend Basketballteam und Eishockeyauswahl unterstützten, für die Fußballer gewonnen; zwei neue Trommeln verlangten die, er besorgte sie gern. Mit Fleiß und Leidenschaft könne man den Anschluss an Europa schaffen, sagt er, dies als Botschaft an Lettlands Politiker. Denn die lassen die Fußballer seltsam unbeachtet. Als Mezeckis Mühe hatte, den Charterflug zum Entscheidungsspiel in der Türkei zu finanzieren, fand er Hilfe nicht in der Politik, sondern bei Geschäftsleuten. Lettlands Fußball wird hauptsächlich finanziert von Guntis Indriksons, Chef des Mischkonzerns Skonto, Präsident des gleichnamigen Klubs und des nationalen Verbandes. Nach guter Sitte osteuropäischer Oligarchen sponsert er alle politischen Parteien, sicherheitshalber, weil die Regierung ja so oft wechselt. Die aktuelle, grün gefärbte, hat bis jetzt kein Interesse erkennen lassen, mit dem Fußballteam auf europäischer Bühne für sich zu werben. Der Verdacht liegt nahe, dass die durchweg russisch sprechende Mannschaft nicht repräsentabel wirkt. Nur Vaira Vike-Freiberga, Lettlands Präsidentin, habe die historische Dimension der EM-Qualifikation verstanden, sagt Mezeckis. Als sie die Mannschaft ehrte, versprach Nationaltrainer Aleksandrs Starkovs, 48, er werde jetzt lettisch lernen. Das war ein Spaß, aber auch ein Politikum.“

Ballschrank

Sonstiges

was ist das schönste Fußball-Wort? (FAZ) – ist die Zweite Liga stark oder schwach? (SZ) – Hermann Rieger, der letzte Star verlässt den Hamburger SV – auf der Suche nach dem Geist von Spiez (FAS) u.v.m.

Christian Eichler (FAZ 30.4.) belegt seine Eignung für eine Mitarbeit beim indirekten freistoß und sucht „das schönste Fußballwort: Es heißt natürlich „Tor“. Fast immer mit Ausrufezeichen zu versehen und, je nach emotionalem Gehalt, durch Vokalvermehrung beliebig auszudehnen, wobei vor allem in der brasilianischen Version („gol“) allein Lungenkapazitäten die Wortlänge begrenzen. Das „Tor“ ist erst durch die verdienstvolle Tätigkeit des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins unter die Deutschen gekommen. Als sich der Fußball immer mehr auf dem Kontinent breitmachte und damit auch sein englisches Vokabular, veröffentlichte der Sprachverein als verbalen Abwehrriegel 1902 „Deutsche Ausdrücke für das Fußballspiel“. Das Traktat enthielt neudeutsche Begriffe wie „Freistoß“ oder „Abseits“ (während Vorschläge wie „treiben“ für dribbeln oder „ungehörig“ für Foul erfolglos blieben). Der größte Treffer des amtlichen Vorgangs wurde bekanntermaßen das Tor. Es setzte sich als Übersetzung von „goal“ gegen die Alternativlösung durch: das „Mal“ (so wie „Torhüter“ gegen „Malwächter“). Man stelle sich vor, wie das andernfalls geklungen hätte, als Herbert Zimmermann vor fünfzig Jahren in Bern ins Mikrofon brüllte – wie ein durchgedrehter Kunstlehrer: „Mal! Maaal! Maaal für Deutschland!“ Das Tor gehört also auf die Auswahlliste, ebenso hübsche Unterformen wie das Traumtor. Außerdem: Schlenzer und Abstauber, Bananenflanke, Bilderbuchkonter, Sonntagsschuß und Flatterball. Ein ähnlich klangvoller Fußballbegriff ist das „Abstiegsgespenst“, das vor einem Jahr Reiner Calmund, Manager von Bayer Leverkusen, nach eigener Darstellung jeden Abend in seinem Bett vorfand. Von dort wechselte es in dieser Saison in das des Berliner Kollegen Dieter Hoeneß. Wer es einmal so hautnah kennenlernte, der würde dieses schöne Wort liebend gern tilgen und gegen eines der häßlichsten und holprigsten Wörter der Fußballsprache eintauschen: den „Nichtabstiegsplatz“. Denn der Blick auf die Sprache der Bundesliga, auf all die „Fahrstuhlmannschaften“ im „Tabellenkeller“, bei denen schon in der Hinrunde das „Trainerstuhlwackeln“ einsetzt und die „Endspiele“ beginnen, ehe dann „Schicksalsspiele“ daraus werden, wobei nach fast jedem Zwischenerfolg „Euphoriebremsen“ getreten werden – dieser Blick auf das Sprachbild der Bundesliga zeigt, daß ihr Denken immer mehr von der Furcht ums Geschäft als vom Spaß am Spiel geprägt scheint – von Ängsten statt Freuden.“

Ist die Zweite Liga stark oder schwach? Die Statistik hilft Ulrich Hartmann (SZ 3.5.) bei der Antwort nicht weiter: „Vorsicht: Abstiegskampf gefährdet die Gesundheit. Bei Paul Linz ist das so, weil er viel mehr raucht als früher. Seit einigen Wochen greift der 48-jährige häufiger zur Zigarette, und wenn er jedes Mal über die bedrohlichen Warnhinweise auf den Schachteln nachdenken würde, bliebe ihm nicht mehr genug Zeit fürs Berufliche. Der Fußballtrainer braucht dringend Nikotin, weil sein Team Eintracht Trier dringend Punkte braucht. Und weil Linz mit diesem Problem nicht alleine ist in diesen Wochen, wäre der spannende Abstiegskampf in der Zweiten Bundesliga eigentlich ein Fall für die Gesundheitsvorsorge. Als vergangenen Freitag im idyllisch frühlingshaften Moselstadion das Kellerduell zwischen Trier und Ahlen zu Ende gegangen war, nebelten Linz und sein Ahlener Trainerkollege Ingo Peter den kleinen Pressecontainer neben dem Stadion mit nikotinhaltigem Qualm ein, als wollten sie die Journalisten narkotisieren. Diese Form der Anästhesie hat allerdings eher eigentherapeutische Gründe. Denn der Überlebenskampf in der Zweiten Liga ist so spannend – und damit auch schmerzhaft – wie seit langem nicht mehr. Kurz nachdem Eintracht Trier das Duell zweier stark gefährdeter Klubs unerwartet deutlich mit 3:0 gewonnen hatte, seufzte Linz: „Dieser Abstiegskampf ist sehr belastend.“ Drei Spieltage vor Schluss haben die Trierer 41 Zähler auf dem Konto, doch während diese Ausbeute in den vergangenen sieben Spielzeiten stets frühzeitig zum Klassenerhalt gereicht hätte, ist damit in dieser Saison noch nichts gesichert. „Total frustrierend“, findet auch Ahlens Trainer Peter die Vorgänge in der unteren Tabellenhälfte. Elf Punkte aus fünf Spielen und 20 Zähler in der Rückrunde hatte Peter mit seinem Team vor der Niederlage in Trier geholt, aber die Abstiegsränge haben sie trotzdem nicht verlassen. Noch nie seit Einführung der Dreipunkteregel hat eine Zweitliga-Elf vier Spieltage vor dem Saisonende mit 37 Punkten auf einem Abstiegsplatz gestanden. Bei Ahlen ist es so. Eine derart aufwühlende Zweitliga-Runde gab es zuletzt in der Saison 1995/96. Während RW Oberhausen vor einem Jahr mit mageren 37 Punkten den Klassenerhalt geschafft hat, stieg der Chemnitzer FC vor acht Jahren mit 42 Zählern ab. Diesmal dürften zur Rettung „sogar 43 Punkte nötig sein“, hat Peter errechnet. Die kühne Schlussfolgerung, die viele Protagonisten aus der grassierenden Existenzangst ziehen, ist ein Plädoyer für die fußballerische Stärke der Zweiten Liga. Die häufig als unattraktiv verspottete Klasse sei besser als ihr Ruf, behauptet Peter, das zeige zum einen die große Leistungsdichte innerhalb der Liga und zum anderen die Tatsache, dass die Zweitligisten Lübeck und Aachen im DFB-Pokal bis ins Halbfinale gezogen seien. Zur Frage, ob die Zweite Liga eher durchgängig schwach oder auf breiter Front stark besetzt sei, haben Peter und Linz eine klare Meinung: „Die Liga wird unterschätzt“, sagt Linz.“

Andreas Kröner (SpOn) verabschiedet Hermann Rieger, Masseur des Hamburger SV: „Seine Popularität hat viel mit der Entfremdung der Bundesligakicker von ihren Fans zu tun. In Zeiten, in denen 60 Prozent der Profis aus dem Ausland kommen und viele den Club schon wieder verlassen haben, noch ehe sie sich mit den Autogrammjägern halbwegs auf Deutsch unterhalten können, dient der burschikose Fitmacher als letzte Konstante des HSV. Weil unter den Spielern der Archetyp Uwe Seeler ausgestorben ist, feiern die Zuschauer „uns Hermann“. Wenn Rieger mit schlabberiger Trainingshose, ausgewaschenem Muskelshirt und Badelatschen durchs Trainingszentrum am Ochsenzoll marschiert, sind für ihn alle gleich – geduzt wird jeder. Mit einem „Servus Burschi“ begrüßt er nicht nur Fans und Spieler, sondern auch Ärzte und Vorstandsvorsitzende. Dass ein ergrauter Bajuware mit leichtem Bauchansatz „einer der wichtigsten Imageträger des HSV“ ist, wie Vereinschef Bernd Hoffmann betont, muss bei dem ambitionierten Diplom-Kaufmann gemischte Gefühle auslösen. Wenn Rieger „so beliebt ist“, weil er, wie Hoffmann glaubt, „ganz authentisch die Begeisterung und die Leidenschaft für Fußball lebt“, dann sagt das eine Menge über den Unterhaltungsbetrieb Bundesliga aus. Der scheidende Masseur, weiß der Vorstandsboss, erfülle „den Wunsch der Fans nach Nähe und Herzlichkeit – Dinge, die möglicherweise im modernen Fußball etwas verloren gegangen sind“. (…) Wie Nähe und Popularität wirklich entstehen, ist an einer Pinnwand in Riegers Massageraum zu erkennen. Ein Foto zeigt das HSV-Unikum Arm in Arm mit der Großfamilie des Mittelstürmers Bernardo Romeo im sonnigen La Plata, einem Vorort von Buenos Aires. Nach einer Bandscheiben-Operation musste der Hamburger Profi im Dezember 2002 umfangreiche Reha-Maßnahmen durchführen, wollte Heiligabend aber unbedingt zu Hause verbringen. Also flog Rieger kurzerhand mit nach Buenos Aires, pflegte den Spieler rund fünf Stunden täglich – und brachte am Silvesterabend Romeos Verwandtschaft die Vorzüge bayerischen Schnupftabaks näher.“

Für einen Text im Reise-Buch der FAS (25.4.) hat Daniel Meuren einige Tage an historischer Stätte verbracht: „Hier wohnt der Geist von Spiez. An diesem Ort in den Schweizer Alpen wurde der moralische Grundstein gelegt für das Wunder von Bern. Manche behaupten, daß hier das neue Selbstbewußtsein einer zerstörten deutschen Nation erwacht sei, am beschaulichen Thuner See, mitten in den Bergen des Berner Oberlandes. Auf dem saftig grünen Rasen im Garten des Hotels „Belvedere“ hat Helmut Rahn während der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 täglich seine Muskeln gedehnt. Vom Balkon des Zimmers 303 im dritten Stock hat sein Zimmerkamerad Fritz Walter jeden Morgen auf den See geschaut und in den Garten, in dem Palmen das ganze Jahr über blühen. Auf der anderen Seite des Sees hob der Anblick der Bergkette um die Zweitausender Sigriswiler Rothorn und Niederhorn das Gemüt des sensiblen Kapitäns der Weltmeister-Elf. „Ich glaube nicht, daß irgendeine Nationalmannschaft ein landschaftlich schöner gelegenes Quartier hat“, schrieb Fritz Walter nach der Weltmeisterschaft in seinem Buch „3:2″. Darin erzählt er, wie im „Belvedere“ jene besondere Kameradschaft entstanden sei, die den Sieg im Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 gegen den Favoriten Ungarn ermöglicht habe, und daß Deutschland deshalb seinen legendärsten sportlichen Triumph zu einem Teil dem Hotel zu verdanken habe. (…) Der Bundestrainer maß der Hotelwahl vor der WM große Bedeutung bei. Lange bevor die Qualifikation für die Weltmeisterschaft gesichert war, beauftragte er seinen ehemaligen Spieler Albert Sing mit der Suche nach einer Unterkunft. Nach dem Turnier schrieb der „Chef“ in seinen Memoiren, daß „der ruhige Flecken Spiezer Erde womöglich den entscheidenden Vorteil gegenüber den Ungarn brachte“. Die Gegner vom 4. Juli 1954 wohnten in der Tat ganz anders. Mondän, mitten in der lebhaften Barockstadt Solothurn gelegen, lockt das mehr als sechshundert Jahre alte „Hotel Krone“ mit großer Vergangenheit und Klasse. Casanova verführte im zweitältesten Schweizer Hotel monatelang Gespielinnen, Napoleon trank hier auf der Durchreise ein Glas Wasser, Könige und Zaren gaben sich die Klinke in die Hand, wie das Hotelbesitzerehepaar Dörfler referiert. Als die Monarchien untergegangen waren, kam „Major“ Ferenc Puskas, Mitte der 50er Jahre der beste Fußballer der Welt. (…) Die Legende will nämlich, daß ihre ungarischen Helden den Weltmeistertitel wegen allzu starken Bierkonsums verschenkt haben. Angeregt vom Treiben rund ums Hotel, sollen die Magyaren schon vor dem Endspiel zur verfrühten Feier des Turniersieges angesetzt haben. „Es kann schon sein, daß sie am Vorabend des Endspiels ein oder zwei Bier zuviel getrunken haben. Sie waren sich ihrer Sache schon ganz schön sicher, nach über vier Jahren ohne Niederlage. Aber richtig gefeiert haben die nicht, das ging hier in Solothurn mangels eines richtigen Nachtlebens gar nicht“, erzählt Rolf Christ, damals 17 und Fußballer beim FC Solothurn. Vielleicht fehlte den Ungarn auch nur Schlaf. In Solothurns Stadtmitte weckt nämlich jeden Morgen in aller Frühe das Glockenspiel der gegenüber der „Krone“ gelegenen St.-Ursen-Kathedrale die Bewohner. Puskas, Hidegkuti und die anderen hatten in jedem Fall mit wesentlich mehr Störfaktoren zu kämpfen als die deutschen Gegner. Spiez präsentierte sich für die Helden von Bern als beschaulicher Luftkurort, dem der „Baedeker“ aus jener Zeit bescheinigt, an der „schönsten Bucht Europas“ zu liegen. Das abseits jedes Trubels gelegene „Belvedere“ war mit seinen sechzig Betten zu Beginn der 50er Jahre eine Top-Adresse. Helmut Rahn mußte auf seiner angeblichen Sauftour in die noch heute existierende „Niesen-Bar“ oberhalb des Spiezer Bahnhofs eine Viertelstunde zu Fuß laufen. Vor allem aber war das Haus begehrt, weil im Erdgeschoß die Fleischereischule des schweizerischen Metzgereiverbandes untergebracht war. Folglich gab es Fleisch in Hülle und Fülle, das den Deutschen die Kraft zur fußballerischen Wundertat verlieh. „Wir hatten in unseren Räumen aber auch immer ein Bier für die Kameraden, ohne daß der Herberger das erfahren hat“, sagt Willy Kohler, damals Fachlehrer an der Fleischereischule. Der heute 76 Jahre alte Kohler weiß noch zu erzählen, „daß die Deutschen nach Herbergers Willen zu Trainingszwecken Ping Pong spielen sollten. Der Turek hat mal gegen mich gespielt. Er war Welten besser.“ Doch nicht nur die Tischtennisplatte nutzte Herberger zur körperlichen Ertüchtigung seiner Spieler. Die Lage am See bot sich dazu an, entlang des wunderschönen, noch heute erhaltenen Strandweges nach Faulensee zu laufen oder auf Spaziergängen sensibleren Kadetten Mut zuzusprechen. Eine Quelle dürfte der geeignete Ort zur kurzen Besinnung auf deutsche Tugenden gewesen sein. Der Schweizer Nationalheld General Guisan überlegte sich an dieser Stelle anderthalb Jahrzehnte zuvor die Strategie zur Verteidigung der Schweiz im 2. Weltkrieg. Herberger entwickelte hier seine Taktik fürs Endspiel.“

Ballschrank

Stimmung bei 1860

Markus Schäflein Christian Zaschke (SZ 30.4.) berichten die Stimmung bei 1860, nachdem Thomas Häßler im Anschluss an die Schelte von Löwen-Präsident Wildmoser wieder Erwarten die laufende Saison nun doch zu Ende spielen wird. „Im Löwenstüberl dominierte an diesem Vormittag nicht Weiß-Blau, sondern Schwarz. Viele Anhänger kamen nach der Beerdigung von Rudi Brunnenmeier, dem legendären Spieler der Meistermannschaft der Sechziger von 1966, am Trainingsgelände vorbei. Sie redeten auch über Häßler, über Wildmosers stillose und undiplomatische und unnötige Attacke. „Ab und zu haut der Wildmoser einen raus“, meinte einer, „das ist schlimm und schadet dem Verein.“ „Ich bin mir keiner Schuld bewusst“, sagte Häßler, „ich habe ehrliche Arbeit abgeliefert, habe nie um irgendwelche Gelder gepokert, und ich kann auch nichts dafür, dass ich mich verletzt habe. Man muss mich nicht beleidigen. “ Wann er das letzte vernünftige Gespräch mit Wildmoser geführt habe? „Ich habe keine Ahnung, das ist lange her.“ Lange hatte Häßler mit seinem Freund Olaf Bodden hinter dem Löwenstüberl in der Sonne gesessen. Bodden hat ebenfalls einen unrühmlichen Abschied von den Löwen erlebt und schimpfte auf Wildmoser. Das tut er oft und gern, diesmal fand er drastische Worte: „Was soll man erwarten von einem, der kein Gehirn hat.“

Die fieseste Mobbing-Attacke der neueren Bundesliga-Geschichte

Fußballfreund Andreas Burkert (SZ 30.4.) stellt sich auf die Seite des kleinen Weltmeisters. “Thomas Häßler hatte viele gute Aktionen, seitdem er als Steppke bei Meteor 06 Berlin damit anfing, wunderbare Haken und Flanken zu schlagen. Sein erstes Länderspieltor schoss er im November ’89, 2:1 gegen Wales, es sicherte Deutschland das Startrecht bei der letztlich recht erfreulichen WM in Italien; nach der EM ’92 in Schweden wählten ihn die Juroren zum besten Spieler des Turniers. Zugegeben, das ist lange her und dennoch nichts gegen die jüngste Energieleistung, die der Einssechsundsechzig-Riese zum Wochenbeginn abgeliefert hat: Häßler schluckte ein paar Mal, ja, denn das, was er da über sich hatte lesen müssen, konnte ihm nicht schmecken. „Nichts spielen kann ich auch“, hatte der starke Mann der Löwen geschnauft, Präsident Wildmoser. Bei Bewusstsein. Doch irgendwie hat Häßler dann die fieseste Mobbing-Attacke der neueren Bundesliga-Geschichte verdaut. Niemand weiß genau, wie er das geschafft hat. Vermutlich half ihm die Liebe zum Ball. Vielen Dank also, verehrter Herr Icke, dass wir Sie mindestens noch vier Spiele erleben dürfen, sofern Sie der Trainer aufstellt. Wir werden jede Minute genießen, und wenn Sie im Sommer wieder einmal Lust haben auf ein Spielchen, kommen Sie doch einfach vorbei: jeden Dienstag Abend, Punkt 19 Uhr, die Schleißheimer Straße immer geradeaus und dann links.“

Gewinnspiel für Experten

Donnerstag, 29. April 2004

Ballschrank

Martin Max, Stürmer ohne Lobby

Martin Max, Stürmer ohne Lobby, emigriert vermutlich nach Katar – Machtkampf in der Fifa , Kamerun muss darunter leiden – wie kann Holland die Gewalt in seinen Stadien dämmen? (FTD) – SV Wehen und RW Essen möchten in die Zweite Liga, Fortuna Düsseldorf auch, aber erst in die Dritte – Christoph Biermanns „Wunder-von-Bern-Allergie“ (taz) u.v.m.

Keine Lobby

Andreas Burkert (SZ 29.4.) kann Martin Max gut verstehen, der vermutlich nach Katar wechseln wird: „Wenn einer wie er geht, ist das an einem Tag eine Meldung, doch bald schon, ahnt Martin Max, fragt vermutlich niemand mehr nach ihm. Und keine Illustrierte würde wohl nach Katar fliegen und schöne Bilder machen von ihm und den Scheichs und Kamelen. Wie sie das mit den Kamelen Effenberg und Basler gemacht haben, die ihre millionenschwere Fußballrente im Emirat beziehen. Max wird das verkraften; dass ihn nicht nur Manndecker häufig missachten, das weiß er. Martin Max ist stets gut zurecht gekommen mit seiner Rolle als stiller Held der Bundesliga (…) Völler hatte schon 2002 über ihn nachgedacht, Max, damals 33 und Schützenkönig der Liga. In seiner größten Personalnot ließ der Teamchef ihn sogar einmal sieben Minuten spielen, kurz vor der WM gegen Argentinien. Doch eine Nummer ist er nur wenige Stunden nach dem Spiel später gewesen, auf der Raststätte Gruibingen an der A 8, die nachts auf seinem Heimweg lag. Die Anwesenheit des greisen Jungnationalspielers haben damals argentinische und deutsche Fans geschätzt, sie schossen aufgeregt einmalige Fotos: Max mit Chips und Limo. Und im Trainingsanzug der Nationalelf. Nach Asien nahm Völler leider Carsten Jancker mit, der, so erzählen es sehr alte Menschen, einmal ein erfolgreicher Stürmer gewesen sein muss. Weil Max nie jemand gewesen ist, der auf das vertrauen konnte, was man eine Lobby nennt. Gut, der Max, haben die Experten oft gesagt, schießt die Tore nur für 1860 oder Hansa, kleine Lichter unter sich. So war das mit Max: keine Lobby, keine große Klappe und auch keine Glatze wie Jancker. Nun tritt er ab, 35-jährig und offenbar altersweise wie sein Vorfahre Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt: Martin Max erkennt neuerdings seine Verblendung und seine Versäumnisse. Er denkt jetzt an Millionen zwischen Scheichs und Kamelen. Er denkt jetzt einfach mal an sich.“

Spielberichte Rumänien-Deutschland (5:1)
NZZ
FR
morgen mehr über dieses Spiel

Sorge um Autorität

Die Fifa bestraft Kamerun wegen Verstoß gegen den Dress-Code mit Punktabzug; Jörg Kramer (Spiegel 26.4.) enthüllt den Machtkampf hinter dieser Entscheidung: „Kameruns Verband und sein Herzogenauracher Ausrüster prüfen derweil zivilrechtliche Schritte. Die Fifa, sagt Puma-Sprecher Ulf Santjer, sei nämlich bei der Afrika-Meisterschaft in Tunesien „nicht befugt“ gewesen, über den Kleiderkodex zu befinden. Der afrikanische Kontinentalverband habe den Dress genehmigt. Genau solche Zweifel an der Fifa-Kompetenz sind der Schlüssel zur Erklärung der maßlosen Sanktion. Das Urteil „sollte generalpräventive Wirkung haben“, erläutert Jury-Mitglied Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. „Der Respekt“ vor dem Weltverband wäre sonst „beschädigt gewesen“. Die Sorge um die Autorität ist durchaus begründet. Blatter, bei seiner Wiederwahl 2002 von Afrikas Verbandschef Issa Hayatou herausgefordert und einst von Adidas-Boss Horst Dassler protegiert, treibt mehr als persönliches Rachegefühl gegenüber dem Rivalen oder Fürsorge um den langjährigen Fifa-Sponsor, der mit dem Einteilerproduzenten Puma konkurriert. Vor allem geht es um schwindende Macht. So erklärten vor gut einem Monat führende europäische Topclubs, sie wollten das von der Fifa für 2005 anberaumte WM-Turnier für Clubmannschaften boykottieren. Die als „G 14“ firmierenden 18 einflussreichsten Fußballunternehmen weigern sich auch, neue Fifa-Regularien zur Sportgerichtsbarkeit anzuerkennen, und lassen von der Schweizer Wettbewerbskommission prüfen, ob der Weltverband seine Stellung missbraucht. Hintergrund ist ein Streit ums Geld. Die Clubs verlangen Ausgleichszahlungen dafür, dass sie ihre angestellten Nationalspieler abstellen. Ihre Drohung, zu künftigen Weltmeisterschaften keine Profis mehr zu schicken, gilt weiterhin. Gerhard Mayer-Vorfelder, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, plagt „die Sorge, dass dieser Sprengsatz die Grundfesten des Fußballs erschüttern könnte“. Alte Herrschaftsverhältnisse sind ins Wanken geraten. Auch die Fifa-Domäne Weltmeisterschaft hat an Renommee eingebüßt, seit beim vorigen Mal Stars etwa französischer und argentinischer Herkunft ermattet anreisten. Sie hatten sich bei den einträglichen Wettkämpfen im Dienste ihrer europäischen Clubs aufgerieben. In einem Machtvakuum werden keine Autoritäten geachtet. Als Blatter die Verkleinerung der europäischen Ligen auf je 16 Teams verlangte, kommentierte das Bundesliga-Boss Werner Hackmann bündig: „Das geht Herrn Blatter gar nichts an.“ In solch misshelliger Atmosphäre lässt sich niemand gern auch noch auf der Nase herumtanzen.“

So tolerant wie wir glauben sind wir nicht alle

Bei einem Jugendspiel in Holland sind die rivalisierenden Fan-Gruppen von Ajax und Feyenoord gewalttätig geworden. Bertram Job (FTD 29.4.) beschreibt den Hintergrund: „Unbeirrbare unter den Feyenoord-Anhänger haben längst Rache gegenüber Fans und Spielern von Ajax geschworen – was dazu führte, dass sich Profikicker wie etwa Jung-Nationalspieler Rafael van der Vaart außerhalb ihres Hauses für“s Erste von Security-Kräften eskortieren ließen. Einige Hitzköpfe haben ihren Revanchegelüsten auch auf unheimlich-moderne Weise Nachdruck verliehen: Sie stellten auf Websides die Namen, Telefonnummern und Adressen von Ajax-Anhängern ins Netz, die auf „De Toekomst“ eine aktive Rolle gespielt haben sollen. Ist damit der Friede im holländischen Fußball endgültig in Gefahr? Oder hat er, genau besehen, schon länger nicht mehr so unbefleckt gestrahlt wie man sich das im vermeintlichen Mutterland der Toleranz einbildete? In diese Richtung zielen Einwürfe wie die des Kolumnisten Johan Derksen, der im Fachblatt Voetbal International an ein paar unliebsame Wahrheiten erinnert. Erst vor zwei Jahren war es auf „De Toekomst“ bei einem Pokalspiel der Reserveteams zu Zusammenstößen zwischen Fans von Ajax und FC Utrecht gekommen. Und vor mehr als drei Jahren gingen Ajacieden an gleicher Stelle auf den Feyenoord-Keeper Zbigniew Malkowski los. Es wäre doch auch ein Wunder, so Derksen, wenn die zunehmende Gewaltbereitschaft in der niederländischen Gesellschaft sich nicht auch in ihrer populärsten Masseneuphorie spiegele: „Man muss ein notorischer Dummkopf sein, um zu glauben, dass die Verwahrlosung unseres Zusammenlebens nicht bis zum Fußball durchdringt.“ In der Tat: was immer an Auswüchsen von Rassismus und Gewaltbereitschaft zwischen Portugal und Polen bekannt ist, gibt es in geringem, aber unübersehbarem Umfang auch in Holland. Da werden Profis aus Surinam oder Afrika mit Affengeräuschen aus dem Fanblock verfolgt und Ajax-Fans als Anhänger eines „jodenclub“ (Judenklubs) beschimpft. In Den Haag und Rotterdam liefern sich Horden aggressiver Jugendlicher mit der Polizei bisweilen kleine Schlachten. Wer diesen „Fans“ nicht passt, wird per Telefon und Mail bedroht. Neuestes Opfer nach Journalisten wie van Derksen ist offenbar Guus Hiddink geworden, der Trainer des PSV Eindhoven. Bald nachdem Hiddink öffentlich sein Interesse an einigen Ajax-Spielern bekannt gab, ging bei seinen Eltern nahe Doetinchem ein anonymes Schreiben ein. Darin wurde ihnen ein Molotow-Cocktail für den Fall angekündigt, dass ihr berühmter Sohn einen Ajax-Profi nach Eindhoven holt. Das mag nicht das Holland der beschaulichen Fahrradfahrer und Kirchgänger sein, das die Niederlande nach außen wie nach innen pflegen. Doch eine Wahrheit zeitigen die jüngsten Ausfälle für Henny Haggeman, Sportredakteur beim Gelderlander, dennoch: „So tolerant wie wir glauben sind wir nicht alle.“„

Dieter Hintermeier (Handelsblatt 29.4.) recherchiert die Fehler der Geldpolitik der Bundesliga-Vereine: „Der Titelkampf in der Bundesliga ist wieder spannend geworden, kurz vor Saisonschluss steigt die Dramatik. Nicht undramatisch ist auch die Situation hinter den Kulissen. 17 Millionen Euro an Verbindlichkeiten steuert Hertha BSC Berlin zum Schuldenszenario der deutschen Fußball-Proficlubs bei. Borussia Dortmund wird vermutlich in diesem Jahr mit 60 Millionen Euro an diesem Schuldenberg beteiligt sein. Insgesamt schlagen bei den Vereinen der Ersten und Zweiten Bundesliga Verbindlichkeiten von über 600 Millionen Euro zu Buche. Folgen bei der Lizenzerteilung durch die DFL hatte das keine, wenn auch einige Klubs, wie Hertha BSC, der Hamburger SV und Borussia Dortmund, nur mit Auflagen das Plazet für die kommende Saison erhielten. „Schulden sind per se nichts Schlimmes“, sagt Björn Bloching, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger, „es gibt kaum Unternehmen, die keine haben.“ Was die Angelegenheit bei den Bundesliga-Clubs aber so prekär macht, sei die extrem niedrige Eigenkapital-Decke. „Die liegt im Schnitt bei 4 Millionen Euro pro Club, und das ist eindeutig zu wenig“, betont Bloching. Hintergrund für diese finanzielle Malaise: Viele Vereine sind nicht in der Lage, in einem Markt, der sich in der Konsolidierungsphase befindet, schwarze Zahlen zu schreiben. „Knapp die Hälfte der Clubs in der Ersten Bundesliga arbeitet nicht profitabel“, schätzt der Unternehmensberater. (…) Auffällig ist, dass in erster Linie große Vereine in der Schuldenfalle landen und nicht etwa kleine wie der FC (sic!) Freiburg. Für Roland-Berger-Partner Bloching auch unverständlich. „Jeder Bundesligaverein sollte, wenn er solide wirtschaftet, in der Lage sein, eine 10-prozentige Umsatzrendite zu erreichen“, glaubt er. Warum gelingt das nicht allen? Neben den schwer kalkulierbaren Spielertransfers spielen auch die Investitionen in „Steine“ eine Rolle. „Auch ein teuer finanziertes eigenes Stadion kann für einen Verein zum Stolperstein werden“, warnt Bloching.“

Die Leute können bei uns direkt vor den Kassenhäuschen parken

Jürgen Heide (FR 29.4.) drückt dem SV Wehen für den Aufstieg in die Zweite Liga die Daumen: „Als Junge hatte Heinz Hankammer einen Traum: „Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als jenen Bauernhof unweit meines väterlichen Anwesens, in ein Rittergut zu verwandeln.“ Ein Rittergut sind die Gebäude, die Hankammer 1995 erworben hat, zwar nicht geworden, dafür aber ein Vier-Sterne-Hotel in malerischer Umgebung. Mit dem Hofgut Georgenthal in Hohenstein (Taunus) hat sich der 72-Jährige seinen Kindheitstraum erfüllt. Auch Hankammers berufliche Vision ist Wirklichkeit geworden: Seine nach dem Vornamen seiner Tochter Brita benannte Firma, die Wasserfilter herstellt, hat sich zu einem weltweit tätigen Unternehmen entwickelt. „Ich bin einer, der immer nach oben strebt“, sagt Hankammer, dessen dritter Traum in einigen Wochen Wirklichkeit werden könnte. Denn sein Verein, der SV Wehen, klopft ans Tor zur Zweiten Bundesliga. Dass das Team aus dem 15 Kilometer von Wiesbaden entfernten 6700 Einwohner zählenden Ort von Spielen gegen 1860 München, Eintracht Frankfurt und den 1. FC Köln träumen darf, ist untrennbar mit Hankammers Finanzspritzen verbunden. 1982 hat der hemdsärmelige Macher den Vorsitz beim 1926 gegründeten Verein übernommen. Zuvor war er bei dem Club, zu dem die Kontakte über seinen in der Jugend für den SV spielenden Sohn Markus entstanden sind, Vorsitzender des Vergnügungsausschusses. Grund zum feiern hatten die Wehener während des mehr als 22-jährigen Engagements von Hankammer, der die Firmengeschäfte vor vier Jahren an seinen Sohn Markus übergeben hat, oft. Von der A-Klasse bis in die Regionalliga stiegen die Taunussteiner in dieser Zeit auf. Obwohl sie bereits vor zwei Jahren nur knapp den Aufstieg verpassten, wurden die Wehener wegen der fehlenden Tradition von einem Großteil der Konkurrenz immer ein wenig belächelt und als „Wasserfilter“ verspottet.“ (…) Das größte Problem stellt das Stadion am Halberg dar, weil der profane Sportplatz bei 200 Sitzplätzen nur 4500 Zuschauer fasst. Vor allem durch die Installation einer Stahlrohrtribüne für 3500 Besucher und bauliche Verbesserungen hoffen die Wehener die Auflagen der DFL erfüllen zu können, wozu auch eine zweite Zufahrt gehört. Derzeit staut sich der Verkehr selbst bei nur 1000 Zuschauern im Schnitt sehr oft. „Dafür können die Leute bei uns direkt vor den Kassenhäuschen parken“, sagt Helfenstein. Die Taunussteiner stehen unter Zeitdruck, weil sie die Ausbaupläne in den vergangenen zwei Jahren schleifen ließen. Doch auch die neue Tribüne wird nicht verhindern, dass Bälle, welche über die bereits bestehende geschossen werden, vom 433 Meter hoch liegenden Halberg über eine Wiese Richtung Ortskern ins Tal rollen. Deshalb empfiehlt sich für Autofahrer auch bei den Parkplätzen hinter der Tribüne, die Handbremse fest anzuziehen. Die so genannten Risikospiele werden die Wehener mit Genehmigung des Nachbarn FSV Mainz 05 in dessen Bruchwegstadion austragen, so dass beispielsweise den Kölner Spielern der hautnahe Kontakt zu den Zuschauern erspart bleiben könnte. Dieser ist bisher vor allem auch dadurch gegeben, weil der Kabinengang zugleich als Aufgang für die Vereinskneipe, den Presse- und den schmucken Vip-Raum dient.“

Der Pott kocht auf Rot-Weisser Spitzenflamme

Roland Leroi (FR 29.4.) schreibt über den möglichen Wiederaufstieg Rot-Weiß Essens: „Der Traditionsclub hat Schwierigkeiten, den Spagat zwischen Gestern und Heute herzustellen. An den Wänden der Vereins-Gaststätte hängen Bilder aus den 50er-Jahren, als RWE mit echten Typen wie Fritz Herkenrath oder Helmut Rahn Deutscher Meister (1955) und Pokalsieger (1953) wurde. Alles in schwarz-weiß gehalten, denn als der Buntfilm auf den Markt kam, schrieb Essen zumeist negative Schlagzeilen. Bis 1977 war man zwar insgesamt sieben Jahre in der Bundesliga vertreten. Dann aber folgte der Absturz. Nach zwei Lizenzentzügen sackte Rot-Weiss Essen RWE in den Amateurbereich ab, zwischenzeitlich trat der Club in der viertklassigen Oberliga Nordrhein an. Unter Jürgen Gelsdorf, dem nach Harry Pleß und Holger Fach dritten Trainer in dieser Saison, ist Essen zumindest wieder Regionalligist. Und obwohl Gelsdorf weiß, dass „Tradition keine Tore schießt“, geht RWE sogar als Spitzenreiter in den 29. Spieltag und kann beim Tabellen-16. Preußen Münster einen weiteren großen Schritt Richtung Zweitliga-Comeback schaffen. „Der Pott kocht auf Rot-Weisser Spitzenflamme“, titelte unlängst die Fach-Zeitung RevierSport. „Wir sind gut dabei“, sagt Geschäftsführer Nico Schäfer, der stolz darauf verweist, dass Essen nunmehr nicht durch Skandale in die Schlagzeilen kommt. „RWE ist ein solider Verein geworden. Wir zahlen die Gehälter pünktlich und sind für unsere Sponsoren ein guter Partner“, sagt Schäfer stolz. Zufrieden ist er trotzdem nicht. Weil „jedes Jahr in der Regionalliga ein verlorenes Jahr ist“, müsse diesmal der Bann gebrochen werden. In den vergangenen beiden Spielzeiten verpasste RWE durch zum Teil dramatisch späte Tore der Konkurrenz ganz knapp den Aufstieg und belegte jeweils nur den dritten Platz. Eher mit Bauchschmerzen wurde im vergangenen Sommer ein erneuter Anlauf gestartet. Schäfer haushaltet mit einem Etat von etwa vier Millionen Euro und sehnt sich nach den Fernsehgeldern des Profifußballs.“

Fortuna Düsseldorf möchte bald in den Profifußball zurückkehren; Ulrich Hartmann (SZ 29.4.) berichtet: „Genau 25 Jahre nach der vereinshistorischen Finalniederlage gegen den FC Barcelona im Europapokal setzt der zweimalige DFB-Pokalsieger Fortuna Düsseldorf zur melancholischen Heimkehr in die Bedeutsamkeit an. Allerdings ist es bis dahin noch ein ziemlich weiter Weg. Sie dürfen träumen vom Durchmarsch in die Zweite Liga sowie davon, als Drittligist künftig im modernsten Fußballstadion Europas zu spielen. Denn die 218-Millionen-Euro-Arena für 51 000 Zuschauer, die im Düsseldorfer Norden eigentlich für Fußball-Weltmeisterschaft 2006 und Olympia erbaut worden ist, soll im kommenden Jahr die Spitzenspiele der Regionalliga Nord beheimaten. Fortuna Düsseldorf gegen den VfL Osnabrück in einem verdeckbaren und klimatisierten Multifunktionspalast – das klingt freilich ein bisschen wie Dosenravioli im Sterne-Restaurant. Das Dilemma am Rhein hat zwei Ursachen: Düsseldorf besitzt neuerdings eine luxuriöse Sportarena ohne konstante Inhalte und bereits seit längerem einen traditionsreichen Fußballklub ohne überregionale Bedeutung. Die beiden Sorgenkinder sollen nun aneinander gesunden, und der Mann, der die Aufgabe lösen soll, ist Thomas Berthold, der frühere Bundesligaprofi und Weltmeister von 1990. Berthold, 39, ist seit einem Jahr Manager der Fortuna, er wird aber von gleich zwei Unternehmen bezahlt, nämlich einerseits vom Klub und andererseits von dem Arena-Betreiber WPF, einer Tochtergesellschaft des Bauunternehmens „Walter Bau“. Als Diener zweier Herren soll Berthold die Fortuna in die zweite Liga führen und der Arena damit dauerhaft Profifußball sowie einträgliche Zuschauerzahlen bescheren. Bis 2006 will Berthold das geschafft haben. Zwei wichtige Voraussetzungen sieht er bereits als erfüllt an. Erstens: „Die Stadt ist hungrig nach Fußball.“ Und zweitens: „Ich habe Kontakte in die ganze Welt.“ Mit seinen globalen Verbindungen hat Berthold vor einem Jahr aus Italien den Trainer und früheren Trapattoni-Dolmetscher Massimo Morales akquiriert sowie eine Mannschaft, die mit Fußballern aus sechs Nationen und einigen früheren Profis in der Oberliga Nordrhein den Ton angibt. Mit einem Etat von vier Millionen Euro und allerhand Verstärkungen will die Fortuna dann auch in der Regionalliga die Spitze erklimmen, denn durch drittklassigen Fußball wird die Arena-Bilanz nicht schöner.

Christian Eichler (FAZ 27.4.) hat sich die ZDF-Dokumentation über die Berner Helden angesehen: „Viel mehr Neues wird man nach diesen Darstellungen nun wohl nicht mehr erfahren können über Bern 1954, was nach fünfzig Jahren noch ungesagt ist, wird es bleiben. Die noch lebenden Beteiligten haben, bis auf den schwerkranken Puskas und den zurückgezogenen Hans Schäfer, ihre Erinnerungen zuletzt immer wieder der großen Bern-54-Medienmaschine preisgegeben. Doch immer noch gibt es Entdeckungen zu machen, bewegende Emotionen in den Stimmen und Blicken alter Männer, deren Leben seit fünfzig Jahren von einem Fußballspiel geprägt ist. So wie Ungarns Torwart Gyula Grosics, der „noch heute aufwacht“ mit dem „Albtraum“ von 1954. Oder Verteidiger Buzansky, dem beim deutschen Ausgleichstreffer der Ball am Schienbein entlangstrich: „Zwei Zentimeter höher, das Spiel wäre anders verlaufen.“ Und, so der bittere Unterton: das Leben auch. Manchen verfolgt Bern gar bis in den Tod. Reporter György Szepesi schildert, wie er Ungarns Trainer Gusztav Sebes zum letzten Mal sah. „Er lag auf dem Totenbett. Er sagte: Wir haben verloren.““

Wunder-von-Bern-Allergie

Mehr Patriotismus, bitte, Herr Biermann (taz 29.4.): „Ich hatte im plüschigen Veranstaltungsraum eines Kölner Hotels Lachshäppchen gegessen und jene dieser Tage ausgestrahlte Version des „Wunders von Bern“ vorab angeschaut, die in der Historien-Fabrik von Guido Knopp erstellt worden ist. Nun kann kein geschichtliches Ereignis etwas dafür, in die Hände des ZDF-Historiensachwalters zu geraten, also in einen Spielfilm verwandelt und mit Musik durchgehend überkleistert zu werden. Knopps Dokumentationen verhalten sich zu Geschichtsschreibung wie Toto zu Rockmusik (falls sich noch jemand an diese schauderhafte Bombastband erinnern kann). Und so ging ich, trotz beeindruckender Recherchearbeit, wiedergefundener Farbbilder und hier und da durchaus neuer Erkenntnisse ordentlich schlechter Laune nach Hause. Dort stolperte ich über einen Berg von Büchern zum Thema, die in den letzten Monaten publiziert wurden. Man kann sie kaum unterscheiden, denn „Wunder“, „Bern“ und „Helden“ kommt fast in jedem Titel vor, und ich hoffe stark, dass diese Abteilung meines Regals nie vollständig wird (schicken Sie mir bitte nichts mehr dazu!). Bestimmt tue ich einigen Autoren sehr unrecht, die tolle Arbeit geleistet haben, aber ich kann es einfach nicht mehr lesen. Denn anlässlich des 50. Geburtstags des Endspiels zwischen Deutschland und Ungarn bei der WM in der Schweiz habe ich inzwischen eine schwere Wunder-von-Bern-Allergie entwickelt. Sobald ich eines der gefürchteten Stichwörter höre, entwickle ich einen so starken Fluchtimpuls, dass ich auf der Stelle bereit wäre, die Lesung eines kirgisischen Lyrikers zu besuchen oder daheim die Steuer zu erledigen. Es ist zwar verständlich und nichts dagegen einzuwenden, dass die Betreiber des Wunder-Business ihr Wunder für das tollste halten, aber inzwischen muss man annehmen, dass es sich dabei um das wichtigste Ereignis in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik gehandelt hat und sie ohne den WM-Gewinn umweglos aufgelöst worden wäre.“

Ballschrank

Bundesliga

SZ-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge über Ottmar Hitzfeld („der Kreis derer, die den FC Bayern trainieren können, ist nicht sehr groß“) – gelassener Bremer

Der Kreis derer, die den FC Bayern trainieren können, ist nicht sehr groß
SZ-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge über Ottmar Hitzfeld

SZ: Sie haben Ottmar Hitzfeld in der schwierigen Phase in Frage gestellt . . .
KHR: Ich habe ihn gar nicht in Frage gestellt, ich habe nur gesagt, weder Platz zwei ist eine Jobsicherung noch ist Platz drei automatisch der Trainerwechsel. Die Interpretationen habe ich bedauert, denn ich habe eigentlich ein gutes Verhältnis zu ihm . . .
SZ: . . . andererseits entstand der Eindruck, dass Sie mit Hitzfelds Arbeit nicht zufrieden sind.
KHR: Er ist eine persona gratissima und wird es immer bleiben. Unabhängig davon, ob Ottmar Hitzfeld – was wahrscheinlich ist – auch nächste Saison hier ist. Ich habe nie die Leistung des Trainers kritisiert, sondern die Mannschaft. Denn wir haben hier im Vorstand einen Job, der weit entfernt sein sollte von Heuchelei und Populismus. Wenn mir etwas nicht gefällt, spreche ich es an.
SZ: Sie sagten eben, wahrscheinlich bleibe Hitzfeld. Das ist keine Garantie.
KHR: Wir haben einen Vertrag mit ihm bis 2005, – alles andere möchte ich nicht diskutieren. Nach dem 34. Spieltag können wir das Jahr Revue passieren lassen. Wir planen all die Dinge, die wir zu planen haben, und wir planen sie jetzt mit Ottmar Hitzfeld . . .
SZ: Ihnen fällt das klare Bekenntnis schwerer als Uli Hoeneß.
KHR: Entschuldigung, natürlich ist es wunderbar, wenn du die Dinge ohne Krach regeln kannst. Wenn ich an die Entlassung von Otto Rehhagel denke – das ist natürlich auch nicht lustig, wenn ein Trainer vor dir sitzt, guckt dich an, und du musst ihm sagen: Es ist leider zu Ende. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Franz Beckenbauer ihm gesagt hat: „Otto, wir haben uns entschlossen, du bist entlassen“ – der ist bald in Ohnmacht gefallen. Aber wenn du zu der Bewertung kommst, dann ist das eben so. Es muss eine rationale Entscheidung geben, und ich glaube, ich bin kein irrationaler Mensch. Ich bin keiner, der aus dem Bauch entscheidet, und ich bin kein Super-Optimist wie Uli Hoeneß und kein Pessimist wie der Franz.
SZ: Hitzfeld ist noch nie entlassen worden, und es ist sicher eines seiner Ziele, dass das so bleibt.
KHR: Korrekt, aber er hat hier im Februar mal gesessen, und ich habe ihm gesagt: „Ottmar, ich bin mit der Leistung der Mannschaft total unzufrieden.“ Wir wollten ja in der Rückrunde voll angreifen, und dann haben wir immer mehr Punkte auf Bremen verloren. Ich hab“ ihm gesagt: „Du, wir mögen dich hier alle total, wir haben tolle Erfolge gefeiert und wollen das mit dir auch durchziehen – aber es muss jetzt was kommen!“ Ich habe das als fair empfunden, rechtzeitig darauf hinzuweisen.
SZ: Wenn Ottmar Hitzfeld bleibt, wird das ein kompliziertes Jahr. Jeder weiß, dass er 2005 gehen wird – ist das die richtige Voraussetzung für eine ohnehin zur Lethargie neigenden Mannschaft?
KHR: Natürlich gibt es diese Stimmen, in der heutigen Zeit ist es einfach wahnsinnig schwierig geworden, denn es ist doch so: Bei uns hat der Boulevard jetzt anderthalb Jahre gefordert, dass wir Hitzfeld endlich entlassen sollen – dieselben Leute sagen aber nach einer überstandenen Krise: Wie kann man diesen guten Mann entlassen? Dazwischen lebst du hier.
SZ: Und 2005 wird dann Felix Magath Hitzfelds Nachfolge antreten.
KHR: Ich möchte jetzt das Thema Magath nicht beleben, aber der Kreis derer, die den FC Bayern überhaupt trainieren können, ist nicht sehr groß. Und seit Trapattoni, den ich menschlich sehr geschätzt habe, ist auch eines klar: Es muss einer sein, der die deutsche Sprache beherrscht. Der Kreis für die Nachfolge von Ottmar Hitzfeld – egal, zu welchem Zeitpunkt das nun sein wird – ist also wahnsinnig klein.
SZ: Dieser Kreis besteht aus einem einzigen Punkt, nicht wahr?
KHR: Kann sein …
SZ: … und Peter Neururer wird es vermutlich nicht, oder?
KHR: Das weiß er doch selber, dass er kein Typ ist, der zum FC Bayern passt. Aber der Neururer ist ein Typ, der die Bundesliga belebt. Er hat aus der grauen Maus Bochum etwas Farbiges gemacht. Wenn Bochum die Uefa-Cup-Teilnahme schafft, ist das eine größere Leistung als bei uns die Meisterschaft.

Um Werder Bremen muss sich Roland Zorn (FAZ 30.4.) keine Sorgen machen: „Wenn so Nervosität aussehen soll, dann wünschte man sie auch anderen – zum Beispiel im Süden Deutschlands. Ruhig, geradezu seelenruhig freuen sie sich bei Werder Bremen auf die vier Schlußrunden einer aus ihrer Sicht bisher fabelhaften Saison. „Du bist vorneweg dabei, das ist doch toll“, sagt Thomas Schaaf über die beneidenswerte Aufgabe, seine Mannschaft ans Klassenziel Meisterschaft zu führen. Auf die obligatorischen und schon zum Ritual gehörenden Zwischenrufe aus München reagieren die Bremer Tabellenführer auch weiterhin nicht. „Wir machen unser Ding, und ich glaube, daß wir es gut machen“, hat Geschäftsführer Klaus Allofs am Donnerstag, zwei Tage vor dem norddeutschen Derby gegen den Hamburger SV, hervorgehoben. Schaaf, der gern auf die „perfekte Zusammenarbeit“ mit Allofs hinweist, möchte sowieso nicht auf laute Worte und kühne Kampfansagen aus Bayern reagieren, „denn sonst käme ich irgendwann in Zeitnot“. Also blenden sie im Pressesaal des SV Werder, um den Sechspunkteabstand zum Tabellenzweiten Bayern für jedermann sichtbar zu machen, am Donnerstag lieber die Videotextseite 253 der ARD ein. Dort ist das aktuelle Ranking der Bundesliga nach Punkten und Toren eindeutig auf einem groß genug dimensionierten Flachbildschirm zu sehen. Noch Fragen?“

Mittwoch, 28. April 2004

Ballschrank

Sonstiges

Kritik an Joseph Blatters Vorschlag, das Unentschieden abzuschaffen, „man könnte auch mit zwei Bällen spielen“ (FR) – Freispruch für Matthias Ohms , Ex-Präsident Eintracht Frankfurts (FAZ) u.v.m.

Man könnte auch mit zwei Bällen spielen

Thomas Kilchenstein (FR 28.4.) kritisiert Joseph Blatters Vorschlag, das Unentschieden abzuschaffen: „Warum, so fragt man sich bang, soll ein Spiel zweier Mannschaften nicht remis enden, wenn sie gleichstark sind? Spiele ohne Sieger sind doch nicht per se schlecht oder langweilig? Siehe etwa das 4:4 zwischen Stuttgart und Bremen vor einigen Wochen. Und ob die Teams die Kugel dann mutiger nach vorne treten werden, ist noch die Frage. Auch beim Golden Goal sollte die Spannung zugespitzt, der Thrill erhöht werden. Die Sache ging bekanntermaßen nach hinten los. Die Stärke des Fußball ist nun mal, dass er einfach und überschaubar geblieben ist. Man könnte auch mit zwei Bällen spielen. Einen Sieger würde es dann garantiert geben.“

Glanz und Glamour

Vor Gericht wird ein Stück hessische, nein ein Stück deutsche Fußball-Geschichte ad acta gelegt; Michael Horeni (FAZ 28.4.) berichtet den Freispruch für Matthias Ohms, Ex-Präsident Eintracht Frankfurts: “Als vor dreieinhalb Jahren die Vergangenheit von Eintracht Frankfurt erstmals juristisch aufgearbeitet wurde, herrschte Hochbetrieb am Frankfurt Landgericht. Ungezählte Kameras waren auf die Angeklagten gerichtet, Medien aus ganz Deutschland hatten sich versammelt, um dem Verfahren gegen Superstar Anthony Yeboah, den früheren Weltmeister und Vizepräsidenten Bernd Hölzenbein sowie den ehemaligen Schatzmeister Wolfgang Knispel beizuwohnen, das symptomatisch für den Niedergang und die Mißwirtschaft eines Vereins stand. 1992 war der Klub dicht vor dem Gewinn der deutschen Meisterschaft, mit Yeboah, Uwe Bein und Andreas Möller bot er berauschenden Fußball und zahlte höchste Gehälter. Dem Klub stand ein Präsident vor, der als Devisenmakler Karriere gemacht hatte und dessen sechsstellige Telefonrechnungen als Ausweis von enormer Wirtschaftskraft staunend vorgeführt wurden. Matthias Ohms galt als schillernder Präsident, der sich ausgesucht kleidete und mit seiner schönen Frau das gesellschaftliche Frankfurter Leben bereicherte. Aber dann stieg der Klub aus der Bundesliga ab, das Führungstrio wurden davongejagt, Hölzenbein und Knispel der Prozeß mit mehrmonatigen Bewährungsstrafen gemacht. Als am Montag im Frankfurter Landgericht das Urteil im Fall von Matthias Ohms, dem letzten aus dem Trio, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gesprochen wird, ist dies selbst in Frankfurt nur noch eine Randnotiz. Keine Fernsehkameras sind im Landgericht, nur noch ein paar lokale Reporter und eine Handvoll Zuschauer. Ohms wird freigesprochen. Elf Jahre danach. (…) Glanz und Glamour, die Ohms in seinen besten Zeiten ausstrahlte, gehen nicht mehr von einem Mann aus, dessen Leben sich nach seinem erzwungenen Abschied als Präsident nicht gerade günstig entwickelte. Zur Urteilsverkündung erscheint Ohms im Zweireiher, auf dem weißen Hemd ist sein Monogramm gestickt, er trägt Manschettenknöpfe. Nur der geschmackvollen und teuren Uhr sieht man nicht an, daß ihr Besitzer schon bessere Zeiten erlebt hat. Ohms hat sich mit 59 Jahren im gesellschaftlichen Leben ein paar Etagen tiefer eingerichtet. Er sagt, er sei selbständig tätig und berate zwei Unternehmen. Bei der Eintracht ist Ohms in all den Jahren nicht mehr aufgetaucht. „Ich mag keine halboffenen Bücher.“ Den neuen Vorstandsvorsitzenden Heribert Bruchhagen kennt er zwar noch von dessen damaligen Aufgaben bei Arminia Bielefeld und dem Hamburger SV, aber sonst niemanden mehr. Schatzmeister Knispel war vor einigen Jahren letztmals im Waldstadion. Als er in den VIP-Raum wollte, sagte der damalige Präsident Heller zu ihm, das gehe schon in Ordnung, aber nur ausnahmsweise. „Das war’s dann für mich“, sagt Knispel. Seitdem meidet er die Eintracht, und man liegt nicht falsch mit der Annahme, daß die Eintracht von den alten Zeiten und ihren Repräsentanten, die zu Sündenböcken wurden, auch nicht mehr viel wissen will.“

football@home, die wöchentliche Kolumne Adrian Schimpfs auf Spiegel-Online über Englands Fußball, ist Pflichtlektüre. Dieses Mal befasst sich Schimpf mit der rassistischen Aussage Ron Atkinsons (Marcel Desailly sei ein „verdammt fauler und dämlicher Nigger“), Ex-Trainer und, nun, Ex-TV-Kommentator: „Folgen für den 65-Jährigen? Sein Sender ITV legt auf eine weitere Mitarbeit keinen Wert mehr. Aus nach sechs Europameisterschaften und fünf WM-Turnieren, von denen Atkinson berichtet hatte. Die Zeitung „The Guardian“ und ihr Mitarbeiter, der seit Juni 2000 für das Blatt wöchentlich eine Kolumne schrieb, trennten sich ebenfalls. Andere Projekte wurden gestoppt. Der finanzielle Schaden für Atkinson wird auf rund eine Million Pfund geschätzt. Rassismus ist in Großbritannien vollkommen geächtet, Fremden- und Ausländerfeindlichkeit nicht ganz so vollkommen. Ein Blick in die Massenblätter „Daily Mail“, „Daily Express“, „Daily Mirror“ oder „The Sun“ genügt. Ein paar derbe Späße über froschfressende Franzosen, stechschreitende Nazideutsche, schmierige Spanier oder pornogeile, gleichwohl suizidale Schweden? Solche Verzerrungen gehen ebenso mit einem Augenzwinkern durch, wie die von den Revolverblättern hysterisch geschürte Furcht vor all den schmarotzenden Osteuropäern, die angeblich schon auf gepackten Koffern sitzen, um es sich unmittelbar nach der EU-Erweiterung am 1. Mai auf den britischen Inseln zu Lasten des ehrlichen Mittelklasse-Engländers gut gehen zu lassen. Hätte Atkinson gesagt, Desailly sei ein „verdammt fauler froschfressender Franzose“, hätte es vielleicht sogar noch öffentlichen Beifall von der Gesellschaft zur Verbreitung der Alliteration gegeben. Aber anders als Desmond hat Atkinson das falsche N-Wort benutzt. N für Nigger, nicht für Nazi. Und da ist es mit der Toleranz vorbei, vielleicht auch deshalb, weil John Cleese als Hotelbesitzer Basil Fawlty zwar im Stechschritt vor seinen deutschen Gästen paradierte, aber niemals einen Gast dunkler Hautfarbe als Nigger beschimpfte, so dass im Fall Atkinson, anders als im Fall Desmond, die humoristische Vorlage fehlt.“
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,297102,00.html

Neues aus Brasilien Vereinsfußball NZZ

Dienstag, 27. April 2004

Ballschrank

International

Arsenal gewinnt vorzeitig die Premier League – FC Barcelona siegt in Madrid – Roberto Baggio , „der hamletische Zweifler“ (NZZ) u.v.m.

Klischee vom unterkühlten Fußball-Professor

Arsenal London ist souveräner englischer Meister – Raphael Honigstein (Tsp 27.4.) gratuliert: „Als der Champagner über den Rasen spritzte, Arsenals Verteidiger Kolo Toure übermütig Purzelbäume schlug, die französische Fraktion der Londoner zum Can-Can ansetzte und Patrick Vieira nur noch eine knappe Unterhose trug, konnten auch die verschränkten Arme von Trainer Arsène Wenger nicht mehr anders, als langsam in die Luft zu steigen. Ein Lächeln komplettierte die verhaltene Jubelgeste, irgendwie schien ihm diese spontane Meisterfeier beim Lokalrivalen nicht geheuer zu sein. Sein Team hatte soeben mit dem Punktgewinn in Tottenham drei Spieltage vor Saisonende den englischen Titel gewonnen und damit eine beispiellos gute Spielzeit gekrönt. Doch der Franzose bediente selbst in der Stunde des Triumphes das Klischee vom unterkühlten Fußball-Professor: Die Umarmung seiner erfolgreichen Spieler kostete ihn sichtliche Überwindung, körperliche Nähe sieht sein strenger Lehrplan nicht vor. Schon nach dem Schlusspfiff war der distanzierte Perfektionist im Gegensatz zu den vor Freude schreienden Kickern nicht in Richtung der Arsenal-Anhänger gelaufen, sondern enttäuscht vom Platz gezogen, weil er von seinen Schützlingen in der Abschlussprüfung mehr als eine Eins minus erwartet hatte (…) Während in Madrid das Experiment mit den so genannten Galaktischen gescheitert ist, ist im weniger betuchten Highbury die Quadratur des Kreises geglückt – Wenger hat Effizienz und kreative Schönheit, die Gegenpole im modernen Fußball, zu einem Gesamtkunstwerk geformt, „Fußball 3000“ wäre kein schlechter Name dafür. Sein 4-4-2-System spielt die ganze Welt, doch niemand zelebriert schnellen Angriffsfußball derart gekonnt. Beim Spiel von Arsenal ist stets alles im Fluss, alles in Bewegung, Positionen werden nur in der Rückwärtsbewegung gehalten, höhere technische Fähigkeiten und mehr Laufbereitschaft als in Wengers Team wird man lange suchen müssen. Dazu kommen Teamgeist, „Sehnsucht“ (Thierry Henry) und beispielhafte Disziplin – die einst hitzköpfigen Künstler sind zu „eiskalten Champions“ („Daily Telegraph) gereift. Geschäftsführer David Dein hat dem erfolgreichsten Arsenal-Trainer aller Zeiten einen Vertrag auf Lebenszeit in Aussicht gestellt. Am supermodernen Trainingsgelände sollen demnächst riesige Windbarrieren hochgezogen werden, damit Wenger auch im Winter Taktik üben lassen kann. Die Konkurrenz hat schon jetzt Gänsehaut.“

Christian Eichler (FAZ 26.4.) meldet, dass der FC Liverpool wieder zu den Großen aufschließen will – mit dem alten Trainer?: „Als Gerard Houllier sich letzte Woche rasierte, wäre das um ein Haar blutig abgegangen. Weil dabei nämlich das Radio lief und der Trainer des FC Liverpool, die Klinge in der Hand, Neues von seiner Klubführung erfuhr. Nein, nicht daß er entlassen wäre – sondern daß die Funktionäre überraschend beschlossen hätten, viel Geld für neue Spielereinkäufe in diesem Sommer bereitzustellen. „Ich hätte mich fast geschnitten“, sagte Houllier. „Mir gegenüber hatte das keiner erwähnt.“ Zum Vertrauen in die Sicherheit seines Arbeitsplatzes dürfte die Radiosendung trotzdem nicht beigetragen haben. Der englische Rekordmeister, dessen letzter Titelgewinn vierzehn Jahre zurückliegt, ist spürbar entschlossen, mit finanziellem Risiko den Rückstand auf Manchester United und Arsenal London endlich aufzuholen, nun, da auch noch der neureiche Emporkömmling Chelsea London zu enteilen droht. Nur ob man das dem französischen Trainer noch zutraut, wird immer fraglicher. Der neue Star unter Europas Trainern, José Mourinho vom FC Porto, um den auch der FC Chelsea buhlt, hat vor zwei Monaten offen erklärt, daß ihn der Job in Liverpool mehr reize. Als Alternativkandidat bei beiden Klubs wird Steve McClaren vom FC Middlesbrough gehandelt, der frühere Assistent von Alex Ferguson bei Manchester United. Doch Houllier gibt sich trotzig, seine Mannschaft tat es am Samstag auch. Mit einem 1:0-Sieg ausgerechnet bei Manchester United, dem ohne den verletzten Ruud van Nistelrooy harmlosen Serienmeister, wahrte Liverpool die Chance auf Platz vier und damit auf die Qualifikation für die Champions League. Vermutlich wird über diese lukrative Position erst am 15. Mai, im letzten Ligaspiel gegen Mitkonkurrent Newcastle United, entschieden – und damit wohl auch über die Zukunft von Houllier. Der Franzose schien nach dem Gewinn von UEFA-Cup und nationalem Cup 2001 die Zukunft des Vereins zu sein, wirkt aber immer mehr wie ein Mann mit Vergangenheit. Nach einer beinahe tödlichen Herzattacke kämpfte er sich mit großer Zähigkeit wieder zurück auf die Trainerbank, doch dort wirkt er seitdem zerbrechlicher, und sein Team ähnelt ihm. Einen wirklichen Treffer hat er schon lange nicht mehr gesetzt.“

Mit der Geduld eines Rastafari-Fischers und der Heiterkeit eines Zenmeisters

Real Madrid verliert das Heimspiel gegen de FC Barcelona (1:2); Georg Bucher (NZZ 27.4.) schwenkt weißes Tuch: „Nicht eben klassisch verlief die spanische Classique in Madrid, schon insofern, als sie sich eher in drei Drittel als in zwei Halbzeiten teilte. Oder liesse sich die Choreografie des Spiels mit der eines Stierkampfs vergleichen – mit Real Madrid in der Rolle des toro? In einer langen ersten Phase schien sich der FC Barcelona, auf Ballkontrolle bedacht, damit zu begnügen, die unlustig wirkenden Gastgeber nicht allzu sehr zu reizen. Doch mit der ersten Torchance in der 35. Minute explodierte die weisse Bestie. Der wilde Ansturm, der nun folgte, liess die cuadrilla aus Barcelona nicht immer gut aussehen; doch seine Vergeblichkeit musste mehr noch auf die Angreifer frustrierend wirken. In dieser Phase wurde der Torhüter Victor Valdés seinem Übernamen „die Krake“ gerecht: serienweise wehrte er die Madrider „Geschosse“ ab – einmal möglicherweise hinter der Torlinie –, bis er in der 53. Minute gegen Solaris Flachschuss machtlos war. Nur vier Minuten später jedoch glich, als wär’s ein Kinderspiel, der frisch eingewechselte Kluivert aus; und als in der 69. Minute Figo des Feldes verwiesen wurde, schienen die hochgezüchteten, eben noch Ehrfurcht gebietenden Königlichen das Spiel auf einmal gebrochenen Auges zu sehen. Sie hatten sich selbst schwindlig gespielt. Ein Paso doble hätte nun einsetzen können: der Todesstoss war nur noch eine Frage der Zeit. Er hatte die Form eines eleganten Lobballs, und der Matador hiess Xavi, drei Minuten vor Schluss auf magistrale Weise lanciert von Ronaldinho. Der Brasilianer, zur Vermehrung dessen Ruhms die Partie bestimmt schien, hatte gegen seine Bewacher über weite Strecken keinen Stich getan. Im entscheidenden Moment aber nützte er einen Stellungsfehler von Raúl Bravo, und das Bernabeu verstummte. (…) Trainer Frank Rijkaard, gewappnet „mit der Geduld eines Rastafari-Fischers und der Heiterkeit eines Zenmeisters“, wie der Schriftsteller Sergi Pàmies schrieb, hat binnen einiger Monate ein Team zusammengeschweisst, das sich durch jene spielerische Balance auszeichnet, die Real Madrid zurzeit vermissen lässt.“

Geste technischer Vollkommenheit

Paul Ingendaay (FAZ 26.4.) bestaunt den FC Barcelona: „Wie so oft in den vergangenen Wochen stellte sich der Brasilianer Ronaldinho, unterstützt von Kämpfern wie Puyol und Davids, als Hirn und Herz des FC Barcelona heraus. In der ersten Halbzeit von der konzentrierten Madrider Verteidigung zugedeckt, nutzte er die Freiräume, die nach Figos Platzverweis entstanden, spielte kluge Pässe und hatte in der letzten Viertelstunde der Partie sogar noch Luft für seine gefürchteten Sololäufe, bei denen er die Gegenspieler stehenließ wie Slalomstangen. Dem zweiten Tor der Katalanen durch Xavi ging ein genialer Heber Ronaldinhos voraus, eine „Geste technischer Vollkommenheit“, wie Rijkaard lobte. Der Brasilianer bekreuzigte sich und blickte dankbar zum Himmel. Bei Real Madrid werden nach der neuerlichen Niederlage harte Worte fallen, aber es ist unwahrscheinlich, daß sie etwas nützen. Trainer Carlos Queiroz, der nie mächtig war, hat kaum noch etwas zu sagen. Und was soll er tun, wenn die Vereinsführung sich hartnäckig weigert, Schlußfolgerungen aus den Mißerfolgen des letzten Monats zu ziehen? Beide Gegentore entstanden aus Steilpässen, bei denen ein Madrider Verteidiger nicht aufpaßte und die eigene Abseitsfalle zerstörte. Nicht nur ein technisch begrenzter Spieler wie Raúl Bravo, auch Roberto Carlos zählt zu den Enttäuschungen in der Defensive. Noch trüber fällt das Gesamtbild aus, das die Madrilenen zur Zeit bieten. Zidane ist physisch erschöpft und nur noch ein Schatten seiner selbst. Raúl spielt auf dem falschen Posten, zerreibt sich im Mittelfeldgewühl und schießt kaum noch aufs Tor. Ronaldos Gesundheit bereitet der Vereinsführung Sorgen. Und Beckham? Reden wir nicht von seinen echten oder angeblichen Affären. Fragen wir lieber, wozu Real Madrid einen Flankengeber von rechts braucht, wenn kein einziger Stürmer den Kopfball beherrscht. Während der Engländer planlos seine Kilometer herunterrennt, reiben sie sich beim FC Barcelona die Hände. Denn nur weil Beckham zum Erzrivalen Madrid ging, mußten die Katalanen jemand anders verpflichten. Sie kauften Ronaldinho.“

Walter Haubrich (FAS 25.4.) ergänzt: „Nachdem Barcelona seine lange Schwächeperiode offensichtlich überwunden hat, freuen sich die Spanier auf die alte Rivalität zwischen den Teams aus beiden Millionenstädten ihres Landes. Der neue sozialistische Ministerpräsident Zapatero macht aus seinen Sympathien für Barca keinen Hehl, während seine beiden Töchter zu Real Madrid halten. Seine Familie passe zumindest im Fußball so recht in das neue, von ihm so gewünschte pluralistische Spanien. Sein eher autoritärer Vorgänger Aznar ist Real-Madrid-Fan, und seine ganze Familie teilte seine fußballerischen Vorlieben. Was aber nicht heißen will, Madrid sei der Klub der spanischen Rechten und Barcelona, der der Linken. Die Vorstände der Fußballvereine bemühen sich – ideologiefrei und etwas opportunistisch – um gute Beziehungen zu den jeweils Regierenden.“

Sehr schön! Peter Hartmann (NZZ 27.4.) verabschiedet Roberto Baggio, „den hamletischen Zweifler“: „Baggio, geboren am 18. Februar 1967, war immer der Spieler der Massen, die er mit seiner Phantasie entzückte. Die Trainer auf seiner Berufsreise von Vicenza über Florenz, Juventus, Milan, Bologna, Inter nach Brescia behandelten ihn – das entnimmt man seinen Memoiren, einer eigentlichen Vendetta an seinen Peinigern – distanziert wie ein rohes Ei, manche mit offener Antipathie, weil er ihre Systemgläubigkeit störte, wie etwa Baggios Intimfeind Marcello Lippi. Baggio war „ein Balletttänzer, eine Kobra, ein Poet, ein Killer“ (Giorgio Tosatti im „Corriere della Sera“), und in all diesen verschiedenen Häuten zeigt er sich auch heute noch – mit 37. Die Widersprüchlichkeit Baggios fasste keiner besser zusammen als der verstorbene Juventus- Patriarch Gianni Agnelli. Er verglich seine fussballerischen Pinselstriche mit dem grossen Renaissance-Maler Raffael, aber seine sanfte, verstockte Introvertiertheit reizte ihn manchmal bis zur Weissglut, und er beleidigte ihn als „coniglio bagnato“ (begossenes Karnickel). Ein Ausdruck für Feigheit, zugleich eine Verspottung der Jagdleidenschaft Baggios, der auch nach seinem Übertritt zum Buddhismus ein riesiges Pachtrevier in Argentinien unterhält. Einmal haben ihn die Carabinieri gebüsst, weil er nachts in der Nähe seines Wohnorts Caldogno in Veneto mit den aufgeblendeten Scheinwerfern seines Fuoristrada Hasen aufscheuchte. Dieser Gewaltausbruch warf ein neues Licht auf den scheuen, schwierigen Schweiger.“

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Ballschrank

Bundesliga

„beste Stilnoten“ (FAZ) für Werder Bremen in Bochum; „ein 4:4 ohne Tore“ (BLZ) – Bayern München , „mit neuer Angriffslust und alten Zweifeln“ (FAZ); „Kutzop und Haching, zu solchen Mitteln greifen die Bayern jetzt“ (SZ); Roy Makaay, „abnormal normal“ (Spiegel) u.v.m.

Martin Hägele (NZZ 27.4.) erklärt die Kommunikationsrollen in der Meisterantwort: „Die Spannung muss am Leben bleiben, so lautet das Motto der für den Lieblingsfilm einer Mehrzahl von Deutschen zuständigen Unterhaltungsindustrie; die Traumfabrik Bundesliga soll ihre Illusionen bitte bis zum finalen und 34. Teil der Serie durchziehen. Die Meinungsmacher des deutschen Rekordmeisters spielen die ihnen dabei zugedachte Rolle gerne mit. Auch weil dies die beiden Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge und Hoeness von den eigenen Zweifeln ablenkt, wie man ein stets auf den Gewinn von Trophäen und Titeln aller Art ambitioniertes Ensemble nun mit dem Ziel Platz zwei motivieren soll, weil dieser Rang in der Abschluss-Tabelle eben den direkten Zugang zur Champions League und damit auch ein um 15 Prozent höheres Budget bedeutet. Solange noch um Titelchancen geredet wird, verbietet sich in der Metropole der Bundesliga schon höflichkeitshalber die Diskussion, zu welchem Zeitpunkt der neue Trainerstar Felix Magath den erfolgreichen Altmeister Ottmar Hitzfeld an der Säbener Strasse beerben soll – Tabellenplatz drei am 22. Mai wäre mit ziemlicher Sicherheit das Ende der ausserordentlichen Beziehung, ja geradezu einer Ära. Schaut man gut 200 Kilometer nördlich auf dieses Problem, so verändert der Stuttgarter Blickwinkel das entscheidende Datum um eine ganze Woche. Das direkte Duell um den zweiten Champions-League-Platz der Bundesliga am 15. Mai im Gottlieb-Daimler-Stadion wertet Magath als „unser grosses Endspiel“; im Kalkül des VfB-Teamchefs sollen Kahn und Co. dort endgültig abgeschlagen werden. Der „Trainer des Jahres“ rechnet bis dahin mit einer Siegesserie seines Teams, das nun schon neun Auftritte in Serie ungeschlagen ist. Zudem würden die Bayern zuvor noch einmal straucheln. Aus der von Magath so souverän zur Schau getragenen Siegermentalität leitet das Fachmagazin „kicker“ die Qualifikation für den Chefposten beim FC Bayern ab: Auf diese Art würde er den Münchner Bossen die allerletzten, falls noch vorhandenen Zweifel an seiner Person rauben [of: das hab ich doch schon vor sechs Wochen geschrieben. Ich sag’s wenigstens, dass ich abschreibe.]. Man kann dies auch als Versuch interpretieren, aus dem Kaffeesatz zu lesen. Mehr über die wohl heisseste Personalie der Bundesliga ist auch im „Zentralorgan“ des deutschen Fussballs nicht bekannt. Diese psychologischen Reize wirken vor allem am Kiosk – und schlagen sich in den Auflagezahlen der Boulevard- und Sportblätter nieder. Fraglich ist es jedoch, ob die medialen Pfeile aus dem Süden in Bremen überhaupt Wirkung zeigen. Immerhin haben die zuletzt schwächelnden Werder-Professionals die äusserst heimstarken Bochumer klar dominiert – und weshalb soll eine Mannschaft, die 25 Pflichtspiele ohne Niederlage hingelegt hat, ausgerechnet vor dem Nordderby und dem Hamburger SV Angst bekommen, einer vor fremder Kulisse fast schon zahnlosen Truppe? Ein richtiges Argument gegen den Deutschen Meister Werder Bremen gibt es nämlich nicht, denn selbst mit ihren schwächeren Auftritten oder an jenen Tagen, an denen der SV Werder Bremen auch einmal das Glück gebraucht hat, haben die Leute von Trainer Schaaf und Manager Allofs immer Charakter gezeigt.“

VfL Bochum – Werder Bremen 0:0

Duell mit Verve und nach allen Regeln der Spielkunst

Nicht nur Roland Zorn (FAZ 27.4.) verteilt sehr gute Zensuren: „Peter Neururer war begeistert – vom Gegner. „Werder Bremen hat ein sensationell gutes Spiel gemacht“. Daß auch Kollege Thomas Schaaf, der seine Komplimente sonst gern eine Nummer kleiner verteilt, mit der Höchstnote nicht geizte, war der Situation seines Teams geschuldet. „Was wir heute gezeigt haben, war Superklasse. Das läßt Gutes ahnen.“ Noch einmal allerdings, das weiß auch der Trainer des Tabellenführers, läßt sich ein 0:0, mag es auch eines mit Schleifchen gewesen sein, nicht mehr hochjubeln. Und auch Schaafs proportional ungenaue Hochrechnung, nach der die Bremer zu 99 Prozent alles richtig gemacht und lediglich ein Prozent im großen Ganzen versäumt hätten, wird in dieser Spielzeit kein zweites Mal offene Ohren finden. Vier Runden vor Ultimo erlebten die Bremer und ihr zahlreicher Anhang einen vertrackten Sonntagnachmittag: Wer ein solches Duell mit Verve und nach allen Regeln der Spielkunst beherrscht und es dennoch versäumt, sich den verdienten Lohn abzuholen, der muß sich langsam Sorgen machen. Allzu verschwenderisch haben die Bremer in den vergangenen fünf Spielen einen Teil ihres Punktguthabens gegenüber dem Titelverteidiger FC Bayern München hergegeben, ohne deshalb erkennbar zu kriseln. So wie das Bremer 4:4 in Stuttgart das vielleicht beste 4:4 der Bundesliga-Geschichte war, so war das 0:0 vom Sonntag beim Tabellenfünften Bochum die attraktivste torlose Begegnung dieser Serie. Ist aber nicht Werder das Team, das mit 67 Toren die meisten Treffer von allen schoß, führt etwa nicht Ailton die Schützenliste mit 25 Toren an? Wohl wahr, und doch haben sich die seit 21 Partien unbesiegten Norddeutschen jetzt erstmals in dieser Saison zweimal nacheinander mit einem 0:0 begnügen müssen. (…) Es wird Zeit für den immer noch ersten Titelkandidaten, endlich wieder punktgenau zur Sache zu kommen. Wer stets aufs neue behauptet, nur auf sich und nie auf die Bayern zu gucken, müßte aus der Selbsterkenntnis, daß im Fußball selbst die besten Stilnoten einen Treffer nicht ersetzen, Schlüsse ziehen und ab sofort einen Schuß präziser zur Sache kommen.“

Insgesamt waren die Zuschauer der große Gewinner

Christoph Biermann (SZ 27.4.) sieht das ähnlich: „Man wird in den kommenden Tagen viel darüber debattieren, dass der Vorsprung der Bremer auf den FC Bayern nur noch sechs Punkte beträgt. Schließlich waren es einmal elf. Die Mannschaft von Thomas Schaaf hat nur eines der letzten fünf Spiele gewonnen. Sie hat in den letzten beiden Partien keinen Treffer erzielt, und der beste Torjäger Ailton hat nun schon seit 302 Minuten nicht mehr getroffen. Das alles muss man erwägen, weil es den Eindruck erweckt, als würden sich die Vektoren der Bremer Erfolgskurve sanft senken. Doch nach den 90 Minuten im Bochumer Ruhrstadion blieb in Wirklichkeit ein ganz anderer Eindruck zurück. „Man muss auch sehen, wie ein Ergebnis zustande kommt“, sagte Allofs. Und das war der Grund dafür, warum die gut 6000 Bremer Fans ihr Team trotz des 0:0 frenetisch feierten. So dominant und angriffslustig, so elegant und schwungvoll kombinierend, in einem derart flüssig vorgetragenen Stil spielt ein Meister. Oder: So sollte er spielen. „Insgesamt waren die Zuschauer der große Gewinner“, sagte Bremens Trainer Thomas Schaaf, und die Reaktionen auf den Rängen belegten das. Jeder der 32 645 Zuschauer, ob er nun wegen der Gastgeber, der Gäste oder einfach in Erwartung eines guten Spiels gekommen war, ging applaudierend nach Hause. Und die meisten hatten das Gefühl, dass diese Bremer Mannschaft es verdient hat, am Ende der Saison die Schale für den Deutschen Meister in den Himmel zu recken. „Hier haben schon alle Spitzenmannschaften gespielt, aber im Vergleich zu Werder Bremen war das gar nichts“, sagte Peter Neururer.“

Geld ausgeben

Frank Heike (FAS 25.4.) erläutert den Strategiewechsel Werder Bremens: „Sportdirektor Klaus Allofs hat unlängst vorgerechnet, daß Werder 10 bis 15 Prozent mehr an Gehältern für den vergrößerten Kader aufwenden müsse, sollte die Champions League erreicht werden. Wachstum also, wo der Markt schrumpft, und das basierend auf soliden Kaufmannsprinzipien. Zu schön, um wahr zu sein? Daß Werder bei diesem Risikomanagement die alten Wurzeln nicht verläßt, dafür stehen Männer wie Aufsichtsrat Willi Lemke, aber auch Jürgen Born. Der sagt: „Wir sind die Profiteure der Misere, denn wir haben uns nicht zu tief ins Wasser getaucht.“ Auch die vormaligen Bedenkenträger sind angesichts des sportlichen Erfolges und der daraus resultierenden glänzenden Zukunft mutiger geworden. (…) Das Umfeld wächst mit dem sportlichen Erfolg, und mögen 13000 Mitglieder im Vergleich zu Bayern, Schalke oder Dortmund auch nicht wirklich viele sein, so ist Werder stolz auf die Wachstumsrate – vor knapp zwei Jahren waren es kaum 3000. Im Meisterjahr 1992/93 kamen 20000 Zuschauer pro Spiel ins Weserstadion, jetzt sind es 37000 im Schnitt, die vergangenen waren und die nächsten beiden sind ausverkauft: 42500 Zuschauer. Dazu muß man wissen, daß Bremen keine Stadt ist, die rückhaltlos hinter ihrem SVW steht. Werder war irgendwie schon immer da, gehört zum Stadtbild, wurde aber nur in Zeiten des großen Erfolges geliebt. Lange glaubten die Fans an der Weser fest an den Einbruch auch in dieser Saison – erst jetzt, wo wirklich nicht mehr viel schiefgehen kann, gibt es eine Werder-Welle mit grün-weiß gefärbten Haaren, Belagerungszuständen beim Training und Vorgärten, deren Hecken in Form des „W“ im Vereinsemblem geschnitten sind. Die Begeisterung um die Meisterprofis in spe ist groß wie nie. Werder hat dazu beigetragen, ist in Postern und auf Litfaßsäulen präsenter denn je. Und der Klub schürt das Eisen, solange es heiß ist. Für den Paradigmenwechsel in der Vereinsphilosophie steht Klaus Allofs, der Sportdirektor, der Mann der unkonventionellen Gedanken, der schon oft von den Geschäftsführerkollegen irritiert angeschaut wurde, beim Gerangel um Klose etwa. Allofs will, muß jetzt riskieren: Eine auf allen Positionen doppelt stark besetzte Mannschaft, die in der Champions League die Gruppenrunde übersteht, das will er haben. Millionenbeträge werden investiert, in Miroslav Klose, vielleicht in Yildiray Bastürk und Emile Mpenza. Verträge mit Micoud und Ernst sollen verlängert werden, gewiß nicht zu schlechteren Bedingungen. Im Sommer will sich Allofs wieder in Südeuropa umschauen. Vielleicht bringt er ein Schnäppchen wie vorher Davala, Ismael oder Reinke mit. Allofs sagt: „Wenn wir uns international etablieren wollen, müssen wir die Gelegenheit dazu auch nutzen.“ Und also Geld ausgeben. Denn sowohl Born als auch Lemke, Allofs und Trainer Thomas Schaaf wissen: Die Bewährungsprobe für Werder Bremens Sprung vom gehobenen Bundesliga-Mittelmaß der letzten Jahre zum Spitzenteam der Bundesliga findet erst in den kommenden Jahren statt.“

Bayern München – 1860 München 1:0

Der Glaube an die eigene Stärke fehlt

Elisabeth Schlammerl (FAZ 27.4.) bezweifelt die Echtheit bayerischer Dominanzsignale: „Selbst der Siegerpose hat jegliche Entschlossenheit gefehlt. Es gab nur ein kurzes Abklatschen, ein paar Umarmungen und das obligatorische Winken in die Fankurve. Die Spieler des FC Bayern bejubelten den Erfolg so verhalten, wie zuvor ihr Spiel, das Engagement auf dem Platz gewesen ist. Womöglich hat die Mannschaft in diesem Moment ein ganz feines Gespür entwickelt für das, was unangebracht gewesen wäre nach der schwachen Leistung. Denn der Blick auf die Bundesliga-Tabelle hätte schon Anlaß gegeben zu ein wenig mehr Ausgelassenheit. (…) Natürlich reklamieren die Bayern mit gewohnt markigen Worten die Meisterschale wieder für sich. Zuständig sind für die verbale Einschüchterung des Gegners in der Hauptsache Manager Uli Hoeneß und Kapitän Oliver Kahn. Die beiden erledigten ihren Job auch zuverlässig – aber selbst bei den beiden waren ein wenig Zweifel an einem erfolgreichen Abschluß der Aufholjagd herauszuhören. Im Fernsehinterview sofort nach Spielschluß gab sich Hoeneß kämpferisch. „Jetzt wird’s wieder lustig in der Meisterschaft. Jetzt greifen wir wieder voll an.“ Hinterher in den Katakomben klang er ein wenig vorsichtiger. Er sei nicht davon überzeugt, es noch zu schaffen, gab der Manager zu. „Aber wir haben jetzt wieder eine Chance.“ Die Bayern bemühen im Titelkampf, der schon aussichtsloser schien, die Vergangenheit. Hoeneß erinnert an das Saisonfinale vor vier Jahren. „Da hatten wir gegen Leverkusen eine viel schlechtere Ausgangsposition vier Spieltage vor Schluß und haben es geschafft.“ Allerdings wirkten die Bayern damals entschlossen, nicht nur mit Worten außerhalb des Platzes, sondern sie ließen auch auf dem Rasen keine Zweifel aufkommen, überzeugt zu sein, alle noch ausstehenden Spiele zu gewinnen. Mit dieser Einstellung, mit diesem Auftreten haben sie damals den Gegner geschockt. Jetzt fehlt den Bayern eine Demonstration der Stärke. Mit dem knappen Sieg gegen die abstiegsgefährdeten „Löwen“ haben sie niemanden eingeschüchtert. Die Körpersprache der Spieler verrät in dieser Saison immer wieder, daß der Glaube an die eigene Stärke fehlt.“

Kutzop und Haching, zu solchen Mitteln greifen die Bayern jetzt

Andreas Burkert (SZ 27.4.) ergänzt: “71 000 Zuschauer mögen ermattet den Heimweg angetreten haben, gelangweilt vom 199. Münchner Derby der Bayern mit dem zunehmend hoffnungsloseren TSV 1860. Aber für die Wortführer des Meisters ist es ein Festtag gewesen, abgesehen vielleicht vom Präsidenten Franz Beckenbauer, der trotz des 1:0 seiner Roten genervt den Daumen senkte. Nicht einmal mit rosarotem Vergrößerungsglas hätte der Freund des schönen Spiels von seinem Ehrensitz aus akzeptables Niveau orten können. „Einen solchen Unterhaltungswert wie in der zweiten Halbzeit“, sprach er angewidert von so viel Durchschnitt, „das hab“ ich noch nie erlebt.“ Uli Hoeneß dagegen ignorierte das Erlebte, er tröstete die auch unter dem neuen Trainer Gerald Vanenburg in der Offensive dramatisch limitierten Sechziger („sehr ordentlich gespielt“) – und vergnügte sich ansonsten am großen Ganzen. Nur noch sechs Punkte hinter Werder, das ja noch nach München müsse, sagte er erfreut, „wir sind wieder in Reichweite“. Wobei die Umstände doch unheimlich bitter seien für die Bremer: Die hätten in Bochum nach einer Ewigkeit mal wieder ordentlich gespielt, „aber wenn du so ein gutes Spiel nicht gewinnst, ist das natürlich fatal“. Das psychologische Nachspiel liegt dem FC Bayern immer noch am meisten, ist er auch noch so erschrocken über seine eigene Leistung. (…) Bremen zeige Nerven, das stehe fest. Das reden sich die Bayern nun seit zwei Wochen ein und hoffen, ihre Litanei möge irgendwie Eingang findet in die Köpfe der Werder-Profis. Die letzten vier, fünf Spiele hätten es jedenfalls in sich, erklärte der weitgereiste Tiefenpsychologe Oliver Kahn, „was du da als Spieler erlebst, das glaubst du nicht!“ Der Bayern-Kapitän rief abermals das Versagen des Michael Kutzop in Erinnerung, der 1986 für Werder einen Elfmeter gegen Bayern in der Schlussminute fatalerweise an den Pfosten gesetzt hat. „Nach der alten Punkterechnung haben die schon mal vier Punkte an zwei Spieltagen verschenkt.“ In der Bremer Haut wolle er nicht stecken, schob er genussvoll nach: „Du bist doch der Idiot, wenn du zehn, elf Punkte noch verspielst.“ Jetzt warten die Bayern also wieder auf einen Kutzop. Hoeneß nennt seine Sehnsucht anders, bei ihm ist sie nach einem Münchner Vorort benannt. In früheren Duellen mit Leverkusen habe man „schon schlechtere Ausgangspositionen gehabt“, erinnerte er sich, und wenn Werder beim Saisonfinale mit nur drei Punkten Vorsprung nach Rostock müsse – „dann könnte das ein Unterhaching werden“. Kutzop und Haching, zu solchen Mitteln greifen die Bayern jetzt.“

Thomas Becker (taz 27.4.) berichtet Wesentliches aus dem Olympiastadion: „Zur Halbzeit 0:4 hinten – das drückt auf die Stimmung. Schon kurz vor dem Anpfiff musste die Nordkurve den ersten kapitalen Gegentreffer einstecken. Die Fans des TSV 1860 hatten sich an einer Choreografie versucht, weiße und hellblaue Täfelchen mitgebracht und so verteilt, dass ein Schriftzug lesbar werden sollte. Prima Idee. Dumm nur, dass das Entziffern der weißblauen Buchstabensuppe recht schwer fiel. „Sechzig“ heißt das, sagt der Nachbar zur Rechten, der zur Linken will „Sieg“ gelesen haben. Tja. Der Konter der Südkurve ist eine Demonstration der Überlegenheit: mannshohe Buchstaben, bergseeklar die Schrift: „Und draußen vor der Roten Stadt, stehen die Blauen sich die Füße platt“ – will sagen: Wenn wir vom FC Bayern in die Allianz-Arena einziehen, müsst ihr Löwen draußen bleiben. Und dann noch die drei Schlappen in der Halbzeitpause: Niederlagen in den urbayerischen Wettbewerben Fass-Anschlagen, Steinheben und Im-Dirndl-Fesch-Ausschauen. 0:4 – eine Klatsche für die leidgeprüften Löwen-Fans.“

Abnormal normal

Sehr lesenswert! Gerhard Pfeil (Spiegel 26.4.) schwärmt für Roy Makaay: „Fußball, darauf wird von den Gelehrten immer wieder hingewiesen, ist ein Laufsport. Doch wer Roy Makaay, 29, trainieren und spielen sieht, könnte meinen, für ihn gelte diese Grundregel nicht. Etwas „seltsam Apathisches“ präge bisweilen die Darbietungen seines Schützlings, räumt auch Hitzfeld ein. Ernstlich beunruhigt gibt sich der Übungsleiter deshalb aber nicht: „Er macht die Dinger ja rein.“ Im Prinzip ist damit das Geheimnis eines Fußballers beschrieben, der die Fachwelt seit Monaten in Staunen versetzt. Als „Tormaschine“ oder „Wunderstürmer“ feiern die Medien den Holländer, weil der eine Treffsicherheit an den Tag legt, wie man sie in der Bundesliga lange nicht erlebt hat. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten die Jubelarien, als dem „Knipser aus Gelderland“ („Frankfurter Rundschau“) im Heimspiel vor gut zwei Wochen gegen Schalke 04 die Saisontreffer 21 und 22 gelangen. Ernsthaft wurde die Frage erörtert, ob Makaay vielleicht sogar besser sei als einst Gerd Müller. Sicher ist, dass der Siegeszug des Niederländers auch für die Rückständigkeit der hiesigen Branche steht. Als er im Sommer vorigen Jahres in München seinen Dienst antrat, musste er sich jedenfalls fühlen, als sei er in einem Fußball-Entwicklungsland gestrandet. Es begann damit, dass sie ihm, kaum angekommen, schon vorhielten, ein Fehleinkauf zu sein. „Rheuma-Kay“, so höhnten die Bayern-Fans, weil der mit 18,75 Millionen Euro bislang teuerste Einkauf der Münchner nicht auf Anhieb ins Tor traf. Es hieß, er sei ein Fremdkörper, er passe nicht in das System. Die Wahrheit war, dass dem Neuzugang wegen des späten Ortswechsels anfangs Training und Spielpraxis fehlten und zweitens seine Mitspieler erst mal begreifen mussten, wie man so einen Hochbegabten Gewinn bringend einsetzt. Dabei ist es gar nicht so schwer, mit Makaay zu spielen. Meist lauert er auf Höhe der gegnerischen Abwehrreihe auf einen Pass in die Tiefe. International gilt diese Spielweise als en vogue, weil sich so die bei Spitzenclubs beliebte Defensivtaktik der Viererkette am besten aushebeln lässt. Auch dass Makaay manchmal minutenlang nur spazieren geht, ohne den Ball zu berühren, zeuge eher von „großer Klasse“, wie Thomas Linke, der als Innenverteidiger bei Bayern und in der deutschen Nationalmannschaft schon gegen die besten Stürmer der Welt angetreten ist, betont: „Es gibt Stürmer, die rennen und rennen, und als Verteidiger denkt man sich, Mamma mia, bleib doch mal stehen. Aber denen fehlt dann im entscheidenden Moment die Konzentration vor dem Tor, weil sie sich vorher verausgabt haben. Das passiert Roy sicherlich nicht.“ Makaays Effizienz erstrahlt umso mehr in einer Liga, deren deutsche Spitzenkräfte Miroslav Klose, Kevin Kurányi und Oliver Neuville zwar emsig jedem Ball hinterherhetzen, in der Chancenauswertung jedoch weit entfernt von internationaler Klasse sind. (…) „Abnormal normal“, so beschreibt Ted van Leeuwen, Manager des holländischen Zweitligisten AGOVV Apeldoorn, den spröden Angreifer. Van Leeuwen begleitete Makaay früher als Journalist des Fachmagazins „Voetbal International“. Mehrfach startete er mit Makaay den Versuch, auch mal über was anderes zu reden als über Fußball, „aber es klappte nicht“. Es gibt nichts Ungewöhnliches in der Vita Makaays. Die einzige Extravaganz, die sich Makaay im bisherigen Verlauf seiner Karriere leistete, war somit der Entschluss, wissentlich zu einem Verein zu gehen, der sich wie kaum ein anderer zu seiner Rolle als Unterhaltungsbetrieb bekennt. Denn natürlich ist der „FC Hollywood“, wie der FC Bayern auch genannt wird, nicht seine Welt. Es gibt hier Spieler, deren Privatleben in Magazinen detailgenau Niederschlag findet. Da hat er nichts zu bieten. Makaay ist Vater zweier Kinder und seit Jahren mit seiner Jugendliebe Joyce verheiratet. Auch mit der Neigung des Clubs, die eigene Großartigkeit zur Schau zu stellen, kann Makaay vom Wesen her nichts anfangen. In München erhielt er einen Dienstwagen mit dem Kennzeichen M-DM, für „Deutscher Meister“. Weil es dieses Jahr mit dem Titel wohl nicht klappt, werden die Schilder einfach ausgewechselt in M-RM wie „Rekordmeister“. Doch glücklicherweise erwarten die Bayern von Makaay nicht, im Showgewerbe tätig zu sein. Im Gegenteil: Die Club-Strategen haben erkannt, dass die echten Superspieler des europäischen Fußballs ausschließlich auf dem Platz glänzen. Ob Zinedine Zidane, Henry oder van Nistelrooy – sie zeigen jedes Wochenende, dass das Beste an der Entertainment-Ware Fußball das Spiel ist und nicht das tosende Beiwerk. Der zurückgezogene Makaay ist somit ein Volltreffer für den FC Bayern. Nur: Ist der deutsche Vorzeigeclub auch ein Volltreffer für Makaay?“

Sparzwang?

Wird Bayern München künftig weniger Geld ausgeben? Elisabeth Schlammerl (FAS 25.4.) spekuliert: „Gerne wurde jahrelang in der Fußball-Bundesliga das Feindbild vom mit Geld um sich werfenden Branchen-Krösus FC Bayern München gezeichnet. Die Verantwortlichen des Rekordmeisters haben nichts gegen dieses Image der Millionarios getan, im Gegenteil, sie haben es oft genug bestätigt. Mit großzügigen Schecks für Wunschspieler nach Unterzeichnung eines Vorvertrags oder Aussagen wie: der FC Bayern könne jeden Spieler haben, den er wolle. Schon damals haben sie aber nicht jeden Spieler um jeden Preis haben wollen, und es gibt sogar Profis, die von München nach Dortmund nicht nur wegen besserer sportlicher Perspektiven gewechselt sind, sondern vor allem, weil dort monatlich ein wenig mehr aufs Gehaltskonto floß. Derzeit müsssen die Spieler der Westfalen allerdings froh sein, daß das Gehalt überhaupt noch pünktlich überwiesen wird von der klammen Aktiengesellschaft, und soviel wie einmal vereinbart ist es auch nicht mehr. Beim FC Bayern hat bisher noch immer jeder bekommen, was in seinem Vertrag steht, aber die großen Euroscheine sitzen auch nicht mehr so locker, weshalb mittlerweile das Bild mit den kleinen Brötchen viel passender ist. Schon vor längerem haben die Verantwortlichen angekündigt, daß die Spieler bei Vertragsverlängerungen mit Gehaltskürzungen rechnen müßten. Als dann Bixente Lizarazu aber vor gut einer Woche bekanntgab, er werde den FC Bayern am Saisonende verlassen, weil die neue Offerte nicht seinen finanziellen Vorstellungen entsprach, mutmaßte die Branche schon einen Sparzwang beim Meister.“

Ballschrank

Sonstiges

TV-Tipp (FTD): die Berner Helden 54 waren auch „Ackerfußballer“ – ein Holländer entromantisiert die Geschichtsschreibung des WM-Finales 74 (SZ) – der deutsche Steuerzahler, ein guter Organisator der WM 2006 (FAS) u.v.m.

Ackerfußball

René Martens (FTD 27.4.) empfiehlt, heute Abend um 20.15h ZDF anzuschalten: „An den Dokumentationen, die unter der Leitung Guido Knopps entstehen, gibt es einiges auszusetzen: Dass in ihnen der Nationalsozialismus verkitscht und Zeitzeugen zu Stichwortgebern degradiert werden, zum Beispiel. Sein aktueller Film zur Fußball-WM 1954 dagegen, entstanden unter Mitarbeit von Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg, ist weit besser gelungen als alles andere, was der Geschichts-Lehrer vom ZDF in den letzten Jahren vorgelegt hat. Für „Das Wunder von Bern. Die wahre Geschichte“ haben die Autoren in den vergangenen Monaten zahlreiche bisher noch nie gezeigte Bilder dieser WM aufgetrieben – unter anderem vom Endspiel Deutschland-Ungarn, von dem bis vor kurzem nur rund 15 Minuten vorlagen. nopps Team erzählt mit Hilfe des neuen Materials die Geschichte des Turniers aus der Sicht der beiden Finalgegner, und insbesondere die bisher auf Bücher angewiesenen Nachgeborenen können sich von dieser WM nun ein deutlicheres Bild machen. Der Zusammenschnitt des Viertelfinalspiels gegen Jugoslawien etwa, das die Deutschen mit 2:0 gewannen, weckt Assoziationen an viele spätere WM-Spiele, in denen sich die DFB-Elf glanzlos durchwurschtelte. Und wenn man im Finale den wegen angeblichem Abseits nicht gegebenen Ausgleich der Ungarn betrachtet, den Ferenc Puskas drei Minuten vor Schluss erzielte, kommt einem das Wembley-Tor von 1966 wie ausgleichende Gerechtigkeit vor. Zu den unangenehmen Highlights gehört das brutale Foul Werner Liebrichs an Puskas bei der 3:8-Vorrundenschlappe gegen die Ungarn: In der 60. Minute – als die Herberger-Elf zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon mit 1:5 zurück lag – zielte Liebrich allein auf die Beine des Fußballgotts. Puskas‘ Teamkamerad Jenö Buzánsky sagt in dem Film, Liebrich habe seinen Gegenspieler – der erst im Endspiel wieder auflaufen konnte – „liquidieren“ wollen. Die Autoren liefern noch weitere Belege für die These von Zeitzeugen, die die Spielweise der DFB-Elf als „Ackerfußball“ bezeichnen.“

Das Vergehen gegen eine der sieben Hauptsünden Hochmut wurde Oranje zum Verhängnis

Ein Holländer schreibt Fußball-Geschichte um; Siggi Weidemann (SZ 26.4.) berichtet eine Entromantisierung: „„Je länger 1974 zurückliegt, desto größer wurde der Mythos bei uns. Wir haben im Finale einfach gegen die bessere Mannschaft mit fantastischen Spielern verloren“, fasst Auke Kok das WM-Finale Deutschland – Niederlande zusammen und räumt mit der Fabel auf, die Oranje-Mannschaft sei „auf unmoralische Art“ um ihren Sieg gebracht worden. Noch bevor Kok am vergangenen Mittwoch im Amsterdamer Olympiastadion sein Buch „Wij waren de besten“ vorgestellt hatte, war die erste Auflage bereits restlos vergriffen. Die Medien gingen ausführlich auf die Hintergründe ein, die zum „nationalen Drama von 1974″ geführt hatten. Oranje verkörperte das Holland jener Zeit, und 1974 war die Geburtsstunde des nationalen Oranje-Gefühls, etwas, was zuvor unbekannt war, denn Oranje war bei früheren WM-Spielen nicht dabei oder vorzeitig ausgeschieden. „Der schwarze Sonntag war ein Trauma für unser Land“, so Auke Kok gegenüber der SZ, „aber wir haben keinen Grund zur Rache, denn wir sind nicht um den Sieg betrogen worden. Alles ist rechtens zugegangen.“ Und die Schwalbe von Bernd Hölzenbein, die zum Elfmeter und damit zum Ausgleich führte? „Ich habe mir die TV-Aufzeichnungen immer und immer wieder angeschaut. Das war keine Schwalbe, vielleicht ein Ansatz dazu.“ Auf 364 Seiten analysiert Rundfunkjournalist Kok in seinem Fußballthriller, wie es zum Absturz der Favoriten kam, ja kommen musste. „Wir waren die Besten. Außer im Fußball auch mit Sex, Alkohol, Disziplinlosigkeit sowie Selbstüberschätzung. Dennoch ist keiner der Helden vom Sockel gefallen.“ Und der Autor ergänzt: „Das Vergehen gegen eine der sieben Hauptsünden Hochmut wurde Oranje zum Verhängnis. Es war ein sportlicher Wettkampf, und die Deutschen haben die WM vollkommen verdient gewonnen.“ (…) Beide Teams symbolisierten „Jugend und Rebellion“. Die Deutschen hatten laut Kok „eine gewaltige Erfahrung“, waren „besser vorbereitet und motivierter“. Sie wollten, glaubt er, den Erfolg des Wunders von Bern wiederholen. Nachdem Neeskens mit einem Strafstoß das Führungstor erzielt hatte, erzielte Breitner ebenfalls per Elfmeter den Ausgleich. Gerd Müller schoss in der 43. Minute das Siegtor zum 2:1. Zusammenfassend urteilt Kok: „Auffallend ist der niederländische Provinzialismus, bei den Deutschen spürte man, sie kommen aus einem größeren Land und sind viel weniger borniert.““

Thomas Klemm (FAS 25.4.) beruhigt die Schiedsrichterdebatten: „Das Urteil, das Franz Beckenbauer in seiner allwöchentlichen „Bild“-Kolumne am Montag über die Zunft des DFB fällte, geriet allzu populistisch. Er habe den Eindruck, so der Bayern-Präsident, „daß sich unsere Schiedsrichter leider dem Niveau der Bundesliga anpassen. Und da gehören wir ja schon länger nicht mehr zu den Top drei in Europa“. In seiner Grantelei läßt der Weltmann nicht nur außer acht, daß deutsche Unparteiische in dieser Saison sehr oft zu Champions-League-Spielen berufen wurden und daß Merk zuvor das Viertelfinal-Rückspiel zwischen Arsenal und Chelsea souverän geleitet hatte, sondern auch, daß auch Schiedsrichter in anderen europäischen Spitzenligen um keinen Deut weniger Fehler machen und gleichfalls zu Buhmännern der Fußballnationen werden – gerade gegen Saisonende, wenn Vereine ihre eigenen Ansprüche nicht erfüllen können und dafür nach Gründen suchen. „Da werden dann häufig irgendwelche Schiedsrichterentscheidungen ins Feld geführt, um den dürftigen Tabellenstand der eigenen Mannschaft zu begründen und zu rechtfertigen“, meint der langjährige Unparteiische Krug erkannt zu haben. Ein Phänomen, das nicht nur ein deutsches ist. In der spanischen Primera Division wittert der FC Valencia eine Verschwörung, weil der punktgleiche Meisterschaftskonkurrent Real Madrid zuletzt von einigen Schiedsrichterentscheidungen profitierte. In der italienischen Serie A drohte der Vorsitzende des AC Perugia, aus Protest gegen angebliche Fehler des Unparteiischen, den Tabellenvorletzten bei den letzten vier Ligaspielen nicht mehr antreten zu lassen. Zwar hat sich Luciano Gaucci wieder beruhigt, aber Fans des Klubs sammelten 5000 Euro für einen Rechtsanwalt, der am Donnerstag Klage einreichte. Der Verdacht lautet auf „Betrug in sportlichem Wettbewerb“. In Portugal wird seit Dienstag sogar gegen 16 Personen, darunter Liga-Präsident Valentim Loureiro, Jose Antonio Pinto da Costa als Vorsitzenden der Schiedsrichterkommission und neun „Unparteiische“, wegen des Verdachts auf Bestechung und Dokumentenfälschung ermittelt. Pinto da Costa wurde bereits angeklagt, seine Schiedsrichter in 21 Fällen zu vorsätzlichen Fehlentscheidungen aufgefordert zu haben.“

Sponsored by Steuerzahler

Wird Deutschland ein guter Organisator der WM 2006? Wer zweifelt schon daran? Michael Ashelm (FAS 25.4.): „Weltmeister im Organisieren. Natürlich nehmen die Ausrichter der Weltmeisterschaft 2006 diese in Stein gemeißelte Selbstverständlichkeit auch gerne für sich in Anspruch. Und daß Spielstätten plus Infrastruktur wirklich ordentlich-pünktlich zum großen Turnier an den Internationalen Fußball-Verband übergeben werden, daran zweifelt niemand ernsthaft. Deutschland ist bereit und will sich der Welt als exzellenter Gastgeber präsentieren. Doch zu welchem Preis? Während die Vorbereitungsarbeiten eifrig vorangetrieben werden und viele Bauvorhaben in den letzten Zügen liegen, tauchen hier und da Fragen auf, ob das Milliardenprogramm wirklich so vorbildlich auf stabilen Füßen steht. Denn wie es scheint, könnte die Mammutveranstaltung ungesunde Nachwirkungen haben – für den Steuerzahler. In erster Linie geht es dabei um die großen Stadionprojekte, die für eine einmalige Fußballinfrastruktur sorgen werden. Die neueste Negativmeldung liefert der Standort Frankfurt, könnte das im Bau befindliche Waldstadion doch wegen Fehlern bei der Ausschreibung mehr als dreißig Millionen Euro mehr kosten als gedacht. „Sponsored by Steuerzahler“ heißt es ohnehin schon seit geraumer Zeit, wenn es sich in der Bankenstadt um den großen Fußball dreht. Nur mit staatlichen Bürgschaften und durch Fördergelder aus staatseigenen Unternehmen war die Eintracht vor dem Absturz ins Amateurlager bewahrt worden, damit der Stadt der wichtigste Mieter für das teure WM-Stadion erhalten bleibt. Die Weltmeisterschaft im eigenen Lande zeigt sich eben nicht nur von ihrer schönen Seite. Auch in München nicht. Dort entsteht für die WM die modernste Fußballarena der Welt, doch die Bauherren vom FC Bayern und TSV 1860, die sich später das Stadion teilen wollen, plagt ein ausgewachsener Korruptionsskandal. Während über die Hintergründe ermittelt wird, könnten negative Begleiterscheinungen im sportlichen Bereich den Erfolg der Großinvestition beeinträchtigen. Was passiert, wenn sich die „Löwen“ auf längere Sicht aus der Erstklassigkeit verabschieden? Die Refinanzierung der WM-Arena basiert auf Zuschauereinnahmen zweier Fußballklubs, die abwechselnd Heimspiele auf höchstem Niveau austragen und im Falle der Bayern im internationalen Geschäft mitmischen. Wenn das Konzept nicht aufgehen sollte, müßten aus alter Erfahrung private Defizite wieder sozialisiert werden. Am WM-Standort Kaiserslautern ist dies längst zur bitteren Erkenntnis geworden.“

Ballschrank

Länderspiel-Mittwoch

SZ-Interview mit Michael Ballack („in Wirklichkeit bin ich ein ganz pflegeleichter Typ ohne Allüren“) – Rumänien gegen Deutschland, eine „Randnotiz der deutschen Fußball-Geschichte“ (FAZ) – „Fußball erlebt in Lettland derzeit einen starken Aufschwung“ (FAZ) – Roberto Baggio wird heute sein – vermutlich, vermutlich nicht – letztes Spiel im italienischen Nationaltrikot antreten – und sein erstes nach fünf Jahren u.v.m.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grimme-Preisträger so etwas gesagt hat
SZ-Interview mit Michael Ballack

SZ: Dies ist Ihr erstes umfangreicheres Interview nach langer Zeit. Sie haben sich zuletzt sehr rar gemacht. Weshalb?
MB: Das ist bedingt durch die letzten Wochen, speziell nach unserem Ausscheiden gegen Real Madrid in der Champions League, als die Kritik losging. Ich habe, wie andere auch, im Hinspiel ein sehr gutes Spiel gemacht und im Rückspiel eben nicht . . .
SZ: . . . da waren Sie durch eine fiebrige Erkrankung geschwächt.
MB: Ja. Es wurde ein Sündenbock gesucht, und der war ich. Ich musste unheimlich viel Polemisches und Unsachliches schlucken. Was mich ärgerte, war, dass ich vom FC Bayern öffentlich keine Unterstützung erhielt, nur vom Trainer. Außerdem haben sich wie immer Leute zu Wort gemeldet, die ihr Fähnchen sowieso nur in den Wind halten.
SZ: Meinen Sie mit unsachlicher Kritik, dass Ihnen trotz wichtiger Tore vorgeworfen wurde, Sie seien in schweren Spielen nicht zu sehen.
MB: Ich habe meine Wichtigkeit für den Verein und die Nationalmannschaft oft genug unter Beweis gestellt.
SZ: Sind sie überempfindlich gegen Kritik?
MB: Ich stelle mich berechtigter Kritik, aber ich kann differenzieren.
SZ: Tatsächlich wurden sie von Boulevardzeitungen und speziell vom Fachblatt Sportbild bei jeder Gelegenheit hart angegangen. Gibt es dafür einen persönlichen Hintergrund?
MB: Ja, das ist auffällig. Das war schon zu meiner Leverkusener Zeit so, aber ich kenne den Hintergrund nicht.
SZ: Beim FC Bayern heißt es, Sie seien ein schwieriger Spieler. Was könnte damit gemeint sein?
MB: Das kann nur ein Kompliment sein, sie wollen ja immer schwierige Typen. Ich habe mich halt manchmal gegen öffentliche Aussagen gewehrt, das zeigt doch, dass ich Charakter habe. Wenn sich bestimmte Leute zu Wort melden, deren Meinung mir wichtig ist, wie Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß, Ottmar Hitzfeld oder Franz Beckenbauer, sage ich eben manchmal was dazu. Vielleicht gilt das als schwierig. Aber in Wirklichkeit bin ich ein ganz pflegeleichter Typ ohne Allüren.
SZ: Gerade auch von den Verantwortlichen des FC Bayern sind Sie oft kritisiert worden. Liegt das daran, dass die in ihren Erwartungen enttäuscht sind?
MB: Glaub“ ich nicht, die haben ja einen torgefährlichen Mittelfeldspieler gesucht. Diese Erwartung habe ich in der vergangenen und in der laufenden Saison erfüllt. Aber sie verlangen halt noch mehr von mir, das ist auch in Ordnung. Natürlich waren die Erwartungen an die Mannschaft in dieser Saison größer. Wir wollten in der Champions League weiter kommen nach der Enttäuschung des vergangenen Jahres. Aber gegen Real Madrid auszuscheiden ist keine Schande.
SZ: Dennoch, an Ihnen wird besonders herumgemäkelt. ARD-Kritiker Günter Netzer hat Ihnen sinngemäß einmal die Befähigung zu einer Führungsrolle abgesprochen, weil Sie dem Erziehungssystem des DDR-Sports entsprungen sind.
MB: Das hat mich nicht getroffen. Ich hab“ damals gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Grimme-Preisträger so etwas gesagt hat. Dabei bleibe ich auch.
SZ: Sehr diplomatisch . . . Bayern-Chef Rummenigge hat zur Winterpause erklärt, nun, da Sie verletzungsfrei seien, werde man den besten Ballack seiner Karriere erleben. Sie spielen eine durchwachsene Rückrunde, mit guten, aber auch mit mäßigen Spielen.
MB: Er hat gleichzeitig gesagt, wir müssen ihn mal in Ruhe lassen und dürfen nicht jede Woche an ihm herumnörgeln. Daraufhin habe ich gesagt: Das ist aber ein guter Vorsatz vom FC Bayern, mal gucken, wie lange der vorhält. Vier Wochen später war es das alte Lied.

Randnotiz der deutschen Fußball-Geschichte

Michael Horeni (FAZ 28.4.) attestiert dem heutigen Spiel in Rumänien Bedeutungslosigkeit: „Der Countdown zur Europameisterschaft läuft, die letzten Plätze im Kader von Rudi Völler sind zu vergeben, der stärkste Gegner vor dem deutschen Auftaktspiel in Portugal gegen die Niederlande wartet: Mit einem gewissen marktschreierischen Geschick könnte der Auftritt der deutschen Nationalmannschaft gegen Rumänien durchaus zu einer peppigen Angelegenheit hochgeredet werden. April, April. Tatsächlich dürfte der rund vierunddreißigstündige Kurzaufenthalt von Völlers Team in Bukarest nicht mehr als eine Randnotiz der deutschen Fußball-Geschichte abgeben. Eingezwängt zwischen zwei Bundesligaspieltagen in der Schlußphase der Saison und trotzdem noch immer meilenweit vom Sommerturnier in Portugal entfernt, macht zumindest Kapitän Oliver Kahn keine falschen Worte mehr um eine Begegnung von eng begrenztem Wert. „Der schwierigste Termin ist dieser April“, sagt der Münchner Torwart – und gibt selbst offen zu, in Gedanken voll und ganz damit beschäftigt zu sein, „noch die deutsche Meisterschaft zu gewinnen“. Bayern zuerst, Deutschland kann noch ein bißchen warten. So wie Kahn geht es derzeit zahlreichen deutschen und europäischen Profis, denen der Sinn vor allem nach ihren Arbeitgebern steht. Daher findet es der Kapitän auch ganz vernünftig, daß andere Nationen den Länderspieltermin im April einfach sausenlassen – was die Deutschen im kommenden Jahr aus guten Gründen nachmachen.“

Letten legen nach Niederlagen der Deutschen Blumen vor der Botschaft ab

„Fußball erlebt in Lettland derzeit einen starken Aufschwung“, teilt Robert von Lucius (FAZ 28.4.) mit: „Gewiß, am 1. Mai wird Lettland Mitglied der Europäischen Union. Aber das wichtigste Ereignis des Jahres werde für viele Letten die Teilnahme an der Fußball-Europameisterschaft einige Wochen danach sein, behauptet die für Europapolitik zuständige Beamtin im lettischen Außenministerium. Und sie hebt leicht resignierend, aber auch verständnisheischend die Schultern. Mit dem EU- sowie dem Nato-Beitritt reiht sich der mittlere der drei baltischen Staaten in eine Werte- und Sicherheitsgemeinschaft ein; mit dem anderen stärkt es sein Selbstbewußtsein und seine nationale Identität ein Dutzend Jahre nach der Befreiung von Moskau – und hat außerdem Spaß. Dabei war zumindest bis vor kurzem Fußball in Lettland weniger beliebt als Eishockey und Basketball. (…) Das bevorstehende Abenteuer in Portugal ist längst Kneipengespräch in Riga. Männermagazine wie „Klubs“ drucken umfassende Gespräche mit dem Nationaltrainer Aleksandrs Starkovs als Aufmacher. Maris Verpakovskis gar – der Stürmer schoß stets die Siegtore, sechs insgesamt auf dem Weg nach Porto – wurde zum „europäischen Letten des Jahres“ gewählt: eine Ehre, die im Jahr davor die Präsidentin erhalten hatte. Letten haben nicht viele Möglichkeiten, neue Nationalhelden zu finden, Politiker zumindest geben sie ihnen selten. Verbindungen zum deutschen Gegner gibt es allenthalben in dem Land, das über Jahrhunderte der Hanse von deutscher Kultur geprägt wurde. Zeitungen berichten nicht nur über die lettischen Vorbereitungen, sondern auch darüber, daß der DFB, der Rivale also, logistische Hilfe leistet. Letten sind freundliche Menschen und revanchieren sich, indem sie nach Niederlagen der Deutschen Blumen vor der Botschaft ablegen. Und fast jeder Lette weiß, daß die Großeltern von Oliver Kahn in Liepaja (Libau), der größten Stadt des einstigen Kurland, geboren wurden, einem der Orte mit einer erfolgreichen Mannschaft in der ersten Liga. Daß der Torhüter das Land der Vorfahren bisher nicht besuchte, fällt da nicht ins Gewicht. Viele Fans dürften nicht nach Portugal fahren; meist werden sie es sich nicht leisten können, da Lettland das ärmste der zehn Beitrittsländer der EU ist. Vor allem zwei Gruppen werden sich um die 6000 Karten bemühen, die für Letten reserviert sind: wohlhabende Unternehmer und deren Söhne sowie die Gruppe der „Westletten“. Jene Letten also, die in den Jahren sowjetischer Herrschaft in das westliche Exil gingen und etwa in Großbritannien zu Anhängern von Chelsea oder Arsenal (das an Verpakovskis interessiert sein soll) wurden.“

Italien hat niemals von ihm lassen können

Roberto Baggio wir heute, nach fünf Jahren Absenz, sein Abschiedsspiel im italienischen Trikot geben; wird es wirklich sein Abschiedsspiel? Christof Kneer (BLZ 28.4.) zweifelt daran und erklärt, warum: “Bis heute hat sich die Welt nicht einigen können, was für ein Wetter damals war. In manchen Überlieferungen ist in heiligem Ernst von einem bewölkten Himmel die Rede, andere Chronisten schwören, es habe eine unerbittliche Sonne gebrannt im Himmel von Pasadena. Es ist meistens kein gutes Zeichen, wenn einem der Fußball meteorologisch kommt. Es ist dann meistens etwas passiert, und offenbar muss man dann, um die historische Dimension zu begreifen, in den Himmel starren. An diesem 17. Juli 1994 aber hing der Himmel nicht nur als Rahmenhandlung herum, er spielte mit. Der Himmel wusste gar nicht, wie ihm geschah, als ein Mann mit Zopf plötzlich einen Lederball so steil nach oben sandte, als sei da oben noch ein zweites Tor. Roberto Baggio ist diesen Elfmeter nie wieder los geworden. Es ist seine Weltmeisterschaft gewesen, damals in den USA, und vielleicht war es nur folgerichtig, dass er sie auch beendete. Neun Minuten und elf Sekunden hatte das Elfmeterschießen schon gedauert im langsamsten WM-Finale (0:0) aller Zeiten, als Baggios Fehlschuss Brasilien zum Weltmeister machte. Im Geschichtsbuch wird jetzt für immer stehen, dass Brasilien 3:2 siegte – und man muss schon tiefer blättern, um jene Heldentaten Baggios zu finden, die das Finale erst möglich machten. Man muss es immer noch mal sagen: Baggio schoss im Achtelfinale beide Tore beim 2:1 gegen Nigeria. Baggio schoss im Viertelfinale den Siegtreffer zum 2:1 gegen Spanien. Baggio schoss im Halbfinale beide Tore beim 2:1 gegen Bulgarien. Aber vielleicht steckte so viel Baggio in diesem Turnier, dass nicht mehr viel übrig war für danach. Man konnte noch nicht wissen damals, dass mit Baggios steilstem Schuss der steilste Punkt seiner Laufbahn schon erreicht war. Als der Ball herunter fiel aus dem möglicherweise bewölkten Himmel, fiel mit ihm auch die Karrierekurve des wohl begabtesten Profis, den Italien je gesehen hat. Aber Italien hat niemals lassen können von Roby, dem bezopften Genius, der mit seiner schrillen Kunstfertigkeit immer wie ein Anarchist wirkte im Lande des ergebnisgeprägten Dressurfußballs.“

Er ist das Unmögliche, das möglich wird

Birgit Schönau (SZ 28.4.) fügt hinzu: „Für das Freundschaftsspiel gegen Spanien an diesem Mittwoch in Genua hat Giovanni Trapattoni Baggio ins Nationalteam berufen, „als Hommage an seine Karriere“. Auf Druck der öffentlichen Meinung könnte man es auch bürokratisch ausdrücken, denn seit fünf Jahren fordern die Fans Baggios Rückkehr in die Nationalelf. Nach 55 Spielen, drei Weltmeisterschaften und 27 Toren war Roberto Baggio seit 1999 einfach nie mehr berufen worden. Offiziell aus technischen Gründen. In Wirklichkeit ist Baggio, der den Fußball im kleinen Zeh hat wie außer ihm in Italien vielleicht nur noch der Römer Francesco Totti, einer, über den sie sagen, man könne ihn auf jede Position stellen und sei es ins Tor – in Wirklichkeit also ist Baggio einfach nur ein rotes Tuch für fast jeden Trainer gewesen. Zu aufsässig, zu selbstbewusst, zu individualistisch. Mit Marcello Lippi hat er sich zerstritten, weil er auf der Chilischote im Salat bestand, die nicht zum Diätplan bei Juventus Turin gehörte. Arrigo Sacchi hat er bei einer Auswechslung den Vogel gezeigt und beim Elfmeterschießen im WM-Finale gegen Brasilien den entscheidenden Schuss weit über die Torlatte gedonnert. Es war der 17. Juli 1994, der schwärzeste Tag in Baggios Karriere. Dabei hat ihn dieser verschossene Elfmeter, der Italien den Titel kostete, noch populärer gemacht. Italiener lieben die Brüche in ihren Helden, die Fehler durch Menschlichkeit, sie verehren Roberto Baggio wegen seiner Genialität, mehr aber noch wegen seiner Fähigkeit zum Wiederaufstehen. Baggio ist für sie der Odysseus des Fußballs. „Wenn wir Baggio sehen, werden wir alle Kinder“, hat der Sänger Lucio Dalla geschrieben. „Er ist das Unmögliche, das möglich wird.““

Montag, 26. April 2004

Ballschrank

Bundesliga

30. Spieltag im Pressespiegel
„stille schwäbische Genießer mit Jagdlust“ (FAZ); „zynische Stuttgarter Minimalisten – souverän spielende Stuttgarter setzen um, was sie in der Champions League gelernt haben“ – Bayer Leverkusen beeindruckt die Beobachter – „Pfiffe, Spott und Versagensangst“ (FAZ) in Mönchengladbach – „Max trifft und trifft und trifft – aber Völler meldet sich nie“ (FAZ) – Dieter Hoeneß sagt’s mit Blumen u.v.m.

Allgemein

Im Gleichschritt von Sieg zu Sieg

Andreas Burkert (SZ 26.4.) freut sich über die Aufholjagd der Leverkusener und Stuttgarter: “Klaus Augenthaler und Felix Magath gelten nicht gerade als Exzentriker ihrer Gilde. Sie toben sich lieber unter der Woche aus, um samstags höchstkritisch und mit in vielen Profijahren erarbeiteter Gelassenheit den Lerneffekt zu überprüfen. Dass sie nun nicht vor Glück die ganze Welt umarmen, obschon sie im Gleichschritt von Sieg zu Sieg eilen, lässt sich einfach erklären. Denn nach dem Abpfiff werden sie an den Winter zurückdenken müssen. Als sie die Meisterschaft verspielten. Wer Bayer und Stuttgart zurzeit federleicht oder notfalls auch unterkühlt ihr Wochenwerk versehen sieht, versteht jedenfalls die Abneigung ihrer Trainer gegen Euphorie. Denn beide Teams haben meisterliches Talent, und bei Halbzeit lagen sie ja noch gleichauf mit Bayern und nur vier Zähler hinter Bremen. Doch dann kam der Schnee, worauf sie recht unkonventionell reagierten: Sie nahmen sich eine Auszeit. Wobei der VfB den Anfang machte, indem er noch vor der Pause daheim verlor (gegen Bayer) und nach Wiederbeginn nur fünf Punkte in fünf Partien sammelte – Magaths Winterschlusseinkäufe hatten sich nicht so schnell integrieren lassen; zudem mussten sich seine juvenilen Himmelsstürmer erst wieder mit dem Alltag arrangieren nach ihrem Abschied von Europas großer Bühne. Das dauerte. Leverkusen wiederum, Rekordmeister des Scheiterns, wählte routiniert die spektakuläre Variante: ein Pünktchen aus sechs Rückrundenspielen. So grandios war noch kein Titelkandidat abgestürzt. Das gefürchtete Virus Bayer-Phlegma, gepaart mit dem Bazillus Cliquenbildung – so lautete damals die Diagnose. Augenthaler lachte damals sogar. Aus Zynismus.“

Roland Zorn (FAZ 26.4.) beschreibt Kampf und Krampf am Tabellenende: „Angst, Panik, Entsetzen – im Tiefparterre der Liga mehren sich die existentiellen Momente und Gefühle. Ein Abstieg in die zweite Liga ist für alle, die es trifft, immer auch ein Schockerlebnis. Der Klassensturz ist gleichzusetzen mit einem Kassensturz: Mit der Zweitklassigkeit wächst die soziale Kälte. Entsprechend deutlich ist das Vokabular, das die fundamental bedrohten Verantwortlichen wählen. Der Kaiserslauterer Trainer Jara glaubt, daß seine Mannschaft „vielleicht immer das Messer am Hals braucht“; sein Mönchengladbacher Kollege Fach attestierte seinen Profis das Billigformat „C-Klasse“; der Berliner Fußball-Lehrer Meyer freute sich am Samstag unverhohlen, daß „die beiden (auch von ihm) Geschmähten – Bobic und Wichniarek – getroffen haben“. Vielleicht setzt sich am Ende der Keller-Darwinismus des Provokateurs Meyer durch; vielleicht aber behält auch der einfühlsame Freiburger Pädagoge Finke recht, dessen Team die sowieso schon beträchtliche Zahl der Abstiegskandidaten erhöhte: „Ich halte nichts von einem Angstszenario“, sagte Finke, „denn Angst schafft Streß, Streß schafft Unwohlsein, und die Spieler verkrampfen.“ Soviel zur Theorie. In der Praxis unterschied sich der Sport-Club in nichts von den anderen nahezu zweitklassig anmutenden Verlierern des Wochenendes.(…) Vier Spieltage vor Ultimo droht fast der Hälfte der Erstkläßler das Sitzenbleiberlos zum Saisonende. Nur der 1.FC Köln hat sich seit längerem vom Rennen um die Plätze über dem Strich verabschiedet. Doch vom 17. Platz bis zu den neuerdings auch mitzitternden Freiburgern auf Rang 11 wackelt die Liga bedenklich. Derart geschlossen schwach wie in dieser Spielzeit hat sich die Bel Etage des deutschen Fußballs selten präsentiert. Das Bild im Schlußdrittel ist symptomatisch für eine Saison, welche die Bundesliga nicht nur jenseits von Deutschland viel Ansehen kostete. Ganz unten ist traditionell viel Gewürge und Gestochere.“

Hannover 96 – VfB Stuttgart 0:1

Gegen den VfB gibt es nicht viele Chancen

Claus Dieterle (FAZ 26.4.) sieht ein langweiliges Spiel und chancenfreie Hannoveraner: „Es war beinahe wie bei einem Freundschaftsspiel. Als die Profis des VfB Stuttgart und von Hannover 96 ganz unaufgeregt und beinahe einträchtig die Baustelle AWD-Arena verließen, wäre niemand auf die Idee gekommen, daß es kurz zuvor immerhin um so wichtige Dinge wie die Qualifikation zur Champions League und den Kampf gegen den Abstieg gegangen war. Und beinahe hatte es den Anschein, als sei das Ergebnis eher Nebensache. Die Schwaben konnten es sich leisten, die Stätte ihres nicht ganz erwarteten Erfolges als stille Genießer zu verlassen. Aber auch die Niedersachsen erweckten nicht gerade den Eindruck, als hätten sie im Kampf um den Verbleib in der Eliteklasse soeben einen herben Rückschlag erlitten. Auch in den neunzig Minuten zuvor war es selten emotional hergegangen. Schiedsrichter Stefan Trautmann dürfte jedenfalls einen seiner angenehmsten Nachmittage in der Bundesliga erlebt haben. Es hat ja fast Seltenheitswert, wenn einer neunzig Minuten lang ganz ohne die Signalfarben Gelb und Rot auskommt. (…) Kampf und Leidenschaft, die Tugenden, die im Abstiegskampf zählen, kamen an diesem Samstag im Repertoire der Niedersachsen nicht vor. Und die Mittel, der mit 18 Gegentreffern besten Abwehr der Liga spielerisch beizukommen, besaß Hannover 96 nur in jener kurzen Phase nach dem Stuttgarter Führungstreffer. „Gegen den VfB gibt es nicht viele Chancen, und wenn du die nicht nutzt, dann hast du keinen Punkt verdient“, sagte Trainer Ewald Lienen, den die erste Niederlage nach fünf Spielen dann doch zu ärgern schien. Vor allem, weil der sogenannte Sturmlauf in der zweiten Halbzeit stets in den geschickt postierten Auffangreihen des VfB hängenblieb. „Das sah gegen so einen abgezockten Gegner manchmal schon hilflos aus“, bekannte auch Per Mertesacker, der mit seinen 19 Jahren zur festen Größe geworden ist. Die größte Gefahr für VfB-Torhüter Timo Hildebrand ging von zwei Flaschen aus, die von hinten aus dem Fanblock in Tornähe segelten.“

Das Publikum lässt sich so auf Dauer nicht entflammen

Jörg Marwedel (SZ 26.4.) ergänzt: „Es war auch der Preis für Lienens Linie, zu Gunsten größerer Disziplin in den hinteren Reihen auf fußballerische Qualität zu verzichten. Während sich auf dem Rasen also spielerisch limitierte Kämpfer wie Schuler, Zuraw oder Dabrowski mit der silbernen Kugel abmühten und Kapitän Lala in der Zentrale überfordert war, den Balleroberer und Lenker in Personalunion zu geben, schauten die meisten Artisten und Kreativen des 96-Kaders von außen zu, wie sich die Kollegen im übervölkerten Mittelfeld gegenseitig im Wege standen: der Brasilianer Kleber und But saßen auf der Ersatzbank, die Routiniers Jaime, Konstantinidis, Abel Xavier und der bisherige Spielmacher Krupnikovic gar auf der Tribüne. Bei der Auswahl seines Personals für den Abstiegskampf hat Lienen weder Rücksicht auf Namen noch auf Spielkultur und schon gar nicht auf Sportdirektor Ricardo Moar genommen, der fast alle Ausgebooteten geholt und als große Verstärkungen gepriesen hatte. Mag sein, dass der Trainer mit diesen Maßnahmen und seiner akribischen Trainingsarbeit zum Retter wird und den Klub vor dem Abstieg bewahrt; das Publikum, das zeigte die Stille, lässt sich so auf Dauer nicht entflammen.“

Bayer Leverkusen – Borussia Dortmund 3:0

Attraktiv, aber auch ein bißchen dämlich

Jörg Stratmann (FAZ 26.4.) ist von Leverkusen begeistert: „Auch diese Einstellung hat Stefan Reuter zur derart langen Karriere als Fußballprofi verholfen: Er habe sein hartes Metier über die zwanzig Jahre schätzengelernt, sagt der 37 Jahre alte Franke auf Abschiedstour. „Ich genieße es.“ Insofern hätte ihm anläßlich seines 500. Bundesligaspiels nichts Besseres geschenkt werden können als ein sehenswertes Fußballspiel mit Toren und gelungenen Spielzügen. Doch diesmal stand er auf der falschen Seite. Mehr als einen Blumenstrauß gewährte man ihm nicht zum Jubiläum. Als Reuter nach sechzig Minuten den Rasen verließ, war das Spiel seines Teams bei der Mannschaft der Stunde längst verloren. Mit 0:3 stand das Endergebnis fest, obgleich Bayer Leverkusen auch danach in seinem bislang besten Saisonspiel all das bot, was nicht nur Reuter an seinem Sport so mag. Die Enttäuschung der Dortmunder, zuletzt sechsmal ungeschlagen, hielt sich deshalb in Grenzen. Reuter erkannte die Leverkusener Leistung ohne Umschweife an. Auch sein Trainer Matthias Sammer, sonst stets gern bereit zu besonders kritischer Analyse, empfahl, das Erlebnis dieser 50. Begegnung beider Teams schnell abzuhaken. „Wir sind gegen die Wand gefahren“, sagte er. Nur kurz versuchte Sammer, die Unterlegenheit der Seinen vor allem mit Personalnot zu erklären. Doch gab er auch zu, daß die Borussen trotz der zuletzt ansteigenden Form offensichtlich schon mit düsteren Ahnungen angereist waren. Nicht allein, weil sie bei Bayer seit zwölf Jahren ohne Erfolgserlebnis geblieben waren. Wenn er sich vor dem Spieltag hätte aussuchen dürfen, wo er momentan lieber nicht anträte, dann hätte er Bayer Leverkusen gewählt, sagte Sammer, nachdem er sich in seinem indirekten Lob bestätigt gesehen hatte: „Leverkusen steht stabil in der Abwehr, kombiniert sicher und schießt Tore.“ Zu diesem gelungenen Bild trugen die Dortmunder bei, indem sie anfangs mit beherzter Offensive mithalten wollten. „Attraktiv, aber auch ein bißchen dämlich“, wie Sammer befand. Denn dabei blieben sie spätestens in Bayers Dreierabwehr Lucio, Nowotny und Juan hängen und wurden prompt mit zwei Gegenangriffen ausgehebelt, die wie aus einem Lehrfilm wirkten.“

Die Ernsthaftigkeit der Augenthalerschen Worthülsen

Erik Eggers (FR 26.4.) schildert Leverkusens Wille zur Bescheidenheit: „Die Sprache des Fußballs ist bekanntlich ein Fass voller Phrasen, das nach jedem Spiel wieder aufgemacht wird. Auch Klaus Augenthaler bemühte nach dem glorreichen 3:0 diverse Banalitäten und Gemeinplätze, um vor dem ach so süßen Gift des Erfolges zu warnen. „Ich werde schon dafür sorgen, dass alle auf dem Boden bleiben“, sagte der Coach von Bayer Leverkusen in der Pressekonferenz, weil die Mannschaft nun sieben Punkte Vorsprung auf den BVB besitzt und der angestrebte Uefa-Cup-Platz fast gesichert ist. Und wenn das Bayer-Faktotum Reiner Calmund neben ihm gesessen hätte, dann wäre ganz sicher von den berühmten Bleischuhen die Rede gewesen, die den leichtsinnigen Profi vor dem Abheben bewahren sollen. Für den Stürmer Dimitar Berbatow wären all diese Warnungen freilich nicht mehr nötig gewesen, hatte er doch schon während des Spiels auf handfeste Art mit der Ernsthaftigkeit der Augenthalerschen Worthülsen Bekanntschaft gemacht. Der Bulgare, der sich seit Wochen in großer Form befindet, hatte zweifellos erneut einen Glanztag erwischt: Der Ball klebte ihm in der ersten Halbzeit geradezu am Fuß, das atemberaubende Tor zum 2:0 hatte er mit einem Pass auf Bastürk lehrbuchreif eingeleitet, und überhaupt bewies er vor allem als Vorbereiter seine Stärken. Als Krönung seines famosen Auftritts hatte ihn Jörg Butt sogar den Elfmeter zum 3:0 schießen lassen. Nun, kurz nach der endgültigen Entscheidung, ließ er sich gebührend feiern und verfiel in eine Lässigkeit, die seinen Trainer ziemlich wütend werden ließ. Es geschah nach einem Befreiungsschlag Juans, der steil an der Außenlinie herunterfiel. Berbatow köpfte diesen Ball nicht ins Feld, das erschien ihm vermutlich zu profan. Der 23-Jährige versuchte, ihn kunstvoll mit der Ferse vor dem Aus zu retten – und verpasste. Berbatows Pech war, dass sich diese Szene fast unmittelbar vor der Leverkusener Bank ereignete. Und weil er nicht sofort nachsetzte, stürmte nun ein entfesselter Augenthaler auf ihn zu und schubste ihn wild auf das Spielfeld zurück, nach dem Motto: Laisser-faire verboten, lamentieren kannst du noch hinterher. Was Berbatow dachte, verriet sein entsetzter Blick: Der spinnt, der Trainer.“

Hansa Rostock – Schalke 04 3:1

Frage des Stolzes

Nicht nur Matthias Wolf (BLZ 26.4.) hält Martin Max für EM-tauglich: „Bei Hansa reifen bereits die ersten Zukunftspläne. „Wir müssen jetzt lernen, den Kopf zu drehen und nach oben zu schauen“, erklärte Aufsichtsratschef Horst Klinkmann: „Das ist nicht so einfach, wenn man jahrelang voller Angst nur nach unten auf das schwarze Loch vor sich geblickt hat.“ Jetzt hoffen sie wieder auf die Teilnahme am UI-Cup. „Schon jetzt ist ja Hansa sehr positiv im Gespräch“, sagte Klinkmann und blickte dankbar hinüber zu jenem Mann, der seine Saisontore siebzehn und achtzehn erzielt hatte und den Ausgleich von Razundara Tjikuzu vorbreitet hatte. Martin Max bewies Spurtstärke, trotz seiner bald 36 Lenze. Vor dem Tor sowieso, und auch noch nach dem Spiel. Immer wenn ihn einer auf die Nationalelf ansprach, sagte er: „Ich werde nie mehr für die Nationalelf spielen“, und verdrehte die Augen: „Dabei bleibt es.“ Ob das nicht eine Schande sei, mit nur einem Länderspiel abzutreten? Wo der Deutsche Fußball-Bund doch vor der Europameisterschaft ein Sturmproblem habe? „Ja, das ist schade“, sagte Max, „aber ich habe das ja nicht so gewollt.“ Er ist gekränkt, seit er vor zwei Jahren Torschützenkönig war und dennoch nicht berufen wurde. Auch in dieser Saison, sagt Max, habe es keinen Kontakt zu Teamchef Rudi Völler gegeben, der gesagt hatte, er wolle Max im Auge behalten. Das war wohl eher eine Behauptung, um sich lästige Fragen vom Hals zu halten. „Das ist mir auch egal, ob er sich meldet oder nicht“, sagte Max, „es gibt Wichtigeres. Auch die Torjägerkanone ist unwichtig. Für mich zählt nur Hansas Rettung.“ Max‘ Leistung sei nie gewürdigt worden“, sagte auch Klinkmann. „Seine Absage ist jetzt eine Frage des Stolzes.“ Mathias Schober sprach sogar davon, sein Freund sei jahrelang vom DFB „nur vorgeführt worden. Ist doch verständlich, dass er jetzt nicht mehr will.““

Hertha BSC Berlin – 1. FC Kaiserslautern 3:0

Ich schicke gern und oft Blumen

Michael Jahn (BLZ 26.4.) erlebt Fredi Bobic erleichtert: „Endlich einmal wieder im Mittelpunkt zu stehen – und zwar auf dem Platz – tat dem 32-Jährigen aber offenbar gut, wie im Olympiastadion eindrucksvoll zu besichtigen war. Zu seinem insgesamt beeindruckenden Arbeitsnachweis gehörte diesmal auch Ungewöhnliches: Bobic rettete nach 80 Minuten zweimal im eigenen Strafraum auf der Linie. Das war sogar dem Stadionsprecher eine Ansage wert: „Und mit der Nummer 13 rettete zweimal auf der Linie: Fredi Bobic.“ Das Publikum hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst mit dem Mittelstürmer versöhnt (…) Manager Hoeneß sorgte ungewollt für Aufregung, nachdem Kaiserslauterns Boss René Jäggi den Manager im Fernsehen süffisant als „Rosenkavalier“ tituliert hatte. Hoeneß habe der Frau eines Lauterer Profis Blumen geschickt, was nichts Anderes als einen unlauteren Abwerbungsversuch und außerdem bewusste Ruhestörung im Abstiegskampf bedeute. Hoeneß wollte den Rosenkavalier nicht als Beleidigung ansehen („Ich schicke gern und oft Blumen“), gab aber zu, dass er in diesen Tagen Kontakt zu einigen Spielern aufnehmen werde. „Es ist doch schon April und unsere Personalplanungen ohnehin kompliziert.“ Er habe „vor dem Spiel mit keinem Profi aus Kaiserslautern gesprochen“. Trotzdem wurde publik, dass der Adressat der Blumen Vratislav Lokvenc war, was ein Lauterer Blumenhändler artig auf den Betzenberg hinauf gemeldet hatte. Was die Angelegenheit besonders pikant macht: Lokvenc ist Mittelstürmer – und zwar einer, der wohl kaum zu Bobic passt. So wurde ausgerechnet an jenem Tag, den Bobic als kleiner Held beendete, sozusagen durch die Blume publik, dass Hertha sich offenbar längst nach Alternativen für ihn umsieht.“

Blumenläden in Kaiserslautern melden so etwas

Javier Cáceres (SZ 26.4.) dementiert: „Dass Meyer trotz des (gern gepflegten, aber unzutreffenden) Rufes als Rosenzüchter nicht verdächtigt wurde, die Blumen für Frau Lokvenc geschnitten zu haben, lag an Jäggi: Der FCK-Boss outete den von Hertha beauftragten Händler als Kundschafter im Dienste der Pfälzer: „Blumenläden in Kaiserslautern melden so etwas.““

Dotterblumen symbolisieren Reichtum

Ludger Schulze (SZ 26.4.) ordnet Dieter Hoeneß’ Methoden der Spielerwerbung ein: „Das übliche Schmiermittel bei Abwerbungsversuchen ist – Kohle. Mammon. Kies. Wer den Spieler A zum Wechsel von Klub X zu Verein Y zu überreden trachtet, tut gut daran, ihn damit zuzuschmeißen. Sag’s mit Zaster. Das ist immer so. Unterschiedlich ist nur das Wie. Bayern-Manager Uli Hoeneß unterbreitete seinem Kumpel Paul Breitner, der damals, 1977, in Diensten des Schnapsfabrikanten Jägermeister in der Braunschweiger Provinz herummoserte, sein Angebot auf einem Bierdeckel. Breitner erlag dem Liebeswerben dank einer sechsstelligen Zahl: 750 000 Mark pro Jahr. Bei Zinedine Zidane war die Summe weit höher, doch der Flirt mit Real Madrid begann ähnlich. Anlässlich eines Banketts schob Präsident Florentino (!) Pérez dem Star eine Serviette zu, auf die er die folgenreiche Frage gekritzelt hatte: „Möchtest Du in Madrid spielen?“ Zidane mochte. Nun, da die Gelder knapper sind, werden die Methoden einfallsreicher. Der Berliner Hertha-Manager Dieter Hoeneß hat eben sein Interesse an dem Kaiserslauterer Stürmer Vratislav Lokvenc bekundet, indem er dessen Gattin einen Strauß Blumen schicken ließ, vermutlich durch Fleurop. Es ist nicht bekannt, ob Frau Lokvenc das Gebinde „Mein Engel – leicht luftig, fröhlich, freundlich“ für 22,50 Euro erhielt oder „Viva – Dieser Strauß strahlt das pralle Leben aus“ für 24,50. Weil Hoeneß als feinfühliger Mann gilt, ist es möglich, dass im Bouquet Dotterblumen enthalten waren. Die symbolisieren: Reichtum. Auch wenn das den Erkenntnissen der Heiratsvermittlerin Marina Fedorova widerspricht, die davon abrät, Damen aus Osteuropa gelbe Blumen zu überreichen, weil die dort für Abschied und Tod stehen.“

Rosenkavalier

Michael Reinsch (FAZ 26.4.) fügt hinzu: „“Es ist wohl das Gesetz dieser Branche, daß die Spieler sich um ihre Zukunft und nicht um die des Vereins kümmern“, klagte Vorstandsvorsitzender René C. Jäggi bitter und warf seinen Profis vor, geistig abwesend gewesen zu sein. Seine Mannschaft war auch im Berliner Olympiastadion aufgetreten, als gälte für sie die Devise „Rette sich, wer kann“. Drei Treffer – von Marcelinho, von Artur Wichniarek und von Fredi Bobic – und drei Punkte für Berlin, und schon rundete sich das kontrastreiche Bild von Hertha und FCK, von Hauptstadt und Provinz, von Rosenkavalier und Truppe, die auf fremden Plätzen keinen Blumentopf gewinnen kann. Optimistisch scheinen die Berliner in ihre Mannschaft der Zukunft zu investieren, während die hochverschuldeten Pfälzer nicht nur im Fall des Abstiegs froh sein müssen um jeden Profi, der geht, ob er nun eine Ablösesumme bringt oder nur eine Entlastung der Personalkosten. Seit der Begegnung vom Samstag jedenfalls steht der wegen Lizenzverstoßes vor einem Jahr mit Punktabzug belastete 1. FC Kaiserslautern hinter der Hertha; die Berliner sind vom drittletzten Platz hinaufgerückt – und sehen vorerst hinter sich den Strich, der den Verbleib in der ersten Liga bedeutet. „Vielleicht braucht die Mannschaft das Messer am Hals“, knurrte der Trainer der Kaiserslauterer, Kurt Jara. „Sie hat gezeigt, daß sie mit Druck umgehen kann; jetzt muß sie es wieder beweisen.“ Drei der letzten vier Spiele der Saison darf der FCK in seinem längst verkauften Stadion auf dem Betzenberg austragen – ein Glück.“

Fröhliches Querfeldeinjoggen

Christof Kneer (BLZ 26.4.) sorgt sich um den 1. FC Kaiserslautern: “Nenad Bjelica hat ein schönes Trikot, und das Beste ist eindeutig die Rückseite. Das Schönste an diesem Textil ist nämlich, dass schön leserlich Bjelica draufsteht, so dass man endlich weiß, wer dieser Bursche ist, der da von der Pfälzer Presse so ausdauernd befragt wird. Als Faustregel gilt, dass sich die Hierarchie einer Elf am besten in der Interviewzone ergründen lässt. Die Mitläufer laufen mit und entkommen sodann unbefragt, die Anführer stellen sich. Nenad Bjelica ist also ein Anführer, und vielleicht ist das schon alles, was man über den 1. FC Kaiserslautern wissen muss. Es stecken keine Stars mehr im Jersey des ruhmreichen FCK, aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass man nicht weiß, wer überhaupt drin steckt. Es sind Sportler namens Bjelica, Malz und Nurmela, und wer ihnen in Berlin beim fröhlichen Querfeldeinjoggen zusah, fragte sich, wie diese Elf auf 31 Punkte kommen konnte. Es gilt als Trend dieser Saison, dass alle gefährdeten Teams dramatische Konstruktionsfehler aufweisen. Sie sind so schlecht gebaut, dass sie nur eine Chance haben, weil die anderen genauso schlecht gebaut sind. Sie haben alle irgendwo ihre Löcher: die Frankfurter im Sturm, die Berliner auf den Flanken, die Sechziger im zentralen Mittelfeld, Gladbach, Hannover, Wolfsburg und Freiburg in der Abwehr. Vermutlich ist der FCK die einzige Kellerelf, die gleichmäßig gemischt ist. Er hat hinten nicht viel, in der Mitte nicht viel und vorne nicht viel.“

Borussia Mönchengladbach – VfL Wolfsburg 0:2

Das ist C-Jugend

Richard Leipold (FAZ 26.4.) sorgt sich um Borussia Mönchengladbach: “Noch hilft der Blick auf die Tabelle, wenn die Verantwortlichen von Mönchengladbach sich Mut machen wollen. „Wir stehen nicht auf einem Abstiegsplatz“, sagte Sportdirektor Christian Hochstätter. Die Mannschaft könne den Klassenverbleib in den letzten vier Runden aus eigener Kraft erreichen. Hinter diesem Hinweis versteckte sich die einzige Erfolgsmeldung des Wochenendes für die Borussen. Denn gegen den VfL Wolfsburg hat Trainer Holger Fach mit seiner Mannschaft, wie angekündigt, einen „großen Schritt“ gemacht – allerdings in die falsche Richtung. Nach dem 0:2 gegen die chronisch auswärtsschwachen Niedersachsen tun sich vor den Gladbachern tatsächlich aber sportliche Abgründe auf. Mögen Führungskräfte wie Spieler aus dem Tabellenstand einen Rest an Zuversicht schöpfen – Daten und Fakten aber vermögen nicht zu überdecken, wie hilflos die Borussen am nicht mehr allzu furchteinflößenden Bökelberg aufgetreten sind. Nach der Pause haben sie gekickt, als wären sie dem Abstieg geweiht und hätten die Hoffnung längst fahrenlassen. Von den eigenen Fans wurden sie ausgepfiffen und verspottet. Den geballten Mangel an Klasse und Courage spiegelte der mißlungene, genaugenommen gar nicht vorhandene Versuch, den zweiten Treffer zu verhindern. Als Außenverteidiger Carnell behandelt wurde, blieb die linke Abwehrseite unbesetzt, und Mirolav Karhan hatte freie Bahn; er lief und lief und lief, und als er rund sechzig Meter mit dem Ball am Fuß zurückgelegt hatte, schoß er wie selbstverständlich ins Tor – immer noch beobachtet, aber nicht bedrängt von den Statisten in weißen Trikots. „Da kannst du nur noch hoffen, daß du einen guten Torwart hast, der vielleicht den Ball hält“, sagte Hochstätter. Aus der Perspektive des Torhüters war es unmöglich, die Versäumnisse der Vorderleute auszugleichen. Jörg Stiel blieb nur „die Hoffnung, daß Karhan unterwegs müde wird“. Statt sich des Ballführenden anzunehmen, spielten die vermeintlichen Gladbacher Widersacher im Kopf Doppelpaß mit der Angst. „So ein Tor darf in der ersten Liga nicht fallen. Keiner ist nach außen gerückt, weil jeder Angst hatte, daß der Gegner, der dann frei wird, an den Ball kommt und das Tor macht“, schimpfte Fach. „Ehrlich gesagt: Wenn man in so einer Situation bei seinem Mann bleibt, ist das C-Jugend.““

Eintracht Frankfurt – SC Freiburg 3:0

Wenn man gewinnt, hat man als Trainer immer viel richtig gemacht

Michael Horeni (FAZ 26.4.) wundert sich über die Lässigkeit Willi Reimanns: “Ein übertrieben aufgeregtes Verhalten im Abstiegskampf wird man Willi Reimann kaum nachsagen können. In der vergangenen Woche bemerkten die Beobachter der Eintracht leicht ungläubig, wie sich die Frankfurter auf das Saisonfinale mit dem ersten Duell gegen den SC Freiburg vorbereiteten. Am Mittwoch blieb es – wie üblich – beim trainingsfreien Tag, den der Trainer gerne nutzt, um eine Partie Golf zu spielen. Am Donnerstag, als die Sonne kräftig schien, strich Reimann das Training am Nachmittag. „Zu heiß“, wie er fand. So brachte der Abstiegskandidat, der sich in einer ausgewachsenen Krise mit fünf Niederlagen nacheinander befand, in der wichtigen Vorbereitungswoche gerade vier Übungseinheiten hinter sich, dazu noch das Abschlußtraining. Von Trainingslagern oder anderen besonderen Maßnahmen in außergewöhnlichen Situationen distanzierte sich Reimann ausdrücklich, und als er von seinem Tribünenplatz im Waldstadion heruntergeklettert war, um den hochverdienten Sieg zu erläutern, sagte er, ohne Widerspruch fürchten zu müssen: „Wenn man gewinnt, hat man als Trainer immer viel richtig gemacht.“ So ist das eben im Abstiegskampf, der ganz offensichtlich Gesetzen gehorcht, die mit moderner Trainingslehre oder innovativer Motivationslehre nicht viel gemein haben müssen. Die Frankfurter Eintracht hat über die Jahre ohnehin so ihre Erfahrungen mit nervenaufreibenden Saisonfinals gemacht, und nun fühlen sich die Experten für Rettung und Aufstieg in letzter Minute wieder vollständig wettbewerbsfähig (…) Ob aus dem Miniaufschwung der Eintracht noch eine wundersame Rettung wird, ist jedoch weiter sehr fraglich. Die Frankfurter haben mit drei Auswärtsspielen das formal schwerste Programm aller Abstiegskandidaten. Aber das zweite Phrasengesetz im Abstiegskampf lautet für gewöhnlich, daß es in dieser Phase der Saison keine leichten und schweren Gegner mehr gibt, sondern daß es nur noch auf die eigene Stärke ankommt.“

morgen an dieser Stelle: Pressestimmen über die Spiele in Bochum und München

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

Ballschrank

Sonstiges

TV-Tipp (FTD): die Berner Helden 54 waren auch „Ackerfußballer“ – ein Holländer entromantisiert die Geschichtsschreibung des WM-Finales 74 (SZ) – der deutsche Steuerzahler, ein guter Organisator der WM 2006 (FAS) u.v.m.

Ackerfußball

René Martens (FTD 27.4.) empfiehlt, heute Abend um 20.15h ZDF anzuschalten: „An den Dokumentationen, die unter der Leitung Guido Knopps entstehen, gibt es einiges auszusetzen: Dass in ihnen der Nationalsozialismus verkitscht und Zeitzeugen zu Stichwortgebern degradiert werden, zum Beispiel. Sein aktueller Film zur Fußball-WM 1954 dagegen, entstanden unter Mitarbeit von Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg, ist weit besser gelungen als alles andere, was der Geschichts-Lehrer vom ZDF in den letzten Jahren vorgelegt hat. Für „Das Wunder von Bern. Die wahre Geschichte“ haben die Autoren in den vergangenen Monaten zahlreiche bisher noch nie gezeigte Bilder dieser WM aufgetrieben – unter anderem vom Endspiel Deutschland-Ungarn, von dem bis vor kurzem nur rund 15 Minuten vorlagen. nopps Team erzählt mit Hilfe des neuen Materials die Geschichte des Turniers aus der Sicht der beiden Finalgegner, und insbesondere die bisher auf Bücher angewiesenen Nachgeborenen können sich von dieser WM nun ein deutlicheres Bild machen. Der Zusammenschnitt des Viertelfinalspiels gegen Jugoslawien etwa, das die Deutschen mit 2:0 gewannen, weckt Assoziationen an viele spätere WM-Spiele, in denen sich die DFB-Elf glanzlos durchwurschtelte. Und wenn man im Finale den wegen angeblichem Abseits nicht gegebenen Ausgleich der Ungarn betrachtet, den Ferenc Puskas drei Minuten vor Schluss erzielte, kommt einem das Wembley-Tor von 1966 wie ausgleichende Gerechtigkeit vor. Zu den unangenehmen Highlights gehört das brutale Foul Werner Liebrichs an Puskas bei der 3:8-Vorrundenschlappe gegen die Ungarn: In der 60. Minute – als die Herberger-Elf zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon mit 1:5 zurück lag – zielte Liebrich allein auf die Beine des Fußballgotts. Puskas‘ Teamkamerad Jenö Buzánsky sagt in dem Film, Liebrich habe seinen Gegenspieler – der erst im Endspiel wieder auflaufen konnte – „liquidieren“ wollen. Die Autoren liefern noch weitere Belege für die These von Zeitzeugen, die die Spielweise der DFB-Elf als „Ackerfußball“ bezeichnen.“

Das Vergehen gegen eine der sieben Hauptsünden Hochmut wurde Oranje zum Verhängnis

Ein Holländer schreibt Fußball-Geschichte um; Siggi Weidemann (SZ 26.4.) berichtet eine Entromantisierung: „„Je länger 1974 zurückliegt, desto größer wurde der Mythos bei uns. Wir haben im Finale einfach gegen die bessere Mannschaft mit fantastischen Spielern verloren“, fasst Auke Kok das WM-Finale Deutschland – Niederlande zusammen und räumt mit der Fabel auf, die Oranje-Mannschaft sei „auf unmoralische Art“ um ihren Sieg gebracht worden. Noch bevor Kok am vergangenen Mittwoch im Amsterdamer Olympiastadion sein Buch „Wij waren de besten“ vorgestellt hatte, war die erste Auflage bereits restlos vergriffen. Die Medien gingen ausführlich auf die Hintergründe ein, die zum „nationalen Drama von 1974″ geführt hatten. Oranje verkörperte das Holland jener Zeit, und 1974 war die Geburtsstunde des nationalen Oranje-Gefühls, etwas, was zuvor unbekannt war, denn Oranje war bei früheren WM-Spielen nicht dabei oder vorzeitig ausgeschieden. „Der schwarze Sonntag war ein Trauma für unser Land“, so Auke Kok gegenüber der SZ, „aber wir haben keinen Grund zur Rache, denn wir sind nicht um den Sieg betrogen worden. Alles ist rechtens zugegangen.“ Und die Schwalbe von Bernd Hölzenbein, die zum Elfmeter und damit zum Ausgleich führte? „Ich habe mir die TV-Aufzeichnungen immer und immer wieder angeschaut. Das war keine Schwalbe, vielleicht ein Ansatz dazu.“ Auf 364 Seiten analysiert Rundfunkjournalist Kok in seinem Fußballthriller, wie es zum Absturz der Favoriten kam, ja kommen musste. „Wir waren die Besten. Außer im Fußball auch mit Sex, Alkohol, Disziplinlosigkeit sowie Selbstüberschätzung. Dennoch ist keiner der Helden vom Sockel gefallen.“ Und der Autor ergänzt: „Das Vergehen gegen eine der sieben Hauptsünden Hochmut wurde Oranje zum Verhängnis. Es war ein sportlicher Wettkampf, und die Deutschen haben die WM vollkommen verdient gewonnen.“ (…) Beide Teams symbolisierten „Jugend und Rebellion“. Die Deutschen hatten laut Kok „eine gewaltige Erfahrung“, waren „besser vorbereitet und motivierter“. Sie wollten, glaubt er, den Erfolg des Wunders von Bern wiederholen. Nachdem Neeskens mit einem Strafstoß das Führungstor erzielt hatte, erzielte Breitner ebenfalls per Elfmeter den Ausgleich. Gerd Müller schoss in der 43. Minute das Siegtor zum 2:1. Zusammenfassend urteilt Kok: „Auffallend ist der niederländische Provinzialismus, bei den Deutschen spürte man, sie kommen aus einem größeren Land und sind viel weniger borniert.““

Thomas Klemm (FAS 25.4.) beruhigt die Schiedsrichterdebatten: „Das Urteil, das Franz Beckenbauer in seiner allwöchentlichen „Bild“-Kolumne am Montag über die Zunft des DFB fällte, geriet allzu populistisch. Er habe den Eindruck, so der Bayern-Präsident, „daß sich unsere Schiedsrichter leider dem Niveau der Bundesliga anpassen. Und da gehören wir ja schon länger nicht mehr zu den Top drei in Europa“. In seiner Grantelei läßt der Weltmann nicht nur außer acht, daß deutsche Unparteiische in dieser Saison sehr oft zu Champions-League-Spielen berufen wurden und daß Merk zuvor das Viertelfinal-Rückspiel zwischen Arsenal und Chelsea souverän geleitet hatte, sondern auch, daß auch Schiedsrichter in anderen europäischen Spitzenligen um keinen Deut weniger Fehler machen und gleichfalls zu Buhmännern der Fußballnationen werden – gerade gegen Saisonende, wenn Vereine ihre eigenen Ansprüche nicht erfüllen können und dafür nach Gründen suchen. „Da werden dann häufig irgendwelche Schiedsrichterentscheidungen ins Feld geführt, um den dürftigen Tabellenstand der eigenen Mannschaft zu begründen und zu rechtfertigen“, meint der langjährige Unparteiische Krug erkannt zu haben. Ein Phänomen, das nicht nur ein deutsches ist. In der spanischen Primera Division wittert der FC Valencia eine Verschwörung, weil der punktgleiche Meisterschaftskonkurrent Real Madrid zuletzt von einigen Schiedsrichterentscheidungen profitierte. In der italienischen Serie A drohte der Vorsitzende des AC Perugia, aus Protest gegen angebliche Fehler des Unparteiischen, den Tabellenvorletzten bei den letzten vier Ligaspielen nicht mehr antreten zu lassen. Zwar hat sich Luciano Gaucci wieder beruhigt, aber Fans des Klubs sammelten 5000 Euro für einen Rechtsanwalt, der am Donnerstag Klage einreichte. Der Verdacht lautet auf „Betrug in sportlichem Wettbewerb“. In Portugal wird seit Dienstag sogar gegen 16 Personen, darunter Liga-Präsident Valentim Loureiro, Jose Antonio Pinto da Costa als Vorsitzenden der Schiedsrichterkommission und neun „Unparteiische“, wegen des Verdachts auf Bestechung und Dokumentenfälschung ermittelt. Pinto da Costa wurde bereits angeklagt, seine Schiedsrichter in 21 Fällen zu vorsätzlichen Fehlentscheidungen aufgefordert zu haben.“

Sponsored by Steuerzahler

Wird Deutschland ein guter Organisator der WM 2006? Wer zweifelt schon daran? Michael Ashelm (FAS 25.4.): „Weltmeister im Organisieren. Natürlich nehmen die Ausrichter der Weltmeisterschaft 2006 diese in Stein gemeißelte Selbstverständlichkeit auch gerne für sich in Anspruch. Und daß Spielstätten plus Infrastruktur wirklich ordentlich-pünktlich zum großen Turnier an den Internationalen Fußball-Verband übergeben werden, daran zweifelt niemand ernsthaft. Deutschland ist bereit und will sich der Welt als exzellenter Gastgeber präsentieren. Doch zu welchem Preis? Während die Vorbereitungsarbeiten eifrig vorangetrieben werden und viele Bauvorhaben in den letzten Zügen liegen, tauchen hier und da Fragen auf, ob das Milliardenprogramm wirklich so vorbildlich auf stabilen Füßen steht. Denn wie es scheint, könnte die Mammutveranstaltung ungesunde Nachwirkungen haben – für den Steuerzahler. In erster Linie geht es dabei um die großen Stadionprojekte, die für eine einmalige Fußballinfrastruktur sorgen werden. Die neueste Negativmeldung liefert der Standort Frankfurt, könnte das im Bau befindliche Waldstadion doch wegen Fehlern bei der Ausschreibung mehr als dreißig Millionen Euro mehr kosten als gedacht. „Sponsored by Steuerzahler“ heißt es ohnehin schon seit geraumer Zeit, wenn es sich in der Bankenstadt um den großen Fußball dreht. Nur mit staatlichen Bürgschaften und durch Fördergelder aus staatseigenen Unternehmen war die Eintracht vor dem Absturz ins Amateurlager bewahrt worden, damit der Stadt der wichtigste Mieter für das teure WM-Stadion erhalten bleibt. Die Weltmeisterschaft im eigenen Lande zeigt sich eben nicht nur von ihrer schönen Seite. Auch in München nicht. Dort entsteht für die WM die modernste Fußballarena der Welt, doch die Bauherren vom FC Bayern und TSV 1860, die sich später das Stadion teilen wollen, plagt ein ausgewachsener Korruptionsskandal. Während über die Hintergründe ermittelt wird, könnten negative Begleiterscheinungen im sportlichen Bereich den Erfolg der Großinvestition beeinträchtigen. Was passiert, wenn sich die „Löwen“ auf längere Sicht aus der Erstklassigkeit verabschieden? Die Refinanzierung der WM-Arena basiert auf Zuschauereinnahmen zweier Fußballklubs, die abwechselnd Heimspiele auf höchstem Niveau austragen und im Falle der Bayern im internationalen Geschäft mitmischen. Wenn das Konzept nicht aufgehen sollte, müßten aus alter Erfahrung private Defizite wieder sozialisiert werden. Am WM-Standort Kaiserslautern ist dies längst zur bitteren Erkenntnis geworden.“

« spätere Artikelfrühere Artikel »
  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

103 queries. 1,508 seconds.