Donnerstag, 25. März 2004
Ballschrank
Genie im Raum
FC Porto eifert Bayer Leverkusen nach (FAZ) – Valéron, La Coruñas „Genie im Raum“ (Tsp) u.v.m.
Matti Lieske (taz 23.3.) sortiert das Teilnehmerfeld: “Ganz, ganz tief in die historische Mottenkiste müssen Spaniens Zeitungen greifen, um die derzeitige Misere von Real Madrid zu illustrieren. So wie Napoleon bei Waterloo darauf gehofft hatte, dass es Nacht wurde oder die Preußen kamen, so fiebert Real jetzt dem Comeback des Brasilianers entgegen, schreibt die Sportzeitung As über das bevorstehende Comeback des Torjägers Ronaldo. Ohne seinen treffsicheren Stürmer scheint dem Hyperteam ein entscheidender Baustein in seinem perfektionsverdächtigen System zu fehlen. Die Zitterpartie gegen Bayern in der Champions League, Niederlagen in Pokalfinale und Liga, gefolgt von internen Schuldzuweisungen, sprechen für den Hauch einer Krise bei Real – und dies ausgerechnet vor dem Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen den AS Moncao. Kein übermächtiger Gegner, aber das waren Bilbao, Zaragoza und München zuletzt auch nicht. Das Beispiel Madrid zeigt jedenfalls, dass auch sehr, sehr viel Geld höchsten Erfolg nicht zwingend garantiert, eine Erfahrung, die andere Klubs weit schmerzlicher machen mussten. Wenn heute bei den Spielen AC Mailand – La Coruña, Porto – Lyon und morgen bei Real – Monaco, Chelsea – Arsenal die nächsten Schritte Richtung Europacup in Angriff genommen werden, dann handelt es sich dabei vielleicht nicht um die acht besten Teams Europas, aber zumindest um solche, die eine Menge richtig gemacht haben. Und wer nicht mehr dabei ist im illustren Reigen, muss sich logischerweise fragen: Was haben wir falsch gemacht? Zu viel geprahlt vor der Saison, ohne dafür eine solide Basis zu haben, lautet das einfache Urteil im Falle der Münchner Bayern, jener Mannschaft, die von ihren letzten 14 internationalen Spielen gerade zwei gewonnen hat. Leidensgenossen sind Manchester United und Vorjahresfinalist Juventus Turin, beide ebenfalls im Achtelfinale gescheitert und in der Meisterschaft ähnlich chancenlos.“
Thomas Klemm (FAZ 22.3.) traut dem FC Porto viel zu: „Obwohl kein deutscher Vertreter das Viertelfinale der Champions League erreicht hat, gibt es doch einen Bundesligaklub, der dem FC Porto derzeit als Vorbild dient: Der Auftritt von Bayer Leverkusen vor zwei Jahren ist es, der dem portugiesischen Fußballmeister in der europäischen Königsklasse Mut macht. Jeder behauptet, daß der Finaleinzug für uns unmöglich sei, sagte der Portuenser Angreifer Benedict McCarthy. Doch das sind dieselben Leute, die einst gesagt hatten, daß die Leverkusener niemals in hundert Jahren das Endspiel erreichen würden – und dann hätten sie es um ein Haar gewonnen. Aus dem Verweis auf Bayer 04, das im Finale 2002 Real Madrid 1:2 unterlegen war, mag der Südafrikaner McCarthy Zuversicht ziehen für die Viertelfinalbegegnungen mit Olympique Lyon an diesem Dienstag; so ganz stimmig ist der Vergleich indes nicht. Während Leverkusen die vorvergangene Saison als dreifacher Zweiter – in Champions League, Meisterschaft und DFB-Pokal – beendet hatte und im Folgejahr gegen den Abstieg in die Zweitklassigkeit kämpfte, gewinnt der FC Porto seit einem Jahr beinahe alles, was es für ihn zu gewinnen gibt. Und so scheint es weiterzugehen. Beweisen müssen wir niemandem etwas, sagte Trainer José Mourinho, nachdem seine Mannschaft vor knapp zwei Wochen Manchester United im Champions-League-Achtelfinale ausgeschaltet hatte, nur uns, nämlich daß wir etwas Großes schaffen können. Er hätte getrost sagen können: etwas noch Größeres. Denn schon im vorigen Jahr hatte der FC Porto seine Ausnahmestellung unter den Vereinen seines Landes bewiesen, indem er Meisterschaft, Pokal sowie als Krönung auch den UEFA-Cup gewann (…) Einen besseren Einstand als der Einundvierzigjährige kann man als Profitrainer kaum feiern. In seiner ersten kompletten Saison als Chefcoach gewann Mourinho im vorigen Jahr auf Anhieb das Triple. Seither erreichen Mourinho immer wieder Angebote aus dem Ausland, zuletzt vom englischen Premier-League-Klub Tottenham Hotspur. Der während der Spiele impulsiv auftretende, ansonsten als überheblich geltende Trainer hat in Porto eine Gemeinschaft geformt, in der Profis mit Allüren keinen Platz haben.“
Genie im Raum
Wolfram Eilenberger (Tsp 23.3.) findet Gefallen am Spielmacher La Coruñas: „Sollte es neben dem Goldenen Ball auch eine Auszeichnung für den weltweit meist unterschätzten Spieler geben, Juán Carlos Valerón Santana, kurz Valerón wäre einer der ersten Anwärter. Keine Hand voll Spielgestalter kann sich mit seinen Fähigkeiten messen, doch wie so viele seiner Klassekollegen von Deportivo La Coruña führt Valerón seit Jahren ein Dasein von bestenfalls national begrenzter Bewunderung. (…) Valerón ist ein Genie im Raum. Sobald er den Ball im Zentrum erhält, eröffnet sich seinem Blick eine Vielzahl überraschender Anspielmöglichkeiten. Es ist, als betrachte er die Partie stets aus der Vogelperspektive und sei so über die Position sämtlicher Feldspieler im Bilde. Mit einer makellosen Technik, die ihm eine beidfüßige Passpräzision über beliebige Entfernungen ermöglicht, versteht sich Valerón damit wie kein Zweiter auf die Kunst des tödlichen Passes. Gelassen, oft ohne den Blick auch nur zu heben, schwingt er ihn aus dem Fußgelenk und erwartet, seine beiden sprintstarken Stoßstürmer Luque und Diego Tristán mögen darauf das Wesentliche erledigen. Wie gefährlich eine in der Abwehr solide Mannschaft von Deportivo La Coruña mit dieser Taktik gerade auswärts auftritt, bekam im Achtelfinale bereits Juventus Turin bitter zu spüren. Valerón war in diesen Duellen der beste Mann auf dem Platz.“
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Eduard Geyer zieht seine Spieler am Ohr, Interview mit Jörg Albertz
Ich erzähle immer wieder dasselbe, wie ein Blinder
Markus Völker (BLZ 12.11.) beschreibt den Zorn Eduard Geyers, Trainer von Energie Cottbus, nach der schlechten Leistung seiner Mannschaft beim 2:1-Sieg über Erzgebirge Aue: „Ich bin beruhigt über den Sieg, sagte Torwart Georg Koch, im Falle einer Niederlage wäre es nämlich nicht einfach für uns geworden. Heißt: Geyer hätte den Spielern ein wenig die Hölle heiß gemacht. Keeper Koch, der in letzter Spielminute den Sieg sicherte, weiß, seitdem er für den FC Energie im Kasten steht, um die herrschende Doktrin des Eduard Geyer. Ein paar Wochen Training unter ihm und man ist kein Wessi mehr, bekannte Koch unlängst. Von einem anderen Spieler ist das Bonmot überliefert, er würde im Falle eines Hausbrandes Laptop, Papiere und natürlich die Trainingspläne von Ede Geyer retten. Der hatte nach einer missratenen ersten Halbzeit einiges, worüber er sich nach Lausitzer Hausmannsart erzürnen konnte. Und wie er loslegte: Das war unwürdig, begann er seinen Sermon, es wird einfach nicht erkannt, wo die Gefahr losgeht. Dann sprach er den Satz, der für die Betroffenen wie ein Verdikt, ein unheilvolles Versprechen klingen musste: Ich werde das Spiel zur Fehleranalyse nutzen, weil wir in der ersten Halbzeit extrem viele Fehler gemacht haben. Der Erregung nicht genug, nahm er einen Exkurs ins weite Reich der Arithmetik: Man sagt ja, drei und drei ist sechs, aber manche sagen immer wieder neun – ich erzähle als Fußballlehrer immer wieder dasselbe, wie ein Blinder. Und weiter im Text: Seit es diese bunten Schuhe gibt, silber, blau und so weiter, da glauben manche Spieler, die laufen von ganz alleine, wie der Kleine Muck. Der Buntschuh-Fraktion attestierte er sodann, einen Ritz an der Dattel zu haben, was wohl nicht nett zu verstehen ist. Gästecoach Gerd Schädlich wollte nach den rhetorischen Ausflügen Geyers auch mal was sagen, und kam dummerweise auf den Aufstieg zu sprechen, den von Energie angestrebten wohlgemerkt. Das rote Tuch vor Geyers Augen war augenblicklich wieder aufgezogen. Geyer konnte sich gerade noch beherrschen, den Kollegen, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet, mit dem Vorwurf zu brüskieren, er fasele dummes Zeug. Die erste Silbe des Verbes faseln hatte er auf den Lippen, er bog es zu sprechen um.“
Es ist eine Genugtuung für mich, dass Jara gefeuert worden ist
SZ-Interview mit Jörg Albertz, Ex-HSV-Spieler und Profi in China
SZ: Haben Sie schon mal mit deutschen Kollegen darüber diskutiert, ob sie nachkommen wollen?
JA: Ich habe mit Andy Möller gesprochen, aber da kam dann Sars dazwischen. Ich glaube schon, dass in den nächsten Jahren einige ausländische Spieler herkommen.
SZ: Die Sportmagazine von Schanghai sind voll mit Homestorys von Ihnen. Ist es ungewohnt, so populär zu sein?
JA: Nein. Ich kannte das schon von Glasgow, das war das Non-plus-ultra für mich. Das Medieninteresse ist groß, weil ich der erste Deutsche bin.
SZ: Lohnt es sich, in China zu spielen?
JA: Finanziell ist das sehr lukrativ. Der ausschlaggebende Grund war aber, dass ich Fußball spielen wollte. In Deutschland durfte ich nicht mehr, und die Transferlisten in Europa waren schon alle geschlossen. Da blieb mir nur übrig, in ein anderes Land zu wechseln.
SZ: Vom HSV sind Sie nicht im Guten geschieden. Gerade musste Trainer Kurt Jara, mit dem Sie Differenzen hatten, gehen. Hat Sie das berührt?
JA: Wenn ich ganz ehrlich bin, ist es eine Genugtuung für mich, dass Jara gefeuert worden ist. Mit Toppmöller wurde ein hervorragender Trainer geholt.
SZ: Was fehlt Ihnen am meisten?
JA: Meine Freunde und das Autofahren. Das hat der Verein uns vier Ausländern verboten.
SZ: Ist es so gefährlich auf Shanghais Straßen?
JA: Die fahren hier kreuz und quer und hupen und wechseln die Spuren ohne Blinker, daran muss man sich erstmal gewöhnen.
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Interview mit Felix Magath, Krise bei Hertha Berlin, Streit zwischen Assauer und Bremen
Sie müssen das Gefühl haben: ‚mit dem VfB kann ich auch Meister werden’
SZ-Interview mit Felix Magath
SZ: Als Teammanager sind Sie für das Personal zuständig. Soeben hat Schalke 04 den Konkurrenten Werder Bremen durch die Verpflichtung von Ailton und Kristajic empfindlich, vielleicht entscheidend geschwächt. Wie groß ist die Gefahr, dass auf diese Weise auch Ihr Modell VfB zerstört wird?
FM: Auf Grund der finanziellen Situation können wir immer noch nicht mit Vereinen wie Bayern, Dortmund, Berlin oder Schalke konkurrieren, geschweige denn mit Klubs aus anderen Ländern, die durch die Champions League Interesse an unseren Spielern bekommen könnten. Für uns dürfte es außerordentlich schwierig werden, die Mannschaft in dieser Form zusammenzuhalten.
SZ: Reiche Klubs wie Chelsea, Arsenal oder Inter Mailand würden für Jungstars wie Kuranyi, Hinkel oder Hildebrand gegebenenfalls auch hohe Ablösesummen bezahlen.
FM: Bisher haben diese Vereine gedacht, warten wir mal ab, wie sich die jungen Leute aus Stuttgart international entwickeln. Durch die großartige Leistung in der Champions League gegen Manchester könnte der eine oder andere jetzt umdenken. Das bedroht uns latent. Je besser wir spielen in der Champions League, desto stärker ist unser Modell in Gefahr.
SZ: Was können Sie tun gegen einen möglichen Ausverkauf?
FM: Zum einen müssen wir den Spielern eine sportliche Perspektive bieten. Wenn also ein Meisterschaftskandidat anklopft, müssen sie das Gefühl haben, mit dem VfB kann ich auch Meister werden. Wir müssen dem Spieler sagen können: ’Was willst du bei Bayern, wir spielen nächstes Jahr auch um den Titel.‘ Hier in Stuttgart haben sie ihre Wertschätzung, bei Bayern wissen sie nicht, ob sie überhaupt spielen. Natürlich muss man den Spielern neben der sportlichen Perspektive auch mehr Geld bieten.
SZ: Ganz Fußball-Deutschland ist in Liebe zum VfB entbrannt. Schützt diese breite Sympathie sie ein bisschen vor den Transfer-Wilderern?
FM: So etwas hat es in Deutschland bisher nur einmal gegeben. Die Fohlenelf von Borussia Mönchengladbach zu Anfang der siebziger Jahre ist ähnlich erfolgreich und sympathisch rübergekommen wie jetzt der VfB. Aber diese Sympathie aus allen Teilen der Gesellschaft würde die Bayern nicht davon abhalten, sich die Spieler zu holen, die sie wollen. Am meisten kann uns helfen, dass die Spieler merken, dass sie hier in einer Atmosphäre und einer Umgebung spielen, die sie anderswo nicht geboten bekommen. Es stimmt momentan alles. Eine solche Situation ist so selten, die muss auch ein Spieler einfach festhalten.
SZ: Sie streben die Meisterschaft an. Wo sind die Grenzen Ihrer Mannschaft?
FM: Es gibt keine. Die Frage ist nur, was macht man aus der Situation. Man darf sich nicht hinsetzen, sich auf die eigene Schulter klopfen und sagen: Das haben wir ja toll gemacht. Wir müssen vielmehr sagen: Was können wir tun, um weiterzukommen? Aus meiner Sicht sind wir dieses Jahr noch nicht so aufgestellt, dass wir Bayern gefährden könnten. Aber wenn wir die Gunst der Stunde nutzen, der VfB über seinen Schatten springt und in die Mannschaft investiert und ich die, ein, zwei Spieler finde, die uns wirklich verstärken, dann können wir für die kommende Saison die Meisterschaft anpeilen.
Auf Nummer Sicher zu gehen kann Schalke sich nicht mehr leisten
Richard Leipold (FAS 12.10.) bewertet den Streit zwischen Rudi Assauer und den Verantwortlichen von Werder Bremen: “Ob ein juristischer Verstoß vorliegt, werden die Wettbewerbshüter der DFL entscheiden. Die Meßlatte der Moral liegt im Fußballgeschäft nicht mehr allzu hoch. Assauer, der gern den Macho der Branche gibt, zögert nicht lange, wenn sich im Strafraum des Transfermarktes eine solche Chance bietet. Die Transfers waren von langer Hand geplant, sagt er. Im Einklang mit dem Managerknigge oder nicht: Assauer hatte nur auf diese Gelegenheit gewartet und ist wie fast immer seinem Instinkt gefolgt. Er brauchte diesen Erfolg: für sich selbst und für den Klub, der im nächsten Jahr hundert Jahre alt wird. Ein Trainerstar wie Jupp Heynckes allein genügt nicht, um aus einer Mannschaft von gehobenem Durchschnitt ein Spitzenteam zu machen. Auch diese Einsicht hat Assauer dazu gebracht, ohne lange Vorrede zu handeln, selbst auf die Gefahr hin, daß die DFL am Ende eine Vertragsstrafe von maximal 250000 Euro verhängen könnte. Dieses Risiko (soweit es ihm überhaupt bewußt war) hat er in Kauf genommen wie die Gefahr, in Bremen, wo er früher selbst gearbeitet hat, den einen oder anderen Freund zu verlieren. Auf der Rasenbühne weit von den eigenen Ansprüchen entfernt, benötigt das Gelsenkirchener Theater der Träume dringend neue Darsteller, die für Visionen stehen oder wenigstens für die Hoffnung, in die Spitzengruppe zurückzukehren. Ob ein Star wie Ailton in der Winterpause schon kommt oder erst im Sommer: Eine Personalie dieser Größenordnung könnte Schalke schon im Herbst aus dem Stimmungstief helfen. Mögen die Bremer noch so zetern: Daheim ist der jüngste Coup auch ein PR-Erfolg für Assauer. Mit dem Doppeltransfer lenkt er von der aktuellen Tristesse ab und verkündet die Botschaft: Schalke kann auch in wirtschaftlich schwieriger Zeit profilierte Spieler für sich gewinnen. Auch wenn der Arbeiterverein die Börse scheut, hat der Vorstand gehandelt wie ein Spekulant, der antizyklisch investiert. Der Bauchmensch Assauer spürt: Auf Nummer Sicher zu gehen kann Schalke sich nicht mehr leisten.“
Der eingeschlafene Riese
Christian Ewers (FAS 12.10.) schildert die Lage in Berlin: “Bei Hertha BSC Berlin gibt es jemanden, der durch Worte einschüchtern kann. Er heißt Huub Stevens, ist Trainer der Profimannschaft und gleichzeitig Herr des Kabinentraktes. Wenn Stevens den benachbarten Presseraum betritt, wird es still wie in einer Kirche. Allgemeinen Fragen zum Spiel begegnet er meist mit gebellten Gegenfragen: Haben Sie das Spiel nicht gesehen, oder was? Spezielle Fragen, zum Beispiel zur Aufstellungspolitik, beantwortet Stevens gern adressatenbezogen: Entschuldigung, daß ich Ihren Lieblingsspieler nicht nominiert habe. So geht das schon seit Wochen bei Hertha. Huub Stevens, schlecht gelaunt wie ein Türsteher im Regen, hat sich komplett in die Defensive zurückgezogen. Seine patzigen Kommentare zeigen Wirkung, Pressekonferenzen nach Heimspielen von Hertha BSC dauern nur wenige Minuten. Es stellt sich allerdings die Frage, was Stevens überhaupt verteidigen will. Was meint er, wenn er sagt: Ich werde meinen Weg weitergehen? Stevens trainiert die Berliner bereits im zweiten Jahr, aber sein sogenannter Weg, seine Idee von Fußball, ist der Hauptstadt bis heute ein Rätsel geblieben (…) Für Hertha geht es um mehr als nur um eine verkorkste Saison. Die Berliner haben nämlich Großes mit sich vor. Ihr Ziel ist es, mittelfristig die dritte Kraft im deutschen Fußball zu werden – hinter Bayern München und Borussia Dortmund. Ende der neunziger Jahre sah es schon so aus, als hätte Hertha das Plansoll vorzeitig erfüllt. Die Mannschaft spielte in der Champions League, Schulter an Schulter mit den Bayern, und Franz Beckenbauer lobte den Klub damals als schlafenden Riesen. Das ist vier Jahre her. Der Tagesspiegel betitelte kürzlich eine Hertha-Geschichte mit der treffenden Schlagzeile Der eingeschlafene Riese. Tatsächlich hat sich der Verein ein Schäferstündchen gegönnt. Es ist ermüdend viel geredet worden über Potentiale, Chancen und eine schöne Zukunft – doch das Tagesgeschäft funktioniert nicht.“
FR über Hertha
taz-Interviewmit Volker Finke
taz: Herr Finke, in 40 Jahren Bundesliga-Geschichte ist der Anteil der ausländischen Spieler von 1,7 im Jahre 1963 auf heute 53,1 Prozent geklettert. Hat das tatsächlich negative Auswirkungen auf unseren Fußball, wie uns in jüngster Zeit weisgemacht wird?
VF: Es ist doch das Normalste auf der Welt, dass sich im Profisport die talentiertesten Spieler zusammenfinden – unabhängig von ihrem Pass. Die besten Basketballer der Welt sind in der NBA, ob sie nun aus Litauen, vom Balkan oder aus den USA stammen. Und im europäischen Fußball gibt es eben fünf Ligen – Italien, Spanien, England, Frankreich und Deutschland – die den Fußball am weitesten professionalisiert haben. Also spielen dort auch die besten Spieler, und es ist nicht sinnvoll, das verhindern zu wollen.
taz: Weshalb verbreiten die Verantwortlichen für die Nationalmannschaft dann eine Alarmstimmung?
VF: Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der Leistungsstärke der Nationalmannschaft und dem Ausländeranteil in der Liga. Und die Zuschauer haben damit offenbar auch kein Problem: Die Stadien werden immer voller, und das, obwohl teilweise höchstens zwei deutsche Spieler in den Startformationen stehen.
taz: In Umfragen ist eine Mehrheit für eine Quotierung des Ausländeranteils.
VF: Solche Umfragen hätten ein anderes Ergebnis, wenn man eine fachspezifische Diskussion vorwegstellen würde. So aber sehen die Leute nur: Es gab noch nie so viele Ausländer in der Bundesliga, und wir haben eine Nationalmannschaft, die nicht mehr souverän gegen die so genannten Kleinen gewinnt. Da wird dann ein bauchgesteuerter Zusammenhang hergestellt.
taz: Eine inhaltliche Auseinandersetzung könnte man gerade vom Dachverband erwarten. Doch DFB-Präsident und Teamchef machen sich zum Wortführer einer verschärften Quote, um in der Bundesliga die Zahl der Nicht-EU-Ausländer von derzeit fünf zu reduzieren.
VF: Wenn ich jetzt sagen würde, dass da der Hintergrund zu wenig aufgearbeitet wurde, würde das als Kritik am DFB und an Mayer-Vorfelder verstanden werden. Das ist nicht mein Interesse. Wenn es aber irgendwann auf der einen Seite die so genannten Quotenspieler gibt und dann die Ausländer, von denen nur ein Teil eingesetzt werden darf, kann ich nicht mehr nach Leistungskriterien aufstellen. Das macht die Gruppendynamik in einer Mannschaft kaputt.
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Wenig Mut und Selbstbewusstsein
Die Tageszeitung Vecernji List. „Wir gehen nach Hause, besiegt, mit wenig Mut und Selbstbewusstsein. Oder einfacher, als Mannschaft ohne ausreichend Qualität. Gegen Italien gab uns Gott einfach alles: den Torschuetzen Olic, den Linienrichter und schließlich das gelobte Tor von Rapaic. Wir konnten den Erwartungen im Spiel gegen Ekuador nicht gerecht werden; die Feurigen brannten nicht mit der selben Intensität wie fünf Tage vorher. Stattdessen erinnerten sie mehr an Streichhölzer, die der Wind beim Betreten des Rasens löscht.“
Mirko Jozic, der Trainer, meint dazu: „Gegen starke Gegner wie Italien können die Spieler besser motiviert werden, das ist eines unserer Probleme.“
Slaven Bilic, Altstar und WM-Dritter 1998, beobachtete das Spiel in einem Londoner Pub. Seine Ansichten sind, dass den Kroaten die Spielmacher fehlen: Die Mehrzahl der Jungs spielt in großen Vereinen: Robert Kovac spielt in Bayern, Simic bei Inter. Der Unterschied ist der, dass Kovac dort den Ball unverzüglich an Effenberg weitergibt, und Simic entweder an Vieri oder Ronaldo. Aber wen sollen die Jungs in der Nationalmannschaft anspielen? Das sind unsere Probleme. Die heutigen Auswahlspieler sind zwar in größeren Klubs als wir 1998. Wir waren jedoch in unseren Vereinen die wichtigsten Spieler.
Die zu erwartende 180-Grad-Drehung der “Experten”, die nach der ersten Turnierniederlage gegen Mexiko dem Trainer vorwarfen, auf die überalteten Stars gesetzt zu haben:
Igor Stimac: Im Duell gegen Ekuador war sicherlich Platz für die erfahrenen Suker und Prosinecki, denn das Spiel hatte keinen besonderen Fluss. Jozic musste einfach die beiden in der zweiten Halbzeit einsetzen, da wir mit ihnen sicherlich das entscheidende Tor erzielt hätten. Schade.
Slaven Bilic: Das war das idealste Spiel, um Suker einzusetzen. Für so einen erfahrenen Schützen wie ihn muss sich eine halbe Stunde immer finden. Im letzten Drittel haben wir nichts anderes gemacht, außer zu flanken.
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Makaays Kauf endet unschön, „Gastarbeiterkinder“ machen Karriere
Themen: Nach dem Makaay-Transfer treten beide Seiten nach – hinter Frankfurter Kulissen: Strippenzieher aus der Politik – „Gastarbeiterkinder“ machen Karriere – Schalke vor Einzug in den Uefa-Cup – neues von Kaiser Franz u.a.
Schlachtfeld der Systeme
Ralf Wiegand (SZ 14.8.) lässt den Makaay-Transfer aus der Perspektive der Bayern Revue passieren. „Die strapazierende Begegnung mit La Coruñas Präsidenten Augusto Lendoiro fand, davon sind die hohen Herren vom FC Bayern seit Jahren überzeugt, auf einem Schlachtfeld der Systeme statt. Auf der einen Seite steht das Prinzip kaufmännischer Vorsicht, mit dem die Bundesliga nicht steinreich geworden, aber solvent geblieben ist. Auf der anderen stehen die Regeln des wilden Südens, wonach man alles kaufen darf, wofür man irgendwoher das Geld geliehen bekommt. Dadurch sind die Ligen Italiens und Spaniens arm, aber sehr schillernd geworden. Nur weil sich nun die Nachfrage umzukehren scheint, die Käufer imNorden sitzen und die Verkäufer im Süden, werden die Preise aber nicht automatisch sinken. Vereine wie der Deutsche Meister oder der englische Geldspeicher Manchester United sind auf dem Spielermarkt letztlich auch nichts anderes als reiche Spekulanten, und die Vereine ohne Geld halten oft die meistversprechenden Aktien. Manchester holtesich für 17Millionen Euro das 18-jährige Startup-Talent Cristiano Ronaldo aus Lissabon ins Portfolio, Bayern München für eine ähnliche Summeden 28-jährigen Blue Chip Roy Makaay. Welche Entscheidung die klügere war, liegt im Risiko des Spekulanten. Egal, in welche RichtungGeschäfte an der Fußball-Börse laufen, Sicherheit hat nur der Verkäufer – das frische Geld auf dem Konto.“
Wer so viele Anfängerfehler macht wie Bayern München, muß auch zu verlieren wissen
Walter Haubrich (FAZ 14.8.) referiert die Äußerungen Lendoiros. „Mit offenem Spott und spürbarer Schadenfreude hat der Präsident von Deportivo La Coruña, Augusto César Lendoiro, auf die jüngsten Attacken von seiten des FC Bayern München reagiert. Der von Manager Uli Hoeneß unterdessen zurückgenommenen Drohung des Münchner Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge, Lendoiro beim Internationalen Fußball-Verband wegen massiver Verstöße gegen die Transferregelungen anzuzeigen, begegnete der Vereinschef von Deportivo so: Die Bayern haben es uns sehr leicht gemacht. Ihnen sind schwere Fehler während der Verhandlungen um einen Wechsel von Roy Makaay nach München unterlaufen. Bayern München kann gut Fußball spielen, weiß aber offensichtlich nicht zu verhandeln. Das sind nämlich zwei ganz verschiedene Dinge. Einige haben halt ihre Jugend auf dem Fußballplatz verbracht, sagte Lendoiro unter Bezug auf die Münchner Klubführung aus Rummenigge, Hoeneß und Präsident Franz Beckenbauer, andere wie ich haben sich in der gleichen Zeit dem Geschäft des Sports und der Leitung von Fußballvereinen gewidmet. (…) Zu dem Vorwurf Rummenigges, Deportivo habe Makaay das Juligehalt nicht bezahlt, sagte Lendoiro: Natürlich nicht, unsere Verträge mit den Spielern enden mit der Spielzeit, und die war mit dem Juni zu Ende. Makaay hat den ganzen Juli über gesagt, er wolle weggehen. Er wollte dann auch nicht mehr bei uns trainieren, um sich nicht zu verletzen. Hämisch resümierend, sagte Lendoiro: Wer so viele Anfängerfehler macht wie die Führung von Bayern München, muß auch zu verlieren wissen.
Am Ende waren alle gekränkt
Ralf Wiegand (SZ 14.8.). „Zum einen stehen die Bayern in einer Tradition, die es empfiehlt, die Besetzung der Mittelstürmer-Position genau zu beobachten. Schon häufig kamen Menschen von weit her nach München mit der Empfehlung, besonders gut im Toreschießen zu sein, aber sie konntendas oft genug nicht überzeugend beweisen. Adolfo El Tren Valencia, Mark Hughes, Macinho, Emil Kostadinov, Jean-Pierre Papin (Franz Beckenbauer: „Papäng“). Giovane Elber ist der letzte aktiveGegenentwurf zu dieser These, aber auch nur, weil der Brasilianer sich selbst kaum mehr als solcher versteht und schon vor der Übernahmedes Bayern-Trikots Nr. 9 in der Bundesliga Fuß fassen konnte, in Stuttgart. „Es ist immer etwas Besonderes, eine Nummer 9 zu verpflichten“, sagte Uli Hoeneß, auch wenn Makaay die 10 trägt. Und zum zweiten: So viel Geld wie für Makaay haben die Bayern nun mal noch nie bezahlt, wobei der teuerste Transfer der Klub-Geschichte zudem in eine Zeit fällt, die eigentlich das Ende der Preisspirale an derKicker-Börse markieren sollte. Denn Geld ist knapp, überall, und Uli Hoeneß nach wie vor überzeugt, „dass die Transfersummen sinken werden“. Nur diesmal eben noch nicht. Woran es lag, dass Deportivo La Coruña den Deutschen so viele Euros abluchsen konnte, 18,75 Millionen ohne Wenn und Aber, wie die Bayernsagen, knapp 30 Millionen, wenn man den Spaniern glaubt, darüber ist heftig gestritten worden. Die Münchner, deren Geschäftsgebaren fürgewöhnlich untadelig ist, warfen dem Präsidenten von La Coruña miese Tricks vor, Augusto Lendoiro, besagter Präsident, den Bayern wiederumAnfängerfehler. Am Ende waren alle gekränkt, die ehrpusseligen Deutschen, weil sie die Erfahrung nicht kannten, dass ein Handschlag nichts zählt, und die stolzen Galizier, weil sie sich durch die Anwürfe aus Deutschland in der Ehre verletzt fühlten – ein Begriff, der in Spanien eine mindestens ebenso große Rolle spielt wie an der Säbener Straße.“
Fast wie ein Dorfverein
Michael Ashelm (FAZ 14.8.) schaut hinter Frankfurter Kulissen. „Die neuen Strippenzieher im Hintergrund hatten längst das Feld dezent geräumt, als sich die Runde der Führungsriege der Frankfurter Eintracht am vergangenen Freitag abend nach vierstündigen Beratungen auflöste und wieder einmal Überraschendes in großen Personalfragen zu vermelden war. Franz-Josef Jung, einflußreicher Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag und Intimus des Ministerpräsidenten Roland Koch, eilte zusammen mit Frankfurts Bürgermeister Achim Vandreike (SPD) eiligen Schrittes davon. Alles geht positiv nach vorne. Es war der einzige Kommentar, den sich der Politprofi noch mit einem Schmunzeln abringen ließ. Eine halbe Stunde später wurde der neue Vorstandsvorsitzende der Fußball AG des Bundesligaklubs vorgestellt und die neue Marschrichtung vorgegeben. Eine politische Lösung war gefunden. Die beiden großen Parteien haben den Juristen Peter Schuster ins exponierte Amt bei der Eintracht gehoben. Der 60 Jahre alte ehemalige Chefsyndikus der Hoechst AG ist in Wirtschaftskreisen der Stadt Frankfurt zwar wohlbekannt, dafür aber ein No name in der Fußballbranche – ohne jegliche Erfahrung in diesem schnellebigen Tagesgeschäft. Schuster, unbestritten ein erfolgreicher Mann aus der Wirtschaft, sitzt auf seinem neuen Posten, weil die Politik sich noch enger an den Fußball binden will und vielleicht muß. Zu viele Aktien hängen im Volkssport – in erster Linie über den zu hundert Prozent öffentlich finanzierten Stadionneubau für die Weltmeisterschaft 2006. Eine unkontrollierbare Eintracht am Abgrund mit dem Millionengrab Stadion wäre daher für die Mandatsträger wohl das schlimmste Szenario. So bildete sich nach und nach sozusagen eine große Koalition für den Fußball – angeblich zum Wohle von hochklassigem Sport in der Stadt. Der Rest der Fußballbranche schaut unterdessen neugierig in die Bankenmetropole, denn was sich dort tut, hat zuerst einmal nichts mit dem Anspruch höchster Professionalität im Fußball zu tun. Erfolg schließt das natürlich nicht aus, dennoch, die Profisparte des Bundesligaklubs wird fortan, mindestens für die nächsten drei Jahre, mit Rückendeckung der Politik fast wie ein Dorfverein von einer kleinen Gruppe ehrenamtlicher Funktionäre geführt. Seit Freitag macht der Begriff des Seniorenklubs in der Stadt die Runde. Sind die führenden Herren der AG doch fast alle schon im Pensionsalter.“
Jörg Kramer (Spiegel11.8.) schreibt über die Karrieren von „Gastarbeiterkindern“. „Spätestens seit dem furiosen Debüt des Schalker Mittelfeldspielers Hamit Altintop, 20, am vorvergangenen Wochenende sind türkische Kicker in der Bundesliga schlagartig ins Blickfeld geraten. Lange Zeit von den deutschen Profivereinen ignoriert, betrachten die Clubmanager die technisch versierten Türken nun plötzlich als Avantgarde – fast ein Dutzend von ihnen stehen mittlerweile bei Erstligisten unter Vertrag. Dass ein international erfahrener Profi wie Mustafa Dogan beim 1. FC Köln anheuerte, hat allerdings auch mit den pekuniären Nöten der türkischen Liga zu tun. Noch vor zwei Jahren, so schätzt der hannoversche Spielerberater Harun Arslan, hätten Stammspieler der Spitzenclubs Galatasaray und Fenerbahçe Istanbul Jahresgagen in Höhe von 1,8 bis 2,2 Millionen Dollar netto kassiert. In Deutschland akzeptieren die Profis nun Gehälter, die – wie etwa bei Davala in Bremen – bei rund 700 000 Euro pro Jahr liegen. Zudem erhoffen sich die Vereine in Deutschland von ihren Neuzugängen wirtschaftliche Impulse. So spekuliert Werder-Manager Klaus Allofs vor allem auf wesentlich mehr türkische Zuschauer. Auch das Fanartikelgeschäft soll Defensivspezialist Davala, der zuletzt für Galatasaray am Ball war, ankurbeln – rund 40 000 Türken leben in Bremen und Umgebung. Davalas Karriere verlief, prototypisch für einen Spieler seiner Generation, im Zickzackkurs. Denn um in der Bundesliga zu landen, musste das Gastarbeiterkind den Umweg über die Heimat seiner Eltern nehmen. Als mit 20 Jahren seine Laufbahn in der deutschen Landesliga stockte, war er durch einen Funktionär von Türkspor Mannheim zu Afyonspor in die Türkei vermittelt worden. Dort wollte Davala nach drei Monaten schon die Koffer packen, weil er merkte: Es war ein fremdes Land. Doch die Familie rückte den Reisepass nicht heraus. Sie bestand darauf, dass Ümit, der Sohn eines Kranführers, sich durchsetzte. Bald holte ihn der Trainer Fatih Terim, sein Mentor, in die türkische Juniorenauswahl, dann in die Nationalmannschaft und schließlich zu Galatasaray. Dort wurde er 2000 Uefa-Cup-Sieger. Bisweilen trägt Davalas Popularität groteske Züge. Während der WM im vorigen Jahr erhängte sich in Gemlik ein 13-Jähriger, weil sein Vater von ihm verlangt hatte, die seinem Idol nachempfundene Frisur zu ändern. Der Junge hatte sich den Irokesen-Schnitt zugelegt, mit dem Davala in Südkorea und Japan die Fans überraschte. Beim Zug der Gastarbeiterkinder von Deutschland Richtung Bosporus fanden jedoch nicht alle ihr Glück. Neunzig Prozent der Nachahmer, ermittelte Berater Arslan, kehrten frustriert zurück. Wer sich durchbiss, kann hingegen auf eine glanzvolle Laufbahn blicken.“
SpOn-Interview mit Frank Fahrenhorst (VfL Bochum und am Samstag Gegenspieler von Roy Makaay)
Bring mal einer Gazelle den richtigen Spannstoß bei
Philipp Selldorf (SZ 14.8.) sah den Schalker Sieg in Pasching. „Zwar gelang der Mannschaft ein solider 2:0-Sieg, der auch Assauer gefiel, aber noch immer nimmt er es den Profis übel, dass sie sich überhaupt auf den weiten Umweg in den Uefa-Cup via Chisinau, Liberec und Pasching machen mussten. Lässig Bier trinkend und Zigarre rauchend schilderte er dem österreichischen Staatsrundfunk im Paschinger Waldstadion seinen guten Eindruck vom Spiel („souverän runtergespielt das Ding, nie in Gefahr gekommen“), doch beim StichwortVersöhnung wurde der nachtragende Beherrscher des FC Schalke brummig. „Die gibt’s nie. Dafür haben die zuviel angerichtet“, sagte er. Die Schlampigkeiten der vergangenen Saison gehören dennoch der Geschichte an. Das Team hat durch fünf Neuerwerbungen ein anderesAussehen, spielt dank des neuen Trainers Jupp Heynckes einen anderen Stil und wird auch von neuen Hauptdarstellern bestimmt. Bei der Partiein Pasching machte sich besonders das Mittelfeld-Duo Levan Kobiaschwili und Hamit Altintop bemerkbar: Kobiaschwili als Vorbereiter der beiden Treffer, und Altintop als kurz entschlossener Torschütze zum 1:0, das den Plan, eine schnelle Entscheidung herbeizuführen, wesentlich voranbrachte. Nachdem er Altintop bereits bei früherer Gelegenheit „unglaubliche Kapazitäten“ bescheinigt hatte, trug Heynckes nun auch das hohe Loblied auf Kobiaschwili vor: „Ein exzellenter, sehr intelligenter Spieler, der mit einer großen Übersicht und Ruhe Fußball spielt.“ Fortschritte offenbarte auch der zum 2:0erfolgreiche Angreifer Victor Agali, über dessen verbesserungsbedürftige Schuss- und Spannstoßtechnik Assauer hinterher ausgiebig dozierte. Ein Vereinsoberer bremste sogleich den pädagogischen Vorstoß des Managers: „Bring mal einer Gazelle den richtigen Spannstoß bei“, bemerkte er ernüchternd. Den maßgebenden Lehrauftrag beim FC Schalke hat ohnehin JuppHeynckes übernommen, und wenn er sich über „Autorität und Leidenschaft“ seiner Mannschaft, ihren „insgesamt gepflegten und vor allen Dingen sehr klugen Fußball“ auslässt, dann hat man den Eindruck, als habe er in der kurzen Zeit seines Engagements die vollständige Kontrolle über die Abläufe beim Ruhrgebietsklub gewonnen.“
Michael Hanfeld (FAZ 13.8.) hat eine Erklärung auf die Frage, wie es dem ZDF gelungen ist, Franz Beckenbauer kostenlos unter Vertrag zu nehmen. „Wie kommt – wenn der Sender Beckenbauer tatsächlich kein Honorar (in Worten null) bezahlt –, eine solche Vereinbarung zustande? Schleichwerbung für Weißbier? (Wir erinnern uns an die nette Szene mit Beckenbauer am ARD-Sportschau-Stammtisch, wo er während des Gesprächs mit Gerd Rubenbauer hinter einem bedruckten Weißbierglas gar nicht richtig zu sehen war.) Mitnichten. Das ZDF hat vielmehr nicht nur einen Vertrag mit Franz Beckenbauer, sondern auch mit dessen Marketingpartner, der Postbank, abgeschlossen, der direkte Zahlungen an den Ex-Fußballer zwar nicht seitens des Senders, sondern seitens des mit ihm verbundenen Werbepartners vorsieht. Dieser wiederum wird vom Sender durch sogenannte Sonderwerbeformen entschädigt, die in allem möglichen bestehen könne, angefangen bei der Einblendung mitten ins Spielgeschehen bis hin zu Gewinnspielen. Eine glänzende Perspektive sieht der ZDF-Intendant Schächter angesichts des solcherart zustandekommenden Transfers für seinen Sender. Doch ob das auch im Sinne der öffentlich-rechtlichen Lehre ist? Die bekanntlich auf der Erhebung von Rundfunkgebühren zur Sicherung der Grundversorgung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung beruht? Ja, gut. Würde der Kaiser sagen. Und die Intendanten mit ihm.“
Wer wird der kommende Bundespräsident? Das Streiflicht (SZ 14.8.) schlägt vor. „Popstar heißt der aktuelle Traumberuf, oder Mittelstürmer beim FC Bayern, oder gar irgendetwas Abartiges, Schumi-Artiges. Der Erste Mann im Staate werden, oder auch die erste Erste Frau? Das ist ja wohl das Letzte, was man sich wünscht. Also doch Wolfgang Gerhardt? Warum nicht? Rettung vor der politischen, der professionellen, der zuverlässig sterbenslangweiligen Lösung bringt jetzt nur noch ein Kopfsprung ins Verwegene (das Modell Schwarzenegger also). Einen Deutschen nämlich gibt es, der wieder weltmeisterlichen Glanz im Amt verbreiten würde. Einen, dem schier alles gelingt, was er anfängt. Ein bayerischer Märchenfürst, ein deutsches Sonnenkind: Franz Freiherr von Beckenbauer. Der Mann redet gern und viel und manchmal auch Unsinn, aber seltsamerweise nimmt ihm das niemand übel. Warum also nicht Franz, why not the best? Zwar ist Beckenbauer möglicherweise keine Frau. Dafür aber kommt er aus Giesing. Und das heißt, zumindest in München: Er kommt aus dem Osten.“
Fritz Tietz (taz 14.8.) blätterte durch das kicker-Sonderheft. „Man kann wohl sagen, dass sich die heutigen Mannschaftsdarstellungen im Wesentlichen kaum von denen der ersten Ballsportvereine zu Kaisers (Wilhelm) Zeiten unterscheiden. Na gut, damals waren die Aufnahmen schwarzweiß und frei von jeder Reklame, die heute allerdings und inzwischen leider durchgängig, in Gestalt nämlich von allerlei klobigen und plumpsbunt ins Bild gerückten Erste-Hilfe-Koffern oder Werbebanden die formale Strenge des traditionellen Bildaufbaus brutal brechen – von den doofen Trikotwerbungen ganz zu schweigen. Darüber hinaus gibt es aber leider in diesem Jahr einige weitere unstatthafte stilistische Verwerfungen auf den kicker-Fotos zu entdecken. So wird wieder häufiger gegen jenes ungeschriebene Gesetz verstoßen, nach dem im Mannschaftsfotohintergrund nichts als eine leere Tribüne oder allenfalls ein Trainingsplatzanrainergebüsch zu sehen sein darf. Auf keinen Fall aber, wie es dieses Jahr der Fotograf der Schalker Mannschaft anzubieten wagt, ein seltsam verbautes Vereinsgebäude, das zudem so diagonal in das Foto hineinschrägt, dass hier die für die Mannschaftsfotografie so signifikante Gradlinigkeit vollends aus dem Lot zu kippen scheint. Auch das Foto vom Leverkusener Team, aufgenommen vor einem Hintergrund, der wegen seiner Undefinierbarkeit diese Bezeichnung schlichtweg nicht verdient, bricht in dieser Hinsicht mit sämtlichen Regeln des Genres. Desgleichen die Aufnahmen vom VfB Stuttgart, dessen Equipe vor irgendwas Schloßähnlichem posiert, weiterhin Eintracht Frankfurt (Flughafen-Terminal), FSV Mainz (Dach), Eintracht Trier (Viadukt), VfB Lübeck (Bretterwand), Rot-Weiß Oberhausen (Schloss) und Jahn Regensburg (Donaubrücke).Noch unverzeihlicher ist aber, was sich die Fotografen der Stuttgarter, Berliner und Mönchengladbacher Erstligateams dieses Jahr leisteten, indem sie doch tatsächlich auf ihren Fotos die Maskottchen dieser Vereine mit in die Mannschaften haben einrücken lassen. Schrecklich alberne Comic-Figuren sind das, grauselige Plüschtiermonster von der Art, wie sie von Jahrmarktslosbuden als Hauptpreise ausgeschüttet werden. Stehen da, als wärs völlig selbstverständlich, dass sie da in den Mannschaftskorpus eingereiht stehen, nämlich auf jenen äußeren Positionen, die traditionell den Physiotherapeuten oder Torwarttrainern vorbehalten sind. Ein Sakrileg ohnegleichen.“
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Ballschrank
Verbale Nichtexistenz von Reiner Calmund
Zur Stimmung in Leverkusen meint Bernd Müllender (FTD 7.4.). „Alles schien anders. Bayer Leverkusen trifft wieder üppig ins Tor. Auch die Freudenmusik nach den ersten drei Treffern ließ aufhorchen: Da donnerte die kölsche Hymne von Brings durchs Rund, in der als eine Art Westalgie die supergeile Zeit von früher besungen wird. Das vierte Tor dagegen wurde zukunftsgerichtet nachbeschallt: Jetzt gehts los … Als wären nach dem 4:1 gegen Hertha BSC neue supergeile Zeiten für den Abstiegskandidaten angebrochen. Noch auffälliger war die verbale Nichtexistenz von Reiner Calmund, dem Manager. Keine Statements, kein Kommentar, der Vollmund war versiegt – das ist, als wäre George Bush friedensfähig. War er überhaupt da? Nur einmal, sehr spät, kam er aus den Katakomben vor die Premiere-Kameras gerollt und gab als Kumpel Calli die Werbehure: Dienstag, liebe Fußballfreunde, müsse man Real gegen ManU gucken, live und exklusiv, euer Reiner Calmund. Kein Wort zu seiner Elf. Und Abgang, so schnell es der Leib zuließ. Seine Rolle hat jetzt als Hilfs-Calli Jürgen Kohler (37) übernommen, der neue Sportdirektor. Beim Premierenauftritt hatte er statt auf der Tribüne unten auf der Bank gesessen, als Beigeordneter zum Trainer, was vorher als eine Art strategische und zukunftsweisende Entscheidung gehandelt wurde (…) Einiges bei Bayer wirkte aber wirklich wie früher. Berbatow vergibt Torchancen und wird beim Auswechseln freundlich beklatscht. Ramelow verzichtet weitgehend auf Offensivaktionen, was dem Spiel gut tut. Neuville kann wieder stolperfrei rennen. Zivkovics Rückpässe kommen beim Torwart an, und Diego Placente, der Riese unter den Zwergen, formiert sich neu zum kleinsten Fels der Leverkusener Abwehrhistorie. Jürgen Kohler ließ abschließend wissen, er habe eine Philosophie aus drei Teilen. 1. Ich glaube an das, was nicht ist, damit es werde. 2. Man muss sich einer Herausforderung stellen, um sie zu bestehen. Und 3. An schweren Dingen wächst man. Und tatsächlich ist etwas von bislang unbekannter Größe beim Eximmerzweiten passiert.“
Zu viele Skurrilitäten in der Bayarena
Erik Eggers (Tsp 7.4.) reibt sich die Augen. „Eigentlich hatte das Spiel allein schon Stoff genug für ein spannendes Buch geboten, dieses in vielerlei Hinsicht sensationelle 4:1. Ein Abstiegskandidat war zu seinem bisher höchsten Saisonsieg gekommen gegen einen selbst ernannten Uefa-Cup-Aspiranten, und dabei hatten sich auf dem Rasen seltsame Dinge abgespielt. Leverkusens Stürmer Oliver Neuville etwa, der zuvor die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Mannschaft personifiziert hatte, bestritt seine Zweikämpfe von Anfang an mit Selbstbewusstsein und wurde dafür mit zwei Toren belohnt – so viele nur hatte er in der bisherigen Spielzeit erzielt. Auch Torwart Jörg Butt marschierte erinnerungsresistent zum vorentscheidenden Strafstoß. Er hatte total verdrängt, dass sein Kollege Bernd Schneider bei den letzten beiden Strafstößen für Leverkusen kläglich gescheitert war und dass er, Butt, mit seinem letzten, verschossenen, Strafstoß vor einem Jahr gegen Werder Bremen höchstpersönlich die Meisterschaft vergeben hatte. Als Sensation durfte ebenfalls gelten, dass jener Schneider, der bis dahin bei Freistößen überaus miserabel ausgesehen hatte, plötzlich genau mit einem solchen Freistoß den Ball an den Innenpfosten zirkelte und der Ball dann im Tor landete. Zudem lieferte der Berliner Nationalspieler Marko Rehmer vor dem 3:0 eine kabarettreife Einlage, als er beim Laufduell mit Neuville völlig unbedrängt über seine eigenen Füße stolperte. Genügend Stoff für Geschichten war also da. Eigentlich. Vermutlich aber gab es einfach zu viele Skurrilitäten in der Bayarena. Ihre Zahl überforderte schlicht die Aufnahmefähigkeit vieler Beobachter. So drängte sich schnell die Frage in der Vordergrund: Welchen Anteil hatte der neue Leverkusener Sportdirektor Jürgen Kohler an diesem ungewöhnlichen Auftritt von Bayer?“
Reaktionen in Berlin Tsp
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DFB-Pokal
Zwei Mannschaften in der Bredouille
Wie attraktiv der innerhalb der letzten Jahre bedauerlicherweise abgewertete Pokalwettbewerb ist, haben ausnahmslos alle Partien der zurückliegenden Viertelfinalrunde bewiesen.
Bei den jeweils im Elfmeterschießen siegreichen Leverkusenern und Kaiserslauterern beobachtete die FAZ „die Sanierungsbemühungen zweier Mannschaften, die weiter in der Bredouille sind“. Der Kasse des wirtschaftlich angeschlagenen 1. FC Kaiserslautern wird der Einzug ins Halbfinale sicherlich gut tun, aber „die ganz großen Schlachten werden derzeit in Kaiserslautern nicht auf dem Rasen geschlagen“ (SZ). Auf den Vorstandsvorsitzenden des FCK wartet eine Ochsentour, will er den hoch verschuldeten und Rechtsstreit mit Behörden erwartenden Klub tatsächlich sanieren. Wohl eine Aufgabe zum Fortlaufen, wie sich auch ARD-Moderator Delling gedacht haben musste, als er während der im TV-Studio durchgeführten Auslosung zur nächsten Runde den auf dem Monitor Zugeschalteten fragte: „Herr Jäggi, bist Du noch da?“ Zwar bemerkt die taz zum glückhaften Erfolg des letztjährigen Champions-League-Finalisten: „Unterhaching wäre für Bayer in der Tat ein guter Ort, um als Phönix aus der Asche zu steigen“ und erinnert an die vermeintliche Symbolhaftigkeit desjenigen Ortes, an dem die Werkself vor knapp drei Jahren sensationellerweise ihre erste Meisterschaft verspielte. Dahingegen lehnt sich die SZ weit aus dem Fenster:„Wenn Leverkusen in Bochum verliert, wird Toppmöller entlassen. Das ist so“, lesen wir dort ungewöhnlich prognosensicher über die Zukunft des Bayer-Coaches. Auch der Tagesspiegel erkennt: „Leverkusens Trainer Toppmöller steht vor dem Aus – auch wenn Manager Calmund das Gegenteil beteuert“
„Dem Emporkömmling richtig eins aufs Dach gegeben“ – diese Zielsetzung, die die Financial Times Deutschland dem FC Bayern München beim Duell mit dem 1. FC Köln im Nachhinein unterstellt – kann man als erfüllt betrachten. Acht Tore schenkte der Tabellenführer der Bundesliga seinem an und für sich als defensivstark geltenden Pendant aus Liga Zwei ein. Dabei gab Jungnationalspieler Sebastian Deisler nach neunmonatiger Verletzungspause sein Comeback, „genoß, unbehelligt vom Kölner Karnevalsverein, seine Narrenfreiheit“ (FAZ) und „fügte sich prächtig ein ins bayerische Gesamtkunstwerk“ (FR). Die auffälligste Leistung der aus dem Rheinland angereisten und „notorisch zum Scherz aufgelegten Kölner“ (FAZ) zeigten dabei einige Schlawiner aus dem Fanblock, als sie den Jungstar bei einer Ecke mit Schneebällen bewarfen. Die allseits erwartete Empörung von Bayern-Manager Uli Hoeneß ob dieses Zwischenfalls blieb jedoch aus.
Roland Zorn (FAZ 7.2.) ist angetan. „Wenn jetzt noch ein paar Zuschauer mehr kämen und die Terminplaner den Mut aufbrächten, die letzten Runden dieses Wettbewerbs nicht von so ungeselligen Begleitern wie Tief Vincenz stören zu lassen, könnte aus dem DFB-Pokal doch etwas werden. Was im flockig-kalten Februar gespielt wurde und im Halbfinale Anfang März unter womöglich ähnlich unwirtlichen Vorzeichen fortgesetzt wird, war auch symbolisch zu verstehen: Allen Beteuerungen zum Trotz bleibt der DFB-Pokal ein Lückenbüßer im Fußball-Jahreskalender. Immer dann programmatisch gefragt, wenn es für die Champions League oder die Qualifikation der Nationalmannschaften zu Europa- oder Weltmeisterschaftsturnieren noch zu früh oder zu kalt scheint. Ob’s stürmt, ob’s schneit, ob’s friert: Wer sich um den nationalen Cup streitet, muß rutschfest sein und die Kälte nicht scheuen. Dabei wurde in diesem Viertelfinale eine ansehnliche Warm-up-Runde bei Minusgraden absolviert, in der viel von dem neuen Ernst sichtbar wurde, mit dem alle beteiligten Mannschaften auch im DFB-Pokal um ihr Publikum und damit um jeden Euro extra kämpften (…) Was in Leverkusen wie der gewöhnliche Kampf gegen einen außergewöhnlichen sportlichen Erdrutsch anmutet, hat in der Pfalz längst Züge eines Dramas angenommen. Dort wurde der Sieg des Bundesliga-Letzten 1. FC Kaiserslautern in Bochum zwar als ein Zeichen der Hoffnung begriffen, doch retten müssen diesen Klub andere als die Profis in kurzen Hosen. Stadt, Land, Banken und die Vereinsführung trafen sich am Donnerstag zum ersten großen Sanierungskonklave. Auch eine Art Glücksspiel für den FCK – aber ungleich bedeutender als die mit Glück bestandene Pokalbegegnung am Abend zuvor.“
SpVgg. Unterhaching – Bayer Leverkusen 6:7 n.E.
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 7.2.) analysiert das Verhalten Reiner Calmunds. “Klaus Toppmöller beobachtete das Spiel mit den vielen Fehlern seiner Mannschaft äußerlich gelassen, innerlich aber wohl mit größten Befürchtungen. Er hockte unter dem tief verschneiten Dach seiner Reservebank, unter der er lediglich bei den zwei Leverkusener Toren, nicht aber bei Hachings Treffern hervorgekrochen kam. Als Butt den Elfmeter von Omodiagbe parierte, verließ der Bayer-Trainer seinen Iglu erstmals mit einer Siegesahnung. Nach dem entscheidenden Treffer durch Butt hielt es ihn nicht mehr, mit erhobenen Fäusten lief Toppmöller zu seiner Mannschaft. Und danach zur Medienmeute, der er verkaufen wollte: „Meine Position war nie gefährdet, die Spekulationen wurden nur von außen reingetragen. Ich kann nur sagen, ich bin gut dabei.“ Er habe immer „gut schlafen“ können. Hätte nicht das der Moment für Reiner Calmund, den Manager, sein müssen? Wollte der vor sich geradestehen, so hätte er klarstellen müssen, dass Toppmöller da ein wenig flunkerte. Doch was tat Calmund? Er flunkerte mit. So einfach ist das: Kein Wort mehr wollte der Manager wissen von seinem Ultimatum an Toppmöller. Calmund, darauf angesprochen: „Wir wollten hier unbedingt gewinnen. Alles andere zählt nicht.“ Wenn es doch immer so einfach wäre. Gestern konkretisierte der schwergewichtige Bayer-Manager noch: „Bis Samstag gibt es keine Diskussion.“ Und: „Wir haben mit keinem einzigen Trainer auch nur ein einziges Wort gesprochen.“ War es diesmal vielleicht eine Hachinger Schneeböe, die das Fähnlein gedreht hatte? Gestern war Calmund noch in der Gruppe der Kritiker, deren Spitze inzwischen auch in den Vorstandssesseln des Bayer-Konzerns sitzt, heute bewegt er sich im Kreis der Jubler. Kaum ein Zweiter in der Fußball-Bundesliga schlägt sich so unverwandt auf die Seite der vorherrschenden Stimmungen. Kein anderer arrangiert sich so unversehens mit den bestehenden Machtverhältnissen. Das hat sein Gutes: Reiner Calmund entkommt der Kritik immer. Ein solch wetterwendisches Cleverle wie den Bayer-Manager wird man lange suchen müssen in der Fußball-Bundesliga.”
Zur Bedeutung des Leverkusener Siegs bemerkt Moritz Küpper (FR 7.2.). „Es war nicht unbedingt die Vergangenheit, die Leverkusen dieses Pokalspiel schwer machte. Vor allem die aktuelle Situation lastete auf den Schultern der Bayer-Profis. Nach dem Fehlstart ins Jahr 2003 mit den beiden verlorenen Ligaspielen ohne Torerfolg, war das Pokalspiel auch zum Schlüsselspiel für Trainer Klaus Toppmöller gemacht Worden (…) Der Bayer-Tross fährt zuversichtlich nach Bochum, um in der Bundesliga mal wieder zu punkten (Toppmöller), obwohl die Situation nicht einfach ist. Ramelow, der gegen Unterhaching die Abwehr zusammenhielt und auch als Torschütze auftrat, ist gesperrt. Ebenso Yildiray Bastürk. Oliver Neuville und Radoslaw Kaluzny sind angeschlagen. Doch gerade bei Kaluzny hofft Toppmöller auf eine schnelle Genesung. Der Neuzugang war bei seinem Debüt bester Leverkusener und zeigte auf Anhieb, dass er aus dem im Abstiegskampf erfahrenen Cottbus gewöhnt ist, mit Druck umzugehen. Zum Matchwinner für die Bayer-Elf wurde aber ein anderer: Torwart Hans-Jörg Butt. Der Schlussmann hielt den entscheidenden fünften Elfmeter von Darlington Omodiagbe und verwandelte den seinen sicher. Dabei war es gerade Butt gewesen, der eine der Hauptrollen im Bayer-Drama in der bisherigen Saison gespielt hatte. Zwar gehört der Keeper zum Kader der Nationalmannschaft, in der Hinrunde saß er dennoch häufiger auf der Ersatzbank. Zum Rückrundenbeginn schien sein Platz in der Mannschaft wieder gefestigt, doch anfängerhafte Fehler in den ersten beiden Spielen ließen die Torwartdiskussion wieder aufleben.“
Marc Baumann (taz 7.2.) meint dazu. „Die drohende Blamage im DFB-Pokal gegen einen drittklassigen Verein. Und der in Form eines Ultimatums angedrohte Rauswurf von Klaus Toppmöller. Hätte er hier verloren, Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, hätte seine gerade erst am Vormittag präsentierte Arbeitslosenstatistik wohl um die Zahl Eins erhöhen müssen. Nach dem Schlusspfiff lief Toppmöller durch das Schneegestöber über das halbe Spielfeld, um Jörg Butt, dem Schützen des Siegtores, um den Hals zu fallen. Diese Umarmung sagte alles. Sieger wird man erst durch einen Verlierer. Den Mann, der allen leid tat, Darlington Omodiagbe. Einer musste beim Elfmeterschießen versagen, nur so funktioniert das Spiel. Es ist nie fair. Und an Tagen wie diesem ist es eine kleine Tragödie. Omodiagbe hatte wie alle Hachinger gut gespielt, war im dichten Schneegestöber gerannt bis zur Erschöpfung, und dann sprang Jörg Butt in die richtige Ecke. Omodiagbe ward an diesem Abend nicht mehr gesehen. In drei Tagen spricht niemand mehr über dieses Spiel, sagte Jan Seifert, Unterhachings Kapitän. Das kann Omodiagbe trösten, aber Seifert wollte etwas anderes damit sagen. Er wollte sagen, dass Unterhaching einen beeindruckenden DFB-Pokal gespielt hat. Und der Lohn ein paar aufmunternde Worte von Journalisten sind. Und fünfzehn Minuten Fernsehausschnitte in der ARD. So schnell kommen sie nicht mehr in die Tagesthemen. Von der Ersten Liga ging es für Unterhaching direkt in die Regionalliga, so etwas nennt man freien Fall. Dass sie wieder Boden unter den Füßen haben, Tabellenführer der Regionalliga Süd sind, verdankt die Mannschaft ihrem neuen Trainer. Wolfgang Frank, dem das Ende dieses DFB-Pokalabends den größten Schmerz zu bereiten schien. Wortlos, wie es nicht seine Art ist, ging er als Erster in die Kabine, wenn die Augen der Spiegel der Seele sind, hatte ein Blick alles gesagt.“
Über die Perspektiven von Klaus Toppmöller lesen wir von Jörg Stratmann (FAZ 7.2.). „Es war, wie Toppmöller bündig festhielt, ein Scheißspiel. Diesmal ausgerechnet dort, wo Bayer am letzten Bundesliga-Spieltag 2000 die Meisterschaft verspielt hatte. Und doch erlaubt der Sieg dem Trainer zumindest noch einmal, Bayer 04 beim alten Arbeitgeber VfL Bochum zu betreuen. Ich habe dort viele Freunde, sagte Toppmöller. Nur sollten sie wissen: Ich komme zurück, um Punkte zu holen. Die finstere Entschlossenheit, die er damit dokumentieren wollte, vermittelt sich indes nicht mehr (…) Und doch stand über allem erst einmal die große Erleichterung, selbst mit bescheidener Leistung und sehr glücklich die nächste Runde erreicht zu haben, in der nun im März Favorit Bayern München im eigenen Olympiastadion wartet. So weit nach vorn mag noch kein Bayer-Mitarbeiter denken. Wie er sein Saisonziel nun definiere? Zusehen, daß wir das nächste Spiel gewinnen, sagte Toppmöller. Und wenn nicht? Calmund verbat sich zwar heute, morgen, Samstag jede Trainerdiskussion, fuhr allerdings fort: Wenn wir in Bochum nicht gut gespielt und verloren haben, können Sie mich wieder fragen. Die Antwort wird vor allem Toppmöller interessieren.“
Hachinger Reaktionen SZ
Zur jüngsten Entwicklungsgeschichte der Hachinger schreibt Detlef Dresslein (FAZ 5.2.). „Unterhaching, das prädestiniert für die Regionalliga ist, brauchte lange, um sich aus einer Schockstarre zu befreien. Auch weil der Abstieg aus der zweiten Liga nach nur einem Jahr reichlich turbulent ablief. Erst ging man davon aus, daß der SSV Reutlingen keine Lizenz erhält – ein Verein, von dem Manager Norbert Hartmann auch heute noch behauptet, daß er betrogen und beschissen habe bis zum Geht nicht mehr. Und schließlich sollte auch Eintracht Frankfurt keine Lizenz bekommen, was aber zwei Wochen vor Saisonbeginn doch geschah. Fatal war diese Ungewißheit, weil man keine Regionalliga-Team zusammenbasteln konnte, da es noch 23 gültige Zweitligaverträge gab. Diese Spieler aber wären für die dritte Liga zu teuer wie auch größtenteils ohne Interesse gewesen. Jetzt prüft Kupka aktuell eine Schadenersatzklage gegen die Deutsche Fußball Liga, weil Alemannia Aachen in vier Spielen im Vorjahr satzungswidrig vier Vertragsamateure eingesetzt hatte. Wären Aachen die sieben Punkte aberkannt worden, wäre Unterhaching nicht abgestiegen. Erstaunlich, daß Wolfgang Frank, der neue Trainer, nach holprigem Start ein Team formte, das hervorragenden und modernen Fußball bietet und damit trotz gelegentlicher Ausrutscher doch ziemlich souverän die Tabelle anführt. Und daß es ihm gelang, die Mannschaft, in der nach wie vor Spieler wie Strehmel, Matthias Zimmermann, Dennis Grassow, Jan Seifert oder Ralf Bucher stehen, die allesamt die Tour Regionalliga-Bundesliga und zurück mitgemacht haben, wieder für die Drittklassigkeit zu motivieren. Es ist schwierig, Motivation zu finden, wenn man ganz oben war und jetzt nach Elversberg muß, sagt Frank. Seine ersten Schritte waren, das alte Unterhaching wieder auszugraben. Man hat hier eine Philosophie entwickelt, die genau gepaßt hat: Ein Klima, das geprägt war von Teamgeist in extremster Form – und wer neu dazugekommen ist, ist eingeschworen worden und hat langsam gespürt: Mit dieser Philosophie kann man viel erreichen. Diese Philosophie aber habe man in der Bundesliga und nach dem Abstieg verlassen.“
Bayern München – 1. FC Köln 8:0
Haben die drei Tore von Giovane Elber seine Vorgesetzten versöhnlich gestimmt? fragt Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 6.2.). „Alles in Butter also, das stille Werben der Bayern um den Kaiserslauterer Miroslav Klose wieder passé? Das scheint nicht der Fall zu sein. Zu tief sitzt der Ärger der Verantwortlichen über Elber, denn der Bayern-Stürmer steht inzwischen im Ruf eines launischen Dauernörglers – auch dann, wenn er wie gestern schweigt. Der der Führungsriege des Klubs fast schon chronisch mit seiner Unzufriedenheit in den Ohren liegt. Mal, so trug er vor, wollte seine Frau Cintia zurück nach Brasilien. Er selbst favorisiere die Wärme des Südens und würde gern zu einem spanischen Verein wechseln. Die Bayern kennen die Zickereien schon: Vor etwas mehr als zwei Jahren kam es zur Zerreißprobe, weil Elber in München keine brasilianische Putzfrau finden konnte. Der Unterschied zu früher: Jetzt scheint es die Klubspitze leid zu sein.“
Zum Comeback des Münchner Jungnationalspielers heißt es bei Andreas Burkert (SZ 6.2.). “Als Sebastian Deisler, 22, den Rasen betreten hatte, beim Stand von 7:0, erhoben sich die Tribünengäste, sie applaudierten, sie freuten sich. Freuten sich mit Deisler, den man viele Monate nur als Phantom im Kader des FC Bayern wahrgenommen hatte, als immerzu malade Hoffnung des deutschen Fußballs. Fast neun Monate nach seiner Knieverletzung, erlitten im Ländermatch gegen Österreich (6:2), wirkte seine Rückkehr im Pokal- Viertelfinale gegen den 1. FC Köln so verblüffend irreal wie später das verschwenderische Resultat auf der beleuchteten Tafel – 8:0. Nicht einmal Deisler selbst hatte an diesem Tag mit seiner Premiere im Bayern-Trikot gerechnet. Er trainiert zwar seit Januar mit der Mannschaft, doch stand er dort „unter Artenschutz“, so hatte es Trainer Hitzfeld intern verfügt. Am Dienstag hat er ihn wieder in der freien Wildbahn ausgesetzt. Spontan (…) Deisler trabte hinüber auf die rechte Außenbahn, die Kölner Verteidiger Voigt und Cichon warteten dort. Deren Stärke ist das robuste Spiel. Doch die Sorgen, die Deisler auf seinem Weg zu ihnen mitnahm, waren unbegründet: Deisler täuschte bald links an und ging rechts vorbei, kurz vor Schluss ignorierte er sogar das Schneeball- Inferno aus der Kölner Kurve.”
Interview mit Kölns Kapitän Lottner über die vier guten Minuten seines Teams beim SZ
Klaus Hoeltzenbein (SZ 6.2.) spendet den Verlierern Trost. „Um Köln muss sich niemand sorgen, jedes Tränchen wäre ein Tränchen zu viel. Die Stadt ist humorvoll und belastbar wie keine zweite dieser Republik. Damit ihr diese Rolle auch ja niemand streitig machen kann, hat sie es am Dienstag allen Herausforderern in der Bewältigung von Schicksalsfragen noch einmal gezeigt. Am Vormittag, punkt 11.11 Uhr, wurde unterm Dom die erste schwarz-grüne Koalition einer deutschen Millionenstadt besiegelt, vereint im Auftrag, den 550-Millionen-Schuldenberg zu tragen – am Abend gab’s, als Zugabe, das Nullzuacht. „Wat soll dä Quatsch?“, fragt da der Kölsche Jeck. Was ist das alles gegen diese tiefe Depression, die Pago Pago seit beinahe zwei Jahren beherrscht? Niederlagen nahe und in der Zweistelligkeit folgt meist eine Zäsur. Senkrecht abwärts ging’s zuletzt im Jahr 2000 mit dem SSV Ulm nach einem 1:9 gegen Leverkusen. Pago Pago aber, die Hauptstadt von Amerikanisch-Samoa, erlebte im April 2001 die Weltschlechtstleistung mit einem 0:31 gegen Australien. Da ist noch Luft drin, Ihr Kölner.“
1860 München – Werder Bremen 1:4 n.V.
Andreas Burkert (SZ 7.2.) kritisiert den Münchner Trainer. „Man hätte so gerne so viel erfahren von Peter Pacult. Zum Beispiel, was in der 85. Minute im Kopf des Trainers von 1860 München vorgegangen war. Ein bisschen was konnten sich die 3000 Menschen im Olympiastadion selbst zusammenreimen. Es stand 1:0 für Sechzig, und die Führung war glücklich für die Löwen. Werder hatte zwei Stürmer eingewechselt, Pacult bat die Defensivspieler Uwe Ehlers und Rafael da Silva, sich auf ihren Einsatz vorzubereiten. Sie taten das. Aber in der 85. Minute, als Pacult seinen Kniff zur Ergebnissicherung gerade umsetzen wollte, schoss Bremen den Ausgleich. Man hätte nun gern von Pacult gewusst, warum er seinen Gedanken nicht mehr änderte, warum er in einem Pokal-Viertelfinale, in dem es einen Sieger geben muss, ein 1:1 sichern wollte. Pacult zog den Wechsel durch, Werder schoss das 2:1, 3:1, 4:1. „Es ist mühsam, darüber zu reden“, brummte Pacult, mühsam und sicher auch müßig, denn das Spiel war ja vorbei. Vorbei. Verloren. Und vercoacht? Wäre es so, Peter Pacult müsste sich nicht schämen. Er ist zwar schon in der zweiten Saison Trainer bei 1860, vorher hat er lange bei den Amateuren des Vereins diesen Job üben dürfen, aber er ist immer noch ein junger Trainer. Spiele haben schon die Besten vergeigt. Ottmar Hitzfeld steht unter Verdacht, Verantwortung für das auf traumatische Weise verlorene Champions-League-Finale 1999 gegen Manchester United zu tragen. Weil er Lothar Matthäus in der 80. Minute auswechselte, für Thorsten Fink. Wenn Matthäus raus musste, warum so spät? Und warum Fink, der prompt einen folgenschweren Fehler machte? Auch Giovanni Trapattoni, der alte Fuchs, verzockte sich bei der WM, als er gegen Korea ein 1:0 heimschaukeln wollte, Stürmer del Piero vom Platz nahm – und Italien von Korea überrannt wurde. Erich Ribbeck ist es 2000 sogar gelungen, ein ganzes EM-Turnier zu vercoachen.“
Ralf Wiegand (SZ 7.2.) skizziert die jüngste Entwicklung des Löwenklubs. „Der TSV 1860 kommt nicht voran, vielleicht ist das der Grund, warum der blau-weiße Löwe sein Revier so dermaßen weit ausdehnt, bis nach Asien. Schon tauchen chinesische Reporter im halben Dutzend bei den Heimspielen auf, das Fernsehen überträgt live nach China, und selbst die Hostessen am Vip- Empfang haben – Zufall? – asiatische Verstärkung bekommen. Natürlich kommen auch chinesische Zuschauer, und da liegt der Hase im Pfeffer bzw. das Hühnerbein in seinem süß-sauren Soßenbett: Daheim findet 1860 irgendwie keinen Markt. 3000 Zuschauer oder 4000, es nachzuzählen wäre pietätlos. Das Wetter war schlecht und das Fernsehzimmer zu Hause gut geheizt, das sind Argumente – aber nicht für die, die ein Löwenherz haben. Und solche Menschen werden offenbar immer weniger. Das mag daran liegen, dass die Löwen immer dann, wenn man an sie glauben möchte, den Anschluss verpassen. Dazu ein paar Jahre in der sportlichen Versenkung, ein paar Jahre Stadiondiskussion – der Löwen jüngere Geschichte ist keine, mit der man Stammkunden gewinnt. Nun, China ist die Hoffnung, mal was Neues.“
VfL Bochum – 1. FC Kaiserslautern 6:7 n.E.
Christoph Biermann (SZ 7.2.) erkannt in der Leistung des Gästeteams Hoffnungsschimmer. „Gestern Mittag stellte Jäggi rund zwei Dutzend Vertretern des Landes, der Stadt und Banken, des Hauptsponsors und der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ein Modell vor, wie am Betzenberg die Insolvenz verhindert werden soll. Im Wesentlichen geht es um den Verkauf des vereinseigenen Fritz-Walter-Stadions. Für Rückenwind bei den Verhandlungen sorgte endlich auch die Mannschaft mit dem Pokalsieg in Bochum und dem damit verbundenen Sprung ins Halbfinale, fand Jäggi: „Das war das richtige Zeichen zum richtigen Zeitpunkt.“ Das 7:6 im aufregendsten Pokalspiel der Saison verfestigte den Eindruck, dass zumindest die sportliche Sanierung des 1. FC Kaiserslautern Kontur annimmt. Der Sieg im Elfmeterschießen mochte glücklich sein, weil er das immer ist; Lauterns Keeper Tim Wiese hielt zwei, Bochums Rein van Duijnhoven nur einen Elfmeter. Doch insgesamt war der Erfolg nicht unverdient. Die Gäste im Ruhrstadion kämpften nicht nur, sondern erarbeiteten sich mehr Torchancen als die Gastgeber. In der Abwehr machte Lautern zwar erneut eine Reihe grotesker Fehler, dafür bereitete das Offensivspiel des FCK dem VfL Bochum in der ersten Halbzeit und über weite Teile der Verlängerung eine Fülle von Problemen.“
Michael Ashelm (FAZ 7.2.) erinnert sich. „Dem finanziell auf der Kippe stehenden Klub wird der Einzug ins Pokalhalbfinale, das dem FCK ein Heimspiel gegen Werder Bremen beschert, wichtige Euros in die leeren Kassen spülen. Zum zehnten Mal hat Kaiserslautern die Vorschlußrunde dieses Wettbewerbs erreicht, viele schöne Erinnerungen werden mit ihm verbunden. Aber war da nicht etwas? Im Jahr 1996 spielte sich die Lauterer Mannschaft bis ins Finale und besiegte dort den Karlsruher SC. In derselben Saison mußte sich der Klub allerdings auch aus der Bundesliga verabschieden. Das sind doch alte Kamellen, sagt der junge Torwart Wiese. Er will ausschließlich positiv denken.
Gewinnspiel für Experten
Internationaler Fußball
FA Cup in England, die Lage beim abstiegsbedrohten FC Barcelona
Europas Fußball vom Wochenende: Resultate – Tabellen – Torschützen NZZ
England
Von Roland Wittner
Auf der Insel wurde vergangenes Wochenende der ruhmreiche FA Cup ausgetragen. Manchester United fegte dabei mit 6:0 Gegner West Ham ebenso deutlich aus dem Pokal wie Arsenal das Nationwide Conference Team aus Farnborough mit 5:1. Interessant dürfte nun das Aufeinadertreffen eben dieser beiden Premier-League-Giganten in der nächsten Runde werden. Liverpool konnte gegen den Londoner Zweit-Divisionär Crystal Palace keine Entscheidung herbeiführen, so dass ein weiteres Spiel für die nötige Entscheidung sorgen muss. Mehr
Der Deutsche Steffen Freund in Diensten der Tottenham Hotspur erhielt von Trainer Glenn Hoddle die Nachricht, den am Saisonende auslaufenden Vertrag nicht verlängert zu bekommen. Hoddle betonte zwar die herausragenden Leistungen, die Freund in all den Jahren den Hotspur andiente, seine Prognose, Freund werde in die ewige Heldenliste Tottenhams eingetragen, scheint nach 128 Spielen ohne einen einzigen Torerfolg allerdings mutig. Mehr
Die schlimmsten Befürchtungen wurden indes für den FC Liverpool im FA Cup gegen CP wahr: Nachdem der 21. jährige Chris Kirkland vor kurzem den außer Form geratenen (bzw. nie in Form gewesenen) Dudek aus dem Tor verdrängte, wird er aufgrund eines Bänderrisses mindestens bis zum Ende der Saison ausfallen. Damit wird auch die Einladung zur englischen Nationalmannschaft hinfällig, die Kirkland nach seinen guten Leistungen erhalten hatte. Mehr
In Irland ist nach langen Überlegungen die Nachfolge von Ex-Nationaltrainer Mick McCarthy geregelt: Weder der hoch gehandelte Bryan Robson noch John Aldrige erhielten den Zuschlag; Brian Kerr, bisheriger Trainer des irischen Jugendteams, wird den neuen Teamchef der „fighting irish“ geben. Mehr
Ein glückliches Ende nahm der Aufenthalt von Paul Gascoigne im Reich der Mitte: Nach etlichen Absagen wird Gazza Spielertrainer beim Tabellenletzten der chinesischen Zweiten Liga (!) Gansu Tianma. Gazza betonte, dass er sich solch eine Chance nicht entgehen lassen konnte, auch wenn der Vertrag vorläufig für lediglich neun Monate abgeschlossen wurde. Mehr
Spanien
Markus Jakob (NZZ 28.1.) beschreibt die Lage beim FC Barcelona. „Inzwischen nimmt das Abstiegsgespenst für den FC Barcelona zunehmend deutliche Konturen an, und die nächstjährige Champions League scheint am einfachsten über den Gewinn der diesjährigen zu erreichen zu sein. Denn in diesem Wettbewerb ist man seltsamerweise noch ungeschlagen und hat mit zehn Siegen in Folge sogar den Rekord der AC Milan eingestellt. In der Liga aber war für van Gaal seit dem Spätherbst jedes Spiel zur Schicksalspartie geworden. Die Niederlagen gegen Rayo Vallecano, dann kurz vor Weihnachten gegen Sevilla schienen für den Trainer das Aus zu signalisieren; doch selbst als vor einer Woche sein Angstgegner Valencia das Camp Nou siegreich verliess, überlebte er eine weitere Woche. Mal für Mal hatten Freund und Feind ungläubig zur Kenntnis zu nehmen, dass Präsident Gaspart an ihm festhielt. Es reichte ein Erfolg im nächsten Spiel – und sei es, wie in Mallorca, gegen eine während 80 Minuten mit neun Spielern kämpfende Mannschaft –, um wieder einige Tage ungeschoren zu überstehen. Die zunehmend groteske Situation gipfelte in dem unvergesslichen Auftritt Gasparts, der nach der Heimschlappe gegen Sevilla minutenlang gesenkten Hauptes, auf seinem Logenplatz ausharrend, den Märtyrer spielte und die Missfallenskundgebungen des Publikums über sich ergehen liess. Dass ein Präsident, dessen exhibitionistische Attitüden immer peinlicher wurden und dem überhaupt jeglicher Sinn fürs Dekorum fehlt, dem nach Mitgliedern weiterhin weltgrössten Sportverein nicht zur Zierde gereicht, ist längst auch vielen jener klar, die ihn vor zweieinhalb Jahren in dieses Amt gewählt haben. Aber Gaspart hat nicht nur das Image des Klubs ruiniert – so sind die beiden noch von einem Rekurs abhängigen Platzsperren für die Zwischenfälle im Spiel gegen Real Madrid die ersten in der Klubgeschichte, sieht man von den politisch motivierten Schikanen in den zwanziger Jahren ab –, und er hat den FC Barcelona nicht nur sportlich in die übelste Lage seit der Saison 1940/41 geführt, sondern ihn auch finanziell in die Bredouille gebracht (…) Im Charakter zu dumpf, zu sehr von seiner eigenen Präpotenz geblendet, konnte der holländische Trainer mit wirklichen Talenten nie umgehen. Entweder versuchte er, sie in sein System zu zwingen, oder sie versauerten auf der Ersatzbank. Dass trotz dem Dauerbeschuss seitens der Medien kein Spieler je gegen ihn rebellierte, ist auch ein Zeichen dafür, welch zahme Gruppe Präsident Gaspart sich in den letzten Jahren zum Preis von 200 Millionen Euro zusammengekauft hat.“
Weiteres
Georg Bucher (NZZ 28.1.) sah das Derby in Porto. „Nicht wie in den glorreichen Zeiten des lusitanischen Fussballs Benfica – Sporting, sondern das Derby zwischen Porto und Boavista spielte in den letzten Jahren dank Boavistas Höhenflug eine Hauptrolle im Titelkampf. Diese Saison sind der grosse und der kleinere Klub der Nordmetropole freilich in verschiedene Richtungen gedriftet. Während Porto, von 1996 bis 2000 Landesmeister, ausser drei Unentschieden alle Partien gewonnen und den Verfolger Benfica schon um elf Punkte distanziert hat, steht Boavista mit dem schwächsten Angriff der Liga in der unteren Tabellenhälfte. Um die Finanzen ins Lot zu bringen, mussten Leistungsträger – Petit an Benfica und Pedro Emanuel an Porto – verkauft werden. Nichts Ungewöhnliches für die Boavisteiros, nur war es bisher gelungen, die Lücken zu schliessen. Eine Verletzungsmisere verstärkte das Malaise des erfolgsverwöhnten Trainers Jaime Pacheco zusätzlich. Vor diesen Hintergründen zeichnete sich am Samstag anlässlich des Stadtderbys im Estádio das Antas eine klare Angelegenheit ab.“
Vereinsportrait AC Perugia NZZ
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
1860 München – VfB Stuttgart 0:3
Die haben da zwei Tiere hinten drin
Christian Zaschke (SZ 29.9.) sah überlegene Gäste: „Nachdem Trainer Felix Magath rasch zwei Sätze hingeworfen hatte, sprach er über das, was ihm wirklich im Kopf herumging. „Wir müssen uns auf den Mittwoch konzentrieren, da wird es 90 Minuten heiß hergehen.“ Magath wirkte sehr ernst. „Das ist ein wichtiges Spiel, in dem wir punkten müssen. Wir wollen ja nicht nur in der Bundesliga mitmischen.“ Deutlicher hätte er kaum sagen können, dass der TSV 1860 kein Gegner für seine Mannschaft war, als in seiner Spielanalyse vom kommenden Mittwoch zu sprechen. Dann spielt der VfB in der Champions League gegen Manchester United. Die Partie gegen die Münchner interessierte Magath eine halbe Stunde nach Spielschluss nicht mehr. Dabei gab es einiges zu sagen über diese Begegnung zweier ungleicher Teams. Das besorgten die Profis der Sechziger. Torwart Michael Hofmann sagte: „Ich denke, von Nummer eins bis Nummer elf waren wir gegen Stuttgart absolut chancenlos.“ Torben Hoffmann bemerkte: „Die wirken sehr gefestigt und sind in der Spielanlage sehr weit.“ Benjamin Lauth erkannte: „Die haben es ruhig runtergespielt, die sind clever und sehr abgeklärt.“ Schließlich analysierte Andreas Görlitz: „Die Innenverteidigung – die haben da zwei Tiere hinten drin, da geht nicht viel, und dann haben die noch Super-Spieler davor, das ist einfach eine geschlossene Mannschaft.“ Erstmals in dieser Saison waren die Münchner vollkommen chancenlos, und sie waren Profis genug, das zu erkennen.“
Der Hunger nach Erfolg ist groß
Thomas Becker (FR 29.9.) findet „es erstaunlich, wie abgebrüht die Schwaben die Sechziger vorführten. Schon in der ersten Halbzeit probierte man sämtliche Freistoßvarianten durch – wie bei einem Testspiel gegen einen Viertligisten. Genauso selbstverständlich wieselte der überragende Alexander Hleb kurz nach der Pause von der Mittellinie aus Richtung Tor und schoss zum 3:0 ein. Spätestens jetzt begann die Vorbereitung auf das Champions-League-Spiel gegen ManU am Mittwoch. Muss man noch sagen, dass beim VfB auch hinten mal wieder die Null stand? 735 Minuten ist es nun schon her, dass Timo Hildebrand einen Gegentreffer in der Liga kassierte, nur 67 fehlen zum Kahn-Rekord. Und doch zweifelt niemand, wenn er sagt: Das ist mir schnurzpiepegal. Diese Stuttgarter Mannschaft hat einiges mehr vor, als solche Rekorde zu brechen. Der Hunger nach Erfolg ist groß. Sieben der eingesetzten Spieler sind 23 Jahre und jünger. Bei den Löwen, die sich schon auf einem ähnlichen Weg wähnen, waren es gerade mal zwei: Ausnahmespieler Lauth und Andreas Görlitz, der auf der rechten Außenbahn den direkten Vergleich mit Andreas Hinkel um Längen verlor. Ansonsten: Nichts zu sehen vom eifrig bejubelten Jugendkult bei den Löwen.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 29.9.) fügt hinzu: „Sie haben in dieser Saison dort weitergemacht, wo sie in der vergangenen aufgehört haben. Nein, sie sind sogar noch besser geworden, noch erfolgreicher, weil sie nicht aus purer Spielfreude ungestüm drauflosstürmen, sondern das ökonomische Prinzip, das seit Jahren dem FC Bayern München Titel um Titel beschert, adaptiert haben. Zugetraut haben das dem Jugendensemble nicht sehr viele, zumal es nun mit der Doppelbelastung Champions League zurechtkommen muß. Weil Magath nicht die personellen Möglichkeiten wie sein Kollege beim FC Bayern, Ottmar Hitzfeld, hat, um fast nach Belieben zu rotieren, muß die Mannschaft eben versuchen, mit ergebnisorientiertem Fußball Kräfte zu sparen. Das mag dem einen oder anderen Ästheten nicht besonders gefallen, aber es ist die einzige Chance, sich in der Bundesliga oben zu behaupten. Daß die jüngste Bundesliga-Mannschaft schon so abgeklärt spielen kann wie die Routiniers des deutschen Meisters, verblüfft aber sogar Magath. So langsam wird mir das unheimlich, gibt er zu. Die Mannschaft scheint derzeit nichts aus dem Konzept bringen zu können. Nicht die 1:2-Niederlage im ersten Champions-League-Spiel gegen Glasgow Rangers in den letzten Minuten, der sofort wieder der Sieg gegen Borussia Dortmund folgte. Nicht die leise Kritik, unansehnlicheren Fußball als im Vorjahr zu zeigen. Für Magath ist die abgebrühte Spielweise das Ergebnis eines ganz natürlichen, wenngleich erstaunlich schnellen Reifeprozesses.“
1. FC Köln – Werder Bremen 1:4
Unruhige Domstadt
Die FR (29.9.) analysiert die Strategie Andreas Rettigs: „Friedhelm Funkel weiß nicht erst seit gestern, dass sich sein Manager vom Druck der Tribüne nicht zu einer Ad-hoc-Entscheidung verleiten lässt. Das liegt daran, dass Rettig erstens ein besonnener Mann ist und zweitens einige Jahre lang in Freiburg tätig war. Dort lernte der gebürtige Rheinländer, dass gegebenenfalls sogar mit dem selben Trainer (dort: Finke) ein Abstieg und Wiederaufstieg möglich sein kann, sogar mehrmals. Nun ist Köln nicht Freiburg und Funkel nicht Finke. Deshalb ist der aktuelle Kölner Coach nach dem kommenden Wochenende vielleicht schon wieder ein Ex-Trainer auf Jobsuche. Wer den Kölner Präsidenten Albert Caspers Samstag im Fernsehen gesehen hat, wird unschwer den Unterschied zum ehrenamtlichen Freiburger Boss Achim Stocker erkannt haben: Caspers hat wenig Geduld mit Funkel, Stocker hatte immerfort viel mit Finke. Vor diesem Hintergrund ist es bestimmt schlau, dass Rettig, der Manager, der sich beim 1. FC Köln bereits eine weitreichende Machtposition erarbeitet hat, derzeit auf Schmusekurs mit der mitunter unberechenbaren örtlichen Presse geht, vor allem mit dem traditionell gnadenlos urteilenden Boulevard. Denn die über exzellente Quellen im Hintergrund verfügenden Kölner Medien, das weiß Rettig aus vergleichender Betrachtung, sind ungleich schwerer zu gängeln als die einsame Badische Zeitung in Freiburg. Da empfiehlt sich in der unruhigen Domstadt (sic!) die Umarmungstaktik.“
Kein Spieler darf glauben, er darf sich hier verpissen
Die Lage in Köln erläutert Erik Eggers (Tsp 29.9.) ergänzt: „Der FC präsentierte sich bei seiner sechsten Niederlage im siebten Bundesligaspiel den 33 000 Zuschauern in desolatem Zustand. Funkel, der gewöhnlich das Spiel mit lautstarken Anweisungen begleitet, verfolgte die Arbeitsverweigerung seiner Elf geschockt, wie angewurzelt stand er die ganze Zeit am Spielfeldrand. Später musste er, weil Hunderte von wütenden Fans das Marathontor blockierten, in Abstimmung mit der Polizei separat von der Mannschaft aus dem Stadion gefahren werden. Ein Auftritt vor den Fans, die nach Christoph Daum riefen, „wäre kontraproduktiv gewesen, die Stimmung war zu aufgeheizt“, sagte Manager Rettig. Die Konsequenzen, die den Journalisten gestern mitgeteilt wurden, betreffen indes nicht den Trainer, sondern die Spieler, deren „Einstellung zum Arbeitgeber und zum Beruf“ sich laut Manager Rettig ändern müssten. Ab sofort ist der freie Montag gestrichen, und die Spieler haben nun einen Zapfenstreich einzuhalten. Laut Rettig muss „jeder Spieler um 22 Uhr zu Hause erreichbar sein“. Zudem werden die Spieler am Dienstagabend in den Fanklubs Öffentlichkeitsarbeit verrichten müssen, denn „jeder Einzelne soll jetzt spüren, wie die Stimmung ist,“ sagte Rettig. Keiner dürfe sich hinter den „Funkel-Raus“-Rufen verstecken, „kein Spieler darf glauben, er darf sich hier verpissen“. Funkel werde vor dem nächsten Spiel in Stuttgart nicht entlassen, und auch eine schleichende Entmachtung des Trainers schloss Rettig aus. Dennoch ist klar: Einen weiteren Auftritt dieser Qualität kann sich Funkel nicht leisten.“
Was wollen die protestierenden Kölner Fans?, fragt Ulrich Hartmann (SZ 29.9.): „Sie wollten ihren Groll den Fußballern gern persönlich mitteilen nach einem 90-minütigen Trauerspiel, und weil die hoch bezahlten Mitglieder des Kölner Aktivkreises eine so zerstörerische Leistung gezeigt hatten, „mussten sie eben an die Front“, wie der Manager Rettig im Militärton erklärte. Auf seinen Befehl hin schlichen die Profis an Kampfhunden mit Maulkörben und einer halben Hundertschaft von Polizisten und Sicherheitsleuten vorbei zu den lustig kostümierten, aber umso erregteren Anhängern und wurden Mann für Mann verschluckt von einer pulsierenden Menge, die sich erst beruhigte, als sie in persönlichen Gesprächen den Wunsch äußern durfte, es möge bald alles wieder gut werden. „Bitte, bitte, bitte schmeißt den Funkel raus!“, sagte ein zuvor höchst aggressiver Mann so demütig zum Manager, als flehe er um die Erlassung einer langjährigen Zuchthausstrafe. Im selben Moment begann der Rest der Schar den Namen eines geeignet erscheinenden Trainers zu skandieren („Christoph Daum“), doch Rettig machte allen klar, dass er noch nicht gewillt ist, Funkel zu feuern. „Wir holen nicht das Scharfbeil heraus, nur weil die Menge Köpfe rollen sehen will“, hat er gesagt und clever solche brachiale Vokabeln benutzt, die suggerieren sollten, dass es hier doch bloß um Fußball gehe und alles halb so schlimm sei. Das Problem ist allerdings, dass die Kölner Fußballer in den vergangenen fünf Jahren bereits zweimal abgestiegen und die Fans dadurch traumatisiert sind. Deshalb haben sie in einer über Jahre hinweg fast schon lieb gewonnenen Tradition wieder einmal vor dem Marathontor des Stadions protestiert, und das nach einer Woche, die vielen in Köln zu harmonisch erschienen war angesichts der prekären Situation.“
Der beste Kunde jedes Klubs
René Martens (FTD 29.9.) schildert die „dritte Halbzeit“ in Köln: „Wenn man bedenkt, dass die vorher von Werder vorgeführten FC-Kicker von 18.20 Uhr bis 19 Uhr mit den Demonstranten diskutiert haben, fragt man sich doch: Haben solche Fans kein Zuhause? Oder wartet nach dem Spiel dort niemand auf sie? Sind sie auch noch nie darauf gekommen, dass das Leiden ein essenzieller Bestandteil des Fan-Daseins ist? „Trainer muss im Auto aus dem Stadion fliehen“, textete „Bild am Sonntag“ gestern künstlich aufgebauscht: Als ob Funkel sonst mit dem Mountainbike nach Hause radelt. So lange bei den Protesten keine Feuerwerkskörper fliegen wie jetzt in Köln, loben die Betroffenen die Krakeeler sogar als konstruktive Kritiker. Kein Wunder: Wer bereit ist, so viel Zeit in den Fußball zu investieren wie ein Mannschaftsbusblockierer, ist der beste Kunde jedes Klubs.“
Borussia Mönchengladbach – VfL Bochum 2:2
Borussia Mönchengladbach steht vor einer Trümmerlandschaft
Christoph Biermann (SZ 29.9.) schildert die zerbrechliche Stimmung auf dem Bökelberg: „Die Passivität der Borussen war es, die das Publikum so aufbrachte. Den Trainerwechsel und seine besonderen Umstände hätten sie wohl akzeptiert, wenn seine Wirkung gleich zu spüren gewesen wäre. Doch weil die damit verbundenen Ereignisse für viele Anhänger offensichtlich einen seltsamen Unterton von Intrige und Verschlagenheit haben, überwog schließlich das Misstrauen. Denn auch am Ende einer Woche mit vielen Zeitungsartikeln und Fernsehberichten war ihnen der Fall nicht transparent genug. Dieses Gefühl hatten auch einige Spieler, allen voran die Köpfe des Teams, die sich so deutlich wie nie hinter die Entscheidung des Klubs stellten. Torhüter Jörg Stiel nannte die Entlassung von Lienen ausdrücklich „richtig“, weil unter ihm „Kaninchen-vor-der-Schlange-Fußball“ gespielt worden sei. „Vom sportlichen Geschehen fand ich es korrekt, dass Lienen gegangen ist“, sagte auch der zweimalige Torschütze Arie van Lent. Nach den fast feindseligen Reaktionen des Publikums gefragt, meinte er: „Vielleicht müsste man ganz ehrlich alles erzählen, was vorgefallen ist, dann würde viele auch wieder hinter uns stehen“, sagte er. Aus diesen Äußerungen war deutlich abzusehen, dass die Mannschaft mit ihrem geschassten Trainer wirklich fertig gewesen ist. Zum Beginn des Herbstes und nach nur sieben Spieltagen steht Borussia Mönchengladbach derzeit erst einmal vor einer Trümmerlandschaft. Das Verhältnis zwischen Vereinsführung, Trainer und Mannschaft auf der einen und den Zuschauern auf der anderen Seite ist gestört. Hier den Wiederaufbau zu schaffen, so war am Samstag deutlich zu spüren, dürfte einige Zeit dauern. Eine seltsame Schicksalsgemeinschaft ist in der letzten Woche in Mönchengladbach zusammengeschmiedet worden. Nicht nur, was das weitere Schicksal von Trainer und Sportdirektor betrifft, auch die Mannschaft gehört mit ihren klaren Aussagen nun dazu.“
Aufstieg und Fall eines Sportdirektors
Roland Zorn (FAZ 29.9.) ergänzt: „Völlig unfreundlich und ohne jeden Charme hat der einst stockseriöse VfL Borussia Mönchengladbach vor einer Woche den ersten Trainerwechsel der Saison vollzogen. Von einer Wunderwirkung des hinterrücks inszenierten Akts auf der niederrheinischen Provinzbühne war beim 2:2 der Borussia gegen den VfL Bochum jedoch rein gar nichts zu sehen. Nur mit viel Glück entging Holger Fach, Ewald Lienens Nachfolger von Sportdirektor Christian Hochstätters Gnaden, einer Niederlage zum Wiedereinstand auf dem Bökelberg. Die Fans, vom absurden Theater fast so überrascht wie der düpierte Lienen, halten erst einmal auf Distanz zu den Protagonisten ihres Klubs. Nicht nach ihrer Meinung gefragt worden zu sein in einem Stück, bei dem die öffentliche und veröffentlichte Meinung zumindest den Prolog in aller Regel mitbestimmt, kreiden sie vor allem Strippenzieher Hochstätter an. Wer weiß, ob nicht eines Tages das Stück Aufstieg und Fall eines Sportdirektors auf dem Spielplan der Bökelberg-Bühne steht?“
Vetternwirtschaft und Kungelei
„Ein Grund für den Trainerwechsel war, so das Borussen-Präsidium, dass den Sponsoren nicht zugemutet werden sollte, bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt zu zittern. Mit der Performance von Samstag müssen sie froh sein, wenn sie am letzten Spieltagen noch zittern dürfen“, schreibt Bernd Müllender (taz 29.9.): „Es war ein fürchterliches Spiel gewesen mit Höhepunkt-Abstinenz und Befreiungsschlägen, wo es gar nichts zu befreien gab. Zeitweilig schienen sich beide Teams zu einem Fehlpass-Rekordversuch fürs Guinness-Buch verabredet zu haben. Spielkultur? Mangelware. Eine Darbietung, die zum unreifen Nachgetrete aller Beteiligten unter der Woche passte. Da hatte Ewald Lienen nochmal nachgehakt und -geharkt, Intrigen beklagt, Verschwörungen angedeutet, sich als unschuldiges Opfer stilisiert: Mein Vertrauen wurde schändlich missbraucht. Nur: Die volle Wahrheit könne er noch nicht erzählen. Hochstätter und er warfen sich putzigerweise gegenseitig vor, jeweils zur Unzeit in Urlaub gefahren zu sein, wodurch Spielertransfers nicht klappten. Hochstätter beteuerte, es sei nichts abgekartet gewesen, als er Holger Fach mit geheimer Rückholoption aus Essen wie ein Kaninchen aus dem Hut zurückgezaubert hatte. Holger Fach bekrittelte nachträglich mehrfach Maßnahmen des Vorgängers, was wiederum Lienen unfair und stillos nannte. Reichlich Gschmäckle bleibt, weil Fach schon vor einem halben Jahr Hochstätters Wunschkandidat gewesen sein soll, aber beim Präsidium nicht durchsetzbar. Die Fanseite Torfabrik.de verweist derweil darauf, dass Hochstätter eben jenen Fach schon vor zwei Jahren unter dem Verdacht von Vetternwirtschaft und Kungelei als Amateurtrainer geholt hatte.”
Richard Leipold (FAZ 29.9.) fügt hinzu: “Wenn das Krisenmanagement der Schicksalsgemeinschaft Hochstätter/Fach nicht greift, könnte das Band zwischen der Mönchengladbacher Mannschaft und ihren Anhängern bald durchgescheuert sein. Dieses Band hatte der Borussia im Abstiegskampf der vergangenen Saison Halt gegeben, trotz oder wegen Fachs skurrilem Vorgänger Ewald Lienen. Selbst der Sportdirektor in seiner kühlen, manchmal berechnenden Art erkannte am Samstag nachmittag, wie schwierig es wird, wenn die feindselige Stimmung anhält. Natürlich habe er Verständnis für den Unmut. Ein Jahr lang waren wir auf dem Bökelberg eine Macht. Nun haben wir nur vier Punkte aus vier Spielen eingefahren. Wir müssen daran arbeiten, die Fans wieder auf unsere Seite zu bringen. Kurz nach dem Spiel hatte er noch gesagt, die Proteste der Basis machten ihm nichts aus.“
VfL Wolfsburg – Bayer Leverkusen 0:1
Sie wissen aus verschütt gegangener Erfahrung, wie Spitzenfußball geht
Katrin Weber-Klüver (FTD 29.9.) berichtet die nüchterne Reaktion des Siegers: „Augenthaler fand einigen Anlass, ungehalten zu sein: Er war sauer über mangelhafte Einstellung der Spieler – außer Torwart Jörg Butt und den Innenverteidigern Juan und Lucio – in der ersten Halbzeit und fügte nur ungnädig an, dass das Spiel in der zweiten Hälfte besser geworden sei. Er war sogar immer noch mürrisch, weil seine Mannschaft in der Vorwoche in München einen Vorsprung verspielt hatte. Und hätte er nicht abreisen müssen, wäre Augenthaler das Material zum Meckern in Wolfsburg vermutlich nicht ausgegangen. Nun könnte aber gerade die grantelige, geradlinige Nüchternheit dieses Trainers ziemlich genau das sein, was den in den letzten Jahren unter mal anstrengend exzentrischen, dann enervierend hausbackenen Trainern durch stürmische Aufs und Abs des europäischen und nationalen Fußballs gejagten Leverkusenern gefehlt hat. „Wir konzentrieren uns jetzt mehr auf die wesentlichen Dinge“, sagte Butt, der selbst weit entfernt ist von den flatterhaften Leistungen der letzten Jahre. Und dann sagte der Torwart: „Es ist ein bisschen früh, von Meisterschaft zu sprechen.“ Zwar hatte nach Meisterschaftsambitionen niemand gefragt, aber womöglich fangen die Leverkusener gerade von ganz allein wieder an, von einem Titel zu träumen. Sie wissen ja aus nur vorübergehend verschütt gegangener Erfahrung, wie Spitzenfußball geht. In Wolfsburg ist das anders. In Wolfsburg ist alles noch neu. Stadion und Mannschaft und Trainer. Und auch der Erfolg. Beeindruckende Siege gegen den Hamburger SV (5:1) und Bayern München (3:2) hat Wolfsburg schon hingelegt. Der Fußball, den Trainer Jürgen Röber spielen lässt, ist riskant und offensiv ausgerichtet. Es ist Unterhaltungsfußball.“
1. FC Kaiserslautern – Hannover 96 1:0
Im Existenzkampf braucht der FCK keine Versatzstücke aus dem DFB-Museum
Martin Hägele (FR 29.9.) urteilt hart über Steffen Freund: „Man muss fragen, warum es über einen Monat gedauert hat, bis der Belgier gemerkt hat, dass er mit Steffen Freund einem Alibi-Fußballer aufgesessen ist. Der vermeintliche Frühpensionär aus der Premiere League befindet sich zwar oft in der Nähe des Balls, aber fast nie erbeutet er ihn. Allerdings kann der 33-Jährige mit der Nummer 44 gestikulieren und dirigieren, als sei er ein Maestro der Extraklasse. Im Existenzkampf des FCK aber braucht man keine Versatzstücke aus dem DFB-Museum, sondern Leute, die sich den Hals aus dem Leib rennen und um jeden Ball kämpfen. Das ist kein schöner Sport, aber die einzige Chance der Fritz-Walter-Erben, in der Bundesliga zu überleben.“
Die Bedeutung des Lauterer Siegs beschreibt Peter Heß (FAZ 29.9.): “Was wäre, wenn? Wenn Schiedsrichter Gagelmann eine Minute früher abgepfiffen hätte? Oder sein Assistent an der Linie Kloses Abseitsstellung erkannt hätte? Oder der Hannoveraner Torwart Ziegler auf der Torlinie geblieben wäre? Oder der Ball nur ein paar Zentimeter höher geflogen – gegen die Latte des Tores – wäre? Dann hätte der 1. FC Kaiserslautern nicht gegen Hannover 96 1:0 gewonnen und die berufliche Zukunft des Trainers Erik Gerets in der Pfalz wäre noch immer auf das ärgste gefährdet. Aber so ist es nun mal im Fußball: Nur ein bißchen Glück, und alles wird gut. Wenige Sekunden nach Kloses Kopfballtor in der Nachspielzeit pfiff Schiedsrichter Gagelmann ab, und 32 000 Fans im Fritz-Walter-Stadion feierten ausgelassen einen sensationellen Sieg, wie ihn der Stadionsprecher bezeichnete. Alle hatten sich wieder lieb, alle waren stolz darauf, zur Pfälzer Fußballfamilie zu gehören. Das hatte sich kurz vor dem Anpfiff noch ganz anders angehört. Der Ball rollte noch nicht, da skandierte die Lauterer Anhängerschaft schon: Wir wollen euch kämpfen sehen. Eine halbe Minute war gespielt, da gellten schon wütende Pfiffe am Betzenberg. Hengen hatte den Ball vertändelt und die erste Hannoveraner Torchance heraufbeschworen. Die Geduld des Pfälzer Fußballvolkes war nach vier Heimspielen ohne Sieg erschöpft. Verstrickt in Verunsicherung und Nervosität, gelang spielerisch zunächst gar nichts. Hannover beherrschte das Spiel und hätte in Führung gehen müssen. Doch der herrlich freigespielte Stajner schob den Ball gegen den Innenpfosten. Was danach passierte, beschrieb der Hannoveraner Trainer Ralf Rangnick so: Meine Mannschaft hat sich einschläfern lassen. Die Niedersachen wiegten sich so lange in der trügerischen Sicherheit ihrer spielerischen Überlegenheit, bis sie die Kontrolle verloren hatten. Und einmal am Drücker, ließen sich die robusten Pfälzer die Initiative auch nicht mehr entreißen. Dabei erreichten sie kein höheres Niveau, aber ein Grotten-Kick, wie ihn Hannovers Trainer Rangnick sah, boten die Lauterer auch nicht.“
Hansa Rostock – Bayern München 1:2
Christian Ewers (FAZ 29.9.) stellt fest: “Der FC Bayern hat in Rostock mit viel Glück gewonnen. Das Siegtor vier Minuten vor Abpfiff war nicht das Ergebnis eines atemlosen Sturmlaufs gewesen. Es war die Einzelleistung eines Mannes, der 85 Minuten der Auswechselbank wesentlich näher war als einem Torerfolg. Roy Makaay genügte eine einzige Körpertäuschung, um Rostocks Keeper Schober zu Boden sinken zu lassen und den Ball ins leere Tor zu schieben. Das sah sehr souverän aus; Makaay wirkte so lässig wie ein Koch, der zum hundertsten Mal ein Spiegelei in die Luft wirft und es zum hundersten Mal mit der Pfanne auffängt (…) Die Akzeptanz, die Makaay in der Mannschaft besitzt, dürfte sich hauptsächlich auf seine Erfolge als Torjäger gründen. Denn noch fremdelt Makaay im Spiel der Bayern. Integration bedeutet für ihn nicht fleißige Laufarbeit und Ballschlepperei, sondern die Suche nach dem richtigen Platz in der entscheidenden Sekunde.“
Den Bayern geht es schon wieder derart gut, dass sie sich über Lappalien aufregen
Matthias Wolf (BLZ 29.9.): „Diese Nachricht aus Rostock dürfte die Konkurrenz wohl am meisten beunruhigen: Den zuletzt kriselnden Münchner Bayern geht es schon wieder derart gut, dass sie sich über Lappalien aufregen. So stapfte Trainer Ottmar Hitzfeld nach dem Schlusspfiff im Ostseestadion zu Schiedsrichter Herbert Fandel und diskutierte über die letzte Spielminute. Bayern-Verteidiger Lizarazu hatte den Ball ins Aus geschlagen, weil sich ein Rostocker, Gernot Plassnegger, verletzt hatte. Statt den Ball aber gemäß Ehrenkodex sofort zurück zu den Bayern zu spielen, rannte René Rydlewicz Richtung Tor und ermöglichte Jochen Kientz eine Chance. Ein Affront, ausgerechnet am Tag des Fairplay, den der Weltverband Fifa ausgerufen hatte, erregte sich Hitzfeld. Er war so aufgewühlt, dass er noch einmal die Kabine des Referees aufsuchte. Es gibt keine entsprechende Regel, aber die sollte die Fifa schnell schaffen: Da muss man abpfeifen und die gelbe Karte zeigen können, schimpfte er. Manager Uli Hoeneß fauchte sogar, er hätte Rydlewicz am liebsten über die Aschenbahn gehauen. Die Bayern und ihre neuen, kleinen Sorgen.“
Borussia Dortmund – SC Freiburg 1:0
Wie so oft hat Kampf über die Kunst triumphiert
Claus Dieterle (FAZ 29.9.) besänftigt Dortmunder Sorgen: „Die Mannschaft steht trotz des Ausfalls einer kompletten Elf nicht schlechter da als zur gleichen Zeit im Vorjahr, ist im nationalen Pokal weiter im Geschäft und im Uefa-Cup beinahe in der zweiten Runde. Aber natürlich fragt sich so mancher, wie lange das noch gutgehen kann angesichts der düsteren Personallage, zumal eine Entlastung des Krankenstandes in nächster Zeit eher unwahrscheinlich ist. Daß das letzte Aufgebot derzeit nicht in der Lage ist, spielerische Hochglanzprodukte abzuliefern, dürfte keinen verwundern. Aber das war mit Amoroso, Rosicky und Koller auch nicht viel besser. Im Gegensatz zu den künstlerisch hochveranlagten Stars praktiziert die zweite Dortmunder Besetzung allerdings eine Tugend, die im Kohlenpott einmal zu den Selbstverständlichkeiten gehörte: Fußball als harte Wochenendarbeit. Gegen Freiburg, das der Borussia in der künstlerischen Note weit voraus ist, reichte eine eher destruktive Auffassung von Fußball, um unbeschadet über die siebte Spielrunde zu kommen. Mochten die badischen Kleinkünstler hinterher über die Dortmunder Vorstellung lästern und mochte Bajramovic behaupten, daß die bessere Mannschaft verloren habe, so steckte darin wohl der Frust, daß der Kampf wie so oft über die Kunst triumphiert hat. Und die Borussia um den überragenden Abwehrchef Christian Wörns beginnt zu entdecken, wie weit man mit Minimaltugenden wie Einsatz, Kampfkraft, Behauptungswillen – und einer sicheren Abwehr – kommt.“
morgen auf indirekter-freistoss: die Sonntags-Spiele in Berlin und Schalke
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Interesse an Fußballaktien
„Elf Freunde müssen es sein, die den 90 Minuten des nächsten, schweren Spiels entgegenfiebern, mit ihnen Millionen von Fans – aber mittlerweile auch viele Aktionäre. Spätestens seit dem Börsengang des neuen Deutschen Meisters ist auch in Deutschland das Interesse an Fußballaktien erwacht – nur für Fans und Liebhaber oder ein ernsthaftes Investment? Die Wahrheit liegt in diesem Fall nicht auf dem Platz, sondern in den Studien der Analysten. und die haben einige Risiken für die Aktionäre von Ballsportvereinen ausgemacht (…) Auch die Anleger müssen wohl noch lernen, mit Fußballaktien umzugehen (…) Kursentscheidend sind eigentlich nur die „big points“, also Spiele, bei denen sich der Einzug in ein Finale oder der Kampf um eine Meisterschaft entscheidet. Um so mehr muss es die Aktionäre verwundern, dass die Borussia-Aktie auf den Meisterschaftstitel am Montag darauf kaum reagierte.“
Christian Schubert (FAS 12.05.02) über die diesbezügliche Lage in England:
„Es herrscht Katzenjammer: Die britischen Fußballaktien sind ein schlechtes Geschäft. Nur Manchester bildet eine Ausnahme.“
Tobias Piller (FAS 12.05.02) blickt auf Italien:
„Der Börsengang der Fußballer hat bisher nur den Besitzern der Vereine genützt. Die meisten Clubs erlitten an der Börse schwere Niederlagen.“
Gewinnspiel für Experten
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Vereinsporträts aus Sevilla, Buenos Aires, Wien etc. – Weltmeistertrainer Scolari nun in Portugal – Krise in Leeds und Liverpool
Europäischer Fußball: Resultate vom Wochenende – Torschützen – Zuschauerzahlen – Tabellen NZZ
Italien
Peter Hartmann (NZZ 3.12.). „Der Serie A erlebt, mitten in ihrer bedrohlichsten Existenzkrise, die Wiederkehr der wahren Leidenschaft: Statt der Schiedsrichter-Autodafés am Fernsehen, statt der Endlos-Wiederholungen von Justizirrtümern, statt präsidialer Komplottvorwürfe, statt durchgedrehter schlechter Verlierer ist nun wieder das Spiel das Thema. Der Stimmungswechsel hängt vor allem auch mit den italienischen Erfolgen in Europa zusammen. Und mit einem Feuerwerk von Toren. Nach Vieris „Viererpack“ hat spät abends Francesco Totti das Stadio Olimpico, die Pay-TV-Abonnenten und das Volk der Schwarzseher (auch die Pessimisten) von den Füssen gerissen (…) Im Nebel von Piacenza geschah, selbst für TV-Kameras kaum sichtbar, das eigentliche vorweihnachtliche Wunder: Die Schicksalsgemeinschaft von Lazio Rom, die seit Juni ohne Salär spielt, drehte einen 0:2-Rückstand noch in einen 3:2-Sieg um. Lazio ist jetzt Tabellenerster. Trainer Roberto Mancini hat in diesen Notzeiten das Prinzip ad absurdum geführt, dass Qualitätssteigerung nur durch den Zukauf von Stars zu erreichen ist. Lazio hat, im Gegenteil, zuletzt Crespo und Nesta verkauft. Die Entdeckung des wahren Mannschaftsgefühls – vielleicht spielen deshalb alle so gut.“
Spanien
Betis Sevilla ist in guter Verfassung, meldet Georg Bucher (NZZ 3.12.). „Den Traum von der Champions League soll ein studierter Philosoph erfüllen. Anders als sein Vorgänger Juande Ramos, der kürzlich in Espanyol entlassen wurde, kennt Victor Fernandez die europäische Bühne aus der Praxis. Mit Real Saragossa holte der Aragonier 1995 den Europacup der Cup-Sieger, und mit Celta Vigo war er vier Jahre hintereinander im Uefa-Cup präsent. Fernandez erhielt den Zuschlag auch, weil er einen technisch gepflegten Risikofussball bevorzugt. Die geeigneten Spieler dazu stellt Betis zur Verfügung, sogar Real Madrid und Barça blicken neidisch auf die Flügelzange. Joaquin spielte eine hervorragende WM, er soll Figos Nachfolger in Madrid werden. In Japan und Südkorea nur gelegentlich berücksichtigt, ist der brillante Linksfüsser Denilson als Weltmeister motiviert an seine Arbeitsstelle zurückgekehrt. Der fulminante Liga- Start (4:2 in La Coruña) euphorisierte die Beticos – laut Selbstverständnis Spaniens bestes Publikum. Auch eines der verrückteren. Wo sonst kommt es vor, dass ein Anhänger die Urne mit der Asche eines Verwandten ins Stadion schmuggelt?“
England
Premier League
FC Liverpool vs. Manchster United 1:2
Das Spitzenspiel des Spieltages konnte Manchester United für sich entscheiden. Maßgeblichen Anteil am Sieg von ManU hatte der polnische Torhüter der Merseysiders Jerzy Dudek, der einen einfachen Kopfball Rückpaß nicht festhalten konnte und dem Matchwinner Diego Forlan in der 64. Minute das 0:1 ermöglichte. Nur drei Minuten später erzielte erneut Forlan das 0:2, das Liverpool den Todesstoß verpasste. Zwar konnte der Finne Sami Hyypia in der 82. Minute zum 1:2 verkürzen, für einen Punkt reichte es allerdings nicht mehr (mehr).
Spielbericht SZ
siehe auch “Krise in Leeds und Liverpool”
Arsenal London vs. Aston Villa 3:1
Den erneuten Ausrutscher Liverpools nutzten die Gunners mit einem 3:1 über Aston Villa, das Team von Thomas Hitzelsberger. Arsenal konnte seine Tabellenführung auf nun mehr vier Punkte ausbauen. Ein frühes Tor von Robert Pires ebnete den Weg zum Sieg, welchen Thierry Henry mit seinen Premier League Treffern acht und neun zum Endergebnis von 3:1 auszubauen wusste. Der Deutsche Thomas Hitzelsberger, im Diensten des Clubs Aston Villa aus Birmingham, erzielte dabei in der 64. Minute den zwischenzeitlichen Anschlusstreffer. Mehr unter
West Ham United vs. Southhampton 0:1
Für den Club West Ham United aus dem Londoner Osten wird die Lage in der Premier League immer prekärer. Noch kein Sieg im heimischen Upton Park und mit nur einem Punkt aus den letzten sieben Spielen rutschten die Hammers auf den letzten Platz, nachdem Southhamptons James Beattie in der Nachspielzeit den Siegtreffer für die Saints erzielte. West Hams Coach Glenn Roeder beteuerte allerdings nach dem Spiel, er werde nicht freiwillig seinen Posten räumen, nachdem die Hammers insbesondere in der ersten Halbzeit beste Torgelegenheiten ausließen. Mehr unter:
Portugal
Thomas Klemm (FAZ 2.12.) meint zum Engagement des Weltmeister-Coaches Scolari in Portugal. „Ein Feldwebel für Portugal? Rui Costa bekam schon das Grausen, bevor der Name des neuen Nationaltrainers offiziell verkündet war. Der Mittelfeldspieler des AC Mailand, in Hochzeiten des portugiesischen Fußballs kongenialer Partner von Luis Figo, wird Luiz Felipe Scolari zwar im neuen Jahr mit jenen offenen Armen empfangen, die eines Weltmeisters würdig sind. Aber herzlich willkommen heißen will er den künftigen portugiesischen Nationaltrainer nur, wenn er nicht die Peitsche mitbringt. Costa kennt die Methoden des Brasilianers, der von Januar an bis zur EM 2004 die portugiesische Seleção führen wird, vom Hörensagen; ebenso wie dessen Ruf, keinen Respekt vor großen Namen zu haben und ein autoritärer Typ zu sein, der ihm in seiner Heimat den Beinamen Feldwebel Felipão einbrachte. Aber wenn der Nationaltrainer nur als Disziplinfanatiker verpflichtet wurde, fühle ich mich beleidigt, sagte Rui Costa. Wir brauchen einen kompetenten, gutwilligen Coach, der uns hilft, eine großartige Europameisterschaft zu spielen. Genau so einer ist Scolari – findet Scolari, und mit ihm der portugiesische Fußballverband FPF (…) Um den portugiesischen Fußball ist es, zweieinhalb Jahre nach den attraktiven Auftritten der Nationalelf bei der EM in Belgien und den Niederlanden, gar nicht gut bestellt. Die Seleção scheiterte bei der Weltmeisterschaft nach Niederlagen gegen die Vereinigten Staaten und Südkorea schon in der Vorrunde, keine lusitanische Vereinsmannschaft qualifizierte sich für die diesjährige Champions League, und ob die neuen Stadien in Lissabon und Porto rechtzeitig zur EM fertiggestellt sein werden, ist auch noch keineswegs sicher. Trotz aller hausgemachten Schwierigkeiten findet die neue portugiesische Krisenbewältigung, Hilfe bei Ausländern zu suchen, nicht überall Zustimmung. Die Verpflichtung des früheren spanischen Nationaltrainers Antonio Camacho als Trainer von Benfica Lissabon wird zwar als Vereinssache abgetan; schließlich wartet der Rekordmeister seit nunmehr acht Jahren auf einen Titel, da kommt der 47 Jahre alte frühere Weltklasseverteidiger von Real Madrid gerade recht. Aber ein weiterer Brasilianer als Nationaltrainer, nach Otto Gloria vor zwanzig Jahren, dafür kann sich der Präsident des portugiesischen Trainerverbandes nicht erwärmen. Selbst der EM-Titel würde die Verpflichtung Scolaris nicht rechtfertigen, wetterte José Pereira. Auch wenn nicht alle derselben Meinung sind – zumindest sprechen sie eine Sprache.“
Österreich
Aus Österreich hören wir von Werner Pietsch (NZZ 3.12.). „Die erwarteten kurzfristigen Wunder unter Daum stellten sich naturgemäss nicht ein. Das Ausscheiden im Uefa-Cup, eine gesamthaft leicht schlechtere Bilanz und eine grosse Anzahl an Verletzten stehen für Daum im Vergleich zu seinem Vorgänger Walter Schachner zu Buche. Umgekehrt gelang es Schachner innerhalb weniger Wochen, den Grazer AK vom letzten Tabellenrang wieder in den 6. Rang zu hieven. Die Sticheleien zwischen Schachner einerseits und Daum und Wiens Sportdirektor Svetits andererseits erreichten im Vorfeld der Partie zwischen Austria und GAK am Sonntag einen neuen Höhepunkt. Svetits etwa behauptete, Schachner verdanke den Erfolg in Graz nur Svetits kluger Einkaufspolitik als Ex-Sportdirektor des GAK. Nach unerwarteten Niederlagen bemängelte Daum die schlechte körperliche Verfassung, in der er die Mannschaft von Schachner übernommen habe. Schachner wiederum verweist auf seine Erfolgsbilanz als Austria-Coach. Die auf mässigem Niveau geführte Partie entschied schliesslich Austria eine Minute vor Schluss glücklich mit 2:1 für sich. Während sich beide Trainer im TV-Interview noch zivilisiert begegneten, setzte es in der anschliessenden Medienkonferenz heftige Verbalattacken. Schachner liess bei dieser Gelegenheit den ehemaligen Sportmediziner der Austria als „Zeugen der Anklage“ gegen die Daum’schen Trainingsmethoden aussagen, gleichzeitig kritisierte er den abwesenden Svetits. Ein Vorgehen, das Daum wiederum völlig aus der Fassung brachte und als „Kindergarten hoch zehn“ bezeichnete.“
Schweiz
In der NZZ (2.12.) lesen wir. „In Spanien sind solche Szenen normal: Du betrittst die Bar, bestellst ein Bier, fragst den Kellner nach seiner Meinung zum gestrigen oder morgigen Spiel. Er sagt, dass ihn Fussball nicht im Geringsten interessiere, holt dir das Bier, stellt es hin und beginnt dann eine zehnminütige Rede über taktische Mankos, verfehlte Einkaufspolitik und umstrittene Schiedsrichterentscheidungen. In der Schweiz, wo der Fussball seit seiner Entstehung hauptsächlich Nebensache geblieben ist, hat der FC Basel in diesem Jahr 2002 für panische Verhältnisse gesorgt. Man schreibt eine Lizenziatsarbeit über den Gebrauch des Semikolons bei Wittgenstein – und verfolgt daneben akribisch die Spiele der Rotblauen. Frau ist im Stress einer beruflichen Umschulung – und findet doch die Zeit, sich an der Stehbar einen Espresso zu genehmigen und ihre Ideen zu vermitteln, wie man gegen Manchester mindestens einen Punkt hätte gewinnen können. Man ist verliebt – und findet es gar nicht abwegig, die Umworbene zum Matchbesuch einzuladen. Und sie freut sich noch, ehrlich.“
Peter B. Birrer (NZZaS 1.12.) über die Strukturkrise im Schweizer Fußball
Frankreich
„Gernot Rohrs Erfolg in Nizza mit Fußballern aus der zweiten Reihe“ SZ
Argentinien
Ingo Malcher (FTD 3.12.) berichtet aus Argentinien. “Die Leidenschaft zu einem Fußballverein kann Wunder wirken. Die vergangene Saison hat der Club Independiente (Buenos Aires) auf dem letzten Platz der Tabelle beendet. Nur das undurchsichtige Regelwerk der argentinischen Liga rettete den Traditionsklub vor dem Abstieg. Seit Sonntag sind die roten Teufel neuer argentinischer Meister. Dazwischen liegen sechs Monate, in denen neue Spieler und mit Rubén Gallego einer der erfolgreichsten Trainer des Landes verpflichtet wurden – nicht schlecht für einen Klub, der eigentlich pleite ist. Möglich gemacht hat das Wunder der argentinische Rock-und-Pop-Unternehmer Daniel Grimbank. Der reichste Independiente-Fan des Landes füllt sonst die Stadien mit den Rolling Stones oder Guns N‘ Roses. Aber nach der desaströsen Saison konnte er das Auf und Ab seines Lieblingsklubs nicht mehr ertragen. Mit anderen Unternehmern kaufte er für knapp 10 Mio. Euro die Rechte an neuen Spielern, die er bei Independiente auflaufen ließ. Vorausgegangen war dem Titelgewinn ein Fußballkrimi. Die Boca Juniors, noch heute das Wichtigste im Leben von Diego Maradona, lagen vor dem letzten Spieltag drei Punkte hinter Independiente. Und sie hatten einen leichten Termin auf dem Spielplan. Die Fastabsteiger von Rosario Central kamen zu Besuch. Grimbanks Teufel hingegen mussten bei dem international beschlagenen San Lorenzo antreten. Ein Patzer hätte die Meisterschaft vergeigt. Doch alles ging gut, Independiente schlug San Lorenzo mit 3:0. Dabei war bei der Hoffnungstruppe zuletzt der Wurm drin. Nach einem starken Saisonauftakt, in dem Independiente schnellen und geschmeidigen Fußball zeigte, wollte am Ende überhaupt nichts mehr klappen. Damit standen sie jedoch nicht allein. Selbst die großen Clubs wie die Boca Juniors oder River Plate kamen nicht in Form. River Plate hatte all seine Stürmer der vergangenen Saison nach Europa verkauft, und die Neuen fanden nicht zusammen. Auch bei den Boca Juniors musste auf die Sparbremse gedrückt werden. Die Folge: Mittelmäßig motivierte Spieler traten ohne große Anstrengung nach dem Ball.“
Gewinnspiel für Experten
Ballschrank
Bayer Leverkusen
„Schon zum vierten Mal nur Zweiter – und dennoch war dieses Mal alles anders. In dieser Spielzeit hat Bayer Leverkusen etwas erreicht, was dem Klub zuvor nie gelungen war: Mit ihrem schönen Fußball hat sich die Mannschaft in die Herzen des Publikums gespielt (…) Trotzdem ist die Mannschaft von Klaus Toppmöller kein zweiter „Meister der Herzen“, wie es Schalke im Vorjahr war. Die Sympathien, die sie sich in diesem Jahr erworben haben, geht über Sentimentalitäten hinaus. Bayer Leverkusen hat auch in Anbetracht des verpassten Titels die Wegmarken für den Fußball gesetzt, wie er in diesem Land gespielt werden sollte. Die Top- Mannschaften der Bundesliga werden sich in der kommenden Saison am Bayer-Team dieser Saison messen lassen müssen. „The game is about glory doing things in style“, hat der legendäre nordirische Nationalspieler und spätere Journalist Danny Blanchflower einst behauptet. Ruhm erreicht man demnach im Fußball, in dem man die Dinge mit Stil tut. Mit Klasse, mit Würde und Respekt. Dafür hat die Leistung von Bayer Leverkusen in dieser Saison gestanden, egal ob sie in den verbleibenden beiden Finals noch mit Trophäen belohnt wird. Diese Betrachtung ist in Deutschland rar, wo es fast immer nur um Ergebnisse geht. Dass die Fußballfans hier zu Lande in so überwältigender Mehrheit eine Mannschaft angehimmelt haben, die schönen Fußball spielte, hat es zuletzt vor drei Jahrzehnten bei Borussia Mönchengladbach gegeben.“ (Volltext)
Thomas Kilchenstein (FR 06.05.02) äußert sich ähnlich:
„Viermal in fünf Jahren Zweiter zu werden, ist keine ganz schlechte Leistung; dazu hat sich der einstige Pillendreher-Klub in die Herzen des Publikums gespielt und sich Respekt und Anerkennung gerade auf Europas Fußball-Feldern verdient. Bayer Leverkusen, und das ist vielleicht die größte Leistung des Duos Toppi und Calli, kommt sympathisch rüber, fast menschlich. Dazu passen die Tränen am Schluss und auch die gewisse Tragik, wie diese Mannschaft gescheitert ist: Die Saison dauerte für Leverkusen zwei Wochen zu lang. Am Ende ging die Elf nicht nur auf dem Zahnfleisch, sondern mehr noch die Luft aus: Die hohe Belastung und die dünne Personaldecke.“
Michael Horeni (FAZ 06.05.02) über den Sympathieträger Bayer:
„Die wieder einmal nur mit Traurigkeit entlohnten Romantiker des Fußballs sind diesmal von Schalke nach Leverkusen umgezogen. Denn ein zweiter, inoffizieller Titel wurde nach diesem Dreikampf-Finale wie im Vorjahr gleich mitgeliefert: Bayer kann sich als neuer Herz-Schmerz-Meister des schönen Fußballs geehrt fühlen; wobei Trainer Klaus Toppmöller und Manager Reiner Calmund mit ihrer Volks- und Fußballnähe als lebender Gegenentwurf zur kühlen Dortmunder Aktien- und Finanzkultur aufzutreten verstehen. Diese menschlichen Figuren benötigt die Bundesliga, die von Kirchs Zusammenbruch und den empörten Diskussionen um die Millionengehälter in dieser Saison schwer getroffen wurde, dringend wie nie. Aber bei aller Sympathie wird sich Leverkusen fragen müssen, wie es möglich war, einen Vorsprung von fünf Punkten drei Spieltage vor Schluss noch zu verspielen.“ (Volltext)
Peter Hess (FAZ 06.05.02) über nahe und ferne Zukunft des Vereins:
„Die nächste Saison wird für Toppmöller nicht einfacher. Ballack wechselt zu den Bayern, Kirsten wird Teilzeitprofi, Zé Roberto und Lucio sind von prominenter und wirtschaftlich potenter Konkurrenz heftig umworben. Toppmöller gab zu, dass es schwer werden könnte, auf gleichem Niveau weiterzumachen. Aber so richtig bei der Sache war er nicht, als es um die Zukunft ging. Die Gegenwart fesselt Leverkusen so sehr, daß auch keine Gedanken an Abschied aufkamen. Dass Ballack sein letztes Heimspiel absolvierte, das war keine Geste und keine offizielle Erwähnung wert. Die Saison läuft noch. Die Tränen können noch getrocknet werden, aber es können auch noch ganze Sturzbäche hinzukommen.“ (Volltext)
Bernd Müllender (taz 06.05.02) war in der BayArena:
„Es ist schon herzlich ungerecht mit dem Fußball. Auch das schönste Leverkusener Plakat nutzte nichts, die innigste Variante, den Fluch mit eigenen Mitteln zu besiegen. Ganz schlicht stand da groß geschrieben: Überhaching.“ (Volltext)
Peter Hess (FAZ 06.05.02) über das ehemalige Image des besten Spielers der Saison:
„“Schönspieler“ war Ballack lange Zeit genannt worden. Eine Bezeichnung, die zweierlei Vorwürfe in sich trug: „schön, aber innefekiv“ und „schön zurückhaltend“ – wenn es um die unangenehmen Seiten des Fußballs geht, wie kämpfen, grätschen, verteidigen, Verantwortung übernehmen.“
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