indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Samstag, 21. August 2004

Unterhaus

Kühle Professionalität und der Charme der sportlichen Provinz

Mario Balser, Trainer in Regensburg „entdeckt den Sinn des Laufens“ (FAZ) – „ein Mobiltelefon verbindet Thomas Berthold und Fortuna Düsseldorf mit der großen weiten Welt des Fußballs“ (FAZ)

Mario Basler, Trainer in Regensburg, „entdeckt den Sinn des Laufens“, schreibt Elisabeth Schlammerl (FAZ 21.8.): „Als Mario Basler vor sieben Wochen seine Arbeit aufnahm als Teammanager beim SSV Jahn Regensburg, hat er sich schnell Respekt verschafft. Bei den Fans, beim Vorstand des soeben aus der zweiten Fußball-Liga abgestiegenen Klubs und vor allem bei seiner Mannschaft. Der ehemalige Profi hat gleich einmal zwei Paar Joggingschuhe für jeden geordert. Er verlangt von seiner Mannschaft, was er nie besonders gerne tat in seiner aktiven Zeit: laufen. Basler freut dabei vermutlich am meisten, daß er nicht mitlaufen muß. Er macht auf dem Trainingsplatz nur noch, wozu er Lust hat. Und auf schweißtreibende Übungen hatte er noch nie Lust – und jetzt schon gar nicht mehr. Aber wenn Schußtraining auf seinem Plan steht, schnappt er sich manchmal den Ball und zirkelt ihn ins Toreck. Weil Basler das noch immer besser kann als alle seine Spieler, erntet er dafür schon mal ein paar anerkennende Bemerkungen. In Regensburg hatten die Verantwortlichen schnell das Gefühl, daß sie keinen geeigneteren Teammanager hätten finden können als Basler. Er ist mit einem Eifer zu Werke gegangen, den er früher zumindest auf dem Trainingsplatz vermissen hatte lassen.“

Ein Mobiltelefon verbindet ihn mit der großen weiten Welt des Fußballs

Fortuna Düsseldorf und Manager Thomas Berthold möchten wieder nach oben – Richard Leipold (FAZ 21.8.): “Ein Mobiltelefon mit den zusätzlichen Funktionen eines Taschencomputers verbindet ihn mit der großen weiten Welt des Fußballs. Berthold fahndet rastlos nach neuen Spielern für seinen Klub, auf italienisch, dann wieder auf deutsch und manchmal auch auf spanisch. Wenn der polyglotte Manager Kontakt zu einem internationalen Netzwerk von Trainern, Spielern, Beratern und Verbandsfunktionären hält, müßte man ihn bei einem großen Klub vermuten. Aber der Eindruck täuscht. Berthold arbeitet für Fortuna Düsseldorf. Außer ein paar netten Erinnerungen an zwei Pokalsiege vor etwa einem Vierteljahrhundert und die Finalteilnahme im Europacup ist diesem Verein nicht viel geblieben. Wie tief der Traditionsverein aus der Landeshauptstadt gesunken ist, zeigen seine jüngsten Erfolge. „Wir haben unsere ersten Ziele erreicht“, sagt Berthold. Gemeinsam mit Trainer Massimo Morales hat er die Fortuna von der vierten in die dritte Liga geführt. Zudem hat der Klub zum ersten Mal nach fünf Jahren wieder die Hauptrunde im DFB-Pokal erreicht. Am Samstag treffen die Düsseldorfer auf den VfL Bochum. Bei einem solchen Los wird anderen Amateurvereinen schwindelig vor Glück, doch bei der Fortuna ist es anders. Hier prallen kühle Professionalität und der Charme der sportlichen Provinz so aufeinander, daß für romantische Reminiszenzen an große Pokalspiele kein Raum bleibt. Gerade jetzt bekommen Berthold und Morales vor Augen geführt, welch enge Grenzen der Fortuna gesetzt sind. (…) Manchmal wird Morales sogar richtig böse. Achtundvierzig Stunden vor dem Spiel rätselt er immer noch darüber, ob er im Pokal wie in der Regionalliga mindestens vier Spieler unter 24 und zwei unter 21 ins Aufgebot nehmen müsse. „Wir sind eingeladen, bei den Großen mitzuspielen, aber ich weiß nicht, wen ich einsetzen darf.“ Die Geschäftsstelle habe seinen Recherche-Auftrag offenbar noch nicht bearbeitet.“

Bundesliga

Das unhanseatische Auftreten des provinziellen Rheinländers

Jörg Marwedel (SZ 21.8.) schildert die prekäre Lage Klaus Toppmöllers in Hamburg: „Ein K.o. beim Regionalliga-Tabellenführer Paderborn könnte den mächtigen Gegenwind zu einem Sturm anschwellen lassen. Als „frostig“ und „angespannt“ hat Toppmöller das aktuelle Klima auf dem Trainingsplatz beschrieben. Noch besser hätte er damit Strömungen im Aufsichtsrat getroffen. Schon seit Monaten hat man sich im Aufsichtsrat immer wieder etwas dünkelhaft über das „unhanseatische Auftreten“ des „provinziellen Rheinländers“ mokiert, der auch im dunkelblauen Klub-Blazer nicht so recht dem Ideal vom seriösen Fußballlehrer entspricht. Nun wurde aus der Sitzung diese Wortmeldung kolportiert: „Der HSV sollte sich schon mal Geld zur Seite legen, denn der Trainer wird den 31. Oktober hier nicht erleben.“ Die ätzende Prognose liegt nicht allein wegen des Fehlstarts nahe, Toppmöller selbst liefert den Kritikern und Heckenschützen durchaus Vorlagen – nicht nur, weil er sich „bestimmt nicht mehr für den diplomatischen Korps qualifizieren wird“, wie Vorstandschef Bernd Hoffmann über den „Fußball-Bauchmenschen“ anmerkt, dessen oft ungefilterte Emotionen, so Hoffmann, „in guten Zeiten für einen positiven Schub sorgen“, in schwierigen Phasen sich aber auch „ins Gegenteil verkehren“ könnten. Es wirkt, als habe die HSV-Führung es aufgegeben, den offenbar beratungsresistenten Trainer auf einen klügeren Kurs im Umgang mit Öffentlichkeit, Funktionären und Spielern zu trimmen und sich die eine oder andere Attacke zu verkneifen. Dabei würde das auch seinem Führungsstil gegenüber der Mannschaft zugute kommen. Zunehmend irritiert haben die Profis nämlich registriert, wie schnell der „Fußball-Feinschmecker“ (Toppmöller über Toppmöller) nach Misserfolgen demonstrativ auf Distanz zu der Mannschaft geht, die laut Hoffmann noch eine „Baustelle“ ist und erst „Stück für Stück um weitere Puzzle-Teile ergänzt“ werden soll. Als dem Trainer etwa Gerüchte zugetragen wurden, einige Spieler hätten bis nachts um ein Uhr in einem Szenelokal dem süßen Leben gefrönt, kündigte er spontan telefonische Kontrollen an – ohne vorher mit den Verdächtigten gesprochen zu haben. Die Anschuldigungen erwiesen sich als weit überzogen.“

Freitag, 20. August 2004

Internationaler Fußball

Disziplin, Demut und Nationalstolz

„Disziplin, Demut und Nationalstolz“, irakische Tugenden führen ins Olympia-Viertelfinale –Schweden gegen Holland 2:2: „Marco van Basten hat den Heckenschützen Cruyff in die Festung geholt“ (SZ) – Island-Italien 2:0, das Debüt Marcello Lippis

Disziplin, Demut und Nationalstolz

Irak zieht ins olympische Viertelfinale ein – Martin Hägele (taz 20.8.) staunt: „Das Leben im Exil verlangt Disziplin, Demut und Nationalstolz; lauter Tugenden, die beim 4:2 gegen Portugals erfolgsverwöhnte Auswahl um den Euro-Helden Ronaldo den entscheidenden Unterschied ausgemacht haben. Dank ihrer Geschlossenheit könnten Adnans Leute selbst Argentiniern oder Italienern gefährlich werden, sollten sich die Wege im Kampf um olympisches Edelmetall noch kreuzen. Wie lange aber trägt die irakische Solidargemeinschaft, deren Mitglieder nun von Spiel zu Spiel mehr von den Begehrlichkeiten der Branche versucht werden? Ihre Konkurrenten könnten bald aus einer ganz anderen Welt kommen; die Argentinier Kiki Gonzales, Ayala, Saviola oder Tevez sind Multimillionäre wie die meisten der italienischen Serie-A-Profis. Die werden nicht vom Sozial-Fonds der Fifa subventioniert oder müssen dankbar sein, wenn irgendein Verband ein paar Wochen Hotel- und Trainingslager spendiert. Es werde schwer werden, die Mannschaft noch lange zusammenzuhalten, glaubt Bernd Stange, der ehemalige Nationalcoach und bis vor acht Wochen Adnans Vorgesetzter. Stange musste seinen Job in Bagdad auf Verlangen des Auswärtigen Amts quittieren; sogar sein persönlicher Leibwächter wollte nicht mehr länger die Sicherheit des prominenten Trainers garantieren. (…) „Meine Spieler haben als Botschafter unser Volk stolz gemacht“, sagt Trainer Adnan Hamd Maajid. 20 der 25 Millionen Irakis beobachten die Spiele am Fernseher. Das seien glückliche Stunden, und in denen werde auch nicht geschossen, und als sie davon erfuhren, kam den Fußballern eine Idee. Weil auch in der Antike währen der Spiele alle Waffen ruhten, schickte das Team eine Petition an die Übergangsregierung von Bagdad sowie ans US-Hauptkommando, doch bis zum Ende der Spiele „die alten olympischen Regeln zu beachten und kriegerische Handlungen solange auszusetzen“. Auf diese E-Mail ist Adnan besonders stolz. Sonst hat er Angst nämlich vor Nachrichten-Sendungen. Obwohl auch diese gemeinsamen Stunden vorm Fernseher, wenn sie mit ihrem Zorn und ihrer Ohnmacht wegen all der sinnlosen Morde und Attentate irgendwo in Hotelzimmern weit weg von Bagdad zusammengesessen sind, mit zur wohl besten irakischen Fußballmannschaft aller Zeiten beigetragen haben.“

Schweden-Holland 2:2

Er hat den Heckenschützen in die Festung geholt

Debüt für Marco van Basten – Gerhard Fischer (SZ 20.8.) berichtet: „Da lag ein Reserve-Ball, der aus Versehen auf den Platz geraten war, 30 Sekunden unbeachtet herum. Und schon lief van Basten auf das Spielfeld und trat die Kugel über die Seitenlinie. Die Zuschauer im Rasunda-Stadion in Stockholm klatschten und johlten, und sie dachten wohl an den begnadeten Stürmer van Basten und an seine Tore bei der EM 1988: an das 2:1 gegen die Deutschen, als er Kohler entwischte und Immel überwand. Und an das Tor gegen Russland im Finale, an jenen Volleyschuss, der so einen wunderschönen Bogen machte. Tormann Dassajew hätte schon die Schnellkraft eines Schachterl-Teufel besitzen müssen, um an diesen Ball heranzukommen. 1995, mit 30 Jahren, musste van Basten seine Karriere wegen einer Knöchelverletzung beenden. Nur die Vorstopper werden ihn nicht vermisst haben. Jetzt ist er zurück, als Trainer der niederländischen Nationalmannschaft. Sein Debüt gab er bei einem Freundschaftsspiel gegen Schweden. Die Partie endete 2:2. Es war ein Spiel mit viel Abwechslung, die Zuschauer mussten den Hals mal nach links, mal nach rechts recken, fast wie beim Tennis. Und betrachtete man die Holländer, so fielen zwei Dinge auf: Es herrscht ein neuer Geist im Verhältnis zwischen dem Trainer und den Journalisten, und es präsentiert sich eine Mannschaft, in der einer für den anderen läuft. Dick Advocaat, van Bastens Vorgänger, hatte Probleme mit den Medien und außerdem Mühe, seine Diven-Truppe auf ein gemeinsames Gelingen einzuschwören. Marco van Basten sprach konzentriert und freundlich mit den holländischen Reportern, und jedes Detail verdiente es, erörtert zu werden. Das ist wichtig zu erwähnen, weil früher von außen eine Menge Unruhe in die Elftal getragen wurde, von Journalisten und von dem allgegenwärtigen Johan Cruyff. Van Basten nennt Cruyff seinen „Berater“, und er versäumt keine Gelegenheit, dessen Erfolge zu rühmen. Er hat den Heckenschützen also in die Festung geholt und verhindert damit, dass er von ihm angegriffen wird. Eine Meisterleistung. Andere sagen, van Basten sei nur Cruyffs Marionette. Man kann wohl alles so oder so sehen.“

Island-Italien 2:0

Mein Einstand war überall schlecht

Birgit Schönau (SZ 20.8.) schildert den Einstand Marcello Lippi: „Mit Lippi hat ein Stoiker die italienische Nationalmannschaft übernommen. Lippi trägt keine Weihwasserflaschen auf die Trainerbank und keinen Joghurtlöffel zum Mund wie sein Vorgänger Giovanni Trapattoni, sondern raucht ungeachtet der Warnrufe seines Gesundheitsministers Zigarillos. Unbeweglich wie eine Sphinx stand er in Reykjavik am Spielfeldrand und verzog beim Nullzuzwei keine Miene. „Mein Einstand war überall schlecht“, sagt Lippi ins Mikrofon eines Fernsehreporters, sehr sanft sagte er das, während um ihn herum die Freudengesänge der Isländer dröhnten. Mit dem Fluch des Debüt-Verlieres behaftet ist Marcello Lippi dennoch einer der erfolgreichsten Vereinstrainer der Welt geworden.“

Ball und Buchstabe

Österreich war ein deutschfreundlicher Aufbaugegner

Roland Zorn (FAZ 20.8.): „3:1 gegen Österreich, 1:0 gegen Olympia – der deutsche Fußball gehörte zur Abwechslung mal wieder zu den Gewinnern des Tages. 8,40 Millionen Fernsehzuschauer im Schnitt sahen ihre Neugier auf das Wiener Debüt des Bundestrainers Jürgen Klinsmann befriedigt; einen Marktanteil von 31,3 Prozent wie das Länderspiel erreichte am Mittwoch abend keine andere Sendung auch nur annähernd. Die zeitgleichen Spiele in Athen waren im Vergleich nur ein Minderheitenprogramm. Ob die Nationalelf unter Klinsmanns Regie auf Dauer wieder Massenunterhaltungsformat annehmen kann, ist nach dem ersten Pröbchen aufs Exempel noch lange nicht gesagt. Österreich war ein deutschfreundlicher Aufbaugegner.“

Die FAZ (19.8.) meldet: „Fußballanhänger wissen es schon lange: Die Bundesliga hat therapeutische Funktionen – jedenfalls für Männer. Das beobachtet auch die Telefonseelsorge im Gebiet um Mainz und Wiesbaden. Während des gesamten Jahres 2003 hat sie laut ihrem veröffentlichten Jahresbericht samstags zwischen 18 und 19 Uhr keinen einzigen Anruf eines Mannes erhalten.“

Deutsche Elf

Was der Mannschaft nicht hilft, schadet ihr

Klinsmanns Einstand, Deutschland siegt in Österreich 3:1: „Aufbruchstimmung“ (FAZ) / „Kurskorrektur“ (FR) / „Klinsmann hat Machtverhältnisse aufgebrochen“ (FR) / Oliver Kahn degradiert, „der geschrumpfte Titan“ (FAZ) / Kevin Kuranyi, bescheidener Star, schießt drei Tore u.v.m.

Österreich-Deutschland 1:3


Ludger Schulze (SZ 20.8.) analysiert und rekonstruiert die Prägung Jürgen Klinsmanns: „In den wenigen Tagen seiner Tätigkeit hat Klinsmann mehr verändert als seine Vorgänger Erich Ribbeck und Rudi Völler in sechs Jahren. Nach dem Motto: Was der Mannschaft nicht hilft, schadet ihr, hat er in Jahrzehnten eingefräste Abläufe abrupt beendet. Bei Tisch und auf der Busfahrt hat niemand mehr etwas zu suchen außer Spielern, Trainern und medizinischem Personal; nicht einmal DFB-Präsident Mayer-Vorfelder, der so gern bei einem Glas Rotwein ein Pläuschchen hält mit diesen tollen Burschen. Die Mannschaft, begründete Klinsmann diesen für manche übertriebenen Schritt, soll wissen, dass sich alles um sie drehe. So will er seinen Leuten („alles feine Kerle mit Charakter“) eintrichtern, „dass sie zu Großem imstande sind“. Natürlich hat auch Rudi Völler „Teamgeist“ als unerlässlich betrachtet, doch anders als bei ihm, der darunter mehr einen harmonisch-gepflegten Umgang miteinander verstand, geht es dem Neuen um einen Corpsgeist mit aggressiver Ausrichtung. Unausgesprochene Verhaltenskodizes wie Loyalität, Verschwiegenheit und Offenheit sind das Gerüst. Auch dieses Prinzip hat Klinsmann seiner aktiven Zeit entlehnt. Er hat erlebt, wie eine starke Mannschaft bei der WM 1994 scheiterte, weil Kapitän Lothar Matthäus seine Star-Rolle polierte wie die eigenen Fingernägel und immer wieder Interna ausplauderte. Matthäus“ ausgeprägtes Ego stand auch einem zufriedenstellenden Abschneiden vier Jahre später im Weg. Einmal aber war es anders: 1996 wurde das deutsche Team mit einer keineswegs überragenden Elf Europameister, weil das Team mit ihren Anführern Klinsmann und Sammer weit über die eigenen Möglichkeiten hinauswuchs.“

Michael Rosentritt (Tsp 20.8.) ergänzt: „Keine Frage, der American way of life hat auf die Arbeits- und Ideenwelt des in Kalifornien lebenden Klinsmann abgefärbt. In gewisser Weise ist es Teil seines Erfolgsrezepts. Klinsmann weiß die strukturellen und organisatorischen Vorzüge amerikanischer Profiteams zu schätzen. Er baut um sich herum ein Team von Spezialisten und delegiert Verantwortung, was zunächst nicht nur auf Gegenliebe beim bisweilen starren DFB gestoßen ist. (…) Das größte Verdienst Klinsmanns ist es, dass er in nur drei Tagen einen Draht zu den Spielern gefunden hat.“

Aufbruchstimmung

Michael Horeni (FAZ 20.8.) deutet die Signale: “Tatsächlich umwehte das Team schon etwas vom optimistischen Geist ihres neuen Lenkers, der nicht müde werden will, die immergleiche optimistische Botschaft ins zweifelnde Fußball-Land zu tragen. Die Spieler sollten und sollen merken, „daß wir heute mit etwas beginnen wollen, daß sie zu Großem imstande sind, daß wir als Mannschaft an uns glauben“, sagte Klinsmann. Die Aufbruchstimmung soll sich nun „auf die Fans und das Umfeld übertragen, damit wir beim nächsten Mal da ansetzen können, wo wir heute aufgehört haben“, wünscht sich Klinsmann. Seinen neuen Kapitän, der die Führungsrolle spielend übernahm, braucht er jedenfalls nicht mehr zu überzeugen. „Das war ein Neuanfang“, sagte Ballack. Der amerikanisch inspirierte Missionar will aber den noch nicht Überzeugten unverdrossen „den Glauben, daß wir Dinge schaffen können“, vermitteln. Selbstverständlich sei das 3:1 nur „der erste Baustein“ auf dem Weg zur WM 2006, die Dinge müßten weiterentwickelt werden. „Rückschläge werden kommen“, sagte Klinsmann voraus. Auch deshalb, weil seine Spieler individuell noch erheblich werden zulegen müssen. „Die Entwicklung wird nicht geradlinig sein“, sagt der Bundestrainer, aber verstecken wollten sie sich vor niemandem mehr. „Auch nicht vor Brasilien.“ Der Weltmeister als Maßstab für die Deutschen – daran muß man sich erst wieder gewöhnen.“

Hoffentlich übernimmt sich Klinsmann nicht, warnt Frank Hellmann (FR 20.8.): „Klinsmann hat Machtverhältnisse aufgebrochen, Mechanismen verändert, die in der Summe Sinn haben. Aber auch Feinde schaffen. Erst einige Arrivierte wie Dietmar Hamann auszusortieren, dann den Kapitän Oliver Kahn abzusetzen, bricht Strukturen auf. Und das ist gut so. Genauso wie der Fakt, viel, viel mehr Wert als Vorgänger Rudi Völler auf die eigentliche Arbeit der Fußball-Profis zu legen: das tägliche Üben von Technik und Taktik. Mehr Training kann niemand schaden, der deutsche Rückstand auf den Hochgeschwindigkeitsfußball der Weltelite beruht ja nicht auf angeborenen Defiziten. Nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen sind die Nebenkriegsschauplätze, die Klinsmann eröffnet hat. Die Entscheidung, den verdienten Teammanager Bernd Pfaff zu vergraulen, hat ebenso für Missstimmung gesorgt wie die Entscheidung, die DFB-Delegation vom Präsidenten bis zum Pressechef aus Mannschaftsbus und Speisesaal zu vertreiben. Ob das der Sache dienlich ist? Klinsmann darf nicht viele Fehler machen. Zuvorderst einen nicht: zu oft zu verlieren. Österreich war da kein Maßstab.“

Klinsmanns Charisma beruht auf einer erfrischenden Unverbrauchtheit

Elke Rutschmann (FTD 20.8.) spürt Durchzug: „Klinsmann entwickelt eigenes Profil. Er lässt nicht nur intensiver und häufiger trainieren als sein Vorgänger, er hält die Mannschaftsbesprechungen auch nicht mehr im Hotel ab, sondern im ureigenen Beichtstuhl des Fußballs – der Kabine. Dort gibt es keine Ablenkung, dort ist die Konzentration nur auf das Geschehen auf dem Rasen gerichtet. „Die Teamsitzung war knallhart. Klinsmann will, dass wir schon jetzt nur noch an die WM 2006 denken“, erzählte Kevin Kuranyi nachher. Klinsmanns Charisma beruht auf einer erfrischenden Unverbrauchtheit, und mit seinem Charme gelingt es ihm auch, knallharte Entscheidungen zu transportieren. Es ist erstaunlich viel passiert in den 73 Stunden, in denen der Teamchef die Seinen auf das Duell eingestimmt hat. Klinsmann hat ein Gespür für die entscheidenden Nuancen entwickelt. Zum einen übertrug er Michael Ballack die Kapitänsbinde, der prompt ein starkes Spiel zeigte, zum anderen schritt er in der Torhüterfrage binnen eines Spieles zur Rotation.“

of: Der Text trägt die Überschrift: „Wer bitte war noch einmal Ramelow?“ Rutschmann bezieht sich allerdings nicht darauf. Vermutlich sind wir Zeitungsleser um Millimeter an einer erneuten Tirade gegen Carsten Ramelow vorbeigeschrammt, den deutsche Sportjournalisten gerne für Fußball-Mittelmaß und den Zweiten Weltkrieg verantwortlich machen. Dabei hat er doch ein so gutes Stellungsspiel, und seine unsichtbare Abwehrarbeit…

Offensive Interpretation von Einheit und Geschlossenheit

Klinsmann degradiert Kahn, Philipp Selldorf (SZ 20.8.) fragt rhetorisch: „Man kann fragen, ob es besonders klug ist von Klinsmann, den möglicherweise nur noch einstigen Weltklassetorwart in dieser schwierigen Phase weiter zu schwächen. Aber dem menschlichen Aspekt steht der sportlich und strategisch überzeugende Gedanke gegenüber, dass es notwendig war, Kahn endlich mitzuteilen, dass er nur einer von elf Spielern ist, die auf dem Platz stehen, und dass seine aus den alten Extraleistungen erwachsene Sonderrolle allmählich allen auf die Nerven fiel. Die Gewichtung im Team, darum geht’s, soll künftig anders verteilt werden. Der Schwerpunkt soll nicht mehr auf einem Mann lasten, der von sich glaubt, dass er notfalls das Spiel allein gewinnt. Es geht um eine offensive Interpretation von Einheit und Geschlossenheit, die auf Initiative, Verantwortung und Beteiligung basiert. Und möglicherweise ist diese Botschaft sogar schon angekommen.“

Kurskorrektur

Frank Hellmann (FR 20.8.) bejaht die Abstufung Kahns: „Zu groß ist der Anspruch, den Kahn erhebt: Er und niemand anders gehört unter die Latte. Und wenn der Münchner im nächsten Länderspiel gegen Brasilien, seiner persönlichen Wiedergutmachung für das WM-Finale 2002, nicht aufgestellt wird, könnte die Keeper-Kardinalfrage eskalieren. Schon als Klinsmann vor einer Woche Kahn zum Vier-Augen-Gespräch traf, soll es Dissonanzen gegeben haben. Kahn ist das angedachte Rotationsprinzip zuwider – die erste Ablehnung darüber hat er zunächst einmal Sepp Maier, Bundestorwarttrainer mit ausgeprägtem Kahn-Bezug, öffentlich formulieren lassen. Klinsmann ruderte zwar zurück, erklärte Kahn zur Nummer eins. Doch danach brach vor vier Tagen der brodelnde Vulkan aus. „Lächerlich und aberwitzig“ sei die Diskussion, die ohnehin in einem halben Jahr erledigt sei. Wenn Kahn sich da mal nicht täuscht. Zu Klinsmanns Kurskorrektur zählt konkret, allen drei Torhütern gleiche Startchancen zu gewähren, indem er Kahn in seinen Kompetenzen beschneidet. Mit spitzer Zunge formulierte Klinsmann nach dem Torwart-Tausch in Wien: „Olli hat Verständnis dafür, dass auch Jens und Timo mal spielen wollen.“ Wenn er da mal nicht irrt. Wort- und grußlos, die Mundwinkel verzogen, den Kopf gesenkt, eilte Kahn Richtung Ausgang. Missmutig, missgestimmt, missgelaunt. Ein Egomane freut sich nicht über Siege des Kollektivs, wenn das Individuum um seine Daseinsberechtigung fürchtet. Erst verbal in Frage gestellt, dann des Kapitänsamtes entledigt, nun ausgewechselt – binnen einer Woche hat Klinsmann erledigt, was Vorgänger Völler sich die nächsten zwei Jahre nicht getraut hätte.“

Michael Rosentritt (Tsp 20.8.) spekuliert: „Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass Klinsmann das Problem gar nicht unrecht kommt. Vielleicht nur ein wenig zu früh im Hinblick auf die WM in zwei Jahren. Kahn sagte vor dem Spiel, in einem halben Jahr sei sowieso klar, wer im Tor stünde und ließ keinen Zweifel daran, dass er es ist. Auch Lehmann gibt sich siegesgewiss. „Ich muss nicht jetzt auf dem Papier haben: Hey Lehmann, du bist die Nummer eins. Was soll sich der Trainer jetzt festlegen, was in zwei Jahren ist.“ Wer so redet, erhöht seine Chancen nicht. Möglicherweise erleichtert es der Streit Klinsmann, sich für die konsequenteste aller Lösungen zu entscheiden. Jens Lehmann und Oliver Kahn sind auf dem besten Wege, sich gemeinsam aus dem Team zu kegeln.“

Kuranyi reicht beim VfB wie selbstverständlich dem Pförtner das Pausenbrot

Die FR (20.8.) gratuliert Kevin Kuranyi zu drei Toren: „Die einsamen Zeiten hat Kevin Kuranyi nicht vergessen. Als Rudi Völler noch das Sagen und bei der EM entschieden hatte, den Stuttgarter Stürmer in vorderster Front ziemlich alleine zu lassen. Einzige Spitze, das war nicht Kevins Welt. Die Philosophie des Jürgen Klinsmann schon eher. Kuranyi: „Wir spielen jetzt mit Tempo schnell nach vorne: Das kommt mir entgegen, man bekommt mehr Chancen als Stürmer.“ Leise, etwas lispelnd, doch deutlich hörbar formulierte der 22-Jährige nach dem Drei-Tore-Auftritt seine Kritik an der vorsichtigen Spielweise der Vergangenheit. „Jetzt ist das besser für mich.“ Ihm steht ein Sturmkollege zur Seite; selbst wenn der wie Gerald Asamoah in Wien glücklos blieb. „Er ist viel gelaufen und hat gut gearbeitet“, sagte Kuranyi, „ich finde, das ist eine gute Spielweise“. Der Wahl-Kalifornier mag den gebürtigen Brasilianer, der sich Höflichkeit und Bescheidenheit bewahrt hat, der beim VfB wie selbstverständlich dem Pförtner das Pausenbrot reicht und auf dem Vereinsgelände täglich am längsten von allen Autogramme schreibt. Wenn Klinsmann seine „guten Kerle“ preist, ist der in der öffentlichen Wahrnehmung eher scheue, im Privatleben indes ziemlich kecke Kuranyi zuerst angesprochen.“

Donnerstag, 19. August 2004

Allgemein

Berliner Mauer

Michael Jahn (BLZ 19.8.) befasst sich mit dem Werdegang Robert Huths: „Die ungewöhnliche Karriere des Robert Huth nahm schnell Tempo auf. Als 17-Jähriger gab er im Mai 2002 sein Debüt in der Premier League gegen Aston Villa, im September 2002 stand er zum ersten Mal in der Anfangself. In der vergangenen Saison absolvierte er 20 Spiele – trotz harter Konkurrenz in den eigenen Reihen. „Berliner Mauer“ nennen sie den Verteidiger in London, was als großes Kompliment gedacht ist. Huth bewegt sich inzwischen selbstverständlich unter den Stars. Er glaubt sogar, unter dem neuen Trainer José Mourinho, der den FC Porto zum Sieg in der Champions League geführt hat, noch bessere Perspektiven zu haben als zuletzt unter dem Italiener Claudio Ranieri. „Der neue Trainer gibt jedem eine Chance“, erzählt Huth.“

Raphael Honigstein (SZ 19.8.) ergänzt: „Mit 16 in Marzahn bei Union Berlin, mit 20 in London beim Spitzenklub Chelsea und der Nationalelf, das ist nicht nur eine sehr schöne Geschichte, sondern auch eine, die wohl bald exemplarisch für eine ganze Reihe junger Spieler steht: der 1,87 Meter große Brocken mit dem kantigen Kinn ist der erste Deutsche, der es über den Bildungsweg Premier League in die DFB-Elf geschafft hat; Thomas Hitzlsperger (Aston Villa) und Moritz Volz vom FC Fulham dürften die nächsten sein. Alle drei (sowie der mittlerweile beim FC Westerloo in Belgien beschäftigte Sebastian Kneißl) kamen um die Jahrhundertwende, auf dem Höhepunkt des Fußballbooms, als Teenager auf die Insel, um in dem Geschwindigkeitsrausch und ohrenbetäubenden Lärm der englischen Liga zu Profis zu werden. Doch erst mussten sie den älteren Spielern die Schuhe putzen, sich das dumme Lied von den verlorenen Weltkriegen und dem Endspiel von 1966 anhören und sich in beinharten Reservespielen auf verregneten Ackern beweisen. Sie wohnten bei Gastfamilien und waren ziemlich einsam, und die Sitten waren manchmal rau: Kneißls Gastvater ging eines Nachts im Suff mit einem Samurai-Schwert auf den Sohn aus der Fremde los.“

Interview

Ich bin froh, dass ich diese Lösung gewählt habe Ottmar Hitzfeld im Interview mit Andreas Burkert (SZ 19.8.)

SZ: Bereuen Sie nicht doch, das DFB-Angebot nicht angenommen zu haben?
OH: Nein, gar nicht, nach den sechs Jahren FC Bayern hatte ich mich wirklich damit abgefunden, mal ein Jahr Pause zu machen. Plötzlich kam dann dieses Angebot, und dann merkt man auf einmal: Der Druck ist wieder da. Und dafür war ich einfach noch nicht in der Verfassung. Ich bin nun froh, dass ich diese Lösung gewählt habe. Es ging mir um die Gesundheit und um die Familie.
SZ: Haben Sie unterschätzt, wie schwer ein Loslassen vom Job sein kann?
OH: Ich habe gewusst, dass ich Raubbau am Körper betreibe, dass das an die Substanz gegangen ist. Ich hätte gerne noch ein Jahr Bayern gemacht, dann hätte ich mich auch darauf eingestellt. Aber wenn man loslässt, merkt man erst, wie groß die Belastung war.
SZ: Wie war das, einer Mannschaft zuzusehen, die man viele Jahre betreut hat?
OH: Tja, das ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Ich fiebere mit der Mannschaft mit, sie ist mir ja ans Herz gewachsen. Natürlich bin ich noch ein Bayern-Fan und habe mich über die schönen Tore gefreut. Und ich habe es Sebastian Deisler gegönnt, dass er ein Tor schießt. Ich hab ihm gleich eine SMS geschickt.
SZ: Felix Magath hat Kritik an Ihrem taktischen Vermächtnis bei den Bayern geübt. Ärgert Sie das?
OH: Das möchte ich gar nicht beurteilen. Ich habe nun Abstand vom Fußball und bin froh, dass ich mich nicht immer rechtfertigen muss. Mit dieser Kritik befasse ich mich gar nicht. Ich habe noch guten Kontakt zur Vereinsführung und habe ein paar Mal mit Uli Hoeneß telefoniert. Wir haben ja vor einem Jahr noch das Double gewonnen – das sind Dinge, die mir in Erinnerung bleiben.

Internationaler Fußball

Willkommener Strohhalm – Italiens Finanzen

In Italien stimmen erneut die Finanzen nicht, und man sieht sich vor Gericht. In der FAZ (Wirtschaft 18.8.) lesen wir: „Die italienischen Fußballfans müssen schon wieder Verzögerungen beim Start der Ligaspiele befürchten. Ein Konkursgericht in Neapel hat dem italienischen Ligaverband verboten, mit den vom 12. September an geplanten Spielen der zweiten Liga zu beginnen. Ebenso wurde eine Reihe von Pokalspielen untersagt. Weil sich der Ligaverband den Wünschen des Konkursrichters widersetzte, den Fußballklub Neapel weiterhin in der zweiten Liga zu belassen, ermitteln nun die Staatsanwälte gegen die Verbandsspitze wegen der offenen Mißachtung der Gerichtsentscheidung. In Neapel zählt der lokale Fußballklub, offiziell die „Società Sportiva Calcio Napoli SpA“, seit den Zeiten des argentinischen Fußballstars Diego Maradona zu den wichtigsten Identifikationsobjekten. Doch die goldenen Zeiten, als Neapel beinahe die italienische Meisterschaft gewann, sind längst vorbei. (…) In Neapel hat sich dagegen weder ein starker Sanierer für den Klub gefunden noch ein übernahmewilliger Unternehmer mit den nötigen Millionen. Statt dessen versucht ein Spekulant mit Hilfe der Emotionen der Neapolitaner ein Geschäft aus dem Klub zu machen: Luciano Gaucci, Besitzer der Fußballklubs Perugia und Catania, hat sich bereits im vergangenen Jahr beim „Streik“ der Fußballklubs wegen eines Streits um Fernseheinnahmen als „enfant terrible“ der Profiligen erwiesen. Zudem bewies er Sinn für Geschäft und Spektakel, als er einen Sohn des libyschen Staatsführers Gaddafi als (wahrscheinlich kostenlosen) Spieler anheuerte, der regelmäßig zum Spielschluß für ein paar Minuten aufs Feld darf. In Neapel will Gaucci nun nicht den hochverschuldeten Klub kaufen, sondern nur dessen Geschäfte „pachten“. Dies ist im normalen Geschäftsleben erlaubt, entspricht aber nicht den Regeln von Fußballverband und Profiligen. Für den Konkursrichter des alten Fußballklubs stellt die „Verpachtung“ des Geschäftsbetriebs eine Möglichkeit dar, noch etwas vom Konkursvermögen zu retten, weshalb er nun durchsetzen will, daß Neapel in der zweiten Liga bleibt. Der Ligaverband für die erste und zweite Liga will dagegen keine Einmischung in die Interna des Fußballbetriebs und verweist auf seine Autonomie. Für Neapels Politiker ist auch ein umstrittener Unternehmer immer noch ein willkommener Strohhalm, an den man sich klammern kann, um doch noch eine Sonderbehandlung zu erreichen.“

Ball und Buchstabe

Trend zur Banalisierung

Kritik an ARD und ZDF – eher die Regel als die Ausnahme, berichtet Michael Hanfeld (FAZ/Medien 18.8.): „Der Sport nimmt bei ARD und ZDF nicht nur im Programm breiten Raum ein, er dominiert in der Zeit großer Turniere auch die Nachrichten der ihn übertragenden Sender in hohem Maße und verdrängt andere, vor allem politische Themen wie etwa die Debatte über „Hartz IV“. Das stellt das Forschungsinstitut „Medien Tenor“ fest. So habe das Thema Fußball im Juni bereits in der Woche vor der EM in den Nachrichten 3,6mal häufiger Erwähnung gefunden als etwa die Europawahl, die am Tag nach dem Beginn des Turniers stattfand. Einen ähnlichen Trend zur Banalisierung habe man bereits während der Fußball-WM 2002 festgestellt; drei Monate vor der Bundestagswahl seien Wirtschafts- und Sozialthemen aus den Nachrichten gedrängt worden.“

Der Bericht von Medien Tenor als pdf

Mittwoch, 18. August 2004

Internationaler Fußball

Tiefster Absturz in der Fifa-Weltrangliste aller Zeiten

100 Jahre Österreichischer Fußball-Verband, „traditionsreich und sportlich wenig erfolgreich“ (NZZ) / „tiefster Absturz in der Fifa-Weltrangliste aller Zeiten“ (SZ) – Nordirland, Gegner der Schweiz (NZZ)

Traditionsreich und sportlich wenig erfolgreich

Werner Pietsch (NZZ 18.8.) gratuliert Österreichs Fußballverband zum 100. Geburtstag: „1904 wurde der nationale Verband in Wien gegründet, der Fussball hatte aber schon vor der Jahrhundertwende Tradition in Österreich. Englische Gärtner der Familie Rothschild gründeten 1894 den bis heute im Wiener Nobelquartier Döbling ansässigen, traditionsreichen, wenn auch nicht mehr sehr erfolgreichen „First Vienna Football Club“. Was für die „Vienna“ zutrifft, bringt auch den aktuellen Stand im Austria-Fussball trefflich auf den Punkt: traditionsreich und zumindest sportlich wenig erfolgreich. Organisatorisch und wirtschaftlich hingegen steht der Verband dank umsichtigem Management sehr gut da. Knapp 300 000 der acht Millionen Einwohner in Österreich jagen in rund 2300 Klubs organisiert dem Ball nach. Fussball ist neben dem Skifahren die beliebteste Sportart im Land. Dies ist umso erstaunlicher, als es sportlich im internationalen Vergleich bereits mehrere Jahre hindurch wenig Grund zum Feiern gibt. Darum werden dieser Tage nicht selten die glorreichen Tage des Austria-Fussballs heraufbeschworen. Bald ist da vom sogenannten Wunderteam unter Teamchef Hugo Meisl die Rede. In den frühen dreissiger Jahren machte eine Serie legendärer Erfolge unter anderem gegen Schottland, Deutschland und Italien die ÖFB-Auswahl vorübergehend zum führenden Team in Europa.“

Tiefster Absturz in der Fifa-Weltrangliste aller Zeiten

Trainer Hans Krankl unter genauer Beobachtung – Michael Smejkal (SZ 18.8.): „Zwar kann auch der 51-Jährige nichts für viele Krankheiten, an denen der österreichische Fußball derzeit leidet: Eine Flut an zweit- und drittklassigen Legionären, die den heimischen Nachwuchsspielern Platz und Perspektiven verstellen; gepaart mit Klubs, die angesichts von Existenzängsten sich erst gar nicht auf ein Langfristkonzept einlassen. Im Gegenzug weist Österreich aktuell zwar 14 Legionäre auf, doch auch hier haben die wenigsten davon die Klasse, um einen Stammplatz zu erreichen. Es sind jedoch nicht diese äußeren Umstände, die den Lack an der österreichischen Kultfigur Hans Krankl abblättern lassen. Vielmehr ist es sein Hang zum Realitätsverlust. Während Krankl sich selbst und sein Team immer noch in lichten europäischen Fußball-Höhen wähnt, notieren die Chronisten den tiefsten Absturz in der Fifa-Weltrangliste aller Zeiten. Österreich fiel sogar aus den Top 80 – nie war man schlechter. Selbst Mali, Oman oder Libyen rangieren noch vor dem ÖFB-Team. Dieser Rangliste widmet Krankl aber ebenso wenig Bedeutung wie der EM in Portugal. Genau ein Spiel besuchte der Teamchef, was selbst seinen gewöhnlich loyalen Präsidenten Friedrich Stickler sehr verärgerte. Er hätte sehr wohl erwartet, dass Krankl mehrere Partien verfolgt hätte, ließ Stickler ausrichten. (…) Luft kann sich Krankl nur verschaffen, wenn wahr wird, was Martin Stranzl (VfB Stuttgart) vor dem heutigen Test gemeint hat: „Deutschland war noch nie so leicht schlagen wie derzeit.‘ Denn ein Sieg über den Erzrivalen zählt in Österreich immer noch mehr als alles andere – geglückter Teamaufbau hin, WM-Qualifikation her. “

Michaela Seiser (FAZ 18.8.) ergänzt: „Die in Wien verbreitete Zuversicht steht jedoch im krassen Gegensatz zu den in den vergangenen Jahren gebotenen Leistungen. Die Landesauswahl hat sich seit der WM 1998 in Frankreich nicht mehr für ein bedeutendes Turnier qualifiziert. Vor zweieinhalb Jahren wurde der frühere Weltklassestürmer Krankl engagiert, das Nationalteam nach vorne zu bringen. Ehe er es übernahm, stand Österreich in der Weltrangliste mit Rang 17 so gut wie nie da. Inzwischen ist mit Rang 89 ein historischer Tiefstand erreicht. Und im Mai 2002 gab es ein 2:6 gegen Deutschland. Die Schuld an der Baisse sucht Krankl am wenigsten bei sich selbst. Die Deutschen, erklärte er vor einer Woche, hätten die Entwicklung im Fußball verschlafen – und die Österreicher gleich mit, weil sie den Deutschen immer alles nachmachen wollten.“

Was macht eigentlich Nordirland, Martin Pütter (NZZ 18.8.)? „Obwohl in fussballerischen Belangen wie die Schweiz eine kleine Nation, hat Nordirland seinem Gegner vom Mittwoch eines voraus. Unter Billy Bingham als Trainer erreichten die Nordiren an der WM 1982 in Spanien die zweite Runde. Möglich wurde dies damals durch einen unerwarteten 1:0-Erfolg gegen die Gastgeber. Der damalige Torschütze Gerry Armstrong, mittlerweile Sportkommentator für den britischen Kabelsender Sky Sports, besitzt in Nordirland noch immer Heldenstatus, und erst vor wenigen Wochen bezeichneten Anrufer bei einem Radioprogramm von BBC Nordirland diesen Erfolg als ihr Gegenstück zu Englands WM-Titel von 1966. Diese leicht nostalgische Überbewertung hat sicher auch mit dem Negativrekord zu tun, den Nordirland am 18. Februar dieses Jahres aufstellte. Als David Healy beim 1:4 gegen Norwegen den Ehrentreffer erzielte, hatten es die Nordiren nach insgesamt 1298 Spielminuten endlich wieder einmal geschafft, ein Tor zu erzielen. Das ist laut Fifa ein Weltrekord im internationalen Fussball.“

Ball und Buchstabe

Es ist so peinlich, dass ich es gar nicht erklären mag

Spiegel-Interview (Medien 16.8.) mit Günter Struve, ARD-Programmdirektor, über die Panne (hier und hier) beim Saisonauftakt in Bremen

Spiegel: Sie sind oberster Programmchef der ARD. Wie konnte der Bundesliga-Start für Ihre Zuschauer derart danebengehen – die erfuhren lange nicht einmal, dass das Spiel noch gar nicht angepfiffen war.
GS: Das Hauptproblem war der Stromausfall, zumindest den hat die ARD nicht zu verantworten. Ansonsten ging alles schief, was schief gehen kann. Es gibt in den ARD-Regeln eine Muss-Vorschrift, die besagt, dass es bei Außenübertragungen ein Ersatzstudio und einen Ersatzmoderator geben muss. Wirklich muss. Das wurde bei Radio Bremen nicht für nötig gehalten – ein klarer Regelverstoß.
Spiegel: Vielen Zuschauern wäre auch schon mit einer simplen Einblendung geholfen gewesen, stattdessen gab es Schlager.
GS: Es ist so peinlich, dass ich es gar nicht erklären mag. Natürlich gibt es an einem solchen Tag keinen funktionierenden Schriftgenerator. Natürlich liegt nicht genügend Ersatzprogramm bereit. Dann greift man in der Not zu einem Schlager-Band, das natürlich defekt ist. Beim Suchen hat man dann noch die Olympia-Gala vom Vorabend gefunden, die offenbar noch nicht ins Archiv geräumt worden war …
Spiegel: … auch eine Radio-Bremen-Produktion, die nur zwei Millionen Zuschauer freiwillig eingeschaltet hatten.
GS: Das war eine der erfolglosesten Sendungen in der Geschichte der ARD – und ich halte nichts von der Sendedevise „Bis es euch gefällt“.
Spiegel: Ausgerechnet die kleinste ARD-Anstalt hat also Schuld. Machen Sie es sich damit nicht ein bisschen einfach? Immerhin haben Sie angeordnet, den Spielfilm „Hals über Kopf“ zu starten.
GS: Natürlich trifft mich auch eine gewisse Schuld. Ich hielt das Ganze zu lange für eine kurze und beherrschbare Havarie. Als ich davon ausgehen musste, dass gar nicht mehr angepfiffen wird, habe ich dafür gesorgt, dass der aktuellste von drei vorliegenden Spielfilmen auf den Sender kam. Ich kannte nicht einmal den Titel.

Unterhaus

Die neue Allianz im Osten

Energie Cottbus schlägt Dynamo Dresden 2:1: ein Fußball-Fest, meint Matthias Wolf (FAZ 18.8.): “Friede im Osten. Sowohl vor, während als auch nach dem Sieg. Dabei wurde ein Fußballstadion mit zusätzlichen Zäunen zum Hochsicherheitstrakt umfunktioniert, und auch in der kleinen Stadt nahe der polnischen Grenze verlief nichts mehr normal: Viele Straßen waren gesperrt; anreisende Fans wurden mehrfach kontrolliert. Selbst an den Tankstellen bildeten sich lange Warteschlangen, weil aus Furcht vor Krawallmachern der Betrieb durch kleine Nachtschalter abgewickelt wurde. Die allgemeine Angst, behauptete der Cottbuser Trainer Eduard Geyer, habe bis auf das Spielfeld ausgestrahlt: „Da ist vorher zuviel hineininterpretiert worden“, sagte er, „die Panikmache hat dem Fußball geschadet.“ So recht verstehen konnte den Satz niemand, denn 17 000 Zuschauer hatten ein packendes und stimmungsvolles Zweitligaduell erlebt. Energie Cottbus dominierte spielerisch, Dynamo hielt im Spiel zwei nach neun Jahren Amateurdasein dagegen. (…) Michael Thurk, der Neuzugang von Mainz 05, ein Hesse, verließ mit offenem Mund das Abenteuerland Ost. „Ich habe ja schon einige Derbys erlebt, Mainz gegen Frankfurt – aber das war ganz anders. Hier ist es viel schärfer“, sagte er. Er meinte die Fans, die ihm vor dem Spiel Plakate unter die Nase gehalten hätten, wonach es „um die Ehre geht und nicht nur um drei Punkte“. Thurk meinte aber auch die Spieler. Sie beharkten sich in einem Duell, das zu DDR-Zeiten stets ungleich war: Nie konnte damals Energie, die allenfalls als Talentschmiede geduldete Betriebssportgemeinschaft, den staatlich geförderten Polizeiklub und achtmaligen Meister besiegen. „Den Hintergrund verinnerlicht man auch als Wessi“, behauptete nun Thurk. Bei aller Rivalität: Der Abend mündete in viele freundschaftliche Gesten. Die Trainer, beide in Dresden heimisch, sagten, daß sie sich künftig Tips zu den Gegnern geben wollten – die neue Allianz im Osten.“

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