Samstag, 24. April 2004
Ballschrank
Fußball am Samstag
FAZ-Interview mit Ottmar Hitzfeld – vor dem Münchner Derby: die alte Rivalität zwischen Bayern und Sechzig ist einer Geschäftsbeziehung gewichen; 1860 hat genug Probleme mit sich selber; „für den Klassenerhalt mit 1860 verzichte ich gerne auf Sex“ (Gerald Vanenburg in SZ) – wer ist verantwortlich für Leverkusens erneuten Aufschwung? Bernd Schneider (SZ) und Dimitar Berbatov (FAZ) u.v.m.
Die Motivation ist größer, wenn man auf dem ersten Platz steht
FAZ-Interview (24.4.) mit Ottmar Hitzfeld
FAZ: Wenn Werder Bremen vorne bleibt, haben die Bayern die Meisterschaft verloren, weil sie in dieser Saison nur selten überzeugt haben. Warum schafft es der FC Bayern nicht, sein Potential auszuspielen?
OH: Als wir am Anfang der Saison viele Verletzte hatten, kamen wir ein wenig in Rückstand in der Tabelle. Wir sind es nicht gewohnt, die anderen zu jagen. Wir sind es gewohnt, die Gejagten zu sein. Außerdem haben wir eine andere Medienlandschaft als die Bremer. Wenn die mal verlieren, kräht kein Hahn danach, und wenn wir verlieren, haben wir eine Woche Theater. Das hinterläßt Spuren bei einigen Spielern.
FAZ: Ist es also vor allem ein mentales Problem?
OH: Natürlich ist die Motivation größer, wenn man auf dem ersten Platz steht. Anscheinend brauchen wir den ersten Platz als Motivationshilfe, damit die Spieler nicht so unter Druck gesetzt werden. Wir haben in dieser Saison nicht die Mentalität, die uns oft ausgezeichnet hat, daß wir auf Biegen und Brechen ein Spiel gewinnen wollen. Nach Rückständen haben wir nicht so reagiert, wie man es erwartet von Bayern. Daran müssen wir arbeiten.
FAZ: Michael Ballack gehört sicherlich zu den von Ihnen angesprochenen Spielern, die Schwierigkeiten haben, mit Druck fertig zu werden.
OH: Wenn immer nur auf einem rumgehackt wird und man an den Pranger gestellt wird, muß man sich nicht wundern, wenn plötzlich die besten Spieler Deutschlands Probleme haben.
FAZ: Er hat aber auch ein wenig dazu beigetragen, daß er kritisiert wurde.
OH: Natürlich hat er dazu beigetragen, aber wenn man immer nur kritisiert wird, von Anfang an, ist das unfair.
FAZ: Es heißt, die Mannschaft befindet sich im Umbruch. Dieser Umbruch dauert nun schon drei Jahre und ist noch nicht abgeschlossen. Ist das nicht etwas lange für einen Klub, der an Erfolgen gemessen wird?
OH: Wir haben doch letztes Jahr das Double gewonnen, das wird immer vergessen.
FAZ: Es ist also ein Umbruch auf hohem Niveau?
OH: Ja, aber auch ein Gejammere auf hohem Niveau. Das Double hat Bayern in 100 Jahren Vereinsgeschichte nur viermal geschafft.
Die Löwen müssen sich selber aus dem Sumpf ziehen
Vor dem Münchner Derby – Andreas Burkert (SZ 24.4.) vermisst die alte Rivalität zwischen Bayern und Sechzig: “Wie gut, dass es Menschen wie Oliver Kahn gibt, der vor dem 199. Stadtduell an diesem Sonntag mit Vergnügen mitteilt, die Blauen seien „uns wurscht“. Oder eben Rummenigge. Er ist Westfale und entgegnet auf die Frage nach möglichem Mitleid für den abstiegsbedrohten Rivalen ziemlich irritiert. „Mitleid? Nein, das geht nicht – das geht überhaupt nicht! Die Löwen müssen sich selber aus dem Sumpf ziehen.“ Im aktuellen Verhältnis der Klubs müssen derlei Spitzen jedoch als Teil einer verblassenden Folklore gedeutet werden. Denn trotz der sportlichen Ausgangslage der Parteien, die diesem Derby eine Brisanz wie lange nicht mehr verleiht, gehen die Vereine derart rücksichtsvoll miteinander um, als stehe die Fusion bevor. Das harmonische Nebeneinander hat einen Grund, er ist inzwischen deutlich sichtbar an der A 9 im Münchner Norden: die Allianz Arena. Der Rohbau des Stadions steht, in genau einem Jahr soll der letzte Stein verbaut sein. Das auf 38 000 Quadratmetern entstehende Schmuckstück des Weltfußballs verzaubert sogar den kühlen Manager Rummenigge in einen milden Pragmatiker. Er sagt: „Wir sind Partner, und an unserem guten Verhältnis gibt es keine Zweifel.“ Dass der FC Bayern den Löwen alles erdenklich Gute wünscht (nur eben nicht für Sonntag), ist verständlich. Denn trotz der Wut über den mutmaßlichen Schmiergeldskandal um den einstigen 1860-Patron Wildmoser – womit das neue Stadion „einen negativen Schatten gekriegt“ habe, wie Rummenigge findet –, ist das Interesse groß wie nie zuvor an einem seriös handelnden und halbwegs auf Augenhöhe wirkenden Nachbarn. Denn alles andere würde den Rekordmeister vermutlich Geld kosten. Wie jedenfalls aus Kreisen der Allianz zu hören ist, die sich die Namensgebung für die Arena 80 Millionen Euro kosten lassen soll, enthalte die Vereinbarung mit der Stadion GmbH neben fixen Zahlungen „auch einen erfolgsabhängigen Faktor“ – sollten die Löwen absteigen, würde dies die Fördersumme womöglich reduzieren. Zwar betont Bayern-Finanzvorstand Karl Hopfner, ein Abstieg des TSV habe „für den FC Bayern keine Folgen“. Dagegen steht die Aussage aus Reihen des Sponsors, wonach „der FC Bayern offenbar von einer maximalen Zahlung ausgegangen“ sei, „das zeugt von einer sehr optimistischen Vorgehensweise“. Der Kenner möchte ungenannt bleiben.“
Für den Klassenerhalt mit 1860 verzichte ich gerne auf Sex
Gerald Kleffmann (SZ 24.4.) blickt auf die Woche der Sechziger zurück: „Das Derby? Kein Thema am Montag. Stattdessen: Krisen-PR. Ein Hotel im tristen Stadtteil Neuperlach, 13 Uhr, Pressekonferenz. Sportdirektor Dirk Dufner stellt Gerald Vanenburg als Trainer vor. Dufner lächelt. Er weiß: Vanenburg ist beliebt, seit seiner Zeit als Löwen-Profi. Dufner sagt, er habe sich am Samstag erstmals beim Niederländer gemeldet, nachdem Falko Götz entlassen worden war. Inzwischen ist klar: Es gab vorher Kontakt. Und eine Abmachung. Fliegt Götz, kommt Vanenburg. Götz wusste das. Am Samstag aber gaben sich alle unwissend. Vizepräsident Hans Zehetmair, der vielen lästig war, weil er nicht nur viel, sondern viel Wahres sprach, konnte so für sein Verkünden der Entlassung von Götz angeprangert werden. Von Dufner, Präsident Karl Auer und Götz. Ein Insider: „Dufner hat Auer im Griff.“ Auer, der die Fragestunde verfolgt, sagt: „Ich vertraue Herrn Dufner.“ Der Aufsichtsrat ist komplett. Der Vereinsrat beruft den ehemaligen Spieler Fredi Heiß und den ehemaligen Vorsitzenden des Wirtschaftsrats Sepp Hilz in das neunköpfige Kontrollgremium. Gut für Auer: Beide seien „Gefolgsleute“, sagt ein Kenner der Szene. Abends soll Auer zu Blickpunkt Sport, ins Bayerische Fernsehen. Er redet nicht gerne öffentlich, was nicht unsympathisch ist. Aber hinderlich, wenn man als Löwen-Präsident arbeitet. Wie es heißt, habe Auer zu-, ab- und zugesagt. Moderator Waldemar Hartmann führt das Gespräch zahmer als ein Therapeut. Auer wirkt wie ein Teilnehmer der Sendung Fear Factor. Für manche stellen Schlangen und Spinnen eine Überwindung dar, für Auer sind es Journalisten. Er strahlt, als alles vorbei ist. Dienstag. Benjamin Lauth humpelt mit Krücke auf das Vereinsgelände. „Am schwierigsten ist es, wenn ich am Wochenende zuschauen muss“, sagt er. Lauth trägt einen Gips. Der Mittelfußbruch im Spiel gegen Hamburg hat seine verkorkste Saison beendet. Lauth humpelt zum Rasenplatz weiter, schaut den Kollegen zu. Nebenan stehen Kiebitze, sie schimpfen über Dufner. „250 000 soll der verdienen?“, fragt einer. Vanenburg leitet sein zweites Training, die Spieler lachen viel. „Die Freude ist da“, sagt Paul Agostino. „Er bringt Lockerheit auf den Platz.“ Harald Cerny bezeichnet Vanenburg als „Spaßvogel“. Und der Trainer? Sagt der AZ: „Für den Klassenerhalt mit 1860 verzichte ich gerne auf Sex.“ Wenn das kein aufrichtiges Opfer ist.“
Thomas Becker (FR 24.4.) rückt Prioritäten zurecht: „Stell dir vor, es ist Derby und die Leute reden vom Bier. Thema Nummer eins in der Hauptstadt des Gerstensaftes war in der Prä-Derby-Woche nicht das Duell um Meisterschaft und Abstieg, sondern der Skandal im Sperrbezirk Allianz-Arena. Wenn aus der prächtig gedeihenden Baustelle in Fröttmaning eins der schönsten Fußballfelder geworden ist, wird es dort kein bayerisches Bier zu trinken geben. Sondern: Budweiser – pfuideibel, schreit der Münchner, und der Chef der bayerischen SPD-Fraktion im Landtag (er heißt Franz Maget) tönt: „Wir haben eine Fürsorgepflicht und dürfen die Besucher der WM-Stätten nicht vergiften.“ Putzig, nicht wahr? Die Realität sieht so aus, dass der US-Bierkonzern Anheuser Busch 40 Millionen Euro zahlt, um in und ums Stadion während der WM 2006 Budweiser ausschenken zu dürfen. Münchens Brauer müssen leider draußen bleiben. Dagegen erscheinen Fragen, ob der FC Bayern noch Meister wird oder 1860 bald zweitklassig ist, eher vernachlässigbar.“
Robert Hennefarth, Bayern-Fan und SZ-Leser, macht sich einen Reim aufs Derby
Bayern und sein Ortsrivale
sind wie Lackschuh und Sandale.
Der Lackschuh stellt, das ist wohl klar,
in diesem Fall die Bayern dar.
Wenn man die Beiden nun vergleicht,
ist der Sandalenschuh vielleicht
bequemer, aber viel zu schlicht
für Auftritte im Rampenlicht.
Ins Sportlight und auf Meisterfeiern
gehört der Lackschuh – also Bayern.
Doch Sechzig braucht nicht traurig sein,
denn manchem klammen Sportverein,
wie Dortmund und dem FCK,
geht“s schlechter. Der steht barfuß da.
Vielleicht erspielt sich Schneider noch einen letzten großen Vertrag
Wer ist verantwortlich für den, erneuten, Aufschwung Leverkusens? Christoph Biermann (SZ 24.4.) meint „Bernd Schneider, dessen persönliches Auf und Ab mit dem seines Teams parallel geschaltet zu sein scheint. Vier Tore hat er in den letzten acht Partien erzielt und vier weitere Treffer vorbereitet. „Ich bin auf einem guten Weg“ sagt er lakonisch. Es ist mehr als das, denn langsam erinnern seine Leistungen wieder an jene Auftritte bei der Weltmeisterschaft 2002, die fast zu einem Fluch geworden waren. „Man hat mich am WM-Finale oder Endspiel der Champions League gemessen“, sagt Schneider, und das hat sich als gehörige Fallhöhe erwiesen. Kein anderer deutscher Spieler kann mit dem Ball so gut umgehen wie der, den sie „Schnix“ nennen. Dafür bewundern ihn sogar die Brasilianer, er bekommt viel Fanpost aus Japan, Korea oder China, und in Hongkong hat ihm einer seiner Verehrer eine Fanseite im Internet gewidmet. Doch in Deutschland sehen sich Ballzauberer wie Schneider schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht genug zu schuften, wenn es mal nicht läuft. „Ich kämpfe auf meine Weise, aber eine Blutgrätsche werde ich wohl nie auspacken“, sagt Schneider. Nur kann man es drehen und wenden, wie man will: Schneider hat nach dem WM-Finale von Yokohama selten gut gespielt und oft genug schwach. Nicht nur gemessen an dem, was einmal war. Doch welche Erklärung dafür man ihm auch anbietet, Schneider lässt sie abprallen. Für ihn reduziert sich alles auf eine naturwüchsige Folge von Höhe- und Tiefpunkten. (…) Es ist nicht ganz abzustreiten, dass Bayers Verschiebebahnhof mit Dutzenden von Optionsverträgen mitunter wirr erscheint. Es ist ebenso wenig von der Hand zu weisen, dass Schneider schon seit längerem auf der Verkaufsliste von Bayer steht. Angeblich 2,4 bis 2,8 Millionen Euro verdient er je nach Erfolg in Leverkusen. Das ist gut dotiert, für Bayer in Zeiten des Sparens wohl zu gut. Vergangenen Sommer hätte ihn der Klub gerne abgegeben, aber da fand sich angesichts besagt schwacher Leistungen kein Interessent. „Wenn er weiter so spielt, stellt sich eher die Frage, ob wir ihn halten können“, sagt Ilja Kaenzig. Zeigen wird sich das aber wohl erst nach der Europameisterschaft, „dem großen Schaufenster“, wie der Manager von Bayer das Turnier nennt. Vielleicht erspielt sich der 30-jährige Schneider dort noch einen letzten großen Vertrag.“
Richard Leipold (FAZ 24.4.) verweist auf Dimitar Berbatov: “Irgendwann in den vergangenen Monaten muß Berbatow beschlossen haben, als Fußballspieler ins seriöse Fach zu wechseln. In der Rückrunde hat der hochveranlagte Stürmer schwierige Zweikämpfe gewonnen – gegen sich selbst und gegen das Klischee des Angreifers, der die besten Chancen notorisch verstreichen läßt und dabei so über den Rasen trottet, als wäre es ihm gleichgültig. Berbatow schickt sich an, ein verläßlicher Vollstrecker zu werden, der auch dann zur Stelle ist, wenn die Sonne nicht scheint und Bayer Leverkusen dringend ein Tor braucht. (…) Mit den Jahren war die Zahl der Kritiker gestiegen, die in Berbatow einen allzu sorglosen jungen Mann sahen, der sein Talent verschludert wie die Chancen im gegnerischen Strafraum und Vorgesetzte wie Fans zur Verzweiflung treibt. Genau zu ergründen sind die Ursachen seiner Metamorphose nicht. Augenthaler, seit knapp einem Jahr Berbatows Trainer, muß es irgendwie fertiggebracht haben, den schüchternen Einzelgänger zu erreichen. Augenthaler habe viel mit ihm gesprochen, sagt Berbatow, der Trainer sei „sehr ehrlich“ zu ihm gewesen. Die klare Ansprache des Bayern scheint dem sensiblen Osteuropäer die Augen geöffnet zu haben. Seitdem entwickelt er auch dann Ehrgeiz, wenn es nicht um die Herzenssache Nationalmannschaft geht. Augenthaler hat Vertrauen aufgebaut – und Berbatow Selbstvertrauen. (…) Den Leverkusenern ist klar, daß ihr Klub für Berbatow – ähnlich wie für den absprungbereiten Brasilianer Lucio – nur eine Episode sein dürfte. „Dimitar müßte enttäuscht sein, wenn das hier seine letzte Station wäre“, sagt Bayer-Manager Ilja Kaenzig. Mit dreiundzwanzig Jahren habe der Hochbegabte „kapiert, was er mit seinem Talent alles erreichen kann: eine internationale Karriere, die weit über Leverkusen hinausgeht“. Wer das begreife, empfinde jeden Tag als verloren, an dem er nicht auf dieses Ziel hinarbeite. Der bulgarische Nationalspieler ist dazu übergegangen, den Tag zu nutzen. Die Mentalität, Dienst nach Vorschrift zu schieben, hat Augenthaler ihm offenbar abgewöhnt.“
Auch Malte Oberschelp (FR 24.4.) kann die Freiburger Auswärtsschwäche nicht erklären: „In seinem Buch „Meine Tage als Spitzenreiter“ hat der Fußball-Autor und Bochum-Fan Christoph Biermann eine „Top Five der trostlosesten Auswärtsfahrten“ zusammengestellt. Entscheidend für die Qualifikation war „der Faktor aus aufgewendeter Lebenszeit ohne emotionalen Gegenwert außer Frustration“, die Liste reichte von Schwarz-Weiß Essen gegen Westfalia Herne 1978 bis zum VfB Stuttgart gegen den VfL Bochum 1994. Fans des SC Freiburg kann das nicht weiter beeindrucken. Die laufende Spielzeit 2003/2004 hat genug trostlose Auftritte der Freiburger in der Fremde generiert, um eine solche Hitparade allein zu füllen. Vom 1:4 am ersten Spieltag in Leverkusen bis zum 0:4 vergangenen Samstag in Wolfsburg zieht sich die Reihe von SC-Auswärtsniederlagen, unterbrochen nur von einer Handvoll Unentschieden. Das Torverhältnis außerhalb des heimischen Dreisamstadions beträgt 10:34 Treffer – der schlechteste Wert der Liga. Keine Frage ist SC-Trainer Volker Finke deshalb häufiger gestellt worden als die nach der Auswärtsschwäche. Nun ist die Erörterung des Sachverhalts, warum Fußballmannschaften daheim öfter gewinnen, schon bei halbwegs normalen Auswärtswerten eher eine Angelegenheit höherer Philosophie als rationaler Sportwissenschaft. Es muss eine Sache des Kopfes sein: Schließlich sind die Tore überall gleich groß, beide Mannschaften beginnen stets mit elf Spielern, und die Regeln sind auswärts auch die gleichen.“
Michael Eder (FAZ 24.4.) stöhnt auf: „Glückliches Amerika. Kein Mensch regt sich hier darüber auf, daß einer wie Shaquille O‘Neal ein paar Dutzend Millionen im Jahr verdient und die Konsequenzen, die sich aus dem Reichtum ergeben, auch liebend gerne zeigt. Alle Achtung, sagen die Leute, der Junge hat’s zu was gebracht. Und dann schalten wir wieder um zu unserem Stammtischfernsehen auf DSF oder zur Sportschau, und dann sind wir wieder daheim. Und was lernen wir hier? Wir lernen, daß Sozialneid genausoviel Spaß machen kann wie das Betrachten von Ultraneureichen. Wenn beispielsweise der Herr Frings, der im Moment der begehrteste Kicker hierzulande ist, zum Training in Dortmund mit einem neuen Geländewagen erscheint, für den selbst O‘Neal eine halbe Wagenhalle reservieren muß, dann sorgt das nicht nur für Irritationen, sondern auch für böse Kommentare. Da muß sich der Herr Frings in der Presse doch tatsächlich als Mister Protz bezeichnen lassen, nur weil er mit einem panzerartigen Gefährt namens Hummer, den sonst neben O‘Neal nur amerikanische Institutionen wie die Marineinfanterie oder Gouverneur Arnold Schwarzenegger fortbewegen, zu den täglichen Übungsstunden kommt. Um die Förderung des Sozialneids, einer schönen deutschen Tugend also, hat sich Frings verdient gemacht. (…) Außerdem, das hat Toni Schumacher schon vor bald zwanzig Jahren erkannt, fördern Fußballprofis die Sportszene auch abseits ihrer Disziplin in beträchtlichem Maße. Schließlich ernährten sie Legionen von Tennis-, Golf- und Reitlehrern. Nur persönliche Fußballtrainer würden sie sich nicht halten, hatte Schumacher beobachtet. Aber irgendwo muß halt jeder sparen.“
Ballschrank
Fußball am Samstag
FAZ-Interview mit Ottmar Hitzfeld – vor dem Münchner Derby: die alte Rivalität zwischen Bayern und Sechzig ist einer Geschäftsbeziehung gewichen; 1860 hat genug Probleme mit sich selber; „für den Klassenerhalt mit 1860 verzichte ich gerne auf Sex“ (Gerald Vanenburg in SZ) – wer ist verantwortlich für Leverkusens erneuten Aufschwung? Bernd Schneider (SZ) und Dimitar Berbatov (FAZ) u.v.m.
Die Motivation ist größer, wenn man auf dem ersten Platz steht
FAZ-Interview (24.4.) mit Ottmar Hitzfeld
FAZ: Wenn Werder Bremen vorne bleibt, haben die Bayern die Meisterschaft verloren, weil sie in dieser Saison nur selten überzeugt haben. Warum schafft es der FC Bayern nicht, sein Potential auszuspielen?
OH: Als wir am Anfang der Saison viele Verletzte hatten, kamen wir ein wenig in Rückstand in der Tabelle. Wir sind es nicht gewohnt, die anderen zu jagen. Wir sind es gewohnt, die Gejagten zu sein. Außerdem haben wir eine andere Medienlandschaft als die Bremer. Wenn die mal verlieren, kräht kein Hahn danach, und wenn wir verlieren, haben wir eine Woche Theater. Das hinterläßt Spuren bei einigen Spielern.
FAZ: Ist es also vor allem ein mentales Problem?
OH: Natürlich ist die Motivation größer, wenn man auf dem ersten Platz steht. Anscheinend brauchen wir den ersten Platz als Motivationshilfe, damit die Spieler nicht so unter Druck gesetzt werden. Wir haben in dieser Saison nicht die Mentalität, die uns oft ausgezeichnet hat, daß wir auf Biegen und Brechen ein Spiel gewinnen wollen. Nach Rückständen haben wir nicht so reagiert, wie man es erwartet von Bayern. Daran müssen wir arbeiten.
FAZ: Michael Ballack gehört sicherlich zu den von Ihnen angesprochenen Spielern, die Schwierigkeiten haben, mit Druck fertig zu werden.
OH: Wenn immer nur auf einem rumgehackt wird und man an den Pranger gestellt wird, muß man sich nicht wundern, wenn plötzlich die besten Spieler Deutschlands Probleme haben.
FAZ: Er hat aber auch ein wenig dazu beigetragen, daß er kritisiert wurde.
OH: Natürlich hat er dazu beigetragen, aber wenn man immer nur kritisiert wird, von Anfang an, ist das unfair.
FAZ: Es heißt, die Mannschaft befindet sich im Umbruch. Dieser Umbruch dauert nun schon drei Jahre und ist noch nicht abgeschlossen. Ist das nicht etwas lange für einen Klub, der an Erfolgen gemessen wird?
OH: Wir haben doch letztes Jahr das Double gewonnen, das wird immer vergessen.
FAZ: Es ist also ein Umbruch auf hohem Niveau?
OH: Ja, aber auch ein Gejammere auf hohem Niveau. Das Double hat Bayern in 100 Jahren Vereinsgeschichte nur viermal geschafft.
Die Löwen müssen sich selber aus dem Sumpf ziehen
Vor dem Münchner Derby – Andreas Burkert (SZ 24.4.) vermisst die alte Rivalität zwischen Bayern und Sechzig: “Wie gut, dass es Menschen wie Oliver Kahn gibt, der vor dem 199. Stadtduell an diesem Sonntag mit Vergnügen mitteilt, die Blauen seien „uns wurscht“. Oder eben Rummenigge. Er ist Westfale und entgegnet auf die Frage nach möglichem Mitleid für den abstiegsbedrohten Rivalen ziemlich irritiert. „Mitleid? Nein, das geht nicht – das geht überhaupt nicht! Die Löwen müssen sich selber aus dem Sumpf ziehen.“ Im aktuellen Verhältnis der Klubs müssen derlei Spitzen jedoch als Teil einer verblassenden Folklore gedeutet werden. Denn trotz der sportlichen Ausgangslage der Parteien, die diesem Derby eine Brisanz wie lange nicht mehr verleiht, gehen die Vereine derart rücksichtsvoll miteinander um, als stehe die Fusion bevor. Das harmonische Nebeneinander hat einen Grund, er ist inzwischen deutlich sichtbar an der A 9 im Münchner Norden: die Allianz Arena. Der Rohbau des Stadions steht, in genau einem Jahr soll der letzte Stein verbaut sein. Das auf 38 000 Quadratmetern entstehende Schmuckstück des Weltfußballs verzaubert sogar den kühlen Manager Rummenigge in einen milden Pragmatiker. Er sagt: „Wir sind Partner, und an unserem guten Verhältnis gibt es keine Zweifel.“ Dass der FC Bayern den Löwen alles erdenklich Gute wünscht (nur eben nicht für Sonntag), ist verständlich. Denn trotz der Wut über den mutmaßlichen Schmiergeldskandal um den einstigen 1860-Patron Wildmoser – womit das neue Stadion „einen negativen Schatten gekriegt“ habe, wie Rummenigge findet –, ist das Interesse groß wie nie zuvor an einem seriös handelnden und halbwegs auf Augenhöhe wirkenden Nachbarn. Denn alles andere würde den Rekordmeister vermutlich Geld kosten. Wie jedenfalls aus Kreisen der Allianz zu hören ist, die sich die Namensgebung für die Arena 80 Millionen Euro kosten lassen soll, enthalte die Vereinbarung mit der Stadion GmbH neben fixen Zahlungen „auch einen erfolgsabhängigen Faktor“ – sollten die Löwen absteigen, würde dies die Fördersumme womöglich reduzieren. Zwar betont Bayern-Finanzvorstand Karl Hopfner, ein Abstieg des TSV habe „für den FC Bayern keine Folgen“. Dagegen steht die Aussage aus Reihen des Sponsors, wonach „der FC Bayern offenbar von einer maximalen Zahlung ausgegangen“ sei, „das zeugt von einer sehr optimistischen Vorgehensweise“. Der Kenner möchte ungenannt bleiben.“
Für den Klassenerhalt mit 1860 verzichte ich gerne auf Sex
Gerald Kleffmann (SZ 24.4.) blickt auf die Woche der Sechziger zurück: „Das Derby? Kein Thema am Montag. Stattdessen: Krisen-PR. Ein Hotel im tristen Stadtteil Neuperlach, 13 Uhr, Pressekonferenz. Sportdirektor Dirk Dufner stellt Gerald Vanenburg als Trainer vor. Dufner lächelt. Er weiß: Vanenburg ist beliebt, seit seiner Zeit als Löwen-Profi. Dufner sagt, er habe sich am Samstag erstmals beim Niederländer gemeldet, nachdem Falko Götz entlassen worden war. Inzwischen ist klar: Es gab vorher Kontakt. Und eine Abmachung. Fliegt Götz, kommt Vanenburg. Götz wusste das. Am Samstag aber gaben sich alle unwissend. Vizepräsident Hans Zehetmair, der vielen lästig war, weil er nicht nur viel, sondern viel Wahres sprach, konnte so für sein Verkünden der Entlassung von Götz angeprangert werden. Von Dufner, Präsident Karl Auer und Götz. Ein Insider: „Dufner hat Auer im Griff.“ Auer, der die Fragestunde verfolgt, sagt: „Ich vertraue Herrn Dufner.“ Der Aufsichtsrat ist komplett. Der Vereinsrat beruft den ehemaligen Spieler Fredi Heiß und den ehemaligen Vorsitzenden des Wirtschaftsrats Sepp Hilz in das neunköpfige Kontrollgremium. Gut für Auer: Beide seien „Gefolgsleute“, sagt ein Kenner der Szene. Abends soll Auer zu Blickpunkt Sport, ins Bayerische Fernsehen. Er redet nicht gerne öffentlich, was nicht unsympathisch ist. Aber hinderlich, wenn man als Löwen-Präsident arbeitet. Wie es heißt, habe Auer zu-, ab- und zugesagt. Moderator Waldemar Hartmann führt das Gespräch zahmer als ein Therapeut. Auer wirkt wie ein Teilnehmer der Sendung Fear Factor. Für manche stellen Schlangen und Spinnen eine Überwindung dar, für Auer sind es Journalisten. Er strahlt, als alles vorbei ist. Dienstag. Benjamin Lauth humpelt mit Krücke auf das Vereinsgelände. „Am schwierigsten ist es, wenn ich am Wochenende zuschauen muss“, sagt er. Lauth trägt einen Gips. Der Mittelfußbruch im Spiel gegen Hamburg hat seine verkorkste Saison beendet. Lauth humpelt zum Rasenplatz weiter, schaut den Kollegen zu. Nebenan stehen Kiebitze, sie schimpfen über Dufner. „250 000 soll der verdienen?“, fragt einer. Vanenburg leitet sein zweites Training, die Spieler lachen viel. „Die Freude ist da“, sagt Paul Agostino. „Er bringt Lockerheit auf den Platz.“ Harald Cerny bezeichnet Vanenburg als „Spaßvogel“. Und der Trainer? Sagt der AZ: „Für den Klassenerhalt mit 1860 verzichte ich gerne auf Sex.“ Wenn das kein aufrichtiges Opfer ist.“
Thomas Becker (FR 24.4.) rückt Prioritäten zurecht: „Stell dir vor, es ist Derby und die Leute reden vom Bier. Thema Nummer eins in der Hauptstadt des Gerstensaftes war in der Prä-Derby-Woche nicht das Duell um Meisterschaft und Abstieg, sondern der Skandal im Sperrbezirk Allianz-Arena. Wenn aus der prächtig gedeihenden Baustelle in Fröttmaning eins der schönsten Fußballfelder geworden ist, wird es dort kein bayerisches Bier zu trinken geben. Sondern: Budweiser – pfuideibel, schreit der Münchner, und der Chef der bayerischen SPD-Fraktion im Landtag (er heißt Franz Maget) tönt: „Wir haben eine Fürsorgepflicht und dürfen die Besucher der WM-Stätten nicht vergiften.“ Putzig, nicht wahr? Die Realität sieht so aus, dass der US-Bierkonzern Anheuser Busch 40 Millionen Euro zahlt, um in und ums Stadion während der WM 2006 Budweiser ausschenken zu dürfen. Münchens Brauer müssen leider draußen bleiben. Dagegen erscheinen Fragen, ob der FC Bayern noch Meister wird oder 1860 bald zweitklassig ist, eher vernachlässigbar.“
Robert Hennefarth, Bayern-Fan und SZ-Leser, macht sich einen Reim aufs Derby
Bayern und sein Ortsrivale
sind wie Lackschuh und Sandale.
Der Lackschuh stellt, das ist wohl klar,
in diesem Fall die Bayern dar.
Wenn man die Beiden nun vergleicht,
ist der Sandalenschuh vielleicht
bequemer, aber viel zu schlicht
für Auftritte im Rampenlicht.
Ins Sportlight und auf Meisterfeiern
gehört der Lackschuh – also Bayern.
Doch Sechzig braucht nicht traurig sein,
denn manchem klammen Sportverein,
wie Dortmund und dem FCK,
geht“s schlechter. Der steht barfuß da.
Vielleicht erspielt sich Schneider noch einen letzten großen Vertrag
Wer ist verantwortlich für den, erneuten, Aufschwung Leverkusens? Christoph Biermann (SZ 24.4.) meint „Bernd Schneider, dessen persönliches Auf und Ab mit dem seines Teams parallel geschaltet zu sein scheint. Vier Tore hat er in den letzten acht Partien erzielt und vier weitere Treffer vorbereitet. „Ich bin auf einem guten Weg“ sagt er lakonisch. Es ist mehr als das, denn langsam erinnern seine Leistungen wieder an jene Auftritte bei der Weltmeisterschaft 2002, die fast zu einem Fluch geworden waren. „Man hat mich am WM-Finale oder Endspiel der Champions League gemessen“, sagt Schneider, und das hat sich als gehörige Fallhöhe erwiesen. Kein anderer deutscher Spieler kann mit dem Ball so gut umgehen wie der, den sie „Schnix“ nennen. Dafür bewundern ihn sogar die Brasilianer, er bekommt viel Fanpost aus Japan, Korea oder China, und in Hongkong hat ihm einer seiner Verehrer eine Fanseite im Internet gewidmet. Doch in Deutschland sehen sich Ballzauberer wie Schneider schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, nicht genug zu schuften, wenn es mal nicht läuft. „Ich kämpfe auf meine Weise, aber eine Blutgrätsche werde ich wohl nie auspacken“, sagt Schneider. Nur kann man es drehen und wenden, wie man will: Schneider hat nach dem WM-Finale von Yokohama selten gut gespielt und oft genug schwach. Nicht nur gemessen an dem, was einmal war. Doch welche Erklärung dafür man ihm auch anbietet, Schneider lässt sie abprallen. Für ihn reduziert sich alles auf eine naturwüchsige Folge von Höhe- und Tiefpunkten. (…) Es ist nicht ganz abzustreiten, dass Bayers Verschiebebahnhof mit Dutzenden von Optionsverträgen mitunter wirr erscheint. Es ist ebenso wenig von der Hand zu weisen, dass Schneider schon seit längerem auf der Verkaufsliste von Bayer steht. Angeblich 2,4 bis 2,8 Millionen Euro verdient er je nach Erfolg in Leverkusen. Das ist gut dotiert, für Bayer in Zeiten des Sparens wohl zu gut. Vergangenen Sommer hätte ihn der Klub gerne abgegeben, aber da fand sich angesichts besagt schwacher Leistungen kein Interessent. „Wenn er weiter so spielt, stellt sich eher die Frage, ob wir ihn halten können“, sagt Ilja Kaenzig. Zeigen wird sich das aber wohl erst nach der Europameisterschaft, „dem großen Schaufenster“, wie der Manager von Bayer das Turnier nennt. Vielleicht erspielt sich der 30-jährige Schneider dort noch einen letzten großen Vertrag.“
Richard Leipold (FAZ 24.4.) verweist auf Dimitar Berbatov: “Irgendwann in den vergangenen Monaten muß Berbatow beschlossen haben, als Fußballspieler ins seriöse Fach zu wechseln. In der Rückrunde hat der hochveranlagte Stürmer schwierige Zweikämpfe gewonnen – gegen sich selbst und gegen das Klischee des Angreifers, der die besten Chancen notorisch verstreichen läßt und dabei so über den Rasen trottet, als wäre es ihm gleichgültig. Berbatow schickt sich an, ein verläßlicher Vollstrecker zu werden, der auch dann zur Stelle ist, wenn die Sonne nicht scheint und Bayer Leverkusen dringend ein Tor braucht. (…) Mit den Jahren war die Zahl der Kritiker gestiegen, die in Berbatow einen allzu sorglosen jungen Mann sahen, der sein Talent verschludert wie die Chancen im gegnerischen Strafraum und Vorgesetzte wie Fans zur Verzweiflung treibt. Genau zu ergründen sind die Ursachen seiner Metamorphose nicht. Augenthaler, seit knapp einem Jahr Berbatows Trainer, muß es irgendwie fertiggebracht haben, den schüchternen Einzelgänger zu erreichen. Augenthaler habe viel mit ihm gesprochen, sagt Berbatow, der Trainer sei „sehr ehrlich“ zu ihm gewesen. Die klare Ansprache des Bayern scheint dem sensiblen Osteuropäer die Augen geöffnet zu haben. Seitdem entwickelt er auch dann Ehrgeiz, wenn es nicht um die Herzenssache Nationalmannschaft geht. Augenthaler hat Vertrauen aufgebaut – und Berbatow Selbstvertrauen. (…) Den Leverkusenern ist klar, daß ihr Klub für Berbatow – ähnlich wie für den absprungbereiten Brasilianer Lucio – nur eine Episode sein dürfte. „Dimitar müßte enttäuscht sein, wenn das hier seine letzte Station wäre“, sagt Bayer-Manager Ilja Kaenzig. Mit dreiundzwanzig Jahren habe der Hochbegabte „kapiert, was er mit seinem Talent alles erreichen kann: eine internationale Karriere, die weit über Leverkusen hinausgeht“. Wer das begreife, empfinde jeden Tag als verloren, an dem er nicht auf dieses Ziel hinarbeite. Der bulgarische Nationalspieler ist dazu übergegangen, den Tag zu nutzen. Die Mentalität, Dienst nach Vorschrift zu schieben, hat Augenthaler ihm offenbar abgewöhnt.“
Auch Malte Oberschelp (FR 24.4.) kann die Freiburger Auswärtsschwäche nicht erklären: „In seinem Buch „Meine Tage als Spitzenreiter“ hat der Fußball-Autor und Bochum-Fan Christoph Biermann eine „Top Five der trostlosesten Auswärtsfahrten“ zusammengestellt. Entscheidend für die Qualifikation war „der Faktor aus aufgewendeter Lebenszeit ohne emotionalen Gegenwert außer Frustration“, die Liste reichte von Schwarz-Weiß Essen gegen Westfalia Herne 1978 bis zum VfB Stuttgart gegen den VfL Bochum 1994. Fans des SC Freiburg kann das nicht weiter beeindrucken. Die laufende Spielzeit 2003/2004 hat genug trostlose Auftritte der Freiburger in der Fremde generiert, um eine solche Hitparade allein zu füllen. Vom 1:4 am ersten Spieltag in Leverkusen bis zum 0:4 vergangenen Samstag in Wolfsburg zieht sich die Reihe von SC-Auswärtsniederlagen, unterbrochen nur von einer Handvoll Unentschieden. Das Torverhältnis außerhalb des heimischen Dreisamstadions beträgt 10:34 Treffer – der schlechteste Wert der Liga. Keine Frage ist SC-Trainer Volker Finke deshalb häufiger gestellt worden als die nach der Auswärtsschwäche. Nun ist die Erörterung des Sachverhalts, warum Fußballmannschaften daheim öfter gewinnen, schon bei halbwegs normalen Auswärtswerten eher eine Angelegenheit höherer Philosophie als rationaler Sportwissenschaft. Es muss eine Sache des Kopfes sein: Schließlich sind die Tore überall gleich groß, beide Mannschaften beginnen stets mit elf Spielern, und die Regeln sind auswärts auch die gleichen.“
Michael Eder (FAZ 24.4.) stöhnt auf: „Glückliches Amerika. Kein Mensch regt sich hier darüber auf, daß einer wie Shaquille O‘Neal ein paar Dutzend Millionen im Jahr verdient und die Konsequenzen, die sich aus dem Reichtum ergeben, auch liebend gerne zeigt. Alle Achtung, sagen die Leute, der Junge hat’s zu was gebracht. Und dann schalten wir wieder um zu unserem Stammtischfernsehen auf DSF oder zur Sportschau, und dann sind wir wieder daheim. Und was lernen wir hier? Wir lernen, daß Sozialneid genausoviel Spaß machen kann wie das Betrachten von Ultraneureichen. Wenn beispielsweise der Herr Frings, der im Moment der begehrteste Kicker hierzulande ist, zum Training in Dortmund mit einem neuen Geländewagen erscheint, für den selbst O‘Neal eine halbe Wagenhalle reservieren muß, dann sorgt das nicht nur für Irritationen, sondern auch für böse Kommentare. Da muß sich der Herr Frings in der Presse doch tatsächlich als Mister Protz bezeichnen lassen, nur weil er mit einem panzerartigen Gefährt namens Hummer, den sonst neben O‘Neal nur amerikanische Institutionen wie die Marineinfanterie oder Gouverneur Arnold Schwarzenegger fortbewegen, zu den täglichen Übungsstunden kommt. Um die Förderung des Sozialneids, einer schönen deutschen Tugend also, hat sich Frings verdient gemacht. (…) Außerdem, das hat Toni Schumacher schon vor bald zwanzig Jahren erkannt, fördern Fußballprofis die Sportszene auch abseits ihrer Disziplin in beträchtlichem Maße. Schließlich ernährten sie Legionen von Tennis-, Golf- und Reitlehrern. Nur persönliche Fußballtrainer würden sie sich nicht halten, hatte Schumacher beobachtet. Aber irgendwo muß halt jeder sparen.“
Freitag, 23. April 2004
Ballschrank
Vermischtes
Markus Merk ist der Mittelpunkt des Champions-League-Halbfinals zwischen Porto und La Coruña (0:0) – sehr lesenswert! Maradonas „Tango der Selbstzerstörung“ (NZZ) – Gratulation an Stefan Reuter zu seinem 500. Bundesliga-Spiel (FAZ) – FR-Interview mit Karl Auer , Präsident 1860 Münchens; wird 1860 München ins Grünwalder Stadion zurückziehen? (SZ) u.v.m.
Das Spiel war erbärmlich, weil es der Schiedsrichter so wollte
Beim Halbfinale der Champions League notiert Thomas Klemm (FAZ 23.4.) Worte über die Leistung Markus Merks, des Schiedsrichters: „Wenn zwei sich streiten, leidet der dritte. Die Rolle des Leidenden spielte am Mittwoch abend der Leitende, und der hieß wieder einmal Markus Merk. Unter Pfiffen der knapp 50 000 Zuschauer und böser Kritik der Fußballprofis und Trainer verließ der Zahnarzt aus Kaiserslautern das Estadio do Dragão. Merk, der sich nach dem umstrittenen Elfmeterpfiff zugunsten von Borussia Dortmund den Zorn des unterlegenen FC Bayern München zugezogen hatte, stand auch vier Tage später im Kreuzfeuer der Kritik. „Das Spiel war erbärmlich, weil es der Schiedsrichter so wollte“, sagte der Portuenser Trainer José Mourinho, „in zehn, zwölf Jahren habe ich so etwas bei europäischen Wettbewerben noch nie gesehen“. Ein laut Mourinho zerfahrenes „Anti-Spiel“, das von den Nordportugiesen bemüht, aber einfallslos, und von den Galiciern rundum destruktiv geführt wurde, bekam der Unparteiische nie vollends in den Griff. Von der portugiesischen Sportzeitung „O Jogo“ wurde er gar als „Blechpfeife“ verhöhnt. Der FC Porto beklagte sich darüber, daß Merk den Spielfluß oft unterbrochen, ihm kurz vor Schluß einen Elfmeter verweigert und auf das Vortäuschen von Verletzungen seitens der Spanier nicht rigoros reagiert habe; La Coruña haderte mit der robusten Gangart des UEFA-Pokalsiegers des Vorjahres und der Roten Karte gegen Jorge Andrade, dessen kumpelhaften Kick in die Hüfte des am Boden liegenden Deco Merk als Tätlichkeit wertete. Eine Sicht, die nicht einmal der zuvor gefoulte Spielmacher vertreten mochte. „Er ist mein Freund“, sagte Deco über seinen Nationalmannschaftskollegen und früheren Mitspieler bei Porto, „ich glaube nicht, daß seine Aktion aggressiv gemeint war.““
of: Warum eigentlich klagen die Bayern über Merk? Sie müssen sich bei Merk doch bedanken, dass sie das Spiel gegen Dortmund immerhin mit zehn Spielern beenden – und nicht, wie es den Regeln entspricht, mit acht: Jens Jeremies erhält nach einer Tätlichkeit gegen den Dortmunder Ewerthon nur die Gelbe Karte; Oliver Kahn nicht mal, obwohl er Merk den Vogel zeigt. Für die gleichen Vergehen sind kürzlich der Berliner van Burik und der Stuttgarter Zivkovic vom Spiel ausgeschlossen worden. Welch eine Gnade den Bayern zuteil wird! Und sie merken’s nicht mal.
Diego Maradona und Fussball sind eins
Sehr lesenswert! Peter Hartmann (NZZ 23.4.): „Der Patient, der hinter den Mauern des Spitals Suizo Argentina im vornehmen Barrio Norte im künstlichen Koma liegt, ist 43 Jahre alt und hat das Herz eines Greises. Er wiegt 40 Kilo zu viel, und er ist abhängig vom Kokain; eine Sucht, die vielleicht therapierbar wäre, er hat es vier Jahre auf Kuba versucht. Aber noch mehr ist er vom Fussball abhängig. Diego Maradona und Fussball sind eins, seit er als Dreijähriger von seinem Onkel einen Ball geschenkt erhielt, in Villa Fiorito, einer Bidonville draussen im Niemandsland von Buenos Aires, wo die Rauchschwaden der brennenden Abfallberge die Sonne verhüllen. Als 11-jähriger Däumling jonglierte er in den grossen Stadien von Buenos Aires in den Matchpausen mit dem Ball, mit 16 spielte er in der Nationalmannschaft. Jung war er nie, aber mit 20 bereits ein Kandidat für die Unsterblichkeit. Doch unsterblich ist in Argentinien nur, wer tot ist. Maradona hatte am letzten Sonntag seinen beiden Töchtern Giannana und Dalmita im Restaurant wieder diese hinreissende Seehund-Zirkusnummer vorgezaubert: Statt eines Balles liess er eine leere Flasche auf der Stirn tanzen, und der unförmige Körper schaukelte mit animalischer Geschicklichkeit. Später sah er sich in der Bombonera seine Boca Juniors an, aber es ging ihm schlecht. Die Nacht zuvor hatte er durchgefeiert, mit einem Fleischgelage in der Vorstadt General Rodriguez. Im Schlaf geriet Erbrochenes in seine Lunge, und diese Infektion löste nach Ansicht der Ärzte den Zusammenbruch aus, mit einer schweren Herzinsuffizienz, und wahrscheinlich war auch wieder eine gefährliche Menge Kokain im Spiel, wie am Neujahrstag der Jahrtausendwende, als er im uruguayischen Badeort Punta del Este nach einer Überdosis das rettende Spital erreicht hatte, noch auf eigenen Beinen. Damals flüchtete er aus der erstickenden Anteilnahme der Argentinier nach Kuba als Gast Fidel Castros, der die Entziehungskur des schillernden Kranken als eine willkommene Möglichkeit betrachtete, das medizinische System der Zuckerinsel ins mediale Schaufenster zu stellen. Der Revolutionspatriarch im Spätherbst seiner Macht und der kaputte Star, der seine Läuterung erfährt. Er kokst bereits seit 1983. Den Stoff lernte er im Barrio Chino von Barcelona kennen, als ihn eine langwierige Bänderverletzung erstmals aus der Bahn warf. Gegen Coppola strengte er vor wenigen Wochen einen Prozess wegen Unterschlagung einer Million Dollar an, deshalb kehrte er auch nach Buenos Aires zurück. Schon sein erster Manager, der durch Kinderlähmung behinderte Jugendfreund Jorge Cyterspiler, dem er das Studium bezahlt hatte, betrog ihn um zwei Millionen Dollar. Maradona hat in seiner Karriere schätzungsweise 30 Millionen Dollar verdient. Das Geld geht zur Neige. In Neapel, wo er ein Leben zwischen Delirium und Depression führte, hat er das Bild einer Ikone zurückgelassen, aber auch den nicht akzeptierten unehelichen Sohn Diego jun. und eine gewaltige Steuerschuld, die mittlerweile auf 30 Millionen Euro angeschwollen ist. Der Arzt Edoardo Kalina, der ihn in Argentinien erfolglos behandelte, diagnostizierte ein „Popeye-Syndrom“: Wie der Spinatheld, der durch das Gemüse Riesenkräfte entwickelt, spüre Maradona, „der seinen unförmigen, nicht mehr kontrollierbaren Körper hasst, beim Sniffen das Gefühl von Kraft und Unverletzlichkeit“. Das Magazin „Noticias“ publizierte einen erschreckenden Befund: Maradona leide an Nekrosis, einer fortgeschrittenen Schädigung des Gehirns durch jahrelangen Drogenmissbrauch, die zu irrationalen Aussetzern im psychischen Verhalten führt. Sein Herzleistung ist auf weniger als 50 Prozent geschrumpft, letztlich hilft ihm nur eine Transplantation. Maradona ist in der Spirale seiner Selbstzerstörung auch ein Gefangener seiner eigenen Legende. (…) Als der italienische Radrennfahrer Marco Pantani in Rimini an einer Überdosis Kokain starb, war Diego Armando Maradona nur 100 Kilometer entfernt für einen Sponsorensold als Narr verkleidet am Karneval in der Kleinstadt Pieve di Cento aufgetreten. Er ahnte vielleicht noch nicht, wie nah er dem Tod war.“
Ausschweifungen und Stefan Reuter? Davon ist in der Welt des Fußballs nichts bekannt
Roland Zorn (FAZ 23.4.) beglückwünscht Stefan Reuter zu seinem, bevorstehenden, 500. Bundesliga-Spiel: “Bei anderen ist diese Ziffer wie eine Girlande hochgehängt und bestaunt worden. Bei Stefan Reuter aber fragt sich mancher: „Wie? Erst 500 Bundesligaspiele?“ Der bodenständige Franke, der in Dortmund seßhaft geworden ist, gehört in seinem Beruf zu jenen hochgeschätzten Profis, bei denen nur selten nach dem Alter und schon gar nicht nach der Zahl seiner Einsätze gefragt wird. Reuter scheint immer dagewesen zu sein – frei nach dem Motto eines großen Automobilherstellers: Und läuft und läuft und läuft. (…) Reuters beharrliche Spielweise, seine Zähigkeit im Zweikampf, sein leichtathletisch grundierter unauffälliger, schnörkelloser Stil bieten keinen Raum für Schwärmereien und Träumereien. Der erste Diener und Chef seiner Mannschaft tut Spiel für Spiel seinen Job – und das ist eine ganze Menge, bedenkt man, wieviel Kraft, Energie, Tempo und Unbeugsamkeit für seine Art, mit Ball und Gegner umzugehen, vonnöten sind. Stefan Reuter, einst als Läufer bayerischer Crossmeister, entstammt einer sportlichen Familie – Vater Leichtathlet, Mutter Handballspielerin – und hält seine immergrüne Fitneß auch für „genetisch bedingt“. Er, der in jungen Jahren 10,7 Sekunden über die hundert Meter lief, hat einen Kreuzbandriß (1992) und einen Knorpelschaden (2000) aber auch deshalb spurlos überstanden, weil er mit seinem Körperkapital äußerst pfleglich umgegangen ist. Ausschweifungen und Stefan Reuter? Davon ist in der Welt des Fußballs nichts bekannt.“
Ich bin immer einen geraden Weg gegangen
FR-Interview mit _Karl Auer, Präsident 1860 Münchens
FR: Inwiefern haben Sie denn die Wucht der Medien unterschätzt?
KA: In der Wirtschaft arbeitet man eher anonym. Ich habe gewusst, dass gewisse Ansprüche da sind, aber dass das so extrem ist, war schon überraschend.
FR: Woran lag es denn, dass das Duo Auer/Zehetmair gescheitert ist?
KA: Wir sind gemeinsam angetreten, aber man lernt sich auch erst in der täglichen Arbeit kennen. Er hat durch seine langjährige politische Erfahrung eine andere Auffassung als ich. Es war besser, einen Schnitt zu machen.
FR: In den Medien ist der Eindruck erweckt worden, Sie seien als Marionette installiert worden.
KA: Das Wort Marionette stimmt nicht. Ich bin immer einen geraden Weg gegangen. Sonst hätte ich ja auch nicht über Jahrzehnte eine Firma leiten können.
FR: Scheinbar wachsen Sie mit Ihrer ungewohnten Aufgabe.
KA: Am Anfang war das alles Neuland, auch was den Umgang mit den Medien angeht. Ich bin über Nacht in das Amt gekommen und hatte vorher noch nie ein Fernsehinterview gegeben. Aber ich stelle mich dem Interesse und mit jedem Interview wird man sicherer.
FR: Sportdirektor Dirk Dufner hat gesagt, dass Sie den Verein im Geiste ihres umstrittenen Vorgängers Karlheinz Wildmoser weiterführen.
KA: Er meint damit, dass der Verein in der ersten Liga bleibt und gewisse Dinge, wie zum Beispiel die hervorragende Jugendarbeit, fortgesetzt werden. Aber ich sage nicht, ich möchte den Herrn Wildmoser kopieren. Dann wäre ich nicht der richtige Mann für dieses Amt.
Gerald Kleffmann (SZ 21.4.) schildert die Spekulationen über eine mögliche Heimkehr 1860 Münchens: „Für mehr Unruhe als der Verkauf des Publikumlieblings Lauth könnte Detlef Romeikos (Geschäftsführer 1860 Münchens) zweite Überlegung in München sorgen. „Man muss schon mal überlegen, ob man mal ins Grünwalder ausweicht“, sagt er. Das Grünwalder Stadion war jahrzehntelang die Heimat von 1860, ehe der Klub Mitte der Neunziger ins Olympiastadion umzog. Viele treue Anhänger fühlten sich dadurch entwurzelt und verraten, noch heute arbeitet eine Fraktion aktiv auf eine Rückkehr ins alte Stadion hin. Bisher vergebens, bis auf ein Gastspiel im UI-Cup vor zwei Jahren spielte 1860 im Olympiastadion. Wieso der Verein nun anders denkt, begründet Romeiko so: „Nehmen Sie mal an, wir spielen in einem DSF-Livespiel am Montagabend vor 3500 Zuschauern im Olympiastadion – das tut schon weh.“ Im Grünwalder Stadion, so viel steht fest, wäre die Stimmung deutlich besser, bliebe nur die Frage: Ist eine Rückkehr, und sei sie nur gelegentlich, überhaupt möglich? Ja und nein. Ja, weil der Rasen intakt ist, er wird ständig gepflegt. Die Amateurteams der Löwen und der Bayern bestreiten im Grünwalder Stadion regelmäßig ihre Heimspiele. Nein, weil die Anlage nach dem jetzigen Stand nicht den Richtlinien des Profifußballs entspricht. Seit sechs Jahren wurde nichts renoviert, die Mauern, Stufen und Sitzplätze sind porös und renovierungsbedürftig. Die Westkurve ist aus Sicherheitsgründen komplett gesperrt, im Presseraum muss man den Kopf einziehen, so niedrig sind die Decken gebaut. Parkplätze gibt es nicht. Um den Bauauflagen der DFL gerecht zu werden, müsste vieles modernisiert werden, was teuer werden dürfte. „Eine sechsstellige Summe ist da ganz schnell zusammen“, sagt Rudolf Behacker, der Sportamtsleiter München; das Grünwalder Stadion ist im Besitz der Stadt, die bisher für jegliche Kosten rund um die alte Arena aufkam. Sollte 1860 eine Rückkehr samt Modernisierungsmaßnahmen erwägen, streikt aber Behacker: „Erst mal wäre ein Gutachten notwendig. Und dann müsste man sich über die Höhe und Verteilung der Kosten unterhalten.“ Das heißt: 1860 müsste mitfinanzieren. Bei der klammen Lage des Vereins wäre jedoch sehr fraglich, ob der TSV das kann. Ein weiteres Hindernis wäre ein Vorstandsbeschluss aus der Ära Wildmoser, der besagt: Die Löwen bestreiten alle Heimspiele im Olympiastadion und ab 2005 in der Allianz-Arena. Sollte dieser Beschluss gekippt werden, folgt das nächste Dilemma: Wann sollten die Löwen ins Grünwalder Stadion zurückkehren? Behacker erklärt, dass es wohl frühestens ab übernächster Saison ginge, denn das Lizenzierungsverfahren für die kommende Saison wurde ja gerade erst durchgeführt. 1860 hätte darin bereits das Grünwalder Stadion als potenziellen Spielort angeben müssen. Noch ist vieles Spekulation, 1860 nicht abgestiegen.“
Ronglish
Im Medien-Buch der SZ (23.4.) lesen wir: „In der Premier League sitzen fast nur noch smarte Weltmänner mit Fremdsprachen-Diplom auf den Trainerbänken. Männer der alten Schule wurden mit ihren Lammfelljacken und Goldkettchen in die unteren Divisionen abgeschoben. Wenn sie, wie Ron Atkinson, 65, großes Glück hatten, ergatterten sie einen Kommentatorenplatz. 200 000 Pfund lässt sich der Privatsender ITV die eigenwilligen Anmerkungen des ehemaligen Managers von Manchester United und Aston Villa kosten. Atkinson spricht während eines live übertragenen Spiels stets das offen aus, was der Fan denkt und sich der Kommentator nicht traut. Manchmal erfindet „Big Ron“ einfach neue Begriffe: „Ronglish“ heißen diese ungestümen Neologismen in der Mediensprache. Dienstag foulte sich Big Ron allerdings vom Platz. Nach der Niederlage des FC Chelsea hatte ITV bereits ins Studio geschaltet, als Atkinson – erzürnt über das Spiel – Chelseas französischen Profi Marcel Desailly als „fucking lazy nigger“ beschimpfte. In Ländern wie Dubai und Ägypten war er dabei noch auf Sendung. Mittwoch räumte Atkinson seinen Posten: „Es gibt keine Entschuldigung. Das war der schlimmste Tag meiner Karriere, und ich hatte schon einige schlechte.“ Er sei „sehr traurig, denn im Fußball ist niemand weniger ein Rassist als ich.“ Atkinson hats sich bei Desailly entschuldigt und angemerkt, dass er als Trainer stets schwarze Spieler stets gefördert habe. Profis gaben Ehrenbekenntnisse für ihn ab – doch seinen Stadion-Job ist er los.“
Donnerstag, 22. April 2004
Ballschrank
Champions League
Englische Journalisten halten Gericht über Chelseas Trainer Claudio Ranieri , „seine Karriere ist ruiniert“ (Daily Mail) – „iberisches Nullsummenspiel“ (NZZ) zwischen Porto und La Coruña
Seine Karriere ist ruiniert
Englische Journalisten halten Gericht über Chelseas Trainer Ranieri, beweist Raphael Honigstein (SZ 22.4.): „„To tinker“ heißt soviel wie planlos basteln oder rumschrauben, und bisher trug Ranieri, der launische Großmeister der Rotation, das Medien-Etikett mit Wonne, wie einen Ehrentitel. Immer wieder hat er im Laufe der Saison Personal und Taktik ohne große Not, aber mit viel Verve durcheinander gewirbelt, doch in Monaco endete das Vabanquespiel mit dem Bankrott. Ranieri übernahm nach den „schlechtesten 45 Minuten meiner Amtszeit“ die Verantwortung: „Nach 30 Jahren im Fußball weiß ich, dass der Manager immer der Schuldige ist.“ Das sollte ein wenig ironisch klingen, doch widersprechen will ihm nach seinen bizarren, kaum mehr nachvollziehbaren Auswechslungen niemand. Chelsea hatte das Geschehen mit der dem Team eigenen Kombination aus Kampfkraft und Effektivität lange bestimmt, das 1:1 zur Pause hätte eine hervorragende Ausgangsposition zur Folge gehabt. Dann brachte Ranieri zum Wiederanpfiff den augenscheinlich nicht ganz fitten Juan Sebastián Véron für den Dänen Gronkjaer, und das Unheil nahm seinen Lauf. Die Blauen verloren Faden und Initiative, und Ranieri verlor nach der Roten Karte für Zikos komplett die Nerven – anstatt den numerischen Vorteil ruhig auszuspielen, warf er mit Stürmer Jimmy Floyd Hasselbaink einen dritten Stürmer für Verteidiger Melchiot und sechs Minuten darauf den jungen Stopper Robert Huth als rechten Verteidiger für den zwischenzeitlich auf Melchiots Position zurückversetzten Mittelfeldmann Scott Parker auf den Platz. Anstatt der erhofften Auswärtstore, mit denen eine gute Ausgangsposition für die Londoner verbunden gewesen wäre, fielen zwei Kontertreffer für Monaco. „Ranieri hat im Schatten des Casinos alles auf Blau gesetzt, es kam aber Rot“, berichtete der schockierte Mirror. Sein „selbstmörderisches Rumwerkeln“ habe das Team um die Chance auf den Pokal gebracht, beschwerte sich die Times. Vom leutseligen Italiener, der immer für eine humorige Metapher gut ist, wollte auch die Daily Mail nichts mehr wissen. „Stinkerman“, titelte das Blatt indigniert. Ranieri habe zwar seine Würde bewahrt, aber auf dem „Spielplatz der Millionäre komplett die Orientierung verloren“ – „seine Karriere ist ruiniert“.“
In der FAZ (22.4.) lesen wir: „In der Stadt der Reichen und Schönen hat der Fußball am Dienstag wie schon vor zwei Wochen seine ganze Pracht entfaltet. Und wieder war es der AS Monaco, der das Establishment und die Größen des europäischen Fußballs in Erstaunen versetzte. (…) Nachdem Deschamps seine Mannschaft zu mehr Tatendrang aufgefordert und einige Umstellungen vorgenommen hatte und der schweizerische Schiedsrichter Urs Meier eine Tätlichkeit des Londoner Franzosen Marcel Desailly nicht gesehen hatte – gegen den Weltmeister ermittelt die Europäische Fußball-Union –, statt dessen aber das nicht gerade platzverweisreife Foul von Zikos an Makelele mit der Roten Karte geahndet hatte, blühte das Spiel des AS Monaco auf. Das hatte Chelseas Trainer Claudio Ranieri nicht mehr für möglich gehalten. Er glaubte, auf Sieg gesetzt zu haben, als er anstelle von Verteidiger Melchiot dessen stürmischen niederländischen Landsmann Jimmy Floyd Hasselbaink eingewechselt hatte. Eine Fehlspekulation, die mit dazu beitrug, daß die Aktionen von Monaco nicht mehr nur besonders ansehnlich, sondern auch auffällig zielstrebig wurden. Einen Tag, nachdem Ranieri dem russischen Klubeigner Roman Abramowitsch in einem Interview Ahnungslosigkeit in Sachen Fußball unterstellt hatte, verzockte sich der Italiener selbst. Folglich nahm er alle Schuld auf sich: „Es war ein Fehler, einen dritten Stürmer zu bringen.“ Und so höhnte die englische Zeitung „Independent“: „Monte Carlo hat viele Zocker ruiniert, und Claudio Ranieri scheint keine Ausnahme zu sein.“ Auf zwanzig Prozent beziffert der desillusionierte und von der Kündigung bedrohte Trainer die Aussichten seines Teams auf eine Wende im Rückspiel.“
Die Maschen der taktischen Netze
Georg Bucher (NZZ 22.4.) berichtet das 0:0 zwischen dem FC Porto und Depotivo La Coruña: „295 Kilometer liegen zwischen Porto und La Coruña, den Polen der luso-galicischen Euroregion. Atlantisches Klima, keltische Ursprünge und wirtschaftliche Verflechtungen inspirierten darüber hinaus eine entspannte Atmosphäre auf Champions-League-Niveau. Wie schon zu Ostern, als 90 Prozent der grossen Hotels in der Douro-Metropole von Spaniern belegt waren, setzte wieder ein Ansturm aus Norden ein. Die als Kind nach Galicien emigrierte Portuenser Sängerin Maria do Ceo, in Fado, galicischer Volksmusik, Jazz und kastilischen Klängen gleichermassen bewandert, bemühte sich in der populären TV-Sendung „Freudenplatz“, mentale Unterschiede zu verwischen und die Zuschauer auf ein regionales Derby einzustimmen. Anspielend auf die gemeinsamen Klubfarben präsentierte RTP unter dem Titel „Alles blau“ eine aufwendige Match-Vorschau. Wer im ausverkauften Drachen-Stadion sein blaues Wunder erleben würde, konnte man sich fragen; oder sollten die Trainer Recht behalten? Mourinho und Irureta hatten einen knappen Ausgang prognostiziert. Offenbar war der Respekt derart gross, dass Initiativen schon im Keim erstickt und die Goalies vor der Pause nicht einmal ernsthaft geprüft wurden. (…) Mehr schmerzverzerrte Gesichter am Boden als gefühlvolle Pässe und gelungene Dribblings verdunkelten das Spektakel und erschwerten dem deutschen Schiedsrichter Markus Merk vor allem im ersten Durchgang die Arbeit. Der nicht immer souveräne Referee mag sich manchmal vorgekommen sein wie zu Karrierebeginn bei einem Lokalderby seiner pfälzischen Heimat. Nach dem Seitenwechsel wurden die Sicherheitsmaximen etwas gelockert, was sich auf Dynamik und spielerische Qualität positiv auswirkte. Allerdings vermochten die Spielmacher Deco und Valeron ihre herausragende Technik weder in Standardsituationen noch mit öffnenden Pässen in die Spitze entscheidend zur Geltung zu bringen. Zu eng geknüpft waren die Maschen der taktischen Netze. Das Nullsummenspiel schien programmiert.“
Ballschrank
Sonstiges
FC Villareal , unbekannter Uefa-Cup-Halbfinalist – Operation „Goldene Pfeife“, ein Schiedsrichterskandal belastet Portugal – Uefa erlaubt Israel , Heimspiele auszutragen
Walter Haubrich (FAZ 22.4.) stellt uns FC Villareal vor, Uefa-Cup-Halbfinalist: „Der Fußballklub Villarreal ist international noch kaum bekannt. Vor viereinhalb Jahren stieg er, auch für viele Spanier überraschend, in die erste Division auf. Dort hat er sich gehalten, hin und wieder auch den einen oder anderen der vier Spitzenvereine (Madrid, Barcelona, Valencia und La Coruña) besiegt und schließlich im vorigen Sommer einen Platz für die UEFA-Cup-Spiele erobert. Im ersten Jahr seines internationalen Auftretens hat Villarreal gleich Vereine mit großer Tradition in europäischen Wettbewerben wie AS Roma und Celtic Glasgow ausgeschaltet. Die Mannschaft, zur Zeit Zehnter unter den zwanzig Vereinen der Ersten Spanischen Division, setzt sich zusammen aus sehr jungen Spielern vom eigenen Nachwuchs und von Nachbarvereinen sowie einigen internationalen Stars. Der Vorstand in Villarreal hat offenbar eine Reihe von guten Spähern in einigen Fußball-Ländern. So wurden im vorigen Herbst eine Reihe von erfahrenen Ausländern verpflichtet, die aus ihren viel bekannteren Klubs ausscheiden wollten, unter ihnen der Argentinier Riquelme, der beim FC Barcelona keinen Stammplatz fand, und der brasilianische Torjäger Sonny Anderson, der nach einem Abstecher beim FC Barcelona zu Olympique Lille wechselte, wo er nicht mehr länger bleiben wollte. Der kämpferische Verteidiger Coloccini, der wie der Spanier José Mari dem AC Mailand gehört, kam nach Villarreal nach einer Zwischenstation beim Chaosverein Atlético Madrid.“
Operation „Goldene Pfeife“
Thomas Klemm (FAZ 22.4.) kommentiert den Schiedsrichterskandal in Portugal: „Die Hoffnung auf Glanz und Gloria wird in Portugal überschattet von einem möglicherweise weitreichenden Bestechungsskandal, der Liga und Land erschüttert. Die Ermittlungen drehen sich zwar zunächst nur um den Drittligaklub FC Gondomar: doch zieht die Operation „Goldene Pfeife“ schon dadurch weite Kreise, weil der Hauptbeschuldigte Valentim Loureiro nicht nur Vereinschef von Gondomar ist, sondern als Präsident der Profiliga zu den einflußreichsten Männern im portugiesischen Fußball gehört. Befürchtet wurden Enthüllungen, wie sie nach der Polizeirazzia und den 16 Verhaftungen wohl bevorstehen, schon lange – auch rund um Renommierklubs in der „SuperLiga“. Daher ist es keine Überraschung, daß sich die großen Vereine aus Lissabon und Porto mit öffentlichen Stellungnahmen zurückhalten. Auch gegen die etablierten Erstligaklubs wurden, erstmals 1959 und dann immer wieder aufs neue, Vorwürfe laut, auf Schiedsrichter zumindest enormen Druck auszuüben. Ob auf die Operation „Goldene Pfeife“, die sich auf den nördlichen Teil Portugals konzentriert, nun ein landesweites Nachspiel folgt, ist noch unklar. Aber der drohende Bestechungsskandal bringt zusätzlich Unruhe in eine Nation, die mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen kämpft und ihre Hoffnungen auf einen Wandel zum Guten mit der Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft verbindet. Die EM soll, wie dieser Tage die Erinnerung an die friedliche Nelkenrevolution, den Ruf und das ramponierte Selbstbewußtsein in einem Land aufpäppeln, das seit geraumer Zeit von schlimmen Schlagzeilen heimgesucht wird. Gerichtsverhandlungen im Fall „Casa Pia“ halten die Nation seit Monaten in Atem, sollen doch Kinder und Jugendliche aus einem Waisenhaus mit Wissen und Deckung von Politikern, Prominenten und Polizisten sexuell mißbraucht worden sein.“
Eine Welt von Geldwäsche und politischer Vermischung
Ergänzend schildert Peter Burghardt (SZ 22.4.) „den größten Skandal der nationalen Fußballgeschichte. Am Dienstag ließ die Staatsanwaltschaft am Rande der Hafenstadt den Präsident des Liga-Verbandes, Valentim Loureiro, sowie 15 weitere Männer aus dem erweiterten Profibetrieb festnehmen – sie alle stehen im Verdacht, systematisch Schiedsrichter bestochen und Spiele verschoben zu haben. Die Razzia war das vorläufige Ergebnis wochenlanger Vorbereitung, Polizisten durchsuchten auch die Zentrale des Fußball-Verbandes FPF und 60 Wohnungen. Die Aktion trägt den Titel „Goldener Pfiff“, denn die Fahnder vermuten, dass mit Hilfe der Trillerpfeifen Millionen verdient werden. Seit Jahren wundern sich Spieler wie Zuschauer über merkwürdige Entscheidungen. Zu den Verhafteten gehören auch neun Regelhüter samt ihrem Vorsitzenden Antonio Pinto de Sousa, und möglicherweise war das erst der Anfang. Die stellvertretende Polizeidirektorin Maria Jose Morgado erklärte schon vor zwei Jahren, der Fußball sei „eine Welt von Geldwäsche und politischer Vermischung, bei der man nicht weiß, wo sie anfängt und aufhört“. Im Mittelpunkt steht vorläufig der besagte Loureiro, dessen Karriere und Verbindungen einiges vermuten lassen. Der 66 Jahre alte Mann ist hauptberuflich Bürgermeister von Gondomar nahe Porto und führt auch den Klub der Gemeinde. Der Klub will unbedingt in die Erste Liga aufsteigen, am Wochenende folgt das entscheidende Spiel, vor dem die Beamten sicherheitshalber tätig wurden. Der frühere Offizier und Parlamentsabgeordnete Loureiro ist für seine autoritären und populistischen Auftritte bekannt, im Wahlkampf 1994 beglückte er Anhänger mit Elektrogeräten (…) In Boavistas Stadion Bessa, ebenfalls EM-Schauplatz, trugen sich erst neulich seltsame Dinge zu. Am Samstag bezwang die Heimmannschaft, derzeit Tabellenachter, den Zweiten Sporting Lissabon mit Toren in der 82. und 87. Minute noch 2:1, nachdem in den letzten zehn Minuten zwei Gästespieler vom Platz gestellt worden waren. Im Februar hatte bereits der Trainer von Alverca den Unparteiischen angezeigt, nachdem seine Elf in der Nachspielzeit gegen Boavista verloren hatte. Sportings Präsident Dias da Cunha sprach von „Korruption und schmutzigem Geld im portugiesischen Fußball“. Verbandschef Gilberto Madail zeigte sich über den organisierten Betrug nicht überrascht.“
Felix Reidhaar (NZZ 22.4.) kommentiert den Beschluss von Fifa und Uefa, Israel Heimspiele zu gestatten: „Ist die Sicherheitslage in Israel tatsächlich stabiler als vor Jahresfrist? Die grossen Fussballverbände sind offenbar dieser Meinung, nachdem sie sich haben beschwichtigen lassen und weil sie – verständlicherweise – Mitleid mit den „heimatlosen“ und deshalb wettbewerbsmässig benachteiligten Israeli verspüren. Am Vorabend des 28. ordentlichen Kongresses in Limassol, in dessen gesellschaftlichem Mittelpunkt der 50. Geburtstag der Uefa und folglich die Verteilung von Geschenken stehen, wollte die Exekutive deshalb gleich anfangs ein Friedens- und Entspannungszeichen aussenden – nach Jahren der eisigen Atmosphäre auch in Richtung der Führung des Dachverbandes, der in dieser Sache ziemlich hemdsärmelig vorgeprellt war. Vom pragmatischen Standpunkt her ist die Aufhebung des als politisches Druckmittel verhängten Spielverbotes durchaus sachgemäss. Sportliche Ereignisse wurden bisher noch nie vom Terrorismus tangiert in Israel, in der Welt auch nicht mehr seit dem Überfall auf das Athletendorf der Münchner Sommerspiele 1972. Auf einem anderen Blatt steht die ungeklärte Versicherungsfrage. Europäische Klubs, die vor dem Uefa-Bann zu Wettkämpfen nach Israel gereist waren, hatten dafür wegen der Gefährdungssituation happige Prämienaufschläge zu entrichten. Wer wird dies künftig bezahlen?“
Mittwoch, 21. April 2004
Ballschrank
Sonstiges
Argentinien und die Fußball-Welt bangen um Maradona – wer hat die besten Karten im Aufstiegsrennen der Zweiten Liga? Nürnberg, Bielefeld, auch Cottbus? u. a.
Danke, Doña Tota, Du hast Gott geboren
Josef Oehrlein (FAZ 21.4.) bangt mit Argentinien und der Fußball-Welt um den besten – nein, den einzigen: „“Gott, reiche ihm die andere Hand!“ schrieb eine unbekannte Hand auf einen jener vielen Zettel mit Gesundungswünschen für den im Schweizerisch-Argentinischen Krankenhaus in Buenos Aires liegenden Diego Maradona. Gottes Hand wird von den argentinischen Fußballfans, den „hinchas“, wieder einmal arg beansprucht. Den Eingang zu der Klinik haben sie mit ähnlichen Sprüchen und Wünschen zugekleistert. Seit Maradona in das Spital gebracht worden ist, hält eine je nach Tageszeit bis auf mehrere hundert anschwellende Zahl von Anhängern vor dem Gebäude Krankenwache. Die Avenida Pueyrredón ist an der Einmündung zur Geschäftsstraße Santa Fe schon zu normalen Zeiten für Autofahrer ein Nadelöhr. In diesen Tagen droht der Verkehr an jener Engführung, an der das Krankenhaus liegt, immer wieder zu kollabieren, vor allem wenn die „hinchas“ im Chor Hymnen auf ihr Idol zu singen beginnen und in ihrer Begeisterung auf die Fahrbahn drängen. Hin und wieder muß die Pueyrredón an der neuralgischen Stelle, an der auch die Übertragungswagen zahlreicher in- und ausländischer Fernsehsender die Fahrbahn einengen, ganz gesperrt werden. Als die Diego-Fans zu Trommeln greifen, um ihr Idol mit dröhnenden Durchhalterhythmen aufzumuntern, wird es einigen Patienten zu viel, vor allem mancher werdenden Mutter in der Klinik, deren Spezialität Geburtshilfe ist. Angehörige gehen auf die Straße und bitten um Rücksicht. Das Trommeln verstummt. (…) Während vor dem Schweizerisch-Argentinischen Krankenhaus der Medientroß auf ein aktuelles Kommuniqué der Ärzte wartet, beten Frauen in vorgerücktem Alter einen Rosenkranz für die Gesundung des Idols. Sie haben dazu eigens eine Marienfigur mitgebracht. Auch der „Gauchito Gil“, die angeblich wundertätige Figur argentinischer Volksfrömmigkeit, wird angerufen, um Diego beizustehen. Unter den Familienangehörigen, die zur Intensivstation vorgelassen werden, gehört auch die Mutter Maradonas, „Doña Tota“. Einer der vielen Zettel, die an der Klinikwand kleben, gilt ihr. Darauf steht: „Danke, Doña Tota, Du hast Gott geboren.“
Nina Klöckner (FTD 21.4.) fügt hinzu: „Roberto sieht müde aus, aber das ist auch kein Wunder. Der junge Mann hat schließlich eine weite Anreise hinter sich, und geschlafen hat er in den vergangenen beiden Tagen auch nicht viel. Roberto kommt aus Ecuador. Jetzt steht er in Buenos Aires vor der Klinik Suizo Argentina, mit einem großen weißen Tuch, auf das er seine Botschaft gemalt hat: „Geliebter Diego, Ecuador ist mit dir“. Das wird auch so bleiben. „Bis er das Krankenhaus verlässt, werde ich nicht zurückkehren“, sagt der Zahntechniker. Dass ihn die Aktion den Job kosten kann, ist egal. „Nicht wichtig“, sagt er. Wichtig ist nur, dass es seinem Idol bald wieder besser geht. Er ist nicht der Einzige, der sich das wünscht. Seit der ehemalige Fußballer Diego Armando Maradona am Sonntagabend mit lebensbedrohlichen Lungen- und Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, herrscht in Argentinien so etwas wie Ausnahmezustand. In Cafés, Büros, Zeitungen und Fernsehkanälen gibt es nur noch ein Thema. Ob der Zusammenbruch durch eine Überdosis Kokain ausgelöst wurde, wie einige vermuten, oder durch Überanstrengung nach einer Golfpartie, wie sein persönlicher Arzt Alfredo Cahe behauptet, ist dabei nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Diego lebt. Denn ohne Diego ist das Leben nichts. „Für uns Argentinier kommt Maradona gleich nach Gott“, sagt der aktuelle Nationalspieler Pablo Aimar. Für viele kommt er davor. Vor der Klinik stehen ältere Frauen, die für die Heilung des 43-Jährigen jede Stunde einen Rosenkranz beten. Und Männer, die noch so jung sind, dass sie Maradona nie live spielen sehen haben. Das Portal der noblen Genesungsanstalt gleicht inzwischen einem Wallfahrtsort. Immer wieder versuchen Fans, in das Gebäude vorzudringen, um noch einen letzten Blick auf den Göttlichen zu werfen. Vom Präsidenten Nestor Kirchner bis zu seinem unehelichen Sohn Diego Armando junior in Italien musste schon jeder ein Statement abgeben. „Argentinien ist Maradona“, schreibt der Journalist Horacio Pagani in der Tageszeitung „Clarin“. Keiner kann sich ihm entziehen. (…) Wer Argentiniens Umgang mit Idolen betrachtet, kann sich ausmalen, was passieren würde, wenn Maradona die Klinik nicht mehr lebend verlässt. Es gibt wohl kaum ein Land, das so von und mit Mythen lebt wie dieses. Täglich suchen noch heute zahlreiche Leute das Grab von Evita Perón auf, um mit der Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Juan Perón, die mit 33 Jahren an Krebs gestorben ist, in Kontakt zu treten. Sie wird verehrt wie eine Heilige. Um Maradona ranken sich schon zu Lebzeiten zahlreiche Mythen. So habe der Kicker dem „Clarin“-Reporter Gustavo Sierra das Leben gerettet. Als der vergangenes Jahr im Irak-Krieg von bewaffneten Aufständischen bedroht wurde, fragten jene, „wo wir herkämen. Ich antwortete: Argentinien. Und dann sagten sie die magischen Worte: Argentinien? Maradona! Ihre Stimmung schlug um, und sie ließen uns gehen.““
Paternoster Arminia Bielefeld
Bernd Müllender (taz 21.4.) sieht Arminia Bielefeld für den Aufstieg gewappnet: „“Ostwestfalens Glanz und Gloria“ (Fanforum-Headline) steht für das stetigste Auf und Ab des deutschen Fußballs. Der Aufstieg wäre der siebte: deutscher Rekord. Statt branchentypisch von einer Fahrstuhlmannschaft sollte man treffender vom Bielefelder Paternoster sprechen: Ganz automatisch geht es rauf und runter, unaufhaltsam, immer gleich. Nur die Alm ist offiziell abgeschafft. Das Stadion gleich neben dem Kleingärtnerverein Melanchton e.V. heißt jetzt SchücoArena, zum Frommen eines Türherstellers. Bielefeld, „so oft verhöhnt und verspottet“ (Clubhymne), liebt das Dolce Vita – am Spieltag berichtete die Lokalzeitung groß von der „Puddingausstellung der Dr.-Oetker-Versuchsküche“. Ansonsten ist Ostwestfalen ein Landstrich von großer Strenge. Hier heißen Stadion-Ordner mit grellgelben Umhängen „Bereichsleiter DSC Arminia“ und verweigern der Trainergattin samt Entourage den Eintritt: „Auf den Namen hab ich keine Karte hinterlegt.“ Später klappte es doch. (…) Die Ex-Alm für 26.600 Menschen ist durchaus bundesligatauglich, nur sollten statt der breiten Elfmeterstriche besser doch Punkte aufgemalt werden, sonst reagiert der strenge DFB mit Strichabzügen. Die bekannt nörgeligen Zuschauer, die auch die wundersame Siegesserie mit mäßiger Präsenz (17.000) und eher stoischer Hingabe („D-S-Zeheee“) feiern, sind es kaum. Immerhin ist die Stadionwurst durchaus erstligalecker. Und den schönsten Namen haben sie auch: Jesus Sinisterra, einen Kolumbianer. Die Elf hat defensiv große Qualitäten (beste Abwehr der Liga) mit dem Zerstörungsdreieck Petr Gabriel, Dammeier und vor allem dem kaum halbhohen Giftzwerg Rüdiger Kauf, der am Montag auch noch zwei Treffer brillant vorbereitete. Abwehrstärke war für Aufsteiger schon immer hilfreicher als ein guter Zweitligasturm. Der grotesk ungelenke Küntzel, der viel belacht noch schwächer spielte als die meisten Aachener und selbst bei einem Umarmungsversuch desorientiert am Torschützen Bokaye vorbeisprang, wird ersetzt werden können. Dennoch: Der Titel Rekordabsteiger ist schnell dazugewonnen. Paternoster ruhen nie.“
Richard Leipold (FAZ 21.4.) ergänzt: “Fünf Runden vor Ultimo steht Bielefeld auf dem zweiten Tabellenplatz, mit fünf Punkten Vorsprung auf Rang vier. Als Rapolder nach mehr als einem Jahr Pause die Arbeit wiederaufnahm, hatten die Bielefelder den Aufstieg schon fast aus den Augen verloren. Doch der 45 Jahre alte Fußball-Lehrer ging die Aufgabe so innovativ an, daß alsbald ein Aufschwung einsetzte, dessen Dynamik selbst Optimisten überrascht hat. Rapolder flößte den nur als abwehrstark bekannten Arminen Mut ein und stellte das Spiel unter das taktische Primat des Pressing. Wenn sie dieses Mittel so konsequent und konstant einsetzen wie zuletzt, ist selbst ein Team wie Aachen buchstäblich ohne Chance. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Rheinländer zum ersten Mal im Strafraum auftauchten; wäre es nicht die einzige Aktion dieser Art gewesen, hätte vermutlich niemand von Pflipsens harmlosem Kopfball Notiz genommen. Damit schlugen die Ostwestfalen zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit einen unmittelbaren Konkurrenten um den Aufstieg aus dem Feld. Zuvor hatten schon Mainz und Cottbus erfolglos versucht, Bielefeld Einhalt zu gebieten; beiden Klubs hatten Fußball-Analysten lange eine günstigere Kursentwicklung zugetraut als der Arminia. (…) Das Restprogramm mag noch Hürden enthalten wie Aue oder Nürnberg, doch an Höhenunterschiede gewöhnt wie kein anderes Publikum im deutschen Profifußball, frohlocken die Bielefelder Fans schon. „Eins kann uns keiner nehmen … und das ist der Aufstieg Nummer sieben.““
Jens Kirschneck (SZ 21.4.) schreibt dazu: „Dass ein Trainerwechsel eine solch direkte Wirkung zeigt, ist selten. Sogar der nun in Fürth tätige Vorgänger Benno Möhlmann räumt ein, Rapolder habe offenbar einen Zugang zur Mannschaft gefunden, der ihm nach dreieinhalbjähriger Arbeit nicht mehr möglich gewesen sei. Bemerkenswert ist, wie rasch und erfolgreich der Viererketten-Anhänger Rapolder seine Spielphilosophie vermittelt hat. Was in der Theorie (¸¸Da muss der Pass vertikal in die Schnittstelle der Defensive gehen“) etwas akademisch-verschroben daherkommt, äußert sich auf dem Platz in erbarmungslosem Pressing, bei dem den Aachenern Hören und Sehen verging. Fast erinnerte das, was am Montagabend zu sehen war, an das Trainingsspiel Fünf gegen Zwei, und mit den drei Gegentoren von Sinisterra und zweimal Boakye war Aachen noch gut bedient.“
Die Vereinsführung ist stark genug, sich gegen Nieten in Nadelstreifen durchzusetzen
Frank Hellmann (FR 21.4.) lobt die Gelassenheit bei Energie Cottbus: „So richtig rund läuft es bei Laurentiu-Aurelian Reghecampf derzeit nicht. Die Pässe kommen nicht an, der Ball springt vom Fuß. Der Mittelfeldmann von Energie Cottbus steckt im Formtief. Der effektivste Energie-Spieler ist im Schlussspurt der Saison aus dem Tritt geraten. Wie das gesamte Team: Aus dem zeitweise souveränen Spitzenreiter ist ein Wackelkandidat geworden, vier Spiele ohne Sieg, die Stürmer seit 558 Minuten ohne Torerfolg. Und plötzlich kommen Versäumnisse auf, wie der Lapsus im Reghecampf-Kontrakt: Weil im bis 2006 laufenden Vertrag vergessen wurde, das Erstliga-Gehalt einzutragen, ist der 28-Jährige ablösefrei, wenn Cottbus der Wiederaufstieg gelingen sollte. „Das belastet mich nicht“, versichert Reghecampf, „ich will gerne in Cottbus bleiben.“ Schließlich ist er der Prototyp Profi, mit dem Energie Cottbus in der Saison 2000/2001 erstmals die Bundesliga erstürmte: Im Osten Europas ausgebildet, für billiges Geld in die Randregion gelockt, unter dem unnachgiebigen Geyer für die Anforderungen im Oberhaus geschult und geformt. Noch heute spürt Reghecampf so etwas wie Dankbarkeit gegenüber dem in Oberschlesien geborenen und im zehnten Jahr tätigen Cheftrainer und -kritiker Geyer. Der 57-Jährige, letzter Auswahltrainer der DDR, ist das Gesicht eines Vereins, der unter Manager Klaus Stabach und Präsident Dieter Krein auf klarem Kurs gehalten wird. Kreins Credo: „Wenn man nach dem Abstieg nicht sofort verrückt spielt und den Trainer oder die ganze Mannschaft rauswirft, ist der Wiederaufstieg eigentlich normal. Denn das Niveau ist einfach höher.“ Dazu haben sich die Club-Oberen – anders als in Dresden, Leipzig oder Magdeburg – den äußeren (westlichen) Einflüssen erfolgreich widersetzt. Es gibt keine unlauteren Geldgeber, keine Panik-Entscheidungen, kein Finanz-Chaos. Krein: „Die Vereinsführung ist stark genug, sich gegen Nieten in Nadelstreifen durchzusetzen.““
Jan Christian Müller (FR 21.4.) blickt hinter die Kulissen des 1. FC Nürnberg: „Martin Bader ist ein freundlicher Mann. Aber das ist nicht der Grund, weshalb er Wolfgang Wolf voll Inbrunst lobt. „Ein absoluter Glücksgriff“, sei dieser Wolf, sagt Bader und schlürft zufrieden am Kaffee. Wolfgang Wolf: 46, Baumeister des Nürnberger Fußball-Wunders. Der Mann war im Frühjahr 2003 nicht mehr schillernd genug für den aufstrebenden VfL Wolfsburg, kam vier Spieltage vor Schluss für Klaus Augenthaler nach Nürnberg, Abstieg, Tausende Fans verprellt, „alles lag am Boden, ganz schlimme Stimmung“. Wolfgang Wolf: Pfälzer Dickschädel, der das Herz am rechten Fleck trägt, krempelte die Ärmel hoch, zunächst als Trainer-Manager, hockte bis tief in die Nacht am Schreibtisch, holte gemeinsam mit Bruder Arno, dem Scout, dem Vertrauten, anderthalb Dutzend Spieler, bis ihm die Arbeit „über die Ohren wuchs“. Suchte dann das Gespräch mit Vereinsboss Michael A. Roth: „Das kann ich nicht mehr allein schaffen.“ Roth hatte ein Einsehen. Martin Bader: Seit 1. Januar als Sportdirektor in Nürnberg, elf Jahre jünger als Wolf, gebürtiger Schwabe, kann mit Geld umgehen, Diplom-Sportökonom, vorher acht Jahre lang bei Hertha BSC Berlin, dort als Leiter der Abteilung Fußball rechte Hand von Dieter Hoeneß und von diesem hoch geachtet. Bader sagt: „Man konnte nicht davon ausgehen, dass eine Mannschaft, die sang- und klanglos absteigt, es jetzt wieder schaffen kann. Dann wird Sasa Ciric (36), trotz nach wie vor funktionierenden Torriechers und neun Saisontreffern, nicht mehr für den Club gegen den Ball treten dürfen. Trainer Wolf kennt keine Gnade für den alten Wolf, auch wenn die Boulevardpresse Stimmung für den Stürmer macht. Wolf sagt: „Wenn wir den Aufstieg schaffen sollten, hätte Sasa großen Anteil daran. Aber er kommt in die Jahre. Wir müssten in der Bundesliga mehr auf Konter spielen. Er ist bei Auswärtsspielen schon jetzt nicht mehr im Stamm.“ Stefan Kießling aus der eigenen Jugend, 16 Jahre jünger als Ciric , soll nicht blockiert werden in seiner Entwicklung. Ciric kann Fanbeauftragter werden, er hat noch bei Ex-Manager Edgar Geenen einen Anschlussvertrag unterschrieben, aber er will weiterspielen. Wolf bleibt hart: „Ich bin kein Wendehals. Ich lasse mich von niemandem unter Druck setzen, außer von Ergebnissen.“ Die stimmten im tristen Herbst 2003 hinten und vorne nicht. Gegen den VfB Lübeck, gerade war in David Jarolim der Kopf der Mannschaft nach Hamburg transferiert worden, gab es im Oktober die einzige Heimniederlage. Doch der Präsident, der eigentlich nie ruhig bleibt, blieb – kaum zu glauben: ruhig. „Er stand auch hinter mir, als wir 15. waren “, sagt Wolf über Roth, „es macht riesig Spaß mit ihm.“ Das haben vor Wolf schon viele andere gesagt und dabei Roths Unberechenbarkeit unterschätzt. Derzeit läuft der kleine Teppich-Großhändler, der letzte Gutsherr im deutschen Fußball, laut ständigen Beobachtern „herum wie ein rosa Glückselefant“. „
Ballschrank
Champions League
Deportivo La Coruña , in der Champions League Favorit, in Spanien noch immer ein „bescheidener Kleinstadtverein“ (BLZ); Javier Irureta , La Coruñas toleranter Trainer – AS Monaco besiegt den FC Chelsea 3:1 u. a.
Ein Verein, der keine besseren Voraussetzungen als Arminia Bielefeld oder Kickers Offenbach hatte
Ronald Reng (BLZ 21.4.) berichtet den steten Aufstieg Deportivo La Coruñas: “An der Plaza de Pontevedra Nummer 19, im ersten Stock über der Apotheke Der Pinsel, ist Deportivo La Coruña geblieben, was es in den ersten 85 Jahren seiner Geschichte war: ein bescheidener Kleinstadtverein. „Hier“, sagt Sportdirektor Eduardo Lopez und zeigt auf einen der mit grünem Leder überzogenen Stühle im Büro des Champions-League-Halbfinalisten, „hier sitzt der Präsident, wenn mal ein Fernsehteam zum Interview vorbeikommt. Wir müssen ihn dann daran erinnern, die Beine zusammenzuhalten.“ Sonst wäre im TV zu erkennen, dass das Polster des Stuhls, wie die Polster aller Stühle hier, voller Löcher ist. Das meiste Mobiliar der Geschäftsstelle ist noch dasselbe, das Augusto Lendoiro vorfand, als er 1988 Präsident von Depor wurde, eines damals mal wieder abstiegsgefährdeten Zweitligisten. „Fußball ist nur König, Dame, Ass. Du brauchst keine Neun, Zehn, Bube“, sagt der studierte Jurist Lendoiro, 58, um zu erklären, warum Depor viel Geld in die Mannschaft investierte, sich aber keine repräsentative Zentrale leistet. Die verschlissenen Stühle sind eine Erinnerung daran, wo Deportivo herkommt. Ein Verein, der keine besseren Voraussetzungen als Arminia Bielefeld oder Kickers Offenbach hatte, spielt an diesem Mittwoch gegen den FC Porto um den Einzug ins Finale, und sollten sie den Cup gewinnen, wäre es noch nicht einmal eine Überraschung. Im Jahr 2000 wurde Depor bereits Meister in Spanien und besiegte in den vergangenen Jahren in der Champions League alles, was Rang und Namen hat; jüngst, in Achtel- und Viertelfinale, waren es Juventus und der AC Milan. In der galizischen Kleinstadt mit 246 000 Einwohnern kam kein wahnsinniger Millionär vorbei, kein Wunder geschah. Ein Präsident, der finanziell die Grenzen des Erlaubten dehnt, ein Trainer, Javier Irureta, der stoisch seine Vision vom einfachen Spiel durchsetzt, und Spieler wie Stürmer Albert Luque, die nicht berühmt, nur gut sind, arbeiten einfach nur besser als ihresgleichen in hunderten von größeren Vereinen. „Du warst auf der Geschäftstelle?!“ Mauro Silva sitzt nach dem Training in seinem Auto und haut belustigt auf das Lenkrad. „Man erwartet etwas anderes bei einem Champions-League-Halbfinalisten, nicht wahr?“ Im zwölften Jahr spielt der Brasilianer in La Coruña, zuvor hatte er weder von der Stadt noch dem Verein je gehört, es war bloß sein einziges Angebot aus Europa. „Ich dachte, Depor wäre mein Trampolin“, um zu einem Großklub zu hüpfen. Mauro Silva wurde 1994 Weltmeister, bekam die erhofften lukrativen Angebote – und blieb. „Unerwartet stillte Depor meinen Durst nach Erfolgen.“ Mit 36 ist er noch immer der Wellenbrecher im defensiven Mittelfeld und ein Paradebeispiel für La Coruñas Erfolgsrezept. Lendoiro hat eine Kunst daraus gemacht, Klassespieler wie Silva zu entdecken. Zwei der besten Spieler der letzten 20 Jahre traten in Depors Trikot auf die große Bühne, Rivaldo und Bebeto. Solche Talente bekommen bei Depor dann ungewöhnlich lange Verträge von sechs oder sieben Jahren. Das ist Lendoiros Versicherung gegen den Tod jedes kleinen Vereins mit einer großen Elf: den Ausverkauf durch die reichen Klubs.“
Toleranz statt Autorität
Walter Haubrich (FAZ 21.4.) befasst sich mit dem Trainer La Coruñas: „Dem 56 Jahre alten Trainer Javier Irureta stehen für fast jeden Platz zwei etwa gleich gute Spieler zur Verfügung. So hat er das Prinzip der Rotation eingeführt – mit dem Vorteil, daß die Fußballprofis in der anstrengenden Saison mit drei Wettbewerben – Liga, Champions League und spanischer Pokal – sich hin und wieder ausruhen können. Allerdings gibt es manchmal auch Ärger, wenn Spieler selbst nach einer guten Leistung auf die Bank müssen. Gleichwohl, bei Irureta gibt es keine Stammplätze. Javier Irureta, geborener Baske und als Spieler in den 60er Jahren bei Athletic Bilbao und Atlético Madrid aktiv, ist ein nachdenklicher und vergleichsweise unauffälliger Trainer. Es fehle ihm an Autorität, sagen seine Gegner, weil er auf Proteste einzelner Spieler gegen ihn nicht gleich antwortet. Der Verein ist aber mit der Toleranz des Basken gut gefahren, und der Unmut der Profis dauert meist nicht lange. Irureta hat die Bedeutung des Balltechnikers Valerón schnell erkannt. Dieser hatte schon die meisten Tore für Makaay vorbereitet, jetzt profitieren Pandiani, Luque und Tristan von seinen Vorlagen. Unter Irureta ist auch der einst von Jupp Heynckes entdeckte Víctor, ein Mann an der Außenlinie, zu einem wertvollen Spieler geworden. Deportivo La Coruña, lange Zeit eines der wechselhaftesten spanischen Teams mit fast regelmäßigem Auf- und Abstieg, möchte jetzt den Aufschwung der vergangenen zehn Jahre, als der Klub Pokalsieger und Meister wurde, mit dem Sieg in der Champions League krönen.“
Die NZZ(21.4.) berichtet AS Monaco – FC Chelsea (3:1): „Seit sich die Standesunterschiede in der diesjährigen Champions-League-Saison bis zur Unkenntlichkeit verwischt haben, die Königlichen Madrids gestürzt worden sind und Londons Gunners über ein leeres Arsenal klagten, scheint alles möglich. Wer wundert sich da noch, dass auch auf die Statistik kein Verlass mehr ist? Alle fünf Auswärtsspiele in der „Königsklasse“ hatte der Chelsea FC heuer gewonnen und nur ein einziges Gegentor zugelassen. Im Stade Louis II in Monte Carlo wurde dieser Wert zur Makulatur. Taktische Geplänkel hatte Claudio Ranieri, der italienische Manager von Chelsea, im Vorfeld der Partie prognostiziert. Wer darunter Zurückhaltung und den Willen zur Spielkontrolle verstand, sah sich bald eines Besseren belehrt. Es entwickelte sich eine nervöse, zerfahrene Partie mit vielen Ungenauigkeiten und zahlreichen Ballverlusten auf beiden Seiten. (…) Didier Deschamps, seit Sommer 2001 auf der Trainerbank Monacos, stand in seinem langen, schwarzen Ledermantel wie ein Detektiv an der Seitenlinie und rätselte darüber, wie er den kniffligen Fall lösen könnte. Er, der als Spieler den Welt-, Europa- und drei Champions-League-Titel gewonnen hatte, sollte die Aufgabe hervorragend meistern.“
Dienstag, 20. April 2004
Ballschrank
Bundesliga
„Bremer Tabellenhoch trotz sportlichem Tiefdruckgebiet“ (FAZ) – „Köln steigt schrecklich schön ab“ (FAZ) – SZ-Interview mit Christian Ude über die Zukunft 1860 Münchens; „ist Auer eine Marionette?“ (NZZ); Gerald Vanenburg, der Neue – FAS-Interview mit Michael Meier über Dortmunder Geld u.v.m.
Werder Bremen – Hannover 96 0:0
Wer es nicht im Kopf (oder im Bauch) hat, muß es in den Beinen haben
Wie ist das Bremer Remis zu werten? Richard Leipold (FAZ 20.4.) weiß es auch nicht: „Als die Profis von Werder Bremen in Richtung Kabine schritten, sahen sie aus, als hätten sie ein entscheidendes Spiel verloren. Sie verließen den Rasen zwar nicht geschlagen, aber sichtlich angeschlagen. (…) Die vielversprechenden sportlichen Kennzahlen spiegeln eine Souveränität vor, die durch das aktuelle Auftreten der Spieler seit einigen Wochen nicht mehr gedeckt ist. Die leichtfüßige unkomplizierte Art, den Gegner auszuspielen, ist auf der Strecke geblieben. Neben den Geistesblitzen des Mittelfeldstrategen Johan Micoud fehlt die Dynamik, mit der Torjäger Ailton seine Widersacher auszutanzen oder zu überlaufen pflegt. Auch gegen Hannover wußten die beiden ihre individuelle Klasse nicht annähernd so einzusetzen wie in Zeiten fußballerischer Hochkonjunktur. Micoud vergab die große Chance, seine Elf in Führung zu schießen und die Niedersachsen zum Mitspielen zu animieren. Ailton kam überhaupt nicht zur Geltung. Den Bremern bleibt nichts anderes übrig, als sich mit Sekundärtugenden über ihr Tief hinwegzuhelfen. Wer es nicht im Kopf (oder im Bauch) hat, muß es in den Beinen haben. In den Disziplinen Rennen und Kämpfen genügte Werder, besonders in der zweiten Hälfte, den Anforderungen; dafür lobte Schaaf die Spieler sogar, vermutlich aus pädagogischen Gründen. Der Trainer sagte, er sei zufrieden, „daß die Mannschaft angegriffen hat und etwas bewegen wollte“. Die Bewegungsenergie reicht jedoch nicht mehr aus, wenn ein Gegner so konsequent verteidigt wie Hannover 96 unter dem neuen Trainer Ewald Lienen, der in einem Crashkurs scheinbar nicht vorhandene Defensivkräfte mobilisiert hat.“
Jörg Marwedel (SZ 20.4.) ergänzt: „Als Ailton Goncalves da Silva in der 71. Minute vom Feld stapfte, wirkte er sehr beherrscht. Kein öffentliches Zeichen der Empörung hat er diesmal gezeigt, weil Bremens Trainer Thomas Schaaf Angelos Charisteas für ihn auf den Rasen schickte. Keine wütenden Armbewegungen, keine aufgeblasenen Backen, ja nicht einmal ein Gruß an die Fans und der schnelle Lauf in die Kabine folgten der Maßnahme seines Chefs, wie man es sonst von ihm kannte. Doch kaum war er an der Ersatzbank angekommen, war es vorbei mit der Beherrschung. Wütend warf der Brasilianer die ihm zugedachte Trainingsjacke hinter sich und kauerte sich vor die Bank. Auch die 17. Auswechslung in dieser Saison, die Spitzenwert in der Bundesliga bedeutet wie seine bislang 25 Tore, hat er nicht gelassen ertragen. (…) Trainer Schaaf, der seine sprichwörtliche Bärenruhe in diesen Wochen besonders gern zur Schau stellt, verblüffte mit dieser Wertung: „Ich bin zufrieden“, sagte er und lächelte dieses undurchdringliche Schaaf-Lächeln, „die Mannschaft hat angegriffen und wollte etwas bewegen.“ Es sei zwar nur ein Punkt geworden, aber „wir sammeln eifrig und fleißig weiter.“ Von Ailton sprach Schaaf lieber nicht. Es war eine eigenartige Gemengelage spürbar, zwischen Beschwichtigung, Selbstsicherheit und Ratlosigkeit, die einige Bremer beschlich. Denn Ailton ist nicht der einzige Schlüsselspieler, dem nach zwanzig Bundesligaspielen ohne Niederlage und kurz vor dem großen Ziel, der vierten deutschen Meisterschaft, die Form ein wenig abhanden gekommen ist. Kapitän Frank Baumann und Fabian Ernst wirkten müde. Und Johan Micoud, Kopf des Bremer Spiels, verschwand wieder wortlos und frustriert mit raumgreifenden Schritten in den Stadiongängen.“
Guck mal, Ailton! Dein Bewacher wohnt noch bei Mama und Papa im Kinderzimmer
Markus Jox (taz 20.4.): „Per Mertesacker nach dem Schlusspfiff zu beobachten, war eine helle Freude. Der ausgepowerte, aber glückliche Abwehrspieler von Hannover 96 harrte, in eine hellblaue Decke gewickelt, des Interviews, das ein gelhaariger Jungreporter vom Deutschen Sportfernsehen gleich mit ihm führen würde. Rasch strich sich Mertesacker die Bubi-Frisur zurecht und grinste ein wenig in sich hinein, so wie alle Spieler von Hannover 96 grinsten, und Trainer Ewald Lienen natürlich obendrein. „Guck mal, Ailton! Dein Bewacher wohnt noch bei Mama und Papa im Kinderzimmer“, hatte die Boulevardpresse in der Vorberichterstattung zum Spiel gehöhnt. Der 1,98 m lange Schüler Mertesacker, der im Mai das Abitur machen wird, ließ sich von solchen Mätzchen nicht irritieren. Ailton, der die Bundesliga-Torjägerliste mit 25 Treffern anführt, machte gegen den jungen Mann keinen Stich.“
1. FC Köln – VfL Bochum 1:2
Thomas Klemm (FAZ 20.4.) sieht und hört starke Verlierer: „Wie schrecklich schön Absteigen sein kann, zeigten die Kölner Fußballprofis abermals ihren anhänglichen Zuschauern. An Engagement fehlte es dem jungen Team nicht, an Kreativität kaum – nur die alte Abschlußschwäche verhinderte aufs neue ein Erfolgserlebnis. Während die Bochumer ihre wenigen Torchancen laut Neururer „mit Glück“ ausgiebig nutzten, scheiterten die Kölner dutzendfach. Für die kommende Saison wünscht sich FC-Trainer Marcel Koller daher „einen erfahrenen Stürmer, der den jungen Vertrauen und Sicherheit geben kann“. Ein gestandener Nebenmann würde auch Lukas Podolski helfen, der nach allgemeiner kölscher Sichtweise nicht nur die sportliche Zukunft des FC sichern kann, sondern auch der Nationalmannschaft guttäte. Koller machte sich für eine EM-Teilnahme des Angreifers stark; nicht für die Endrunde der Junioren „Unter 21 Jahren“, sondern für die A-Nationalelf.“
Normal ist in Köln bedingungsloser Überschwang
Christoph Biermann (SZ 20.4.) fügt hinzu: „Einem gern zitierten Aperçu des Kabarettisten Jürgen Becker und des Stadtführer Marti Stankowski zufolge ist Köln ein „Biotop für Bekloppte“. Im Fall des 1. FC Köln muss man es inzwischen leider ernst nehmen. Die Niederlage konnte nämlich alle, die mit dem designierten Absteiger leiden, ohne Umweg in den Irrsinn treiben. Alle Probleme der vergangenen Monate wurden dabei nochmals aufs Engste verdichtet. Schwungvoll, ja mitunter hinreißend spielte die junge Mannschaft, erarbeitete sich fast ein Dutzend Gelegenheiten – und nutze nur eine davon. Wie da der Ball im Bochumer Tor nicht untergebracht wurde, das war mitunter schon bizarr. Aber man hat es in dieser Saison schon so oft gesehen, dass der Kölner Stadt-Anzeiger den FC „Gefangen in der Gummizelle“ wähnt. So sehr die Kölner auch gegen deren Wände rennen, am Ende stehen sie stets nur verbeult da. „Sie können es nicht bestimmt mehr hören“, sagte Peter Neururer, „aber sie haben gut gespielt und einen Uefa-Cup-Aspiranten fast total beherrscht, bis auf ein paar kleine Schwächen.“ Genau diese Unachtsamkeiten in der Abwehr führten zu den Gegentoren und zu leicht spöttischen Mitgefühl der Sieger. „Eigentlich muss man mit dem 1. FC Köln schon seit zehn Jahren Mitleid haben“, sagte Thomas Zdebel. Der Mittelfeldspieler des VfL Bochum wohnt in Köln und konnte über den Rahmen des Spiels nur den Kopf schütteln: „Die sind Letzter, und es sind 43 000 Zuschauer im Stadion, das ist doch nicht normal. Aber was ist in Köln schon normal?“ Normal ist in Köln zweifellos bedingungsloser Überschwang, wo immer es möglich ist. Weil über die Gegenwart aus verständlichen Gründen niemand mehr reden mag, und die Zukunft einen Namen hat, richten sich nun alle an Lukas Podolski, 18, auf. Den Stürmer, gegen Bochum erneut einer der Besten und Torschütze zum zwischenzeitlichen Ausgleich, empfahl Marcel Koller nachdrücklich für die Nationalmannschaft.“
Allgemein
Mit spontanem Herumfuhrwerken muss Schluss sein
SZ-Interview mit Christian Ude, Oberbürgermeister Münchens und Aufsichtsrat bei 1860 München, über die Zukunft des Vereins
SZ: Herr Ude, wie bewerten Sie die jüngsten Ereignisse beim TSV 1860?
CU: Ich kann es nur in dem Satz zusammenfassen: 1860 ist mehr denn je über den Verdacht der Professionalität erhaben. Die Spannungen zwischen Präsident und Vizepräsident hätten intern geregelt und erst im Aufsichtsrat vorgebracht werden sollen. So hätte man sich manchen Auftritt sparen können.
SZ: Das klingt nach Vorwürfen. Meinen Sie Präsident Karl Auer?
CU: Ich möchte nicht Einzelpersonen, die ein furchtbar schwieriges Amt in einer krisenhaften Situation übernommen haben, mit tadelnden Worten belegen. Der Gesamtauftritt des Vereins hätte professioneller sein können.
SZ: Das Vorpreschen des Vizepräsidenten Hans Zehetmair, der die Entlassung von Trainer Falko Götz verkündet hatte, kam dessen Gegnern nicht ungelegen. Zehetmair wurde isoliert, er trat zurück.
CU: Ich glaube, dass es Unverträglichkeiten an der Spitze gab. Persönlich bedauere ich, dass Zehetmair das Präsidium verlässt. Er war eine sehr bekannte, öffentlich anerkannte Persönlichkeit. Der Verein ist gut beraten, die Kräfte zu bündeln und sie nicht zu zersplittern.
SZ: Sie hätten sich Zehetmair als Präsident gewünscht. Ist dessen Rücktritt als Vize eine Niederlage für Sie?
CU: Nein. Es ist nicht so, dass ich mein politisches Schicksal mit CSU-Politikern verbinden würde. Aber wenn einer der bekanntesten Mitglieder die Segel streicht, ist das unerfreulich. Mein Vorschlag wäre gewesen, Zehetmair zum Präsidenten zu wählen und damit deutlich zu machen, dass Repräsentanten jeglicher Coleur zusammenhalten, um den Karren aus dem Graben zu ziehen.
SZ: Auer gelingt das offenbar nicht.
CU: Ich kannte Herrn Auer als einen loyalen Aufsichtsrat, der sich aber wenig profiliert hat. Deswegen konnte ich bei seiner Wahl auch keine besonderen Erwartungen an ihn richten. Er ist vielleicht nicht so reformfreudig, wie man sich wünschen könnte. Aber er bringt Ruhe hinein und mehr Führungskraft, als ihm manche zugetraut haben.
SZ: Wie geht es bei 1860 weiter?
CU: Die Termine von 60 sind für mich das undurchschaubarste Rätsel. Ich habe schriftlich verlangt, dass wir in Zukunft einen festen Terminfahrplan haben, an dem festgehalten wird. Es gibt kein anderes Gremium, in dem Termine derart kurzfristig geändert und mehrfach verschoben werden. Aber ich werde in die nächste Sitzung des Aufsichtsrats gehen und dann auf einer festen Terminplanung bestehen. Mit diesem spontanen Herumfuhrwerken muss Schluss sein.
Ist Auer nichts anderes als eine Marionette?
Martin Hägele (NZZ 20.4.) schreibt dazu: „Vanenburg, mit den Niederlanden 1988 Europameister, bringt in die Branche frischen Wind und kennt die Gegebenheiten in München: Er hat von Juli 1998 bis Dezember 1999 bei den Löwen die Rolle des Regisseurs gespielt, aber als Assistenzcoach schon nach ein paar Tagen das Handtuch geworfen. Schnell hatte Vanenburg gemerkt, dass die Zusammenarbeit mit dem Vorgesetzten, dem Österreicher Peter Pacult, nicht funktionieren konnte – diese Weitsicht spricht für Vanenburg. (…) Alle Hoffnungen, wonach der TSV 1860 München nach dem Rücktritt des patriarchischen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser wieder ein stolzer Verein werden könnte, haben sich offenbar innert kürzester Zeit zerschlagen. Anders lassen sich jedenfalls die momentanen Äusserungen von Sportdirektor Dirk Dufner nicht interpretieren. Man müsse den Traditionsverein „im Geist Wildmosers“ weiterführen, hatte Dufner gesagt. Und an Pressekonferenzen oder in Interviews stimmt er ein Loblied nach dem andern auf den „sensationellen Präsidenten Wildmoser“ an, der dem Verein in zehn Jahren zu einer gesunden Basis verholfen habe. Dufners Leitsatz: „Die hervorragende Arbeit von Wildmoser wird mit Karl Auer fortgesetzt.“ Wer jedoch den neuen Präsidenten Auer bisher erlebt hat, erhält einen etwas differenzierteren Eindruck. Auer mag ein erfolgreicher Grossmetzger sein, aber die Leitung eines mittelständischen Sportbetriebs verlangt, vor dem Hintergrund unzähliger Emotionen, andere Qualitäten. Ist Auer also in Wirklichkeit nichts anderes als eine Marionette?“
Goldfuß in Lorants Hoch-Weit-System
Thomas Hahn (SZ 20.4.) präsentiert den Neuen in München: „Vanenburgs Biographie weist ihn als Sportsmann aus, der den Kompromiss zwischen Leidenschaft und Geschäftssinn durchaus zu finden weiß. Im Fußball ist er früh zu Ehren gekommen: Debüt mit 16 in Hollands Eredivisie, Nationalspieler für die Niederlande (41 Mal), Europameister 1988, achtmal niederländischer Meister mit Ajax Amsterdam und PSV Eindhoven, fünfmal Pokalsieger. Und als sein Stern langsam sank, begann der kommerziellere Teil seiner Karriere: Drei Jahre Japan bei Yamaha und Jubilo Iwata, eine Saison FC Utrecht, eine Saison AS Cannes, mit dem er abstieg, und endlich der Wechsel zu 1860 München, ins Regime des berüchtigten Polterers Werner Lorant. Dort hat er sich dann hervorgetan als Goldfuß in Lorants Hoch-Weit-System, das in der ersten Saisonhälfte 1998/99 eine seltene Blüte erlebte, ehe es im Sturzflug von einem Champions-League-Platz zurück ins Mittelmaß rauschte. Im selben Sommer noch nahm Vanenburg seinen ersten Abschied von den Löwen mit freundlichen Grüßen an Lorant („Mit mir als Trainer wären wir nicht abgestürzt“), die er aber wieder vergessen hatte, als Lorant ihn ein halbes Jahr später aus seinem Ruhestand herauskaufen wollte, weil er eine schnelle Notlibero-Lösung brauchte.“
Peter Unfried (SpOn 19.4.) vermisst Professionalismus in vielen Vereinsführungen: „Die Sache in München ein weiterer Beweis ist für das traurige und unprofessionelle Bild, das die Fußball-Bundesliga in diesen Tagen jenseits von Bremen abgibt. Möglicherweise auch ein Grund, warum der ehemalige Nationalmannschaftskapitän Oliver Bierhoff gerade so besonders unangenehm auffällt mit seinem Versuch, Wirtschaft und Gesellschaft zu erklären, was man vom Fußball lernen kann, um in die speziell, auch von Bayern-Aufsichtsrat Dr. Edmund Stoiber so gern beschworenen „Champions League“, zurückzukehren. Was denn? Stillos und peinlich wie 1860 ist man anderswo in Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft auch (von der Bundespräsidentensuche der Union bis zu: Gottschalk feiert 50 Jahre Rock). Aber vielleicht möchte der eine oder andere vom Sport gezeigt bekommen, wie man ein Unternehmen zu einem Sanierungsfall herunterwirtschaftet? Da kann man bei Borussia Dortmund oder dem 1. FC Kaiserslautern in der Tat einiges lernen. Von grundsätzlichem ökonomischem Versagen abgesehen, ist man derzeit auch vielerorts darum bemüht, geballt Anti-Werbung in eigener Sache zu machen. Das fängt wie immer beim FC Bayern an, wo man so grundsätzliche Probleme hat, dass man stille schweigen sollte und froh sein, die Direktqualifikation zur Champions League zu erreichen. Stil und Niveau würde darin bestehen, die nun wirklich bemerkenswerten unternehmerischen und fußballerischen Leistungen der Bremer zumindest zu respektieren. Stattdessen zetert man seit Wochen über Schiedsrichterentscheidungen. Und zwischendurch reden die international wahrgenommenen Entscheider Hoeneß und Rummenigge auch noch die Spieler des taumelnden Ex-Konkurrenten Dortmund schlecht. (Was nicht heißt, dass die Dortmunder Verantwortlichen Niebaum und Meier die nach unten offene Anti-Image-Skala nicht noch weiter ausgedehnt hätten). (…) Meine persönliche Geschichte 2004 ist die Erkenntnis, dass die Professionalisierung der Fußball-Unternehmen längst nicht so weit vorangeschritten ist, wie die Protagonisten das gerne suggerieren. Die zeitweilige Hoffnung, in naher Zukunft würden Konzept-Sportdirektoren mit Konzept-Trainern enthysterisiert an mittelfristigen oder gar grundsätzlichen Verbesserungen arbeiten, hat sich nicht erfüllt. Mittelfristige Konzepte? „Irgendwie“ und „überstehen“ ist derzeit die Unternehmensphilosophie an Orten, wo mehr versprochen wurde. In Berlin, Wolfsburg, Hannover (sportlich), in Dortmund und Hamburg (sportlich und ökonomisch). In Kaiserslautern sowieso. Im Vergleich zu manchem anderen wurde in Köln und Frankfurt allem Anschein nach fast rational und im Rahmen des Möglichen effektiv gearbeitet. Ob es Unfähigkeit ist oder Unmöglichkeit an manchen Orten, die verheißene Professionalisierung von Fußballunternehmen über die Organisation der Geschäftsstelle hinaus entscheidend voranzubringen, ist pauschal nicht zu sagen. Jedenfalls wurde vielerorts zusammengekauft, was mittelfristig die gemeinsame Philosophie von Club, Sportdirektor und Trainer auf dem Platz ausdrücken sollte – aber nicht refinanzierbar war. Oder auf dem Platz nicht oder noch nicht zusammenpassen wollte. Oder beides.“
FAS-Interview mit Michael Meier, Manager Borussia Dortmunds, über Dortmunder Geld und Zukunft
FAS: Dieses Geschäftsjahr wird bei einem Halbjahresverlust von knapp 30 Millionen Euro und einem möglichen Ganzjahresminus von 50 Millionen Euro nicht gerade als glänzend in die Geschichte des BVB eingehen. Hier und da ist sogar mit der Gefahr des Lizenzentzuges spekuliert worden.
MM: Da ist viel Blödsinn geschrieben worden. Borussia Dortmund hat ein Eigenkapital von 120 Millionen Euro. Damit ist ein Halbjahresverlust von 29 Millionen oder Ganzjahresverlust von 50 Millionen Euro, wie ihn die Analysten der Hypo-Vereinsbank hochgerechnet haben, aufzufangen. Die Liquidität für die neue Saison, das wichtigste Kriterium des Lizenzierungsverfahrens, ist gewährleistet. Wir haben in unseren Gesprächen mit der DFL deutlich gemacht, daß der in der Bilanz der GmbH&Co KGaA ausgewiesene Halbjahresverlust von 29 Millionen Euro vor allem auf das Nichterreichen der Champions League zurückzuführen ist. Da sind wir ein, man muß es im nachhinein sagen, gewaltiges Risiko eingegangen, das sich nicht ausgezahlt hat. Unsere Planung für das kommende Jahr basiert allein auf dem nationalen Wettbewerb.
FAS: Auch deshalb muß der BVB sparen und mit neuen Kostenstrukturen die nähere Zukunft bewältigen. Eine Erwartung gründet auf Transfererlösen von rund 25 Millionen Euro, wie es heißt. Andererseits sind die Verkaufsaussichten angesichts der international kriselnden, teilweise fast zusammengebrochenen Märkte nicht gerade rosig.
MM: Wenn wir geplante Transfers aufgrund der Marktsituation nicht nach Wunsch realisieren könnten, müßten wir Alternativen anbieten. Die haben wir, doch wollen wir darüber noch nicht öffentlich reden. Die DFL ist informiert, was wir für den Fall des Falles geplant haben.
FAS: Ihr größter Verkaufsschlager im Augenblick scheint Torsten Frings zu sein. Die Münchner, die Frings‘ Mannschaftskameraden Tomas Rosicky als, gelinde gesagt, schwer verkäuflich bezeichnet haben, geben sich im Fall des deutschen Nationalspielers zumindest interessiert.
MM: Bei den Bayern wird derzeit ein bißchen viel über uns und unsere Spieler geredet. Wir haben Frings nie angeboten und werden überhaupt Spieler nur im Rahmen des wirtschaftlich Machbaren, also zu akzeptablen Konditionen, verkaufen. Bayern München hat bisher nie offiziell nach Torsten Frings gefragt. Wenn sie ihn haben wollen, sollen sie das bitte schön sagen. Wir haben keinen Anlaß, uns an Spekulationen zu beteiligen. Ich werde mich aber auch hüten zu sagen, der Torsten Frings wird für ewige Zeiten in Dortmund spielen. Wir haben gesagt, wenn wir Spieler verkaufen können, werden wir das tun, weil es auch unsere Aufgabe ist.
FAS: Gibt es eine bestimmte Summe, die Sie für die kommende Saison mit Ihren Spielerverkäufen einnehmen müssen?
MM: Nichtrealisierte Spielerverkäufe streicht die DFL sowieso aus dem Lizenzierungsantrag. Insofern gibt es keine Vorgabe, die uns zwingt, diese oder jene Summe zu erreichen. Intern haben wir natürlich schon konkrete Vorstellungen.
FAS: Ein Betrag zwischen 25 und 30 Millionen Euro?
MM: Ich wäre ein schlechter Kaufmann und Geschäftsführer eines börsennotierten Unternehmens, wenn ich jetzt konkret würde.
Vermischtes
Die Fifa und Adidas sind siamesische Zwillinge
die Fifa straft Kamerun und Sponsor Puma , alle kritisieren sie: „die Fifa und Adidas sind siamesische Zwillinge, da passt noch nicht einmal ein Puma als Kuscheltier dazwischen“ (FR) – „Let’s be Beckham“ (FAS), Beckham ist für alle da – FAS-Interview mit Oliver Bierhoff über Sport und Wirtschaft, Wirtschaft und Sport – FSV Mainz und Erzgebirge Aue , Zweitliga-Klubs (nun) auf Augenhöhe – ein wissenschaftliches Buch über Fan-Gesang u.v.m.
Jörg Hahn (FAZ 20.4.) ärgert sich über den drastischen Sechs-Punkte-Abzug für Kamerun, das gegen die vermeintlich regulierte Kleiderordnung der FIFA verstoßen hat: „Was ist dieser Trikotstreit gemessen an schweren Fouls, an Ergebnisabsprachen? Oder auch verglichen mit Verstößen gegen wirtschaftliche Auflagen, wie sie beispielsweise dem 1. FC Kaiserslautern zur Last gelegt worden sind und wofür die Pfälzer vom Deutschen Fußball-Bund in der laufenden Bundesligasaison mit einem Abzug von drei Punkten belangt worden sind? Kamerun muß vom 4. Juni an zehn Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland bestreiten, Gegner sind Ägypten, Benin, die Elfenbeinküste, Libyen und Sudan; nach dem bis auf weiteres gültigen FIFA-Spruch gehen die „Löwen“ des deutschen Trainers Winfried Schäfer schon als doppelte Verlierer in diese Ausscheidungsrunde. Darf man sich noch aufregen über schauspielernde Fußballprofis, die ihren Mannschaften als Fallobjekte unberechtigte Foulelfmeter erschleichen? Soll man sich noch ärgern über Fehlentscheidungen von Unparteiischen? Die Oberkampfrichter vom Zürcher Sonnenberg, wo die FIFA ihren Sitz hat, stellen das alles weit in den Schatten. Weder ist die Kleiderordnung so detailliert festgelegt, wie das Urteil es suggeriert, noch haben die Paragraphenhüter eine Entscheidung mit Augenmaß gefällt. Der fränkische Sportartikelhersteller Puma will sich, auch im Interesse seines Vertragspartners Kamerun, juristisch wehren. Vielleicht findet das Unternehmen ja Richter, die von Fußball, Mode und Fair play gleichermaßen viel verstehen.“
Philipp Selldorf (SZ 20.4.) vermutet: „Elemente von Politik und Verdacht mischen sich ins Spiel. Die Politik: Der Gegenkandidat des Fifa-Chefs Sepp Blatter bei der Präsidentenwahl 2002 hieß Issa Hayatou und stammt aus – Kamerun. Der Verdacht: Puma reklamiert eine systematische Benachteiligung durch die Fifa, deren traditioneller Sponsor der Konkurrent adidas ist. Puma klagt nun vor einem ordentlichen Gericht auf Schadenersatz – es fällt jedoch leicht, sich vorzustellen, dass die Firma über die Publicity dieses Falls nicht unglücklich ist.“
Die Fifa und Adidas sind siamesische Zwillinge
Jürgen Ahäuser (FR 20.4.) kritisiert die Fifa: „Wenn die Disziplinarkommission der Fifa nicht so „bunt“ besetzt wäre, wenn der Fußball nicht ein Welten und Kulturen umspannendes Phänomen wäre, dann könnte man angesichts des Urteils gegen Kamerun zunächst auf die Idee kommen, dass die Kolonialzeit für die Herren am Zürichsee noch Bestand hat. Wegen unbotmäßigen Verhaltens gibt es für den schwarzen Mann vom weißen Herren mal eben 50 Peitschenhiebe. Hauptsache, es tut weh und die bösen Buben des Winfried Schäfer kriechen demnächst zu Kreuze. Doch so „einfach“ liegen die Dinge nicht. Die Fifa jongliert mit Milliarden, und schon deshalb ragt sie als echter Global Player unter allen Welt-Sportverbänden heraus. Im Verbands-Dschungel des Fußballs bestimmen Seilschaften, Intrigen und nicht zuletzt wirtschaftliche Interessen den Lauf des Balles. (…) Das maßlose Urteil dieser Scharfrichter ist ein Skandal und es schürt die Spekulationen, dass dahinter ein noch größerer Skandal, nämlich Protektion, steckt. Die Fifa und der Konzern Adidas sind siamesische Zwillinge. Da passt noch nicht einmal ein Puma als Kuscheltier dazwischen.“
Nibelungen-Umarmung von Adidas und Weltverband
Peter Hartmann (NZZ 20.4.) rügt Joseph Blatter, Generalsekretär der Fifa: „Unlängst hat der Gentleman Joseph Blatter die Fussball spielenden Frauen aufgefordert, sich dem männlichen Zuschauerauge etwas aufreizender darzubieten. Da stand er mit abgesägten Hosen da. Die Kickerinnen erregten sich über die Blatter’schen Altherrenphantasien, allerdings nicht im gewünschten Sinn. Doch die Dressfrage kommt nicht zur Ruhe. Am Afrika-Cup traten die „unbezähmbaren Löwen“ aus Kamerun im hautengen einteiligen Body auf. Die Kleiderkodex-Wächter verboten das skulpturale Outfit auf der Stelle. Alles was recht ist, Hose und Leibchen sind getrennte Textilstücke. Die schlauen Löwenmännchen kaschierten ihre einteilige Blösse, indem sie sich kurze Shorts überstreiften, und darunter trugen sie nichts als den verbotenen Body. Jetzt hat sie der rächende Arm der Fifa-Justiz am Trikot gezogen. (…) Der Nationalspieler Eto‘o sagte: „Eine völlig absurde Geschichte. Hätte uns Adidas eingekleidet, wäre nichts passiert.“ Adidas ist ein traditioneller Fifa-Sponsor. Tatsächlich haben die Designer des Konkurrenten Puma den umstrittenen Einteiler (der längst die Leichtathletik-Stadien erobert hat) geschneidert und mit diesem modischen Coup eine Welle von Gratiswerbung in den Medien ausgelöst. Puma droht mit Klage gegen die Fifa. Die Nibelungen-Umarmung von Adidas und Weltverband reicht in die Zeiten zurück, als die Fifa noch nicht auf Rosen gebettet war und der damalige Generalsekretär Blatter sein Gehalt über ein Konto des Ausrüsters Horst Dassler erhielt.“
Der Ball, friedlichste aller Kugeln
Roger Repplinger (FAS 18.4.) berichtet ein Hamburger Sozialprojekt: „Es ist viertel nach neun und der letzte Tag der Ferien. Amid lungert mit drei Kumpels vor der Gesamtschule Neu-Allermöhe herum. Er wirft den Fußball in den metallenen Basketballkorb, übt Einwürfe und führt Tricks vor. Um zehn beginnt das Hallenfußball-Turnier der Jugendlichen des Sportprojekts „Integration durch Sport“. Amid, 13 Jahre alt, weiß nicht, ob er dabei ist. Er hat Bewährung. Kurz vor zehn schließt Erik Dawid, 38 Jahre alt, in der Nähe von Danzig geboren, die Halle auf. Dawid lebt in Alt-Allermöhe, kennt alle Tricks. Zunächst bot der Diplom-Sportpädagoge „Sport mit Aussiedlern“ an, daraus entwickelte sich „Integration durch Sport“. Finanziert vom Bundesinnenministerium, verwaltet vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg. Bei seinen Turnieren kooperiert Dawid mit Sportvereinen. Dawid schätzt, daß etwa die Hälfte der Bewohner Neu-Allermöhes Spätaussiedler sind: Kasachen, Ukrainer, Weißrussen. Außerdem wohnen hier Afghanen und Türken sowie ein paar Exoten: Polen, Slowenen, Griechen, Deutsche. „Darf ich mitmachen?“ fragt Amid mit einem Gesicht, auf dem „Ich bin brav“ steht. So leicht läßt sich Dawid nicht breitschlagen – er macht „hm“. Amid, der Junge aus Afghanistan, drängt: „Darf ich mich umziehen?“ Er soll was kapieren, Dawid läßt ihn zappeln: „Hm.“ Es ist nämlich so: Beim letzten Mal hat Amid das Glas des Feuermelders eingeschlagen. Aus Jux. Die Feuerwehr kam nicht, aber der Alarm heulte eine halbe Stunde, das Turnier wurde unterbrochen, und Dawid mußte beim Hausmeister antanzen und alles erklären. „Darf ich?“ fragt Amid, und seine Stimme zittert so viel, wie seine Selbstachtung zuläßt. Dawid nickt, Amid flötet „danke schön“, dreht sich um und saust in die Umkleide. In Neu-Allermöhe gibt es wenig Arbeit, reichlich Kinder und viel Armut. Neu-Allermöhe ist Hamburgs kinderreichster Stadtteil. „Viele Familien leben am Existenzminimum“, sagt Dawid, „sie sind arm.“ Sieht man. Hier spielen „Crespo“ und „Ronaldo“ noch bei Inter. Eltern haben gerade genug Geld, um ihren Sprößlingen das Trikot ihres Lieblingsspielers zu kaufen. Vereinswechsel können sie sich nicht leisten. Zwischen den Türken und den Jungs aus dem Osten gibt es Spannungen. Die Kasachen in der Halle sind schüchtern: kurze helle Haare, bleich, leise, abstehende Ohren, Sommersprossen, sehr dünn. Wenn ein Sieg der Kasachen dem türkischen Team hilft, feuern die Türken auch die Kasachen an. So ist das nicht. Fast alle Mannschaften sind gemischt. Nur die Kasachen bleiben unter sich. „Kommt noch“, meint Dawid. Manchmal kicken Jungs zusammen, deren Länder am liebsten aufeinander losgehen würden: Türken und Griechen. „Aber es passiert nichts“, sagt Dawid, „weil wir an diesen Dingen arbeiten.“ Mit dem Ball – der friedlichsten aller Kugeln. Waffen? Gibt’s nicht. Hier werden die Konflikte per Tor ausgetragen. Dawid hat zehn Turniere veranstaltet und nur ein Team ausgeschlossen, weil die Jungs nicht auf den Schiedsrichter hörten und foul spielten. Am nächsten Tag kamen sie und entschuldigten sich.“
Let’s be Beckham
Beckham ist für alle da, stellt Evi Simeoni (FAS 18.4.) fest: „Ein Tag im März 2004 in einem Kindergarten von Tokio. Große Begeisterung über das heutige Motto: „Let’s be Beckham.“ Jedes Kind darf sich dazu eine Perücke basteln, und es steht außer Frage, daß den eifrigen Kleinen nicht nur der Name des britischen Fußball-Schönlings geläufig ist, sondern auch die ganze Bandbreite seiner variantenreichen Haartrachten vom strammen Hahnenkamm über den lustigen Entenbürzel bis hin zum wippenden Pferdeschwanz. Ein Tag im März bei einer Hausdurchsuchung in Madrid. Die Polizisten finden in der Wohnung von Mohammed Bakkali, eines Tatverdächtigen der Bombenanschläge vom 11. März, eine Autogrammkarte. Sie zeigt David Beckham, die Widmung lautet: „Für Mohammed, mit den besten Wünschen.“ Bakkali, so zitieren später britische Medien dessen Cousin, sei zu allen Spielen und Trainingsstunden von Real Madrid gepilgert. Dort ergatterte er ein paar Wochen vor dem Anschlag Beckhams Unterschrift, die er dann stolz in seinem Wohnviertel herumzeigte. Beckham verbindet. Er ist ein Mann nach jedem Maß: Der 28 Jahre alte Edelkicker verkörpert einen vielseitig kompatiblen Allzweck-Traum. Kleinkind und Oma, Männlein und Weiblein, Homo und Hetero verzehren sich nach dem vor lauter Glück leuchtenden Blondschopf mit den Extra-Kick. Das von Marketing-Experten perfektionierte emotionale Nobelkaufhaus Beckham hat prachtvolle Identifikationsangebote für unzählige Arten von Tagträumen auf Lager. (…) Becks sells: Zum Beispiel Mobiltelefone, Kleidung, Sportklamotten unter seinem eigenen Label, süße Limonade. Es gibt den duftenden Beckham mit den lackierten Fingernägeln und einem locker um die Hüften gewickelten Sarong als kickendes Vanilliekipferl für die konsumfreudige Karrierefrau. Es gibt den sexy Beau mit dem bezaubernden Boy-Group-Lächeln für schmachtende Teenager. Es gibt den Großverdiener (man schätzt ihn auf 26 Millionen Euro jährlich) für Leute mit Sinn für Kontostände. Und es gibt den treusorgenden Ehemann und den kinderhütenden Mustervater für die seufzenden Schwiegermütter. Das heißt – vielleicht muß das Unternehmen Beckham dieses Angebot bald aus dem Musterkoffer entfernen. Britische Blätter spekulieren bereits recht ernsthaft darüber, ob Beckhams aktuelle Bedrängnis das „Ende des letzten anständigen Mannes“ repräsentiere. Der Moralkollaps droht. Es sei denn, die Krise kann in eine neue Werberolle umgemünzt werden. Bisher fehlte nämlich im Angebot noch der verschmitzte Sünder mit dem unwiderstehlichen Charme, der umschwärmte Frauentyp, der zwar seine Familie liebt, aber den Versuchungen seiner schönen Anbeterinnen nicht immer widerstehen kann. Zwar mag die Frage nicht unwichtig sein, ob man dieses Muster auch den Konsumenten in Asien und den werblich noch zu erobernden Vereinigten Staaten zumuten kann. Doch schon scheint eine neue Parfüm-Kreation am Horizont aufzusteigen, etwa mit dem Namen „David’s Temptation“ und dem Werbesong: „Warum soll so was Schönes nur einer gefallen / Der Himmel, die Sterne gehör‘n doch auch allen …?“ Das neue Werbefeld ist bereitet. Zuvor freilich muß es Beckham noch gelingen, seine Ehefrau Victoria gnädig zu stimmen.“
FAS-Interview mit Oliver Bierhoff über Sport und Wirtschaft, Wirtschaft und Sport
FAS: Herr Bierhoff, was kann die Wirtschaft vom Sport lernen?
OB: Aus meiner Sicht lassen sich jede Menge Erfahrungen vom Sport auf die gegenwärtige Lage in Deutschland übertragen. Es gibt Parallelen zwischen dem Sport und der Wirtschaft. Es geht um Menschen. Viele gute Eigenschaften und Regeln, die auf dem Fußballplatz akzeptiert werden, sind jenseits des Rasens aber alles andere als selbstverständlich. Dabei gibt es viele Bereiche, die man vom Sport auf die Wirtschaft übertragen kann.
FAS: Zum Beispiel?
OB: Wettbewerb und Eigenverantwortung. Für jeden Profi-Fußballspieler ist der Wettbewerb wie ein Motor. Hätte ich diesen Wettbewerb nicht gehabt, wäre ich wahrscheinlich nie der erfolgreiche Fußballer geworden, der ich geworden bin. 1998, als ich in Italien Rekord-Torschützenkönig wurde, hatte ich die ganze Saison über ein Wettrennen mit Ronaldo von Inter Mailand. Das hat mich immer weiter angetrieben, mehr zu geben. Wettbewerb motiviert dich, er stachelt den Ehrgeiz immer wieder an. Für einen Leistungssportler ist das existentiell.
FAS: Im Sport finden das alle okay. Und in der Wirtschaft?
OB: Marktwirtschaft lebt davon, daß Menschen und Firmen miteinander in Konkurrenz treten – den Vorteil haben die Verbraucher. Alle profitieren. Und doch haben gerade in Deutschland Wettbewerb und Leistung für viele den Anschein des Unsozialen. Leistung wird im Wettbewerb erbracht. Es wundert mich, daß wir in Deutschland wie selbstverständlich den Leistungsgedanken im Sport akzeptieren und uns andererseits im Wirtschaftsleben oft schwer damit tun, Wettbewerb als Motor zu betrachten und Leistung anzuerkennen.
FAS: Woran liegt das?
OB: Ich kann nicht erklären, warum viele Menschen das im Wirtschaftsleben nicht so positiv sehen. Im Sport wollen die Menschen Leistung sehen, sie wollen Führungsspieler. Es ist merkwürdig, daß derjenige, der in der Wirtschaft herausragt, dagegen immer etwas skeptisch betrachtet wird. Dabei gilt im Fußball wie in der Wirtschaft: Wer diejenigen nicht fördert, die Verantwortung übernehmen, schwächt die Gesamtleistung und damit automatisch auch die Schwächeren.
Gütesiegel
Ingo Durstewitz (FR 20.4.) leidet mit dem FSV Mainz und Trainer Jürgen Klopp: “In Mainz geht die Angst vor dem großen Rückschritt um, all die so hart erarbeiteten Attribute wie Identität, Identifikation, Fußballkultur und Begeisterung stehen auf dem Prüfstand. Noch vor wenigen Monaten galten Spiele am Bruchweg als Erlebnisse, Mainzer Fußball galt als Gütesiegel, war mit dem Prädikat Powerfußball geadelt; das Spiel pulsierte, es war intensiv und leidenschaftlich. Trainer Jürgen Klopp, der Architekt des Erfolges, verordnete gefürchtetes Pressing: drei Spitzen, keine Atempause, volle Kanne Attacke. Spaßfußball wurde der wilde Stil genannt, es steckte verdammt harte Arbeit dahinter. Der Verein, jahrelang belächelt und Inbegriff der zweitklassigen Langeweile, hatte sich zu einer Marke gemausert, ja er galt als kultig, die Fans rannten dem Club die Bude ein (Zuschauerschnitt fast 15 000, Platz eins in Liga zwei), unlängst kamen 1500 zum Training. Von dem spektakulären Spiel ist nicht mehr viel geblieben, es wirkt holprig. „Uns fehlt der Esprit“, klagt Klopp. Mit Besorgnis ist im Mainzer Führungszirkel der stumme Protest der Fans nach der jüngsten Niederlage registriert worden. Trainer Klopp besänftigte die ruhige, aufgebrachten Schar mit beschwörenden Worten aus dem Megaphon. Szenen, die man so nicht kannte. Klopp prangert die überfrachtete Erwartungshaltung an. „Wenn wir unser Potenzial zu 100 Prozent ausschöpfen, können wir um den Aufstieg mitspielen – wenn nicht, dann nicht.“ Nach den beiden Nackenschlägen im Mai 2002 und 2003 habe keiner glauben sollen, das Projekt Aufstieg werde zum Selbstläufer: „Wir sind in dieser Saison besser als viele erwartet, aber nicht so gut, wie viele erhofft hatten.“ Natürlich wird jetzt, nach drei Jahren mit dem früheren Profi auf der Trainerbank, trefflich spekuliert, ob sich das „Modell Klopp“ abgenutzt habe, ob der Coach, nach drei verzweifelten Anläufen, den Aufstieg zu schaffen, nicht verbrannt ist. Es gibt viele, die dem eloquenten Schwaben, eine Art Hardcore-Motivator, raten, jetzt abzuspringen, es sei besser für seine persönliche Entwicklung. Mainz 05 steht vor einer Zerreißprobe, der Verein muss einen Hauptsponsor finden, die Stadionfinanzierung sichern und eine Bankbürgschaft über 800 000 Euro nachweisen. Die Lizenz für die zweite Liga ist gefährdet.“
Ronny Blaschke (SZ 19.4.) freut sich mit Erzgebirge Aue: „In der Zweiten Liga hat sich der Verein auf Platz sechs geschlichen, noch vor sieben Wochen war er auf Rang 17 versackt. Am Freitag siegte Aue zu Hause gegen Energie Cottbus mit 1:0. Es war ein heißblütiges Ostderby, das kurz vor dem Abbruch stand. Feuerwerkskörper hatten randalierende Cottbuser Fans auf den Rasen geworfen. Aues Serie aber wurde fortgesetzt: In den letzten sieben Spielen hat der FC Erzgebirge 18 Punkte gehamstert und nicht einmal verloren. Der FCE, schuldenfrei und erfolgreich, eine winzige Enklave im deutschen Fußball-Zirkus. Ein Wunder? „Eher harte Arbeit“, sagt Heinrich Kohl, Aues Bürgermeister. Ein erarbeitetes Wunder also? „Ja, so können Sie das schreiben.“ Kohl lacht, sie lachen in diesen Tagen alle in Aue, vermutlich sogar nachts unter der Bettdecke. Ganz Sachsen ist stolz auf seine kleinen Emporkömmlinge. Uwe Leonhardt sagt, der Klub betreibe „Außenpolitik für die Region“. Zum ersten Mal seit einem Jahr war das Erzgebirgestadion am Freitag wieder ausverkauft: 16 500 Menschen kamen. Es ist nicht die erste Statistik, die in diesem Jahr steil nach oben steuert. Mit 99 Sponsoren ist der Verein in die Saison gestartet, berichtet Bertram Höfer, Finanzchef beim FC Erzgebirge, mittlerweile sind es 160. Der Zulauf der Sponsoren ist enorm. 5,1 Millionen Euro beträgt das Budget, 2,7 Millionen werden von den Fernsehgeldern abgedeckt. Den Rest steuern mittelständische Unternehmen bei. Die Spanne der Zuschüsse reicht von 2 000 bis 300 000 Euro. Aue hat keine andere Wahl, hier gibt es keine Weltfirmen. Das Wismut-Kombinat, in dem 40 Jahre lang Uranerz gefördert wurde, liegt seit 1990 still. Es war die Zeit, in der die Fußballer ihren alten Namen ablegten; aus Wismut wurde Erzgebirge. Es war die Zeit, als die Klub-Führung wechselte und eine schleichende Entwicklung einsetzte beim FCE, der laut Uwe Leonhardt „Kultstatus hat und eine größere Tradition als Energie Cottbus“. Es ist vor allem das Verdienst der Zwillingsbrüder Uwe und Helge Leonhardt, des Vorsitzenden und seines Stellvertreters. Sie haben in der Abgeschiedenheit eine seriöse Politik gemacht, die nicht Erfolg für zwingend erklärt, sondern Solidität. „Ich kann mit Verantwortung umgehen, ich muss 800 Menschen ernähren“, sagt Uwe Leonhardt, der drei Maschinenbau-Fabriken leitet. Er kann es sich nicht erlauben, den größten Werbeträger der Region in den Ruin zu treiben. „Soll ich alles auf Rot setzen?“, fragt er, „ich bin hier verwurzelt. Wenn es schief läuft, dann kann ich nicht flüchten.““
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/sport/333727.html
Mike Szymanski (SZ 19.4.) besucht eine Nürnberger Ausstellung: „In der Vereinshymne des 1. FC Nürnberg heißt es: „Die Legende lebt, wenn auch der Wind sich dreht.“ Inzwischen weht den Club-Fans der raue Zweitliga-Wind um die Ohren. Und um die Legende, nun ja, um die ist es auch nicht gut bestellt. Vor dem Frankenstadion trägt nur ein liebloser Platz den Namen von Max Morlock, dem Rekord-Fußballer und Schützen des einst so wichtigen Anschlusstreffers im legendären WM-Finale von Bern 1954 gegen Ungarn. Als die Stadt ankündigte, die Namensrechte für das teuer umgebaute Frankenstadion an einen künftigen Betreiber abzugeben, hat sie viele Fans bitter enttäuscht. Die Club-Anhänger würden lieber ins „Max-Morlock-Stadion“ gehen. Da tut es der Fan-Seele gut, dass jetzt wenigstens das Museum Industriekultur dem Nürnberger Fußball-Idol eine Ausstellung widmet. Die Besucher bekommen vom 1. Mai an eine ehrgeizige Morlock-Ausstellung geboten, die es in diesem Umfang noch nicht gegeben hat. Mehr als 250 Exponate haben Museumsleiter Matthias Murko und „Club“-Experte Bernd Siegler zusammengetragen. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken ist, dass im Jahr 50 nach dem „Wunder von Bern“ in der Stadt überhaupt eine Ausstellung an Morlock erinnert, der 1994 im Alter von 69 Jahren gestorben ist. Neben seinem WM-Trikot von 1954 können Besucher die Uhr, den Motorroller und den Fernseher bestaunen, die damals alle WM-Spieler geschenkt bekommen haben. Das Bahn-Museum holt am 30. April sogar den Sonderzug nach Nürnberg, mit dem die Weltmeister seinerzeit aus der Schweiz in das völlig aus dem Häuschen geratene Deutschland zurückkehrten.“
Diego Armando Maradona ist in die Intensivstation eingewiesen worden; Josef Oehrlein (FAZ 20.4.) berichtet aus Argentinien: „Am Morgen hatte er noch einem Spiel um den Libertadores-Cup in seiner geliebten „Bombonera“, dem Stadion von Boca Juniors in Buenos Aires, beigewohnt. Am Abend lag Diego Maradona auf der Intensivstation des Schweizerisch-Argentinischen Krankenhauses, künstlich beatmet und „in kritischem Zustand“, wie es in einem Bulletin hieß. Extremer Bluthochdruck wegen Herzerweiterung hatte den Zusammenbruch hervorgerufen. Sogleich kursierte die Mutmaßung, der frühere Fußballstar Diego Maradona habe eine Überdosis Rauschgift genommen. Sein persönlicher Arzt Alfredo Cahe dementierte umgehend, die Herzschwäche stehe nicht im Zusammenhang mit Maradonas „Abhängigkeit“. In Erinnerung ist noch, wie Maradona am 4. Januar 2000, mitten im Hochsommer am Río de la Plata, im uruguayischen Badeort Punta del Este gleichfalls wegen Bluthochdrucks auf die Intensivstation einer dortigen Klinik gebracht werden mußte. Damals hatte er sich zuvor eine Überdosis Kokain einverleibt. Es ist nie klargeworden, ob die anschließende Entziehungskur in Kuba, während der Maradona freundschaftlichen Umgang mit dem Revolutionsführer Fidel Castro pflegte, Erfolg hatte. Trotz allen Bemühens der kubanischen Fachärzte und seines argentinischen Leibmedicus hat sich Maradona von dem Zusammenbruch vor vier Jahren allem Anschein nach nie richtig erholt. Auf Kuba verursachte er einen Verkehrsunfall, bei dem sein Fahrzeug völlig zerstört wurde, den er aber wie durch ein Wunder unverletzt überstand. Die Bilder vom Besuch der „Nummer zehn“ an diesem Sonntag in der Boca-Loge zeigen Maradona noch korpulenter als je zuvor, übermüdet und geschwächt. (…) Nach Bekanntwerden der Nachricht versammelten sich sogleich zahlreiche Fans vor der Klinik. Die ganze Nacht über wachte der engste Familienkreis bei ihm. Maradona war erst Ende März nach eineinhalb Jahren Abwesenheit nach Argentinien zurückgekehrt.“
Die größte musikalische Massenbewegung unserer Zeit
Ein Buch über Fan-Gesänge ist erschienen; Marc Baumann (SZ 20.4.) trifft den Autor: „Reinhard Kopiez hat die Macht gespürt. Und die Angst. Und das Glück. Wenn aus vielen tausend Menschen ein einziges großes WIR entsteht. Dieses Wir-Gefühl, das die kleinen Härchen auf den Armen abstehen lässt. Wenn die Menschenmasse zur Stromquelle wird, die den ganzen Körper elektrifiziert. Was der Professor der Musikpsychologie in den Fußballstadien in Dortmund und Bochum und München erlebt hat, nennt er „die größte musikalische Massenbewegung unserer Zeit“. Oder einfach nur „die wilde, entfesselte Horde“. Reinhard Kopiez hat ein Buch über Stadiongesänge geschrieben. Über Menschen wie Michael und Marco. Michael wird an diesem Sonntag ins Olympiastadion gehen, mit einem Megafon. In die Südkurve, wo der FC Bayern München nicht einfach nur ein Verein ist, und Fußball nicht einfach nur ein Spiel. Dort steht er und blickt auf den grünen Rasen und darüber hinaus, in die Kurve der Fans des TSV 1860. Dort wo Marco steht. Der sagt: „Beim Derby, da spürst du das Adrenalin lange bevor du das Stadion betrittst. Da ist nur Hass“. Den Hass steckt er in Lieder, nicht in seine Fäuste. Marco hat vor ein paar Jahren mit einem Freund die Fangruppe „Cosa Nostra“ gegründet, „weil der TSV 1860 mein ganzes Leben ist“. Auch er bringt ein Megafon ins Stadion, in die Nordkurve, wo am Sonntag die Fans der Löwen sitzen. Von Nord nach Süd und Süd nach Nord werden sie von Toren und Siegen und den Deppen gegenüber singen. „Aber statt singen sollte man korrekterweise von Schreigesang sprechen“, sagt Reinhard Kopiez, der einen Lehrstuhl an der Uni Hannover hat. Bis heute hat er mit einem Kollegen zusammen die einzige wissenschaftliche Studie zu diesem Thema geschrieben. Wenn er von den Fans erzählt, wenn er ihre Schlachtrufe aufsagt, dann singt er sie immer wieder kurz mit. Manchmal ist ihm das ein bisschen unangenehm. Michael Sturm, dem Vorsinger der Bayern, geht das genauso. Auch er kann nicht einfach nur erzählen, er muss anstimmen („FCB, FCB“), anfeuern („Attacke!“), anstacheln („Hier regiert der F-C- B!“) und diffamieren („ihr seid Sechziger, asoziale Sechziger“). „Aber das klingt jetzt komisch, wenn ich das so alleine singe“. Er hatte da gerade von den Wechselgesängen erzählt, und die gehen so: Michael nimmt sein Megafon und dann schreit er „Wir sind BAYERN!“. Dass muss man so schreiben, mit Ausrufezeichen und in Großbuchstaben, so mächtig. Und dann antworten ihm, dem 21-Jährigen, der noch Zuhause wohnt, Tausende. Und eine ganze Kurve schreit „Wir sind BAYERN!“. Und das sind sie dann auch. Und Michael Sturm gibt die nächste Zeile vor: „Kämpfen und Siegen!“ – und wieder antwortet die Kurve. Bis zu 6000 Menschen stehen darin, „laut wie ein Düsenflugzeug“, sagt Kopiez. Das ist sie, die Macht, die Reinhard Kopiez erlebt hat. Die ihn auch erschreckt hat. Wenn die Masse nicht für, sondern gegen einen Menschen schreit. „Die Fankurve ist keine Kuschelecke“, sagt der Musikpsychologe, „das sind raue Gesellen“. Mit einer klaren Hierarchie. Lieder anzustimmen ist ein Privileg. Die Masse folgt nicht jedem. Es gibt Spekulationen, dass die Menschen im antiken Rom, im Kolosseum, schon eine Art von Fankultur hatten. Aber nachweisbar gesungen wird erst seit 1963. Da haben die Fans des FC Liverpool die Refrainzeile des damaligen Hits „You“ll never walk alone“ aufgegriffen und gesungen. Das Lied singen sie bis heute, in München, Mailand und Madrid. Sogar im Iran, hat Reinhard Kopiez gehört, „gibt es eine fantastische Fußballkultur“. 1974 kamen die Stadiongesänge nach Deutschland, zuerst hörte man sie in Hamburg, das Seemannslied vom „Hamburger Fährmaster“.“
Ballschrank
Fifa und adidas sind siamesische Zwillinge
die Fifa straft Kamerun und Sponsor Puma, alle kritisieren sie: „die Fifa und Adidas sind siamesische Zwillinge, da passt noch nicht einmal ein Puma als Kuscheltier dazwischen“ (FR) – Diego Maradona in der Intensivstation – „Let’s be Beckham“ (FAS), Beckham ist für alle da – FAS-Interview mit Oliver Bierhoff über Sport und Wirtschaft, Wirtschaft und Sport – FSV Mainz und Erzgebirge Aue, Zweitliga-Klubs (nun) auf Augenhöhe – ein wissenschaftliches Buch über Fan-Gesang (mehr …)
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Champions League
FC Chelsea ist nicht nur durch Abramowitsch’ Millionen stark, Claudio Ranieri hat das Team über Jahre aufgebaut, etwa Frank Lampard (NZZ, FTD) – Didier Deschamps , früher als Spieler Stratege, heute als Monacos Trainer Stratege (FAS); „für einen Abend verwandelt sich der Luxusfelsen Monaco wieder in eine Fußball-Stadt“ (SZ) u.v.m.
Raphael Honigstein (FTD 20.4.) porträtiert Frank Lampard, fleißiger Star des FC Chelsea London: „Als Frank Lampard ein kleiner Junge war, nahm ihn sein Vater öfters auf den Golfkurs in Romford mit. Während Frank Lampard Senior, wie fast alle ehemaligen Fußball-Profis in England ein passionierter Golfer, fleißig am Handicap arbeitete, ließ er seinen Sohn immer wieder rund um den Platz laufen, auch der eine oder andere Sprint war verlangt. „Das hat mir beigebracht, ständig an mir zu arbeiten“, erinnert sich Lampard an die Tortour. Zweifel über den pädagogischen Nutzen dieser Züchtigung dürfen erlaubt sein. Was die Kondition angeht, scheint es aber etwas gebracht zu haben. Jeden Freitag, bei Chelseas öffentlichen Trainingseinheiten, läuft Lampard zusammen mit dem Kollegen John Terry vorneweg über den vom eisigen Wind platt gedrückten Rasen in Harlington, 10 Taximinuten vom Flughafen Heathrow entfernt. Auch in den Spielen geht keiner weitere Wege als die Nummer Acht. Falls die Batteriefirma, die seit vielen Jahren mit den trommelnden Häschen wirbt, auf eine menschlichen Werbeträger umsteigen sollte, wäre Lampard ein Kandidat: Der überragende Mittelfeldspieler mit dem satten Schuss und dem feinen Gefühl für den öffnenden Pass hat als einziger Kicker einer Spitzenmannschaft jedes der 34 Liga-Matches bestritten; das letzte Premier League-Spiel ohne ihn fand im September 2001 statt. Als im Sommer ein Superstar nach dem anderen dem Ruf der russischen Millionen von Roman Abramowitsch an die Stamford Bridge folgte, machte sich Lampard, 2001 für 11 Mio. £ von West Ham gekommen, Sorgen um seinen Stammplatz. Doch seine bestechende Form ließ selbst Trainer Claudio Ranieri, dem römischen Großmeister der Rotation, keinen Raum für Experimente. Im sich stetig verändernden, immer wieder neu zusammen gesetzten System Chelsea ist Lampard mit seinem dynamischen, effizienten Spiel längst nicht mehr der heimliche Chef, sondern ein strahlender Fixpunkt. „Magic Lamps“, die magische Leuchte, nennen ihn die Kollegen aus der zum Champions-League-Favoriten hoch frisierten Mannschaft. (…) Der in einer Privatschule erzogene Essex-Boy mit Einser-Abschluss in Latein war als Fußballer oft umstritten. Am Anfang seiner Karriere meinten Zyniker, er würde seinen Platz in der West-Ham-Elf weniger seinem Talent als der Tatsache verdanken, dass Trainer Harry Redknapp sein Onkel und sein Vater dessen Assistent war. Nach der EM 2000 war er mit seinen Nationalmannschaftskollegen Rio Ferdinand und Kieron Dyer in einen landestypischen Skandal verwickelt: Die drei hatten sich und eine junge Frau auf Zypern beim Sex gefilmt. Im September 2001 pöbelte er betrunken amerikanische Touristen an, die wegen des Terroranschlags in New York in einem Londoner Hotel festsaßen. Chelsea verdonnerte ihn zu 80 000 £ Strafe. Als Chelseas Team noch aus alternden Superstars und Durchschnittslegionären bestand, spielte Lampard irgendwie mit, und landete mehr Treffer in der Nobeldisko „China White“ als im gegnerischen Strafraum. Aber im ersten Jahr der Ära Abramowitsch hat er sich zum absoluten Leistungsträger und Musterprofi entwickelt: „Ich esse jetzt die richtigen Sachen zum richtigen Zeitpunkt, kein Fast-Food mehr wie bei West Ham. Und ich kann sogar kochen“.“
Unter solchen Bedingungen zu arbeiten, ist nicht einfach
Martin Pütter (NZZ20.4.) fühlt mit Chelseas Trainer – und lobt ihn: „Claudio Ranieri ist zu bewundern. Dass der Trainer des Chelsea FC Anstand, Verstand und Humor behalten hat, ist keineswegs selbstverständlich. Die „Blues“ haben ja den fest zementierten Ruf, dass sie mit Intrigen, Gerüchten und Affären genau so oft Gesprächsstoff liefern wie mit ihren sportlichen Leistungen. Das war im Übrigen schon unter dem vorherigen Eigentümer Ken Bates so und hat sich seit der Ankunft des russischen Ölmilliardärs Roman Abramowitsch nicht geändert – oder: „Plus ça change, plus ça reste le même.“ Jüngstes Beispiel: Am Samstag im Heimspiel gegen Everton (0:0) war Louis van Gaal, Technischer Direktor von Ajax Amsterdam, Gast von Chelseas CEO Peter Kenyon an der Stamford Bridge. Damit hatte Ranieri die non- verbale Antwort auf seine Bitte letzte Woche erhalten, Klarheit wegen seiner Zukunft zu schaffen. Die Spekulationen um eine Entlassung des Italieners hatten auch nicht aufgehört, nachdem der Vertrag des Schweden Sven Göran Eriksson als Nationaltrainer verlängert worden war. Unter solchen Bedingungen zu arbeiten, ist nicht einfach, besonders, wenn der Verein so kurz vor einem Höhepunkt der Vereinsgeschichte steht. Am Dienstag spielen die Blues in Monaco – so weit war der Gewinner des Europacups der Cup-Sieger (1998) in Europas prestigeträchtigstem Wettbewerb noch nie gekommen. Und trotz allen Umständen: Ranieri hat bisher beachtliche Arbeit geleistet. Einer der bemerkenswertesten Umstände am 2:1-Erfolg im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League lag etwa darin, wer überhaupt im Chelsea-Team figurierte: Von den über zehn neuen Spielern, die seit letztem Sommer für 120 Millionen Pfund an die Stamford Bridge gewechselt hatten, befanden sich auf dem Highbury-Rasen nur deren vier: Torhüter Marco Ambrosio, Aussenverteidiger Wayne Bridge sowie im Mittelfeld Damien Duff und Claude Makelele. Der Kern dieser Mannschaft, die eine Negativserie von 17 Spielen ohne Sieg gegen Arsenal beendete, hatte schon existiert, ehe Abramowitsch auf die Bildfläche trat und ehe Eriksson den Russen mit einer Einkaufsliste „beriet.““
Ein bißchen mehr Laisser-faire, ein bißchen mehr Verantwortung für bestimmte Spieler
Monacos Trainer hat strategische Fähigkeiten, meint Sven Gartung (FAS 18.4.): „Jene Jahre, die Didier Deschamps mit der „alten Dame“ verbrachte, waren seine erfolgreichsten. Es waren Deschamps‘ Meisterjahre: drei italienische Meisterschaften, ein italienischer Pokalsieg, der Gewinn der Champions League. Insgesamt neun Titel gewann Deschamps zwischen 1994 und 1999 als Spieler und Mannschaftskapitän mit Juventus Turin. Mit der französischen Nationalmannschaft wurde der Baske 1998 zudem Fußball-Weltmeister und zwei Jahre später Europameister. Es waren aber auch seine Lehrjahre. Unter Marcello Lippi, dem erfolgreichen Baumeister der großen Turiner Mannschaft, lernte der heute 35 Jahre alte Deschamps auch sein Handwerk als Trainer. In seiner erst dritten Saison als verantwortlicher Coach führte er nun den AS Monaco bis ins Halbfinale der Champions League. (…) Auch in der Nationalmannschaft, für die er 103mal spielte, übernahm Deschamps Verantwortung. Henri Emile, im Beraterstab des WM-Teams tätig, fiel der enorme Elan auf, mit dem Deschamps zu Werke ging. „Aime Jacquet konnte sich nicht um alles kümmern, da nahm ihm Didier einiges ab, sprach mit Spielern, zerstreute Bedenken oder machte anderen Mut.“ Deschamps glaubte aber nicht, seine Erfolge als Spieler würden ihm automatisch zu hohen Trainerehren verhelfen. Auf Platz 15 beendete er die erste Saison mit AS Monaco, begleitet von vielen Mißtönen. Probleme mit arrivierten Spielern wie Bierhoff, Simone oder Panucci wurden publik. Vom Trainerstab hörte man: „Er vertraut uns ein bißchen – und dann wieder gar nicht.“ Alles wolle Deschamps kontrollieren, beeinflussen, wissen. Das ging nicht. Also änderte der jüngste in der Ligue 1 tätige Trainer sein Verhalten. Ein bißchen mehr Laisser-faire, ein bißchen mehr Verantwortung für bestimmte Spieler – in der zweiten Saison wurde Monaco Zweiter. Heute konzentriert sich der Perfektionist Deschamps auf das, was den AS Monaco auch in der Champions League so erfolgreich macht: attraktives, offensives und effizientes Fußballspiel. Die Aussichten sind sehr gut – und haben plötzlich auch die „alte Dame“ auf den Plan gerufen. Marcello Lippi wird in Turin Technischer Direktor, er möchte Deschamps als Trainer zu Juventus holen, zur Wiederholung der großen Erfolge.“
Für einen Abend verwandelt sich der Luxusfelsen wieder in eine Fußball-Stadt
AS Monaco ist ein Verein für klein und groß, urteilt Marc Widmann (SZ 20.4.): „An diesem Abend war alles anders. Die Begeisterung war in die Straßen Monacos geschwappt wie eine Flutwelle aus dem nahen Hafen. Zu Hunderten standen die Menschen am Straßenrand, schwenkten rot-weiße Schals oder trommelten mit aufblasbaren Plastikstäben auf vorbeifahrende Autodächer. Ein Porsche-Fahrer versuchte sich dem Trubel zu entziehen, in dem er in der Mitte der Straße fuhr. Als sich der Mannschaftsbus des AS Monaco näherte, wuchs der Krach zu Lärm. Und keine drei Stunden später, als Real Madrid besiegt und die Sensation vollbracht war, waren die Fans wieder auf den Straßen. Sie fuhren hupend durch die Stadt, eine muntere Kolonne der Kleinwagen. Nur die teuren Cabrios fehlten plötzlich. Fußball ist in Monaco nicht eine weitere Ablenkungsmöglichkeit für Steuerflüchtlinge, neben Yachthafen und Golfklub. Es sind die einfachen Monegassen, Menschen, die hier geboren wurden und in Hotels, Apotheken oder Bäckereien arbeiten, die wohl auch heute wieder am Straßenrand stehen werden. Dann verwandelt sich der Luxusfelsen im Süden Frankreichs wieder in eine Fußball-Stadt – für einen Abend. Den schönsten Blick auf das Stadion Louis II. hat man vom höchsten Punkt des Fürstentums, dem Palast des Fürsten Rainier II. Hier wohnt auch einer der größten Fans des Fußballklubs: Kronprinz Albert. Die Monegassen lästern, er solle sich endlich eine Frau suchen, ehe das Fürstentum wegen Kinderlosigkeit zurück an Frankreich fällt. Doch Albert schwärmt vor allem für Sport, wurde durch seine Liebe zum Bobfahren bekannt. Manche sagen, wenn er vor einem Jahr nicht eingegriffen hätte, gäbe es den ASM heute gar nicht mehr. Im Sommer 2003 war der AS Monaco pleite. 53 Millionen Euro Schulden drückten den kleinen Verein, der Verband drohte sogar damit, ihn in die zweite Liga zurückzustufen. Doch das passte überhaupt nicht in den Plan des Prinzen. Der Sport hat nämlich eine besondere Aufgabe in Monaco: Er soll das Fürstentum mit Imageproblemen für etwas anderes bekannt machen als nur für den Yachthafen und das Casino. Der Grand Prix erfüllt diese Aufgabe – einmal im Jahr. Der fürstliche Fußballverein soll regelmäßig Touristen von außen anlocken. Und er soll im Inneren das stiften, was ein drei Kilometer breites Stück Land mit 30 000 Einwohnern braucht: eine gemeinsame Identität. Wenn die Menschen hier schon einmal auf die Straßen ziehen, dann um den eigenen Verein zu feiern.“
Mischung aus hochfeiner Technik, berauschenden Einfällen und kluger Selbstbescheidung
Wolfram Eilenberger (Tsp 20.4.) ist ein Fan von Deco, Spielmacher des FC Porto: „Er ist eine delikate Existenz. Und vertraut man Experten, dürfte es einen Spieler wie Deco eigentlich gar nicht mehr geben. Denn Deco erfüllt eine Position, die seit gut 20 Jahren als ausgestorben gilt. Deco ist ein klassischer Spielmacher. Ernsthafter Defensivarbeit entledigt, schwänzelt er hinter den Spitzen und sorgt mit wachem Auge und blitzendem Fuß für entscheidende Öffnungen. Mehr als einen dieser verzückenden Typen kann keine Mannschaft ertragen, weshalb Spieler wie Deco notwendig zwischen den Extremen wandeln. Sie werden groß, oder sie werden gar nichts. Deco steht mit 26 Jahren vor dem Sommer seines Lebens. Läuft es nach Wunsch, wird er binnen zwei Monaten nicht nur der Schlüsselspieler des Champions-League-Siegers FC Porto, sondern auch des neuen Europameisters Portugal sein. Quirlig und voller Bewegungsreichtum entdeckt Deco neue Freiräume und besticht durch gezielte Überraschungen, wenn er als harter Präzisionsschütze nicht selbst den Abschluss sucht. Doch bei aller technischen Überbegabung ist der Portugiese kein Effekthascher. Sein Spiel vermittelt vielmehr Spaß an der Effizienz. Deco steht nicht unter dem falschen Anspruch, mit jeder Aktion das Spiel entscheiden zu wollen. Mit dieser Mischung aus hochfeiner Technik, berauschenden Einfällen und kluger Selbstbescheidung prägt er den Stil seines gesamten Teams.“
Montag, 19. April 2004
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Bundesliga
_29. Spieltag im Pressespiegel__
Kritik an allen Verantwortlichen von 1860 München wegen der Art, Trainer Falko Götz zu entlassen; „der Geist Wildmosers“; Götz, das unschuldige „Opferlamm“ (SZ)?`; ist gar Hans Zehetmaier hinters Licht geführt worden (taz)? – Bayern München, „seelenloses Ensemble“ (FTD); Diskussion um Schiedsrichter Markus Merk; Schwalbe oder nicht Schwalbe? – VfB Stuttgart jagt – Hans Meyers harmonische Rückkehr an den Bökelberg? Von wegen: „das harmonische Verhältnis von Meyer zur Borussia ist eine Legende“ (FAZ) – von Leverkusens Sieg gegen Schalke gibt es viel zu erzählen u.v.m.
1860 München – Hamburger SV 1:2, Entlassung Falko Götz‘
Der Geist Wildmosers
Christian Zaschke (SZ 19.4.) fordert, dass sich 1860 München von seiner Vergangenheit löse: „Was wohl der Gipfel war der lächerlichen Vorstellung, die der TSV 1860 München an diesem Wochenende abgab? Die beschämende Art und Weise, in der Trainer Falko Götz entlassen wurde? Die Eskalation des Streits auf der Führungsebene, der Rücktritt des Vizepräsidenten Hans Zehetmair? Vielleicht auch das armselige Spiel der Profimannschaft gegen den Hamburger SV? Nichts von alldem. Es war die Äußerung des Sportdirektors Dirk Dufner, man wolle den Verein im Geiste des ehemaligen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser weiterführen. (…) Der Geist Wildmosers, den der Sportdirektor beschwört, ist der Geist, den der Verein nicht wieder los wird. Es wird auf Wildmosers Verdienste verwiesen, er habe den Verein ja erst wieder nach oben gebracht. In Wahrheit hat er den Klub ideell entkernt und ihm eine Günstlingsstruktur verpasst, in welcher Neinsager gemobbt wurden, und in der sein Sohn Karl-Heinz Wildmoser junior ein reicher Mann wurde. Es war eine Struktur, die nur funktionierte, solange der Alte über dem Gesamtverein thronte und über seinen Sohn in die Fußballabteilung greifen konnte mit seinen mächtigen Pranken. Diese Struktur muss grundsätzlich aufgebrochen werden, das Machtvakuum muss gefüllt werden. Die jetzigen Probleme des TSV 1860 München bestehen nicht, weil der Geist Wildmosers fehlt. Sie bestehen, weil der Klub viel zu lange vom Geiste Wildmosers beherrscht wurde.“
Auch Thomas Becker (FR 19.4.) stößt auf verbrannte Erde: „Man sieht die Pranken förmlich auf die Oberschenkel niedersausen, hört zwischen dem Lachen immer wieder ein kopfschüttelndes „Des gibt’s doch gar ned“, glaubt aber hinter den Lidern das ein oder andere Tränchen schimmern zu sehen – Karl-Heinz Wildmoser senior wird in Niederpöcking am Starnberger See einen merkwürdigen Abend vor dem Fernseher verbracht haben. So weit ist es mit seinem TSV gekommen: Bekommt nicht mal mehr eine ordentliche Trainerentlassung zustande. Seit fünf Wochen ist der Ober-Löwe nicht mehr im Dienst, ist es ruhig geworden um die Stadion-Affäre. Die Ermittler ermitteln, der Junior sitzt weiter in U-Haft, doch die Folgen von Wildmoser-Gate wirken unvermindert und für jedermann sichtbar in die Geschicke des Noch-Bundesligisten TSV 1860 München hinein. Die bewegten Tage der Wildmoser-Demission provozierten: eine Vereinsführung, die den Namen nicht verdient; einen Präsidenten, dem es nicht gegeben ist, einen Bundesligisten zu führen; einen Vize, der das Ende seiner Politiker-Laufbahn nicht verwunden hat; einen seit Jahren solide arbeitenden Sportdirektor, dem plötzlich Rolf Rüssman vor die Nase gesetzt werden soll; und nicht zuletzt einen Trainer samt Mannschaft, die schon auf dem Mond trainieren müssten, um sich von dem Chaos nicht anstecken zu lassen.“
Opferlamm
Christian Zaschke (SZ 19.4.) kritisiert alle Beteiligten, auch Falko Götz: „Endlich ist Professionalität eingekehrt beim TSV 1860, das läuft ja wie am Schnürchen, nicht wahr? Es ist 17.25 Uhr am Samstag, fünf Minuten nach Spielschluss, Präsident Karl Auer und sein Sportdirektor Dirk Dufner sind nach unten geeilt zum Trainer Falko Götz, um dessen Entlassung zu vollziehen, und Dr. h.c. Hans Zehetmair, bayerischer Kultusminister a.D., der Vizepräsident, er tut oben auf den Rängen im Olympiastadion, was er am besten kann: reden. Das große Ganze erklären. Kein Bundesligapräsident kann das besser als er. Hervorragende Aufgabenteilung, endlich. Man ist beeindruckt. Zehetmair streicht seine Künstlersträhne mit großer Geste aus der Stirn, postiert sich, als wäre es dramaturgisch beabsichtigt, vor einem Bild von Falko Götz, das im Eingang zum Ehrengastbereich des Olympiastadions hängt. Die Mannschaft habe „Moral gezeigt, aber kein Vermögen“, spricht er präsidial, ein „Schlüsselspiel“ sei verloren worden, deshalb nun „einvernehmliche Trennung“. Nichts gegen Götz, einfach der Versuch, „mit einem neuen Namen und neuen Motivationsmöglichkeiten die letzten Spiele anzugehen“. Götz habe vorab sein Einverständnis gegeben. „Er sagte selbst: Dann bin ich mit meinem Latein am Ende.“ Er werde gerade noch einmal informiert, sagt Zehetmair. „Der Präsident ist ja deswegen nicht hier und kann nicht die Interviews geben, weil er runtergegangen ist zum Trainer.“ Schön bescheiden klingt er da, ein versöhnlicher Schlusspunkt, scheinbar. Es ist in Wirklichkeit, wie sich bald herausstellt, der Anfang einer Posse und sein Ende als Funktionär. Ein Geschenk für den Rest der Vereinsführung, vor allem aber eines für Falko Götz. Unten vor den Kabinen, so heißt es später, haben zur der Zeit, als Zehetmair in die Kameras spricht, Auer und Dufner mit Götz vereinbart, der Trainer solle in der Pressekonferenz Stellung zum Spiel nehmen und sich dann aus dem Staub machen. Die Entlassung würden danach Auer und Dufner publik machen. Götz hat sich nach dem Schlusspfiff von jedem einzelnen auf der Löwen-Bank verabschiedet. Er kennt sein Los. Als er aber vor der Pressekonferenz von Zehetmairs Auftritt erfährt, den die Agenturen längst verbreitet haben, nutzt er die Gunst der Stunde. Die Gelegenheit, den Verein vorzuführen, lässt er sich nicht entgehen. Entlassen? Es ist jetzt kurz nach 18 Uhr. Götz bemüht sich, in der Pressekonferenz Überraschung zu simulieren. „Das kann ich so nicht bestätigen. Ich habe mit Herrn Auer und Herrn Dufner einen Gesprächstermin für morgen vereinbart. Ich habe keine Kenntnis von den Interviews, die Herr Zehetmair führt.“ Mitgefühl schlägt ihm entgegen. Ob er noch eine Basis sieht für weitere Zusammenarbeit? Natürlich, sagt er. „Ich habe in der Halbzeitpause mit der Mannschaft gesprochen, und ihre Leistung danach hat gezeigt, dass ich sie noch erreiche.“ Eine gewagte Behauptung angesichts des matten Aufbäumens seiner Mannschaft in der zweiten Halbzeit. Aber egal. Falko Götz, 42, abgefunden mit angeblich 300 000 Euro, ist jetzt Opferlamm. Man hätte ihn nach seinem Scheitern befragen sollen. Am 12. März 2003 angetreten, um dem Verein mit dem „Jugendstil“ eine Identität zu geben, führte er das Team, den Blick visionär weit nach vorne gerichtet, an den Abgrund. 39 Spielen, elf Siege, neun Unentschieden, 19 Niederlagen. Aktuell Tabellenplatz 15 vor den Spielen gegen FC Bayern und Leverkusen. Die Turbulenzen im Verein haben die Arbeit behindert, natürlich. Die Stadion-Affäre, der Rücktritt von Karl-Heinz Wildmoser, der Machtkampf zwischen Auer, der ihm den Rücken stärkte, und Zehetmair, der ihn in Frage stellte. „Wir hatten ständig unangenehme Situationen in der Kommunikation innerhalb des Vereins“, sagt er. Er hätte auch Kraft daraus schöpfen können. Die Mannschaft zusammenschweißen. Nichts davon ist zu sehen gewesen in den letzten Spielen, auch nicht gegen den HSV. Nur Machtlosigkeit. Resignation, im Stadion mit Händen zu greifen.“
Dahingegen nimmt Elisabeth Schlammerl (FAZ 19.4.) Götz in Schutz: „Auf keinen Fall sollte Götz davon zwischen Kabinentür und Fahrstuhl erfahren. Daß Zehetmair oben auf der Tribüne sofort nach dem Schlußpfiff und damit voreilig die Trennung vom Trainer bekanntgab, hatte sicher nichts mit einem Mißverständnis in der „Löwen“-Führung zu tun, schon eher mit seinem steten Drang nach Öffentlichkeit und dem ausgeprägten Machtstreben eines Politikers. Der ehemalige bayerische Kultusminister gab bereitwillig Auskunft über die Verabredungen zwischen Präsidium und Trainer. „Wir haben vereinbart, daß wir uns im Falle einer Niederlage einvernehmlich trennen.“ Zehetmair klärte über den aktuellen Stand der Nachfolgersuche auf. „Wir werden voraussichtlich morgen den neuen Trainernamen bekanntgeben.“ Unten in den Katakomben schickten derweil Auer und Dufner den Trainer in die Pressekonferenz und verabredeten sich für danach noch einmal. Natürlich wußte auch Götz, daß das die ultimative Unterredung sein würde. Aber als die Journalisten ihn mit der Aussage Zehetmairs konfrontierten, sah er zu Recht keine Veranlassung, seine Entlassung zu bestätigen. Auer und Dufner war mittlerweile zugetragen worden, was Zehetmair angerichtet hatte, und die beiden konnten nun nicht anders, als die Trennung sofort zu verkünden, statt eine Anstandsfrist und ein längeres Gespräch mit Götz abzuwarten. Zehetmair preschte vor, um Tatsachen zu schaffen und um Präsident Auer schlecht aussehen zu lassen – und verrechnete sich dabei. Statt den Präsidentenjob selbst zu übernehmen, mußte Zehetmair nach seiner Fehlinszenierung vom Samstag unter dem Druck der Öffentlichkeit und vereinsinterner Kritiker selbst gehen. Karl Auer, der zunächst selbst demissionieren wollte, bleibt dagegen vorläufig in einem Amt, das auch ihn gelegentlich zu überfordern scheint. Im Verein gab es – zumindest bis zum Samstag – zwei Lager. Die politische Fraktion im Aufsichtsrat wußte Zehetmair hinter sich. Nach seinem vereinsschädigenden Auftritt vom Samstag hatte sich das geändert.“
Bei 1860 ist zurzeit offenbar alles möglich
Noch eine andere Variante: Markus Schäflein (taz 19.4.) spekuliert über Mobbing an Hans Zehetmaier: „Herzlichen Glückwunsch, der TSV 1860 München kann seiner Bilanz nach der Deutschen Meisterschaft 1965/1966 und dem Gewinn des Hallen Masters 1996 einen neuen Titel hinzufügen: den weißwurstgrauen Schleudersitz für die niveauärmste Trainerentlassung in der Geschichte der Bundesliga. Als Falko Götz nach dem 1:2 gegen den HSV von einem Reporter des Bayerischen Fernsehens erfahren hatte, dass Vizepräsident Hans Zehetmair soeben vor laufenden Kameras seine Entlassung verkündet hatte, reagierte Götz gelassen: „Ach so. Das ist ja schön. Ist ja wunderbar, wenn sie schon einen Neuen haben“, sagte Götz, und er schien fast erleichtert, den Tratsch- und Schieberverein München von 1860 verlassen zu dürfen. Auf seinem Rücken wurde nach dem Rücktritt von Karl-Heinz Wildmoser ein Machtkampf ausgetragen, der gestern seinen Höhepunkt erreichte. Auf die Diktatur war das Chaos gefolgt, der von Wildmoser ins Präsidentenamt gehievte Wurstwarenfabrikant Karl Auer sah sich ständigem Beschuss durch Vize Zehetmair ausgesetzt. Zehetmair ist kein Metzger, aber CSU-Politiker, ehemaliger Staatsminister sogar, was offenbar noch viel schlimmer ist. Schon unter der Woche hatte Zehetmair dem Coach nach einer Vorstandssitzung ein Ultimatum ausgesprochen, das der Darstellung Auers widersprach. (…) Vielleicht war es ja auch so, dass Zehetmair wirklich beauftragt war, die Entlassung zu verkünden, wie er behauptet hat. Und Auer und Sportdirektor Dirk Dufner („Ich habe mich selten so geschämt wie gestern“) gaben nur vor, sie hätten von nichts gewusst, um Zehetmair als Nestbeschmutzer darzustellen, der das Ansehen des ehrenwerten Klubs ramponiert hat. Dafür scheinen Auers darstellerische Fähigkeiten eigentlich zu begrenzt, aber bei 1860 ist zurzeit offenbar alles möglich.“
Immer mehr Fragezeichen tauchen auf, wenn es um die Leistungsfähigkeit des Münchner Fußballs geht
Michael Ashelm (FAZ 19.4.) vermerkt die Sorgen der vermeintlichen Fußball-Hauptstadt: „Die einzige Stadt mit zwei Bundesligaklubs, Heimat des Rekordmeisters, WM-Gastgeber und bald Standort für das modernste Fußballstadion der Welt. Wie schön, könnte man meinen, doch zwischen diesem hohen Anspruch und der Wirklichkeit klafft plötzlich eine Lücke. Immer mehr Fragezeichen tauchen auf, wenn es um die Leistungsfähigkeit des Münchner Fußballs geht. Gerade das vergangene Wochenende offenbarte mit voller Wucht die Schwächen, nachdem zuletzt schon der Korruptionsskandal um die Wildmosers und der Verlust von internationalem Renommee beim FC Bayern die Fußball-Herrlichkeit erschüttert hatten. Die neuesten Chaostage bei den „Löwen“ sind womöglich gar nicht der Wendepunkt zum Besseren, sondern der Beginn des weiteren Verfalls. Wenn die Verantwortlichen bei den Sechzigern so weitermachen, könnten sie bald mit ihrem Verein schnurstracks wieder dort landen, von wo einst ihr Wiederaufstieg begonnen hatte: in der Bayernliga. Den Fähigkeiten der gegenwärtigen Funktionäre würde die Provinzbühne wohl eher entsprechen. Das laienhafte Gebaren der Vereinsmeier bei der (erwarteten) Entlassung von Trainer Falko Götz läßt jedenfalls nicht darauf schließen, daß sich der krisengeschüttelte TSV München 1860 in guten Händen befindet. Im Gegenteil, man muß sich schon wundern, wie dilettantisch ein ehemaliger Kultusminister des Landes Bayern als Fußballfunktionär agiert. Während die Sechziger verstärkt an ihrem Abschied aus dem großen Fußball arbeiten, ist auch vom großen Nachbarn Bayern München kein glorreiches Aufbäumen mehr zu erwarten. Ohne Titel, darauf läuft’s hinaus, und wehleidig noch dazu, sucht man seit Wochen die Schuld für das eigene Unvermögen bei Schiedsrichtern oder Gegnern.“
Borussia Dortmund – Bayern München 2:0
Meinungsmacht
Philipp Selldorf (SZ 19.4.) wundert sich über bayerische Selbstkritik: „Als Oliver Kahn im TV-Interview mit den Bildern der entscheidenden Spielszene konfrontiert wurde, als er also abermals feststellen konnte, dass Schiedsrichter Merk einen Elfmeter verhängt hatte, den er in Anbetracht des Sachverhalts nicht hätte verhängen dürfen, da passierte das Ungewöhnliche: Kahn, der auf dem Spielfeld heftig protestiert hatte, betrachtete die Szene ruhig und unaufgeregt, und dann sprach er davon, dass niemand beim FC Bayern es nötig habe, den Schiedsrichter für die Niederlage verantwortlich zu machen und dass überhaupt die Suche nach externen Einflüssen kein Mittel sein dürfe, die Situation der Mannschaft im Titelkampf rhetorisch zu relativieren. Er folgte damit der moderaten Linie, welche die Autoritäten des Vereins bereits in den vergangenen Wochen eingehalten hatten. Was daran ungewöhnlich ist? Mindestens zweierlei. Zunächst, dass man es auch ganz anders kennt vom FC Bayern. Oft genug pflegten früher die Münchner strittige Schiedsrichter-Entscheidungen in Zusammenhänge einzuordnen, als ob sie der Beweis für die Machenschaften eines bösartigen Bündnisses gegen ihren Klub wären. Und oft genug hat man es erlebt, dass sie sich über angebrachte, aber ungenehme Urteile der Referees beschwerten, als ob ein Fall von systematischer Majestätsbeleidigung geschehen wäre. So nutzte der führende Bundesligaklub das Gewicht seiner Meinungsmacht und verschaffte sich noch mehr Geltung. (…) Dass sich die Bayern dieser Tage, da ihnen die Meisterschaft verloren geht, nicht auf Ausreden verlegen, ist womöglich ein respektabler Fortschritt. Auf jeden Fall ist es klug. Oder würde ernsthaft jemand bestreiten wollen, dass Werder Bremen den Meistertitel verdient?“
Er soll doch lieber sagen, dass er keine Spiele von Schalke und Bayern mehr leitet
Schwalbe oder nicht? Ulrich Hesse-Lichtenberger (taz 19.4.) ist unsicher: „Ein Schrei, ein Sturz, ein Pfiff. Zugegeben: Das ist nicht die einfallsreichste Art, die entscheidende Szene des Bundesligaspitzenspiels zwischen Borussia Dortmund und Bayern München zu beschreiben. Andererseits waren diese Worte selten so angebracht wie am Samstagnachmittag im Dortmunder Westfalenstadion. Der Pfiff entfuhr der Pfeife von Schiedsrichter Markus Merk in der 53. Spielminute und signalisierte einen Elfmeter für die Gastgeber, den Ewerthon verwandelte – wenn auch erst knapp drei Minuten später. Der Sturz passierte dem jungen Dortmunder Stürmer Salvatore Gambino, genehmerweise im Strafraum der Bayern und in unmittelbarer Nähe eines ausgestreckten gegnerischen Beins. Der Schrei – und nun Achtung! – kam natürlich aus dem Mund des so jäh Gestoppten, aber eben nur aus seinem. Es war nämlich tatsächlich nur „ein“ Schrei. Die 25.000 BVB-Fans auf der Südtribüne, die freien Blick auf das Geschehen hatten, brüllten keineswegs „Elfer!“ oder „Foul!“, wie sie das sonst zehnmal pro Partie tun. Sie kratzten sich am Kopf, blickten in ihr Bier oder bissen in eine Bratwurst, um den peinlichen Moment einer derart dreisten Schwalbe zu überspielen. Erst dann ging ihnen auf, dass Linienrichter Heiner Müller die Sache anders gesehen und das seinem Chef Markus Merk, wie jener sich später ausdrückte, „durch Körpersprache mitgeteilt“ hatte. In diesem Moment verloren die Bayern das Spiel und die deutsche Meisterschaft, außerdem noch die Fassung und die gute Kinderstube. Michael Ballack wurde für seine Proteste verwarnt, Bayerns Co-Trainer Michael Henke des Innenraums verwiesen. Eine Stunde nach diesen Ereignissen waren die Beteiligten zwar äußerlich gefasster, aber ihre Wortwahl verriet den Ärger, an dem sie immer noch würgten. „Merk hatte doch richtig Schiss“, sagte Henke und verwies auf den umstrittenen Freistoß, mit dem eben jener Schiedsrichter die Bayern 2001 zum Meister gemacht und Schalke auf den zweiten Platz verwiesen hatte. „Er soll doch lieber sagen, dass er keine Spiele von Schalke und Bayern mehr leitet.“ Aber im Leben, und der Fußball gehört ja noch immer dazu, sind die Dinge selten so eindeutig, wie sie scheinen. Die Fernsehbilder bestätigten nämlich anschließend so gegensätzliche Meinungen wie die von Ottmar Hitzfeld („Man sieht nicht, dass er getroffen wird, es ist eine Schwalbe“) und Merk („Ich wäre der Letzte, der eine Fehlentscheidung nicht zugeben würde, aber die Bilder sprechen für sich“). In der Tat wirkte das, was im Stadion noch so offensichtlich schien, beim Studium der Fernsehbilder plötzlich mehrdeutig.“
Seelenloses Ensemble
Felix Meininghaus (FTD 19.4.) erweitert die Diskussion: „Trotz passablen Beginn und überlegen geführten Spiels brach das Team von Ottmar Hitzfeld nach dem Rückstand völlig ein und ergab sich seinem Schicksal. Wie angeschlagen die Bayern derzeit sind, dokumentierte vor allem die spielentscheidende Szene: Nach dem Elfmeterpfiff dauerte es Minuten, ehe das Bayern-Rudel aufgelöst war und Dortmunds Ewerthon zur Tat schreiten konnte. Wobei es wieder einmal verwunderte, wie viel sich Oliver Kahn in solchen Momenten herausnehmen darf, ohne bestraft zu werden. Bayerns Manager Uli Hoeneß brachte die Sache dermaßen in Rage, dass er nach dem Schlusspfiff wutentbrannt und mit hochrotem Kopf in die Schiedsrichterkabine eilte, um Merk zur Rede zu stellen. Auf dem Spielfeld haben die Bayern weit weniger entschlossene Reaktionen gezeigt. Sie präsentieren sich derzeit als weitgehend seelenloses Ensemble.“
Roland Zorn (FAZ 19.4.) notiert Matthias Sammers Plädoyer für Michael Ballack: „Hätte Ballack statt Gelb-Rot ganz einfach Rot gesehen, es wäre auch vertretbar gewesen. Merk sah den letzten Auftritt des Nationalspielers in diesem emotional aufgeladenen Bundesliga-Klassiker „im Grenzbereich“. Was folgte, war eine unverhoffte und gar nicht angeforderte Ehrenerklärung für Ballack – von seiten der Dortmunder. Matthias Sammer, der Trainer der Borussia, reagierte auf eine gar nicht an ihn gerichtete Frage, ob Ballacks nervliche Verfassung kurz vor der Europameisterschaft in Portugal nicht bedenklich sei, wie ein Vorstopper des attackierten Münchner Stars. Während Ottmar Hitzfeld, Ballacks Vereinstrainer, seinen Mittelfeldspieler milde mit dem Wort „übermotiviert“ kritisierte, schlug Sammer Alarm. „Wir sollten Ballack nicht einreden, daß er schlecht ist, wir sollten dem Spieler vielmehr die Wertschätzung geben, die er woanders genießt.“ Kämpferisch hielt der Dortmunder ein Plädoyer für den Münchner. Den in Teilen der Medien zuletzt gern angegriffenen Ballack nahm Sammer vor bösen journalistischen Grätschern in Schutz. „Wir machen hier einen Spieler platt, der zum entscheidenden Mann bei der Europameisterschaft werden soll. Laßt ihn in Ruhe, wir brauchen die paar Spieler, die wir noch haben. Wir sollten uns glücklich schätzen, daß wir einen wie Ballack in Deutschland haben, und sollten ihn nicht vertreiben.“ Sammer redete sich in Rage, als ob hier ein Fall für Amnesty International zur Debatte stünde. Dabei hatte an diesem aufwühlenden Samstag nur jemand eine skeptische Frage gestellt. Um so bemerkenswerter war die Verve, mit der Ballacks „Anwalt“ Sammer argumentierte. Hier sprach jemand, der sich noch einmal lebhaft an seine eigene Zeit als heißblütiger Spieler erinnert fühlte und der ein gewisses Verständnis für Profis aufbringt, die auf dem Platz schon mal über die Stränge schlagen.“
Wir sind immer Herr unserer Zahlen
Andreas Burkert (SZ 19.4.) protokolliert den
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