indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Dienstag, 11. Mai 2004

Ballschrank

International

FC Valencia, „die beste, beständigste und leiseste Mannschaft“ (FAZ) – „Lifting für die alte Dame Juventus“ (NZZ) nach einer schlechten Saison u.v.m.

Ralf Itzel (BLZ 11.5.) erklärt das Erfolgsmodell FC Valencia, spanischer Meister: “In Spanien wird der FC Valencia nach dem Titel eines berühmten Films von Stanley Kubrick gerne „Clockwork Orange“ genannt. Orange wegen der Farbe der Trikots, Uhrwerk aufgrund der Funktionsweise. Jedes Rädchen greift in das andere, ist alleine nichts und wird bei Verschleiß sofort ersetzt und repariert. Der, der die Mechanik überwacht, heißt Rafael Benítez. Der Lebenslauf des 44-jährigen Trainers birgt einige Parallelen zu dem von José Mourinho, dem Erfolgscoach des Champions-League-Finalisten FC Porto. Beide büffelten schon in der Jugend Taktik, beide wählten nach einer bescheidenen Karriere als Kicker früh die Seitenlinie und haben in rund drei Jahren mit Sachverstand, Selbstsicherheit und Ehrgeiz vergleichsweise billige Mannschaften auf Sieg programmiert. Fußball wird von ihren Teams eher fabriziert denn zelebriert. Doch der Erfolg heiligt die Mittel. Wie in Porto stehen in Valencia die wichtigsten Akteure in der Abwehr.“

Paul Ingendaay (FAZ 11.5.) ergänzt: „Der Erfolg der Valencianer wäre weniger spektakulär, wenn er nicht vor der Kulisse des dramatischen Leistungseinbruchs bei Real Madrid stattgefunden hätte. Vor gut zwei Monaten führten die Stars um Zidane, Ronaldo und Beckham noch mit acht Punkten Vorsprung die Tabelle an und sahen wie der sichere Meister aus. Doch innerhalb weniger Wochen verspielten sie den Vereinspokal, die Champions League und am Ende, mit drei peinlichen Heimniederlagen in Folge, auch die Titelverteidigung in der Primera División. Valencia dagegen hat jedem Druck standgehalten, seine Fehler erkannt und stillschweigend korrigiert. Dabei wird niemand behaupten, das Team spiele Traumfußball. Für die großen Momente sorgen meistens andere: Real Madrid, wenn seine überragenden Künstler einen guten Tag erwischen; der FC Barcelona mit seiner leidenschaftlichen Aufholjagd in der Rückrunde, die erst nach siebzehn Spielen ohne Niederlage gebremst wurde; oder Deportivo La Coruña wie bei seinem legendären Sieg gegen den AC Mailand. Wenn es aber eine Mannschaft gibt, die sich selbst kennt und aus ihren Möglichkeiten alles herausholt, dann ist es der FC Valencia. Trainer Benítez hat früh begriffen, daß die Belastungen des europäischen Pokalwettbewerbs sowie einer Ligasaison mit 38 Spieltagen ohne vernünftiges Rotationsprinzip nicht zu überstehen wären. Wovon bei Real Madrid die Physiotherapeuten redeten, als wäre es eine Geheimwissenschaft, das praktizierte Valencia nüchtern und konsequent: Selbst ein wichtiger Mann wie Nationalspieler Baraja wurde immer wieder vom Feld geholt und zur Schonung gezwungen.“

Attraktives Kurzpassspiel mit schnellen Triangulationen

Georg Bucher (NZZ 11.5.) blickt auf die Rückrunde der Primera Division zurück: „Am Sonntag gedachte die spanische Metropole am Rio Turia ihrer Patronin, der Jungfrau der Schutzlosen, und feierte zugleich die sechste Landesmeisterschaft des Valencia FC. Wie vor zwei Jahren in Malaga wurde der Titel in Andalusien perfekt gemacht. Mit einem 2:0-Sieg gegen Sevilla durchliefen die Spieler von Rafael Benitez das Ziel. Am 19. Mai im Uefa-Cup-Final gegen Marseille können die Levantinos ihrem Palmarès eine weitere Trophäe hinzufügen. Was umso erstaunlicher ist, als Sparzwänge das Verhältnis zwischen Präsidium und Trainer im vergangenen Sommer arg strapaziert hatten. Davon unbeeindruckt zeigte die ausgeglichen besetzte Equipe mit nüchtern-minimalistischen Auftritten Beständigkeit, die den Unterschied zu den Starteams aus Madrid und Barcelona markierte. Deren Niederlagen hatten die Vorwegnahme der Fiesta nach der drittletzten Runde erst ermöglicht. Mit einer aussergewöhnlichen Performance in der Rückrunde (42 von 48 möglichen Punkten) war der FC Barcelona aus der unteren Tabellenhälfte an die Spitze vorgestossen. Der lange umstrittene Trainer Frank Rijkaard wurde als Fachmann akzeptiert, und Ronaldinho entwickelte sich vom Nur-Ballkünstler zur charismatischen Figur. Auch Angebote jenseits von Gut und Böse wie jenes von Chelseas Krösus Abramowitsch könnten den Publikumsliebling nicht aus Katalonien weglocken, versichert der Präsident Joan Laporta. Da die Mannschaft attraktives Kurzpassspiel mit schnellen Triangulationen verbindet, der im Dezember von Juventus ausgeliehene Edgar Davids Abwehr und Mittelfeld gleichermassen stabilisiert hat und Ronaldinho weiterhin Tore (insgesamt 14) garantiert, scheint Barça auch in der Lage, den schwächelnden Titelhalter Real Madrid vom zweiten Platz zu verdrängen und direkt in die Champions League einzuziehen.“

Juventus Turin steht nach einer schwachen Saison vor einem Schnitt; Peter Hartmann (NZZ 11.5.) teilt mit, warum und wohin die Reise geht: „Es war nicht klar, ob Marcello Lippi im Stadio delle Alpi einfach dem Ausgangstunnel zustrebte. Er begann zu traben. Aber dann setzte von den Rängen der Beifall ein wie warmer Regen, und der Trainer, der mit Juventus fünf Meistertitel und eine Champions League gewonnen hat, beschleunigte seine Schritte. Es wurde eine Ehrenrunde daraus, Lippi fiel sogar in einen gemässigten Freuden-Galopp – am Ende einer Saison, die eine einzige Enttäuschung wurde mit dem dritten Platz und dem frühen Abschied aus der Champions League. Der früh ergraute Trainer, der so aussieht wie Paul Newman vor 20 Jahren, nahm seine Brille ab und rieb sich einige Tränen aus den Augen. Ein Mann zeigte Gefühle. Mit 56 hat er einen Zyklus beendet, wie die erkaltete Mannschaft, von der er sich jetzt trennt. Juventus muss sich neu erfinden, und Lippi wird wahrscheinlich Nachfolger des Commissario tecnico Giovanni Trapattoni, es sei denn, Italien wird Europameister und „Trap“ macht weiter. Der Schnitt wird hart sein. Vor drei Jahren war dem Generaldirektor Luciano Moggi ein Geniestreich gelungen, als er den Star Zidane an Real verkaufte und der Squadra mit Buffon, Thuram und Nedved ein neues Rückgrat einpflanzte. Juventus gewann zweimal in Folge die Meisterschaft und verlor vor einem Jahr den Final der Königsklasse erst in der Penalty-Lotterie gegen Milan. Die Marktstrategie hängt vom neuen Trainer und von den Zwängen des Sparens ab, denn nach sechs Jahren mit positiven Jahresabschlüssen ist nun auch die „alte Dame“ trotz aller Bilanzkosmetik mit rund 30 Millionen Euro ins Minus gerutscht. (…) Das Fiasko von Juventus hat sich über Monate hinweg angekündigt. Es war begleitet von sporadischen Einvernahmen in einem langwierigen Dopingprozess – das mag Zufall sein, hat aber immer wieder Spekulationen um den „muskulösen“ Stil von Juventus angeheizt. Die Leistungseinbrüche einzelner Spieler waren frappant. Pavel Nedved, Europas Fussballer des (vergangenen) Jahres, über den Lippi witzelte, er renne „auch noch im Schlaf“, verfiel in eine Art Leerlauf. Der Sympathieträger Alessandro Del Piero musste zwei längere Verletzungspausen einlegen und kam nie in Form. Er hat sich am letzten Freitag in einer völlig neuen Rolle versucht, als Verkünder der neuen Bescheidenheit: In einem überfüllten Hörsaal der Universität Turin (das Stadio delle Alpi hingegen blieb in dieser Saison halbleer) dozierte er vor der überwiegend weiblichen Studentenschaft über die Gründe, weshalb er und seine Kollegen eingewilligt haben, sich die Saläre um 30 Prozent kürzen lassen.“

Thomas Roser (NZZ 11.5.) skizziert die Lage des polnischen Fußballs: “Obwohl die Vorentscheidungen im Kampf um Meisterschaft und Abstieg gefallen scheinen, sind die Zuschauerzahlen in der chronisch krisengeschüttelten „Ekstraklasa“ am Steigen: Im April wurde anlässlich der Classique Lech Posen – Legia Warschau mit 29 000 gar der grösste Zuspruch an einem Ligaspiel im vergangenen Jahrzehnt registriert. Der stagnierende Transfermarkt im Westen hat den Exodus der heimischen Kicker gestoppt, einige „Legionäre“ gar zur Rückkehr nach Polen bewogen: Die Qualität hat sich dadurch merklich verbessert. Selbst das in der EM- Qualifikation kläglich an Lettland gescheiterte Nationalteam zeigte im letzten halben Jahr einen deutlichen Formanstieg. Immerhin konnten die „Weissen Adler“ im November in aller Freundschaft gar die hoch favorisierten Azzurri besiegen. Mit den Finanzproblemen des Liga-Sponsors Canal plus war der Grossteil der Klubs vor zwei Jahren in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten geschlittert. Doch nach der kräftigen Absenkung der Spielergehälter sehen zumindest einige der Vereine etwas Licht am Ende des Tunnels: Das zuletzt anziehende Wirtschaftswachstum in Polen scheint die Suche nach potenten Sponsoren wieder zu erleichtern. Zur Freude der Fans zeitigen auch die Bemühungen des Fussballbundes PZPN zur Erneuerung der baufälligen Stadien endlich Erfolg. Mit Polonia Warschau und dem Aufsteiger Swit Nowy Dwor haben nun auch die letzten A-Klubs ihre Stadien mit Flutlicht aufgerüstet. In der neuen Saison sollen die Fans endlich auch besser vor den Widrigkeiten des Wetters geschützt werden. Nach den Plänen des Verbandes sollen Spielgenehmigungen nur für Stadien erteilt werden, die zumindest über eine überdachte Tribüne verfügen.“

Internationaler Fußball am Wochenende: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Zuschauerzahlen NZZ

Ballschrank

Bundesliga

Sonntagsspiele in Bochum und Rostock – Paul Freier, Bochumer und Leverkusener Spekulationsobjekt – 1860 München erfährt das Mitleid der Beobachter; neuer Trainer Gerald Vanenburg schon in der Kritik – 1. FC Kaiserslautern, dieses Jahr so gut wie gerettet, doch wie geht es weiter? „die schlechte Phase wird sportlich und finanziell noch lange andauern“ (NZZ) u.v.m.

VfL Bochum – SC Freiburg 3:0

Alle Bochumer feiern, bis auf einen, meldet Richard Leipold (FAZ 11.5.): „Während die Bochumer auf die in solchen Fällen übliche Ablösesumme spekulieren, läßt Bayer offen, ob Freier in diesem Jahr wechseln soll oder, dann ablösefrei, im nächsten. Auf eine solche Hängepartie will der VfL sich nicht einlassen. Cheftrainer Peter Neururer kündigte an, er werde nach dieser Saison in jedem Fall auf Freiers Dienste verzichten. „Ob er dann noch einen Vertrag bei uns hat, weiß ich nicht, aber er wird in der nächsten Saison definitiv nicht mehr für den VfL Bochum spielen.“ Mit dieser Drohkulisse hofft der Trainer die ins Stocken geratenen Verhandlungen zu beleben. „Wollen doch mal gucken, ob Leverkusen einen Spieler verpflichtet, der ein Jahr auf der Tribüne sitzt – und sie haben ihn ja verpflichtet.“ Auf diese Möglichkeit habe er den Leverkusener Manager Reiner Calmund und auch den Bayer nahestehenden DFB-Teamchef Rudi Völler hingewiesen. Der Bochumer Trainer will seine Ankündigung nicht als Bluff in einem grotesken Transferpoker verstanden wissen. „Die denken vielleicht, ich rede viel“, sagt Neururer, „aber ich falle nicht um.“ Sein Entschluß, ohne Freier zu planen, sei mit der Vereinsführung abgestimmt. „Ich habe die Rückendeckung des Präsidenten.“ Die Leverkusener wollen offenbar abwarten, ob sie wenigstens einen ihrer Spitzenverdiener teuer verkaufen können. (…) Der sportlich hochveranlagte, aber einfach strukturierte Freier ist in einen Widerstreit der Interessen von Vereinen und „Beratern“ geraten, auf den er keinen Einfluß mehr hat. Vor diesem Hintergrund wird allmählich klar, warum er seit vielen Wochen unter Form spielt, obwohl seine Bochumer Kollegen Fußball nach dem Lustprinzip zelebrieren.“

Hansa Rostock – 1860 München 3:0

München spielte fast mitleiderregend

Dirk Böttcher (taz 11.5.) schildert Rostocker Easy-Going und Münchner Tristesse: „“Wir wollen Freibier für alle“, hatte der Anhang bereits ab der 75. Minute skandiert, und der Verein tatsächlich zog sich die Spendierhosen an: Bis 20 Uhr trank halb Rostock auf Hansas Deckel, woraufhin die Spieler noch beim Auslaufen gefeiert wurden. Nach Ausschankschluss im Ostseestadion entwickelte sich vor den Stadiontoren ein spontanes Spiel: hundert gegen hundert mit einem Ball – was selbst die Polizei zu Freudentränen rührte. Weniger ausgelassen ging es bei den Münchener Löwen zu. Die sitzen nach der Niederlage derart tief im Abstiegsschlamassel, dass Präsident Karl Auer in den Katakomben bereits vom „sofortigen Wiederaufstieg“ nuschelte, der „selbstverständlich“ sei. Viel gab es ja auch nicht mehr zu sagen, nach diesem Nulldrei, von dem Gerald Vanenburg meinte: „Wir müssen damit zufrieden sein.“ Stimmt! Es hätte ebenso ein 0:5 sein können – und 1860 hätte immer noch zufrieden sein müssen. Münchens Trainer war der Einzige, dem es in Rostock trotzdem nicht die Sprache verschlug. Die Pressekonferenz eröffnete er mit der Feststellung: „Okay, das war heute nicht so schön für uns. Das Leben ist schwer, aber wir haben noch zwei Spiele.“ Und vier Punkte Rückstand wohlgemerkt. Der Gute-Laune-Trainer verriet: „Ich weiß, wo das Problem liegt.“ Nur sagen wollte er es nicht. Auf jeden Fall scheint es etwas Ernstes zu sein, denn München spielte fast mitleiderregend. (…) Im Spiel sah es dann meist so aus wie in der 62. Minute. Da stand Lance Davids an der Seitenlinie zum Einwechseln bereit und als Schiedsrichter Kircher die Partie unterbrach, um Davids Zutritt zum Spiel zu verschaffen, wollte kein Sechziger runter. Vanenburg brach den Vorgang ab, zeterte mit Davids – und das Spiel ging weiter. Eine Minute später folgte der zweite Versuch: Wieder Davids an der Seitenauslinie, wieder wollte keiner runter – bis Marco Kurz ein Einsehen hatte und vom Platz trottete. Die zum Abklatschen ausgestreckte Hand Vanenburgs übersah Kurz kurzerhand und trat dafür entschlossen und ausdauernd gegen die Auswechselbank. So energisch hatte man ihn in den ganzen 60 Minuten zuvor nicht erlebt.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 11.5.) sucht nach Ursachen des Münchner Niedergangs: „Vanenburg scheint ratlos. Der sonst immer so freundliche Holländer wollte am Tag nach dem Spiel nichts sagen, angeblich, weil er keine Zeit hatte. Er muß sich in seinem dritten Spiel als Trainer der „Löwen“ vorwerfen lassen, die Rostocker mit falscher Taktik zum Kontern eingeladen zu haben. Im Abstiegskampf mit drei Stürmern auf des Gegners Platz anzutreten ist beinahe schon fahrlässig. Allerdings hat das Münchner Desaster schon viel früher begonnen – spätestens am Ende der vergangenen Saison. Zum einen waren routinierte Profis wie Martin Max und Thomas Häßler aus Kostengründen durch Talente aus dem eigenen Nachwuchs ersetzt worden, zum anderen haben die „Sechziger“ Spieler verpflichtet, die als Schnäppchen galten, die Erwartungen allerdings nie erfüllten. Verantwortlich sind dafür in erster Linie der inzwischen zurückgetretene Präsident Karl-Heinz Wildmoser, außerdem der vor drei Wochen entlassene Trainer Falko Götz und Sportdirektor Dirk Dufner, der einzige aus dem Triumvirat, der noch im Amt ist. Die Frage ist, wie lange. Wahrscheinlich hat Präsident Karl Auer aber noch eine viel größere Sorge im Falle des Abstiegs: die der Finanzierung des Unternehmens zweiter Klasse.“

Joachim Mölter (FR 11.5.) berichtet Kritik an Trainer Vanenburg: „Die Fans fangen an, an ihm rumzunörgeln, obwohl sie ihn erst vor drei Wochen freudig als Retter begrüßt haben. Nun möchten sie wissen, wie er bloß auf die Idee gekommen ist, in Rostock mit drei Stürmern anzufangen. Der Holländer kann es ihnen nicht erklären, er muss noch schnell heim nach Eindhoven fliegen: Am Dienstag hat er eine Prüfung für die A-Lizenz als Trainer. „Der dritte Anfänger hintereinander, den sie geholt haben“, schimpft ein Anhänger auf die Clubverantwortlichen.“

Steht derzeit alles zur Disposition bei 1860?

Gerald Kleffmann (SZ 11.5.) fügt hinzu: „Noch ist nicht entschieden, ob Vanenburg bleibt, sagt Auer. Gespräche sollen folgen, diese Woche, nächste Woche. Der Präsident verriet: „Wir werden Fragen stellen, erwarten klare Antworten.“ Ob es so kommt, ist fraglich, bisher weiß keiner, was Vanenburg will. Zweifel regen sich ob dieses Zögerns, Hofmann deutete an, dass die Arbeit der Stimmungskanone Vanenburg auch kritisch betrachtet wird: „Götz war zu streng, bei Gerald haben wir nur einen Punkt aus drei Spielen.“ Und das mit drei verschiedenen Aufstellungen. Der oftmals unterschätzte Auer hat dies registriert, sein Kommentar zeigt ungewohnten Biss: „Wir denken auch über Alternativen nach.“ Trainer, Spieler, Taktik, Jugendkonzept, selbst die Rückkehr ins alte Grünwalder Stadion wird in Vereinskreisen wieder stärker diskutiert – steht derzeit alles zur Disposition bei 1860? Offenbar.“

Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 11.5.) fasst zusammen: „Klaus Toppmöller, heute Trainer des Hamburger SV, ahnte es schon zu Saisonbeginn: „Ich hatte sie als Absteiger auf der Rechnung.“ Auch Andere wussten früh Bescheid. Schon vor dem Derby gegen den FC Bayern am 25. April hatte die Geschäftsführung begonnen, für die zweite Liga zu planen. „Sonst wären wir naiv“, sagt Geschäftsführer Detlef Romeiko. Einer, der im Grunde nicht mehr mitplanen muss, ist Sportdirektor Dirk Dufner. Die Entlassung des im April 2000 verpflichteten Juristen zum Saisonende gilt als sicher; die Mitglieder des Aufsichtsrates sind mehrheitlich gegen ihn. Dufner werden neben eher unspektakulären Flops vor allem die teuren Fehleinkäufe von Janne Saarinen (1,5 Mio. Euro) und Fernando (2,25 Mio. Euro) angelastet. Am schwerwiegendsten aber ist der Vorwurf, der Mannschaft in vier Jahren keinerlei Perspektive nach oben eröffnet zu haben. Zu einer schwierigen Angelegenheit werden die Finanzen des Vereins. Von knapp 13 Mio. Euro in der Bundesliga werden die Fernsehgelder auf gerade mal 2,7 Mio. Euro in der zweiten Liga sinken. Die große Mehrzahl der Sponsoren wird ihre Investitionen im Falle der Zweitklassigkeit um 50 Prozent reduzieren; Hauptsponsor Liqui Moly gab bislang 1,5 Mio. Euro pro Jahr. Firmeninhaber Ernst Prost schimpft jetzt: „Der ganze Zirkus im Umfeld hat einen Imageschaden verursacht. Ich weiß nicht, welche Sponsoren da zukünftig noch einsteigen.“ Immerhin, Hacker-Pschorr will es, ab der neuen Saison bis zum Jahr 2010. 6 Mio. Euro will die Brauerei geben. Aber: Als diese Zahl genannt wurde, standen die Löwen noch auf einem rettenden Rang. Bis zum 30. Juni 2005 läuft der Vertrag zwischen 1860 und der Olympiapark München GmbH, wonach die Löwen ihre Spiele im Olympiastadion austragen. Dieser Vertrag ist bindend; alle derzeitigen Diskussionen, die Sechziger würden im Falle eines Abstieges für ein Jahr ins Grünwalder Stadion – die morbide, altehrwürdige Arena an der Grünwalder Straße – zurückziehen, gehen an der Realität vorbei. Danach finden die Spiele, auch bei Zweitklassigkeit, definitiv in der neu erbauten Allianz-Arena statt. Entgegen vielerlei Gerüchten steht die Finanzierung für München 1860 auch im Falle eines Abstieges.“

Die schlechte Phase wird sportlich und finanziell noch lange andauern

Martin Hägele (NZZ 11.5.) kann nicht alle Sorgen und Bedenken in Kaiserslautern entkräften: „Als Klaus Fuchs, in der Fussballabteilung des VW-Konzerns zuständig für Marketing und Organisation, am Samstagmorgen in der Innenstadt von Kaiserslautern spazieren ging, traf er viele alte Bekannte. Manche von ihnen erzählten dem ehemaligen Geschäftsführer des Pfälzer Traditionsklubs, sie hätten sich inzwischen abgewandt vom Betzenberg. Fuchs: „Die Leute haben resigniert, die sind enttäuscht, was dort oben in den letzten Jahren abgegangen ist. Um den FCK herrscht Negativstimmung.“ Ein paar Stunden später wurde der leitende Angestellte des VfL Wolfsburg im Fritz-Walter-Stadion dann gewahr, dass der Mythos um seine alte Firma doch noch halbwegs lebt. Durch den 3:2-Erfolg gegen die Niedersachsen setzten sich die „Roten Teufel“ um vier Punkte aus der Abstiegszone ab; auch weil die zuletzt als „Null-Bock-Gruppe“ und wegen ihrer „Fremdenlegionärs-Mentalität“ an den Pranger gestellte Mannschaft in puncto Kampf und Einsatz imponierte. Dass diese Art von Teamgeist – früher eine Selbstverständlichkeit für jeden, der ein rotes Trikot trug – erst in allerhöchster Not geboren wurde, mochte selbst Coach Jara nicht verheimlichen: „Die Spieler wollten hier nicht als Absteiger gebrandmarkt werden und auch nicht als Absteiger zu einem anderen Klub wechseln.“ (…) Bevor es richtig Sommer wird im Fritz-Walter- Land, müsste nur noch geklärt werden, wer den Traditionsverein in welcher Form führt. Nachdem die Zugehörigkeit zur ersten Klasse zu 99 Prozent gesichert ist, könnte René C. Jäggi die Pfälzer nun ja verlassen, wie er das angekündigt hat. Der Schweizer müsste nur noch einen Nachfolger präsentieren. Andererseits favorisiert der Vorstandsvorsitzende die Umwandlung des Vereins in eine Kommanditgesellschaft – dann könnte er als gut bestallter Generalbevollmächtigter den FCK von Basel aus regieren. Ein moderner Pendler halt, wenn’s pressiert nimmt man den Helikopter, und die von Jäggi so geschätzte Medienpräsenz bliebe ihm erhalten. Die zweite Saison seines FCK- Mandats bescherte ihm längst nicht mehr so viele positive Schlagzeilen wie zu Beginn, als die Südwestregion dem Sanierer wie einem Heilsbringer zu Füssen lag. Demnächst startet vor diversen Gerichten eine ganze Reihe von Prozessen gegen die ehemalige Vereinsführung um die Vorstände Jürgen Friedrich, Robert Wieschemann und Geschäftsführer Gerhard Herzog, für Jäggi „Scharlatane, die den Goodwill der Menschen missbraucht haben“. Umgekehrt hat die alte Funktionärsriege ihren Nachfolger verklagt; der habe sich mehrfach bei Personalentscheidungen über die Satzung und das Aufsichtsratsgremium hinweggesetzt. Es werden auf jeden Fall keine schönen Zeiten für Menschen, die mit dem Herzen an diesem Verein hängen. Und so, wie es aussieht, wird die schlechte Phase sowohl sportlich als auch finanziell noch lange andauern.“

Ballschrank

Gespräch mit Oliver Kahn und: Wer wird WM-Ausrichter 2010?

SZ-Werkstatt- und Strafraumgespräch mit Oliver Kahn über seine Autobiografie – „der FC Bayern kommt finanziell auch ohne Titel aus“ (FAZ) – Felix Magath hat viel Kredit in Stuttgart verspielt (SZ) – wer darf die WM 2010 ausrichten? sehr wahrscheinlich Südafrika, vielleicht Marokko, Ägypten eher nicht; oder doch? – Blutspenden für Union – Thailands Premierminister Thaksin Shinawatra kauf Teile des FC Liverpool – Theater auf Schalke u.v.m. (mehr …)

Montag, 10. Mai 2004

Ballschrank

Bremen feiert ausgelassen, „die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene“

„schöner geht’s nicht“ (FAS); „danke, SV Werder“ (SZ); „die Welt sieht seit Samstag, 17.15 Uhr, etwas schöner aus Uhr“ (FTD); „Werder Bremen, Meister mit Stil“ (NZZaS); „grün-weiße Sause, ein Tisch mitten ins Bayern-Herz“ (FAZ); „die Low-Budget-Mannschaft aus Bremen ist zum Kronjuwel der Liga geworden“ (FAZ); Verbeugung vor Thomas Schaaf, „man kann sagen, dass schon lange nicht mehr so viel Trainer in einem Titel steckte“ (BLZ) und Klaus Allofs; Bremen feiert ausgelassen, „die Mediterranisierung der norddeutschen Tiefebene“ (SZ) – „noch Fragen? die Münchner haben alle ihre Antworten für die Saison erhalten“ (FAS); FC Bayern München bleibt „die Rolle des Getränkelieferanten“(NZZaS); „FC Mutlos“ (FR); „Ottmar Hitzfeld erinnert an Helmut Kohl“ (FTD); „Pannen-Olli“ (FAZ) – Jupp Heynckes, „ein Kind des Bökelbergs“ (SZ) – HSV rehabilitiert sich – Eintracht Frankfurt ohne Herz und Mumm, „selten ist ein Abstieg undramatischer und emotionsloser über die Bühne gegangen“ (SZ) u.v.m. (mehr …)

Freitag, 7. Mai 2004

Ballschrank

Fußball am Samstag

Vorteil Frankreich, „Galliens Kicker haben die bessere Kinderstube“ (FAZ) – „Anne Grenzstraße“ (FAZ, die Heimat Schalke 04s – SZ-Interview mit Thomas Schaaf über seinen Führungsstil und über den Umgang der Bayern mit Ottmar Hitzfeld – FAZ-Interview mit Bixente Lizarazu über seinen Abschied aus Deutschland – die FAZ empfiehlt Bücher über die WM 54 – vor 30 Jahren gewann der 1. FC Magdeburg den Europapokal, heute hofft „erfolgreichste Mannschaft des DDR-Fußballs“ (Tsp) auf ein bisschen Erfolg u.v.m.

„Galliens Kicker haben die bessere Kinderstube“, schreibt Christian Eichler (FAZ 8.5.), den Fußball Frankreich und Deutschland vergleichend: „Früher war die Welt gerechter: Die Franzosen hatten das bessere Essen, die Deutschen den besseren Fußball. Dazu muß man nur sieben magere Jahre zurückgehen. 1997 war Frankreich noch nicht Weltmeister, auch nicht Europameister, das war Deutschland; im Finale von Champions League und UEFA-Cup standen deutsche Klubs (Dortmund und Schalke, beide gewannen). Heute stehen dort Monaco und Marseille, und das ist, gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der Ligue 1, die deutlich weniger TV- und Ticket-Einnahmen hat als die Bundesliga, noch erstaunlicher als die majestätische Stärke der Equipe Tricolore. Die hat den WM-Rückschlag von 2002 mit zuletzt 14 Siegen in Folge weggesteckt und gilt als EM-Favorit. An diesem Samstag könnte die französische Festwoche komplett werden. Falls Werder Bremen mit einem Sieg in München vorzeitig die deutsche Meisterschaft gewinnen sollte, bekäme die begehrteste Salatschale Deutschlands ein französisches Dressing. Die Klasse von Werder fußt nicht zuletzt auf der „French Connection“ von Manager Klaus Allofs, der drei Jahre in Marseille und Bordeaux spielte. Sprachkenntnisse und alte Verbindungen halfen mit, Spielkünstler Micoud und Abwehrkönner Ismaël zu holen. Beide boten beste französische Schule für überschaubares Geld und wurden auf ihren Positionen Bestbesetzungen der Bundesliga. Frankreichs Fußball genießt Bildung am Ball, Esprit durch Erziehung. Ein Genie wie Zidane läßt sich nicht erfinden – aber die anderen zehn, die auch ein Zidane braucht, kann man finden und formen, mit der kostbaren Kombination aus Technik und Taktik, Lockerheit und Freude. Dieses pädagogische Denken, das Deutschland und sein Fußball erst langsam entdecken, praktiziert Frankreich mit seinem vorbildlichen Internatssystem, in das viele französische Klubs mehr investieren als in Stadien oder Räumlichkeiten der Profi-Abteilung. Aus dieser fußballerischen Wertschöpfung resultiert immer wieder neu die Stärke der französischen Klubs.“

Anne Grenzstraße

Seite 3 – Jörg Stratmann (FAZ 8.5.) verortet die Heimat Schalke 04s: „Das Verhältnis des FC Schalke zur Stadt Gelsenkirchen war in der jüngeren Vergangenheit nicht immer das beste. Assauer wäre der letzte, der einen Hehl daraus machen würde – nach all dem Hin und Her Ende der neunziger Jahre, als es darum ging, dem Verein ein neues, zukunftsweisendes Stadion zu errichten. Um das marode Parkstadion, anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 erbaut, zu einer reinen Fußballarena umzubauen, wären seinerzeit vierzig bis fünfzig Millionen Mark nötig gewesen. Die hatte Schalke nicht und die Stadt schon gar nicht. Deshalb nahm der Klub, obgleich damals in akuter Abstiegsgefahr, seine Zukunft selbst in die Hand und stemmte das Projekt Arena „Auf Schalke“ auf breiter Grundlage mit der „FC Schalke-04-Stadion-Beteiligungsgesellschaft mbH & Co. Immobilienverwaltungs-KG“. Zu den Gesamtkosten von rund 185 Millionen Euro steuerten schließlich sogar die Fans mehr bei als die finanzklamme Kommune. Während Gelsenkirchen nach heutigem Wert mit rund 4,8 Millionen Euro dabei war, trugen die engsten Freunde des Vereins ein zinsloses Darlehen von gut 7,5 Millionen zusammen, indem sie jeweils für 250 Euro einen Baustein erwarben. Der Klub bedankte sich dafür mit Gutscheinen für den Fanshop, aufgeteilt in zehn Jahresraten zu je 25 Euro, und dem Versprechen, den Namen jedes Spenders deutlich sichtbar im Stadion zu verewigen. So entstand als steinernes Sinnbild der Verbundenheit eine imposante Mauer, vor der jeder, sagt Assauer, seinen Enkeln dereinst einmal vorschwärmen könne: „Guck mal, Opa hat damals mitgebaut.“ So gern Assauer von sich das Bild des knallharten Machers und Machos pflegt, eingehüllt in den Dunst der unvermeidlichen Zigarre – wenn er auf diese Spendenaktion zu sprechen kommt, dann wird die Miene des Managers jedesmal weich. Doch wehe, wenn auch die Kommunalpolitik ins Schwärmen gerät über das neue, weit über die Stadtgrenzen hinaus berühmte Schmuckstück. Dann hebt Assauer die Augenbrauen so kühl, vorwurfsvoll und hochmütig wie in seinen Werbespots, wo ihm die Lebensgefährtin fortlaufend das frisch gezapfte Pils wegtrinkt. Diesen Blick konnte er sich selbst in dem Moment nicht verkneifen, als er kürzlich neben Oberbürgermeister Oliver Wittke (CDU) das Programm der Geburtstagsfeierlichkeiten vorstellte und das Stadtoberhaupt dabei wortreich seinen Stolz auf das Aushängeschild Schalke 04 und dessen Bedeutung für die Kommune hervorhob. Immerhin, man sitzt wieder gemeinsam auf einem Podium. Als er vor sechs Jahren mit den Plänen für die Arena an die Öffentlichkeit ging, beantwortete Assauer die Frage, wie denn Gelsenkirchen diese privatwirtschaftliche Initiative danke, noch mit triefendem Sarkasmus. „Mit 35 Millionen Mark“, sagte der Manager. „So viel durften wir fürs Grundstück zahlen.“ Wie gesagt, das Verhältnis hat sich wieder gebessert. Ohnehin kann einer nicht ohne den anderen. Denn wo liegt Schalke? Als sich 1929 Schwedens König bei Ernst Kuzorra danach erkundigte, soll der berühmteste Kicker der Stadt geantwortet haben: „Anne Grenzstraße“. Das wird Ihrer Majestät nicht weitergeholfen haben, doch war schon damals klar: Dieser Ortsteil liegt nicht nur geographisch gesehen mitten im Herzen Gelsenkirchens.“

Ich weiß gar nicht, wie man sich das Recht herausnehmen kann, Hitzfeld in dieser Art und Weise zu kritisieren
SZ-Interview mit Thomas Schaaf über seinen Führungsstil und über den Umgang der Bayern mit Ottmar Hitzfeld

SZ: Ihr Führungsstil gilt als tolerant.
TS: Es nützt mir jedenfalls nichts, wenn ich alles vorgebe und sage: Du musst das machen und das machen. Eine Mannschaft besteht aus elf Typen, die alle auf ihre Art etwas Besonderes haben. Das darf ich nicht kaputtmachen, sondern muss es in richtige Bahnen lenken.
SZ: Wie ist die berühmte Mittelfeld-Raute mit Baumann, Ernst, Lisztes und Micoud entstanden, mit der Werder meist die Gegner beherrscht? War das allein Ihre Idee oder waren die Spieler demokratisch daran beteiligt?
TS: Natürlich höre ich mir die Meinung von Johan Micoud oder anderen an. Wir haben einfach geguckt, wie es am besten passen könnte.
SZ: Wer ist wir?
TS: In erster Linie ich, Klaus Allofs und meine Co-Trainer. Man probiert ja viel, und irgendwann hatte sich das System so eingespielt, dass jeder es mit Überzeugung annahm. Jetzt funktioniert es, selbst wenn mal zwei fehlen.
SZ: Beim FC Bayern steht schon fest, dass Ihr Kollege Ottmar Hitzfeld spätestens in 14 Monaten gehen muss. Die Klubführung hat öffentlich an ihm herumgemäkelt. Wie wären Sie mit so einer Situation umgegangen?
TS: Diese Situation ist unglaublich. Ottmar Hitzfeld hat mit seinen Mannschaften schon so viele Erfolge gehabt und tolle Leistungen gezeigt. Ich weiß gar nicht, wie man sich das Recht herausnehmen kann, so einen Mann in dieser Art und Weise zu kritisieren.
SZ: Hätten Sie lieber gleich Konsequenzen gezogen?
TS: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was ich einmal zu den Werder-Verantwortlichen sagte: Wenn ihr der Meinung seid, es passt nicht mehr, sagt mir das. Dann braucht man nicht rumzueiern.
SZ: Wie kann man normal bleiben in diesem Geschäft, in dem mancher Ihrer Kollegen der Hybris, dem Alkohol oder dem Verfolgungswahn anheim fällt?
TS: Das ist eine Frage des Naturells.
SZ: Und des Humors? Sie haben die Premiere-Zuschauer neulich mit einer Anleihe an Ihren Lieblingshumoristen Loriot verblüfft.
TS: Die haben mir einen Zettel zum Vorlesen in die Hand gedrückt für einen Trailer, der die Sonntagsspiele ankündigen sollte, da war überhaupt keine Rhythmik drin. Als ich den verhauen habe, sagte ich: ¸¸Ich heiße Erwin Lindemann, bin seit 66 Jahren Bremer und am Sonntag spielt Bochum gegen Bremen.“ Da haben sich alle köstlich amüsiert. Aber ich wusste nicht, dass die das tatsächlich senden. Das war natürlich ein schönes Ding von den Kollegen.

Die Kleinen und die Großen in Bremen sind derzeit ziemlich gaga

Jan Christian Müller (FR 8.5.) beschreibt Bremer Vorfreude: “Renate von Rehbinder ist seit mehr als 40 Jahren Grundschullehrerin. Aber so etwas hat die gestrenge 62-Jährige noch nie erlebt: „Morgens, wenn ich in die Klasse komme, laufen die Jungen im Kreis herum und singen das Werder-Lied. Und die Mädchen schauen zu und lachen.“ Die Kleinen und die Großen, sie sind alle derzeit ziemlich gaga in Bremen. Wegen Werder. Am Samstag trifft sich die halbe Stadt auf dem Domshof, um auf einer Großbildleinwand das Spiel beim FC Bayern München zu verfolgen. Der Hit schlechthin in der Liga. s war gar nicht so einfach, das in Bremen zu organisieren. Fußball ist ein kompliziertes Geschäft geworden, und so stand die Übertragung erst, nachdem die Agenturen Infront, Buli GmbH und ISPR, die DFL und der Pay-TV-Sender Premiere ihr Okay gegeben hatten. Das kostbare Gut soll schließlich nicht regelmäßig vor Zigtausenden versendet werden. Eine adäquate Lizenzgebühr machte die Beteiligten schließlich gefügig: Pay-per-view unter freiem Himmel. Ach beim Tennisclub Rot-Weiß, gleich hinter der Ostkurve des Weserstadions, wird es wieder drunter und drüber gehen. Der Verein hat eigens für die Übertragungen 3000 Euro in Leinwand und Beamer investiert. Es ist zuletzt regelmäßig derart voll gewesen im Clubheim, dass die Gäste Getränke per Handy an der Bar bestellt haben, weil die Bedienungen nicht hinterherkamen. Es finden sich dieser Tage eine ganze Menge Verrückter unter den notorisch Bodenhaftung bewahrenden Bremern. Bernhard Schulze zum Beispiel, dessen Frau Melitta es noch immer nicht ganz fassen kann, dass ihr Gatte das halbe Haus grün-weiß gestrichen und zwei Werder-Rauten auf die Fassade gepinselt hat.“

FAZ-Interview mit Bixente Lizarazu über seinen Abschied aus Deutschland

FAZ: Sie haben den FC Bayern stets als Unternehmen gesehen, nicht als Fußballverein. Auch Ihre Beziehung zu dem Klub war eher eine geschäftsmäßige, keine leidenschaftliche.
BL: Überall in Europa ist Fußball doch zum großen Teil Business. Die Spieler versuchen, einen guten Vertrag zu bekommen und Titel zu gewinnen. Und der Verein will auch Titel gewinnen. Die Verantwortlichen kaufen die besten Spieler, und wenn sie nicht gut genug sind, versuchen sie, andere zu finden. Das Problem ist natürlich, daß manchmal das Menschliche auf der Strecke bleibt. Der Verein muß eben das richtige Gleichgewicht finden.
FAZ: Hat Bayern das immer gefunden?
BL: Ja. Es war immer korrekt. Ich werde Bayern in guter Erinnerung behalten. Wir haben uns gut verstanden, wir haben großen Respekt voreinander. Ich denke, jeder ist glücklich. Und ich glaube, wir werden Freunde bleiben.
FAZ: Es war sportlich Ihre erfolgreichste Zeit in München. War es auch die schönste?
BL: Das kommt darauf an, welchen Teil meines Lebens Sie meinen. Wenn man bei einem großen Klub spielt, spielt man alle drei Tage. Da bleibt zwar nicht viel Zeit, andere Dinge zu tun, aber du hast Erfolg. Deshalb war für mein Berufsleben die Zeit hier das Beste. Wenn ich den Beruf und das Privatleben zusammennehme, war Bordeaux die schönste Zeit. Da haben wir einmal in der Woche gespielt, es gab keinen Druck. Ich habe die Hälfte meiner Zeit am Meer verbracht, die andere Hälfte Fußball gespielt.
FAZ: Sie haben sich in Ihrer Heimat Frankreich immer für den deutschen Fußball stark gemacht. Was gab es für einen Grund, außer, daß Sie hier Geld verdient haben?
BL: In Frankreich ist der deutsche Fußball nicht sehr populär. Ich habe immer Werbung für die Bundesliga gemacht. Es gibt gute Mannschaften, eine gute Organisation. Ich bin sicher, daß die WM 2006 ein Riesenerfolg wird. Aber ich war allein und habe gegen Windmühlen angekämpft. Nun bin ich müde, dafür zu kämpfen.

Viele Buchtipps aus der FAZ

Thomas Klemm: „Scheinbare „Parallelwelten“ überschneiden sich, Fußballgeschichte wird zur Lebensgeschichte. Wie in Sönke Wortmanns Film „Das Wunder von Bern“ und dem gleichnamigen Roman von Christof Siemes, in dem die Geschehnisse in der Schweiz mit einer rührseligen Vater-Sohn-Beziehung aus dem Ruhrgebiet rund um den elfjährigen Matthias Lubanski verquickt werden. Oder in dem jüngst erschienenen Sammelband „Fritz Walter, Kaiser Franz und wir“, in dem 22 Autoren ihre ganz persönlichen oder popliterarisch inspirierten Geschichten rund um den Fußball zum besten geben. Für den Rundfunkreporter Manni Breuckmann blieben Pralinen, die er als Junge am 24. Juni 1958 von der Nachbarin erhielt, unverbrüchlich mit dem deutschen 1:3 gegen Schweden verbunden; Christian Eichler, Sportkorrespondent dieser Zeitung, liegt heute noch der Geschmack von „kalter Hundeschnauze“ auf der Zunge, also jenem Kuchen, den er in Wanne-Eickel während der „Hitzeschlacht von León“ 1970 zwischen Deutschland und England (3:2) verputzte; für Frank Goosens Hauptfigur verbindet sich das 0:0 zwischen Deutschland und Österreich 1982 in Gijón auf ewig mit Erdnußflips, Fanta und der Annäherung an die angehimmelte Mitschülerin Carola. Und der Protagonist von Frank Schulz spürt immer noch jenen Knutschfleck, mit dem ihn ein Mädchen während des legendären 3:4 der Deutschen gegen Italien im WM-Halbfinale 1970 überrascht hat. Man muß eben nicht aktiv an Weltmeisterschaften beteiligt gewesen sein, um zu wissen, wie ein Sieg schmeckt oder wie sich eine Niederlage anfühlt. Klaus Theweleit hingegen ist einer, der selbst Fußball gespielt hat und seine große Begeisterung in ein famoses und kenntnisreiches Buch münden läßt, in dem er den Bogen spannt von der Würdigung des niederländischen Fußballs („Brilliant Orange“) bis hin zur Trefferanalyse bei der vergangenen WM. Der Buchtitel ist Programm: Fußball bedeutet für Theweleit das „Tor zur Welt“: „Spielen hieß: Weltanschluß. Die Schnittstelle zwischen ,Ich‘ und ,Welt‘: der Ball.“ Spielend lernt ein Kicker die Welt kennen, bildet auf dem Bolzplatz seine Persönlichkeit, bekommt nebenbei ein Gefühl für die Endlichkeit. Selbst Zuschauen kann der eigenen Entwicklung dienen, so Theweleit, der bis zu seinen Knieverletzungen vor allem als Torwart auflief. „Fußball ist ein unerbittlicher Lehrer in der Anerkennung dessen, was bei Freud Realitätsprinzip (in unfußballerischen Zusammenhängen) heißt. Neunzig Minuten – das ist Spielfilmlänge; das heißt, es ist die Dramaturgie eines Lebensbogens“. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen Fußball.“

Steffen Haffner: „Ein Reiz des Buches liegt in den 215 zum Teil unveröffentlichten Fotos, die, brüniert im Sepiadruck, den 224 Seiten eine nostalgische Handschrift geben. Da ersteht eine versunkene Welt mit Menschen, deren Kleidung mit breitkrempigen Hüten und sackähnlichen Mänteln mehr bedeckt als schmückt. Deren Gesichter aber angesichts des Sensationssiegs leuchten, nicht zuletzt bei dem Triumphzug durch die deutschen Städte, den Michel detailliert beschreibt. Gegen die Begeisterung, die auch die Menschen in der DDR erfaßte, waren die Jubelfeiern nach dem Gewinn der Weltmeistertitel von 1974 und 1990 matte Routineveranstaltungen. Nur der Fall der Berliner Mauer im November 1989 hat die Deutschen ähnlich bewegt wie der Sieg von Bern. Man stelle sich nur vor, daß 90 000 Menschen ins regnerische Berliner Olympiastadion strömten, nur um der Verleihung des Silbernen Lorbeerblatts an die Weltmeister beizuwohnen. Bundespräsident Theodor Heuss dämpfte damals den im Ausland besorgt verfolgten Überschwang, der zum Beispiel DFB-Präsident Peco Bauwens zu einer vielkritisierten nationalistischen Rede hingerissen hatte: „Über diesen Sieg unserer Fußballer in der Schweiz können wir uns alle freuen. . . . Wir wollen aber auch die guten Worte über diesen Sieg nicht überspannen. Man sollte nicht glauben, daß gutes Kicken schon gute Politik sei.“ Rudi Michel hat ein Vermächtnis vorgelegt, das historisch ist, ohne zu historisieren. Ein Buch, das dem Leser den Mythos Bern 1954 bewegend nahebringt.“

Jörg Stratmann: „Zu einem Endspiel gehören schließlich auch Verlierer. Eine Selbstverständlichkeit? Bei Kasza erfährt der Leser zum ersten Mal ausführlich, daß dem deutschen „Wunder“ auf ungarischer Seite eine „Katastrophe von Bern“ mit Folgen weit über das Fußballfeld hinaus gegenüberstand. Und daß dem liebsten Sportgerät der Deutschen damit vor allem diese Titelrolle zugefallen ist: „Fußball spielt Geschichte“. Davon kann Kasza, bei allen Ausflügen in trockene Historie, spannend erzählen. Dabei weist er zugleich auf den einen oder anderen Webfehler in den Mythen hin, die sich um das Endspiel und vor allem seine Auswirkungen ranken. Vom „eigentlichen Gründungsakt der Bundesrepublik“ ist beispielsweise gern die Rede. Doch der Historiker Joachim Fest, früherer Herausgeber dieser Zeitung, erzählt dem Autor, was es mit diesem ihm zugeschriebenen Zitat wirklich auf sich hat. Er habe gesagt, daß es drei Gründungsväter der Republik gegeben habe: „Adenauer im politischen, Erhard im wirtschaftlichen und Fritz Walter im mentalen Bereich.““

Thomas Klemm: „“Ich war sofort gefangen von diesem Ton“, heißt es in der 1994 erschienenen Erzählung „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ von F. C. Delius, „da sagte ein Erwachsener in wenigen Worten endlich alles, was ich fühlte und nicht fassen konnte, ich sog die Stimme ein, ließ mich von ihr führen, heben und abwärts schaukeln.“ Herbert Zimmermann war in aller Ohren, so daß die Biographie von Erik Eggers den trefflichen Titel trägt „Die Stimme von Bern“. Dabei entstand die enorme Berühmtheit des Reporters, den Eggers als Karrieristen, Zocker und Frauenhelden mit extravagantem Auftreten beschreibt, ein bißchen zufällig: Weil es anfangs zu unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Radioreportern Herbert Zimmermann und Kurt Brumme kommt, wer das erste wichtige WM-Spiel gegen die Türkei kommentieren darf und wer bei der weniger bedeutenden Begegnung mit Ungarn ans Mikrofon muß, läßt der Teamchef Robert Lembke einen Münzwurf entscheiden. Brumme gewinnt – aber letztlich triumphiert sein Konkurrent: Weil sich die beiden Reporter abwechseln, darf der NWDR-Sportchef nach dem sensationellen Turnierverlauf das Finale kommentieren. Es war der Höhepunkt einer Radiokarriere. Acht Jahre später, nach der WM 1962 in Chile, wurde Fußball zunehmend zum Fernsehsport. Und kein Fall mehr für Zimmermann, der zuvor bewegte Bilder eher beiläufig kommentiert hatte. (…) Zimmermanns steiler Aufstieg, seine frühen Erfolge und späteren Rückschläge hat Eggers umfassend recherchiert und so sachlich-fundiert geschrieben, daß die wenigen flapsigen Formulierungen und launigen Verweise auf den heutigen Sportjournalismus um so mehr stören. Doch ist es dem Autor famos gelungen, die spannende Biographie des Radiomannes mit wichtigen Aspekten der Mediengeschichte der Nachkriegszeit anzureichern und damit auch Zimmermanns Wortwahl und Duktus zu erklären. Auch wenn Manni Breuckmann mit dessen Reportagestil nicht viel anfangen kann, wie der WDR-Reporter im Vorwort schreibt: „Zu knorrig, zu pathetisch, zu sehr Schlachten-Gemälde, zu wenig Spiel-Bild.“ Rund um das Wunder von Bern wurden viele Bücher geschrieben. Die Lebensgeschichte Herbert Zimmermanns hatte noch gefehlt.“

Besprochene Bücher
Frank Goosen (Hg.): Fritz Walter, Kaiser Franz und wir. Unsere Weltmeisterschaften; Eichborn 2004, 240 Seiten, 16,95 Euro.
Klaus Theweleit: Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell; Kiepenheuer & Witsch 2004, 208 Seiten, 8,90 Euro.
Rudi Michel, „Deutschland ist Weltmeister!“, das offizielle Erinnerungsbuch des Deutschen Fußball-Bundes zur WM 1954, Südwest-Verlag 2004, 224 Seiten, 19,95 Euro.
Peter Kasza: Fußball spielt Geschichte. Das Wunder von Bern 1954, Bebra Verlag 2004, 208 Seiten, 22 Euro.

Michael Rosentritt (Tsp 8.5.) blickt wehmütig auf die Vergangenheit des 1. FC Magdeburg: „Es duftet nach frisch gemähtem Rasen. Aber sonst? Das Ernst-Grube-Stadion, Baujahr 1954, ist eine aktive Ruine. Hier wird tatsächlich noch Fußball gespielt. Vier rostige Stahlträger lassen ihre Flutlichtköpfe hängen. Die große Anzeigetafel sieht jämmerlich aus. Tiefe Risse durchziehen ihre Fassade wie Adern, die Farbe blättert ab. Die ungarische Firma Videoton hat sie 1978 installiert. Ersatzteile gibt es keine mehr. Die kleinen Lämpchen haben den Geist aufgegeben. Oder sind es doch die Relais? Man hat einfach Reklame drübergeklebt, „Schierker Feuerstein“, ein Schnaps aus der Region. Das Stadion ist fertig. Kein Leuchten, kein Funkeln mehr. Der Rest ist Geschichte. Die Geschichte des 1. FC Magdeburg, der erfolgreichsten Mannschaft des DDR-Fußballs. Magdeburg hat eine recht ordentliche Handball-Mannschaft und Bürger, die in Ermangelung wirklicher Helden den Westdeutschen Sven Ottke zum besseren Ostdeutschen umfunktionierten. Hier startete die Karriere des Boxweltmeisters, und hier endete sie vor wenigen Wochen. Ottke trat als Champion ab – ungeschlagen. Zurück blieb eine angeschlagene Stadt. 200 000 Einwohner hat Magdeburg. Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp unter neunzehn Prozent. Magdeburg liegt an der innerdeutschen Schnittstelle, aber Frontstadt wie Berlin war sie nie. Magdeburg hat nichts Schrilles, Lautes, Spannendes. Magdeburg wirkt wie aufgesogen vom Bördeland ringsum. Die Stadt wirkt ein bisschen wie versunken, versunken wie ihr großer Fußball. m Samstag kommt noch einmal die Vergangenheit zurück. Es wird keine dieser heißen Europapokalnächte wie vor 30 Jahren. Am 8. Mai 1974 schlug der 1. FC Magdeburg den AC Mailand in Rotterdam mit 2:0 und wurde der erste und letzte Europapokalsieger der DDR. Diesen Samstag kommt der Hallesche FC, ein halbwegs guter Name aus halbwegs guten, alten Tagen der DDR-Oberliga. Auch der HFC hat es nicht geschafft in den 14 Jahren seit der Wende. So wie Dresden nicht, wie Jena, Erfurt oder Leipzig. Der VfB war 1903 erster Deutscher Meister. Jetzt ist der Traditionsverein bankrott. In den kommenden Tagen wird der VfB Leipzig aus dem Vereinsregister gestrichen. Dieses Schicksal ist dem 1. FC Magdeburg erspart geblieben. Sonst aber hat der Verein an Rückschlägen nichts ausgelassen: Spielerausverkauf, Schulden, Chaos, Insolvenz, ein marodes Stadion. Ein Dutzend Trainer ist verschlissen worden, sieben Präsidenten mussten gehen. Was soll’s? Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Heute werden 1974 bunte Luftballons aus Kinderhänden in den Himmel steigen. An jedem Ballon wird ein Namenskärtchen befestigt sein, auf dem für einen Neubau des Stadions geworben wird. Sogar Franz Beckenbauer wollte kommen, musste aber kurzfristig nach Kuala Lumpur. Malaysia statt Magdeburg.“

Jens Weinreich (BLZ 8.5.) macht einen 30 Jahre alten freistoß:
„De Rotterdamer, 9. Mai 1974: „Der 1. FC Magdeburg ist eine neue Mannschaft in der europäischen Spitze und dokumentiert die enormen Fortschritte des Fußballs der DDR.“
Berliner Zeitung, am 10. Mai 1974: „Einen begeisternden Empfang bereiteten Tausende Magdeburger auf dem Alten Markt der Bezirksstadt ihrem DDR-Fußballmeister und Europapokalsieger. Immer wieder unterbrachen Jubel, Sprechchöre und spontaner Beifall die Begrüßungsansprache des Mitgliedes des Zentralkomitees der SED und 1. Sekretärs der Bezirksleitung Magdeburg, Alois Pisnik. Der Jubel schwoll noch an, als Kapitän Zapf und Torhüter Schulze den Europapokal über ihre Köpfe hoben und schwenkten.“
Neues Deutschland, 10. Mai 1974: „Die Vorzüge des Klubs liegen in der guten athletischen Grundausbildung, hohem Tempospiel, der taktischen Disziplin, guten Willensqualitäten, einer soliden Technik, der Zielstrebigkeit, in der Mitarbeit der Aktiven bei der theoretischen und praktischen Ausbildung.““

Donnerstag, 6. Mai 2004

Ballschrank

Vermischtes

Schalke 04 und seine Fans, ein außergewöhnliches Verhältnis – Valérien Ismaël (Werder Bremen), „Muster eines mündigen Führungsspielers“ (SZ) – AS Monaco im Finale der Champions League – „leicht zu erkennen, wer Portos bester Mann ist: der Trainer José Mourinho“ (taz) – endet das Torwartmärchen Robert Enkes doch noch gut? (FAZ) u.v.m.

Der Schalker ist eine besondere Spezies Mensch

Christoph Biermann (SZ 6.5.) schreibt eine Reportage zum 100. Geburtstag Schalke 04s: „Bodo Berg wurde vor bald 50 Jahren in einer Zechensiedlung in Gelsenkirchen-Erle geboren. Bereits sein Vater war Schalke-Fan, und sein Großvater hatte sich das Vereinsemblem mit Kohlenstaub in den Unterarm tätowiert. Seit den Sechzigerjahren ist Berg mit seinem Klub durch Deutschland und Europa gefahren. Er hat Pokale mitgewonnen, ist mitabgestiegen und sagt: „Der Schalker ist eine besondere Spezies Mensch.“ Vor vier Jahren hat er diese besondere Spezies in einem Buch zu beschreiben versucht. „Mehr als ein Spiel. Aus dem Leben eines Fußballfans“ ist von einer großen Sehnsucht nach dem Gestern durchzogen. Bei vollem Bewusstsein, dass es nicht besser als das Heute war. Ganz ist diese Haltung nicht verflogen. „Es gibt nicht wenige Fans, die sagen, dass im Parkstadion alles besser war“, sagt Berg. Und wenn er selbst sich auch mit der supermodernen Arena AufSchalke längst arrangiert hat, will er nicht abstreiten, „dass ich es manchmal vermisse, beim Bier auf einen Sieg bis zu den Knien im Schlamm zu stehen“. Ein seltsamer und nicht seltener Zwiespalt ist das. Die Fans des FC Schalke 04 sind stolz darauf, dass sie es sind, die Schalke durch ein Jahrhundert getragen haben und selbst die schlimmsten Zeiten haben überstehen lassen. Sie wissen, dass ihre Anhänglichkeit den Klub unterscheidbar macht. Der Klub weiß es auch und hat daher, schon vor Jahren, als erster Bundesligist einen Fan in den Aufsichtsrat aufgenommen. „Schalke hat immer schon die Interessen der Fans hoch geachtet“ sagt Berg. Doch längst ist deren unzerstörbare Zuneigung auch ein Teil des Marketings eines modernen Unterhaltungsunternehmen, und vielleicht liegt irgendwo sogar ein Papier in der Schublade, das die Treue der Fans als Teil der Markenbildung von Schalke ausweist. Berg jedenfalls ist nicht immer wohl mit seinem Klub. „Ich habe Ernst Kuzorra noch kennen gelernt“, sagt er, „wenn man ihn heute durch den Fanshop führen würde, bekäme er einen Schreikrampf.“ Gerade jetzt ist eine ganze Reihe neuer Devotionalien im Sortiment, denn in dieser Woche feiert Schalke 04 seinen hundertsten Geburtstag. (…) Die richtige Feier mit großem Showprogramm steigt am Samstagabend, da werden in die Arena wohl 60 000 Zuschauer kommen. Wieder einmal wird der Klub von der Liebe seiner Fans fast erdrückt. „Hier kann man mitleiden wie nirgendwo sonst“, sagt Berg erklärend. Das stimmt zwar so nicht, auch anderswo fahren Anhänger mit ihren Klubs in der Gefühlsachterbahn. Aber hier geht es mehr als anderswo um Zusammengehörigkeit unter einem Dach, das Schalke 04 heißt und dieser Tage mitunter wie das Dach einer Kirche erscheint. Dieser von Bergarbeitern im Stadtteil Schalke gegründete Klub stillte wie kein anderer die Sehnsucht der kleinen Leute nach sportlichen Triumphen mit deutschen Meisterschaften. Diese großen Siege liegen lange zurück, so lange, dass der Mythos Schalke immer nur noch größer wird. Es gibt in Schalke keine Emotionen, die es anderswo nicht auch gäbe, aber hier gibt es sie en masse. Bodo Berg, der gelernte Möbelrestaurateur, ist inzwischen „Berufsfan“ geworden, wie er sagt. Er hat vor zwölf Jahren die mehrfach ausgezeichnete Initiative „Schalker gegen Rassismus“ mitgegründet und arbeitet inzwischen für das vereinsübergreifende Projekt „Dem Ball ist es egal, wer ihn tritt“. Im Stadion ist er Fan geblieben, jubeltrunken oder deprimiert, wie auch Thomas Kirschner. Der 24-jährige Jurastudent ist Vorsitzender der „Ultras Gelsenkirchen“, die inzwischen über 500 Mitglieder haben. Das hat nichts mit politischem Radikalismus zu tun. Wie überall repräsentieren die Ultras auch in Schalke eine neue Fankultur, bei der die optische Selbstinszenierung der Fan-Kurve im Vordergrund steht. Sich an südeuropäischen Kurven orientierend, versuchen sie zum Motor der Stimmung zu werden. Selbstverständlich ist das in der Arena nicht mehr. „Mittlerweile braucht es ein gutes Spiel, um gute Stimmung zu haben“, sagt Kirschner. Die königsblaue Emotionsmaschine kommt auch deshalb schwerer in Gang, weil sie von einem Teil der Besucher eher besichtigt als gelebt wird. „Mich stört es, dass man auf Schalke ab und zu das kleine Schwarze sieht“, sagt Berg. In den Logen und auf den Business-Seats ist ein Publikum zu Gast, das so ins Stadion geht, wie es auch beim Musical erscheinen würde.“

Muster eines mündigen Führungsspielers

Am Erfolgs Werder Bremens habe Valérien Ismaël großen Anteil, meint Jörg Marwedel (SZ 6.5.): „Vielleicht, hat Werders Sportdirektor Klaus Allofs unlängst laut gedacht, sei dieser Ismaël der beste Einkauf, den er als Manager bislang getätigt habe, was bedeutet: noch besser als Johan Micoud, der Regisseur, oder der von ihm reaktivierte Weltstar Julio Cesar, mit dessen Verpflichtung Allofs nach seinem Entree 1999 seine Nase für unkonventionelle Personalien bewies. Und das Erstaunliche ist: Allofs hat kaum Widerspruch geerntet. Nur wenige Experten in Deutschland kannten Valérien Ismaël, als Bremens Manager den 1,91 Meter langen Defensivstrategen im vergangenen Sommer von Racing Straßburg zunächst auf Leihbasis holte. Und wenn einer etwas wusste, hieß es: schwieriger Spieler; hatte Krach mit Trainern; scheiterte in England bei Crystal Palace, das er nach nur zehn Monaten wieder verließ. Etiketten, aus denen sich gut Klischees schnitzen lassen. Auch Willy Sagnol, Ismaëls Landsmann vom FC Bayern, sagt: „In Frankreich war er ein ganz normaler Spieler, nicht außergewöhnlich gut.“ Die Umstände in Bremen aber haben einen anderen Ismaël zum Vorschein gebracht. Einen, den man das Muster eines mündigen Führungsspielers nennen darf und der längst souverän mit der Tatsache umgeht, es bislang weder zum Nationalspieler noch zu einem Meistertitel gebracht zu haben. Einmal, mit dem RC Lens, hat er sogar einen Vorsprung von acht Punkten verspielt. Das könnte ein Ansatz sein für Uli Hoeneß“ Psychokrieg. Doch Ismaël sagt nur: „Damals hatten wir Angst, heute nicht. Valérien Ismaël sagt das mit der Überzeugung eines Mannes, dem in Bremen sehr schnell sehr viele wichtige Funktionen zugewachsen sind: Er ist der Abfangjäger, der Spieleröffner, der Kommandeur, der Freistoßexperte. Und er ist derjenige, der Micoud noch wertvoller für die Bremer gemacht hat. Wenn der zuweilen schnell frustrierte Spielmacher auf dem Platz missmutig wird, eilt Landsmann Ismaël herbei und mahnt: „Ruhig Joe, es geht weiter.“ Noch im Vorjahr hatte Micoud die Kollegen in schwächeren Phasen mit seinem Ärger hinuntergezogen, jetzt reißt er sich meist zusammen.“

Flurin Clalüna (NZZ 6.5.) teilt den Finaleinzug des AS Monaco mit: „Bald vier Jahre hat er seit seiner Ankunft an der Stamford Bridge jetzt schon am Chelsea FC herum gewerkelt, der „Tinkerman“, der Bastler, wie die englischen Zeitungen den Manager Claudio Ranieri höhnisch nennen. Einen Titel hat der Italiener in dieser Zeit an seinem Werkplatz nicht zusammenschustern können. Und seit mit der Machtübernahme von Roman Abramowitsch die „russische Revolution“ über den exklusiven Westlondoner Klub hereingebrochen ist, gibt es ohnehin nur noch eine Maxime: Siege und Trophäen – und zwar subito. Die letzte Chance auf einen Titelgewinn in dieser Saison hat Ranieri am Mittwoch gegen die AS Monaco vertan. Die Equipe aus dem Principauté steht zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte im Final der Champions League. Ein schwacher Trost bleibt dem 53-jährigen Ranieri immerhin. Der direkte Augenkontakt mit seinem mutmasslichen Nachfolger, dem portugiesischen Coach José Mourinho, ist ihm nach dem Ausscheiden erspart geblieben. Der neue Shootingstar der Branche, der seine Karriere 1992 als Übersetzer von Bobby Robson bei Sporting Lissabon begonnen hatte, gilt als der kommende starke Mann in Chelsea.“

Leicht zu erkennen, wer Portos bester Mann ist: der Trainer
Ronald Reng (taz 6.5.) muss uns stellt José Mourinho, Portos Trainer, nicht vorstellen; das kann Mourinho schon selber: „Es ist dem schönen Mann mit der ordentlich gegelten Frisur, dem schicken Ledermantel und der sauber gebundenen Krawatte anzumerken, dass er José Mourinho ziemlich gut findet. Er lobt in pompösen Worten Mourinhos Werk, er zählt detailliert auf, wie toll Mourinho seine Mannschaft vorbereitet hat. Der junge Trainer hat den Außenseiter FC Porto gerade ins Finale der Champions League geführt – und trotzdem wirken die Elogen in den Katakomben des Riazor-Stadions von La Coruña etwas irritierend. Weil der Mann, der so begeistert von José Mourinho erzählt, José Mourinho selbst ist. „In Portugal sagen sie, ich sei arrogant. Aber ich bin ein guter Trainer“, sagte er einmal und merkte vermutlich nicht einmal, dass er mit dem Selbstlob im zweiten Satz das Vorurteil aus dem ersten bestätigte. Im Übrigen kann man nicht anders als Mourinhos hohe Meinung über Mourinho zu teilen. In Porto hat der 41-Jährige eine Erfolgself geschaffen, wie es sie nach der Logik des modernen Fußballs gar nicht mehr geben dürfte. Nachdem in den Neunzigern das Bosman-Urteil den Einsatz von unbeschränkt vielen ausländischen Spielern erlaubte und die führenden Fußballnationen wie Spanien oder England vier Vereine in der Champions League ins Rennen schicken durften, begann das Zeitalter der Superklubs, Manchester United, Real Madrid, AC Mailand, „und die Vereine in Portugal verloren den Verstand, weil sie nicht wussten, wie sie noch eine Chance haben sollten“, sagt Mourinho. Dann kam er, der selber nie höher als Zweite Liga gespielt hatte und in dieser Klasse noch 1994 als Assistenztrainer arbeitete. In Porto baute er eine Elf, wie sie seit Bosman ausgestorben schien, mit fast nur portugiesischen Spielern (…) Während Portos Kreativer Deco mit Risikopässen bestach, war leicht zu erkennen, wer Portos bester Mann ist: der Trainer. Sein kurioser Weg als Übersetzer in den großen Fußball verleitet oft zur Annahme, er sei da zufällig hineingestolpert. Tatsächlich verinnerlichte Mourinho das strategische Denken eines Trainers schon als Kind. Sein Vater Felix war Trainer bei bescheidenen Erstligisten in Portugal und der Sohn immer dabei. „Als 14-Jähriger bekam ich vom Vater schon Aufträge, Gegner zu beobachten, zu analysieren. Von seiner Siegprämie gab er mir zehn Prozent.“ Nun reizt ihn England, das Land, wo er Sport studierte. Der FC Chelsea will ihn. Ob Mourinho in England, wo Eigenlob das schlimmste Verbrechen ist, viele Freunde findet, sei dahingestellt. Aber Chelsea würde einen exzellenten, den außergewöhnlichsten Trainer des internationalen Spitzenfußballs bekommen. Und das hätte José Mourinho nicht besser über José Mourinho sagen können.“

Das Kraftwerk hat den Strom abgeschaltet

Paul Ingendaay (FAZ 6.5.) schildert Niedergeschlagenheit in La Coruña: „Das Stadion Riazor von La Coruña ist wegen mindestens zweierlei berühmt: Zum einen hat hier der heimische Fußballverein Deportivo in dramatischen Aufholjagden schon so manchen europäischen Giganten vom Feld gefegt, zuletzt mit 4:0 den AC Mailand. Und zum anderen sitzen im feuchten Klima des spanischen Nordwestens wohl die treuesten Fans von ganz Spanien. Im Halbfinal-Rückspiel gegen den FC Porto, bei Dauerregen und heftigem Wind, war von fußballerischer Größe überhaupt nichts, von Treue dafür um so mehr zu sehen. Die Fans von Deportivo La Coruña weinten hemmungslos. Immer wieder schwenkten die Fernsehkameras von der 59. Minute an auf die Gesichter junger Mädchen mit dicken Pullovern und blauweißen Schals, die untröstlich ins Leere blickten und die Tränen gar nicht so schnell wegwischen konnten, wie sie flossen. In dieser 59. Minute entschied sich eine verbissen geführte Partie mit wenigen Glanzlichtern: Das Elfmetertor von Derlei. Daß der FC Porto an diesem Abend die bessere, klügere Mannschaft war, mochte niemand bestreiten. Doch die eigentliche Enttäuschung war, daß die Galicier gegen den Nachbarn aus Portugals Norden nie ins Spiel fanden. Es lag nicht an mangelnder „Einstellung“, denn Iruretas Männer fühlten sich hoch motiviert, an frühere glanzvolle Taten anzuknüpfen; es waren nicht Trägheit, Formschwäche oder physisches Unvermögen. Es war viel schlimmer. Als probierte man hektisch eine Steckdose nach der anderen aus, ohne zu ahnen, daß das Kraftwerk den Strom abgeschaltet hat. (…) Wer Porto zuschaute, konnte lernen, wie man einer klassischen Angriffsmannschaft den Schneid abkauft. Die Portugiesen standen hinten sicher, gingen schneller zum Ball und gewannen die Zweikämpfe. Nicht nur Disziplin und mannschaftliche Geschlossenheit, auch die häufigen Fouls durch versteckte Schläge ins Gesicht erinnerten an die eisenharte Schule der Italiener. Portos Fußball ist nüchtern, unattraktiv und effizient, sicherlich nichts, was man sich im Finale der Champions League erträumt. Doch Trainer Mourinho ist stolz darauf, seinem Team jeden südländischen Schlendrian ausgetrieben zu haben.“

Ein zum Töten bestimmter Elitesoldat

Georg Bucher (NZZ 6.5.) fügt hinzu: „Wer Milan im Halbfinal mit 4:0 demütigt, der verliert offenbar den Respekt vor weniger klangvollen Namen als jenen des Berlusconi-Klubs und Titelhalters. Die Fiesta in La Coruña duldete keine Skeptiker, Deportivo und dem erstmals überhaupt im Riazor-Stadion weilenden König Juan Carlos wurden rote Teppiche ausgelegt. In dieser Inszenierung war Porto die Rolle des Erfüllungsgehilfen zugedacht, der den Weg nach Gelsenkirchen bahnen sollte. Konträre Eindrücke vermittelte indessen „TV Galicia“ von der Praça da Liberdade im Zentrum der nordportugiesischen Metropole: keine lateinische Begeisterung, eher angelsächsisches Fluidum und doch ein schier unerschütterliches Vertrauen in das Feuer der (eigenen) „Drachen“. Auch ohne Stars aus anderen Dimensionen, wie sie im Team der Galaktischen von Real Madrid stünden, sei der FC Porto Europas beste Mannschaft, verkündete ein älterer Portuense apodiktisch. Ähnlich rigide Sicherheitsvorkehrungen wie in La Coruña angesichts des Defilees von Prominenz und Fussvolk wurden im 50 Kilometer entfernten Kurort Guitiriz getroffen. Nach dem Gewinn des Landestitels und zuletzt mässigen Auftritten in der nationalen Superliga heckte Jose Mourinho in grüner Abgeschiedenheit eine Strategie mit „Joker“ aus. Benni McCarthy hatte fast zwei Monate nicht mehr reüssiert und musste deshalb zur Überraschung vieler Beobachter auf die Ersatzbank. Obschon er nach einem Kreuzbandriss kaum Matchpraxis hatte, kam dafür der Brasilianer Derlei zum Zug, der entscheidenden Treffern im Uefa-Cup 2003 gegen Panathinaikos und Celtic seinen Spitznamen „Ninja“ verdankt: Darunter ist ein zum Töten bestimmter Elitesoldat, ein Matador zu verstehen. Die Präsenz von Derlei würde psychologisch wirken, glaubte Mourinho. Sie könnte ein Signal an die Kollegen aussenden, sich in infernalischer Umgebung nicht verstecken zu brauchen und sogar den Takt vorgeben zu können. Diese Einstellung manifestierte sich vor allem in der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit.“

Van Gaal hat in diesem Jahr nie mit mir geredet

Ein Fall für Ronald Reng; Peer Vorderwülbecke (FAZ 6.5.) erzählt die Torwartgeschichte Robert Enkes: „Mit 21 holte ihn Jupp Heynckes zu Benfica Lissabon. In aller Unbekümmertheit feierte der Jungprofi drei Jahre lang Erfolge in Portugal. Der Publikumsliebling wurde trotz seiner Jugend sogar Mannschaftskapitän. „Bei Benfica hätte ich einen Vertrag bis 2010 unterschreiben können – für sehr viel Geld“, erinnert sich der Torwart. Hätte er es nur getan. Enke wollte mehr, er wollte zur EM 2004 und deshalb für einen Klub spielen, der in Deutschland noch mehr in der Öffentlichkeit steht. Manchester United interessierte sich für den Senkrechtstarter. Enke entscheidet sich im Sommer 2002 für den FC Barcelona. Dort endet das Fußball-Märchen. Der 1,85 große Torhüter patzt vor der Saison in einem Pokalspiel gegen den Drittligaklub Noveldas, Barca verliert 2:3. Die stolze katalanische Presse hat den Schuldigen für die Schmach schnell ausgemacht: Robert Enke. Die komplette Saison verfolgt er abwechselnd von der Tribüne oder von der Ersatzbank aus. „Trainer Van Gaal hat in diesem Jahr nie mit mir geredet“, erzählt Enke. Dann kommt das Angebot von Fenerbahce Istanbul. „Eigentlich wollte ich nie in die Türkei“, sagt Enke rückblickend. Aber beim türkischen Topklub trainieren Christoph Daum und Eike Immel – eine ähnliche Konstellation wie damals bei Benfica Lissabon, er läßt sich überreden. Und der Nationaltorwart Immel schwärmt schon nach der ersten Einheit: „Ich habe noch keinen besseren Torwart trainiert.“ Aber das Auftaktmatch verläuft unglücklich für Enke – für alle überraschend löst er sofort seinen Vertrag auf. Der Torwart verteidigt sich gegen den Vorwurf, zu schnell aufgegeben zu haben. Er habe sich von Beginn an in Istanbul unwohl gefühlt. Eine überstürzte, vielleicht faire, ganz sicher eine folgenschwere Entscheidung. Zurück in Barcelona, verweigert ihm die Vereinsführung die Teilnahme am Mannschaftstraining, das Gehalt wird gestrichen. Bis zur Winterpause darf der Torwart laut FIFA-Statuten zu keinem anderen Verein wechseln. Enke ist arbeitslos. (…) Erst als im Winter 2003/2004 das Angebot aus Teneriffa kommt, geht es ihm wieder besser. Enke überlegt nicht lange und greift zu. Aber auch hier läuft es nicht wie gewünscht. Eigentlich war dem Modellathleten ein Stammplatz garantiert worden. Mit Enkes Vertragsunterschrift dreht sein Konkurrent Alvaro Iglesias plötzlich auf und bleibt vier Spiele in Folge ohne Gegentor. Torwartwechsel unmöglich. Den ersten Schritt in eine bessere Zukunft hat Enke unternommen. Eine Verletzung des Stammtorwarts Alvaro Iglesias öffnete ihm die Tür – und der Deutsche ist entschlossen hindurch gegangen. Seine Premiere gegen Elche gewann er mit Teneriffa 2:1. Seitdem ist sein Klub ungeschlagen und Enke 234 Minuten lang ohne Gegentor geblieben. Der Klub will ihm einen Dreijahresvertrag anbieten. Ob er annimmt oder auf etwas Besseres wartet?“

Ballschrank

Leiharbeiter schlägt Luxuskräfte

Märchenstunde in München, die Bayern glauben an Sieg – „der verlorene Sohn Falko Götz kehrt endlich nach Berlin zurück“ (FAZ) – Martin Max sagt, was er will, und er kann es sich erlauben – in der Champions League sind Außenseiter erfolgreich, zum Beispiel Fernando Morientes; „Leiharbeiter schlägt Luxuskräfte“ (FAZ) – Claudio Ranieri nimmt seine bevorstehende Entlassung mit Humor u.v.m.

Ich glaube, auch ein Felix Magath käme mit dieser Dreierbande zurecht

Lange nichts mehr gehört von Uli Hoeneß hat auch Elisabeth Schlammerl (FAZ 7.5.): „Es hat merklich abgekühlt in München. Nicht nur die Temperaturen sind gesunken in den vergangenen Tagen, sondern auch die erhitzten Gemüter haben sich ein wenig beruhigt beim FC Bayern. Speziell Uli Hoeneß hat sich abgeregt. Der Manager lief noch zu Beginn der Woche über das Trainingsgelände, als ob er gleich zu implodieren drohte. Zuerst echauffierte er sich über den desolaten Hamburger SV, danach über die in München vom Boulevard diskutierte Trainerfrage: Ob Felix Magath schon am Saisonende Ottmar Hitzfeld ablösen werde. Über dieses Gerücht konnte sich Hoeneß sogar noch mehr ereifern als über den fehlenden Widerstand des HSV beim 0:6 in Bremen. Die Meldungen über den bevorstehenden Trainerwechsel bezeichnete er als „Schmarrn“ als „Grimms Märchen“. Die Schimpftirade fiel ein wenig zu heftig aus, als daß man ihm glauben möchte. Zumal Hoeneß persönlich nachlegte: „Ottmar Hitzfeld ist sechs Jahre wunderbar mit dieser Dreierbande (Bayerns Führung) zurecht gekommen. Ich glaube, auch ein Felix Magath käme mit dieser Dreierbande zurecht.“ Im Wortgefecht mit Bremen haben die Bayern die Taktik aber ein wenig geändert. Gezwungenermaßen, denn nach der eindrucksvollen Vorstellung von Werder im Nordderby wäre es fast schon lächerlich, dem Tabellenführer weiterhin fehlende Souveränität nachzusagen. Die Bayern reden sich selbst stark, in der Hoffnung, mit einer überzeugenden Leistung und einem deutlichen Sieg am Samstag den Konkurrenten vielleicht doch noch einmal einzuschüchtern vor den letzten beiden Spielen. Verdrängt worden ist beim Rekordmeister offenbar, daß die Mannschaft in dieser Saison in der Bundesliga höchst selten überzeugt hat.“

Die FR (7.5.) stellt fest, dass das Umfeld auf Menschen abfärbt: „Es klingt wie das sprichwörtliche laute Pfeifen im dunklen Wald, was da seit Tagen aus München zu hören ist. Der FC Bayern redet sich stark. Selbst Ottmar Hitzfeld, nicht gerade als Sprücheklopfer in der Liga bekannt, hat nun vor dem Gipfeltreffen gegen den SV Werder zum verbalen Angriff ausgeholt: „Es gibt eine klare Tendenz: Bei uns geht es aufwärts, bei Bremen abwärts.“ Ach ja? Der 6:0-Sieg am vergangenen Samstag gegen den HSV war ganz unzweifelhaft negativer Höhepunkt einer völlig verkorksten Bremer Saison. Vermutlich wollen die Bayern uns dann auch noch glauben machen, dass sie eigentlich ins Finale der Champions League gehörten. Bei der Tendenz.“

Die Zukunft erscheint für Hertha zartrosa

Freude in Berlin, das hat’s lange nicht gegeben: Falko Götz wird wieder Trainer der Hertha, meldet Dieter Steinbach (FAZ 7.5.): „Für die Mehrheit der Anhänger erfüllt sich ein inniger Wunsch. Seit feststand, daß der derzeitige Trainer Hans Meyer am Ende der laufenden Saison aufhören wird, lief in der Hauptstadt ein Wahlkampf für Götz. In Umfragen, Leserbriefen und sogar Anzeigen wurde eine Entscheidung für den 42 Jahre alten gebürtigen Berliner gefordert. Getrieben von der Erinnerung an eine erfolgreiche Vergangenheit. Nach der Trennung von Jürgen Röber im Februar 2002 hatte Götz den Klub mit neun Siegen in 13 Spielen in den UEFA-Cup geführt. Für beide Seiten folgten zwei eher unerfreuliche Jahre. Hertha wurde mit Trainer Huub Stevens nie richtig glücklich, Götz mußte vor drei Wochen bei 1860 München verlassen. Nun die Rückkehr zu seiner fußballerischen Familie. (…) Der Klub betreibt eine erfolgreiche und aufwendige Nachwuchsarbeit. So steht die A-Jugend im Finale des Deutschen Junioren-Pokals, die B-Jugend wird den Meistertitel wohl verteidigen, und die zweite Mannschaft will nach dem Pokalsieg demnächst den Aufstieg in die Fußball-Regionalliga feiern. An dieser Entwicklung von 1997 bis 2002 als Amateurtrainer und Jugendkoordinator maßgeblich beteiligt: Falko Götz. Neben dem großen öffentlichen Ansehen der zweite wichtige Grund für seine abermalige Verpflichtung. „Wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, und kennen seine Qualitäten“, sagte Hoeneß. „Er setzt auf die Jugend, pflegt offensiven Fußball und ist ein Mann mit Perspektive.“ Zudem wird sich der Wunsch des Trainers nach „sofortiger Ruhe im Klub“ wohl erfüllen. Mit einem Schlag ist die Kritik und Unzufriedenheit der vergangenen Wochen vergessen. „Falko Götz, du bist der beste Mann“, skandierten die Anhänger lautstark beim Pokalsieg der zweiten Mannschaft. Die Zukunft erscheint für Hertha plötzlich nicht mehr grau, sondern zartrosa. Manager Hoeneß lächelte – vorübergehend konnte auch er mal wieder richtig feiern.“

Viel Lärm, zum ersten Mal, um Martin Max; Ronny Blaschke (SZ 7.5.) notiert: „Martin Max hat seinen Abschied vom FC Hansa Rostock angekündigt, nach der Saison wird er die Bundesliga verlassen. Unfreiwillig hat er damit die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins an sich gerissen. Aus ganz Deutschland haben ihn in dieser Woche Journalisten besucht. (…) Max fühlt sich müde, er sagt, dass er keine Spritze mehr sehen könne, dass er nicht mehr auf Massagebänken liegen wolle. Viele glauben ihm nicht. Wie, fragen sie, kann jemand so etwas behaupten, der in der gesamten Saison lediglich ein Spiel versäumt hat? Und das wegen einer Gelb-Sperre. Der seinen Bewachern auf dem Spielfeld enteilt, als hätte er es im heimischen Vorgarten mit den Nachbarssöhnen zu tun. Die Offiziellen des FC Hansa wollen ihn nicht ziehen lassen, ein Jahr läuft sein Vertrag noch. Max wird in Rostock verehrt wie kein anderer Spieler. 4000 Trikots mit seinem Namenszug wurden in dieser Saison verkauft, der Verein hat einen Max-Schal ins Fanartikel-Sortiment aufgenommen, das hat es an der Küste noch nicht gegeben. Ein 50 Meter langes Spruchband wird am Sonntag auf einer Tribüne ausgebreitet, es soll Max zum Umschwung bewegen. Trainer Juri Schlünz hat ihm mehr freie Tage versprochen, an denen er zur Familie nach München fliegen könne. Die Abstiegsangst, die sich zum ersten Mal seit Jahren nicht in Rostock eingenistet hat, ist der Abschiedsangst gewichen. Doch die Entscheidung ist zementiert. Max möchte nicht im Streit gehen. Er weiß, dass er den Rostockern einiges zu verdanken hat. Sie haben ihn aufgenommen, nachdem er in München weggeschickt wurde. Er ist noch immer nicht gut auf Falko Götz zu sprechen, den ehemaligen Trainer von 1860. „Der denkt, er hat die Weisheit gepachtet“, sagt er. Die Enttäuschungen haben sich getürmt in der Karriere, jetzt sagt er: „Alles abgehakt.“ Er sagt es schnell und abwehrend. Er kann sich wohl selbst nicht erklären, warum er immer wieder gebremst wurde, von Erich Ribbeck und Rudi Völler zum Beispiel, die ihm den Zugang zur Nationalmannschaft verwehrten. Sieben Minuten durfte er spielen, 2002, in einem Testspiel gegen Argentinien.“

Da fragt man sich doch, ob Skibbe noch alle Tassen im Schrank hat
Tsp-Interview mit Martin Max, undiplomatisch

Tsp: Ihre Familie lebt weiter in München. Was könnte Ihnen den Anreiz geben, noch einmal für ein Jahr getrennt von Frau und Sohn zu leben, weit weg in der Wüste, ohne die wöchentlichen Flüge nach Hause?
MM: Gute Frage. Sagen wir mal so, ein Jahr im Ausland fehlt mir noch in meiner Sammlung. Wenn noch mal ein sehr gutes Angebot kommt, dann nehme ich das noch mit. Das ist doch legitim.
Tsp: Auch auf die Gefahr hin, dass Sie sich die Knochen endgültig ruinieren?
MM: Das kommt doch immer darauf an, wo man spielt, wie groß die Belastung ist.
Tsp: Ein Jahr mit den Kamelen in Katar…
MM: …könnte ich noch Doppelpass spielen.
Tsp: Trotz Ihrer körperlichen Probleme sind Sie zurzeit der erfolgreichste deutsche Stürmer. Sie haben in dieser Saison beinahe so viele Tore geschossen wie die aktuellen Nationalstürmer Kevin Kuranyi, Oliver Neuville und Fredi Bobic zusammen. Wann haben Sie das letzte Mal mit Teamchef Rudi Völler gesprochen?
MM: Hm, da war mal was, so vor einem Jahr, bei der Jubiläumsveranstaltung zu 40 Jahren Bundesliga. Da sind wir uns kurz über den Weg gelaufen. Aber das Thema Nationalmannschaft ist für mich durch. Vor zwei Jahren…
Tsp: … bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea…
MM: … da war ich heiß. Ich war Torschützenkönig in der Bundesliga, aber Herr Völler hat sich für andere Stürmer entschieden. Fragen Sie nicht warum. Ich habe im Vorfeld der WM alles getan, meine Leistung gebracht, da fragt man sich schon, nach welchen Kriterien es da geht. Normalerweise werden Stürmer an Toren gemessen. In meinem Fall spielten wohl andere Dinge eine Rolle.
Tsp: Welche?
MM: Ich habe mir oft den Kopf zermartert und mit allen möglichen Leuten darüber diskutiert. Ich weiß es wirklich nicht!
Tsp: Sie haben keine internationale Erfahrung.
MM: Stimmt nicht, ich habe 1997 mit Schalke den Uefa-Cup gewonnen.
Tsp: Sie haben nie in einem großen Verein gespielt.
MM: Na und, der Paul Freier spielt in Bochum und zählt zum Stamm, daran kann es also auch nicht liegen. Vielleicht hätte ich öfter mal die Schnauze aufreißen und meinen Kopf in alle möglichen Kameras halten sollen.
Tsp: Immerhin durften Sie kurz vor der WM neun Minuten lang gegen Argentinien spielen.
MM: Das ist schön für die Statistik und für meinen Sohn, der rennt immer noch mit dem Trikot von damals herum. Aber im Ernst: Ich weiß bis heute nicht, was das damals sollte: Das war doch keine ernsthafte Chance. Ich war da, habe kurz guten Tag gesagt, ein paar Minuten gespielt, und dann bin ich wieder nach Hause gefahren.
Tsp: Angeblich waren Sie beim Teamchef ein Thema für die EM in Portugal.
MM: Da wissen Sie mehr als ich. Es gab keinen Kontakt. Warum auch, das wäre doch schizophren: Vor zwei Jahren war ich super drauf und musste zu Hause bleiben. Jetzt stehe ich am Ende meiner Karriere und soll zur EM? Das macht doch keinen Sinn.
Tsp: Sie hätten sich einem Gespräch mit Völler verweigert?
MM: Nein, grundsätzlich spreche ich mit jedem. Es kommt immer auf die Art an. Wenn er vor ein paar Wochen ein Vier-Augen-Gespräch gesucht hätte, wäre es vielleicht noch gegangen. Aber so? Über die Medien zu gehen und so einen Mist zu erzählen wie der Michael Skibbe…
Tsp: … Völlers Assistent…
MM: …dass er mich noch mal beobachten will, meine Laufwege studieren, und das nach 15 Jahren Bundesliga. Da fragt man sich doch, ob der noch alle Tassen im Schrank hat. Vor ein, zwei Jahren hätte mich so etwas noch verletzt, aber heute kann ich darüber lachen.
Tsp: Spüren Sie Genugtuung?
MM: Ein wenig vielleicht, wenn ich die Umfragen unter den Fans lese, welchen Stellenwert die mir einräumen, dass sie mich gern bei der EM sehen würden. Da sage ich mir dann: Du hast wohl doch nicht alles falsch gemacht.
Tsp: Haben Sie mal bei Völler angerufen?
MM: Tut mir Leid, ich habe seine Nummer nicht, aber ich hätte es auch sonst nicht getan. Ich gehe mal davon aus, dass er Zeitung liest. Er wird also wissen, was ich denke.

Leiharbeiter schlägt Luxuskräfte

Christian Eichler (FAZ 7.5.) freut sich über den Erfolg der Außenseiter in der Champions League: „Das diebische Grinsen des Fernando Morientes galt den Superreichen des Fußballs: Seht her, mich habt ihr übersehen. Nach seinem neunten Saisontor in der Champions League, dem entscheidenden 2:2 im Halbfinale beim FC Chelsea, lachte aus diesem Gesicht all das, was der durchkommerzialisierte Fußball Anarchisches, Unzähmbares, Unkäufliches behalten hat. Das Grinsen des Morientes, es galt vielleicht Roman Abramowitsch, dem russischen Öl-Milliardär, der 180 Millionen Euro in neue Spieler investierte, den günstigen Spanier aber nicht auf der Rechnung hatte; bestimmt aber galt es Florentino Perez, dem spanischen Bau-Millionär, der als Präsident von Real Madrid den torgefährlichen Spanier abgeschoben hatte, als Leihgabe zum AS Monaco. Womit Perez das wohl kurioseste Eigentor der Transfer-Historie schoß. Morientes, von dessen königlichem Gehalt von 4,5 Millionen Euro im Jahr sein alter Klub Real Madrid in dieser Saison immer noch zwei Drittel bezahlt, drei Millionen also, hat Real und Chelsea aus dem Wettbewerb geschossen und den AS Monaco ins Endspiel. Die Monegassen, noch vor zehn Monaten wegen maroder Finanzen vom Ausschluß aus der französischen Ligue 1 bedroht, bekamen für ein Drittelgehalt den Vollzeittorjäger der Saison – Leiharbeiter schlägt Luxuskräfte. So kommt es zur fast logischen Antwort auf den nimmermüden Finanzwahnsinn in Europas Top-Fußball: ein Champions-League-Finale der Schnäppchenjäger. Dem FC Porto, wo am Rande des Kontinents ein cleverer Coach ein preiswertes brasilianisch-portugiesisches Ensemble zu kompakter Klasse geformt hat, folgte der AS Monaco, wo im Abseits des Fan-Interesses ein Trainernovize ein angriffslustiges, spielfreudiges Team schuf. (…) Zwei Außenseiter ohne teuer eingekaufte Stars im Finale, keine Frage: Die Großen Europas werden sich so eine Demütigung nicht noch mal bieten lassen. Nicht nur die Trainer, auch mancher Spieler von Porto und Monaco dürften bald dem großen Geld folgen. Denn clevere Außenseiter können mal eine Saison die sportlichen Voraussagen auf den Kopf stellen nicht aber langfristig die finanziellen Machtverhältnisse.“

Hand Gottes, Teil II

Claudio Ranieri nimmt seine bevorstehende Entlassung mit Humor; Raphael Honigstein (taz 7.5.) imponiert das: „Der Fußball lässt mit sadistischer Lust in schöner Regelmäßigkeit alte Freunde und Feinde, Betrüger und Betrogene und allerlei andere geschiedene Menschen aufeinander los, doch ein Endspiel zwischen „Dead Man Walking“ Claudio Ranieri und seinem designierten Nachfolger, dem smarten Mourinho vom FC Porto, wäre wohl selbst für den um Pietät und gute Sitten wenig bemühten Sport eine zu perverse Konstellation gewesen. Dieses makabre Spektakel bleibt den beiden und der Arena AufSchalke erspart – ein kleiner, aber nur schwacher Trost für den freundlichen Italiener, der sich so gerne mit dem Europapokal in der Hand vom ungeduldigen Ölzaren verabschiedet hätte. 45 Minuten lang hatte Chelsea, angetrieben von Publikum und dem Dauerrenner Frank Lampard, tatsächlich die „beste Saisonleistung“ gezeigt, wie Ranieri gefordert hatte. „Liebe Haie, willkommen zur Beerdigung“, hatte der Römer den Journalisten bei der Gelegenheit zugerufen, doch noch war Leben in ihm und seiner teuren Truppe. Unkomplizierter Angriffsfußball voller Elan und Überzeugung brachte Chancen um Chancen, Monaco kam nicht zu Ruhe, der kleine Didier Deschamps schien in seinem schwarzen Ledermantel verloren zu gehen. 2:0 stand es kurz vor der Pause, dann kam jedoch, wie so oft in großen Partien, höhere Gewalt ins Spiel: Fernando Morientes Kopfball fiel vom Pfosten an den Arm von Hugo Ibarra, von dort an sein Schienbein und ins Tor. Die „Hand Gottes, Teil II“, erregte sich der Mirror über den glücklichen Treffer des Argentiniers, der später jedoch glaubhaft versichern konnte, das eigene Handspiel „erst im Fernsehen“ bemerkt zu haben. Ein findiger Schreiber vom Boulevard wollte gleich wissen, ob er das Tor seinem kranken Landsmann Diego Maradona widmen wolle. Ibarra verneinte höflich, der kleine Verteidiger hatte keine Lust auf die Rolle als Staatsfeind.“

Flurin Clalüna (NZZ 7.5.) fügt hinzu: „Als die Nacht über der Stamford Bridge hereinbrach und in naheliegenden U-Bahn-Schächten die Fäuste einiger verwirrter Engländer flogen, starrte der Chelsea-Manager Claudio Ranieri gedankenverloren in die Leere. Er war eingepackt in eine knielange Windjacke, und sein Blick schweifte auf den feuchten Rasen, wo längst niemand mehr stand. Eben noch hatte das Stadion gebebt vor Erregung, durchflutet von einer blauen Welle der Begeisterung. Seine Blues hatten euphorisch gespielt wie noch nie in dieser Saison, die „Times“ glaubte sogar, in der ersten Halbzeit die Zukunft des englischen Fussballs gesehen zu haben. „Als ob sie um ihr Leben rennen würden2, kommentierten langjährige Beobachter. Eine knappe Stunde lang hatte deshalb auch er, Ranieri, geträumt. Vom ersten Titel in seinen knapp vier Jahren in London und davon, den russischen Klubbesitzer Roman Abramowitsch vor aller Welt lächerlich zu machen.“

„Nobody in football should be called a genius. A genius is a guy like Norman Einstein.” (Joe Theismann, football commentator)
Ich weiß nicht, woher das Zitat stammt. Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang das gesagt worden sein soll. Ich weiß nicht, wer Joe Theismann ist. Ein Freund hat mir das Zitat geschickt, und ich find’s gut und zitierenswert – sei es real oder fiktiv.

Die Rückspiele im Uefa-Cup NZZ

Mittwoch, 5. Mai 2004

Ballschrank

Vermischtes

„Daumen rauf oder Daumen runter in Chelsea“ (FAZ) – nicht nur die Bayern können austeilen, Willi Lemke mischt sich ein – Lukas Podolski, „ein 18-Jähriger hat den ganzen Fußballschmerz der Stadt aufgefangen“ (FTD) – 1. FC Nürnberg steigt in die Bundesliga auf, Trainer Wolfgang Wolf hat großen Anteil; „Wolf ist die Ruhe vor und nach dem Sturm“ (FAZ); „pfälzischer Dickschädel mit dem Herz am rechten Fleck“ (FR) u.v.m.

Dead Man Working

Christian Eichler (FAZ 5.5.) beschreibt den Kampf der Gladiatoren Chelseas: „In der Welt, wie sie der FC Chelsea sieht, fliegt die Zeit nur so davon. Zwei Wochen ist es her, daß der Londoner Milliardärsklub 1:3 beim AS Monaco verlor. Und was hat er in diesen zwei Wochen nicht schon wieder für Schlagzeilen gemacht; atemlos, endlos. Fürs Protokoll hier ein Auszug aus den aktuellen Transferspekulationen rund um den FC Chelsea (17. und 18. Kalenderwoche): Beckham kommt für 40 Millionen Pfund; Beckham kommt mit Ronaldo für 75 Millionen Pfund; ebenfalls von Real kommt Salgado; von Betis Sevilla Joaquin, aus Anderlecht Kompany, vom AC Mailand Inzaghi oder Tomasson, aus Turin Trezeguet, aus Rom Samuel, aus Porto Trainer Mourinho. Jemand vergessen? Bestimmt. Trainer Claudio Ranieri, der von all diesen Transfers, ob sie nun realisiert werden oder phantasiert bleiben, wohl keinen mehr persönlich erleben wird, hat unter dem ständigen Namensgewitter einen fröhlichen Zynismus als Grundhaltung angenommen: Er nennt sich „Dead Man Working“. (…) Seit der Russe Abramowitsch seine Rohstoff-Millionen in sein Chelsea-Hobby steckt, sind die eifrigsten Spekulanten nicht mehr an der Londoner Aktienbörse zu Hause, sondern an der Transferbörse. Die schlechtesten Aktien dort hat (neben Ranieri) derzeit Hernan Crespo. Vor Saisonbeginn für fast 25 Millionen Euro von Inter Mailand gekommen, konnte der argentinische Stürmer weder Boß noch Fans überzeugen. Offenbar steht Crespo vor der Rückversendung nach Italien. Es heißt, es gebe Tauschangebote an Milan für Inzaghi oder Tomasson sowie an Juve für Trezeguet (für den Chelsea zusätzlich zu Crespo zehn Millionen Euro bieten soll). Stürmer bei Chelsea, ein Gladiatorenleben: Ruckzuck geht der Daumen runter. Allerdings ist man im Mißerfolgsfall sozial besser abgesichert als die Kollegen vor 2000 Jahren in Roms Arenen.“

Ralf Itzel (FR 5.5.) freut sich über den Erfolg Morientes’ nach dessen Weggang von Real Madrid: “Es ist eine List des Schicksals, dass der Vertriebene nun im Stadion Louis II triumphiert, wo im Sommer 2002 der Bruch mit Madrid offenkundig geworden war. Kurz vor dem Supercup-Spiel strich man ihn von der Spielerliste, weil er als Wechselgeld beim Ronaldo-Transfer in Frage kam. Mit versteinerter Miene verfolgte Moro den Sieg gegen Rotterdam von der Tribüne. Nun huldigen ihm dort die Monegassen. Manche fühlen sich an Marco van Basten erinnert. Morientes spielt leichtfüßig, elegant, mutig, schießt mit beiden Füßen und verfügt über eine tolle Kopfballtechnik. Trainer Deschamps überreichte ihm bei der Ankunft das Trikot mit der Zehn und lässt ihn auch im Mittelfeld agieren – in Madrid Hoheitsgebiet der Zidane, Figo und Beckham. Eine Fußballhochburg wird die 30 000-Einwohner-Stadt zwar nie. Dafür lebt und kickt es sich bequem, kann Morientes sogar unbelästigt am Strand entspannen.“

NZZ-Bericht Deportivo La Coruña-FC Porto (0:1)

Wir trinken aus zwei Anlässen: Wenn Werder gewinnt und wenn Bayern verliert

Vor dem Spitzenspiel in München führt Philipp Selldorf (SZ 5.5.) ein Kommunikationsprotokoll: „Das Opfer war ahnungslos und hatte keine Chance zur Gegenwehr, als ihn hinterrücks der Überfall ereilte. Dennoch gelang es Ottmar Hitzfeld, auf den Beinen zu bleiben, als sich Uli Hoeneß vorigen Samstag im Stadion Köln-Müngersdorf mit der ganzen Wucht seines beachtlichen Leibes auf den arglos applaudierenden Trainer stürzte, um mit ihm Bastian Schweinsteigers Siegtreffer zu feiern. Einige Beobachter interpretierten die Szene als rührenden Ausweis der Herzlichkeit. Andere sprachen von einem Anschlag und vermuteten, Hoeneß wolle seinen Erfolgstrainer eigenhändig aus dem Weg schaffen, um Platz für Felix Magath zu schaffen. Erlaubt ist dieser Tage an der Säbener Straße schließlich alles. „Grimms Märchen“ würden erzählt über die Trainerfrage beim FC Bayern, berichtete Uli Hoeneß gestern Vormittag in einem beherzten, aber vermutlich vollkommen nutzlosen Versuch, den grassierenden Gerüchten entgegenzutreten. „Blödsinn, absoluter Blödsinn“, schimpfte er in den Reporterpulk, „Unfug“ und „Schmarrn“ – aber so viele Synonyme für die Bezeichnung von Quatsch gibt es gar nicht, um all die Mutmaßungen in der Szene zu kontern: Geht Sammer als Nachfolger Magaths zu Stuttgart? Oder kommt doch Daum? Kahn zum FC Chelsea? Hildebrand zum FC Bayern? Hitzfeld zu Manchester United? Von den Transferbörsekandidaten Frings, Deco, van der Varta und Lúcio ganz zu schweigen. Oder bleiben sie alle, wo sie derzeit sind? Hitzfeld beim FC Bayern, Magath beim VfB Stuttgart, Daum bei Fenerbahce Istanbul, Sammer bei Borussia Dortmund. Die Woche vor dem inoffiziellen Titelfinale zwischen dem FC Bayern und dem SV Werder Bremen hat also beredt begonnen und lässt noch einiges erwarten. (…) Dennoch gelang es der Zeitschrift Sport-Bild, einen amtlichen Krawallmacher im tugendhaften Bremen aufzutreiben. Offiziell verdient Willi Lemke zwar sein Geld als Schulsenator der Hansestadt, seine wahre Bestimmung sieht er aber darin, Uli Hoeneß zu ärgern. „Ich sehe nicht, was Uli Hoeneß sagt, weil ich den Fernseher immer abschalte, wenn er auf dem Bildschirm erscheint“, erzählte Lemke dem Blatt und versprach, eine spontane Party in seinem Wohnzimmer zu feiern, falls Werder gewinnen sollte: „Wir trinken sowieso immer nur aus zwei Anlässen. Wenn Werder gewinnt und wenn Bayern verliert. Die Bayern haben doch die Pappnase auf.““

Ein 18-Jähriger hat den ganzen Fußballschmerz der Stadt aufgefangen

Daniel Theweleit (FTD 5.5.) schildert die Bewunderung der Kölner für Lukas Podolski: „Eine vollständige Sonnenfinsternis dürfte kaum seltener sein als die emotionale Konstellation, die im Augenblick in Köln vorzufinden ist. Die Fans des 1. FC, die noch vor einem halben Jahr Dinge wie „Wir sind Kölner und ihr nicht“ gerufen haben, lieben einen einzelnen Angestellten des Klubs fast mehr als ihren Verein, und das treibt seltsame Blüten. Nachdem Köln am vergangenen Wochenende endgültig abgestiegen war, wurde ein wenig getrauert – aber auch kräftig gefeiert. Zum Beispiel, weil Lukas Podolski Oliver Kahn mit einem wunderbaren Weitschuss düpierte. Und weil Rudi Völler anwesend war, um das Fußball-Juwel auf seine EM-Tauglichkeit zu prüfen. Oder weil Podolski kurz vor Schluss beinahe ein zweites Tor gelungen wäre. Das lokale Boulevardblatt „Express“ dichtete darauf keine Zeilen von Tränen, Trauer und Depression, sondern überschrieb den Abstiegstext so: „1. FC Podolski“. Ein 18-Jähriger hat den ganzen Fußballschmerz der Stadt aufgefangen, und er verkörpert gleichzeitig die Hoffnung auf eine große Zukunft. Sieben Tore in 16 Spielen hat der im polnischen Gliwice (Gleiwitz) geborene Stürmer mittlerweile erzielt, er rennt immer bis zur Erschöpfung und „arbeitet hervorragend für die Defensive“, wie sein Trainer und Entdecker Marcel Koller lobt. Niemand spricht mehr von Dirk Lottner, der in den vergangenen Jahren Liebling des kölnischen Fußballvolkes sein durfte. Nun ist Teenager Podolski gefeierter Held der daniederliegenden Fußballstadt. Eine Stadt mit der Hoffnung, dass der Star aus ihrer Mitte der ebenfalls darbenden Nationalelf etwas abgibt von jener jugendlichen Unbeschwertheit, die den Abstieg des FC erträglich machte. Podolski verzaubert nämlich. Mit seinem Fußballspiel ebenso wie mit seinem Auftreten jenseits des Rasens. Seine Statements sind stets kurz, immer ehrlich, und sie treffen oft den Kern. „Ich denke nicht viel nach“, sagt er etwa, und das ist für einen Stürmer nicht die schlechteste Eigenschaft. Man darf daraus aber nicht schließen, dass Podolski einfältig sei. Das ist er nämlich nicht. Wer viele dieser kurzen Sätze gehört hat, merkt, dass er genau weiß, was er sagt. Und auch, was er nicht sagt.“

Volker Kreisl (SZ 5.5.) gratuliert dem 1. FC Nürnberg zum Aufstieg: „Wenn sich die Abläufe wiederholen, wenn immer wieder dieselben Freuden von denselben Enttäuschungen abgelöst und bald wieder durch neue Hoffnungen ersetzt werden, dann sinkt allmählich die Aufregung und es beginnt die Suche nach konkreten Indizien. Ein Aufstieg ist immer noch etwas Berauschendes, doch die Anhänger des 1. FC Nürnberg sind vorsichtig geworden. Sie freuen sich nun auf Derbys gegen den FC Bayern, aber sie suchen Anzeichen dafür, dass ihr Verein auf Dauer erstklassig bleibt, und das eintritt, was Trainer Wolfgang Wolf plant: „Wir wollen uns für lange Zeit in der Bundesliga etablieren.“ Das hatte vor ihm schon Klaus Augenthaler gesagt, und davor Friedel Rausch, und viele andere. Immer ging es um Substanz und Nachhaltigkeit, doch alle scheiterten letztlich an den Vorgaben des fränkischen Traditionsvereins, der früher Rekordmeister war, heute aber weitgehend mittellos ist. Vorerst also sind die Fakten nüchtern zu betrachten: Montagabend, 21.49 Uhr, war Schlusspfiff in der Bielefelder Schüco-Arena. Der 1. FC Nürnberg hat den Tabellenzweiten bis auf die Schlussphase klar beherrscht, hat 3:1 gewonnen und nun einen Vorsprung von neun Punkten und 26 Toren. Damit ist er wieder dabei in der Gemeinschaft der Besten, aber auch im Klub der Unsichersten.“

Wolf ist die Ruhe vor und nach dem Sturm

Richard Leipold (FAZ 5.5.) fügt hinzu: „In all den Jahren hat Roth so viele Trainer verschlissen wie kein anderer Präsident im deutschen Profifußball. Irgendwann wird vielleicht auch Wolfgang Wolf die unangenehmen Seiten des Teppichhändlers zu spüren bekommen. Nach der Abendvorstellung in Bielefeld aber hob Roth die Leistung des Trainers besonders hervor. Wolf habe „eine zuverlässige Mannschaft“ geformt, in der sich „gerade die jungen Leute gesteigert“ hätten. Zuverlässigkeit ist genau die Tugend, die den Nürnbergern oft gefehlt hat, um sich nach einem Aufstieg länger als ein oder zwei Jahre in der ersten Liga zu halten. Zuverlässigkeit, das ist auch genau jene Eigenschaft, die der unauffällige Herr Wolf geradezu personifiziert. Er ist kein Trainer großer Gesten oder großer Worte. „Es war das entscheidende Spiel“, stellte er nach dem Schlußpfiff in Bielefeld fest. „Wir sind so gut wie durch.“ Später formulierte er es noch ein wenig spritziger – „Schampus ist angesagt“ – aber vermutlich nur, weil es so üblich ist. Kurz vor Spielende, als der Sieg sicher war, umarmte Wolf nacheinander die Ersatzspieler, die Physiotherapeuten und alle anderen, die am Spielfeldrand Dienst taten. Es war seine dezente Art zu sagen: Wir haben es vollbracht. Wolf ist die Ruhe vor und nach dem Sturm. Er hat es nicht nötig, sich zu verstellen, um anderen zu gefallen.“

Pfälzischer Dickschädel mit dem Herz am rechten Fleck

Thomas Kilchenstein (FR 5.5.) ergänzt: „Anfang Oktober des vergangenen Jahres war es, der 1. FC Nürnberg, selbst ernannter „FC Bayern der zweiten Liga“, hatte gerade zu Hause gegen den VfB Lübeck verloren; den Club trennten in jenen trüben Herbsttagen vier Tore von einem Abstiegsplatz, als der kleine präsidiale Teppichgroßhändler das Wort ergriff: „Nach dieser Vorstellung muss ich sagen: Ich habe eine Pistole samt Waffenschein und würde einigen am liebsten das Hirn durchpusten.“ Ziemlich auf den Tag genau sieben Monate später, es ist diesselbe Saison und derselbe Verein, hat Michael A. Roth wieder das Wort ergriffen und via Fernsehen den Franken zu Hause an den Schirmen glückstrunken erzählt, dass für die ganze Region ein Traum wahr geworden und der 1. FCN wieder erstklassig sei. So schnell geht das in diesem komischen Fußballgeschäft. Und wer weiß, vielleicht war der verbale Amoklauf des Präsidenten gar der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Denn in diesem Trubel konnte Wolfgang Wolf, pfälzischer Dickschädel mit dem Herz am rechten Fleck, wegtauchen und sich und sein Team neu sortieren.“

Voor Fritsch kwam de ontromantisering van de finale

„Ook Duitsers verbazen zich over nuancering voetbalfinale 1974“, schreibt Wierd Duk (GPD): „Won de Duitse nationale voetbalploeg in 1974 verdiend de legendarische WK-finale in München? Veel Duitse voetballiefhebbers delen de menig van miljoenen Nederlanders: het wonderelftal met Cruyff, Neeskens en Van Hanegem had natuurlijk moeten winnen. ,,Niemand hier zal beweren dat Duitsland mooier voetbal speelde dan het Nederlands elftal“, zegt sportsocioloog Oliver Fritsch van de Universiteit in Giessen. Voor Fritsch kwam de ‚ontromantisering van de finale‘, door de Nederlandse journalist en auteur Auke Kok (47) dan ook als een complete verrassing. Kok beweert in zijn boek ‚1974, Wij Waren de Beste‘ dat de Nederlanders ten onder gingen aan sex, drank en een gebrek aan slaap en discipline – en dat Duitsland verdiend won. Typisch Nederlandse hoogmoed was er de oorzaak van dat Oranje de Duitsers onderschatte. In plaats van voor de zege te vechten, wilden Cruyff en co. ‚die Duitsers‘ vernederen. Het resultaat is bekend: ‚die Mannschaft‘ won met 2-1. En Nederland lijdt sindsdien aan een collectief trauma. Kok’s boek houdt ook de Duitse media bezig. In het weekblad Der Spiegel en in de gerespecteerde Süddeutsche Zeitung verschenen recensies en interviews met de auteur. ‚Jeugd en rebellie: een Nederlands boek feliciteert de Duitsers‘, schreef de Süddeutsche. ,,Het is ook niet niks“, meent Fritsch, die destijds twee jaar oud was en dus geen persoonlijke herinneringen heeft aan het toernooi. ,,In het algemeen worden mythes met het verstrijken van de tijd hardnekkiger. Hier gebeurt het tegenovergestelde: Auke Kok rekent af met die vastgeroeste gedachte dat de Nederlanders destijds een verdiende overwinning door de neus werd geboord“. Duitsland werd al drie maal wereldkampioen en Fritsch had ‚geen idee‘ dat die WK-finale van 1974 voor de Nederlanders zó belangrijk is. ,,Voor ons is de overwinning van ‚74 eigenlijk de onbelangrijkste. De titel in 1954 in Bern was een heldendaad, in 1972, roen Duitsland het EK won, hebben we het beste voetbal in onze geschiedenis laten zien. Ramba-samba voetbal, gepersonifieerd door Günther Netzer met diens techniek, zijn lange haren en zijn schitterende passes. In 1974 ging het al de pragmatische kant op, met Hoeness, Breitner en Beckenbauer. Die zeurden ook over geld en zo. Het was eigenlijk de onsympathiekste overwinning“. In Duitsland worden voetbal en poltiek graag met elkaar in verband gebracht. Fritsch: ,,1974 markeert de overgang van Willy Brandt naar Helmut Schmidt, van de wilde, linkse jaren ‚60 naar een veel minder romantisch tijdperk. Dat was in het voetbal ook het geval“. Die – intenationale – omslag zou worden gsymboliseerd door de uitslag van de finale: harde werkers met een grotere dosis ‚Siegeswille und Kampfgeist‘ wonnen het van elf briljante kunstenaars, die zich er niet van bewust waren welke uitwerking een Nederlandse WK-zege op het Nederlandse zelfbeeld had kunnen hebben. Fritsch heeft respect voor Kok’s nuanceringen en hij zou het voetbalboek ‚onmiddellijk‘ kopen als het in Duitse vertaling verscheen. ,,Dit is toch internationale voetbalgeschiedenis. Ik denk dat veel meer Duitsers errin geïnteresseerd zijn“. Over anderhalve maand straan de twee aartsrivalen opnieuw tegenover elkaar. Ditmaal bij het EK in Portugal. Fritsch weet dat het bij deze wedstrijden gek kan lopen. Een Duitse overwinning op de aan chronische zelfoverschatting lijdende Hollanders zou in de Bondsrepubliek niemand verbazen. Maar Oliver Fritsch blijft hoffelijk: ,,Ik houd het op 1-1″.

Dienstag, 4. Mai 2004

Ballschrank

Bundesliga

„Sprengstoff in Stuttgart – geht Trainer Magath?“ (NZZ) – Haareraufen in Berlin – „Meisterschaften und Meineide“ (FAZ), 100 Jahre Schalke 04, und alle gratulieren u.v.m.

VfB Stuttgart – VfL Bochum 1:1

Noch bevor der Boss überfahren wird, muss die Nachfolgeregelung in der Schublade liegen

Martin Hägele (SZ 4.5.) bemerkt Wut und Ruhe in der Stuttgarter Trainerdiskussion: „Der Getränkehändler und sein Freund aus Steinenbronn, die Dauerkarten beim VfB für den exklusiven Korridor zwischen Presseblock und Vip-Logen besitzen, waren außer sich. Die laute Wut des Duos entlud sich in der Aufforderung an die Journalisten, endlich die Wahrheit über Felix Magath zu schreiben: der Stuttgarter Teammanager sei ja längst ein Bayer, er solle schnell weiterziehen Richtung München. Magath habe seine Mannschaft mit der Nominierung des Schweizers Hakan Yakin absichtlich geschwächt, er spiele jetzt schon für den neuen Arbeitgeber und tue alles dafür, dass die Herrschaften von der Säbener Straße am Saisonende in der Tabelle vor dem VfB Stuttgart stünden. Ihre Informationen über den anstehenden Trainerwechsel hatten die beiden heißgelaufenen Fans aus Bild am Sonntag bezogen. Der Co-Autor der Enthüllungsgeschichte über die Trainer-Pläne der Bundesliga (Magath zu Bayern, Augenthaler zu Hertha, Daum zurück zum VfB) musste sich deshalb die Frage gefallen lassen, ob er mit Christoph Daum, dem Meistertrainer von Fenerbahce Istanbul, vor dieser Story eine Wasserpfeife geraucht habe. Das Blatt beruft sich jedenfalls auf ein Treffen zwischen Daum und einem VfB-Delegierten in einem Istanbuler Golfklub. Nun gehört das Spekulieren mit den wenigen großen Namen immer mehr zum Mediengeschäft, und die Lauscher aus Springers Frontorgan gelten gewöhnlich als gut informiert, auch weil von interessierten Kreisen Botschaften dort lanciert werden. Unvorstellbar erscheint freilich das Comeback Daums am Neckar. Der Mann hat im und ums Rote Haus zu viel verbrannte Erde hinterlassen. Und der neue Vorstandsvorsitzende Erwin Staudt sowie Aufsichtsratschef Dieter Hundt, die bei ihrer Personalpolitik zuvorderst auf das Attribut seriös achten, werden das mühevoll reparierte Image des Cannstatter Traditionsklubs nicht mit einem am Kokain gescheiterten Bundestrainer-Kandidaten belasten, der wie noch kein anderer Trainer zuvor Millionen an der Nase herum geführt hat. In der Stuttgarter Zeitung, dem wichtigsten Blatt am Ort, wird Christoph Daum, der vor ein paar Monaten ja noch Türke werden wollte, nicht einmal erwähnt. Dort schließt VfB-Chef Staudt allerdings nicht aus, „dass uns Felix Magath verlässt“. Der ehemalige IBM-Vorstandsvorsitzende: „In der Wirtschaft gibt es eine goldene Regel, die lautet: Noch bevor der Boss überfahren wird, muss die Nachfolgeregelung in der Schublade liegen.“ Die Gesetzmäßigkeiten im Fußball-Metier hat Staudt schnell verinnerlicht.“

Michael Ashelm (FAZ 4.5.) fügt hinzu: „Der FC Bayern München spielt in den Überlegungen des VfB Stuttgart derzeit eine besondere Rolle. Seit Wochen befinden sich die Schwaben im Wettstreit mit dem deutschen Rekordmeister um den zweiten direkten Qualifikationsplatz für das große Fußballgeschäft in der Champions League. Nach dem mageren 1:1 mußte in diesem Zweikampf ein Rückschlag hingenommen werden. Doch für mehr Aufregung sorgen in diesen Tagen die immer öfter diskutierten Wechselgerüchte um den Trainer und Stuttgarter Teammanager Felix Magath, der von einigen schon spekulativ zur nächsten Saison als Nachfolger von Ottmar Hitzfeld beim FC Bayern gesehen wird. Dem widerspricht nun der VfB-Präsident Erwin Staudt gegenüber dieser Zeitung: „Mein Umfeld ist total ruhig. Ich habe keine Indizien, daß Magath weggeht. Wenn ich mit ihm darüber rede, sagt er mir immer, daß es keinen Anlaß zur Besorgnis gebe.“ Das klingt zwar logisch, hört sich aber nicht so stark an, als würde Staudt selbst hundertprozentig darauf vertrauen. So betont der Präsident, daß der Klub „auf alle Eventualitäten vorbereitet“ sei.“

Ich habe viel für den VfB getan, da kann ich auch einmal an mich denken

Oliver Trust (FR 4.5.) ergänzt: “Klar ist, die Stuttgarter befinden sich drei Spieltage vor Saisonschluss in einer brisanten Lage. Tauchen bei Hitzfeld in München immer mehr Zweifel auf, ob es gut geht, wenn er sein „Gnadenjahr“ in München bis 2005 durchzieht, so gibt es diese Zweifel auch in Stuttgart. Bei der schwachen Vorstellung gegen Bochum murrten Teile des Publikums. Die Stimmung könnte schnell gegen Magath kippen, wenn Siege auf der Zielgeraden ausbleiben und kein klares Bekenntnis sowie eine Vertragsverlängerung folgen. Magath aber sitzt da wie immer und sieht aus wie ein Rätsel aus Fleisch und Blut. Mit stoischer Ruhe rührt er im Pfefferminztee. „Zu München sage ich nichts mehr“, sagt er und grinst in die enttäuschten Gesichter. Ende der Durchsage. Der 50-Jährige hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass ein Vertrag bei Bayern eine Art Lebenstraum wäre. „Ich habe viel für den VfB getan, da kann ich auch einmal an mich denken“, sagt er zu seiner Weigerung, seinen Vertrag in Stuttgart jetzt schon zu verlängern. In der Führungsetage der Schwaben regt sich Verständnis für Magath. „Ich kann das Gänsehautgefühl bei einem Trainer verstehen, wenn ihm der Branchenführer ein Angebot vorlegt“, sagt Staudt. „Wir reden in der Mannschaft nicht über dieses Thema“, behauptet Keeper Hildebrand. So entspannt wie möglich saß er auf der Interview-Couch des Südwestrundfunks. „Wir lachen über all die Spekulationen.“ Erst wenn die Kameras abgeschaltet sind, gestehen die Spieler, dass sie das Thema Magath sehr wohl beschäftigt.“

Tobias Schächter (taz 4.5.) verlangt Klarheit statt Gerüchten: „Nach dem 1:1 kündigte der Spielervermittler Dusan Bukovac in einem Hintergrundgespräch spektakuläre Trainer- und Managerwechsel in der Bundesliga an. In einem mit Pressevertretern heillos überfüllten Nebenzimmer eines kirgisischen Restaurants in Bad Cannstatt bat der Bulgare um Stillschweigen. Bukovac gab den Wechsel von VfB-Trainer Felix Magath zu Fenerbahce Istanbul bekannt. Die Stelle in der Türkei wird frei, weil Christoph Daum eine Lehre als Chemielaborant bei Bayer beginnt und nebenbei Leverkusens Fußballer zur Meisterschaft führen soll. Den Werksklub verlässt Klaus Augenthaler und geht zur Hertha. Berlin sei schließlich viel weiter von Augenthalers Wohnort in Niederbayern entfernt; mit dem vielen Geld von der Kilometerpauschale wolle sich der leidenschaftliche Angler in seinem Garten einen künstlichen Teich voller dicker Fische anlegen. Sensationell auch der Wechsel von Uli Hoeneß zum VfB Stuttgart, der Ottmar Hitzfeld als Nachfolger Magaths am Neckar präsentieren will. In München soll Manfred Ommer, der ehemalige Präsident des FC Homburg, Hoeneß beerben. Der neue Bayern-Trainer heißt Jimmy Hartwig. Chaos brach aus. Die Journalisten brüllten in ihre Handys. Jeder wollte der Erste sein, der diese sensationelle Rotation der Öffentlichkeit preisgab. Ach, wärs doch nur so gewesen. Endlich herrschte Klarheit und niemand müsste länger die immer tollkühneren Volten des Boulevards ertragen. Solange keine offizielle Bestätigung für den Wechsel des Fußballtrainers Felix Magath von Stuttgart zu den Münchner Bayern besteht, wird weiterhin viel Bemerkenswertes dem Geraune aus dem Reich der Spekulation weichen.“

Können „lahme Enten“ Bayern und den VfB trainieren? Klaus Hoeltzenbein (SZ 4.5.) ist skeptisch: „Solche Abschiede, mögen sie noch so rührig inszeniert sein, haben ja stets auch einen pekuniären Hintergrund – es gibt wie in jedem Ehevertrag Klauseln und Kleingedrucktes. Daran fühlt sich Bayern-Manager Uli Hoeneß gebunden, es ist mehr als ein Lippenbekenntnis, wenn er darauf beharrt, Hitzfelds Kontrakt bis 2005 ausleben zu wollen. Er tut dies jedoch in Kenntnis der Tatsache, dass die Beziehung erst einmal das dramatische Saisonfinale, das Heimspiel am Samstag gegen Werder Bremen, sowie die folgende Auswärtspartie beim VfB Stuttgart ohne weiteren Schaden überstehen muss. Und dass in dieser Phase vielleicht der VfB Bereitschaft signalisiert, Felix Magath schon im Sommer 2004 ziehen zu lassen. Für Sommer 2005 darf der Transfer Magath für Hitzfeld ohnehin als fest verabredet gelten. Warum also die Sache nicht vorziehen, statt in der nächsten Saison zwei Spitzenklubs mit Führungskräften auf Zeit (engl. lame ducks = lahme Enten) zu beschweren? Weil all dies im Fluss zu sein scheint, hat Hitzfeld am Freitag sein persönliches Langzeit-Finale in München angekündigt. Das war kein emotionaler Akt, nicht von ihm, dem Mathematiker und Champions-League-Strategen. Nun hat er wieder die Option des Handelns, ist nicht mehr abhängig davon, ob in der Bayern-Troika Franz Beckenbauer oder Karl-Heinz Rummenigge womöglich einem anderen Plan als Hoeneß folgen. Er kann die guten von den schlechten Angeboten trennen, und bei der EM im Juni in Portugal abwarten, was sich ergibt aus deren Verlauf. Für DFB-Teamchef Rudi Völler wird der Name Hitzfeld in den Gruppenspielen gegen die Niederlande, Tschechien und Lettland ein ständiger, lästiger Begleiter sein. Denn Hitzfeld ist frei. Er ist auf dem Markt. Offen nur, ob die Trennung über kurz oder lang erfolgt.“

Schalke 04 – Hertha BSC Berlin 3:0

Christoph Biermann (SZ 4.5.) plaudert aus dem Nähkästchen: „Vor etlichen Jahren arbeiteten Trainer Hans Meyer und Verteidiger Marko Rehmer schon einmal bei Union Berlin zusammen. Der Traditionsklub aus dem Osten der Stadt war damals Drittligist und hoffte darauf, zum ersten Mal in die Zweite Bundesliga aufzusteigen. Als es kurz vor Saisonende nach Erfurt ging, wartete das Team morgens im Bus auf Rehmer. Doch bald schon eilte der Platzwart herbei und teilte mit, der Verteidiger habe sich gerade abgemeldet. Der Hund seiner Freundin sei entlaufen und er müsse bei der Suche helfen. So reiste Union Berlin ohne den späteren Nationalspieler ab und spielte in Erfurt nur remis. Abends rief Rehmer bei Hans Meyer an und meldete glücklich („das Wichtigste zuerst“), dass der Hund wiedergefunden worden sei. Dann dankte er dem Coach für sein Verständnis. Meyer legte wortlos auf. Als der Verteidiger 1998 in der Nationalmannschaft debütierte (2:1 gegen Malta), saßen Hans Meyer und seine Frau vor dem Fernseher. Er wies sie auf seinen ehemaligen Spieler hin, und Frau Meyer erinnerte sich sofort: „Ach, der Hunde-Rehmer.“ Wahrscheinlich hat Hans Meyer das am Sonntagabend in der Arena AufSchalke auch gedacht. Und sollte ihm die Geschichte wirklich in den Sinn gekommen sein, dürfte er sich nichts sehnlicher gewünscht haben, als dass im Hause Rehmer wieder ein Hund entlaufen wäre.“

Richard Leipold (FAZ 4.5.) hätte Verständnis für Hans Meyer, wenn Meyer sich die Haare raufen würde: “Nach der Niederlage in Gelsenkirchen schien dem Trainer von Hertha BSC Berlin sogar der von ihm gerne benutzte Fluchtweg in die Ironie versperrt. Dem 0:3 vermochte nicht einmal Hans Meyer etwas Erheiterndes abzugewinnen. Seine Mannschaft hatte in Gelsenkirchen nicht bloß ein Fußballspiel verloren. Sie hatte den gut aufgelegten Schalkern den Sieg geradezu aufgedrängt und sich selbst für die zweite Liga empfohlen Drei Spieltage vor Ultimo ist Hertha nur noch ein Punkt vom 16. Tabellenplatz und den Abstiegsrängen entfernt. Statt süffisant zu lächeln, lamentierte Meyer. Er habe sich an der Seitenlinie genauso hilflos gefühlt wie die Hertha-Fans auf der Tribüne. Näher wollte er diesen Befund nicht erläutern: „Ich werde nicht mein ganzes Seelenleben ausbreiten.“ Schon vor den beiden Platzverweisen gegen Marko Rehmer und Malik Fathi sah es so aus, als spielten die Berliner in Unterzahl. (…) Was sich auf dem Rasen zugetragen hatte, verdarb dem zum Sarkasmus neigenden Fußball-Lehrer die Laune so gründlich, daß er es vermutlich kaum erwarten kann, in drei Wochen abermals in den Ruhestand zu treten.“

100 Jahre Schalke 04

Meisterschaften und Meineide

Sehr lesenswert! „Auf Schalke ist alles anders. An diesem Dienstag läuten Gelsenkirchens Kirchenglocken zu Ehren des Klubs.“ Jörg Stratmann (FAZ 4.5.) gratuliert zum 100. Geburtstag: „Seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gehört es zu den Plattitüden der Fußballberichterstattung, daß dieser Klub bei allen sportlichen Verdiensten zugleich für Schock und Skandal steht. Für Meisterschaften ebenso wie für Meineide und sorgsam gestrickte Mythen, denen beispielsweise auch die jüngst in Auftrag gegebene Aufarbeitung der Nazi-Zeit auf Schalke nichts wird anhaben können. Der FC Schalke 04 ist ein gewachsener Widerspruch in den Vereinsfarben Blau und Weiß, der gleichwohl eine Anhängerschar versammelt hat, deren Zahl landauf, landab nur noch von den Freunden des FC Bayern München übertroffen wird. Die Unsicherheit der ernsthaften Chronisten, das räumen sogar die Sprecher der wohlorganisierten Schalker Fangemeinde ein, beginnt schon mit dem Datum der Vereinsgründung. War es tatsächlich der 4. Mai 1904, als sich eine Gruppe 14 und 15 Jahre alter Jungen auf einer unebenen Wiese am zerfallenen Herrschaftssitz „Haus Goor“ an der einstigen Hauergasse zusammentat? Auf ein Protokoll haben diese acht halbwüchsigen Gründer des Vorgängervereins Sportclub Westfalia Schalke aus naheliegenden Gründen verzichtet. (…) In seinen späten Jahren hat Ernst Kuzorra vor allem von den Anfängen geschwärmt. Wie er beispielsweise ausgerechnet am Sonntag seiner Konfirmation nachmittags erstmals auf Schalke gekickt habe, leider in den guten Schuhen, was ihm eine ordentliche Tracht Prügel der Mutter eingetragen habe. Danach verklärte sich manch andere Erinnerung, wenn der alte Mann auf seinem Lieblingsplatz des Vereinslokals im Schatten der denkmalgeschützten Tribüne des ersten klubeigenen Stadions „Glückauf-Kampfbahn“ bei Pils und Korn den Blick zurückschweifen ließ. Davon erzählen heute noch Stammgäste, wo ein kleines Messingschild an das berühmteste Klubmitglied erinnert. Doch zuletzt hat sich der Mann, der wie kein anderer für sportliche Größe und Tradition des FC Schalke 04 steht, auch sehr über aktuelle Vorkommnisse und Entwicklungen neben dem Rasen erregen müssen. 1990 ist Kuzorra vierundachtzigjährig gestorben. Bis zuletzt pflegte er, umgeben von dicken Schwaden der unvermeidlichen Brasil, über „dat schöne Schalke“ von damals zu sinnieren. Denn „dat schöne Schalke“ komme niemals wieder. „Dat nich.“ Dabei hat er die Zeit der Sonnenkönige und Zufallskandidaten unter den Präsidenten gar nicht mehr erlebt. Doch das schönste Schalke schon in Kuzorras Meisterjahren war ja schon zum skandalträchtigen Schalke geworden. Keinerlei Legendenbildung kommt am ersten Eklat vorbei: Als der sportliche Erfolg dem Verein zu gewissem Reichtum verholfen hatte, wollte nämlich die Mannschaft partizipieren, mit fünfzig Mark vor dem Spiel und zehn statt der erlaubten fünf Mark Spesen. Der Verband sperrte die Spieler wegen Verstoßes gegen die Amateurbestimmungen und schloß auch acht Vorstandsmitglieder aus. Willi Nier, für die Vereinsfinanzen zuständig, nahm sich das zu sehr zu Herzen und stürzte sich deshalb in die Emscher. Oder nebenan in den Rhein-Herne-Kanal, wie andere Quellen berichten. Jedenfalls nahm er die Bücher, die er noch vergeblich zu verfälschen versucht hatte, mit. Bei dieser traurigen Geschichte blieb es nicht. Auch der damalige Kassenwart Radecke und Präsident Möritz wußten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund bekanntgewordener Unregelmäßigkeiten keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen. Es gehört zur Schalker Geschichtsschreibung, daß diese so tragisch endenden Verfehlungen mit mildem Mitgefühl verklärt werden. In dieser Region sei halt verständlich, heißt es, daß erst der geliebte Verein und dann lange Zeit nichts komme. Das mag auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld zu tun haben, in dem dieser Arbeiterverein gewachsen ist. Dessen Mitglieder stammten zum großen Teil aus Familien, die aus Masuren oder Ostpreußen in den industriellen Ballungsraum Ruhrgebiet eingewandert waren. Und die erfolgreichen Kicker von Schalke 04 mit den oft polnisch klingenden Namen kompensierten das, was Soziologen den „sozialen Minderwertigkeitskomplex der Arbeiterschaft“ nennen. Das ist so geblieben in einer Stadt, deren Strukturwandel jeden Fünften arbeitslos gemacht hat.“

Vielleicht wäre ich der Putzer des Kaisers geworden
SZ-Interview mit Rolf Rüssmann über den runden Geburtstag

SZ: Eine der besten Schalker Mannschaften beteiligte sich am schlimmsten Skandal der Bundesliga – der Bestechungsaffäre um Arminia Bielefeld, 1971. Auch Sie waren verwickelt.
RR: Ich rede nicht gern darüber, aber wenn Sie mich danach fragen – es gehört ja auch dazu. Das ist damals so entstanden, dass unser ehemaliger Spieler Waldemar Slomiany zu Arminia Bielefeld gegangen war und noch Freunde in der Mannschaft hatte. Bielefeld stand im Abstiegskampf, und dann haben einige ältere Spieler von uns gesagt: „Wir müssen doch dem Walusch helfen“ (prompt verlor Schalke 0:1 gegen Arminia/Red.). Verdient haben wir keinen Pfennig dabei – im Gegenteil, fünf, sechs Jahre haben wir bezahlt dafür, da ging alles drauf.
SZ: 2300 Mark gab es für die Schiebung, schon damals eine bescheidene Summe für Fußballer. Warum haben Sie mitgemacht?
RR: Ich hatte nicht die Größe, mich dagegen zu wehren. Der einzige, der das getan hat, war Reinhard Libuda. Als dieser Vorschlag kam in der Kabine – „die haben da Geld für uns, sollen wir das machen?“ –, hat der Stan gesagt: „Nein, mache ich nicht.“ Eigentlich gab es dann nicht mal einen richtigen Beschluss, es hat sich einfach so ergeben, auch im Spiel. So ein Blödsinn.
SZ: Dieser Blödsinn hat Schalke über Jahre geprägt. Mit Ermittlungen, Prozessen, Zivilverfahren. Schalke war abgestempelt als Skandalklub.
RR: In diese Rolle ist Schalke zu Unrecht gedrängt worden, ich hab“ ja nun genügend Erfahrung in der Bundesliga und weiß, dass andere Vereine keinen Deut besser waren. Natürlich hat der Skandal dem Ruf geschadet. Wir haben einen Fehler gemacht, aber weniger aus materiellen Gründen – es war einfach eine Eselei. Ich will das nicht runterspielen mit so einem Begriff. Das Ganze war verwerflich, Betrug am Zuschauer, und ich habe das immer wieder bereut und aufzufangen versucht mit sozialen Geschichten. Aber was ich einfach sagen will: Es hat eine Mannschaft kaputt gemacht, die ganz Großes hätte leisten können.
SZ: Schalke hätte sogar dem FC Bayern Konkurrenz machen können, der zu der Zeit zum Riesen heranwuchs.
RR: Durch den Skandal ist unser Potenzial völlig verschüttet worden. Als das 1971 passierte, wurden Klaus Fichtel, Reinhard Libuda und ich für die Nationalelf und die Europameisterschaft gesperrt – „Bannstrahl“ hieß das. Ich erinnere mich an ein Länderspiel gegen Albanien, wo ich plötzlich ausgeladen wurde. Da hat der Georg Schwarzenbeck debütiert. Vielleicht wäre ich sonst der Putzer des Kaisers geworden.
SZ: Der „FC Meineid“ war geboren.
RR: Hinterher wurde uns Eidesnotstand zuerkannt, so dass wir aus der Geschichte rauskamen und im Januar 1974 begnadigt wurden und wieder spielen durften. 1976 hat der DFB den Klaus Fischer und mich auch wieder für die Nationalmannschaft zugelassen. Von Schalke kam zu dieser Zeit noch der junge Rüdiger Abramczik dazu, der neue Libuda.
SZ: Der alte Libuda bleibt aber doch einzigartig?
RR: Natürlich. Libuda gehört in die Reihe dieser großen Schalker Szepan und Kuzorra, fußballerisch war er eine Rakete. Ein anständiger Kerl, ein schlichtes Gemüt, ein Gefühlsmensch, geprägt von dieser Stadt. Bei ihm hing zwischen Himmel und Hölle alles zusammen, und das hat die Leute fasziniert.
SZ: Ein berühmter Gelsenkirchner Glaubenssatz besagte: „An Jesus [of: Jesus?! Ich dachte immer, am lieben Gott…] kommt keiner vorbei – außer Stan Libuda.“
RR: Ich erinnere mich daran, als es 1985 das letzte Grubenunglück in Gelsenkirchen gab. Acht oder neun Bergleute sind gestorben. Ich war noch Spieler in Dortmund. Dann habe ich die 72er-Mannschaft für ein Spiel in der Glückaufkampfbahn zusammengebracht und alle Meisterspieler aus den Dreißigern kommen lassen, die noch lebten. An einem Ostermontag kamen gegen eine Stadtauswahl von Gelsenkirchen mehr als 20 000. Sie können sich nicht vorstellen, wie die Leute Stan gefeiert haben.
SZ: Die Verehrung für die Größen des Klubs dauert bis heute an und musste von allen Präsidenten geachtet werden. Überliefert ist, wie Günter Eichberg 1990 aus Florida zu spät zur Beerdigung Ernst Kuzorras kam – und die Zeremonie einfach wiederholt wurde.
RR: Das hat der Charly Neumann arrangiert, typisch. Der hat den Oberbürgermeister noch mal rangeschafft, den Kranz und die Fahne herausgeholt, und dann wurde das alles fotografisch festgehalten. Aber die viel schönere Geschichte ist die, wie 1974 Fritz Szepan beerdigt wurde. Da war zufällig auch noch eine andere Beerdigung, die den unglaublich langen Trauerzug von der Glückaufkampfbahn zum Friedhof Rosenhügel kreuzte. Prompt sind dann die Leute hinter dem falschen Zug hergelaufen. Alle waren tieftraurig und hatten den Kopf gesenkt – und dann pfiff einer auf zwei Fingern und rief: „Hier ist der Fritz!“ Und all die Tausend Leute schwenkten um, wie die Ameisen.

Hans Dieter Baroth (Tsp 4.5.) reiht sich ein: „Die Elf von Schalke 04 galt als von den Nationalsozialisten gehätschelt. Es wurden Schriften auf den Markt gebracht, in denen der Aufstieg der Nazis mit dem Erfolg der Schalker ideologisch auf eine Stufe gestellt wurde. Erst Jahrzehnte später erfuhren die Fans, dass ihr Spieler Fritz Szepan Wahlaufrufe für die NSDAP unterschrieben hatte. Deshalb verweigerte der Rat der Stadt, in Gelsenkirchen eine Straße nach ihm zu benennen. Während des Krieges wurden Schalker Spieler nicht eingezogen. Die Elf blieb fast komplett zusammen, was auch ihre Stärke ausmachte. Die Männer um Hans Klodt, Fritz Szepan, Ernst Kuzorra, Hermann Eppenhoff, Otto Tibulski und Co. spielten zu lange ohne eine Verjüngung der Elf. Die Zäsur erfolgte am 18. Mai 1947 in Herne beim Endspiel um die Westfalenmeisterschaft. Bei strömenden Regen unterlag Schalke gegen Dortmund 2:3. Die Enttäuschung war so groß, dass die Männer um Ernst Kuzorra nicht zur Siegerehrung erschienen. Es war die Geburtsstunde einer tiefen sportlichen Feindschaft. Die Borussia wurde in dem vergangenen halben Jahrhundert mehrfach Deutscher Meister, Schalke nur noch einmal.“

Was macht Schalke so besonders? Andreas Morbach (FTD 4.5.) antwortet: “Die Fans. Der stets hoch gelobte Stolz des FC Schalke, in der laufenden Saison verantwortlich für 42 100 verkaufte Dauerkarten. „Mittelprächtige Stimmung bei uns schlägt Superstimmung in Dortmund“, behauptet Olaf Thon, das letzte berühmte Eigengewächs des Klubs. Obwohl sich mit dem Umzug in die moderne Multifunktionsarena „AufSchalke“ auch das Publikum verändert hat. In den Business-Seats und VIP-Logen vergnügen sich heute Menschen, die diesen Verein vor ein paar Jahren noch gemieden hätten wie einen Leprakranken. Jetzt sind sie da, und weil das so ist, wird selbst in dem bei jedem Fußballspiel bis unters Dach gefüllten Stadion schon mal auf die Stimmung drückt. Aber die Gutverdiener finanzieren mit ihren teuren Tickets eben auch die 15 000 Nordkurven-Stehplätze zu 8 Euro das Stück mit. Das ist, so zu sagen, der klubinterne Kohlepfennig des FC Schalke, der sich auch vier Jahre nach Schließung der allerletzten Zeche in der „Stadt der tausend Feuer“ beharrlich mit dem Flair des Arbeitervereins umgibt. Der Kult um den Klub entstand, als Ernst Kuzorra und Fritz Szepan in der 1930er Jahren den berühmten Schalker Kreisel schufen, das verwirrende Kombinationsspiel, in dem die Gegner erst die Orientierung und dann die Spiele verloren. Sechs seiner sieben Meisterschaften holte der Verein während des NS-Regimes. Und die Nationalsozialisten jubelten auf dem Schalker Markt fleißig mit. Den Stars wurde nicht immer nur Respekt entgegengebracht. Ein Geizkragen sei dieser Kuzorra gewesen. Sagen die, die mit dem 1990 verstorbenen Idol in der Vereinskneipe neben der Glückauf-Kampfbahn abwechselnd Korn und Pils in die Rachen schütteten und heute noch immer am Tresen lehnen. Geld spielte auf Schalke stets eine große Rolle.“

Die Schalker haben die Wirklichkeit bis an die Schmerzgrenze gebeugt

Richard Leipold (FAS 2.5.) erinnert an eine traurige Geschichte: “Was sich in Gelsenkirchen abspielt, böte genug Stoff für einen Film mit Überlänge. Eine (Spiel-)Zeitverschiebung an diesem Samstagnachmittag gegen 17 Uhr 15 hat Illusion und Realität einander so stark angenähert, daß sie für 4 Minuten und 38 Sekunden deckungsgleich scheinen. In Schalke ist das Spiel zu Ende, und das Parkstadion verwandelt sich in ein großes Kino. Auf der Videowand sieht man die Münchner. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmt, bis sie nicht mehr vorhanden ist. Wird in Hamburg noch gespielt, oder ist das nur ein Zusammenschnitt der wichtigsten Szenen? Ein Fernsehreporter behauptet, die Antwort zu kennen. In Hamburg sei Schluß, Bayern habe verloren. Nun fühlt sich auch Manager Rudi Assauer als Meister; ein Feuerwerk erfüllt die Betonschüssel mit bunten Blitzen, Böllerschüsse kündigen den großen Knall an. Dann bricht die Wirklichkeit via Bildschirm ins Parkstadion ein und vertreibt die Schalker aus dem Paradies – unbarmherzig und brutal. Der Münchner Verteidiger Patrik Andersson nutzt einen Freistoß in der Nachspielzeit zum Ausgleich, Bayern ist Meister. Die Fans des FC Schalke, die Spieler und auch Manager Assauer weinen wie Kinder. Nicht einmal Trainer Huub Stevens, ein vom Leben früh zur Härte erzogener Mann, kann die Tränen unterdrücken. Die kolossale Schüssel Parkstadion wird zu einem Tränenmeer, in dem Assauer die Titanic des Fußballs versinken sieht, auch wenn die Kapelle hier in Gelsenkirchen längst aufgehört hat zu spielen. Diese 4 Minuten und 38 Sekunden auf einem Parcours zwischen Glück und Grauen, zwischen Traum und Albtraum erzählen mehr von dem, was Schalke berühmt macht, als es der Gewinn der achten deutschen Meisterschaft vielleicht vermocht hätte. Auch und gerade der Umgang mit den Launen des Schicksals macht diesen Klub zum Mythos. (…) Die Wirklichkeit kann unbeugsamer daherkommen, als es die Schalker Volksseele wahrhaben will. Dieses Gesetz zu ignorieren, sich dagegen aufzulehnen; der untaugliche, zuweilen bis zur Selbstzerfleischung betriebene Versuch, Grenzen zu verrücken, hebt Schalke 04 in den Rang eines Phänomens, das die Menschen fasziniert. Die Schalker haben die Wirklichkeit bis an die Schmerzgrenze gebeugt – und darüber hinaus. Als der damalige Präsident Günter Eichberg zur Beerdigung Ernst Kuzorras eingeflogen kam, saß die Trauergemeinde schon beim Leichenschmaus. Doch Eichberg bestand darauf, die Ikone selbst zu Grabe zu tragen. Der Sarg wurde exhumiert und abermals beigesetzt. „Dann waren alle zufrieden, auch der Ernst“, sagt Mannschaftsbetreuer Karl-Heinz Neumann. An jenem Tag im Mai aber mußten die Schalker sich fügen. Seitdem weigert sich Assauer, den Fußball als Ersatzreligion anzuerkennen. „Ich glaube nicht mehr an den Fußballgott, weil er nicht gerecht war und ich seine Grausamkeit nicht verstehen kann.“ Die verpaßte Meisterschaft hat das naive Urvertrauen erschüttert.“

Montag, 3. Mai 2004

Ballschrank

International

AC Milan gewinnt Scudetto – FC Valencia fast am Ziel, Real Madrid verliert erneut u.v.m.

Milans eindrücklichster Leistungsausweis ist die Bilanz der direkten Partien mit den andern Titelanwärtern

Peter Hartmann (NZZ 3.5.) gratuliert AC Milan, 1:0-Sieger gegen AS Roma, zum Titel: „Francesco Totti, Regisseur und Alphatier der Gruppe, wurde von Gennaro Gattuso mit hartnäckiger Manndeckung schikaniert und ausgeschaltet, und sein hochgelobter junger Angriffspartner Antonio Cassano fiel nur durch Lamentieren auf. Wie Ancelotti setzte der Roma- Trainer Fabio Capello bei dieser finalen Fussball-Schachpartie auf den gleichen taktischen Zug all‘italiana: Der Franzose Dacourt sollte im Mittelfeld den brasilianischen Wunderknaben Kakà auf Schritt und Tritt in die Mangel nehmen. Doch Kakà entwand sich mit schlafwandlerischen Dribblings der Umarmung: Mit dem ersten Sprint riss er die Roma-Deckung auf, und Schewtschenko flog genau in die Flankenbahn (später vergab er zwei hervorragende Konterchancen). Die Milan-Squadra erreicht jetzt einen Rekordstand von 79 Punkten, aber ihr eindrücklichster Leistungsausweis ist die Bilanz der direkten Partien mit den andern Titelanwärtern: Sie gewann gegen die AS Roma, Juventus, Lazio und Inter 22 von 24 möglichen Punkten. Umso erstaunlicher, dass ihr in La Coruña dieser Blackout passierte und sie sich schon nach dem Viertelfinal aus Europa verabschieden musste. Kakà und „Sheva“ bilden die Sturm-und-Drang-Abteilung des Teams, ergänzt vom Dänen Tomasson. Der monatelange Ausfall Filippo Inzaghis, der vergangene Woche am Knöchel operiert wurde, fiel erstaunlicherweise überhaupt nicht ins Gewicht. Ancelottis Trouvaille war die Verwendung des erst 24-jährigen Ballverteilers Pirlo, der nach seinen Wanderjahren durch Italien bei Inter schon als Gescheiterter galt. Auch der Holländer Seedorf wurde von Inter verschmäht und fand bei Milan seine Spielfreude wieder. Offen bleibt die Zukunft der Abwehr, denn Maldini mit 36, Costacurta mit 38 Jahren und auch der 33-jährige Cafù sind zwar nicht momentan, aber vielleicht schon morgen Sicherheitsgaranten auf Widerruf. Milan bemüht sich deshalb um den holländischen Lazio-Hünen Jaap Stam. Als Warnung dient den Mailändern der Fall der „alten Dame“ Juventus: letztes (und vorletztes) Jahr noch Meister mit der besten Verteidigung, jetzt mit unglaublichen Abwehrlecks auf Platz drei abgestürzt, und Trainer Lippi hat seine Demission eingereicht.“

44 schwarze Tage im weissen Haus

Noch eine Niederlage für Real Madrid: 0:2 in La Coruña. Georg Bucher (NZZ 3.5.) hält es für die Entscheidung in der Primera Division zugunsten des FC Valencia: „Dem bis zu Zidanes Platzverweis (41. Minute) deutlich überlegenen Titelhalter wurden viele Freiheiten gewährt und Torchancen eröffnet, doch das Glück lachte auf der eigenen Seite. Cambiasso, Ronaldo und Raul trafen die Umrandung des von Molina brillant gehüteten Tores, Tristan nach Gegenstoss und der linke Verteidiger Capdevila mit einem Freistoss Marke Roberto Carlos stellten den Spielverlauf auf den Kopf. Nimmt man das Wortspiel „Galaicos“ und „Galácticos“ auf, assoziiert einerseits ein plebejisches und anderseits ein patrizisches Flair, so lässt sich die Umwertung der Werte, ein Auseinanderdriften von wirtschaftlicher Potenz und sportlichem Erfolg, folgern. Punktuell zeichnete sich diese Entwicklung in der Primera Division schon früher ab als sonstwo und erschütterte heuer auch auf europäischem Topniveau die Hierarchien. Für Real ist nun auch das Ziel Meisterschaft in die Ferne gerückt. „Riazor verblüfft die Galaxie“ titelte „La Opinión“, mit der Schlagzeile „44 schwarze Tage im weissen Haus“ rekapituliert „El Mundo“ das reale Desaster auf breiter Front.“

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse, Torschützen, Tabellen, Zuschauer NZZ

Ballschrank

International

„viel Masse und wenig Klasse“ (FAZ) in der Serie A; AC Milan, „Synthese von Ausgeglichenheit und Spektakel“ dank Carlo Ancelotti – Celta Vigo, spielstark und abstiegsgefährdet – Grazer AK im Aufschwung – Deco, ein Mann für Bayern München – Fernando Morientes, seine Zielstrebigkeit macht den AS Monaco so erfolgreich (Tsp) u.v.m.

Viel Masse und wenig Klasse

Anlässlich der Meisterschaft des AC Milan beschreibt Dirk Schümer (FAZ 4.5.) negative Tendenzen in der Serie A: „Die Wahrheit dieser merkwürdigen Meisterschaft sieht trüber aus als die Zahlen und als die Festlichkeiten, die gleich nach dem Sieg auf Mailands Domplatz begannen. Zum ersten war dieser „Scudetto“, das Meisterwappen, die dringend benötigte Kompensation nach dem peinlichen 0:4, mit dem sich die Mannschaft von Trainer Ancelotti in La Coruña aus der Champions League verabschiedet hatte. Zum anderen beleuchtet gerade die meisterliche Dominanz die Schwäche des gesamten italienischen Fußballs: Viel Masse und wenig Klasse. In England oder Spanien hätten die Klubs der unteren Tabellenhälfte es dem Meister nicht derart leicht gemacht, auch bei mauen Auftritten rund achtzig Punkte zu sammeln. Doch in Italien ist das Gefälle der Spitzenklubs zu den Vereinen, die gegen den Abstieg kämpfen, immer größer geworden, so daß man mit Fug und Recht von zwei unterschiedlichen Wettbewerben sprechen kann. Ein neuer Fernsehvertrag mit dem Anbieter Sky aus dem Haus des Medienmoguls Murdoch vergrößert gerade in dieser Woche den finanziellen Graben zwischen den Krösussen aus Mailand und Turin gegenüber dem Rest der Liga. Selbst renommierte Spitzenklubs wie der AS Rom, der sich als Tabellenzweiter für die Champions League qualifiziert hat, AC Parma oder Lazio Rom drohen nun im Abgrund zwischen Kosten und Einnahmen zu versinken. Da sich Juventus Turin nach zwei Titelgewinnen im Umbruch befindet, gab es zum AC Mailand weder sportlich noch ökonomisch eine Konkurrenz. Mag also Italiens Sportpresse noch so schwärmen – es war ein kühl geplanter und ebenso unterkühlt unter Dach und Fach gebrachter Triumph der Vorhersehbarkeit.“

Synthese von Ausgeglichenheit und Spektakel

Peter Hartmann (NZZ 4.5.) bewundert Carlo Ancelotti, Kakà und den AC Milan: „Berlusconis Spielzeug ist eine perfekte Mannschaft, eine Synthese von Ausgeglichenheit und Spektakel, von Solidität und Phantasie. Und für diese Qualitäten steht ihr Alltagstrainer, der pragmatische Sachverständige Ancelotti mit seinem gutmütigen Gesicht einer Mortadella. Er hat sein Image des Verlierers (nach zwei zweiten Plätzen mit Juventus und nachfolgender Entlassung) bei Milan auf Anhieb mit dem Sieg (im Final gegen Juventus) in der Champions League widerlegt und ein Jahr danach mit dem 17. Scudetto. Der Trainerjob bei Milan ist so schwierig wie bei Real. In Mailand thront der absolutistische Eigentümer als Star über dem Trainer, in Madrid kümmert es die Stars wenig, wer unter ihnen den Trainer macht. Ancelotti kam vor zweieinhalb Jahren mitten in der Saison als Nothelfer zu Milan, nachdem Berlusconi gerade den aufgeplusterten „Imperator“ Fatih Terim zurück in die Türkei geschickt hatte, einen Selbstdarsteller mit ähnlichem Ego wie der Präsident. Er kannte das Milieu, denn er hatte selber noch unter Sacchi und Capello gespielt. Und er erfand die eigene Rolle des Ballverteilers im Mittelfeld neu für einen jungen Mann, dessen Karriere schon als gescheitert galt, für das Samtfüsschen Pirlo. Nicht fertig wurde er mit der Idee Berlusconis, den melancholischen Brasilianer Rivaldo in die Mannschaft einzubauen. Aber die Brasil-Abteilung Milans unter dem früheren Spieler Leonardo spähte dafür in São Paulo den 21-jährigen Kakà aus, und der Gelegenheitskauf wurde für bloss 7,5 Millionen Euro nach Mailand geholt. Kakà, ein Name wie vom Kinderspielplatz, und der grosse Markt-Manipulator Luciano Moggi von Juventus, dem er entging, rümpfte zunächst die Nase: „Einer, der so heisst, kommt bei uns nicht in Frage.“ Eigentlich heisst er Ricardo Izescson Dos Santos Leite und ist ein atypischer Exot in der ausgedehnten brasilianischen Paradiesvogel-Kolonie: weiss, aus bürgerlichem Haus, mit Matura und Brille, und er verdiente, in seinem ersten Europa-Jahr, lediglich 1,5 Millionen Euro. Ancelotti erkannte sofort seine Talente und verglich ihn mit Platini. Brasiliens früheren Nationalcoach Scolari erinnert er an van Basten. In die Augen springt bei Kakà seine Fähigkeit, das Spiel zu vertikalisieren und einfach geradeaus Richtung Tor zu spielen, die Leichtfüssigkeit, fast Unverwundbarkeit in den Duellen mit klammernden und tretenden Verteidiger-Kletten. Noch eine Parallele: Kakà erscheint wie ein moderner Wiedergänger von Johan Cruyff.“

Dieser Regen hier ist süß

Birgit Schönau (SZ 4.5.) fügt hinzu: „Carlo Ancelotti hat eine Träne verdrückt im warmen Mairegen des Meazzastadions, und dann hat er sich in die Luft werfen lassen von der Mannschaft, mit der er soeben seine erste Meisterschaft gewonnen hatte. Für den AC Mailand ist es der 17. Titel, Ancelotti aber hatte trotz des Vorjahressiegs in der Champions League als ewiger Zweiter gegolten in der Heimat. Weil er mit Juventus zweimal nur Vizemeister geworden war. „Ich weiß, wie der Fußball funktioniert“, sagte Ancelotti später, Regentropfen im ergrauenden Haar. „Der Tag wird kommen, an dem ich zur Diskussion gestellt werde. Man muss die glücklichen Momente genießen und die schwierigen ertragen. Ich lebe von Tag zu Tag.“ Ziemlich verhalten für einen, der gerade mit 79 Punkten am drittletzten Spieltag einen Rekordtitel eingefahren hat, aber der introvertierte Norditaliener Ancelotti ist kein Mann des lauten Triumphs. Und so dachte er in der Stunde des Siegs an seine größte Niederlage, vor vier Jahren in Perugia, als die Juventus im Regen den Titel verspielte. „Heute ist es der gleiche Regen“, sinnierte melancholisch Ancelotti, „aber in Perugia war er ätzend, dieser Regen hier ist süß.““

Georg Bucher (NZZ 4.5.) sorgt sich um Celta Vigo: „Noch offener als das Titelrennen ist in Spanien die Frage, wer Real Murcia in die zweite Liga begleitet. Acht Klubs droht die Relegation, zwei von ihnen, Real Sociedad und Celta, hatten in der Champions League debütiert und immerhin den Achtelfinal erreicht. Während die Basken aus eigener Kraft das Ziel Klassenerhalt erreichen können, sieht es für die Galicier düster aus. Der Trainerwechsel von Lotina zu Antic hatte die prekäre Lage noch verschlimmert, und man schien sich in Vigo bereits mit dem Schicksal abgefunden zu haben. Nur so ist es zu erklären, dass nach Antics Rücktritt kein „Retter“ mit klangvollem Namen, sondern das Tandem Carnero/Sáez aus dem eigenen Trainerstab zum Zuge kam. Die Wirkung war verblüffend. Im April nach Barcelona das erfolgreichste Team, blieb Celta vier Spiele ohne Gegentor und näherte sich dem grünen Tabellenbereich bis auf einen Punkt. Freilich schlugen die „Himmelblauen“ am Samstag in Madrid das Angebot aus, eine weitere Länge in Richtung rettendes Ufer zu schwimmen. Obwohl sie nach fünf Minuten bereits 0:2 im Rückstand lagen, gab es Torchancen in Hülle und Fülle, die einen Kantersieg zu ihren Gunsten gerechtfertigt hätten. So apathisch und konzeptionslos präsentierte sich Atletico nach drei Niederlagen in Folge, liess den selbstbewussten Gegner gleichsam durch die eigene Abwehr spazieren. Dem Ersatzkeeper Juanma, der Torumrandung, Milosevics Blackouts im Abschluss und zwei nicht anerkannten Toren, die man auch hätte geben können, verdankte der Uefa-Cup-Aspirant schliesslich den 3:2-Erfolg. Als Trainer Carnero die Angriffslinie mit Edu und Pinilla verbreitert hatte, kam Atletico kaum mehr aus dem eigenen Strafraum. Selbst in Unterzahl – Berizzo sah nach einer Notbremse die rote Karte – schlug Milosevic 5 m vor dem Tor unbedrängt über den Ball. Gastfreundliche Kommentare von Madrilenen, denen unbegreiflich ist, wie ein so spielstarkes Team auf der Kippe steht, nützen Celta nichts.“

Werner Pietsch (NZZ 4.5.) freut sich für Trainer Walter Schachner und den Aufschwung des Grazer AK: „„Wir wollen, wir können, aber wir müssen nicht Meister werden“, liess Walter Schachner in den vergangenen Wochen die Medienvertreter wiederholt mit verschmitztem Lächeln wissen. Dem Trainer des Grazer AK gelang es mit diesem rhetorischen Kunstgriff, Austria Wien unter Druck zu setzen. Der von Frank Stronach grosszügig geförderte Wiener Traditionsklub war bis vor wenigen Tagen der logische Titelanwärter. Man gewann sogar den Eindruck, der Klub bereite sich im Geiste schon auf die Champions League vor. Der Trainerwechsel von Joachim Löw zu Günther Kronsteiner vor einigen Wochen war Ausdruck der hohen Erwartung. Die Entlassung Löws entsprach aber auch der üblichen Halbwertszeit von rund neun Monaten für gut bezahlte Austria-Trainer. Auch Schachner, der Vor-Vorgänger von Löw im Stronach-Klub, bekam den seltsamen Brauch zu spüren. Als klarer Leader und unmittelbar nach einem eindrücklichen internationalen Auftritt des Teams im Uefa-Cup musste er im Oktober 2002 überraschend Christoph Daum Platz machen. Sei ein Mann mit so grossem Renommee wie Daum auf dem Markt, müsse man zuschlagen, lautete damals die Erklärung der Austria- Führung. Schachner, der als Stronachs Wunschkandidat geholt worden war, traf’s menschlich schwer, wie er nach wenigen Monaten vor die Tür gesetzt wurde. Danach wollte der ehrgeizige und zielstrebige Coach, der die besten Jahre seiner Spielerkarriere bei Serie-A-Klubs (Cesena, Torino) verbracht hatte, sein Fachwissen über italienische Klubs auf einer Studienreise vertiefen. Der Zufall wollte es, dass der GAK-Präsident Rudi Roth gerade nach einem neuen Coach für den Letzten der Bundesliga suchte. Der gebürtige Steirer Schachner freute sich darüber, dass man ihn in Graz unbedingt wollte, und er sagte Roth zu, den Abstiegskandidaten zu übernehmen. Was folgte, ist längst Geschichte: Schachner krempelte die Equipe um und brachte ihr in endlosen Trainingseinheiten ein flexibles 4:4:2-System bei. Neben den berüchtigten Taktikübungen sind die optimale sportmedizinische Betreuung und regelmässige Massnahmen zur Teambildung als weitere Säulen des Erfolges auszumachen.“

Champions League

Deco setzt die Tradition bedeutender Brasilianer beim FC Porto fort

Thomas Klemm (FAZ 4.5.) hält Deco für einen sehr guten Fußballer und für einen Mann für Bayern München: „Überall in Europa mögen Fußballprofis vom Gewinn der Champions League träumen – Anderson Luís de Souza gehört nicht zu ihnen. Zwar kann der Regisseur des FC Porto mit dem Ballkünstlernamen Deco nach dem 0:0 im Hinspiel beim Wiedersehen bei Deportivo La Coruña noch auf den Einzug ins diesjährige Finale von Gelsenkirchen hoffen; doch der eingebürgerte Portugiese, der mit dem Ball tanzen kann, ist längst kein Traumtänzer. Verantwortlich dafür ist der Herr Papa, der damals im brasilianischen Bernardo do Campo auf Bodenständigkeit gepocht hatte, bevor der Filius in die weite Fußballwelt zog: „Mein Vater hat mich gelehrt, nachts zu träumen und tagsüber zu arbeiten“, sagt der 27 Jahre alte Deco. Ein Schönwetterspieler ist er nicht, der technisch beschlagene Fußballprofi, der im Spiel stets kämpferisch auftritt und sich im Training engagiert. Und wer dem FC Porto so guttut, der kann nicht schlecht für den FC Bayern München sein. Seit einigen Wochen haben die Bayern-Verantwortlichen ein Auge auf den Portuenser Regisseur geworfen, der als der beste portugiesische Fußballprofi gilt, der noch in der einheimischen SuperLiga sein Geld verdient. (…) Beim FC Porto setzt der 1997 nach Portugal gekommene Deco die Tradition bedeutender Brasilianer fort. Was in den sechziger und siebziger Jahren mit Lucio und Celso begann, setzte Juary 1987 fort, als er den entscheidenden Treffer zum 2:1-Sieg über den FC Bayern im Endspiel des europäischen Landesmeister-Wettbewerbs markierte. Ende der neunziger Jahre avancierte Mario Jardel in Porto zum erfolgreichsten Torschützen Europas, ehe Deco selbst zur bestimmenden Figur wurde.“

Oh Gott, der Mann macht jetzt sein Tor!

AS Monaco im Halbfinale der Champions League; Wolfram Eilenberger (Tsp 4.5.) schreibt Fernando Morientes einen großen Anteil zu: „Es gibt viele Kriterien, die einen wahren Champion erkennen lassen: die Anzahl seiner Tore, die Sammlung der Titel, die Achtung der Konkurrenten oder die Höhe des Gehalts. Noch bevor der spanische Nationalstürmer zu einem Wechsel nach Monaco genötigt wurde, konnte er in all diesen Kategorien außerordentliche Werte vorweisen. Doch erst in dieser Saison vollbrachte er eine Leistung, die vor allem deswegen uneingeschränkte Anerkennung verdient, weil sie sich der Logik der Zahlen entzieht. Morientes hat in Monaco sich und damit sein vergangenes Selbst besiegt. Die Resignation der Madrider Bankjahre führte ihn zur erfolgreichen Revolte, die unverdiente Zurückweisung durch den Herzensklub zu einem Leistungssprung im Exil. Diese Diagnose trifft weniger auf seine fußballerischen Qualitäten zu, als vielmehr auf die Art, wie der spielstarke Strafraumstürmer seine Stärken heute zum Einsatz bringt. So lag etwas Neues in der Art, wie Morientes das matchwendende 2:1 im Hinspiel gegen Chelsea erzielte; eine souveräne Bestimmtheit, die ihn jeden einzelnen seiner 25 Meter bis zum Abschluss begleitete, ein Zug der Unbedingtheit, der sämtliche Zuschauer, vor allem aber seine Gegenspieler vor dem wuchtigen Abschluss wissen ließ: Oh Gott, der Mann macht jetzt sein Tor! Verfügt ein Stürmer über solch eine Aura zweifelsfreier Bestimmung, so ist sie wirkungsvoller als die Tore selbst, denn sie strahlt auf die gesamte Mannschaft aus und verleiht ihr damit ein Gewicht, das große Titel ermöglicht. Diese seltene Attitüde des Champions hat dem AS Monaco über Jahrzehnte gefehlt. Spätestens mit dem Finaleinzug gäbe das grandios defizitäre Fürstenteam dann den idealen Übernahmekandidaten für einen jener russischen Milliardäre ab, die auf den Yachten ihrer steuerfreien Wahlheimat seit Jahren gelangweilt hin und her schaukeln. Ob Champion Morientes dann bereits für Chelsea aufläuft?“

Sonntag, 2. Mai 2004

Ballschrank

Uli Hoeneß bläst zur letzten Attacke

„die Besseren schweigen“ (FAZ); „Bremer Sturm der Gelassenheit“ (Tsp); „meisterhafte Bremer lassen sich nicht auf die Pelle rücken“ (FAZ) – „Uli Hoeneß bläst zur letzten Attacke“ (FAZ); FC Bayern, „pragmatisch und begeisterungslos“ (SZ) – „mit dem Kölner Abstieg steht fest, daß Overaths Revolte wirkungslos geblieben ist“ (FAZ) – 1. FC Kaiserslautern, „Fremdenlegion in Fußballstiefeln“ (SZ) – „ein Podolski macht noch keinen Kölner Klassenerhalt“ (taz) – „Teile der Freiburger Basis sind es leid, immer nur der sympathische Außenseiter zu sein“ (SZ); Hoffnung für 1860 München, „statt paramilitärischer Ordnung, die jede Individualität abwürgt, baut Gerald Vanenburg auf Eigenständigkeit“ (SZ u.v.m.

Werder Bremen – Hamburger SV 6:0

Wer hohe Ansprüche einlöst, muß nachher nichts mehr erläutern

Werder Bremen handelt auf dem Spielfeld, Uli Hoeneß vor Kamera und Mikrofon; Roland Zorn (FAZ 3.5.) weiß, was er selbst bevorzugt: „Jetzt, da es um die Wurst geht, führt Uli Hoeneß, Sproß einer Ulmer Fleischerfamilie, wie gehabt das große Wort. Der Wurstfabrikant bleibt dazu im Boulevardbild der Woche, wenn er den Hamburger SV einer „Sauerei“ bezichtigt und den Vorwurf erhebt, der HSV habe sich „abschlachten“ lassen. An Grob- und Derbheiten hat es auch in den Tagen davor nicht gefehlt, als das „Schlachtfest“ von Bukarest verarbeitet wurde. Die Hamburger übernahmen im Weserstadion die Opferrolle von der deutschen Nationalmannschaft. Unverhofft hohe Niederlagen wie unglaublich deutliche Erfolge verursachen Hohn, Spott, aber auch Mißtrauen, und so hat Hoeneß eine Woche vor dem Gipfeltreffen mit den fast schon titelreifen Bremern einen letzten rhetorischen Kraftakt unternommen, die schlappen Hamburger nachträglich zu ohrfeigen und die vor Kraft und Selbstvertrauen strotzenden Bremer vielleicht doch noch einzuschüchtern. (…) Das Verfallsdatum großer Worte in der Bundesliga ist oft schon erreicht, kaum daß ein Satz zu Ende gesprochen worden ist. Auch deshalb wirken die Bremer derzeit so unangreifbar. Sie halten Wort, weil sie nicht mehr versprechen, als sie wirklich können: den derzeit besten Fußball im Land zu spielen. Wer hohe Ansprüche einlöst, muß nachher nichts mehr erläutern. Und auch keine Antwort auf provozierende Fragen geben. Das 6:0 von Werder über den Hamburger SV sprach für sich – das weiß auch Uli Hoeneß.“

Er macht sich nicht nur lächerlich, er ist noch ein schlechter Verlierer dazu

Thomas Kilchenstein (FR 3.5.) empfiehlt Uli Hoeneß Schweigen: „“Kompliment an den SV Werder Bremer. Sechs Stück gegen den HSV, das hätte ich ihm wirklich nicht zugetraut. Ich dachte, die Bremer würden nach der jüngsten Durststrecke ins Straucheln geraten. Nun müssen wir sie unbedingt schlagen, ein 1:0 würde mir schon reichen.“ Das hat Uli Hoeneß natürlich nicht gesagt: Nie, nie, nie im Leben würden ihm solche Worte, noch dazu kurz nach dem Abpfiff, über die Lippen kommen. Das ist ihm nicht gegeben. Dafür ist er nicht der Typ, er kann da nicht aus seiner Haut. Der Manager des FC Bayern München kämpft immer bis zur letzten Minute. Er kämpft einen einsamen, einen hoffnungslosen, einen fast aussichtslosen Kampf. Und er macht sich nicht nur lächerlich, er ist noch ein schlechter Verlierer dazu. (…) Sportlich, das ist die Krux, machen diese Bayern, die ihrerseits mit Hilfe eines krassen Fehlers ihres ehemaligen Torwarts und eines abgefälschten Schusses beim nun abgestiegenen Tabellenletzten mühevoll siegten, den kühlen Bremern kein bisschen Angst. Also bemüht Hoeneß Verschwörungstheorien, sieht eine schweigende Übereinkunft der beiden Nordlichter. Als die Bayern zum Schluss der Hinrunde mal 6:0 beim SC Freiburg siegte, hat da die Liga aufgestöhnt über eine angebliche Süd-Allianz? Doch Hoeneß wittert ein Komplott der halben Liga mit dem Ziel, den Bayern schnöde zu verwehren, was der mächtige Manager als (Fußball-)gottgegeben voraussetzt: Meister wird eh der FCB.“

Wahrheit ist, dass der HSV diese Saison Leistungen wie in Bremen immer wieder abgeliefert hat

Dass Bayern München sich offenbar auf den Hamburger SV angewiesen fühlt, legt Jörg Marwedel (SZ 3.5.) als Schwäche aus: „Nichts beschäftigt die deutschen Gerichte so sehr wie der „Krieg über den Gartenzaun“. Zu viele Nachbarn mögen sich nicht, was zu kleinen und großen Konflikten führt. Auch im Fußball ist das so. Schotten und Engländer, Holländer und Deutsche, Bremer und Hamburger – sie alle pflegen ihre speziellen Scharmützel, weil sie sich einerseits nah sind, andererseits aber ganz anders sein wollen. Einmal, in den achtziger Jahren, ist darüber sogar ein Werder-Fan zu Tode gekommen. Und wenn Gegner sich im Weserstadion die Sympathien verscherzt haben, müssen sie hören: „Ihr seid scheiße wie der HSV.“ Welche Gründe also sollte es geben, den demütigenden 6:0-Triumph der Bremer über die hanseatischen Rivalen in eine gewollte Nachbarschaftshilfe umzudeuten? Die gemeinsame Abneigung gegen die Macht der Bayern? (…) Der Wahrheit kommt man mit Verschwörungstheorien kaum näher. Eine Wahrheit ist, dass der HSV seit 20 Jahren dem Titel hinterher hechelt, weil es der Klub seither nicht geschafft hat, ein Team mit Charakter und Qualität aufzubauen. Wahrheit ist, dass der HSV diese Saison Leistungen wie in Bremen immer wieder abgeliefert hat, nur wurde er dafür nie so hart bestraft. Und vielleicht ist bald auch eine Wahrheit, dass Toppmöller an der Aufgabe zerbricht, diesem HSV eine neue Mentalität einzuimpfen.“

Ich glaube, dass Herr Hoeneß alt genug ist

Jan Christian Müller (FR 3.5.) staunt über die Gelassenheit der Bremer: “Es versteht sich von selbst, dass die Herren Schaaf und Allofs von Journalisten freundlich gebeten wurden, die Verschwörungstheorien des Bayern-Managers zu kommentieren. Ein klitzekleiner Streit über die ganze Republik hinweg wäre schließlich prächtig geeignet, eine Woche lang die Sportseiten zu füllen und die Fans in Rage zu bringen. Doch Allofs deutet bloß entspannt in Richtung DFB-Schiedsrichterausschuss und weist darauf hin, dass der Unparteiische nun sicher weiß, „dass er hellwach in ein solches Spiel gehen muss“. Und Schaaf ergänzt nur: „Ich glaube, dass Herr Hoeneß alt genug ist und weiß, in welcher Position er ist. Jeder kann sich seine Meinung zu solchen Aussagen machen. Das muss man nicht kommentieren.“ In noch weniger Worten von noch weiter oben herab kann man es nicht ausdrücken. Unterdessen sah sich der konsternierte Hamburger Trainer Klaus Toppmöller gezwungen, sich „bei allen Fans in Deutschland zu entschuldigen“. Selten hat man Toppmöller derart kurz angebunden erlebt. „Wir sind in der zweiten Halbzeit komplett eingebrochen“, stammelte der Fußballlehrer und zeigte sogar Verständnis für den Ärger der Bayern: „Das hatte mit Fußball nichts mehr zu tun.“ Man habe gesehen, so Toppmöller, „dass wir nur Mittelmaß sind“. Das, kein Zweifel, war gegenüber dem eigenen Personal rücksichtsvoll formuliert.“

Wenn unsere Mannschaft noch eine Motivationshilfe gebraucht hätte, dann hat es sie gratis aus München gegeben

Roland Zorn (FAZ 3.5.) ergänzt: „Auf eine irritierte Reaktion oder eine zumindest wütende Antwort hat Uli Hoeneß auch am Samstag vergeblich gewartet. Mochte der streitlustige Manager noch soviel Dampf in Richtung Hamburg und Bremen ablassen, rieben sie sich zumindest bei Werder nicht einmal die Augen. Nun gut, die Bayern wollen den Tabellenführer der Bundesliga am kommenden Samstag im Olympiastadion „wegfegen“ und „richtig niedermachen“, doch Angst hat der bullige Bayern-Matador damit nicht einem Bremer gemacht. „Wir konzentrieren uns auf uns“, hat Trainer Thomas Schaaf dem fuchtigen Münchner nobel entgegengehalten, „das muß man nicht kommentieren, das steht uns gut zu Gesicht und bringt sehr viele Sympathien.“ Hilfspunkte, die Werder Bremen eigentlich gar nicht mehr braucht, da der Spitzenreiter am Samstag selbst so etwas wie eine Kehraktion im Weserstadion veranstaltete. Die flotten Bremer Feger wischten mit dem 6:0-Triumph über den hilflosen, tatenlosen, willenlosen Hamburger SV ihre Restzweifel beiseite, daß der deutsche Meister Werder Bremen heißen wird. (…) Jedenfalls dienten die Hamburger bei der Bremer Generalprobe auf die bevorstehende große Meisterfeier an diesem Tag der Arbeitsverweigerung nur als seelenlose Dummies. De facto waren sie der große Spielverderber für die Münchner, die die Bremer jetzt auch in der Tordifferenz nur noch von weitem vorneweg eilen sehen; dem HSV deswegen vorsätzlich freundliche Nachbarschaftshilfe zu unterstellen wäre zuviel des Guten für diese untaugliche Mannschaft, die sich im Hoeneßschen Wortsinn „wegfegen“ ließ. „Jeder weiß“, tat Werders Sportdirektor Klaus Allofs jede mehrdeutige Anspielung als Unsinn ab, „wie gern uns der HSV im Nordderby ein Bein gestellt hätte, um sich mit seinen Fans zu versöhnen.“ Beinahe dankbar haben sie in Bremen die Münchner Zwischenrufe gehört. Störer Hoeneß? Klaus Allofs, der das Münchner Ballyhoo auch schon als Spieler erlebt hat, lächelte nur souverän und sagte: „Wenn unsere Mannschaft noch eine Motivationshilfe gebraucht hätte, dann hat es sie gratis aus München gegeben.““

Sie spielen pragmatisch und begeisterungslos

Philipp Selldorf (SZ 3.5.): „Der Manager drehte voller Vergnügen die große Runde durch die Interviewzone und versprach „ein ganz heißes Spiel“: „Wir müssen wenigstens zeigen, wer die beste Mannschaft in Deutschland ist. Vielleicht schießen wir ja drei, vier Stück – und dann wird“s noch mal lustig.“ Ein 1:0 oder 2:1 wäre nicht genug, „das bringt nichts“, meint er, „wir müssen die jetzt wegfegen“. Warum die Bayern vier Tore gegen Bremen schießen sollten, wurde in Köln allerdings nicht klar. Sie waren überlegen und gewannen verdient, aber ihr Auftritt wirkte, als würden sie eine ungeliebte Arbeit verrichten. Sie spielten pragmatisch und begeisterungslos, die hochbegabten Individualisten aus acht Nationen vereinten sich zu einer Mannschaft von schnöder Durchschnittlichkeit. „Schön gequält“ habe man sich wieder, meinte Kahn. In den zehn Minuten nach dem überraschenden Führungstor der Kölner tauschten die Bayern mit dem FC die Rollen. Der Absteiger beherrschte das Spiel, die Elf des Meisterklubs lief angstvoll umher – das waren „diese ganz gefährlichen Momente, wo wir viel zu viel nachgrübeln und uns hängen lassen“ (Kahn), ein oft erlebtes Motiv und ständiges Rätsel dieser Saison.“

Eine Erste-Mai-Demonstration der Fußballkunst, temporeich, launig, sehenswert

Benno Schirrmeister (taz 3.5.) fühlt die Meisterstimmung in Bremen: „Nach dem Spiel verwandelt sich Dönermeile vom Stadion Richtung Bremer Altstadt zum plaudernden Freiluft-Bistro. Die Vorgärten werden gedüngt, besonders intensiv diesmal, weil jedes Tor begossen sein will. Bierhaltige Stimmen intonieren Lieder von Meisterschaft und ausgezogenen Lederhosen, ja, ja, das Bayernspiel steht auch noch aus. Uli Hoeneß soll einen hohen Sieg der Münchner gefordert haben, na, aber da kann der gemeine Werder-Fan nur lachen. Vorausgesetzt er kann noch lachen, während er, die Meisterschale aus Pappe unterm Arm, den widerspenstigen Hosenstall zähmt. Na, ist denn Werder nicht gerade Meister geworden? Neunundzwanzig Sekunden dauerts. So lange braucht Ivan Klasnic, um den Hamburgern nach dem Anstoß den Ball abzujagen und von der Spielfeldmitte erstmals aufs Gästetor zu schießen. Keeper Tom Starke, der sein erstes komplettes Bundesliga-Spiel erlebt, ist etwas weit vorgelaufen. Jetzt springt er überrascht hoch. Uff, gerade noch erwischt die Kugel. Festhalten kann er sie nicht, bekommt sie schließlich aber doch unter Kontrolle. Das wird ihm selten genug gelingen während der Partie. Sie endet verdient mit 6:0 für die Heimmannschaft. Deren Keeper Andreas Reinke wird ein einziges Mal zu Strafraumakrobatik gezwungen: In der 70. Minute klärt er per Hechtsprung bei einer Rückgabe des eigenen Verteidigers Ismaël. Erwähnenswert ist die Eröffnungsszene nicht wegen Starkes Achtungserfolges, sondern wegen seiner Unsicherheit: Der Ball kam weder hart, noch platziert aufs Gehäuse – maximal war der Schuss ein Test für den letzten Mann. Und Starke fiel durch. Gut möglich, dass Werder damit den Hauptschlüssel zum Hamburger Tor entdeckt hatte. (…) Waren es didaktische Absichten? Hatte es persönliche Gründe? Bremen spielte in einer völlig anderen Liga als Hamburg. Doch das dürfte weniger an Werders Brillanz gelegen haben, als an der Selbstaufgabe des HSV. Das Gerücht eines Anti-Bayern-Solidarpakts im Norden hatte vor der Begegnung die Runde gemacht. Und Gästetrainer Klaus Toppmöller schien es nicht entkräften zu wollen: Rätselhaft bleibt sein Entschluss, nicht nur die Leistungsträger Rodolfo Cardoso und Bernardo Romeo auf der Bank zu lassen. Ausgerechnet gegen den Spitzenreiter probierte er den Newcomer im Tor aus. Starke rackerte, schwitzte, mühte sich. Und machte, wie jeder, der etwas tut, was ihn heillos überfordert, eine erkleckliche Anzahl von Fehlern. Die übrige Hamburger Abwehr wurde überhaupt nicht gesichtet. Was blieb, waren freie Räume, durch welche die Bremer lustvoll tobten. Eine Erste-Mai-Demonstration der Fußballkunst, temporeich, launig, sehenswert. Nein, es war kein Entscheidungsspiel: Beim Match in München wird sich Bremen den Titel holen, das steht fest. Für den Fan zumindest, so wahr sein Hosenlatz nach langem Kampf geschlossen ist.“

Das Streiflicht (SZ 3.5.) erkennt den entscheidenden Vorteil der Bremer: „Uli Hoeness wittert Verrat, aber darum soll es hier nicht gehen. Uli Hoeness wittert immer Verrat, wenn er nicht ganz oben steht, er kann nicht umgehen mit Niederlagen. Da wird er wild, lächerlich wild. Aber, er kann nichts machen in diesem Jahr, es ist wie verhext. Seine Bommelmütze, zur Weihnachtszeit getragen, bommelt den Konkurrenten aus Bremen keine Angst ein. Und von den gefletschten Nussknackerzähnen des Torwarts Kahn lassen sich die Bremer auch nicht wegbeißen. Die Bremer haben die beste Mannschaft und den allerbesten Glücksbringer, den es gibt. Ein Mensch als Maskottchen, wie Franz Müntefering für die SPD. Bei Werder Bremen heißt dieser Mann Ailton. Ailton Goncalves da Silva, Stürmer mit der Nummer 32, erfüllt alle Voraussetzungen, die einen Mann zum Maskottchen reifen lassen. Optisch kommt er, bestehend aus zwei Kugeln mit Beinen dran, einem Teddybären nahe, und inhaltlich zelebriert er seine Rolle als Symbol wie keiner vor ihm. Rasiert sich ein A ins kurze Haar überm fleischigen Nacken. Spielt in roten Stiefeln, wechselt aber, wie beim Sechsnull gegen Hamburg, in der Halbzeit auf blau. Mit blau hat er getroffen, das Stadion war eine rauschende Menge und er, der kleine Mann aus brasilianischen Baracken, war deren Zentrum. Fast schien er zu weinen, da riss er sich das Trikot vom Leib, bettete es auf den Platz, küsste die Raute, das Vereinssymbol. Wenn Ailton ausgewechselt wird, winkt er ins Publikum wie ein Staatspräsident auf seiner letzten Reise. Wenn er nach dem Spiel interviewt wird, sagt er: Ailton gutt, Familie gutt, alles gutt. Der Rest ist nicht zu verstehen. Ein Maskottchen muss ja nicht verstanden werden. Es muss gefühlt werden. Das ist ein großer Unterschied.“

1. FC Köln – Bayern München 1:2

Mit dem Abstieg steht fest, daß Overaths Revolte wirkungslos geblieben ist

Alles im Lot in Köln; Gregor Derichs (FAZ 3.5.) beschreibt die Kölner Lust am Untergang: „Als der dritte Abstieg nach 1998 und 2002 feststand, wollten Tausende Fans des 1. FC Köln das Stadion nicht verlassen. Die in den Umkleidekabinen verschwundenen Spieler wurden aufgefordert, auf den Rasen zurückzukehren. Der Anhang wollte die Mannschaft feiern. „Viva Colonia“ sangen die Fans voller Inbrunst und ließen den Absteiger – so etwas gibt es nur in Köln – hochleben. Das Publikum ist das fetteste Pfund des dreimaligen deutschen Meisters. Der dritte Abstieg sollte eigentlich mit aller Macht vermieden werden, da in dieser Saison das neue Stadion für die WM 2006 fertig wurde. Diese Arena mit den begeisterungsfähigen Fans sei das Faustpfand für eine baldige Rückkehr in die deutsche Spitze, lauteten die Visionen. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen in der Domstadt oft auseinander – vor allem im Fußball. Vom ersten Spieltag an betrachtete der Klub mit dem Geißbock im Emblem die Tabelle von unten. (…) Geplant wird in der zweiten Liga mit einem Saisonetat von 24 Millionen Euro gegenüber etwa 36 Millionen in dieser Spielzeit. „Mit drei, vier Verstärkungen sieht es für die zweite Liga nicht schlecht aus“, sagt Marcel Koller, der weiter beschäftigt wird. Auch Sportdirektor Andreas Rettig wird bleiben. Er war zusammen mit Koller zwischenzeitlich auf Widerstände gestoßen, weil er das vorsichtige Wirtschaften des Präsidenten Albert Caspers umzusetzen hatte. Besser Schulden machen und viel Spaß haben mit ein paar Stars wie einst Allofs, Fischer, Littbarski oder Häßler, als ein Fahrstuhldasein zwischen Liga eins und zwei wie Bielefeld oder Nürnberg führen, lautet die Überzeugung etlicher klubinterner Kritiker. Denen gehörte bis zum März auch Wolfgang Overath an. Mit mächtigen Worten prangerte er das Unvermögen der Verantwortlichen und provinzielle Zustände beim FC an – bis er in die Vereinsführung integriert wurde. Seitdem ist der frühere Nationalspieler handzahm. Koller, dem er besonders auf die Finger schauen wollte, gewann Pluspunkte, auch weil er bekannte, Overath sei sein erstes Idol gewesen. Der neue starke Mann stellte auch dem zweifellos kompetenten Rettig ein gutes Zeugnis aus. Mit dem Abstieg steht fest, daß Overaths Revolte weitgehend wirkungslos geblieben ist. Lediglich Caspers, der frühere Vorstandsvorsitzende der Ford Deutschland AG, soll im November durch Overath abgelöst werden. Die Mahnung von Caspers aus der Vergangenheit, daß der Verein einen dritten Abstieg nicht überstehen werde, paßt nicht in eine Landschaft mit den höchsten Kirchtürmen dieser Welt. Im notorisch optimistischen Köln ist der Wiederaufstieg Pflicht, aber zugleich nur eine Etappe zu ganz großen Zielen.“

Isch kann misch nisch selber nominieren

Philipp Selldorf (SZ 3.5.) fordert Poldi für Rudi: „Podolskis Hereinplatzen in den deutschen Profifußball erinnert an das Erscheinen Olaf Thons vor 20 Jahren, als der 17-jährig das Regiment bei Schalke 04 übernahm (wenngleich in der Zweiten Liga) und durch drei Tore gegen den FC Bayern (beim 6:6 im DFB-Pokal) nationales Aufsehen erregte. Mit knapp 18 wurde er Nationalspieler. Wie damals Thon in Schalke verkörpert heute Podolski in Köln so viel Lokalkolorit, dass ihn das Publikum mit Liebe überschüttet. Fragen nach seinen Ambitionen auf einen Platz im Nationalteam begegnete er ungezwungen: „Was soll isch machen? Isch kann misch nisch selber nominieren.“ Wenn er es könnte, würde er es tun. Falsche Bescheidenheit ist ihm fremd, vergangene Woche sagte er, nun sei „Rudi“ am Zug, und Nationalkeeper Kahn verabschiedete er im Kölner Stadionkeller mit einem leutseligen Klaps, als der im TV-Interview gerade über den mentalen Zustand der Bayern-Elf philosophierte. „Tschau“ sagte Kahn dann souverän, aber irritiert, und auch er hätte nichts dagegen, Prinz Poldi in Portugal wiederzusehen.“

Es gibt da einen Pobolski, oder wie der heißt

Gregor Derichs (FAZ 3.5.) fügt hinzu: „In aller Munde war der junge Mann, nachdem die deutsche Nationalmannschaft in Rumänien ihr Waterloo erlebt hatte. Lukas Podolski, das sei doch einer, der die Offensivschwäche beheben könne, wenn schon der alte Martin Max nicht dazu zu bewegen sei, Ansprüche auf eine Nominierung für die Europameisterschaft zu erheben. Podolski, mit 18 Jahren gut halb so alt wie Max, ziert sich nicht, seinen Wunsch auf eine Berufung in den A-Kader des deutschen Fußballs eindeutig zu formulieren. „Ich muß nur meine Leistung bringen. Der Rest muß der Rudi machen“, sagt der Stürmer des 1. FC Köln. Mit dem Akkusativ hat der im Herbst aus der A-Jugend in die Kölner Profimannschaft beförderte Jüngling vielleicht Probleme, aber nicht mit dem Toreschießen (…) Ob die Lobpreisungen auf das vielleicht größte Sturmtalent seit vielen Jahren beim DFB wahrgenommen werden, ist indes fraglich. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder sprach vor einigen Wochen von den Fortschritten in der Nachwuchsarbeit. Es gebe da „einen Pobolski oder wie der heißt“, sagte er.“

Was wird Ottmar Hitzfeld tun, nachdem feststeht, dass sein Vertrag nicht verlängert wird? Gregor Derichs (FAZ 3.5.) weiß es auch nicht: „Vier deutsche Meistertitel, zwei DFB-Pokalsiege, den Gewinn der Champions League und des Weltpokals feierte Hitzfeld seit 1998 mit den Bayern. Inzwischen steht das Verfallsdatum dieser Erfolgsära fest. Noch maximal eine Saison, dann folgt in der lange Zeit idealen Ehe zwischen den Bayern und dem Badener die Scheidung. „Es ist richtig, daß 2005 die Arbeit bei Bayern München beendet ist. Es war eine herrliche Zeit“, erklärte Hitzfeld vor der Abreise nach Köln. Daß der Abschied schon früher erfolgt, schließt er nicht aus. „Wenn ich das wirklich schaffe bis 2005 – es ist noch ein sehr langer Weg bis dahin –, dann war es eine hervorragende, angenehme Zeit mit dem nötigen Streß, dem nötigen Druck, aber auch mit herrlichen Erlebnissen, mit großartigen Erfolgen.“ Es hörte sich an, als ziehe der mit insgesamt 16 Titeln dekorierte, erfolgreichste deutsche Trainer eine Schlußbilanz. Aber das wird ihm Hoeneß, bei aller Freundschaft, nicht durchgehen lassen. „Wir werden mit Hitzfeld noch ein erfolgreiches Jahr hinlegen“, sagte der Manager, der sich mit dem 55 Jahre alten Badener vor zwei Wochen auf das vorgesehene Vertragsende am 30. Juni nächsten Jahres definitiv einigte. „Wir wollen nicht, daß er zum öffentlichen Gezerre wird und jeder über ihn diskutiert und in Frage stellt. Das hat ein Mann wie er nicht verdient“, erklärte Hoeneß [of: so, so.].“

1. FC Kaiserslautern – Borussia Mönchengladbach 2:2

Fremdenlegion in Fußballstiefeln

Für Kaiserslautern sehe es nicht gut aus, meint Martin Hägele (SZ 3.5.): „Wenn Minuten nach dem Abpfiff eines Fußballspiels im Fritz-Walter-Stadion mehr als die Hälfte der 47 018 Zuschauer vor ihren Sitzen stehen und auf den Rasen starren, obwohl dort kein Spieler mehr ist; wenn die Leute nicht mehr reden mit ihren Nachbarn, sondern schweigen wie ein Trauerzug hinterm Sarg; wenn man in den Augen dieser Menschen aber keine Tränen entdeckt, sondern Leere – dann stirbt wieder ein Stück Betzenberg. Es gibt wenig Hoffnung für die „Roten Teufel“, weil im Verein kaum noch Energien spürbar sind. Weder bei den Spielern, noch beim Trainer oder dem Vorstand. Kurt Jara lief nach der Pressekonferenz einfach davon, wollte nichts mehr sagen. Rene C. Jäggi war anzumerken, dass seine optimistischen Parolen Worthülsen waren. (…) Klubchef Jäggi dürfte weiterhin laut vorrechnen, dass der Abstieg eingedenk der Heimstärke kein Thema sei. Doch ohne den Nimbus vom Teufelsberg ist Jaras Kader mehr oder weniger eine Fremdenlegion in Fußballstiefeln, deren sportliche Qualitäten der neue Sportchef bei seiner Antrittsrede vor zwei Monaten richtig eingeschätzt hat: Bis zum letzten Spieltag müsse man gegen den Abstieg kämpfen. Trotzdem ist dem Trainer anzulasten, mit seinen Personalwechseln die Zeichen in die verkehrte Richtung gesetzt zu haben. Für den temperamentvollen Portugiesen Dominguez etwa durfte nach einer Stunde der Pole Kosowski ran, ein Mann, der bislang nicht durch besonderen Mumm aufgefallen und beim Pfälzer Publikum längst unten durch ist. In der 86. Minute machte Lokvenc für Mettomo Platz, „weil er eine Muskelverhärtung anzeigte“ (Jara). Statt des torgefährlichsten FCK-Angreifers also ein Verteidiger, auf einer Position, die es zuvor im Spiel gar nicht gegeben hatte. Mit Psychologie oder gar Taktik hatte der Wechsel nichts zu tun. Als der Verteidiger aus Kamerun am Spielfeldrand auftauchte, demonstrierte Jara damit öffentlich seine Angst. Denn so wie der FCK-Trainer diese Partie durch verhaltene Körpersprache und exzessive Vorsicht verloren hat, hat Kollege Holger Fach das Spiel gewonnen. Der ehemalige National-Libero dirigierte sein Team immer nach vorne. In entscheidenden Phasen ist Fußball halt doch ein Kopfspiel.“

Die Teufelchen zogen sich verzagt an den eigenen Strafraum zurück

Peter Heß (FAZ 3.5.) sieht das ähnlich: „Die Pfälzer müssen sich fragen lassen, gegen wen sie in dieser Saison noch gewinnen wollen. Auswärts ernten sie schon lange keine Punkte mehr, höchstens noch Mitleid. Von der lange gepriesenen Heimstärke ist auch nicht mehr viel geblieben, sogar bei günstigsten Rahmenbedingungen. Ermutigender als die Partie gegen die Borussen kann ein Fußballspiel nicht verlaufen für eine Mannschaft. Und dennoch schafften es die Lauterer nicht, ihre Nerven in den Griff zu bekommen und den Sieg zu sichern. Halil Altintop hatte schon in der 3. Minute sein erstes Bundesligator erzielt und seine Lauterer auf den richtigen Weg gebracht. Als die stabilisierende Wirkung der Führung nachließ, Gladbach vor dem Ausgleich stand, legte Hristow nach. Zwei Minuten nach der Pause schoß er das 2:0. Doch die Wohlfühlphase dauerte nur wenige Augenblicke. Dann düpierte der Gladbacher Mittelfeldspieler Broich den Lauterer Torwart Wiese mit einem Weitschuß ins kurze Eck. Prompt wackelte Kaiserslautern bedenklich. Dann aber kam dem FCK sogar noch der Gegner zu Hilfe. Borussen-Innenverteidiger Obradovic provozierte durch ein selten unbedachtes Verhalten eine Gelb-Rote-Karte und verdammte seine Mannschaft dazu, in Unterzahl weiterzuspielen. Der Verteidigungsspezialist rückte nach einem Freistoßpfiff den Ball nicht heraus, obwohl er wegen eines Fouls an Lokvenc schon verwarnt worden war und ihn der Unparteiische mehrmals unmißverständlich zur Herausgabe des Spielgeräts aufgefordert hatte. Daß dann zehn Borussen elf Lauterer von einer Verlegenheit in die nächste stürzten, sagt alles über die Verfassung der Rote Teufel genannten Fußballprofis aus der Pfalz. Die Teufelchen zogen sich verzagt an den eigenen Strafraum zurück, um den Vorsprung zu verteidigen, anstatt, ihre Überzahl nutzend, früh anzugreifen und die Gladbacher weit weg vom eigenen Tor zu halten.“

Borussia Dortmund – Hansa Rostock 4:1

Richard Leipold (FAZ 3.5.) schildert Torsten Frings’ Priorität: “Eigentlich wollte Torsten Frings die Gerüchte um einen Wechsel zum FC Bayern nicht mehr kommentieren. Deshalb werde er „überhaupt nichts dazu sagen“, kündigte der Dortmunder Mittelfeldspieler an, der beim 4:1 über Hansa Rostock wieder einmal Taten hatte sprechen lassen. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, ließ er einen längeren Monolog zum vermeintlichen Tabuthema folgen. „Ich habe immer gesagt: Wenn Borussia Dortmund mich verkaufen muß, dann möchte ich zu Bayern München wechseln.“ So weit nichts Neues. Doch dann rutschte ihm ein Satz raus, der ihn in Erklärungsnot brachte. „Wenn das nicht der Fall sein sollte, werde ich wohl hierbleiben müssen.“ Das letzte Wort dieses Satzes verlieh einer zunächst harmlosen Stellungnahme etwas Entlarvendes. „Hast mich gut gelockt“, sagte Frings dem Reporter. Wenn der Siebenundzwanzigjährige bei der Borussia bleibt, dann also nur, weil er bleiben „muß“. Der Dortmunder Sportmanager Michael Zorc reagierte auf die Bemerkung des derzeit wirkungsvollsten BVB-Profis mit Vorwürfen in Richtung der Münchner, die längst kein Geheimnis mehr daraus machen, daß sie den noch bis 2006 an Dortmund gebundenen Frings gerne zur nächsten Saison unter Vertrag nähmen. „Da haben die Bayern ganze Arbeit geleistet“, schimpfte Zorc, Vor einigen Wochen habe der Umworbene „noch ganz anders gesprochen“. Vor seinem verbalen Irrläufer hatte Frings auf dem Rasen des Westfalenstadions abermals vorgeführt, warum Trainer Matthias Sammer ihn für unentbehrlich hält.“

SC Freiburg – Hannover 96 4:1

Michael Hohlwein (FAZ 3.5.) berichtet: „Leise entfernte sich der Hannoveraner Wladimir But aus dem Dreisamstadion. Dort hatte er zweieinhalb Jahre gespielt, ehe sein Vertrag im Sommer 2003 nicht verlängert wurde. Der ehemalige Dortmunder, von früheren Trainern als „größtes Talent in Europa“ bezeichnet, hielt sich ein halbes Jahr beim hessischen Oberligaklub Borussia Fulda fit, weil ihn kein Profiverein mehr haben wollte. Im Winter holte ihn Ralf Rangnick zu 96. Dort war er zu zwei Kurzeinsätzen gekommen, die sich auf 33 Minuten addierten. Seit Ewald Lienen Anfang März das Traineramt von Rangnick übernommen hat, war der Russe keine Sekunde mehr berücksichtigt worden. In Freiburg jedoch setzte Lienen auf den „Ich will es allen zeigen“-Effekt und brachte den Sechsundzwanzigjährigen statt des zuletzt formschwachen Clint Mathis als offensiven Mittelfeldspieler zum Einsatz. Aber But überdrehte im Bemühen, ein Tor zu erzielen, war ständig und viel zu früh in der Spitze zu finden. Und dort steht ein Spieler, der alles andere als sprintstark oder antrittsschnell ist, auf verlorenem Posten.“

Teile der Basis sind es leid, immer nur der sympathische Außenseiter zu sein

Malte Oberschelp (SZ 3.5.) beschreibt den Wandel der Freiburger Fankultur: „Aus Sicht des SC Freiburg sah der größte anzunehmende Unfall beim Spiel gegen Hannover 96 so aus: Freiburg verliert, rutscht in den Tabellenkeller, und Vladimir But schießt zwei Tore. But war während seiner Freiburger Zeit Publikumsliebling, obwohl er einen Großteil davon auf der Bank verbrachte. Das ist erstaunlich, doch in Freiburg steckt hinter der Unterstützung eines Spielers oftmals Kritik am Trainer. Die Leute riefen „Buuut!“ und meinten: „Warum spielt er so wenig, wo wir doch ein schlampiges Genie entbehren müssen und auch einmal über die Geistesblitze eines Klassekickers jubeln wollen, anstatt Woche für Woche diese oberlehrerhaften Kurzpässe anzuschauen?“ (…) Von Euphorie war rund um das Dreisamstadion allerdings wenig zu spüren. Auf das Team war wenig Verlass, es schlug daheim außer Bremen und Bayern fast jeden, und brach auswärts regelmäßig ein. Nur mancherorts wird noch gemunkelt, man bekäme ohnehin keine Karten, tatsächlich waren die Heimspiele oft nicht ausverkauft. Die Erwartungshaltung der Fans ist gestiegen. Man zittert nicht mehr um den Klassenerhalt wie in den frühen Bundesligajahren, sondern nimmt ihn zur Kenntnis. Das Modell Freiburg wird von Intellektuellen gelobt, aber Teile der Basis sind es leid, immer nur der sympathische Außenseiter mit dem kleinen Budget zu sein. So ist das Verhältnis von Mannschaft und Publikum durch Misstrauen belastet. Wechselseitig wird Leistung eingefordert, und man argwöhnt, die eigene Arbeit werde nicht gewürdigt. Beim 0:3 in Frankfurt schafften es ein paar Ultras mit „Finke raus“ und „Absteiger“-Rufen ins Dritte Fernsehprogramm, und während des Spieles gegen Hannover wurden nicht wie sonst die Zwischenstände der anderen Partien gezeigt. Unklar blieb, ob die Nerven der Spieler geschont werden sollten, oder man ein negatives Feedback von den Rängen fürchtete.“

1860 München – Bayer Leverkusen 1:1

Statt paramilitärischer Ordnung, die jede Individualität abwürgt, baut Vanenburg auf Eigenständigkeit

Gerald Kleffmann (SZ 3.5.) deutet die Aussagen der Münchner Spieler über die zwei Trainer Vanenburg und Götz zuungunsten Götz’: „„Wir werden uns bis zur letzten Sekunde wehren“, fasste Torben Hoffmann die Botschaft seiner Tat in Worte. Der fleißige Harald Cerny bestätigte: „Der Wille ist zu hundert Prozent da.“ Ja – wo war er denn vorher? Auch schon da, präzisierte der Mittelfeldspieler eilig. Aber in der Umsetzung hatte es meist gehapert – womit sich ein interessantes Thema auftut: die Arbeit von Falko Götz. Die Art, wie es Vanenburg versteht, mit der nach seinen Worten „verunsicherten Mannschaft“ umzugehen, offenbart die Defizite im Schaffen des vorherigen Trainers. „Er gibt uns Freiheiten“, erklärte Cerny den Unterschied. Freiheiten, auch mal aus einer ungünstigen Lage aufs Tor zu zielen. Selbstvertrauen, Respekt, Freude sind weitere Begriffe, die penetrant im Zusammenhang mit dem ehemaligen niederländischen Nationalspieler und Löwen-Profi fallen. Bei Götz? Klingt das so: „Dazu möchte ich mich nicht äußern“ (Andreas Görlitz) – „Über den Trainer möchte ich nichts Schlechtes sagen“ (André Lenz, der Michael Hofmann ab der 62. Minute im Tor vertreten musste; Hofmann erlitt eine Zerrung). Positives sagt aber auch keiner. Cerny versicherte: „Dieses Thema ist abgeschlossen.“ Götz, die Trainer-Fata-Morgana, hat sich aufgelöst im Nichts bei 1860. Aus guten Gründen. Er hat mehr Schaden im Team angerichtet als angenommen. Während er den tschechischen Nationalspieler Tyce ganz, den pitbulligen Agostino lange verschmäht und Talent Benjamin Lauth meist despektierlich behandelt hatte und so Stammkräfte zu formschwachen Mitläufern formte, spricht Vanenburg die Sprache der Spieler. Tyce und Cerny blühen plötzlich auf. „Gerald ist näher dran an uns“, sagt ein Profi. Statt paramilitärischer Ordnung, die jede Individualität abwürgt, baut Vanenburg auf Eigenständigkeit. „Er hebt sich nicht von uns ab“, sagt der Profi. Götz stellte sich gerne über das Team, pflegt bis heute eine eigene Homepage und wies dort in seiner Kolumne daraufhin, man habe ihn „auf einem Nichtabstiegsplatz“ entlassen.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 3.5.) ergänzt: „Unter Vanenburgs Regie hat sich der TSV 1860 zwar nicht spielerisch weiterentwickelt, aber Kombinationsfußball und technische Feinheiten helfen im Abstiegskampf ohnehin nur bedingt weiter. Der Holländer hat es immerhin geschafft, aus einem verunsicherten, leidenschaftslosen Team innerhalb von wenigen Tagen eine Mannschaft zu formen, die den Glauben an sich wiedergefunden hat, die sich vehement wehrt, kämpft und mit aggressivem Spiel sogar einen Gegner wie Leverkusen beeindruckt. Oft ist das den „Löwen“ in den Duellen mit Spitzenmannschaften nicht gelungen in dieser Saison. Aus den zwölf Spielen gegen die ersten sechs der Tabelle haben sie nur fünf Punkte gewonnen, zwei davon gegen das Team von Klaus Augenthaler. Mit einem derart forschen Auftritt des Tabellen-Sechzehnten hatte Bayer offenbar nicht gerechnet. „Ich denke, die waren ein bißchen überrascht“, sagte Agostino, der in der vierten Minute das 1:0 für „Sechzig“ erzielt hatte. Bei der ersten Aktion der Münchner im Strafraum habe sich seine Abwehr „angestellt wie eine Schülermannschaft“, findet Trainer Klaus Augenthaler. „Da haben wir ein bißchen blöd ausgeschaut“, gab auch Nationalspieler Carsten Ramelow zu – und das traf vor allem auf ihn zu.“

VfL Wolfsburg – Eintracht Frankfurt 1:0

Ingo Durstewitz & Frank Hellmann (FR 3.5.) sehen gute Frankfurter: „Eintracht Frankfurt, der designierte Absteiger, ist am Samstagnachmittag im niedersächsischen Retorten-Städtchen, wo 2001 der zweite Abstieg der Frankfurter besiegelt worden war, dem neuerlichen Sturz aus der Bundesliga ein gutes Stückchen näher gerückt, weil der hessische Neuling vier Spieltage vor der Abrechnung eine Bundesligapartie verloren hat, die er nie und nimmer hätte verlieren dürfen. Alle statistischen Erhebungen sprachen nach den 90 Minuten für die leidenschaftlich rackernde Frankfurter Elf. Sie schoss achtzehn Mal aufs Tor (Wolfsburg zwölf Mal) und erarbeitete sich 55 Prozent Ballbesitz. Das haben in Wolfsburg, für gewöhnlich eine Macht im neuen Schmuckkästchen, noch nicht viele Mannschaften geschafft. „So viele Spielanteile hatten wir noch nie in dieser Saison“, resümiert Trainer Willi Reimann. Die Eintracht hat die erschreckend schwachen Wölfe mit Mann und Maus verteidigen lassen, hat die normalerweise spielerisch eleganten Niedersachsen zu tumben Befreiungsschlägen über 60, 70 Meter gezwungen, hat dafür gesorgt, dass deren bester Spieler, der Stürmer Diego Fernando Klimowicz, sich als Turm in der Abwehr profilieren durfte, hat das Publikum zu Pfiffen gegen die eigenen Mannschaft genötigt und Fernando Baiano sogar zur provozierenden und mit Gelb bestraften Zeitverzögerung bei seiner Auswechslung getrieben. „Na und?“, blafft Eintracht-Stürmer Ioannis Amanatidis im Bauch des Glaspalasts konsterniert und schließt eine rhetorische Frage an: „Was hat es uns gebracht?“ Null Punkte und Aussichten, die kaum zu übertriebener Hoffnung Anlass geben.“

morgen auf indirekter-freistoss: die Spiele vom Sonntag in Stuttgart und Schalke

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