indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Montag, 29. März 2004

Ballschrank

Bundesliga

der 26. Spieltag im Pressespiegel

Stuttgart-Bremen, „diese extrem schnelle, extrem aufregende, extrem temperamentvolle und extrem unterhaltsame Partie entschädigte für viele öde Stunden Bundesliga“ (SZ) – Diskussion um Ottmar Hitzfeld – „Ünlü mit den Zitterhänden“ (SZ); „nie hat eine Mannschaft mit einem derart schlechten Torhüter ein Spiel gewonnen“ (SZ) – Dimitar Berbatov, „vom Saulus zum Paulus“ (FR) – Eintracht Frankfurt, „wieder bundesligauntauglich“ (FAZ) – Höchststrafe für die Kölner: Volker Finkes Mitleid (FAZ) u.v.m.

VfB Stuttgart –Werder Bremen 4:4

Martin Hägele (SZ 29.3.) ruft „Hosianna!“: „Diese extrem schnelle, extrem aufregende, extrem temperamentvolle und extrem unterhaltsame Partie des Tabellenersten beim Tabellendritten entschädigte für viele öde Stunden Bundesliga und hinterließ beim Betrachter das Gefühl von Gerechtigkeit, denn bei dieser Partie durfte einfach keiner der Verlierer sein. Durch das spektakuläre 4:4 wahrt der SV Werder eine souveräne Führung vor dem FC Bayern – neun Punkte beträgt jetzt noch der Vorsprung. Folgerichtig jubelten die Bremer beim Abpfiff. Der VfB darf sich mit den Lorbeeren trösten, ein ebenbürtiger Gegner des mutmaßlich nächsten Meisters und Gastgeber des besten Saisonspiels der Liga gewesen zu sein. „Es war ein sensationelles Spiel, da müssen wir mit dem Punkt zufrieden sein“, sagte Werder-Manager Allofs. Es muss ja auch ein ganz neues Gefühl für die Spieler des SV Werder gewesen sein, dass ihnen da im Gottlieb-Daimler-Stadion eine Elf begegnete, die weder vor den grün-orangen Trikots noch vor prominenten Namen wie Johan Micoud oder Ailton Respekt zeigte. Es war, als wollten die Stuttgarter, die den Bremern die letzte Niederlage zugefügt hatten, gleich im Anschluss an jenen 3:1-Erfolg vom 18. Oktober 2003 weitermachen. Bereits nach vier Minuten lag die Kugel erstmals im Bremer Kasten. Dass sich in Trainer Schaafs Ensemble einiges verändert hat seit der schwäbischen Lehrstunde im Herbst, merkten die 48 000 Zuschauer bereits bei der ersten ernsthaften Attacke der Bremer. Da schlängelte sich Klasnic geschickt um Bordon und ließ mit viel Gefühl auch Hildebrand keine Chance.“

mehr über dieses Spiel und HSV-FCK (3:2) morgen auf indirekter-freistoss

Bayern München – Borussia Mönchengladbach 5:2

Wir werden ihn stets als Persona grata behandeln

Daniel Pontzen (Tsp 29.3.) sammelt Rummenigges Worthülsen auf: „Vielleicht wird das im Nachhinein ein unfreiwilliger Probelauf gewesen sein für die Verabschiedung Ottmar Hitzfelds, am Samstagnachmittag, kurz vor dem Anpfiff. Karl-Heinz Rummenigge schritt mit feierlicher Miene auf den Platz, in der linken Hand trug er einen Blumenstrauß, die Sonne spendete ihr freundlichstes Lächeln. „Egal, was passiert, er bleibt der erfolgreichste Trainer in der Geschichte des FC Bayern“, hatte der Vorstandschef der FC Bayern AG einige Tage zuvor in der „Frankfurter Rundschau“ über Hitzfeld gesagt, „wir werden ihn stets als Persona grata behandeln.“ Respektvoller kann man einen verdienten Mitarbeiter kaum würdigen, und deutlicher kann man ihm kaum mitteilen, dass seine Zeit abgelaufen ist. Ein Blumenstrauß hätte die Sache abgerundet, aber der, den Rummenigge aufs Feld trug, war für jemand anders bestimmt. Nie standen die Zeichen deutlicher auf Trennung als an diesem Wochenende. Rummenigge hatte kaum eine Gelegenheit ausgelassen, die Möglichkeit einer vorzeitigen Ablösung Hitzfelds zu bemerken. Nach dem 5:2 wählte der Trainer die Taktik der verbalen Offensivverteidigung. Munter erwähnte er ein Zitat von Manager Uli Hoeneß, wonach sogar eine Verlängerung des im Sommer 2005 auslaufenden Vertrages möglich sei. „Warum soll man den Teufel an die Wand malen“, sagte Hitzfeld, „hier werden immer nur Negativgeschichten geschrieben, damit muss ich leben.“ Selten jedoch versorgte der Vorstand die Presse derart großzügig mit Stoff für Spekulationen. „Es ist keine einfache Entscheidung für uns, das gebe ich zu. Wir verbinden mit ihm große Erfolge. Auf der anderen Seite ist der Status quo nicht befriedigend“, sagte Rummenigge und bescheinigte Nachfolgekandidat Felix Magath fröhlich eine „positive Entwicklung“.“

Spiegelbild der Saison

Gerade noch mal gut gegangen, meint Elisabeth Schlammerl (FAZ 29.3.): „Die Rückkehr von Santa Cruz hätte kaum zu einem besseren Zeitpunkt kommen können. Für den Spieler selbst und auch für seinen Trainer. Denn daß die Leistung des 22 Jahre alte Paraguayers stagnierte, war Hitzfeld zum Vorwurf gemacht worden; von außen, den Medien, aber auch intern. Da kreidet vor allem Franz Beckenbauer dem Trainer seit längerem an, daß neue Spieler beim FC Bayern stets eine viel schlechtere Leistung zeigten als bei ihren früheren Vereinen. Die Diskussion um die Zukunft des Fußball-Lehrers Hitzfeld beim FC Bayern beherrschte diesen Samstag im Münchner Olympiastadion. Vorher, während und nach dem Spiel. Sie hatte begonnen auf dem Münchner Boulevard nach dem Aus in der Champions League. Aber die vagen Aussagen des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge in den vergangenen Tagen nährten die Spekulationen, weil sie Interpretationen in jede Richtung zuließen – vor allem aber in die, daß die Münchner erwägen, sich schon nach dieser Saison, also ein Jahr vor Ende der Vertragsdauer, von ihrem Trainer zu trennen. Es sei „keine einfache Entscheidung für uns“, hat Rummenigge jüngst erklärt und damit indirekt zugegeben, daß in der Führungsetage des Rekordmeisters noch keine Einigkeit herrscht. Zudem lobte er den in Stuttgart beschäftigten Felix Magath. (…) Die gute Leistung von Santa Cruz ist ein Argument für Hitzfeld, das Spiel eher keins, sondern es hat die Kritiker des Trainers in ihrer Meinung bestärkt, trotz eines deutlichen Sieges und der Absicherung des neuen Saisonziels des FC Bayern, des zweiten Platzes. Denn die Partie gegen den Abstiegskandidaten aus Mönchengladbach war bis zur 88. Minute ein Spiegelbild dieser Saison, in der die Münchner selten souverän und noch viel seltener gut gespielt haben.“

Philipp Selldorf (SZ 29.3.) ergänzt: „Es gab einen Moment, in dem Ottmar Hitzfeld und Uli Hoeneß durch die Kraft ihrer glücklichen Empfindungen so eng miteinander verbunden waren wie Bruder und Schwester, Vater und Mutter. Das klingt kitschig, entspricht aber präzise dem Band der Gefühle von Trainer und Manager. Roque Santa Cruz hatte im Mittelfeld das Tempo für ein langes Solo aufgenommen, war mit großen Schritten an den Gladbacher Hinterleuten vorbeigelaufen, um den Ball dann lässig zum 2:0 in die Ecke zu schieben. Abgesehen davon, dass sich die Borussen Pletsch und Ulich bei dem Angriff atemberaubend deppenhaft anstellten, war es ein schönes Tor, das erste des Angreifers seit Ende September, und sowohl Hoeneß wie auch Hitzfeld hatten Grund, den Treffer besonders zu genießen: Santa Cruz zählt zu den Lieblingsspielern von Hoeneß, und Hitzfeld weiß das natürlich – oft genug hatte ihm ja Hoeneß zu verstehen gegeben, dass er Santa Cruz lieber häufiger in der Startaufstellung sehen würde, als es Hitzfeld tatsächlich zulässt. (…) Aber Hitzfeld ist nicht nur ein guter Fußballtrainer, sondern auch ein schlauer Taktiker – und mittlerweile auch ein ordentlicher Schauspieler, der seine öffentlichen Auftritte zu kontrollieren und zu nutzen versteht. Wäre dieses 2:0 der repräsentative Höhepunkt des Spiels gewesen, hätte Hitzfeld einen Nachmittag des Triumphs in schwierigen Zeiten erlebt. Und dann wäre der Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der seine Einwände gegen Hitzfeld kaum noch verdeckt vorträgt, tatsächlich in den Erklärungsnotstand geraten, warum er sich auffallend unbarmherzig gegen den vom Trainer zu verantwortenden „unbefriedigenden Status Quo“ verwahrt. Zwar suchte Rummenigge nach dem Abpfiff zügig das Weite, um weiteren komplizierten Kommentierungen zu entgehen, doch der Münchner Sieg war eher eine Bestätigung des kritischen Zustands der Mannschaft als ein Fortschritt aus der Stagnation.“

VfL Bochum – FC Schalke 04 1:2

Richard Leipold (Tsp 29.3.) berichtet Trost für einen Sieger: „Volkan Ünlü war am Boden zerstört und zog sich verschämt das Trikot über den Kopf, weil er sich kaum traute, den jubelnden Schalker Fans unter die Augen zu treten. Der Ersatztorhüter des FC Schalke 04 hatte im ausverkauften Ruhrstadion einen sportiven Albtraum erlebt. Und doch gab es für die Gelsenkirchener ein süßes Erwachen. Dem Zwanzigjährigen waren allerlei Fehler unterlaufen. Ünlü verunsicherte seine Vorderleute so sehr, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein schien, wann der VfL Bochum die Partie entscheiden und Schalke aus dem Rennen um die Europapokalplätze verabschieden würde. Doch die Bochumer ließen die Vorlagen ungenutzt, die Ünlü ihnen lieferte. In einem lichten Moment verhinderte der Torwart mit einem Reflex sogar den Ausgleich. Als seine Irrfahrt durch den Strafraum beendet war und Ünlü wieder zu sich kam, widmete er einen Teil der Tränen den gegnerischen Fans: „Es waren Tränen der Freude und der Genugtuung, weil die VfL-Fans mich verspottet haben.“ In der zweiten Hälfte hatten die Einheimischen bei fast jedem Ballkontakt des Torwarts höhnisch applaudiert. Ünlü will schon vor dem Anpfiff gemerkt haben, „dass es ein besonderes Spiel wird“. Und er bewegte sich in seinem Terrain, als wäre ihm die Sonderrolle, die er dabei spielte, jederzeit bewusst gewesen. „Volkan hat schon vor dem Spiel nervös gewirkt und war in sich gekehrt“, sagte Jupp Heynckes, der Trainer des FC Schalke 04. „Er hat sich viel zu sehr unter Druck gesetzt. Beim nächsten Spiel in unserer Arena hat er Gelegenheit, sich wieder zu beruhigen“.“

Nie hat eine Mannschaft mit einem derart schlechten Torhüter ein Spiel gewonnen

Christoph Biermann (SZ 29.3.) fügt hinzu: „Die Fans feierten in jubeltrunkener Fassungslosigkeit, denn noch nie in der Geschichte der Bundesliga hat eine Mannschaft mit einem derart schlechten Torhüter ein Spiel gewonnen. Nach seinem Fehler beim Führungstreffer des VfL Bochum war der Ersatzmann von Frank Rost nur noch ein Nervenbündel, und man musste weit zurückdenken, sich einer derartigen Fülle bizarrer Fehlleistungen zu erinnern. Ähnlich dramatisch wie Ünlü erging es wohl nur der legendären kroatischen Zitterhand Mladen Pralija, der bei seinem Debüt für den Hamburger SV im Jahr 1987 gleich vier Gegentore verschuldete. Oder Helmut Rülander von Werder Bremen, der 1991 in seinem ersten und einzigen Spiel von Beginn an in Frankfurt sieben Tore kassierte und von Otto Rehhagel zwölf Minuten vor Schluss erlöst wurde. Doch so entnervt sich Ünlü durchs Spiel quälte, wie hypnotisiert von jedem hohen Ball, verschuldete er nur einen Gegentreffer. Jupp Heynckes hatte ihm zudem – und das entsprach wohl eher seinen innigsten Wünschen als irgendeiner Wahrscheinlichkeit – in der Halbzeitpause gesagt, er würde noch einen entscheidenden Ball halten. In der Nachspielzeit wischte Ünlü wirklich noch einen Kopfball über die Latte, rettete Schalke einen glücklichen Sieg und die Chance, sich für den Uefa-Cup zu qualifizieren. „Wenn ich den nicht gehalten hätte, wäre in den Zeitungen überall von Ünlü dem Fliegenfänger geschrieben worden“, sagte der zarte Torwartriese. Auch eine dreiviertel Stunde nach Abpfiff machte er den Eindruck, als würde er jeden Moment erneut in Tränen ausbrechen. So war es eher rührend, wie er sich Mut zusprach: „Dieses Spiel wird mich für meine Karriere stärker machen.“ Es wird für Ünlü allerdings wohl keine Karriere im Profifußball geben, wenn er seiner Nerven nicht Herr wird; und noch mindestens zwei Spiele wird er dem Druck standhalten müssen. „Die Bundesliga ist ein Stahlbad, da muss man durch – und wir haben gewonnen“, sagte Oliver Reck, der in Schalke inzwischen die Torhüter trainiert. Er musste grinsen, als er das sagte. Auch Ebbe Sand schüttelte den Kopf, als er über ein „komisches Spiel“ sprach, das über weite Strecken auf so schwachem Niveau geführt würde, dass man keines der Teams in dieser Verfassung zu internationalen Spielen entsenden möchte.“

Eintracht Frankfurt – 1860 München 0:3

Christian Zaschke (SZ 29.3.) erlebt zwei Trendwenden: „Kapitän Markus Schroth stand jetzt auf dem Zaun im Frankfurter Waldstadion und jubelte den Anhängern des TSV 1860 München zu. Ein Megaphon wurde ihm aus der Kurve gereicht, und Schroth, jener Mann, der von den Kräften der Schöpfung mit dem Temperament eines Gesteins ausgestattet wurde, schrie hinein: „Danke, Männer, ihr seid die Größten!“ Hinter ihm stand die komplette Mannschaft, einige warfen ihre Trikots in die Menge, andere winkten, alle lachten. Es wirkte, als feiere der TSV in diesem Moment den Verbleib in der Bundesliga, und vielleicht war das 3:0 tatsächlich ein Spiel der Entscheidung. 28 000 Zuschauer erlebten die wundersame Wandlung zweier Fußballteams. Frankfurt, zuvor als Mannschaft der Rückrunde gefeiert, spielte unsicher, verkrampft und bisweilen lächerlich schlecht. 1860 München, zuvor von 49,72 Prozent der Leser des kickers als Absteiger getippt, agierte mutig, kämpferisch und entwickelte einen ungeahnten Willen zum Sieg. Es war kein besonders gutes Fußballspiel, aber immerhin eines, in dem die Mannschaft aus München die Freude am Fußball wiederfand. In dem sie zudem endlich so spielte, wie Trainer Falko Götz sich das lange gewünscht hatte: Die jungen Spieler sorgten für Wirbel, die älteren traten sicher und solide auf. Götz hatte zuletzt wohl selbst nicht mehr an ein solches Spiel geglaubt, er sprach nicht mehr – wie zu Saisonbeginn so oft – von seinem Jugendkonzept, sondern von einem „Verjüngungskonzept“. Und jetzt gewannen ihm die Jungen das Spiel.“

Bundesligauntauglich

Peter Penders (FAZ 29.3.) ist von Frankfurt enttäuscht: „Zuviel hatte Falko Götz nicht versprochen: „Ein blaues Wunder“ hatte er der Frankfurter Eintracht prophezeit, die aber offenbar nicht so genau hingehört hatte. Die Hessen wähnten sich vor dem Spiel längst auf dem Weg Richtung Klassenverbleib, nachdem sie sich in der Rückrunde vom letzten Tabellenplatz auf einen Nichtabstiegsplatz nicht nur vorgearbeitet, sondern auch vorgespielt hatten. Gegen die „Löwen“ waren drei Punkte fest eingeplant, und auch die Sperre von Trainer Willi Reimann, der statt auf der Bank in einem Baucontainer auf der Baustelle der Haupttribüne saß, schien von vornherein keine besondere Bedeutung zu haben. Als die neunzig Minuten im Waldstadion aber vorbei waren, war alles anders. Götz hatte Wort gehalten, und nach der Niederlage war jeglicher Optimismus in Frankfurt wie verflogen. Wo sollte er auch herkommen? Ausgerechnet gegen einen direkten Konkurrenten im Kampf um den Klassenverbleib hatten sich die Frankfurter wieder wie in der Hinrunde aufgeführt – absolut bundesligauntauglich. (…) Daß es mit der vermeintlichen Frankfurter Herrlichkeit in der Rückrunde vielleicht doch nicht so weit her war, hatte Götz offenbar schon vorher erkannt. Nach den Querelen der Vorwoche hatte ihm der neue Präsident Karl Auer das Vertrauen ausgesprochen. So bestärkt, ließ Götz sein Team früh attackieren, „weil die Eintracht Schwierigkeiten mit dem Spielaufbau unter Druck hat“. Und er setzte auf die Kopfballstärke seiner Elf: „Ich wußte, daß wir in diesem Spiel die Lufthoheit haben würden“, sagte der „Löwen“-Trainer. Daran hatte es schon schnell keinen Zweifel gegeben: Görlitz hatte ebenso per Kopf getroffen wie später Lehmann. Klingt nicht gut für das Unternehmen Klassenverbleib. Reimann baute schon einmal vor: „Jetzt sind wir alle gefordert. Es kommt jetzt darauf an, wie sehr wir im Verein zusammenhalten.“ Und das war, wie die Vergangenheit gelehrt hat, ja immer eine der ganz besonderen Stärken der Eintracht.“

Der Arbeitsplatz verändert auch in der Bundesliga die Menschen

Michael Horeni (FAZ 29.3.) sinniert über die Einflussmöglichkeit eines Trainers während des Spiels: „Die mediensoziologische Frage, was einen Menschen dazu bringt, sich freiwillig in einen Container zu begeben, wurde schon ausführlich erörtert. Die Antwort handelt von der Gier nach dem geldwerten Gut öffentliche Aufmerksamkeit, dem Traum von einem anderen, besseren Leben, das sich eröffnen soll, wenn die Tür des Fernseh-Containers nach vielen Monaten einen nun öffentlich bekanntgemachten Menschen in eine veränderte Wirklichkeit entläßt. Der Big-Brother-Container steht aber auch für eine Versuchsanordnung: Menschen werden in einem simulierten Alltag mit inszenierten zwischenmenschlichen Beziehungen zusammengesperrt, um daraus ein Spektakel zu veranstalten. Am Samstag ist im Frankfurter Waldstadion Eintracht-Trainer Willi Reimann in einen Container auf der unfertigen Haupttribüne eingezogen. Die Assoziationen zum Fernsehspektakel lagen selbstverständlich nahe, aber das genaue Gegenteil wäre eigentlich richtig. Der Fußball-Trainer erhoffte sich in einem realen öffentlichen Raum – die Baustelle Waldstadion war mit knapp 30 000 Zuschauern fast ausverkauft – größtmögliche Abschottung vor realen Zuschauern und Fernsehkameras. Vor allem aber wünschte er sich, daß sich sein Alltag nach eineinhalb Stunden in der Abgeschiedenheit des Containers kein bißchen verändern möge. Doch niemand verläßt den Container so, wie er ihn betreten hat. (…) Die Eintracht hatte sich auf die Sprachregelung verständigt, wonach die Arbeitsplatzveränderung eines Trainers kein Problem, sondern ein Vorteil sei. „Ich bin der Meinung, das ist der beste Platz“, behauptete Reimann vor der Partie über seine Container-Lage. Widerspruch ist schwierig – auch nach einem 0:3. Denn die exakte Wirkung eines Trainers am Spielfeldrand während der Spielzeit zu messen ist tatsächlich ein Ding der Unmöglichkeit. Berti Vogts hatte bei seiner letzten Station in der Bundesliga Distanz als Stilmittel sogar freiwillig gewählt. Er setzte sich als Cheftrainer eines ansehnlichen Mitarbeiterstabs auf die Tribüne, weil er dort den besten Überblick zu gewinnen glaubte. Doch auch in herausgehobener Position bei Bayer Leverkusen verlor er zu viele Spiele – und wurde schnell entlassen. Vogts‘ Sicht der Fußballdinge hat sich nicht durchgesetzt. Der Trainer sitzt in Deutschland weiter auf der Bank, und auch international gehört Nähe zum Geschäft. Die Coaching-Zone und deren Bewachung durch den vierten Schiedsrichter ist Ausdruck dafür, wie sehr Trainer trotz aller Vorarbeiten im Training glauben, am Rande doch irgendwie letzten Einfluß auf das Spiel ihrer Mannschaft nehmen zu können; und sich dafür sogar körperlich einsetzen wie Willi Reimann in Dortmund. In einer Woche vom Nahkämpfer zum menschenscheuen Container-Trainer – der Arbeitsplatz verändert auch in der Bundesliga die Menschen.“

SC Freiburg – 1. FC Köln 3:0

Heute bin ich mehr bei den Kölnern

Christoph Kieslich (FAZ 29.3.) protokolliert die Höchststrafe für die Kölner – Freiburger Mitleid: „Volker Finke konnte sich das Mitgefühl leisten; schließlich hat sein SC Freiburg am Samstag einen riesigen Schritt getan, im Sommer die zehnte Bundesligasaison in Angriff nehmen zu können. Doch nach dem 3:0 gegen den 1. FC Köln versetzte sich der Freiburger Coach erst einmal in die verzweifelte Situation des Mitaufsteigers hinein, der jetzt seit acht Spielen nicht mehr gewonnen hat: „Da drehst du irgendwann durch“, sagte Finke, der sich an den ersten Freiburger Abstieg 1997 erinnert fühlte. Dieses Schicksal werden auch die Kölner allem Anschein nach nicht mehr abwenden können (…) Der in allen Kategorien des Überlebenskampfes geschulte Finke („Heute bin ich mehr bei den Kölnern“) wollte gar nicht aufhören, am Leid des Gegners teilzunehmen: „Wenn man das Gefühl hat, die anderen sind keinen Furz besser, dann ist das brutal.“ Und so war es auch am Samstag im Breisgau, wo die Gastgeber ihren 100. Sieg in der Bundesliga schafften. Somit fällt den Freiburgern kurz vor der 100-Jahr-Feier des Vereins ein Stein vom Herzen. Der Klassenverbleib ist in greifbarer Nähe, und der Cheftrainer wollte dann „natürlich auch was Positives“ zu seiner Mannschaft sagen: Julian Reinard stand zum zweiten Mal im Freiburger Tor, weil Richard Golz und die Nummer zwei, Timo Reus, verletzt ausfielen. „Das ist einfach klasse“, sagte Finke hoch erfreut, „da bist du oben mal richtig in Not“, und dann trage der Torwart aus der Jugend die Last ohne Fehl und Tadel. Als Bestätigung des Weges zu einem „hoffentlich anerkannten Ausbildungsverein“ empfindet Finke dieses Erlebnis. Offenbar bleibt die Nische, in der sich die Freiburger eingerichtet haben, nicht unerkannt: Am Mittwoch wird der neue Hauptsponsor vorgestellt, und es ist schon kein großes Geheimnis mehr, daß mit dem Automobilhersteller Suzuki erstmals ein weltweit operierendes Unternehmen auf die Freiburger Trikotbrust rücken wird.“

Bayer Leverkusen – Hertha BSC Berlin 4:1

Wie sich die Dinge entwickeln, verschlägt selbst alten Fahrensleuten manchmal die Sprache

Jörg Stratmann (FAZ 29.3.) notiert Deutungsprobleme: „Hans Meyer haßt es, wenn man seine berufliche Tätigkeit auf Schlagworte reduziert. Deshalb ficht der Kabarettist unter den Fußballtrainern manche Privatfehde gegen jene Blätter, die ihre Überschriften gern groß und griffig schreiben. Doch gibt es Situationen, in denen auch dem Einundsechzigjährigen die feinen Formulierungen ausgehen.: In so einer Phase bei Bayer Leverkusen auf diese Weise 1:4 zu verlieren, sagte Meyer, „ist richtig Scheiße“. Wie sich die Dinge in neunzig Minuten auf dem Fußballplatz entwickeln können, verschlägt selbst alten Fahrensleuten manchmal die Sprache. Wenn man alles zusammenfasse, was auf dem Rasen der BayArena passiert sei, „so war es verdient für Leverkusen“, sagte er. Und doch stimmte ihm sein Kollege Klaus Augenthaler zu, als Meyer hinzufügte: „Da haben wir das Spiel im Griff, führen früh und können Leverkusen noch viel mehr ärgern – und fallen in unglaublicher Art und Weise auseinander, wie du sie als Trainer nie verstehen wirst.“ Schon nach sieben Minuten hatte der Berliner Marcelinho mit einem Freistoß getroffen. Auch fortan wirbelte Marcelinho unbehelligt in Herthas Offensive, was der Brasilianer selbst und Stürmer Sofian Chahed fast zu zwei weiteren Treffern genutzt hätten. Auf der anderen Seite schaffte es nur Verteidiger Lucio, hier und da mit fast wütenden Vorstößen das zunehmend murrende Publikum ein wenig bei Laune zu halten. „Auf einmal schaute es aus, als wenn wir auf Platz 17 stünden und nicht der Gegner“, sagte Augenthaler. Doch mit dem überraschenden 1:1 glich sich das Bild verblüffend schnell wieder der Tabelle an. Erst nutzte es Dimitar Berbatow aus, daß Verteidiger Marko Rehmer bei einem Steilpaß von Ramelow auf Abseits spekulierte; dann bestrafte Franca vier Minuten später eine doppelte Nachlässigkeit von Rehmer und Josip Simunic mit einem Direktschuß zur Führung. „Anfängerhaft“, schimpfte Meyer. Wenn zwei Nationalspieler in der Mitte verteidigten und ihr Gegenspieler auf diese Weise treffe: „Das sagt doch alles.““

Vom Saulus zum Paulus

Erik Eggers (FR 29.3.) porträtiert Dimitar Berbatov: „Der achtjährige Knirps hatte schon reichlich Autogramme eingesammelt. „Hier!“, zeigte er seiner Mutter stolz sein Trikot mit eigentlich unleserlichen Unterschriften, „der Ramelow, und der Babic, und der Nowotny“. Nicht schlecht für den Anfang. Trotzdem fing er nun an zu quengeln. Der wichtigste Namenszug, der fehlte ja noch. „Wann kommt Berba?“, fragte er daher in Minutenabständen seine Eltern. „Berba“, mit vollem Namen Dimitar Berbatow, war der Spieler des Tages gewesen. Hatte der Knirps doch mitbekommen, wie sehr die Menschen auf der Haupttribüne den Angreifer gefeiert hatten, als der in der 79. Minute ausgewechselt wurde. Das war auch deswegen ein ziemlich bewegender Moment, weil ihn die gleichen Menschen noch neulich nicht eben zu Unrecht als „Chancentod“ und hoffnungslosen Fall beschimpft hatten. Vor exakt sieben Wochen hatte der Bulgare gegen die Frankfurter Eintracht in den ersten 20 Minuten drei so genannte Hundertprozentige vergeben und sich zum Sündenbock für die Niederlage abstempeln lassen müssen. „Aus dem wird nie etwas!“, so lautete damals das vernichtende Urteil so mancher Experten. Dagegen hatte Ex-Bayercoach Klaus Toppmöller schon vor Jahren behauptet: „Berbatow wird der Topstürmer der Liga.“ Man musste schon den Eindruck gewinnen, Toppmöller habe keine Ahnung vom Fußball. Hat er doch: Denn nun, keine zwei Monate nach der Niederlage gegen die Eintracht, avancierte der erst 23-jährige Berbatow plötzlich vom Saulus zum Paulus, eine vormals tragische Figur schälte sich binnen weniger Tagen bei den Balkenblättern zum „neuen Bayer-Superstar“ (Express) heraus, und ein Sturm der Begeisterung wehte ihm entgegen. Wer will, kann dessen rasche Metamorphose vom Prügelknaben zum Heilsbringer als (nachdenklich machendes) Lehrstück dafür betrachten, wie schnell einbetoniert wirkende Einschätzungen im modernen Fußball über den Haufen geworfen werden können. Der Auftritt des Stürmers war geradezu phänomenal.“

Jörg Stratmann (FAZ 29.3.) ergänzt: „“Wenn er da hinkommen will, wo er hinkommen kann, dann muß er noch konsequenter sein“, sagte der Bayer trotz Berbatows Saisontreffern zehn und elf beim 4:1 gegen Hertha BSC – und fügte doch mit wohlwollendem Lächeln hinzu: „Ich habe ihm schon eine Menge ausgetrieben.“ Das hat lange gedauert. Und obgleich Berbatows Vertrag gerade erst bis 2007 verlängert wurde, schwingt nicht ohne Grund weiterhin leichte Skepsis in Augenthalers Worten mit. Denn schon unter Vorgänger Klaus Toppmöller galt der dunkelhaarige Stürmer mit dem stets unbeteiligt wirkenden Blick in den seltsam hellen Augen als „absolutes Supertalent“, dem man nur noch etwas Zeit zur Reife gewähren müsse. Berbatow, seinerzeit für rund fünf Millionen Euro von ZSKA Sofia als einer der meistversprechenden europäischen Nachwuchsprofis verpflichtet, hat diese Geduld bislang mit fast fahrlässig wirkender Leichtfüßigkeit ausgereizt. Sein Status als Popgröße in der Heimat verführte ihn auch schon mal dazu, sich notdürftig bedeckt mit ebenso luftig gekleideten Models ablichten zu lassen. Um auch hierzulande als Star zu gelten, mangelte es aber stets an Toren, für die er obendrein jeweils eine Unzahl an besten Möglichkeiten verpulverte. Nun aber gelangen ihm allein in den letzten vier Spielen fünf Treffer.“

Hansa Rostock – VfL Wolfsburg 3:1

Ja, man kann es Ratlosigkeit nennen

Mathias Wolf (FAZ 29.3.) spürt Wolfsburg im Abstiegskampf: „Ob nach sieben Niederlagen in neun Rückrundenspielen auch in Wolfsburg die üblichen Mechanismen greifen? „Es ist nicht opportun, jetzt auf solche Fragen zu antworten“, sagte Manager Peter Pander ausweichend. „Aber wir brauchen drei Punkte gegen den VfB Stuttgart. Noch mehr Niederlagen können wir uns nicht erlauben.“ Das klang nach einem Ultimatum. Zumal Pander die Leistung der Mannschaft „erschreckend“ nannte und die Furcht umgeht: „Heute ist der Abstiegskampf eingeläutet worden.“ Und der Kampf um Röbers Arbeitsplatz. Der 50jährige Trainer wirkt verzweifelt. „Ja, man kann es Ratlosigkeit nennen“, sagte er, weil weder personelle Wechsel noch ein zweitägiges Trainingslager in Warnemünde Wirkung gezeigt hatten. Er beobachtete die letzten Phasen des Spiels lethargisch. Beim einsamen Gang in die Kabine würdigte er seine Profis keines Blickes. Später nannte er ihre Spielweise naiv. Die Treffer von waren eine Verkettung von laschen Zweikämpfen und falschem Stellungsspiel. „Am besten ich rede gar nicht mehr mit den Spielern“, sagte Röber. Das klingt nach Entfremdung mit einem Kader, der obendrein in sich zersplittert scheint. Die Geste des Tages beim VfL war der rechte ausgestreckte Zeigefinger des Spielmachers Andres D‘Alessandro, der sich freilief, die Bälle forderte, aber kaum welche bekam. Und wenn doch, dann spielte er Alibipässe. Der Argentinier, für sein mangelhaftes Defensivverhalten von Mitspielern kritisiert, war ob seiner Isolation auch in Rostock wieder Symbolfigur für die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim VfL, der viele Millionen investiert hat. „Es geht nicht mehr darum, ob wir uns große Ziele gesetzt haben“, sagte Pander. „Es geht nur noch darum, den Hebel umzulegen und die Ärmel hochzukrempeln, um nicht noch da unten reinzurutschen.“ Die Gefahr sei groß, gestand auch Pablo Thiam, „weil wir extrem verunsichert sind und einige den Ernst der Lage nicht erkannt haben“. Womöglich aber richtet sich doch wieder alles nur gegen einen.“

Hannover 96 – Borussia Dortmund 1:1

Javier Cáceres (SZ 29.3.): „Die Bitte um eine Deutung wurde durchaus formvollendet dargebracht, doch dem französischen Tormann von Borussia Dortmund schien der Sinn nicht nach Analyse zu stehen. „F*** me! F***!“, rief Warmuz auf seinem Wege in die Kabine, „f*** you, f***!“ Womöglich hat er den Fluch bis unter die Dusche durchkonjugiert, bis dorthin mochte ihm dann aber doch kein Fragesteller folgen. Sieben Minuten vor Ende der Partie war Warmuz per Elfmeter bezwungen worden, sein Mitte der zweiten Halbzeit eingewechselter Landsmann Ahmed Madouni hatte den Ball im Strafraum mit der Hand berührt, Thomas Christiansen verwandelte. „Das ist für uns zu wenig“, urteilte der deutsche Nationalspieler Torsten Frings. Auch Frings war nicht verborgen geblieben, dass die Schuld an dem Punktverlust nur zu einem Gewissen Grad individualisierbar war, „eine Halbzeit reicht einfach nicht“, sagte er. „Wir haben in der zweiten Halbzeit zu wenig gemacht“, sagte Christian Wörns, und Trainer Matthias Sammer vermutete richtiger Weise, dass seine Elf sich im Gefühl einer zu locker verlebten ersten Halbzeit (nach dem Motto: „das Bällchen flutscht ja hier. . .“) den Autopiloten eingeschaltet hatte. Womöglich hatte er auch durch die Einwechslung eines Verteidigers (Madouni) für einen Stürmer (Gambino) das falsche Signal gesetzt? Sammer verneinte, er habe bei wachsendem Druck Hannovers die Abwehr reorganisiert und dadurch „vielleicht eine Nuance“ Offensivkraft weggenommen: „Ich stelle mir das als sehr logisch vor, behaupte aber nicht, dass ich Ahnung hab“ vom Fußball.“ Dafür aber von Wahrscheinlichkeitsrechnung: „Wenn man auf die Tabelle schaut, ist der eine Zähler nur bei einem Sieg gegen den VfL Bochum am kommenden Wochenende etwas wert – sonst nicht.“ Auch die Hannoveraner toupierten sich den Punkt zurecht, „er kann noch sehr wichtig werden“, beteuerte Trainer Ewald Lienen, der mit Hannover nach drei Spielen ungeschlagen, aber eben auch ohne Sieg dasteht. Geradezu vergnügt wirkte Sportdirektor Ricardo Moar, er attestierte dem Punkt „einen ganz großen psychologischen Wert“.“

Allgemein

Rainer Seele (FAZ 29.3.) verlangt mehr Anstand: „Der Begriff Würde scheint im Frühling zu einem Schlagwort im deutschen Fußball geworden zu sein. Es geht um Anstand und Stil in der Bewältigung vielfältiger Probleme. Und seien sie noch so profan, wie etwa die Frage, wie ein gesperrter Fußball-Lehrer im Stadion untergebracht werden kann. Willi Reimanns Käfig-Platz im Frankfurter Waldstadion nach schlechter „Big Brother“-Art mutete jedenfalls entwürdigend an. Jene Kölner, deren Profis in fast aussichtsloser Lage eine professionelle Einstellung zeigen sollen, gaben in jüngerer Vergangenheit ebenfalls ein schlechtes Bild ab. Allerdings auf der Ebene der Funktionäre, die in wenig erbaulicher Manier um die Macht im Verein stritten. Eine pikante Personalie sachlich und menschlich angemessen zu beurteilen, das kann auch die schwierige Aufgabe von Erfolgreichen sein. Zu sehen am deutschen Meister Bayern München und Ottmar Hitzfeld. Es ist eine eigenartige Debatte entstanden beim Tabellenzweiten. Es geht dort um die Zukunft eines Mannes, den vor nicht allzu langer Zeit noch die Aura des „ewigen Siegers“ umgab. Nun aber, da sie dort nicht mehr Titel in Serie produzieren, wird in München, so hat es den Anschein, auch die Institution Hitzfeld in Frage gestellt. Und es ist zu spüren, wie unangenehm dem FC Bayern dieses Thema ist, da es um eine Fachkraft mit enormen Verdiensten und großer Reputation geht – und deshalb für beide Seiten auch darum, die Würde zu wahren auf der Suche nach einer Lösung. Eines steht, tröstlich in diesen Tagen, immerhin fest: Deutschland wird 2004 einen würdigen Fußballmeister feiern.“

Marc Schürmann (FTD 29.3.) verlangt mehr Zahlen: „Nichts ist darüber zu erfahren, wer den Weltrekord des schnellsten Hattricks aller Zeiten aufstellte: Magnus Arvidsson, heute Hansa Rostock, vor neun Jahren als Stürmer des schwedischen Zweitligisten IFK Hasselholm (89 Sekunden). Aber der Rekord bei Gegentoren in Heimspielen von Bochum? Demnächst jubelt das ganze Ruhrstadion, wenn die Anzeigetafel enthüllt, dass Frank Fahrenhorst nun schon seit 14 Monaten und acht Tagen kein Kopfballduell mehr zwischen der 60. und 80. Spielminute im mittleren Drittel des Spielfeldes verloren hat. Vereinsrekord! (Aber nur bei Heimspielen.) Ihr Chronisten, rückt mit den gei-len Daten raus! Seit wie vielen Spielminuten hat sich Michael Ballack nicht mehr am Hintern gekratzt? Wie viele Liter Spucke haben die Profis in dieser Saison auf den Rasen gerotzt? Und wie lange hat keiner aus der Familie Wildmoser sich von einem Bauunternehmen schmieren lassen? Ist das Rekord? Eine andere Bestmarke dürfte Hertha BSC Berlin geschafft haben: nämlich den als am konsequentesten von Sponsoren verleugneten Bundesligisten. Es gibt da doch diese Fernsehwerbung von Vodafone, die mit dem Kindergeburtstag und den Vätern beim Sackhüpfen. Vor ein paar Wochen jubelte da im Handy-Display noch ein Stürmer im Hertha-Trikot – jetzt ist es irgendein anderer Typ in dunkelblau. Hertha hat man ersetzt und wegretuschiert wie Stalin seine Gegner von den Fotos für die Geschichtsbücher. Und welcher Spieler musste sich je unter der Mannschaftsdusche die meisten Reime mit seinem Namen anhören? Jede Wette: Es ist Lars Ricken. Aber ach, von solchen Rekorden erfahren wir ja nie etwas. Im Fußball, das ist die einzig mögliche Schlussfolgerung, werden viel zu wenige Statistiken erhoben.“

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Torschützen – Tabellen NZZ

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Nationalmannschaft

ein sehr lesenswertes Spiegel-Portrait Dietmar Hamanns, „Mister Reliable“ – FAZ kramt im Archiv und berichtet das erste Länderspiel Deutschlands gegen Belgien (1910) u.v.m.

Mister Reliable

Sehr lesenswert! Jörg Kramer (Spiegel 29.3.) preist Dietmar Hamann: „In Deutschland wird der schmale Ballverteiler trotz überragender Auftritte wie bei der letzten Weltmeisterschaft sein Mitläufer-Image einfach nicht los. Experten, zu denen auch die Kollegen in der Nationalelf gehören, können Hamanns Bedeutung dagegen schon aus den Mannschaftsaufstellungen des Weltfußballs herauslesen: Nur ein einziger deutscher Feldspieler kommt in einer der drei europäischen Topligen in Spanien, Italien und England derzeit regelmäßig zum Einsatz – die vermeintliche Randfigur Hamann. Auch dafür, dass das vergangene Länderspieljahr als eines der finstersten in die deutsche Fußballgeschichte einging, gibt es womöglich eine plausible Erklärung: Hamann konnte verletzungsbedingt nur eine Partie bestreiten. Rechtzeitig zur Europameisterschaft ist er, nach Knöchelblessur und Sehnenoperation, nun gewohnt geräuschlos zurückgekehrt in Rudi Völlers Team, das am Mittwoch gegen Belgien einen weiteren Test vor dem Turnier in Portugal absolviert. Der Wert des Spielers Hamann, erklärte der Teamchef, falle vor allem dann auf, wenn er fehle. Wer genau hinsieht, erkennt Hamanns Effizienz jedoch noch deutlicher, wenn er mitspielt. Wegen seiner zentralen Position und der modernen Spielweise ist er auf dem Rasen der Chef. Völler-Assistent Michael Skibbe stellte eine „große Akzeptanz“ im Spielerkreis fest. (…) Im Fußballdeutschland der schrillen Aufgeregtheiten, die eine vom Personenkult dominierte Bundesliga allwöchentlich produziert, wirkt der stille Pragmatiker Hamann mit seiner Leichtigkeit wie ein Fremdkörper. Dass es Fernsehkanäle gibt, die etwa nach Oliver Kahns Fehler gegen Real Madrid eine Sondersendung ansetzen und den Bruder des Bayern-Torhüters sowie andere Experten in heiligem Ernst über Kahns Psyche diskutieren lassen, nimmt Hamann halb entsetzt, halb belustigt zur Kenntnis. Ebenso befremdet ihn, wie zurzeit in München Management und Medien Doppelpass spielen und dem Bayern-Star Michael Ballack offenbar die Notwendigkeit eines Auslandswechsels einreden wollen. Als früherer Bayern-Spieler kennt Hamann die Allianzen. Als kühler Kopfmensch neigt er zu Formulierungen wie: „Das hilft keinem“ oder „Da hat niemand was davon“. Und als Legionär, der im Land der Fußballpuristen seinen Seelenfrieden gefunden hat, gelangte er zu der Erkenntnis: „Wenn du dich zu viel mit anderen Dingen beschäftigst, leidet die Leistung.“ Er hat keine Millionen-Einnahmen aus Sponsorenverträgen wie Ballack und Kahn. Ein Bekannter, der einst ein Profil für die Werbeindustrie von ihm erstellte, hat den Job gewechselt, jetzt ist die Verbindung zu den Marketingabteilungen der Firmen gekappt. Dafür hat er aber auch nicht diesen Jahrmarkt der Ikonen zu ertragen. (…) Hamanns Aufgabe besteht darin, vor der Abwehrkette die gegnerischen Angriffe abzufangen und den eroberten Ball – mit innerer Gemütsruhe und doch in gebührendem Tempo, wie es dem rasanten Stil der Premier League entspricht – in einen offensiven Spielzug umzuleiten. Sie nennen ihn den „Anchor man“ („Daily Mail“), Fans tauften ihn „Mister Reliable“, Herr Zuverlässig. Der „Guardian“ bezeichnete Hamann als „Metronom“, weil er beim FC Liverpool „aus der Tiefe den Rhythmus diktiert“. Nichts kennzeichnet die Rückständigkeit des deutschen Fußballs so deutlich wie die Geringschätzung, die die Stellung Hamanns hier erfährt. Anklagend hielt kürzlich Bayern-Manager Uli Hoeneß dem schwächelnden Ballack vor, er sei ja gar kein „offensiver Mittelfeldspieler“ – Inhaber jener Position also, von der man die „Rolle des absoluten Stars“ beanspruche. Das galt vielleicht vor 30 Jahren, als die so genannten Regisseure mit der Nummer 10 majestätisch das Spielfeld durchschritten, meistens mit dem Ball am Fuß. Heute spielt die Musik längst in der Hamann-Region. Dort, im Zentrum vor der Abwehr, walten in England kreative Koryphäen wie der Franzose Patrick Vieira von Arsenal London. In Deutschland, wo reine Abwehrkünstler wie Guido Buchwald oder Renner wie Dieter Eilts in dieser Zone lange stilbildend ackerten, werden die Männer auf der Schlüsselposition immer noch „Staubsauger“ genannt. In England heißen sie Strategen. (…) Vor vier Jahren, nach dem Reinfall bei der Europameisterschaft in Holland und Belgien, sah er sich zum vaterlandslosen „Rebellen“ gestempelt. Die deutschen Fans pfiffen ihn im ersten Länderspiel der Völler-Ära aus. Hamann hatte nichts anderes getan, als – gemeinsam mit mutigen Mitstreitern wie Markus Babbel und Jens Jeremies – aus Pflichtgefühl nach der Notbremse zu greifen. Die Gruppe wandte sich an den alternden Libero Lothar Matthäus mit dem Plan, den als taktisch unbedarft enttarnten Teamchef Erich Ribbeck vor der EM zu entmachten. Altmeister Matthäus schützte jedoch seinen Förderer Ribbeck und informierte seinen Mentor Beckenbauer. Später war in Beckenbauers Hauspostille „Bild“ zu lesen, Babbel und Hamann hätten während des EM-Turniers in einer Kölner Bar „bis nachts um drei“ getanzt – in Wahrheit waren die Spieler in Köln zum Abendessen. „Bild“-Protegé Matthäus beschimpfte Teile der Mannschaft als „charakterlos“. Hamann hat das alles nicht vergessen. Es war die Zeit, da er sich als „Eierkopf“ gebrandmarkt fühlte, „nur auf die Mütze“ bekam und sich fragte, ob er die jeweils „drei, vier Tage nicht anders verbringen“ könnte, als zu Länderspielen der Nationalelf zu reisen. Anders als Babbel entschied er sich nicht für einen Rücktritt – aber für mehr Distanz zum deutschen Fußball.“

Distanz zu einem Teil des deutschen Fußball-Establishments

Michael Horeni (FAZ 30.3.) hat Jens Lehmann zugehört: “Die Vorfreude auf das Länderspiel gegen Belgien steht Jens Lehmann nicht gerade ins Gesicht geschrieben. Auf der Pressekonferenz erinnert der Mediendirektor des DFB daher den Torwart erst einmal an seine Erfolge, die ihn in dieser Saison noch drei Titel mit Arsenal London einbringen können. Am Vortag hatte Lehmanns Team durch ein 1:1 gegen Manchester United zudem einen neuen imponierenden Startrekord von 30 Ligaspielen ohne Niederlage aufgestellt. Üblicherweise nehmen die Nationalspieler das Redeangebot vor der Fragerunde dankbar an und reden dann je nach Temperament munter oder nichtssagend drauflos. So will es seit Jahrzehnten das öffentliche Ritual, und Lehmann kennt dieses Spiel sehr genau. Doch der Torwart, der in Köln endlich mal ein Länderspiel von Beginn an bestreiten darf, blockt die Vorlage des guten Willens ab. Er sei hier, um Fragen zu beantworten, sagt er kühl. Er muß kein weiteres Wort mehr sagen, um seine Distanz zu einem Teil des deutschen Fußball-Establishments auszudrücken. Um das Innenleben der Nationalelf ist es derzeit insgesamt nicht gut bestellt.“

Philipp Selldorf (SZ 30.3.) referiert Rudi Völler Sorgen um Stürmer: „Rudi Völler wählte die Konferenzschaltung, als er am Sonntag im Hotel der Nationalmannschaft in Bergisch-Gladbach die beiden Sonntagsspiele schaute. Deswegen war er live dabei, als Miroslav Klose durch einen wirklich schönen Kopfballtreffer den schlimmsten Fluch brach, der einen Angreifer befallen kann: den der Erfolglosigkeit vor dem Tor. Bis zu jenem Moment glich die Torlosigkeit der deutschen Nationalstürmer einer nicht endenden Wüstenei. Entsetzliche Dürre, horrende Ödnis, tiefe Verlorenheit, mittendrin vier Männer: Fredi Bobic, 464 Minuten ohne Erfolgserlebnis; Kevin Kuranyi, 723 Minuten; Oliver Neuville, 349 Minuten – und bis zur 53. Minute der Partie zwischen Hamburg und Kaiserslautern auch Miroslav Klose, 964 Minuten. Computerhirne haben ermittelt, dass die Sturmreihe der Nationalmannschaft somit 1 Tag, 17 Stunden und 41 Minuten ihre Bestimmung verfehlt hatte. Ein Protokoll des Schreckens vor dem Testspiel am Mittwoch in Köln gegen Belgien, zweieinhalb Monate vor dem Start der Europameisterschaft. Rudi Völler hat sich natürlich mit Miroslav Klose, einem seiner Lieblingsspieler, über das Tor gefreut. Aber das Vergnügen wendete sich schon im nächsten Moment in Sorge und am nächsten Tag in baffes Entsetzen. Denn am Montag bestätigte sich die Beobachtung des Teamchefs, dass sich Klose bei der Landung vom Kopfballflug verletzt hatte. Knie verdreht, „die Tendenz ist, dass er einige Wochen ausfällt“, sagte Völler, und ein Seufzen begleitete diesen Satz. Welch böse Ironie – Operation gelungen, Patient tot.“

Andreas Morbach (FR 30.3.) widmet sich dem deutschen Gegner: „Aimé Antheunis ist ein höflicher Mensch. Der 60-jährige Trainer der belgischen Fußball-Nationalmannschaft hat wahrscheinlich keinen allzu großen Respekt vor der deutschen Nationalmannschaft, nur sagen würde er das nicht. Den WM-Zweiten Deutschland führt der Weltverband Fifa aktuell auf Rang zehn, Belgien, bei der morgigen Eröffnung des neuen Kölner Stadions Testgegner der DFB-Auswahl, liegt sechs Plätze dahinter. Kein gewaltiger Unterschied. Aus den Papiertürmen um ihn herum kramt Antheunis die Zuschauerzahlen des vorletzten Bundesligaspieltags hervor. „Dortmund 80 000, Schalke 61 000″, liest er vor, „das ist der Unterschied.“ Zu den Spielen in Belgiens erster Liga kommen im Schnitt 12 000 Menschen, aber ansonsten gilt: „Bremen, Bayern, Stuttgart – im Moment ist das das gleiche Niveau wie Brügge oder Anderlecht.“ Beim RSC Anderlecht hatte Belgiens Trainer der Jahre 1999 bis 2001 nach zwei guten gerade eine schlechte dritte Spielzeit hinter sich, als er nach der WM 2002 den Job als Nationalcoach bekam. Seitdem fährt Antheunis jeden Tag von Lokeren aus eine Stunde zum Verbandssitz an der Houba de Strooper Laan 145 in Brüssel, wo ihn im weitläufigen Foyer die glorreichen achtziger Jahre auf großen Fotos empfangen: Rekordnationalspieler Jan Ceulemans nach einem Torerfolg; der überfüllte Grande Place von Brüssel beim Empfang der WM-Vierten von 1986; Georges Grün bei seinem entscheidenden Kopfballtreffer am 20. November 1985 im Relegationsspiel in Rotterdam. Auf frische Jubelbilder warten sie in der Brüsseler Zentrale bereits einige Zeit. Bei den letzten vier Weltmeisterschaften schied Belgien spätestens im Achtelfinale aus. „Im Fußball geht es immer hoch und runter“, sagt Anthenuis und glaubt tapfer an bessere Zeiten, doch er kennt auch die ungünstigen Rahmenbedingungen: Die vielen Ausländer und das starke Leistungsgefälle in der belgischen Liga mit den fünf großen Clubs Anderlecht, Brügge, Lüttich, Gent, Genk – und dem amateurhaften Rest. Oder der verhätschelte Nachwuchs. „Vielleicht haben wir den jungen Spielern zu viel geholfen anstatt mehr auf ihr Naturell zu setzen“.“

Immer schön, wenn auf dem Dachboden gestöbert wird. Heinrich Peuckmann (FAZ 30.3.) findet Schnipsel aus grauer Vorzeit: „Am 16. Mai 1910 fand in Duisburg das erste Länderspiel zwischen Deutschland und Belgien statt, und es wurde eines, das an Kuriositäten kaum zu übertreffen ist. Der DFB hatte bei seiner Planung nämlich vergessen, daß am Tag vorher das Endspiel um die deutsche Meisterschaft stattfand. Vor allem Spieler des Karlsruher FV, die Holstein Kiel nach Verlängerung mit 1:0 besiegten, waren eingeladen worden, hatten aber nach Siegerehrung und ausgiebiger Feier keine Lust, nach Duisburg zu fahren. So kam es, daß sich eine Stunde vor Spielbeginn lediglich acht der erwarteten Spieler eingefunden hatten. Was war zu tun? Die Belgier waren komplett angereist, 5000 Zuschauer saßen oder standen erwartungsfroh auf den Rängen, an eine Absage war nicht mehr zu denken. Also begann man, sich stillschweigend auf der Tribüne umzusehen, ob irgendwelche bekannten Spieler zu entdecken wären. Es waren natürlich Duisburger Fußballer von den Ortsrivalen Preußen und SV anwesend, um mal mitzuerleben, wie so ein Länderspiel ablief. Zu ihrer eigenen Überraschung stiegen sie innerhalb von Minuten von Beobachtern zu Akteuren auf. Alfred Berghausen als Verteidiger, Lothar Budzinski als Läufer und Christian Schilling auf halbrechts fanden sich, ehe sie sich versahen, in der Anfangsformation wieder, während Andreas Breynk vorerst auf der Auswechselbank Platz nahm. Was die Annalen nicht verraten, aber interessant wäre zu erfahren, ist die Antwort auf die Frage, ob die vier Duisburger nach dem Spiel ihr Eintrittsgeld zurückerhalten haben.“
of: Erinnert mich an meine „Zweite“ Mannschaft; die ist auch darauf angewiesen, dass Zuschauer da sind, die ihre Sporttasche immer dabei haben.
Es ist kaum zu glauben, dass sie so was einen Ball nennen

Philipp Selldorf (SZ 29.3.) lässt sich keinen Schnickschnack für einen Ball vormachen: „Jedes Mal, wenn eine Welt- oder Europameisterschaft bevorsteht, präsentiert die Firma adidas einen neuen Turnierball, der angeblich jahrelanger Forschungsarbeit und höchster deutscher Ingenieurskunst entstammt und dadurch noch besser, schneller und schöner ist als dessen Vorgänger. Diese Bekundungen können den erfahrenen Fußballfan nicht sonderlich verblüffen, denn es wäre ja ziemlich widersinnig, wenn adidas erklären würde, diesmal sei ihnen leider nicht so viel eingefallen, weshalb der neue Ball plump und lahm und viel hässlicher geraten sei als das andere Ding. Der Ball zur EM in Portugal heißt Roteiro und birgt, wenn man dem Hersteller Glauben schenkt, mehr Erfindergeist als die modernsten Marsraketen der Nasa: Ihm liegt ein „völlig neues Konzept der Ballfertigung“ zugrunde („die sogenannte thermische Verklebung“), er hat eine nahtlose Oberfläche und folgt dem System der „Power Balance Technology“. Revolutionär wie die Kollektionen Vivienne Westwoods ist seine silbern glänzende Erscheinung, ein Ballkleid, das noch keiner gewagt hat. Aus gutem Grund allerdings. Denn mit der Hülle des Roteiro verhält es sich wie mit Madame Westwoods Kreationen: Man sieht sie gern auf dem Laufsteg oder bei dekadenten Partys in London und New York, weit weg von zu Hause also – aber bitte nicht im Alltag, denn der ist hart genug. Am Wochenende wurde der Roteiro in München, Freiburg und Rostock eingesetzt, aber es gibt immer noch keinen Grund, dem spanischen Nationalspieler Joaquin zu widersprechen, der beim Länderspiel gegen Peru Mitte Februar die Ehre hatte, die Premiere des neuen Stücks zu kommentieren. Joaquin erklärte: „Es ist kaum zu glauben, dass sie so was einen Ball nennen.““

Samstag, 27. März 2004

Vermischtes

Die Fußball-WM scheint das Bruttosozialprodukt Italiens negativ beeinflussen zu können.

„In Jahren mit geraden Endziffern sind immer große Geister zur Stelle, um dem großen Fußballpublikum zu erklären, wes Geistes beziehungsweise welcher Begeisterung Kind sie sind“, schreibt Richard Reich (NZZ 27.3.). Dann nämlich steht ein großes Fußballturnier bevor. Und wenn die großen Geister nicht von sich aus reden, dann muss man ihnen Fragen stellen. Über ihr Verhältnis zum Fußball gaben der ostdeutsche Schriftsteller Thomas Brussig dem Tagesspiegel und Fußballphilosoph César Luis Menotti der FAS Auskunft. Die Rede ist von Schönheit, Abenteuer, Gerechtigkeit und Reumut. Auf das Vorrunden-Match Argentinien gegen England (7.6.) darf die globale Fußballöffentlichkeit nicht nur aus sportlichen Gründen gespannt sein. Die Beziehung beider Länder ist seit dem Falkland-Krieg 1982 problematisch. In letzter Zeit verlängerte sich diese Krise auf den grünen Rasen. Ein Beteiligter der jüngeren Vergangenheit – der argentinische Internationale Diego Simeone – meldete sich nun zu Wort. Seine Anmerkungen dürften kaum dazu beitragen, die Wogen zu glätten. Außerdem: Neues von Vogts und Strunz.

Die Fußball-WM scheint das Bruttosozialprodukt Italiens negativ beeinflussen zu können. Oder „wird diese WM heimlich und eilig konsumiert werden wie ein Seitensprung?“ fragt Emilio Marrese (La Repubblica 8.5.). „Großer Verlierer der WM wird entweder das Fernsehen sein, das in Italien bisher nie weniger als 20 – 25 Millionen Zuschauer hatte, oder die Arbeitgeber. Viele Unternehmen versuchen, im voraus Schadensbegrenzung zu betreiben, um nicht während der WM mit einer Flut von Urlaubsanträgen oder Krankmeldungen konfrontiert zu werden. Pirelli zum Beispiel (7000 Beschäftigte in 17 Betrieben) wird alles tun, um den Arbeitnehmern entgegenzukommen und gleichzeitig den Arbeitsablauf und die Sicherheit nicht zu gefährden. Fernsehen soll erlaubt sein, jedenfalls dort, wo keine Unfallgefahr droht. Die Mittagspause wird verlängert, in den Kantinen werden Großbildschirme aufgestellt. Die Verantwortlichen werden versuchen, die Schichtwechsel den Spielzeiten anzupassen.“

Wolfram Eilenberger (Tsp 19.5.) vermutet in der asiatischem „Terminpolitik“ eine ökonomische Strategie der Asiaten. „Bereits in der Vorrunde lächelnd ausscheiden und gleichzeitig unsere schöne europäische Wirtschaft für einen langen Monat lahm legen. Nein, so kann, darf und muss es nicht kommen! Geguckt werden wird. Das ist nicht die Frage. Und sicher kursieren sie schon, dunkel geschätzte Zahlen, was dieser kontinentale Arbeitsausfall kosten und also Schreckliches für die Zukunft der Gemeinschaft bedeuten wird.“

Amerikanische Fußballexperten und -freunde sind rar. Der Soziologe Andrei S. Markovits ist beides. Letzte Woche hat er in Berlin sein Buch „Offside. Soccer American Exceptionalism“ vorgestellt (im Herbst auch auf deutsch). Arno Orzessek (SZ 18.5.) war dabei: „Warum haben die Amerikaner ausgerechnet die Weltsportart Nummer Eins links liegen lassen, obwohl sie sonst alles in petto haben, was Pop ist und globale Vermarktung verspricht? (…) Jede Öffentlichkeit oder jeder Kulturraum hat nur ein begrenztes Aufnahmevermögen für Sport, und die Amerikaner haben laut Markovits ihren Raum in der entscheidenden Zeit, nämlich während der Industrialisierung des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, an die „großen dreieinhalb Sportarten“ verteilt und diese wiederum den Jahreszeiten zugeordnet: Baseball (Frühling und Sommer), Football (Herbst) und Basketball (Winter), dazu als halber Riese Eishockey (Winter). Football war vom Rugby und vom englischen Fußball geprägt, bildete aber bald eigenes Profil aus. Für Soccer war einfach kein Platz mehr.“

Ausgerechnet die Frauen-Nationalmannschaft hat in den USA eine exponierte Stellung. Ob diese in der Lage dazu ist, Soccer eine breite Öffentlichkeit zu verschaffen, fragte bei dieser Gelegenheit Robert Ide (Tsp 18.5.). „Markovits winkt ab. Frauen könnten zwar die sportliche Kultur beeinflussen (die Kür der Eiskunstläuferinnen war in Amerika der olympische Quotenrenner), doch sie werden wohl niemals willens sein, so viel Zeit in Sport und Statistik und Drama zu investieren wie Männer. Erst wenn die US-Männer in ein wichtiges Halbfinale einziehen oder in einem Endspiel heroisch scheitern, werden sie aus dem Abseits herauskommen.“

„Pünktlich zur Weltmeisterschaft entdecken Top-Designer ihre Faible für den Fußball“. Axel Botur (FAS 19.5.) hat sich die Kollektionen angesehen. „Recht subtil nimmt sich der Vorschlag von Paul Smith aus. Er ließ die Namen ehemaliger Heroen wie Pelé oder Platini in japanischen Schriftzeichen auf T-Shirts seiner aktuellen Sommerkollektion drucken. Smith entwarf zudem die komplette Reiseausstattung für das englische Nationalteam, inklusive aller Taschen. Angesichts der übermächtigen Vorrundengruppe F mit Argentinien, Schweden und Nigeria werde die Mannschaft, so prophezeien manche Briten, wohl in Schönheit sterben.“

Der DFB – traditionell in den Farben Schwarz-Weiß – hat sich bei den Ausweichtrikots für ein „dezent schimmerndes Graphit“ entschieden. Knut Hornbogen (FAS 19.5.) kann einer davon ausgehenden möglichen Signalwirkung nichts Negatives abgewinnen: „Will sich die Nationalmannschaft also verstecken und bloß nicht auffallen? Gewiss nicht. Wie die Käufer der dezent lackierten Autos betreiben auch die Fußballer das leise Spiel des Understatement. Das Team um den ergrauten Völler umgibt sich vielmehr bescheiden mit der Aura unanfechtbarer Zurückhaltung: Sein Truppe empfiehlt sich als elitäres Premiumensemble.“

Der BFC Dynamo Berlin war der Serienmeister der DDR und gleichzeitig das in großen Teilen des Volkes verhasste Hätschelkind der SED-Staatsführung. Der ostdeutsche Autor Thomas Brussig („Leben bis Männer“, „Helden wie wir“) äußert sich im Tagesspiegel (19.5.) über seine reumütige Beziehung zu seinem ehemaligen Lieblingsklub sowie über die komplizierte Dreiecksbeziehung zwischen Fußball, Liebe und Medien. „Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn ich heute sagen könnte: Ich war nie für den BFC. Aber das wäre so, wie wenn Gysi sagt, er war nie bei der Stasi. Wieso nimmt dieser Sport, der in der Zeitung einen Riesenraum einnimmt, so wenig Raum in der Literatur ein? Bei der Liebe ist es genau umgekehrt. Wenn mich Journalisten fragen: Warum gibt es so wenig Fußball in der Literatur?, kann ich genauso fragen: Warum gibt es so wenig Liebe in der Zeitung? Ich glaube, das, was ein Spiel letztlich groß macht, ist nicht das Spiel selbst, das sind die Erinnerungen an dieses Spiel.“

Der Trainer der argentinischen Weltmeistermannschaft von 1978 César Luis Menotti gilt als Fußballästhet. Der FAS (19.5.) vertraute er sich an. „Fußball muss Emotionen wecken können. Es muss eine Feier der Schönheit und des Glücks sein. Eine gute Mannschaft zeichnet das aus, was Borges über Literatur gesagt hat: Ordnung und Abenteuer. Das Wort Gerechtigkeit hat einen extrem hohen Stellenwert. Aber ich weiß nicht, ob es im Fußball seinen Platz hat. Ich kann Fußball nicht von anderen kulturellen Äußerungen trennen, denn für mich ist Fußball ein Bestandteil der Kultur, und in jeder Kultur gibt es eine Suche nach Gerechtigkeit oder einer besonderen Form von Wahrheit. Die Suche danach ist Teil des Spiels. Es gibt eine Hegemonie im Weltfußball, und die ist nur sehr schwer zu durchbrechen. Die Geschichte zeigt, dass immer eines der favorisierten großen Teams gewinnt, denn Fußball ist auch immer ein Produkt der Geschichte, der Tradition. Der Fußball spricht im Moment nur noch die Sprache des Marktes, die Sprache des Erfolgs. Wir müssen wieder die Sprache der Schönheit sprechen.“

Delikates offenbarte der argentinische Internationale Diego Simeone der englischen Tageszeitung Observer (19.5.), indem er nun zugab, die Rote Karte für David Beckham beim WM-Match 1998 absichtlich provoziert zu haben: „Ich verwickelte ihn in einen Zweikampf, und wir gingen beide zu Boden. Als ich versuchte aufzustehen, trat ihr mich von hinten. Und ich denke jeder hätte versucht, in diesem Spiel daraus Kapital zu schlagen. Wenn man nicht jede Gelegenheit nutzt, die sich einem bietet, hat man verloren. Abgesehen von der politischen Geschichte, ist es das Verlangen aller Länder, England zu schlagen. Das Spiel ist ein Klassiker. Und wir spielen es auch als Klassiker, da wir uns alle bewusst sind, wie glücklich wir unser Land mit einem Sieg machen können.“

Schottlands gebeutelter Nationaltrainer macht nach drei Niederlagen in drei Spielen einen schlaflosen Eindruck, wie Jonathan Coates ( The Scotsman 18.5.) zu berichten weiß. „Der Deutsche schaute etwas erschöpft und bestürzt drein, als er in der Lounge des dritten Hotels in nur fünf Tagen halbherzig eine Reihe von Fragen der chinesischen Presse über die Erfolgsaussichten sein Heimatlandes Deutschland, Südkorea, Frankreich und Nigeria beantwortete. Letztendlich erklärte Vogts geradezu überfordert: „Ich bin jetzt Manager von Schottland. Ich komme zwar aus Deutschland, aber ich lebe in Schottland. Ich weiß nichts über andere Spieler.“ Da Vogts seinen Posten in Kuwait freiwillig aufgab, betrachtete er Schottland wohl als eine der großen Bastionen des Fußballs. Aber nun weiß er, dass die alten Visionen, die er mit Schottland in Gedenken an Law, Baxter und Dalgish verband, ziemlich unerreichbar sind.“

Christian Eichler (FAS 19.5.) flaniert auf dem Boulevard. „Der arme Strunz muss einem leid tun. In seiner Ruhrgebietsheimat ist „strunzdumm“ ein Schimpfwort, für das der frühere Bayern-Profi wirklich nichts kann; dann legte ihn Trapattonis „Was erlaube Struuuunz“ endgültig auf die Deppenrolle fest; und jetzt auch noch Effenberg.“

„Die Brasilianer lieben melodramatische Seifenopern und ihren Fußball“, erfahren wir von Michael Ashelm (FAS 19.5.). „Der Mythos Ronaldo hatte schon bei der WM 1998 in Frankreich einen Knacks bekommen. Angetreten war der schnelle Stürmer mit dem Aufsehen errgenden Offensivdrang, das Turnier als persönliche Krönungszeremonie zu gebrauchen und den WM-Torrekord des legendären Franzosen Just Fontaine von 1958 in Schweden mit 13 Treffern zu brechen. Doch „Il Fenomeno“, wie die italienischen Medien Ronaldo nannten, brachte dieses Weltfest kein Glück. Bis heute ist nicht genau geklärt, was sich vor dem Finale gegen Frankreich in der brasilianischen Kabine des Stade de France von St. Denis abspielte. „Ronaldo ist tot?“ schrie Mitspieler Roberto Carlos ziemlich verstört, als sein Freund in der Umkleide wie zuvor im Hotel geschwächt zusammenbrach. War es Stress? War es der Druck? Oder ein epileptischer Anfall? Der Jungstar wurde von Trainer Mario Zagallo trotzdem hinausgeschickt. Den Rest würden die brasilianischen Fußballfans gerne aus ihrem Gedächtnis streichen.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Sonstiges

Jürgen Emig, „Petrus mit Schlüsselgewalt“ (FAZ) – „Berlusconi ist auf dem Rasen der Politik über den Ball gestolpert“ (NZZ) – „die Legende der „Curva“ als eines sozialen Refugiums für Underdogs ist längst entzaubert“ (NZZ) – die Helden von Bern: Menschen wie Du und ich u.v.m.

Petrus mit Schlüsselgewalt

Michael Reinsch (FAZ 27.3.) ärgert sich über die Arbeit beim Hessischen Rundfunk: „Hat Jürgen Emig nicht eigentlich einen weißen Bart? Und trägt er nicht ein weißes, bodenlanges Gewand? Und hält er nicht einen goldenen Schlüssel in der Hand? So jedenfalls kann man sich den Reporter vorstellen – wenn man ihn von der Tour de France kennt. Wenn er während drei heißer Wochen in der französischen Etappe aus dem „Kleinen Wermelinger“ referiert, einer Gabe der Tour-Pressestelle, die den Blick auf all die Kulturgüter am Wegesrand lenken will. So mag sich der in dieser Woche abgelöste Tour-Kommentator und Sportchef des Hessischen Rundfunks auch selbst gesehen haben: Als Petrus mit Schlüsselgewalt über das, was der Sportler, der Sport und die Sponsoren als wirkliches Ziel ansehen. Die seligmachende Präsenz im Fernsehen. Für einen Augenblick auf dem Bildschirm reißen sie sich nicht nur ein Bein aus. Dafür zahlen sie auch; im Fall Emig an eine Produktionsgesellschaft, mit deren Chef er befreundet ist; an eine Agentur, mit deren Chefin er verheiratet ist. TV-Präsenz ist die Basis, auf der Veranstaltungen vermarktet, finanziert, also ermöglicht werden. (…) Durchsetzungsfähige Fernsehredakteure sind auch Lobbyisten ihres Sports – im Kleinen wie im Großen. Schließlich haben die Öffentlich-Rechtlichen die Rechte an der Fußball-Bundesliga nicht nur wegen der Quote für reichlich 60 Millionen Euro erworben – und sich damit die Hände gefesselt –, sondern auch im staatlichen Interesse an der Konkurrenzfähigkeit deutscher Kicker. Wo aus Prinzip derart journalistische Maßstäbe verschoben werden, wo Ranschmeiße und Selbstvermarktung, Marktschreierei und Liebedienerei als Ausdruck von Talent gelten, kann man sich schon mal im Tun und Treiben verstricken wie Emig. Hier sparend, dort Geld fordernd, als Hüter und Türöffner zugleich. Gewiß ist Sport Teil des gesellschaftlichen, ja sogar des kulturellen Lebens, über das die von Millionen Haushalten mit monatlich je 16 Euro Gebühren ausgestatteten Anstalten zu berichten haben. Doch Sport will mitspielen im Unterhaltungsgewerbe. Und das ist ein Geschäft. Wer nicht auserkoren wird wie Skispringer, Boxer oder Radprofis, muß sich den Regeln des Genres unterwerfen; und gehöre dazu, sich einzukaufen mit der Unterstützung spendabler Freunde. Die Sender sollten ihre Regeln nicht nur transparent machen. Sie sollten auch deren Einhaltung überwachen. Sonst entpuppt sich der weißhaarige Petrus als dreiköpfiger Zerberus mit schwarzen Zähnen.“

Interview mit Marcel Reif in Jungle World, der linken Wochenzeitung

JW: In den siebziger Jahren waren Sie ZDF-Korrespondent in London. 1984 wechselten Sie von der Politik- in die Sportredaktion. Sportjournalismus erschien Ihnen damals redlicher. Wie gehen Sie damit um, dass die Berichterstattung heute immer mehr in den Boulevard abgleitet?
MR: Boulevard war für mich nie ein Schimpfwort, an sich müsste er sogar eine der höchsten Kunstformen sein. Armselig ist er nur in den Ausprägungen. Aber gerade Sport wäre in einem guten Boulevardjournalismus prima aufgehoben: nicht zu viel Wissenschaft und Philosophie, aber auch nicht zu platt. Das Publikum, das wir uns erzogen haben, erwartet heute allerdings manches gar nicht mehr anders. Trotzdem darf man die Zuschauer nicht unterschätzen, es gibt viele, die trotz allem ganz normal geblieben sind und eine langsamere und ruhigere Gangart bevorzugen. Wenn wir uns daran erinnern, wird das nicht zum Nachteil der Sportberichterstattung gereichen.
JW: Manche Kritiken strotzen vor Häme. Muss das sein?
MR: Zynismus und Häme sind menschenverachtend. Sollte ich mich dabei ertappen, macht es mir richtig zu schaffen. Zu meiner Sprache gehört ein gewisses Maß an Ironie, vor allem auch Selbstironie. Da man mich schon so lange lässt, gehe ich davon aus, dass es die Menschen nicht stört. Mich ärgert es immer, wenn jemand noch nie gegen einen Ball getreten hat und sich dennoch sehr dezidiert zu einer vermeintlichen Fehlleistung äußert. Die Akteure haben einen Anspruch darauf, dass mit ihnen anständig umgegangen wird. Da sie aber öffentlich spielen, muss ich Kritik aussprechen dürfen. An dem derzeitigen Rummel um Oliver Kahn lässt sich vieles festmachen. Eine Boulevardzeitung hat ihn zum „Titanen“ erklärt. Mit diesem Begriff kann ich gar nichts anfangen. Fakt ist: Kahn, der Weltklassetorwart, hatte neulich im Spiel gegen Real Madrid einen Anfängerfehler gemacht. Damit schadete er der Mannschaft sehr, er litt sicherlich am meisten darunter. Ich wünschte ihm so viel Distanz, dass er das Ganze nicht selber als Sturz eines Titanen empfindet. Als ich aber hörte, dass Kahn das Rückspiel allein gewinnen wollte, merkte ich, wie tief er schon in dieser Falle steckt.
JW: Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie es mit einigen Bundesligatrainern zu tun gehabt. Wer war der Pflegeleichteste?
MR: Trapattoni war zum Beispiel einer, mit dem man ganz in Ruhe über Fußball reden konnte. Ganz ohne Häme, Fingerzeige oder sachfremde Kampagnen. Auch mit Ottmar Hitzfeld ist es immer sehr angenehm. Der mit Sicherheit Pflegeleichteste ist aber Beckerbauer. Er schwebt über den Dingen, das macht den Umgang mit ihm sehr leicht. Grundsätzlich würde ich von niemandem etwas einfordern, damit verletze ich eine Intimsphäre. Wenn ein Trainer über gewisse Dinge nur intern sprechen möchte, dann respektiere ich das. Manchmal will ich das auch gar nicht hören.
JW: Sie behaupten, im Umgang mit dem Fußball fehlt den Deutschen die Leichtigkeit. Woran machen Sie das fest?
MR: Es ist alles so schrecklich ernst hier. Das liegt wohl in der Natur des Globus. Italiener sind besoffen vor Glück, wütend oder traurig, aber niemals so schwerblütig wie wir Deutschen. Es würde so vieles erleichtern, wenn man auch hierzulande öfter mal schreit und tobt oder in ein Glas Bier heult. Fußball ohne kindliche Emotionen ist für mich eine Perversion. Der Begriff „kindisch“ ist ja eigentlich negativ besetzt. Aber nur hier treffe ich mich mit meinem Sohn auf einer Stufe. Wenn ich diese kindische Begeisterung nicht mehr spüre, wird es Zeit, mich zu verabschieden.
JW: Im Fernsehen gibt es einen Hang zum Gigantismus: immer mehr Kameras, immer mehr Technik. Müssen die Moderatoren dieser Entwicklung trotzen?
MR: Verbal kann man dem kaum etwas entgegensetzen. Wenn der Zug abfährt, ist man gefangen und muss die Bilder beschreiben, die da sind. So viel Respekt vor dem Zuschauer muss schon sein. Wichtig ist, dass man sich diese Entwicklung vorher klar macht und im Umfeld darüber diskutiert. Schon bei RTL war ich an verschiedenen Entwicklungen beteiligt. Am Ende sind wir einen Schritt zurückgegangen. Heute hilft die normative Kraft des Ökonomischen bei der Abrüstung. Wir haben alle unser Spielzeug gehabt. Dass wir wieder auf ein normales Maß zurückgekommen sind, tut der Sache gut. Hier ist ein Fehler passiert.

Die NZZ (27.3.) berichtet das Ende der Geduld in Italien: „Bereits der Name von Berlusconis Partei, Forza Italia, deutet an, wie eng Politik und Fussball in der Apenninenrepublik traditionell miteinander verquickt sind. Doch der italienische Regierungschef, der neben seinem Medienimperium auch noch über die AC Milan herrscht, hat nun soeben eingestehen müssen, dass er vorerst am Ende seines Lateins angelangt sei und der Staat dem hoch verschuldeten Calcio vorerst nicht weiterhelfen könne. Keine Chancen habe der noch vor einer Woche ventilierte Plan, die Tilgung der allein in den Serie-A-Vereinen aufgelaufenen Steuerschulden von über 500 Millionen Euro auf fünf Jahre zu verteilen. Das Vorhaben wurde nicht nur von führenden Exponenten der regierenden Mitte- Rechts-Koalition, sondern auch unmissverständlich vom EU-Kommissions-Präsidenten Prodi in einem Schreiben als inakzeptable Staatshilfe zurückgewiesen. Selbst in der sonst so „tifosen“ Bevölkerung scheint der Geduldsfaden mittlerweile gerissen zu sein. Laut einer Umfrage des vom „Corriere della Sera“ eingespannten Demoskopen Mannheimer lehnten 84 Prozent der Befragten ein weiteres staatliches Rettungspaket für eine Branche ab, auf der nun teilweise auch noch der Verdacht der Justizbehörden lastet, jahrelang die Bücher getürkt und an Spieler und andere Profis Schwarzgelder gezahlt zu haben. Die Regierung Berlusconi hatte vor einigen Monaten bereits ein umstrittenes Gesetzesdekret verabschiedet, gemäss dem die insgesamt mit etwa 2 Milliarden Euro verschuldeten Klubs zur Schönung ihrer Bilanzen den enormen Abschreibungsbedarf auf zehn Jahre verteilen dürfen. Sozialminister Maroni von der rechtspopulistischen und sich gern widerborstig gebenden Lega Nord sagte am Freitag in einem Interview, dass wohl der Ministerpräsident mit der neusten Initiative ein Eigentor geschossen habe. Vonnöten sei nun eine tiefgreifende Strukturbereinigung. Der Lombarde Maroni, der sich von Anfang an entschieden gegen das neue Rettungsmanöver sträubte, hat gut reden, verfügen doch die zwei wichtigsten Klubs aus seiner Region ohnehin über Eigentümer mit tiefen Taschen – den Ölmagnaten Moratti zum einen (Inter) und zum andern natürlich erst recht den „Cavaliere“ Berlusconi (Milan). Weit weniger grün ist dagegen der Rasen vorab südlich von Mailand. Ganz abgesehen von ihrer allgemein höchst prekären finanziellen Verfassung müssen nun in der Einschätzung der hiesigen Medien im Besonderen die zwei in der Ewigen Stadt ansässigen Klubs Lazio und Roma um ihre Uefa-Spiellizenzen bangen. Als gefährdet gelten auch Perugia und Napoli. Bereits im Einklang mit den finanziellen Anforderungen der Uefa sollen sich dagegen neben Milan und Inter auch Juventus, Udinese, Sampdoria, Empoli, Modena, Bologna, Lecce und, wie allgemein vermutet wird, auch Siena befinden..“

Die Legende der „Curva“ als eines sozialen Refugiums für Underdogs ist längst entzaubert

Peter Hartmann (NZZ 27.3.) kennt sich aus in italienischen Fan-Kurven: „Als Stefano Sordini am Montagmorgen nicht im Büro erschien, war den Kollegen sein Aufenthaltsort sofort klar: Regina Coeli, das römische Gefängnis. Sordini ist 34 Jahre alt und Verkaufsförderer im Versicherungs- und Finanzkonzern Mediolanum. Stefano Carriero, 29-jährig, ein Kameramann des TV-Senders Canale 5, rief spät nachts noch seine Mutter an und sagte ihr, er könne nicht nach Hause kommen. Auch er sass in Regina Coeli. Sordini und Carriero hatten jene Viertelstunde Berühmtheit konsumiert, die Andy Warhol als Menschenrecht proklamiert. Sie waren die Gesichter der Revolte römischer Ultras, die das Metropolen-Derby zwischen Lazio und der AS Roma in der Sonntagnacht zum Platzen gebracht hatten: Sordini, der Glatzkopf mit Dreitagebart und Piratenhalstuch, der unter der Woche Hemd und Krawatte trägt, und Carriero, der Kerl in Ledermontur und mit der schwarzen Strickmütze, der bei der Talkshow „Amici“ hinter der Studiokamera steht. Carriero hatte immer wieder den Roma-Captain Totti in den Clinch genommen. Er redete auf ihn ein, er hätte mit der Mutter des 14-jährigen Jungen gesprochen, der angeblich von der Polizei zu Tode gefahren war. Dieses erfundene Gerücht war die Munition, mit der die Ultras den beispiellosen Spielabbruch provozierten. Wieder einmal steht der Ultra, das bekannte Unwesen, die Landplage des Calcio, im Fokus der Diskussionen und nicht das eigentliche Malaise, die byzantinische Misswirtschaft, die ungeheure Hochstapelei in diesem aufgeblasenen Showgeschäft. Jetzt ist bekannt geworden, dass der in Regina Coeli inhaftierte ehemalige Lazio- Boss Sergio Cragnotti eine Obligationenanleihe seines bankrott gegangenen Konserven-Konzerns Cirio dazu missbrauchte, die Meisterprämien des Jahres 2000 – pro Mann rund zwei Millionen Euro – zu bezahlen. Die Legende der „Curva“ als eines sozialen Refugiums für Underdogs ist, wie in England, längst entzaubert. Die von Drogenkriminellen und Rechtsextremisten unterwanderte Ultra-Subkultur wird von der Intelligenzia neuerdings mystifiziert als letztes Reservat der Anarchie, des Aufbegehrens gegen Ordnung und Autoritäten mit durchlässigen Schranken für Grenzgängertypen wie Sordini und Carriero. In Wirklichkeit erpresst die organisierte Tifoseria die Klubs, lässt sich ihre folkloristischen Choreografien im Stadion mit Tickets, Gratisreisen und auch mit Bargeld bezahlen und lebt in einem Klima mafioser Omertà ihre Gewaltphantasien aus. Mitten in der römischen Nacht erreichte diese Komplizenschaft einen makabren Höhepunkt. Der Polizeichef Achille Serra stand ebenso machtlos auf dem Rasen wie der Schiedsrichter Rosetti.“

Erik Eggers (FR 27.3.) teilt uns seine Lektüre eines spannenden Buchs über die Helden von Bern mit: „Mitten hinein in diese uneingeschränkte Verklärung platzt nun ein Buch von Jürgen Bertram. Es ist diese Woche im Frankfurter Scherz-Verlag erschienen und trägt den unscheinbaren Titel „Die Helden von Bern“, ist aber in Wirklichkeit spektakulär. Bertram schildert nämlich nicht nur den märchenhaften Sieg, sondern auch die unliebsamen Fakten rund um das „Wunder“, über die der 1954er Mythos mittlerweile hinweggebraust ist: Etwa die Aufsehen erregenden Doping-Vorwürfe, die der ungarische Kapitän Ferenc Puskas seinerzeit äußerte. Diese beruhten unter anderem auf den mysteriösen Gelbsucht-Erkrankungen, unter denen die halbe Weltmeisterelf zu leiden hatte (zum Beispiel Rahn, Fritz Walter und Ottmar Walter) – und die womöglich dafür verantwortlich sind, dass viele Weltmeister so früh starben. Diese Behauptung scheint stets durch bei Bertrams gut recherchierten Schilderungen. Nach dem Sieg in der Schweiz, findet Bertram, habe gar „ein Fluch auf dieser Mannschaft“ gelegen. Er zitiert den damaligen Mittelläufer Werner Liebrich: „Im Prinzip sind wir doch die Deppen der Nation.“ Der Grund der „Gelbsuchtepidemie“ ist für Bertram eindeutig nachzuvollziehen: „Den Spielern ist in ihrem Quartier in Spiez eine leistungssteigernde Traubenzuckerlösung injiziert worden. Dabei wurde eine Gemeinschaftsspritze benutzt, die nur ungenügend sterilisiert war und über die sich das Virus innerhalb der Mannschaft verbreitet haben dürfte.“ Auch in den folgenden Länderspielen sei an dieser Praxis zunächst nichts geändert worden. „Der Arzt hat die Spritze kurz in heißes Wasser getaucht – und das war’s“, so wird Fritz Herkenrath zitiert, der nach der WM den Platz des erkrankten Torwarts Toni Turek einnahm. Auch Herkenrath, der nicht zum Aufgebot für die Schweiz zählte, wurde kurz vor Weihnachten wegen Gelbsucht auf eine Intensivstation eingeliefert, nachdem einem Arzt die „merkwürdige Farbe meiner Augen“ (Herkenrath) aufgefallen war. Herkenrath wird wieder gesund. Bei anderen Spielern wirft die damalige Hepatitis-Affäre für Bertram hingegen „brisante Fragen“ auf. Nicht nur, dass Kohlmeyer (1974) und Turek (1984) sehr früh an seltsamem Herzversagen starben. Auch habe die Gelbsucht etwa bei den mysteriösen Todesfällen von Werner Liebrich und auch von Karl Mai eine Rolle gespielt. Noch eindeutiger verhielt es sich beim Frankfurter Ersatzspieler Richard Hermann, der in der Schweiz bei der 3:8-Vorrundenniederlage gegen Ungarn auflief und 1962 unerwartet an einer Leberzirrhose starb, im Alter von 39 Jahren. (…) Mehr als zynisch findet Bertram die damalige Reaktion des DFB, die auch heute noch unfassbar erscheint: „Als materiellen Trost stellt DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens der Witwe einen Scheck in Höhe von dreitausend Mark aus – damit sie ‚mal in Urlaub‘ fahren kann.“ Wie reagiert der DFB, der sich sonst so gern auf seine Traditionen beruft, heute auf diese massiven Vorwürfe? Irgendwie hilf- und ratlos. „Was sollen wir als DFB dazu sagen?“, sagt Mediendirektor Gerhard Meier-Röhn auf Anfrage der FR, all das sei doch schon so lange her. Er kennt das Bertram-Buch nicht und weiß nur so viel: „Die Praxis, dass flüssiger Traubenzucker gespritzt worden ist, ist von Horst Eckel bestätigt.“ Aber die ganze Aufklärung dieses Sachverhaltes, meint Meier-Röhn, könne nicht Sache des DFB sein, sondern nur Gegenstand der Zeitgeschichte.“

Dazu passt folgender Erfahrungsbericht: „es gibt nichts Schlimmeres für einen Mythos, als von der Gegenwart eingeholt zu werden“, stellt Peter Heß (FAZ 27.3.) fest: “Ja, früher, da waren die Fußballstars noch von rechtem Schrot und Korn: kernig, bescheiden, offen, leistungsbereit, mit den Füßen fest am Boden. Deshalb sind sie 1954 auch Weltmeister geworden. Die Verehrung für die Helden von Bern trägt noch Züge unbefleckter Reinheit. Auch darüber wollten wir mit den einstigen Heroen sprechen – 50 Jahre nach dem Wunder des 3:2 über Ungarn im Berner Wankdorf-Stadion. Aber das Gespräch zum Jubiläum des Triumphes mag nicht so recht vorankommen. „Und was liegt für mich drin?“ lautet die erste Reaktion von Ulrich Biesinger, nachdem er vom Gesprächswunsch erfahren hat. Nein, Ulrich Biesinger hat nicht alle drei deutschen Tore im Endspiel geschossen. Nein, er hat nicht alle Einzelheiten des Triumphes mit bisher unveröffentlichtem Bildmaterial dokumentiert. Nein, er hat nicht die Taktik der Ungarn ausbaldowert und Sepp Herberger die entscheidende Strategie nahegebracht. Ulrich Biesinger war Ersatzspieler; einer von denen, die nicht eingesetzt wurden. Lieber Herr Biesinger, es ist bei uns nicht üblich, für Interviews zu bezahlen. Auch ein Michael Schumacher bekommt nichts. Falls Sie Auslagen hätten, würden wir Sie entschädigen, aber es sind ja wir, die Sie besuchen möchten. Der Augsburger Mittelstürmer, mit der Länderspielkarriere von sieben Einsätzen, ist nicht beeindruckt. „Der Schumacher hat auch genug Geld. Ich habe aber nie was gekriegt. Ich will auch mal was bekommen. Dann lassen wir es eben.“ Dann lassen wir es eben. Es gibt noch mehr Spieler. Alfred Pfaff zum Beispiel. Der Star der Frankfurter Eintracht, der zwar im Finale nicht dabei war, aber beim 3:8 gegen Ungarn in der Vorrunde ein Tor erzielte. „Und, wie sieht’s mit Spesen aus?“ fragt der Siebenundsiebzigjährige sogleich. Lieber Herr Pfaff, wir haben Spesen, nicht Sie. „Ach nee, dann lasse mers.“ Dann lasse mers. (…) Wieder eine Illusion geplatzt. Die Helden von Bern waren nicht die besseren Menschen, sie lebten nur in schlechteren Zeiten. In der Mannschaft von damals mischten sich wohl genausoviele selbstlose, wahrhaft bescheidene Menschen mit solchen, die auf ihre Vorteile bedacht waren, wie es heute der Fall ist. Es ist allzumenschlich: Mit den Möglichkeiten wachsen die Begehrlichkeiten.“

Ballschrank

Bundesliga

Thomas Schaaf, „Baumeister des Gesamtgebildes Werder Bremen“ (FAZ) – Jens Lehmann, mehr Sein als Schein (FAZ) – FR-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge u.v.m.

Baumeister des Gesamtgebildes Werder Bremen

Über Thomas Schaaf ist erstaunlich wenig zu lesen. Frank Heike (FAZ 27.3.) schafft Abhilfe: „Dröge, maulfaul, staubtrocken, öffentlichkeitsscheu, störrisch, spröde, schwerfällig, unterkühlt, humorlos. Man könnte sich noch ein paar mehr Adjektive dieser Richtung ausdenken, die zum veröffentlichten Bild von Thomas Schaaf paßten. Die oben aufgelisteten Zuschreibungen entstammen einer zufälligen Auswahl aus Artikeln über ihn. Vor allem humorlos fehlt fast nie. Doch irgendwann zuletzt – es ist schwer, genau zu sagen, wann, etwa seit einem Jahr vielleicht – haben neue Worte die alten abgelöst. Wer Schaaf zuletzt beschrieb, benutzte eher die Konstruktionen hintergründig, besonnen, geduldig, akribisch. Und sehr oft auch: humorvoll. Schaaf hat das bemerkt. „Ich denke, daß sich das veröffentlichte Bild von mir gerade wandelt.“ Er gibt ganz gern Interviews, auch, weil ihn die Überlegungen des anderen interessieren, und er nimmt seine Darstellung in den Medien wahr. (…) Es sagt viel über ihn, daß er bei den Vertragsverhandlungen mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Jürgen Born, lieber über bessere Trainingsplätze gesprochen hat als über Geld. Schaaf verlängerte bis 2006. Er sieht sich als Baumeister des Gesamtgebildes Werder Bremen. Immer wieder führte und führt er Talente an die Bundesliga heran. Er hat große Qualitäten im Umgang mit jungen Spielern – bei ihm hat sich fast jeder weiterentwickelt: Claudio Pizarro, Torsten Frings, Frank Baumann, Paul Stalteri, Fabian Ernst, Nelson Valdez. Noch nie hat Schaaf einen Spieler öffentlich kritisiert. Wie er sich in der vergangenen Serie trotz aller Fehler vor Torwart Pascal Borel stellte, wirkte verbohrt. Aber Profis zahlen dieses Vertrauen durch Leistung oder zumindest Loyalität zurück. Schaaf kann auch mal weghören, wenn Monsieur Micoud zu divenhaft daherkommt, wenn Senhor Ailton wieder irgend etwas quer sitzt. Er kann verzeihen, so dem wiederholt alkoholauffälligen Razundara Tjikuzu oder Alexander Walke, um den es eine Haschisch-Affäre gab. Schaaf überläßt seinen Spielern die Show, die Bühne, die Mikrophone. Natürlich spricht er als ehemaliger Profi auch ihre Sprache. Und er hört ihnen zu. Das lobt Verteidiger Valérien Ismaël. Selbst der kaum einmal zum Einsatz gekommene ehemalige Stürmer Marco Reich sagt: „Ich bin froh, Schaaf kennengelernt und unter ihm trainiert zu haben.“ Über seine Taktik doziert Schaaf nie. Dabei wäre sie in dieser Saison etwas fürs Lehrbuch.“

Jörg Marwedel (SZ 27.3.) stellt fest, dass in Bremen nun anders gerechnet wird: „Manchmal kommen die Zeichen des Booms ziemlich grell daher, manchmal wirken sie eher hinter den Kulissen, und manchmal spiegeln sie sich in nackten Zahlen wider. Was die grelle Seite angeht, so hat die Bremer Friseurinnung soeben angeboten, die Haare aller Werder-Fans in vereinsgemäßes Grün zu färben. Kostenlos, versteht sich, denn womit lässt sich derzeit mehr Aufmerksamkeit erzielen als mit dem designierten Deutschen Fußballmeister? Eher versteckt, aber umso heftiger hat das Gezerre der Bremer Gastwirte eingesetzt, die sich eine Schankgenehmigung sichern wollen für die diskret geplante Meisterfeier vor dem Rathaus am 23. Mai, auf die eine Woche später – einen Sieg gegen Alemannia Aachen vorausgesetzt – noch eine DFB-Pokal-Fete folgen könnte. Zieht man die jüngsten Zahlen hinzu, die Werders Mediendirektor Tino Polster dieser Tage gern mitteilt, besteht kein Zweifel mehr: So verrückt auf ihren Fußballklub wie anno 2004 waren die hanseatischen Fans noch nie, nicht einmal in den seligsten Momenten der guten, alten Rehhagel-Ära. Seit November hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt, von 6400 auf 13 000. Vor nicht einmal zwei Jahren waren es noch 2900. Die letzten vier Heimspiele im Weserstadion (43 000 Plätze) sind fast ausverkauft, was den Zuschauerschnitt dieser Saison auf die Rekordmarke von beinahe 37 000 schnellen lässt. Im Meisterjahr 1992/93 waren keine 20 000 im Schnitt gekommen. Zugegeben, auch die neuen Daten sind bescheiden im Vergleich zu München, Dortmund oder Schalke. Gleichwohl deuten die enormen Wachstumsraten auf einen erstaunlichen Mentalitätswandel hin in einer Stadt, deren Bürger wegen ihrer Nähe zur Küste und ihres oft eher gebremsten Temperaments gern als „Fischköppe“ verspottet werden. Und die Ursachen dafür liegen nicht allein in den bezaubernden Auftritten der Werder-Profis auf dem Rasen, sie sind auch das Resultat eines gekonnten Zusammenspiels zwischen den Sektionen Sport und Marketing. Längst wird diese Erlebniswelt von professionellen Werbefeldzügen, modernen Internetauftritten und Schulaktionen flankiert. Nie war Werder präsenter, nie hat sich der Klub so frisch dargeboten wie etwa mit der Kampagne „Ich will Dich!“ – einer Anlehnung an Rekrutierungsplakate der amerikanischen Armee („Uncle Sam wants you“), bei der Trainer Thomas Schaaf, Kapitän Frank Baumann und Regisseur Johan Micoud um neue Mitglieder buhlen. Vor allem aber: Nie war die Chance für Werder größer, gleich zwei Schritte auf einmal zu machen im Wettlauf mit dem wirtschaftlich überlegenen Branchenführer FC Bayern.“

Stehertyp

Die meisten Fußball-Journalisten, besonders im TV, sind überfordert, das Torwartspiel zu beurteilen – besser: sie haben keine Ahnung. Christian Eichler (FAZ 27.3.) analysiert die Torwartfrage Deutschlands kennerhaft und trennt Sein und Schein: „Der erste Eindruck: distanziert, abwartend, mancher sagt: arrogant. Vielleicht müssen Torhüter so sein, dem Gegenüber immer erstmal etwas Abwehrendes zeigen. Der Fliegertyp im Tor tut das eher aggressiv, der Stehertyp durch entnervendes Lauern. Jens Lehmann ist ein Stehertyp, einer, der den Schritt lieber dann macht, wenn noch keiner auf den Torwart schaut, weil der Stürmer den Ball noch hat; dessen Parade dann nicht so spektakulär aussieht, als wenn er vorher einen Schritt weniger machte und dann einen Meter weiter flöge. Lehmann ist der lauernde Typ. Nicht aus Unsicherheit, aber: Sicherheit geht vor. Berufskrankheit. Im Gespräch löst der Anschein der Arroganz sich in wenigen Minuten auf. Doch weil das Fernsehen dem sprechenden Menschen nur ein paar Minuten gibt, ist das öffentliche Bild des Jens Lehmann von diesem ersten Eindruck geprägt. Wer ihm in diesen Wochen im Trainingszentrum des FC Arsenal begegnet, draußen am nördlichen Autobahnring um London, trifft einen nachdenklichen Mann: einen, der weiß, daß er sein Glück gemacht hat; der dennoch mehr will, nur nicht weiß, wie – alles, was er anstellt, könnte das Falsche sein. Er mag nicht darüber reden, doch überall begegnet ihm die ewige K-Frage: die Kahn-Frage. Kahn hat den Platz im Nationalteam abonniert. Lehmann hält sich für besser. Er nörgelte ein bißchen herum, sagte zwei anzügliche Sätze über das Privatleben des Rivalen. Schon hatte er ein Problem, das er nicht kommen sah. Lobbyarbeit war nie Lehmanns Stärke, er machte nie die Spielchen mit der Boulevardpresse mit, verprellte viele mit undiplomatischer Art. Einer ohne Lobby steht mit jedem Fehler allein. Kahn hat für seine cholerischen Einlagen – Kung-Fu mit Chapuisat, Dracula-Kuß für Herrlich, den Karnickelgriff bei Brdaric – kein einziges Mal die Rote Karte erhalten. Lehmann bekam sie schon dafür, daß er Leute anbrüllte. So forderten viele auch diesmal Rot: den Rausschmiß aus dem Nationalteam. Rudi Völler kam nach London und zeigte Gelb. (…) „Er macht einen Superjob“, sagt Wenger. „Er ist schnell, impulsiv, verbessert sich ständig, hat guten Einfluß auf unsere Abwehrorganisation.“ Fehler macht er natürlich auch. „Zwei in der Saison“, räumte Lehmann ein, gegen Leeds und Kiew; in der Champions League gegen Chelsea kam noch einer dazu – alle beim Ausputzen vor dem Strafraum. Berufsrisiko: Wer rauskommt, riskiert, schlechter auszusehen als auf der Linie. „Es kommt besser an, wenn man spektakulärer hält, weil die Öffentlichkeit das Spektakel mag“, sagt Lehmann. „Doch die Kunst ist, mitzuspielen, mitzudenken, als Teamspieler die Fehler der anderen auszubügeln.“ Auch wenn das von vielen Zuschauern nur bemerkt wird, wenn es schiefgeht.“

FR-Interview mit Karl-Heinz Rummenigge

FR: Reden wir nicht lange drum herum: Sie wollen den Spielern ans Geld, die Gehälter um 15 bis 20 Prozent senken.
KHR: Das stimmt. Aber das betrifft nur auslaufende Verträge. Damit haben wir bereits vor einem Jahr begonnen. Wir haben immer sehr hohe Gehälter gezahlt, aber wir müssen auch marktkonform denken. Wir sind schließlich eine AG. Und die Tendenz ist eindeutig. Die Gehälter gehen nach unten, und dem werden auch wir uns nicht verschließen.
FR: Ist der Fußballmarkt arbeitgeberfreundlicher geworden?
KHR: Wesentlich. Wenn ich das vergleiche mit den Jahren 1998 bis 2001, das waren ja ganz verrückte Zeiten. Da haben wir alle reichlich Kröten schlucken müssen.
FR: Sind die Zeiten für die Clubs wieder so gut wie vor dem Bosman-Urteil?
KHR: Die Kurse für Spieler sind in der Post-Bosman-Ära zwischen 20 und 30 Prozent per annum gestiegen. Das kann man in ein, zwei Jahren nicht wettmachen. Aber die Tendenz ist eindeutig. Die Preise fallen.
Der FC Bayern hat nicht nur weniger eingenommen, er hat auch seinen eigenen Ansprüchen nicht genügt.
FR: Wir können unter der Maßgabe, Zweiter zu werden, ein Jahr ohne Titel überstehen. Wir müssen uns direkt für die Champions League qualifizieren. Nur dann bleibt kein finanzieller Schaden. Wir dürfen nicht so arrogant sein und glauben, jedes Jahr ein Titel sei die Norm. Wir möchten das, klar. Das allein wird für uns kommende Saison Antrieb sein, wieder volles Rohr anzugreifen.
FR: Befürchten Sie, dass der VfB Stuttgart Sie noch abfängt?
KHR: Wir müssen kämpfen. Wir haben ein warnendes Beispiel vor Augen: Dortmund.
FR: Bringt Sie die schwache Leistung gegen Hertha BSC am vergangenen Samstag ins Grübeln?
KHR: Die Leistung in dieser Saison insgesamt gibt Anlass dazu. Wir sind nicht zufrieden.
FR: Im Frühjahr 2004 präsentiert sich die Mannschaft als relativ blutarmer Haufen. Da ist kein Leben drin.
KHR: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft einfach eine Lücke. Die müssen wir schließen. Und zwar schnell.
FR: Fehlt ein Leader?
KHR: Es braucht immer zwei, drei Häuptlinge auf dem Platz. Wir haben bei den Feldspielern ein Problem in der akzeptierten Hierarchie. Ein Häuptling muss Topleistung bringen, um von den anderen akzeptiert zu sein.
FR: Sie meinen Michael Ballack.
KHR: Wir haben uns schon vorgestellt, dass er diese Führungsrolle übernehmen wird. Aber wie man sieht, fällt ihm das nicht so leicht.
FR: Zuletzt hat ihn Uli Hoeneß an den Pranger gestellt. War das abgesprochen?
KHR: Das war ganz spontan. Er hat sich wohl über ihn geärgert und wollte ihn über die Öffentlichkeit wachrütteln.
FR: Mittlerweile wird ja sogar schon vom Fehleinkauf gesprochen. Wie lange braucht einer wie Ballack, um endlich die Rolle mit Leben zu erfüllen, die ihm zugedacht ist?
KHR: Eigentlich braucht ein guter Spieler dafür vielleicht drei Monate. Zidane hat in Madrid zwei, drei Monate gebraucht, dann war er der absolute Anführer. Topspieler brauchen nur kurze Zeit, weil sie individuell stark genug sind, die Zügel in die Hand zu nehmen.
FR: Ist Ballack ein Topspieler?
Wir hatten uns vorgestellt, Effenberg hört 2002 auf, Ballack kommt. Aber dieser Wechsel ist aus heutiger Sicht nicht ganz unproblematisch über die Bühne gegangen.
FR: Glauben Sie noch an Ballack?
KHR: Ich glaube, wir müssen sehr schnell mit mehreren Diskussionen aufhören. Es ist doch ein Alibi, ob er eine Nummer sechs ist oder eine Nummer zehn ist. Das ist doch kalter Kaffee. Auch wenn einer linker Verteidiger spielt, kann er eine Führungsrolle einnehmen. Das hat Bixente Lizarazu doch gezeigt. Das entscheidende Argument ist und bleibt die Leistung. Und die wird nicht nur von uns, sondern auch von der Öffentlichkeit kritisiert.
FR: Was wird mit Trainer Ottmar Hitzfeld? Geht er? Will er weg?
KHR: Es ist keine einfache Entscheidung für uns, das gebe ich zu. Wir verbinden mit ihm große Erfolge. Auf der anderen Seite ist der Status quo nicht befriedigend. Egal was passiert, er bleibt der erfolgreichste Trainer in der Geschichte des FC Bayern. Wir werden ihn stets als Persona grata behandeln.
FR: Wird die Entscheidung dadurch erschwert, dass Sie ein freundschaftliches Verhältnis zu Hitzfeld pflegen?
KHR: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis, aber eine gewisse Distanz muss man schon aus Gründen der Professionalität wahren.
FR: Stimmt das Gerücht, dass Felix Magath bereits als Trainer ausgeguckt ist?
KHR: Egal, ob was dran ist oder nicht: Er ist ein interessanter Trainer. Seine Entwicklung ist zweifellos positiv, und jetzt muss man mal abwarten.

Ulrich Hartmann (SZ 27.3.) beschreibt Jeff Strasser, Borussia Mönchengladbach: „Mit so viel Ehrgeiz kann er sogar zum Erlöser einer ganzen Mannschaft werden, wie am vorigen Samstag beim 3:0 gegen den Hamburger SV. Aber er war auch schon oft der Buhmann, wenn ihm kapitale Fehler unterlaufen sind. Jeffinho, hat ihn in Kaiserslautern die Boulevardpresse nach einem großen Spiel einmal genannt – „und drei Tage später haben sie geschrieben, ich wüsste nicht mal, ob der Ball rund oder eckig ist“. Strasser, der sein Handwerk im Fußballinternat des FC Metz erlernt hat, bewegt sich als Spieler immer zwischen Himmel und Hölle. In einer offensiv schwächelnden Mannschaft wie Borussia Mönchengladbach, in der vor allem die Zuverlässigkeit der Abwehr über Erfolg und Misserfolg entscheidet, ist er so etwas wie der Indikator für den Zustand des Teams, und als solcher kann er sich nicht allzu viele Höflichkeiten im Umgang mit den gegnerischen Stars erlauben. „Ich bin nicht der Sympathischste auf dem Platz“, räumt er lächelnd ein.“

Freitag, 26. März 2004

Ballschrank

Bundesliga

Ottmar Hitzfeld, Trainer in Abwehrstellung – FAZ-Interview mit Karl Auer, Präsident 1860 Münchens – die neue Anziehungskraft des VfL Bochum (FAZ) – milde Strafe gegen Willi Reimann u.a.

Axel Kintzinger (FTD 26.3.) trifft den Nagel auf den Kopf: „Wenn sich schon die Konkurrenten für einen ins Zeug legen, hat man ein ernsthaftes Problem. Noch schlimmer ist, wenn unerbetene Unterstützung von einem kommt, der als Nachfolger dessen gehandelt wird, um den es geht. Die Rede ist von Ottmar Hitzfeld, dem Trainer des ruhmreichen FC Bayern München. Der Klub verfügt zwar – wie eigentlich jedes Jahr – über den besten Kader aller Zeiten, wird seinen Briefkopf aber nach Ablauf der Saison wohl nicht erneuern müssen. Aus in der Champions League, Aus im DFB-Pokal, und dazu ein schier uneinholbarer Abstand zum Tabellenführer Bremen in der Bundesliga. Welch Schmach für die Allesgewinner. Felix Magath, der in Stuttgart schon bessere Zeiten erlebt hat – aber auch schlechtere! – und von Bayern-Präsident Franz Beckenbauer seit geraumer Zeit umschmeichelt wird, nennt die Kritik an Hitzfeld nun „haarsträubend“. Es sei „unfassbar, wie ein Top-Mann, der über Jahre hinweg mit Bayern auf höchstem Niveau Erfolge gefeiert hat, bei uns in Deutschland fertig gemacht wird“. Bei uns in Deutschland? Naja, in erster Linie wohl beim FC Bayern selbst, und da vor allem von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Wie es aussieht, hat Magath seine bisherige Meinung über Bayern München als dem „am besten geführten Verein Deutschlands“ geändert. Kluge Menschen lernen nie aus.“

Der Schutz von Schiedsrichtern ist im Sport ein eisernes Gesetz

Michael Eder (FAZ 26.3.) beklagt die Milde des Urteils gegen Willi Reimann: „Reimann ist alles andere als der freundliche ältere Herr, als der er gern erscheint. Sein Ausfall beim Spiel in Dortmund, als er in einem beispiellosen Auftritt den vierten Schiedsrichter vor sich her stieß, kam nicht aus heiterem Himmel. Das Sportgericht des DFBs hat ihn deshalb wegen „unsportlichen Verhaltens“ für fünf Spiele aus dem Verkehr gezogen und eine Geldstrafe von 25 000 Euro verhängt. Artverwandte Trainerfiguren wie Werner Lorant, die tätliche Angriffe gegen Schiedsrichter unter dem Motto „Ein bißchen Emotion muß sein“ offenbar für entschuldbar halten, haben das Urteil kritisiert. Übertriebene Härte ist in ihm freilich nicht zu erkennen, im Gegenteil. Reimann hat Glück gehabt, ohne vorübergehenden Lizenzentzug davongekommen zu sein, der gleichzeitig die fristlose Kündigung seines Arbeitsvertrages in Frankfurt bedeutet hätte. Ein Exempel jedenfalls hat das Sportgericht nicht statuiert. Reimanns Aktion und seine zunächst ignoranten und wahrheitswidrigen Kommentare waren ein denkbar schlechtes Beispiel im Umgang mit Schiedsrichtern, die hinabwirken bis an die Basis des Amateurfußballs, wo Auswüchse gegenüber Unparteiischen – und drakonische Strafen – längst keine Ausnahme mehr sind. Der Schutz von Schiedsrichtern ist im Sport, nicht nur im Fußball, ein eisernes Gesetz, über das nicht zu diskutieren ist. Das Urteil gegen Reimann wird diesem Grundsatz nur im Ansatz gerecht.“

FAZ-Interview mit Karl Auer , Präsident 1860 Münchens

FAZ: Sie haben eine Firma mit 50 Angestellten und leiten nun auch einen Fußball-Klub. Was ist der Unterschied?
KA: Bei einem Fußballklub ist man von Mechanismen abhängig, auf die man nicht einwirken kann. Das kann man in meiner Firma schon. Wenn die Spieler auf dem Platz stehen, der Trainer ihnen alles mitgegeben hat, dann ist man, ich möchte nicht sagen machtlos, aber relativ handlungsunfähig.
FAZ: Es entstand zunächst der Eindruck, daß nicht Sie die Richtung vorgeben, sondern andere im Klub.
KA: Ich habe immer gesagt, ich möchte mich zuerst über den Sachstand informieren, daraus meine Schlüsse ziehen und dann eine Richtung vorgeben. Bis dahin habe ich mich eben aus gewissen Dingen herausgehalten.
FAZ: Haben sich ein paar Leute im Verein in Ihnen getäuscht?
KA: Das weiß ich nicht, aber ich lasse mich doch nicht verbiegen. Mit mir kann man über alles diskutieren, aber nicht in der Öffentlichkeit.
FAZ: Haben Sie das so deutlich auch Hans Zehetmair, Ihrem Vizepräsidenten, gesagt? Er hat, vor allem, was den Trainer betrifft, eine andere Meinung nach außen getragen als Sie.
KA: Das war vor allem in der Halbzeit des Spiels am Sonntag gegen Freiburg. Da war er sauer, aber er hat das nach dem Spiel relativiert. Er hat genauso wie ich gesehen, daß in der zweiten Halbzeit ein Ruck durch die Mannschaft gegangen ist, daß der Trainer in der Halbzeit die Mannschaft erreicht hat. Das war für mich ganz wichtig.
FAZ: Sie haben Trainer Falko Götz im Abstiegskampf den Rücken gestärkt. Falls die Mannschaft weiter nicht gewinnt, werden die Mechanismen der Branche wohl greifen, und Sie müssen Ihr Wort brechen.
KA: Ich bin der Meinung, daß man dem Trainer den Rücken stärken muß. Wenn ich ihm nicht das Gefühl gebe, daß ich hinter ihm stehe, hat er gegenüber der Mannschaft kein Durchsetzungsvermögen. Dann sagen die Spieler, na ja, wenn es mit dem nicht klappt, kommt der nächste.

Bochum kommt in die Champions League, und wir spielen im Döner-Cup

Richard Leipold (FAZ 26.3.) spürt die Anziehungskraft des VfL Bochum: “Peter Neururer, genannt Peter der Große, schickt sich an, in Bochum eine gesellschaftliche Größe zu werden. Vor kurzem führte der Cheftrainer des VfL Bochum sogar einer Ministerin die Hand, als es darum ging, die Torte zum 25. Geburtstag des Ruhrstadions anzuschneiden. „So etwas habe ich noch nie gemacht“, sagte Ute Schäfer. Doch mit dem Sportlehrer an ihrer Seite ging der nordrhein-westfälischen Schulministerin die Aufgabe leicht von der Hand. Wie die Ministerin so dringt auch der inzwischen wieder salonfähige Revierverein in neue Welten vor. Der VfL, lange Inbegriff eines mausgrauen Fußballdaseins, betritt das Feld des Marketings. „Mein Revier ist hier“. Mit diesem Slogan will der Klub nicht nur an (örtlichen) Schulen in die Offensive gehen, „um Bochumer Jungen“ und – in optisch in eckige Klammern gesetzt – auch Mädchen emotional an sich zu binden. Die neue Werbestrategie liege schon länger in der Schublade, sagt VfL-Vorstand Dieter Meinhold, vormals Marketingstratege in der Zentrale des Automobilherstellers Opel. „Aber jetzt, wo wir auf einer Wolke schweben, ist es an der Zeit, sie herauszuholen.“ Die neue Zeit, wie lange sie auch dauern mag, bietet dem Klub eine Perspektive. Wirtschaftlich und sportlich die dritte Kraft des Revierfußballs, begegnet der VfL den großen Nachbarn aus Dortmund und Gelsenkirchen auf Augenhöhe, als Tabellenfünfter blickt er seit einem Vierteljahr sogar auf sie herab. Dortmund ist Sechster, Schalke nur Siebter. Wenn die Bochumer in den Derbys daheim gegen Schalke und acht Tage später in Dortmund ihre Position halten, müssen sie als ernsthafter Anwärter auf einen Platz im UEFA-Pokal gelten. Die Schalker indes kämpfen an diesem Samstag schon um ihre letzte Chance. Verlieren sie im Ruhrstadion, sind sie mit acht Punkten Rückstand auf den VfL aus dem Rennen; gewinnen sie, schrumpft der Bochumer Vorsprung auf zwei Zähler. Rudi Assauer, der Manager des FC Schalke, unkte schon vor Wochen: „Bochum kommt in die Champions League, und wir spielen im Döner-Cup.““

Ballschrank

Champions League

Chelsea will zu schnell nach ganz oben – „there’s only one Claudio Ranieri“ – Madrids Retter zeigt seine Zahnlücke (SZ) u.a.

Ein Gladiator, der immer weiter kämpft
Raphael Honigstein (taz 26.3.) befasst sich mit der Lage Claudio Ranieris nach dem 1:1 zwischen Chelsea und Arsenal: „Thierry Henry wirbt im englischen Fernsehen als cooler Jazzmusiker verkleidet für ein französisches Auto. Vieles, was er und seine Kollegen am Ball machen, sieht so mühelos aus, dass es dem neutralen, Kampf und Leidenschaft schätzenden Fußballfan auf der Insel schon wieder hochgradig suspekt ist. Die Grenze zwischen spielerischer Leichtigkeit und Überheblichkeit ist manchmal ungenügend markiert. „Arrogant“ findet nicht nur Chelseas Jimmy Floyd Hasselbaink das Team. Doch aus diesem Vorwurf spricht letztlich der pure Neid. Arsenals Kicker sind nicht nur jung und reich, sie haben auf dem Platz darüber hinaus oft auch noch das im Überfluss, was im Alltag allen anderen fehlt: Raum und Zeit. Am Mittwoch, im überall als „größtes Londoner Fußballspiel aller Zeiten“ gehypten Champions-League-Derby, nahmen die wie besessen kämpfenden Blues dem designierten Meister beides über 90 Minuten fast gänzlich weg. In der Vergangenheit brannten in Arsenals schöner Traummaschine in solchen Situationen regelmäßig die Sicherungen durch. Die Kanoniere aber sind dieses Jahr aus einem anderen Metall gegossen – zur Kreativität gesellt sich eine phänomenale mentale Stärke und die Bereitschaft zur Arbeit. Angeführt vom majestätischen Patrick Vieira hielt man kräftig dagegen, heraus kam ein atemberaubend intensives Match ohne viele Chancen. Dass muss kein Widerspruch sein, wenn sich zwei technisch versierte Teams auf höchstem Tempo gegenseitig die Bälle abgrätschen. Obwohl sich in den beiden Strafräumen über weite Strecken nichts tat, tobten so gewaltige Schallwellen durch das Stadion. „Testosteron schwappte über den Platz“, freute sich die Times. Chelsea hat nur noch geringe Chancen, trotzdem durfte sich Trainer Claudio Ranieri, laut eigener Einschätzung „ein Gladiator, der immer weiter kämpft“, als Sieger fühlen. Geschäftsführer Peter Kenyon hatte ihn in den vergangenen Tagen äußerst perfide demontiert, im Stadion wurde er dafür gefeiert: Für Leute, die auf verlorenem Posten die Haltung bewahren, hat man auf der Insel eine große Schwäche. Seine Entlassung ist unabhängig vom Rückspiel längst besiegelt. Wie ein „dead man walking“, ein zu Tode Verurteilter, sei er sich in den vergangenen Wochen vorgekommen, hat Ranieri erzählt. Die Rache wird ihm im Diesseits nicht mehr gelingen, bis zu Saisonende bleibt er ein Untoter. „Wenn Arsenal gewinnen will, müssen Sie uns erst umbringen“, sagte er am Mittwoch. Es hörte sich fast wie eine Bitte an.“

There’s only one Claudio Ranieri

Die NZZ (26.3.) ergänzt: „In Chelsea beginnen Fussballspiele nicht erst mit dem Anpfiff des Schiedsrichters. Das ausgedehnte Warm-up vieler Matchbesucher findet in den lokalen Pubs statt – unter Wettkampfbedingungen quasi. Neben ausreichend Tranksame gibt’s auch viel Psychohygiene: zum Beispiel im „Slug and Lettuce“. Dort wird die Grossleinwand jeweils Stunden vor dem ersten Kick heruntergelassen und den Fans das geboten, was sie später im Stadion an der Stamford Bridge sehen möchten: grosse Momente der Klubgeschichte und jubelnde Spieler in Blau. Im Vorfeld des Champions-League-Schlagers gegen Arsenal schob der Barkeeper am Mittwoch eine ganz spezielle Kassette in den Videorecorder: „Die 100 schönsten Premier-League-Goals des Chelsea FC“. 60 Minuten Tor um Tor, 60 Minuten spektakuläre Schüsse, Direktabnahmen und Dribblings von Gullit, Zola, Wise, Stein, Hasselbaink. Wer das Lokal verliess, fühlte sich wie nach einer Gehirnwäsche und hatte das Gefühl, besser als Chelsea sei niemand – nicht einmal der FC Basel. Kurz vor zehn Uhr abends war dieses Missverständnis korrigiert. Zwar hatte die Mannschaft von Trainer Claudio Ranieri dank einer leidenschaftlichen Leistung den Stadtrivalen Arsenal in Verlegenheit gebracht, doch letztlich reichte auch der Treffer des Isländers Gudjohnsen nicht zum ersehnten Sieg. Im Stile eines echten Champions reagierte Arsenal auf den Rückstand und lenkte die Partie bloss sechs Minuten später nach einer Massflanke Coles und dem Kopfballtor Pires‘ in die erwarteten Bahnen. (…) Die Blues hatten an diesem kalten Märzabend ihre Grenzen aufgedeckt erhalten – wenn auch auf sehr hohem Niveau. Doch wer innert weniger Monate 120 Millionen Pfund für neues Personal springen lässt, für den kann nur das Beste gut genug sein – und das ist Chelsea noch nicht. Während Arsène Wenger mit Arsenal nach siebenjähriger Aufbauarbeit endlich am Portal der europäischen Noblesse steht, fehlt im Südwesten der Stadt – nach ungleich kürzerer Anlaufzeit allerdings – ein entscheidendes Mosaiksteinchen: Es betrifft die Position des Goalgetters. (…) Vor allem für Claudio Ranieri wäre ein Erfolg gegen Arsenal eine grosse persönliche Genugtuung. Der Italiener muss den Klub am Ende dieser Saison verlassen – so oder so. „There’s only one Claudio Ranieri“, hallte es am Mittwoch zu Beginn der zweiten Halbzeit durchs Stadion an der Stamford Bridge. Die Solidaritätsaktion beeindruckte alle im ausverkauften Stadion; nur den wichtigsten Mann nicht. Roman Abramowitsch will die 100 schönsten Chelsea-Tore nicht nur auf Video schauen; er will den ganz grossen Fussball an die Stamford Bridge holen – koste es, was es wolle.“

Ronald Reng (SZ 26.3.) lotet das Madrider Befinden aus: “Das letzte Tor eines kühlen Abends schoss der Gegner, doch der Schütze wurde gefeiert. Es war ja mehr als ein Treffer für AS Monaco – es war eine Hommage an 190 Tote und 1500 Verletzte des Terroranschlags vom 11. März. Schütze Fernando Morientes deutete nach seinem zielgerechten Kopfball in den nächtlichen Himmel, und viele der 65 000 Zuschauer riefen dankbar seinen Namen, obwohl Morientes den Sieg von Real Madrid auf 2:4 verkürzt hatte. „Ich denke, die Leute haben mehr wegen meiner Geste applaudiert als wegen etwas anderem, aber sie mögen mich, und ich mag sie“, sprach der spanische Nationalspieler im Team der Franzosen. Die meisten Fans von Real Madrid wollten ihn nie gehen lassen, und zuletzt merkte auch die sportliche Leitung, dass man Morientes gut gebrauchen könnte. Der vermeintlich bestbesetzten Fußballmannschaft der Welt gingen die Stürmer aus, als sich Ronaldo vor drei Wochen verletzte. Frischling Javier Portillo ist überfordert, Raúl González müde – kein Wunder bei dem Stress, im 26. Lebensjahr hat der Teamkapitän soeben sein 86. Europacupspiel bestritten, Rekord. Selbst Zinedine Zidane läuft schwerfällig übers Feld, und so geriet die Institution in eine Krise. Gegen den FC Bayern kam die matte Zaubertruppe gerade noch über die Runden, das Finale im Königspokal gegen Saragossa indes ging verloren, am Samstag folgte ein 2:4 in Bilbao. Vor dem Besuch aus dem Fürstentum herrschte Alarmstufe rot, und es wurde noch schlimmer, ehe der Retter erschien und seine Zahnlücke zeigte.“

Ballschrank

Champions League

Chelsea will zu schnell nach ganz oben – „there’s only one Claudio Ranieri“ – Madrids Retter zeigt seine Zahnlücke (SZ) u.a.

Ein Gladiator, der immer weiter kämpft

Raphael Honigstein (taz 26.3.) befasst sich mit der Lage Claudio Ranieris nach dem 1:1 zwischen Chelsea und Arsenal: „Thierry Henry wirbt im englischen Fernsehen als cooler Jazzmusiker verkleidet für ein französisches Auto. Vieles, was er und seine Kollegen am Ball machen, sieht so mühelos aus, dass es dem neutralen, Kampf und Leidenschaft schätzenden Fußballfan auf der Insel schon wieder hochgradig suspekt ist. Die Grenze zwischen spielerischer Leichtigkeit und Überheblichkeit ist manchmal ungenügend markiert. „Arrogant“ findet nicht nur Chelseas Jimmy Floyd Hasselbaink das Team. Doch aus diesem Vorwurf spricht letztlich der pure Neid. Arsenals Kicker sind nicht nur jung und reich, sie haben auf dem Platz darüber hinaus oft auch noch das im Überfluss, was im Alltag allen anderen fehlt: Raum und Zeit. Am Mittwoch, im überall als „größtes Londoner Fußballspiel aller Zeiten“ gehypten Champions-League-Derby, nahmen die wie besessen kämpfenden Blues dem designierten Meister beides über 90 Minuten fast gänzlich weg. In der Vergangenheit brannten in Arsenals schöner Traummaschine in solchen Situationen regelmäßig die Sicherungen durch. Die Kanoniere aber sind dieses Jahr aus einem anderen Metall gegossen – zur Kreativität gesellt sich eine phänomenale mentale Stärke und die Bereitschaft zur Arbeit. Angeführt vom majestätischen Patrick Vieira hielt man kräftig dagegen, heraus kam ein atemberaubend intensives Match ohne viele Chancen. Dass muss kein Widerspruch sein, wenn sich zwei technisch versierte Teams auf höchstem Tempo gegenseitig die Bälle abgrätschen. Obwohl sich in den beiden Strafräumen über weite Strecken nichts tat, tobten so gewaltige Schallwellen durch das Stadion. „Testosteron schwappte über den Platz“, freute sich die Times. Chelsea hat nur noch geringe Chancen, trotzdem durfte sich Trainer Claudio Ranieri, laut eigener Einschätzung „ein Gladiator, der immer weiter kämpft“, als Sieger fühlen. Geschäftsführer Peter Kenyon hatte ihn in den vergangenen Tagen äußerst perfide demontiert, im Stadion wurde er dafür gefeiert: Für Leute, die auf verlorenem Posten die Haltung bewahren, hat man auf der Insel eine große Schwäche. Seine Entlassung ist unabhängig vom Rückspiel längst besiegelt. Wie ein „dead man walking“, ein zu Tode Verurteilter, sei er sich in den vergangenen Wochen vorgekommen, hat Ranieri erzählt. Die Rache wird ihm im Diesseits nicht mehr gelingen, bis zu Saisonende bleibt er ein Untoter. „Wenn Arsenal gewinnen will, müssen Sie uns erst umbringen“, sagte er am Mittwoch. Es hörte sich fast wie eine Bitte an.“

There’s only one Claudio Ranieri

Die NZZ (26.3.) ergänzt: „In Chelsea beginnen Fussballspiele nicht erst mit dem Anpfiff des Schiedsrichters. Das ausgedehnte Warm-up vieler Matchbesucher findet in den lokalen Pubs statt – unter Wettkampfbedingungen quasi. Neben ausreichend Tranksame gibt’s auch viel Psychohygiene: zum Beispiel im „Slug and Lettuce“. Dort wird die Grossleinwand jeweils Stunden vor dem ersten Kick heruntergelassen und den Fans das geboten, was sie später im Stadion an der Stamford Bridge sehen möchten: grosse Momente der Klubgeschichte und jubelnde Spieler in Blau. Im Vorfeld des Champions-League-Schlagers gegen Arsenal schob der Barkeeper am Mittwoch eine ganz spezielle Kassette in den Videorecorder: „Die 100 schönsten Premier-League-Goals des Chelsea FC“. 60 Minuten Tor um Tor, 60 Minuten spektakuläre Schüsse, Direktabnahmen und Dribblings von Gullit, Zola, Wise, Stein, Hasselbaink. Wer das Lokal verliess, fühlte sich wie nach einer Gehirnwäsche und hatte das Gefühl, besser als Chelsea sei niemand – nicht einmal der FC Basel. Kurz vor zehn Uhr abends war dieses Missverständnis korrigiert. Zwar hatte die Mannschaft von Trainer Claudio Ranieri dank einer leidenschaftlichen Leistung den Stadtrivalen Arsenal in Verlegenheit gebracht, doch letztlich reichte auch der Treffer des Isländers Gudjohnsen nicht zum ersehnten Sieg. Im Stile eines echten Champions reagierte Arsenal auf den Rückstand und lenkte die Partie bloss sechs Minuten später nach einer Massflanke Coles und dem Kopfballtor Pires‘ in die erwarteten Bahnen. (…) Die Blues hatten an diesem kalten Märzabend ihre Grenzen aufgedeckt erhalten – wenn auch auf sehr hohem Niveau. Doch wer innert weniger Monate 120 Millionen Pfund für neues Personal springen lässt, für den kann nur das Beste gut genug sein – und das ist Chelsea noch nicht. Während Arsène Wenger mit Arsenal nach siebenjähriger Aufbauarbeit endlich am Portal der europäischen Noblesse steht, fehlt im Südwesten der Stadt – nach ungleich kürzerer Anlaufzeit allerdings – ein entscheidendes Mosaiksteinchen: Es betrifft die Position des Goalgetters. (…) Vor allem für Claudio Ranieri wäre ein Erfolg gegen Arsenal eine grosse persönliche Genugtuung. Der Italiener muss den Klub am Ende dieser Saison verlassen – so oder so. „There’s only one Claudio Ranieri“, hallte es am Mittwoch zu Beginn der zweiten Halbzeit durchs Stadion an der Stamford Bridge. Die Solidaritätsaktion beeindruckte alle im ausverkauften Stadion; nur den wichtigsten Mann nicht. Roman Abramowitsch will die 100 schönsten Chelsea-Tore nicht nur auf Video schauen; er will den ganz grossen Fussball an die Stamford Bridge holen – koste es, was es wolle.“

Ronald Reng (SZ 26.3.) lotet das Madrider Befinden aus: “Das letzte Tor eines kühlen Abends schoss der Gegner, doch der Schütze wurde gefeiert. Es war ja mehr als ein Treffer für AS Monaco – es war eine Hommage an 190 Tote und 1500 Verletzte des Terroranschlags vom 11. März. Schütze Fernando Morientes deutete nach seinem zielgerechten Kopfball in den nächtlichen Himmel, und viele der 65 000 Zuschauer riefen dankbar seinen Namen, obwohl Morientes den Sieg von Real Madrid auf 2:4 verkürzt hatte. „Ich denke, die Leute haben mehr wegen meiner Geste applaudiert als wegen etwas anderem, aber sie mögen mich, und ich mag sie“, sprach der spanische Nationalspieler im Team der Franzosen. Die meisten Fans von Real Madrid wollten ihn nie gehen lassen, und zuletzt merkte auch die sportliche Leitung, dass man Morientes gut gebrauchen könnte. Der vermeintlich bestbesetzten Fußballmannschaft der Welt gingen die Stürmer aus, als sich Ronaldo vor drei Wochen verletzte. Frischling Javier Portillo ist überfordert, Raúl González müde – kein Wunder bei dem Stress, im 26. Lebensjahr hat der Teamkapitän soeben sein 86. Europacupspiel bestritten, Rekord. Selbst Zinedine Zidane läuft schwerfällig übers Feld, und so geriet die Institution in eine Krise. Gegen den FC Bayern kam die matte Zaubertruppe gerade noch über die Runden, das Finale im Königspokal gegen Saragossa indes ging verloren, am Samstag folgte ein 2:4 in Bilbao. Vor dem Besuch aus dem Fürstentum herrschte Alarmstufe rot, und es wurde noch schlimmer, ehe der Retter erschien und seine Zahnlücke zeigte.“

Ballschrank

Vermischtes

„der italienische Fußball ist am Ende“ (Zeit) – die verhinderten Weltmeister aus dem Saarland – neuer Rassismus in Deutschlands Fan-Kurven (SpOn) – Maradona besucht Argentinien, „göttliche Füße stecken in ausgelatschten Halbschuhen“ (FTD) u.v.m.

Der italienische Fußball ist am Ende

Birgit Schönau (Zeit 25.3.) kritisiert Subventionen für italienische Millionäre: „Am vergangenen Sonntag erzwangen die Tifosi den Abbruch eines Spiels zwischen Lazio und dem AS Rom, nach dem Abpfiff kam es zu Krawallen mit mehr als 170 Verletzten. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass sich die tief verfeindeten Fans der Stadt zusammengeschlossen haben, um den Klubmanagern und den auf der Tribüne versammelten Politikern eine Demonstration ihrer „Macht“ zu geben. „Wenn die römischen Klubs keine Lizenz für die Uefa und die Meisterschaft bekommen, könnte die Revolution ausbrechen“, fürchtet Silvio Berlusconi. Mit dem Steuerdekret wird es nun Luft geben, die Klubs sollen ihre Schulden bequem über fünf Jahre verteilt abstottern dürfen. (…) Der italienische Fußball ist am Ende, der calcio, einst fünftgrößter Wirtschaftszweig des Landes, hängt am Tropf der Regierung. „60 Prozent aller Profiklubs dürften eigentlich keine Lizenz mehr bekommen“, warnt Fußball-Verbandspräsident Franco Carraro. Längst bildet der Fußball für Ministerpräsident Berlusconi einen Interessenkonflikt, dessen Dimension das Monopol des Premiers in den Medien noch übertrifft: Fußball interessiert fast alle Italiener, nur Berlusconi aber hat er reich und mächtig gemacht. Andere Unternehmer wie Calisto Tanzi (Parmalat, AC Parma) und Sergio Cragnotti (Cirio, Lazio Rom) sitzen nach dem Bankrott ihrer Unternehmen im Gefängnis, die einst von ihnen geführten Fußballklubs kämpfen ums Überleben: Parma zahlt seit Oktober 2003 keine Gehälter an seine Kicker mehr, Lazio seit Dezember. Nicht von ungefähr heißt Berlusconis Politbewegung Forza Italia, nach einem Schlachtenruf der Nationalmannschaftsfans. Nicht von ungefähr zeigt sich der Regierungschef regelmäßig im Stadion und gibt seinem Trainer vor laufender Kamera Anweisungen für die Mannschaftsaufstellung. Berlusconi weiß, dass jeder Triumph des AC Mailand die Zustimmung bei dessen sieben Millionen Fans erhöht. Er ist der Einzige, der aus jener Unterhaltungsindustrie noch wirtschaftlichen und politischen Nutzen zieht. Es war Berlusconis AC Mailand, der als erster Klub schwindelerregende Transfersummen und exorbitante Gehälter zahlte, und es ist der AC, der sich als letzter Klub teure Kicker leisten kann. Einen Star nach dem anderen übernimmt Mailand aus dem Ensemble des vor der Pleite stehenden Klubs Lazio Rom. Gleich doppelt verdient Berlusconi an der Champions League: Das letzte Finale gewann der AC Mailand, das Match wurde von Berlusconis Fernsehsender Mediaset übertragen, die Werbeeinnahmen lagen bei einer Million Euro. Derzeit ist der AC Mailand italienischer Tabellenführer. Berlusconi hat auch ein wirtschaftliches Interesse daran, dass der Ball in Italiens Stadien weiterrollt. Und ein Match wie Rom gegen Mailand ist da interessanter als Bologna gegen Empoli – selbst wenn Bolognas Präsident Giuseppe Gazzoni protestiert: „Ich habe meine besten Spieler verkauft, um meine Steuern pünktlich zu bezahlen.“ Berlusconis Steuer-Notverordnung ist die dritte Stütze des Gesetzgebers innerhalb eines Jahres. Im Februar 2003 verabschiedete das Parlament eine Vorschrift, mit der Fußballklubs die Abschreibung des Wertverlusts ihrer Spielerkader über zehn Jahre erlaubt wird. „Staatlich geförderte Bilanzfälschung“, wetterte EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti. In Rom nahm man es zur Kenntnis und verabschiedete das nächste Dekret. Damit wurden jene Gerichtsbeschlüsse unwirksam gemacht, die dem AS Rom und dem SSC Neapel die Lizenz verweigert hatten, weil sie mit gefälschten Bankbürgschaften gearbeitet hatten. Ganz nebenbei wurde die zweite Liga auf Weisung Berlusconis um vier Mannschaften erweitert, die eine besonders zahlreiche Anhängerschaft aufweisen können. Geschenke über Geschenke, und doch kann der calcio davon nicht überleben. Im vergangenen Jahr machte die Serie A einen Umsatz von 1,1 Milliarden Euro. Die Schuldenlast ist doppelt so hoch. Während sich die Einnahmen seit 1996 verdoppelt haben, sind die Spielergehälter um das Achtfache gestiegen. Stars wie Juventus’ Alessandro Del Piero (Jahresgehalt elf Millionen Euro), AC Mailands Andrej Schewtschenko (zehn Millionen) und Inter Mailands Christian Vieri (zwölf Millionen) verdienen ein Vielfaches dessen, was die besten Manager Italiens nach Hause bringen. Der AC Mailand zahlte 2003 mehr als 157 Millionen Euro an Gehältern. Durch Subventionspolitik ist der Wettbewerb verzerrt.“

Der Fußball war das populärste Mittel der Politik, für ihre Ziele zu werben

Daniel Meuren (FTD 26.3.) erinnert an die Sportgeschichte des Saarlands nach dem Zweiten Weltkrieg: „Das kleine Fleckchen Erde im Südwesten der heutigen Bundesrepublik war von 1943 bis 1956 in Folge des Zweiten Weltkriegs ein eigenständiges Land unter der Kommandantur der Franzosen. Der Fußball war das populärste Mittel der Politik, für ihre Ziele zu werben. „Die Fußballer wurden von der Politik instrumentalisiert und sie profitierten von der äußerst großzügigen finanziellen Unterstützung durch den französischen Hohen Kommissar und die saarländische Regierung“, sagt der Historiker Wolfgang Harres, Autor des Buches „Sportpolitik an der Saar 1945-1957“. Der Fußball diente auch fürs Werben um den Anschluss des Saarlands an Frankreich. Der 1. FC Saarbrücken wurde mit erheblichem finanziellen Aufwand in die zweite französische Profiliga integriert. Als später der Aufstieg der Saarbrücker in die höchste Spielklasse am Widerstand des elsässischen Rivalen aus Straßburg scheiterte, war auch die Politik des schleichenden Anschlusses des Saarlandes an Frankreich am Ende. Danach stand dann die Stärkung eines autonomen Saarlandes auf der Agenda der Saar-Regierung. Die Sportpolitik eilte erneut in großen Schritten voraus. 1952 nahm das Saarland an den Olympischen Spielen teil, 1953 meldete sich der Saarländische Fußball-Bund (SFB) unter dem Vorsitz des späteren DFB-Präsidenten Hermann Neuberger für die Qualifikationsspiele zur Fußball-WM. Dabei war bereits abzusehen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Duell mit dem großen Bruder kommen würde. Denn die Qualifikationsgruppen wurden damals aus Kostengründen nach regionalen Gesichtspunkten eingeteilt und nicht ausgelost, wie es heute üblich ist. Der bundesdeutschen Regierung bereitete die Teilnahme des Saarlandes Kopfzerbrechen. Höchste diplomatische Stellen erwirkten, dass auf keinen Fall Flaggen und Hymnen vor dem Spiel gespielt werden durften. Dies hätte einen unerwünschten Präzedenzfall für den Umgang mit der DDR geschaffen. (…) Die Saarland-Elf fuhr dennoch zum Endspiel nach Bern. „Wir saßen oben auf der Tribüne und haben die deutsche Mannschaft angefeuert“, sagt Herbert Binkert, damals Kapitän des Saarlands. Dieser Geste folgte im Jahr danach die Ablehnung der saarländischen Souveränität im Referendum. Historiker führen diese politische Entwicklung zu einem Teil auf das Wunder von Bern zurück und die dadurch provozierte nationale Begeisterung für Deutschland. Für die möglichen Saarbrücker Weltmeister Binkert, Clemens und Martin wartete die Nachkriegsgeschichte indes zu lange mit ihrer Entscheidung.“

Andreas Kröner (SpOn) klagt über Rassismus in Deutschlands Fan-Kurven: „Das Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern ist als Stimmungshölle berüchtigt. Kommentatoren sprechen ehrfurchtsvoll vom „Hexenkessel Betzenberg“ oder dem „Pfälzer Fußballtempel“. Bei Nando Rafael hingegen hält sich die Begeisterung in Grenzen: Als der Angolaner beim Auswärtsspiel in Kaiserlautern zum 1:0 für Hertha BSC Berlin traf, tönt lautes Urwaldgebrüll aus der Westkurve. „Scheiß Nigger“, „Bimbo“, „Afrika für Affen“ bekam der farbige Berliner Stürmer zu hören. Neben vereinzelten „Sieg Heil“-Rufen sangen einge FCK-Fans Lieder wie „Wir hassen die Türkei“ oder „Wir bauen eine U-Bahn – von Auschwitz nach Berlin“. Leider sind derartige Geschehnisse keine Einzellfälle, auch bei Hertha besitzt die rechte Fanszene eine traurige Tradition: „Es gibt eine relativ stabile Gruppe von Hardcore-Fans, doch der von den offiziellen Berliner Vertretern allzu gern übersehene rechtsradikale Touch geht seit 1990 bis weit in die sitzplatzzahlende Mitte“, sagt Detlev Claussen, Professor für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie. Der Ordinarius von der Universität Hannover mit den Arbeitsschwerpunkten Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus beobachtet, dass „die nach 1990 hinzugekommene ostdeutsche neue Mittelkasse das Publikum keineswegs weltoffener gemacht hat. Auch in der Polemik gegen Ex-Trainer Huub Stevens waren ausländerfeindliche Tendenzen nicht zu überhören.“ (…) Im Zeitalter des globalisierten Fußballs birgt diese Einstellung enormes Konfliktpotential: Während sich die Bundesligamannschaften zu multikulturellen Arbeitsgemeinschaften entwickeln, rutschen immer mehr Fangruppen an den rechten Rand ab. DFB und Vereinen ist die Dimension des Problems anscheinend nicht bewusst. Aus Angst vor der Beschädigung des Produkts Fußball bekämpft man die gröbsten Auswüchse möglichst unbemerkt. Das leidige Thema soll auf keinen Fall in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden. Als der DFB einen Anti-Rassismus-Paragraph in die Stadion-Ordnungen der Bundesligisten festschrieb, bekam davon niemand etwas mit. „Anstatt sich in einer Pressekampagne offen gegen rechte Fans auszusprechen, schickte der DFB klammheimlich einen Brief an die Vereine“, schimpft Baff-Sprecher Dembowski, „offensichtlich besteht bei den Herren weder Bewusstsein noch ein kontinuierliches Interesse an diesem Thema. Wenn sich nicht manchmal Fangruppen bei den Clubs über rechte Gesänge beschwerten, würde wahrscheinlich gar nicht passieren.“ Auch Classen ist empört über das „ungeheuerliche Totschweigen“ und verweist auf das Beispiel England. Hier setzte die Regierung eine Kommission ein, die das Thema offensiv anging. Heute hat jeder Verein einen Beauftragen, rassistische Auswüchse werden konsequent bekämpft und in den Stadien kommt es kaum mehr zu Anfeindungen gegenüber ausländischen Spielern. „Von diesem Engagement könnte man sich in Deutschland eine Scheibe abschneiden“, fordert Claussen, „aber hier stimmen sie in der Hauptstadt rechte Lieder an, der Innenminister sitzt als Ehrenmitglied auf der Haupttribüne und niemand unternimmt was. Das ist doch bizarr!“ Bei jedem Feuerwerkskörper ermahne der Stadionsprecher die Fans, aber bei ausländerfeindlichen Gesängen ergreift nur sehr selten jemand das Wort.“

Du sagst nicht Idiot zu mir! Ich weiß, was du im Kopf hast
sueddeutesch.de-Interview mit Uli Stein

sueddeutsche.de: Wie war denn das gemeinsame Training mit dem Konkurrenten Schumacher?
US: Ach, der Toni hat ja nie trainiert, der hat die Knie schon so kaputt gehabt. Während wir in der Hitze trainiert haben, war der beim Einkaufen. Aber ich habe das akzeptiert, er hat ja viel für den deutschen Fußball getan.
sueddeutsche.de: Wie kam es dann zum Rausschmiss durch Beckenbauer, den Sie als „Suppenkaspar“ bezeichnet haben sollen?
US: Der Franz hat mich gar nicht rausgeschmissen. Der hat mich vier Tage lang bekniet, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich zurücktrete. Nach seinem Satz ging’s einfach nicht mehr, da hab‘ ich zu ihm gesagt: Nimm‘ halt den Eike Immel, der ist jung und kann hier noch was lernen, ich setz‘ mich auf die Tribüne, für den Notfall. Nach Hause geschickt hat mich dann der Hermann Neuberger. Der hat auch mein Comeback vier Jahre später verhindert. Der Franz hatte mich angerufen, ob ich nicht wieder Nationalmannschaft spielen will. „Selbstverständlich will ich“, hab ich gesagt. Aber der Neuberger wollte nicht.
sueddeutsche.de: Und dann gab es in Mexiko ja noch die Geschichte mit dem überzogenen Zapfenstreich…
US: Wir waren meistens zu viert unterwegs: Augenthaler, Dietmar Jakobs, Dieter Hoeneß und ich. Ausgang war bis zwei, wir kamen so um halb drei – waren aber die Ersten! Die anderen kamen noch viel später. Aber da hatten sie mich schon längst auf dem Kieker. Am nächsten Morgen mussten wir beim Franz antanzen. Sagt der: „Ihr Idioten, wie könnt ihr euch bloß erwischen lassen?“ Da steht der Dieter Hoeneß auf und sagt: „Du sagst nicht Idiot zu mir! Ich weiß, was du im Kopf hast und ich weiß, was ich im Kopf hab‘ – du sagst nicht Idiot zu mir.“
sueddeutsche.de: Klingt nicht so, als wäre Beckenbauer die große Respektsperson gewesen.
US: Ach, der Franz. Vor einem Länderspiel auf Malta hat er mit uns mal eineinhalb Stunden den Gegner besprochen. Am nächsten Tag wollte er noch ’ne Sitzung machen, da hab‘ ich gesagt: „Franz, lass mal gut sein, wir spielen gegen Malta!“ Nur zehn Minuten, hat er gesagt, pfeifst einfach ab, Uli. Nach 20 Minuten wurd’s mir zu dumm, da hab‘ ich gesagt: „Es langt jetzt, Franz.“ Sagt er: „Hast recht, Uli, es langt.“
sueddeutsche.de: Und der Vorwurf, Sie hätten die 86er-Mannschaft als „Gurkentruppe“ bezeichnet?
US: Stammt nicht von mir. Hat Beckenbauer selbst gesagt. Ist auch bei Kürten und Wontorra nachzulesen.
sueddeutsche.de: Sehen Sie sich als Kampagnen-Opfer?
US: Viele Jahre nach der WM ‚86 habe ich erfahren, dass „Bild“ vor meinem Rausschmiss schon die nächste erfundene Geschichte in der Schublade hatte: „Stein feiert Sexorgie“. Wie hat Lothar Matthäus bei der EM 2000 gesagt: „Jetzt weiß ich, wie sich Uli Stein 1986 gefühlt haben muss.“

Göttliche Füße stecken in ausgelatschten Halbschuhen

Nina Klöckner (FTD 26.3.) erlebt die Ankunft Maradonas in Argentinien: „Diego Armando Maradona ist zurück. El Diez – die Zehn. Er ist vorbestraft, ungebildet, herzkrank und inzwischen fast so breit wie hoch. Aber eben auch der unvergleichlichste Fußballer, den dieses Land, vielleicht auch diese Welt je hatte. Und deshalb lässt es niemanden kalt, wenn er seine Heimat beehrt. Es gibt in Argentinien kaum jemanden – zumindest keinen Mann –, der nicht bis ins kleinste Detail nacherzählen kann, wie Maradona 1986 das schönste Tor der WM-Geschichte schoss. Elfmal berührte er mit dem linken Fuß den Ball, als er an sieben Engländern vorbeigedribbelt war, um dann einzuschießen. Wenige Tage später wurde Argentinien Weltmeister. Mit so einer Geschichte schreibt man Geschichte. Die Drogenprobleme, die er auf Kuba behandeln ließ? Geschenkt. Dass er die Vaterschaft einer unehelichen Tochter so lange abstritt, bis ihn der DNA-Test zweifelsfrei überführte? Kommt in den besten Familien vor. Die Steuernachforderungen? Wer kennt dieses Problem nicht. Auf ihren Diego lassen sie in Argentinien nichts kommen. Er ist und bleibt ein Gott. Er hat geduldig Autogramme geschrieben und sich fotografieren lassen. Auch wenn die Aufnahmen wenig schmeichelhaft ausfallen dürften. In großen Supermärkten und an den U-Bahn-Stationen läuft seit seiner Rückkehr als Dauerschleife ein Videoband mit Maradonas größten sportlichen Auftritten. Die Schuhe, mit denen er das Tor gegen England schoss, touren im Rahmen einer Wanderausstellung mit dem Namen „M10“ gerade durch Argentinien. Sein Leben wird derzeit als Musical aufgeführt. Titel des Spektakels: „Nummer zehn – zwischen Himmel und Hölle“. Die „Iglesia Maradoniana“, die Kirche Maradonas, zählt inzwischen etwa 20 000 Gläubige, die ihre Zeitrechnung mit dem Geburtstag ihres Heilands begonnen haben und deshalb am 30. Oktober jeden Jahres groß feiern. (…) Maradona versucht sich ein wenig zu verstecken. Doch einer Sucht entkommt auch er nicht: dem Fußball. 15 Minuten nach dem Anpfiff der Partie seines Ex-Klubs Boca Junior erscheint er am Mittwoch auf dem Balkon, der dort stets für ihn reserviert ist. Maradona trägt ein ärmelloses T-Shirt, das sein Che-Guevara-Tattoo auf dem rechten Oberarm gut zur Geltung bringt. Die kurze Jeans endet in wilden Fransen, die göttlichen Füße stecken in ausgelatschten Halbschuhen. Das ganze Stadion skandiert minutenlang seinen Namen. Was auf dem Spielfeld passiert, interessiert niemanden mehr. Maradona nimmt eine seiner Töchter in den Arm, reckt den Daumen in die Höhe und beugt sich nach vorne. Die Szene erinnert ein wenig an Michael Jacksons Auftritt in Berlin, nur dass man diesmal Angst hat, nicht das Kind, sondern der Mann könnte herabstürzen, so weit ragt der Bauch über die Balustrade. Diego Armando Maradona wird noch ein paar Tage in Argentinien bleiben, einige Freunde und Weggefährten besuchen. Dann wird er weiter nach Italien reisen. Und irgendwann vielleicht zurückkehren. Er muss sich keine Sorgen machen. Sie werden ihn hier nicht vergessen.“

Donnerstag, 25. März 2004

Nachschuss

Loosen, Wiebke – Die Medienrealität des Sports

In ihrer Dissertation diagnostiziert Loosen ein kommunikationswissenschaftliches Theoriedefizit der Sportjournalismusforschung. Dieses zu beheben, überträgt die Autorin die Nachrichtenwerttheorie auf diesen Bereich, indem sie empirische Beobachtungen mehrerer Printmedien eines bestimmten Zeitraums auswertet. Hypothesenartig fasst Loosen ihre Ergebnisse zusammen: Die Nachrichtenfaktoren Personalisierung, Elite, Räumliche Nähe, Faktizität und Ethnozentrismus nähmen den breitesten Raum in der Sportberichterstattung ein; im Gegensatz zB zu Überraschung und Kontroverse. Des Weiteren ließen sich sportartspezifische Dominanzen sowie medienspezifische Hierarchien bestimmter Nachrichtenfaktoren ausmachen. Bedenklich stimme eine Beobachtung, die die Arbeitsweise von Sportjournalisten ins Auge fasst. „Ohnehin lässt sich feststellen, dass aus Ereignissen nur noch selten ausgewählt wird. zunehmend werden Nachrichten aus Nachrichten ausgewählt […] Sportjournalisten [verbringen] mehr Zeit als Journalisten anderer Ressorts für das Redigieren von Agenturtexten und Pressemitteilungen […] Verarbeitet und selektiert werden demzufolge zunehmend Nachrichten, die andere schon verarbeitet und selektiert haben“ (S 207). Zweifellos verengt sich – sollte diese Analyse stimmen – dadurch das Gesichtsfeld des Journalisten und damit das Spektrum an potenziellen Ereignissen. Kennzeichnend für den heutigen Sportjournalismus sind folglich Konstruktivität, Selektivität und Reflexivität. Agenda-Setting wirkt offenbar auch innerhalb der Medien.

Oli Fritsch

Loosen, Wiebke (1998). Die Medienrealität des Sports. Evaluation und Analyse der Printberichterstattung. Wiesbaden: DUV.

Gewinnspiel für Experten

Deutsche Elf

Oberarzt Dr. Völler

“Verletzte Fußballprofis reizen die Medizin aus – und schaden sich oft noch mehr”, schreibt Claudio Catuogno (SZ22.5.). “Überhaupt wähnt man das Unternehmen WM zur Zeit noch als neueste Folge der TV-Serie Klinik unter Palmen: Oberarzt Dr. Völler verlegt sein Lazarett nach Asien (…) Ist Profisport in dieser Form und Intensität noch gesund? Die Erkenntnis reift, dass der Ausbeutung des Körpers Grenzen gesetzt sind, auch im millionenschweren Spitzensport (…) Beim Neu-Bayern Deisler, 22, entscheidet sich die Karriere schon jetzt an der Frage, ob sein Körper mitspielt – nach 15 Verletzungen in dreieinhalb Profijahren. Doch dann ist da auch immer diese Ungeduld, zumal in der Abgeschiedenheit einer Reha-Klinik. Anschluss finden, rankämpfen, Stammplatz zurückerobern (…) Ein Rückpass zur Vernunft ist nicht zu erwarten.”Ronald Reng (SZ 22.5.) bezweifelt ob der Dauerverletzte Rivaldo ein großes Turnier spielen können wird. “Es bleibt fraglich, ob der o-beinigste Angriffsfußballer seit Pierre Littbarski bei der WM in die Mannschaft zurückkehren kann. Seine Saison kam nie über ein Stottern hinaus, sechs Verletzungen, meist an Knie und Knöchel, hielten ihn gefangen (…) Ist Rivaldo ein neuer Fall Ronaldo? So wie Inter Mailands Stürmer, der bis zu seiner Rückkehr in dieser Saison vier Jahre lang mit Gelenkschäden kämpfte, rieb sich auch Rivaldo auf, indem er Verletzungen nicht auskurierte, sondern regelmäßig mit Schmerzmitteln spielte.”Gewinnspiel für Experten

Am Grünen Tisch

Fettnäpfchen groß wie das Mittelmeer

„Erst die ungeschickt geführte Diskussion um Bürgschaften für Fußball-Firmen, nun die Klasse-Idee eines Fernsehboykotts zum Meisterschaftsfinale: Die Entscheidungsträger der DFL, so hat es den Anschein, würden ein Fettnäpfchen nicht erkennen, auch wenn es so groß wie das Mittelmeer wäre (…) Nun aber ist Kompromisskandidat Hackmann plötzlich zum Krisenmanager geworden und damit in eine Schlüsselrolle im Spiel um Hunderte von Millionen Euro gerutscht. Nicht mehr Visionen vom eigenen Bundesliga-Fernsehen, zu realisieren gleich nach der ersten Mars-Landung, sind nun gefragt, sondern qualifizierte, aber gleichzeitig vorsichtig formulierte Vorschläge zur Existenzsicherung der Fußball-Basis. Dabei fehlt es dem wortkargen Hanseaten erkennbar am nötigen Feingefühl. Gegenüber Kirch selbst handzahm, gegenüber den Insolvenzverwaltern aber bissig, im Hinterzimmer mit Politikern kungelnd und gleichzeitig die Fußballfans vor den Kopf stoßend – ungeschickt ist geschmeichelt für die Politik der DFL, der Hackmann vorsteht. Und schon scheren die Großen, Bayern und Leverkusen voran, aus der DFL-Linie aus. Die Kirch-Krise ist eine Bundesliga-Krise – jetzt ganz bestimmt.“ (Volltext)

(siehe auch Eigentor der Woche)

Gewinnspiel für Experten

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