Mittwoch, 14. April 2004
Ballschrank
Auslandsfußball
Real Madrid , eine Mannschaft misstraut dem Konzept ihres Präsidenten und scheitert (FR) – Italiens Fußball-Machern fehlt Geduld (FAZ)
Chronik eines angekündigten Todes
Ronald Reng (FR 14.4.) erklärt die Not Real Madrids: “Fünf Wochen liegen hinter Real, in denen sich die in einer Traumfabrik konstruierte Elf in eine absolut ordinäre Mannschaft verwandelt hat. Sie verlor das spanische Pokalfinale gegen das gewöhnliche Saragossa, scheiterte im Champions-League-Viertelfinale am AS Monaco, und aus acht Punkten Vorsprung wurden in der Landesmeisterschaft zwei Punkte Rückstand auf den neuen Tabellenführer FC Valencia. Spätestens beim 0:3 gegen Osasuna, der ersten Heimniederlage nach elf Monaten und 27 Spielen, wurde überdeutlich, dass es dem Team, das Stars besitzt wie noch nie eines, nicht anders ergeht als vielen Abstiegskandidaten jedes Jahr: Es zeigt alle Symptome von posttraumatischen Stress; es findet keinen Ausweg aus der Dynamik des Niedergangs. „Fußball ist zu nah an der Hölle“, sagt Trainer Queiroz. Von all den irritierenden, faszinierenden Szenen der vergangenen Wochen hat sich eine besonders ins Gedächtnis gegraben. Es war Halbzeit in Monaco, Real marschierte beim Stand von 1:1 dem Halbfinale entgegen. Ludovic Guily, Monacos Kapitän, sagte im Gehen zu Zidane: „Lasst uns doch 2:1 gewinnen, dann bleibt uns die Ehre und euch der Gesamtsieg.“ Es war ein Scherz, einer dieser Sprüche, von denen Fußballer glauben, sie ständig machen zu müssen, selbst in der Pause eines wichtigen Matches. Zidane antwortete völlig ernst: „Aber hast du nicht bemerkt, dass wir am Ende sind?“ Diese Melancholie, die sich in Zidanes Reaktion offenbarte, hält Real Madrid gefangen. Zwar gibt es klare Schwachpunkte wie das Fehlen überragender Defensivspieler oder die desaströse Kopfballschwäche der Elf, mit denen sich der Einbruch erklären lässt. Bloß, diese Makel waren schon die ganze Saison vorhanden, und bis Anfang März spielte Real eine erschreckend erfolgreiche Runde. „Angriff war unsere beste Verteidigung“, sagt Queiroz. Doch seit sie das Pokalfinale verloren haben, befinden sich die als galaktisch gepriesenen Kreativen im schwarzen Loch – apathisch, überwältigt, in Trance. Beckham etwa, der die Saison so großartig begann, bekam nun vom Fachblatt Marca den Spitznamen Forrest Gump. Weil er wie der Kinoheld nur noch rennt und rennt – ohne dass dabei noch ein Sinn zu erkennen ist. „Es ist die Chronik eines angekündigten Todes“, sagt Torwart Iker Casillas. Dieser Fatalismus ist einerseits das Verblüffendste, anderseits führt er zum Kern der Krise: Sowohl Spieler als auch der Trainer hatten von Beginn an Zweifel, entgegen den Lehren des Fußballs mit einem Team Erfolg haben zu können, dass die unglaublichsten Offensivspieler, aber bestenfalls durchschnittliche Verteidiger vereint. Sie haben es sträubend hingekommen, weil Vereinspräsident Florentino Pérez die Zusammensetzung der Elf autoritär vorgab. „Bah, Verteidiger“, sagte Pérez, „Verteidiger sind Verteidiger, weil sie zu schlecht als Stürmer waren.“ Nur einmal sprach Queiroz aus, was in der Mannschaft viele dachten: „Du kannst nicht die Natur des Spiels ändern. Die Abwehr ist so wichtig wie der Angriff. Oder was hältst du von einem Piloten, der nur starten und nicht landen kann?“ Tief im Innern hatten die Spieler die Implosion ihrer Saison wohl immer befürchtet. Und Fußballer, die denken: Ich hab’s doch geahnt, dass es so kommen wird, sind schlecht geeignet, gegen den Verfall anzukämpfen.“
Teufelskreis der Langeweile
Dirk Schümer (FAZ 14.4.) hält den Mangel an Geduld für eine Ursache der Krise in Italiens Vereinsfußball: „Am Geld allein kann die Malaise nicht liegen. Zwar krankt der Calcio wegen überzogener Gehaltskosten und unsoliden Wirtschaftens vieler Vereinspräsidenten an einer gigantischen Finanzkrise. Gerade Spitzenklubs wie die beiden Mailänder Vereine oder Juventus Turin jedoch konnten dank schwerreicher Geldgeber wie Silvio Berlusconi ökonomisch mit den europäischen Marktführern mithalten. Juventus Turin, Italiens einzige Adresse mit international vorbildlichen Arbeits- und Geschäftsbedingungen, ist laut einer aktuellen Studie als einziger italienischer Großklub nicht hoffnungslos überschuldet. Aber auch Juventus, aktuell abgeschlagener Liga-Dritter, war diese Saison nicht konkurrenzfähig. Nimmt man hinzu, daß der aktuelle Tabellenzweite AS Rom ebenso mit immensen Geldproblemen kämpft wie die nahezu bankrotten Spitzenteams Parma und Lazio Rom, so ist auch in der kommenden Saison zu befürchten, daß Italiens Traditionsklubs mit den besten Mannschaften aus England und Spanien nicht Schritt halten können. Nachdem die beiden Spitzenstars des italienischen Fußballs – Ronaldo und Zidane – schon vor Jahren zu Real Madrid zogen, war es zuletzt Großbritannien, wohin etwa das marode Parma seine Stars ziehen lassen mußte. So ist die Serie A durch ihre früheren, jetzt für Chelsea spielenden Stars Mutu und Crespo immerhin noch als Erinnerung in der Champions League vertreten. Daß auch drei der vier Torhüter im Halbfinale aus Italien kommen und im Ausland reüssierten, zeugt vom Wahn mancher Präsidenten, statt eigenem Nachwuchs lieber teure Stars aus dem Ausland zu holen. Als Hauptmanko erweist sich immer mehr die Spaltung der höchsten Spielklasse in wenige reiche Klubs einerseits und das Gros schwächerer Mannschaften andererseits, die einzig gegen den Abstieg spielen. Weil Neulinge wie Ancona, derzeit mit 10 Punkten Schlußlicht, oder graue Mäuse wie Brescia, Reggio Calabria, Modena den Reichen am Wochenende kaum die volle Leistung abverlangen, können diese auch unter der Woche gegen die europäische Konkurrenz nicht mehr mithalten. So geht die eigentliche Grenze mitten durch die oberste Spielklasse, während die ewige Provinz auch noch in einer auf 24 Mannschaften aufgeblähten Serie B auf der Stelle tritt. Und wenn ein Außenseiter wie vor zwei Jahren Chievo Verona doch einmal in den Kreis der Erlauchten vordringt, wird kurzerhand mehr als die halbe Mannschaft aufgekauft, so daß sich das gewaltige Defizit noch vermehrt – ein Teufelskreis der Langeweile.“
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Bundesliga
„rollt bald der Regionalliga-Fußball auf dem Betzenberg?“ (FAZ) – Hamburgs Allergie gegen Mittelmaß (SZ)
Rollt bald nur noch der Regionalliga-Fußball auf dem Betzenberg?
Michael Ashelm (FAZ 14.4.) befürchtet das Schlimmste für den 1. FC Kaiserslautern: „Gehen beim 1. FC Kaiserslautern die Lichter bald ganz aus? Immer schwerer tut sich die Mannschaft im Kampf gegen den Abstieg. Und dann meldet sich nach dem desaströsen 0:6 vom Wochenende auch noch der Vorstandsvorsitzende René C. Jäggi zu Wort und warnt in aller Öffentlichkeit vor dem drohenden Lizenzentzug. Panik geht um in der Fußball-Pfalz. Befürchtet wird die Bankrotterklärung der „Roten Teufel“, die schon lange ohne Fortüne den Anschluß ans große Fußball-Geschäft suchen. „Endzeitstimmung“ – die vermeldete die ansässige Zeitung am Dienstag in ihrer Berichterstattung, zählte noch einmal die vielen Fehler der jüngsten Vergangenheit in aller Breite auf und kam letztlich zu keinem guten Schluß. Wer weiß, ob nicht bald nur noch der Regionalliga-Fußball auf dem Betzenberg rollt. Wie ein einsamer Kämpfer an mehreren Fronten kommt sich Trainer Kurt Jara vor, der erst kürzlich den Risikojob zur Rettung der Lauterer übernommen hatte; hier die Kritik und der heraufbeschorene Finanzcrash, da eine kraftlose, vielleicht sogar motivationslose Mannschaft. Auch wenn der Österreicher zugibt, daß einige Spieler nicht wüßten, „was Sache ist“, sagt er: „Ich bin totaler Optimist. Wir dürfen jetzt nicht alles in Frage stellen.“ Zehn Minuten Zeit nahm sich der Trainer am Dienstag vor der ersten ausgiebigen Übungseinheit nach der blamablen Niederlage in Leverkusen, um den Kader auf die Wochen der Entscheidung einzustimmen – und seinen Profis die Konsequenzen eines sportlichen Versagens vor Augen zu führen. „Alle haben die Pflicht, bis zum 30. Juni alles zu geben“, sagt Jara. Seine Sätze klingen wie das Einmaleins des Fußballs, doch wie es ausschaut, muß sich das Team auf die grundlegenden Dinge besinnen, um überhaupt ein kleines Stück nach vorne zu kommen. Fragt sich nur, inwieweit der eine oder andere Profi, der sich innerlich vielleicht schon von seinem jetzigen Arbeitgeber verabschiedet hat, noch bereit ist, dem FCK bedingungslos zu helfen.“
Selten hat ein Tabellenachter so schlechten Fußball gespielt
Jörg Marwedel (SZ 14.4.) schildert Hamburgs Allergie gegen Mittelmaß: „Vom früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt, einem schneidend-nüchternen Hanseaten, ist der Satz überliefert, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen. Dietmar Beiersdorfer, 40, hat das ganz anders gesehen, als er im August 2002 seinen Dienst als Sportchef beim Hamburger SV antrat. Der frühere Fußballprofi, immerhin Doktorand mit dem Thema „Strategisches Management in einem Bundesligaverein“, hatte nämlich äußerst verheißungsvolle Visionen. Volksnah sollte die Mannschaft werden, bestückt mit hungrigen Talenten, die sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren und die Fluktuation bremsen würden, die unter Beiersdorfers Vorgänger Holger Hieronymus ein Schwindel erregendes Tempo aufgenommen hatte. Das Konzept sollte den HSV wieder dorthin bringen, wo sich der siebenmalige Deutsche Meister eigentlich noch immer sieht – in die europäische Spitzenklasse. Gut eineinhalb Jahre später könnte sich der bissige Altkanzler bestätigt fühlen. Unerreichbar und stets im Dunst sich auflösend, wenn man glaubte, dem Trugbild ein Stück näher gekommen zu sein wie nach dem vierten Tabellenplatz in der vergangenen Saison und dem Gewinn des Supercup. Im Internetforum des Vereins häufen sich die Klagen über einen „tiefen Graben zwischen Fans und Mannschaft“. Die Mannschaft hat keine Zukunft und ist zersplittert in eine Jugendfraktion um Spieler wie Schlicke, Rahn oder Kling und eine Seniorenriege um die Routiniers Hollerbach, Hoogma oder Barbarez. Und dass dieses Team derzeit noch den achten Platz in der Bundesliga belegt, ist, wie die Hamburger Morgenpost konstatierte, „ein Wunder“, denn „sie spielen wie ein Abstiegskandidat“. So aufgeladen ist die Atmosphäre mittlerweile, dass sich nach dem Spiel die Profis Bernd Hollerbach und Kapitän Nico Hoogma handgreiflich gegen Pressesprecher Marinus Bester wehrten, der sie zum TV-Interview bringen wollte. Kurz darauf wurde Hoogma beim Verlassen des Stadions von rund 50 aufgebrachten HSV-Anhängern geschubst, beschimpft und in die Enge getrieben, was sein Mitspieler Bastian Reinhardt erschrocken als eine „neue, bedenkliche Qualität der Auseinandersetzung“ erkannte. Wer nach den Ursachen des allgemeinen Aufruhrs forscht, wird nicht nur bei Fehlern des Trainers Klaus Toppmöller oder des Sportchefs Beiersdorfer fündig. Die ohnehin explosive Stimmung wird vor allem von Bild geschürt – so sehr, dass das ebenfalls im Springer-Verlag erscheinende Hamburger Abendblatt dezent, aber deutlich anmerkte, die Fans seien auch „durch Zeitungsberichte aufgewiegelt“ worden. Schon vor dem jüngsten Reinfall gegen Dortmund hatte Bild fast eine Seite reserviert, um Toppmöller als Chaos-Trainer darzustellen: „HSV nur noch ein Sauhaufen“, war dort zu lesen. Und: „Toppi hat nichts mehr im Griff“. Noch nie ist ein neuer Trainer, der ein Team allen Problemen zum Trotz binnen sechs Monaten von Rang 13 auf Rang 8 geführt hat, so massiv attackiert worden wie der Nachfolger Kurt Jaras. Selten allerdings hat ein Tabellenachter so schlechten Fußball gespielt.“
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Bundesliga
„Allofs und Schaaf, Architekten des Bremer Aufschwungs“ vom Verein zur Marke (Spiegel) – Machtkampf bei 1860 München (SZ) – die Perspektive des 1. FC Köln: spielend aufsteigen (FR) u.v.m.
Allofs und Schaaf, Architekten des Aufschwungs
Werder Bremen wechselt seine Strategie; Michael Wulzinger (Spiegel 10.4.) erklärt sie uns: „Die Zahl der Mitglieder hat sich, angeheizt durch eine großflächig plakatierte und knackig ins Bild gesetzte Kampagne („Ich will Dich!“), innerhalb eines knappen Jahres auf rund 12 000 vervierfacht. Fast 37 000 Zuschauer werden die Heimspiele dieser Saison im Schnitt verfolgt haben, knapp 6000 mehr als im vorigen Jahr. Und dass derzeit in keinem Bremer Sportgeschäft mehr eines der aktuellen Werder-Trikots zu bekommen ist, wertet Mediendirektor Tino Polster als Beleg dafür, „dass wir raus sind aus dem grau melierten Bereich – die Marke Werder Bremen hat sich profiliert“. Als Architekten des Aufschwungs gelten Allofs und Schaaf. Im Abstand von drei Monaten traten sie 1999 ihren Dienst an. Beide waren Werder-sozialisiert, hatten unter Rehhagel in Bremen gespielt, und beide waren ohne besondere Berufserfahrung: Schaaf hatte nach seiner Spielerkarriere als Jugend- und Amateurtrainer bei Werder begonnen, Allofs war zehn Monate lang Trainer von Fortuna Düsseldorf gewesen. Mehr hatten sie nicht vorzuweisen. Vor allem Allofs stieß bei den Lordsiegelbewahrern des Clubs zunächst auf Vorbehalte. So beäugte der damalige Präsident Franz Böhmert, heute Vorsitzender des Aufsichtsrats, argwöhnisch Allofs‘ Leidenschaft für Rennpferde und dessen Engagement als Mitherausgeber der Galopperzeitschrift „Top-Tip“. Diese Art von Stallgeruch, fand der Chefarzt der Anästhesie, passe schlecht zu dem hanseatischen Traditionsverein. Doch Allofs setzte sich durch. Von Anfang an verstand er sich in Bremen als „Mann für die unkonventionellen Gedanken“. Bereits mit seinem ersten Transfer setzte er eine Duftmarke: Er verpflichtete den brasilianischen Edelkicker Julio Cesar. Seinen skeptischen Vorständen vermittelte er den Abwehrmann durch eine pfiffige Entgeltregelung: Cesar wurde pro Spiel bezahlt. Seit Allofs und Schaaf als Doppelspitze bei Werder auftreten, ist kein Profi geholt worden, von dem nicht beide überzeugt gewesen wären. „Wir diskutieren oft kontrovers“, sagt Allofs, „aber im Kern verfolgen wir die gleiche Philosophie.“ Schaaf wiederum hebt hervor, „dass unsere Ansichten unheimlich gut ineinander greifen und dass wir uns gegenseitig nichts neiden“. Die Zusammenarbeit von Sportdirektor und Fußball-Lehrer ist keineswegs selbstverständlich in der Liga. Zum Normalfall gehören eher Animositäten oder gar Dauerfehden, die wie beim Hamburger SV fast täglich über die Medien ausgetragen werden oder wie jüngst beim VfL Wolfsburg und bei Hannover 96 mal wieder in der Entlassung des Trainers mündeten. Dennoch: In den Führungsgremien kann sich das Duo längst nicht mit all seinen Vorschlägen durchsetzen. Zuweilen vermisst Allofs die nötige Courage. So hatte der Sportdirektor mit dem portugiesischen Abwehrspieler Fernando Meira bereits verhandelt, als der noch einen Bruchteil der 7,5 Millionen Euro kostete, die der VfB Stuttgart im Winter 2001 bezahlte. Auch zu dem Brasilianer Gilberto Silva unterhielt der Werder-Stratege frühzeitig aussichtsreichen Kontakt. Heute spielt der Mittelfeldstar bei Arsenal London. Mit knapp 40 Millionen Euro Jahresbudget, damit hatte sich Allofs abzufinden, waren große Sprünge auf dem Personalsektor nicht möglich. Dass ein Provinzverein wie Werder dennoch in dieser Saison in der Lage ist, weitaus umsatzstärkere Großstadtclubs wie Hertha BSC oder den Hamburger SV abzuhängen, Fußballkonzerne wie Borussia Dortmund, Schalke 04 oder Bayer Leverkusen auszustechen und sportlich auf Augenhöhe mit dem finanziell weit enteilten FC Bayern zu konkurrieren, belegt: Solide Kaufmannsprinzipien können auf lange Sicht auch in der schnelllebigen Fußballbranche zum Erfolg führen. Es ist ja kein Zufall, dass Werder Bremen seine sportliche Qualität ausgerechnet in den vergangenen zwei Jahren spürbar verbessert hat, in denen bei anderen Clubs vorzugsweise über Millionenschulden und Gehaltskürzungen debattiert wurde. (…) Erst seit wenigen Wochen kann Werder mit künftigen Champions-League-Einnahmen kalkulieren, und seither ist der Club auf dem Transfermarkt äußerst rege. Aus Kaiserslautern kommt Nationalspieler Miroslav Klose, aus Brasilien der Defensivmann Gustavo Nery, aus Bochum der Verteidiger Frank Fahrenhorst und aus Leverkusen voraussichtlich der türkische Mittelfeldstar Yildiray Bastürk. Die Offensive auf dem Spielermarkt ist ein Paradigmenwechsel in der Vereinsphilosophie. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte investieren die Bremer satte Millionenbeträge in neue Profis. Es ist der Kurs, für den vor allem Klaus Allofs steht.“
Loyalität sollte man nicht bewerben
Christoph Biermann (SZ 15.4.) analysiert den Mitgliederzuwachs vieler Vereine: „Hatten die 18 Erstligisten im Sommer 2001 insgesamt 220 000 Mitglieder, sind es inzwischen schon 275 000, bei rasant wachsender Tendenz. Der VfB Stuttgart hat innerhalb dieser Saison die Mitgliederzahl von gut 8000 auf fast 22 000 gesteigert. In Bremen wirbt der SV Werder mit Großplakaten, auf denen Trainer Schaaf, eingerahmt von Johan Micoud und Frank Baumann, auf die Betrachter zeigt. „Wir wollen Dich“, ist darunter zu lesen, das erinnert an die Rekrutierungsplakate der amerikanischen Armee, auf denen „Uncle Sam wants you!“ stand. Auch bei Borussia Dortmund werden im Rahmen der „Aktion 40 000″ neue Mitglieder geworben – die Hälfte des Weges ist immerhin schon geschafft. Erstaunlich ist dieser Run, weil die Mitgliedschaft eigentlich nur dort besondere Vorteile verspricht, wo es bei der Kartenvergabe eng werden könnte. „Bei uns werden bei zehn bis zwölf Heimspielen die Eintrittskarten quasi nur an Mitglieder abgegeben“, sagt Manfred Angermeyer, der Direktor Ticketsystem, Mitgliederservice und Internetdienst beim FC Bayern. Die Münchner werden voraussichtlich im Sommer die Grenze von 100 000 Mitgliedern übertreffen, schon jetzt sind sie nach eigener Angabe der größte Klub in Europa. „Wir betreiben keine aktive Mitgliederwerbung und haben es nie getan“, sagt Angermeyer, „Loyalität sollte man nicht bewerben.“ Der Reiz, Mitglied beim FC Bayern zu sein, liegt eben vor allem darin, bei der Verteilung der Eintrittskarten berücksichtigt zu werden, die zudem günstiger und ohne Vorverkaufsgebühr abgegeben werden. Ansonsten gibt es die Vereinszeitschrift Bayern-Magazin frei Haus. Fast alle Bundesligisten haben ähnliche Modelle, bieten zumeist aber noch Rabatte auf Fanartikel an, die dem Ganzen einen Hauch von Schnäppchenjagd geben. Borussia Dortmund lockt gar mit einem „Begrüßungsgeschenk“, das aus einem Mitglieder-Kugelschreiber und einer Mitglieder-Anstecknadel besteht. Ansonsten werben die Klubs vor allem mit einem emotionalen Mehrwert. „Durch die Mitgliedschaft bringt man zum Ausdruck, dass man Teil des Vereins ist, ihn unterstützt. Dass man mehr ist als nur“ ein Anhänger oder Sympathisant“, heißt es in einer Eigenwerbung des FC Schalke 04.“
Was ich heute kann besorgen, geht genauso gut auch morgen
Christian Zaschke (SZ 15.4.) schildert den Machtkampf bei 1860 München: „Der Präsident des TSV 1860 München wehrt sich. Karl Auer ließ eine Pressemitteilung verfassen und verschicken. Darin verkündet er: „Es gibt kein Ultimatum. Dieses Wort ist nicht gefallen. Hans Zehetmair wurde zwar so zitiert, er hat es aber nicht gesagt.“ Zehetmair ist Vizepräsident des Vereins, und er hat sich sehr wohl so geäußert, wie er zitiert wurde. Er hat dem Trainer Falko Götz ein Ultimatum gestellt. Entweder der Coach gewinnt am kommenden Samstag das Heimspiel gegen den Hamburger SV, oder er muss gehen. Die Frage ist zum einen, ob Zehetmair mächtig genug ist, dieses Vorhaben bei Bedarf durchzusetzen. Die Frage ist zum anderen, was der Vize mit seiner Attacke gegen den Willen des Präsidenten bezweckt. Es ist davon auszugehen, dass Zehetmair genug hat von der Amtsführung des Präsidenten. Hinter sich weiß er eine Fraktion im Aufsichtsrat, die sich von Auer entfremdet. Dass dieser am Dienstag eine Präsidiumssitzung einberief, an welcher der designierte zweite Vizepräsident Wolfgang Hauner teilnahm, hat die Opposition verprellt – denn Hauner ist noch nicht vom Aufsichtsrat berufen. Ein Aufsichtsratsmitglied hat den Eindruck: „Die koppeln sich ab.“ Dieser Bewegung versucht der ehemalige bayrische Kultusminister Zehetmair entgegenzusteuern. „Er wittert Morgenluft“, heißt es bei der Opposition. Diese sieht Auer als „Manana-Präsidenten“, der nach dem Motto handele: „Was ich heute kann besorgen, geht genauso gut auch morgen.“ Kritisiert wird die Entscheidungsschwäche des Präsidenten, der keine Anstalten macht, den Posten des zweiten Geschäftsführers zu besetzen, den zuvor der noch immer inhaftierte Karl-Heinz Wildmoser junior innehatte. Diese Position ist der Opposition wichtig, weil sich dort die Macht konzentrieren soll. Ohne eine starke Person auf diesem Posten sei der Verein nicht handlungsfähig. Vorbild ist das Modell beim FC Bayern München, bei dem Franz Beckenbauer mit dem Tagesgeschäft nicht viel zu tun hat, es mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge aber eine eminent effektive Exekutive gibt. Karl Auer weiß, dass die Opposition stark ist.“
Ein Verein in dieser Lage braucht Ruhe und keinen Machtkampf
In einem Kommentar von Christian Zaschke (SZ 15.4.) lesen wir dazu: „Hans Zehetmair, Vizepräsident des TSV 1860 München, hat mit seiner Attacke innerhalb des Vereins lange gewartet. Er suchte jenen günstigen Zeitpunkt des Handelns, und die Frage ist, ob er ihn nun gefunden hat. Die fachlichen Argumente der Opposition, auf die Zehetmair sich stützt, sind klar. Es besteht seit dem Rücktritt des ehemaligen Präsidenten Wildmoser ein Machtvakuum im Verein. Mittels einer Strukturveränderung soll dieses gefüllt werden, durch die Installation eines sportlich kompetenten Geschäftsführers. Dagegen wehren sich Präsident Karl Auer und die Angestellten des Vereins, weil sie alle weniger Macht hätten, manche müssten wohl gehen. Durch eine solche Strukturveränderung soll der Klub handlungsfähig werden, wie die Opposition argumentiert. Zugleich ist zu sehen: Der TSV 1860 steckt im Abstiegskampf, die Mannschaft leidet unter einer Formkrise, Abwehrspieler verletzen sich, die Konkurrenz gewinnt, der Abstand zum 16. Platz schrumpft. Ein Verein in dieser Lage braucht Ruhe und keinen Machtkampf, der den Klub zu spalten droht. Der von Zehetmair gewählte Zeitpunkt des Handelns entspringt eher der Verzweiflung.“
Es reicht nicht mehr, 1:0 in Burghausen zu gewinnen
Moritz Küpper (FR 15.4.) erläutert die Perspektive des 1. FC Köln: „Die Blicke am Geißbockheim gehen nach vorne. Ganz blauäugig ist selbst Overath dabei nicht: „Wer dreimal innerhalb von sechs Jahren absteigt, muss etwas ändern.“ Seine Gedanken hat er sich deswegen schon gemacht: „Falls wir absteigen, müssen wir eine spielstarke Mannschaft aufbauen“, sagt er und sieht darin das Versäumnis der vergangenen Jahre. Aufgestiegen sei der FC wegen seiner Routine und der Effektivität bei Standardsituation. „Jetzt muss man einen Schritt weiterdenken und eine Mannschaft formen, die auch spielerisch in der ersten Liga mithalten kann“, sagt der ehemalige Spielmacher der Nationalmannschaft und gibt damit den Weg vor. „Es reicht nicht mehr, 1:0 in Burghausen zu gewinnen.“ Mit dieser Sichtweise steht Overath nicht alleine da. Schon vor und während der Saison hat Manager Andreas Rettig die Mannschaft umgebaut und junge, spielstarke Leute namens Albert Streit und Markus Feulner geholt – und sich dafür viel Kritik anhören müssen. Nicht ganz zu Unrecht, wie der Abstieg zeigt. Den Vorwurf fehlender Risikobereitschaft kann Rettig jedoch nicht nachvollziehen: „Man muss auch über die Saison hinaus planen“, sagt er, „wir sind ein sportliches Risiko eingegangen, aber kein wirtschaftliches.“ Auch die Begründung für diese Vereinspolitik klingt vernünftig: „Wenn das sportliche Risiko sich nicht auszahlt, kann man es reparieren, passiert das beim wirtschaftlichen Risiko, reiht man sich bei St. Pauli, Ulm oder Düsseldorf ein.“ Eine Haltung, die jedoch den in den Erfolgen der Vergangenheit schwelgenden kölschen Anhängern nur schwer zu vermitteln ist. Auch die Lokalpresse attackiert den Manager fast pausenlos, und Rettig gesteht ein, dass Überschriften wie „Rettig statt Rettung“ (Express) nicht spurlos an ihm vorbeigehen: „Die ständigen Vorwürfe zermürben schon“. Dass die sportliche Führung auch Fehler gemacht haben muss, bestreitet der Manager nicht: „Bei nur 20 Punkten aus 28 Spielen hat auch das Management Fehler gemacht“, sagt er, bemüht aber direkt einen Vergleich aus dem Casino: „Ich weigere mich, alles auf rot oder schwarz zu setzen.“ Der Gang in die zweite Liga steht so gut wie fest, doch dank der Planungen des Managers steht der FC nicht vor einem Scherbenhaufen.“
Richard Leipold (Tsp 15.4.) blickt auf den Samstag: “In der einstigen Wachstumsbranche Fußball-Bundesliga galt Borussia Dortmund lange als Gegenspieler des FC Bayern München. Die Westfalen begegneten den Bajuwaren mehr als ein Jahrzehnt lang auf Augenhöhe und wurden auch im europäischen Geschäft zu einem bedeutenden Marktteilnehmer. Fußballspiele der beiden Klubs wurden als Gipfeltreffen annonciert. An diesem Samstag treten die Bayern wieder im Westfalenstadion an. Doch die Koordinaten haben sich sportlich wie wirtschaftlich verschoben. Die Bayern kommen zwar ausnahmsweise nicht als Titelfavorit, aber immer noch als solide finanziertes Schwergewicht der Liga. Der BVB indes ist in Schieflage geraten; wirtschaftlich trennen die beiden Rivalen inzwischen Welten. Allein im ersten Halbjahr erwirtschaftete die Kommanditgesellschaft auf Aktien einen Verlust von knapp 30 Millionen Euro. Die Dortmunder müssen in den nächsten Tagen mit einem Blauen Brief der DFL rechnen. Wenn überhaupt, werden sie das zu erwartende Defizit nur durch beträchtliche Transfererlöse auf ein erträgliches Maß reduzieren können. Die roten Zahlen wirken sich auch auf das Verhältnis zu den Bayern aus. Während die Borussen den Münchnern früher die Marktposition streitig machen wollten, müssen sie in der Not vielleicht sogar ihren begehrtesten Profi an den Rivalen abgeben: Torsten Frings.“
Dienstag, 13. April 2004
Ballschrank
Auslandsfußball
verspielt Real Madrid auch die dritte Titel-Chance? – „Italien träumt vom Fussball-Prinzen“ (NZZ) – FC Porto zwischen Bescheidenheit und Euphorie – „Paternalismus“ belastet kroatischen Ligafußball u.v.m.
Eine Saison, die als die glorreichste der Klubgeschichte vorgesehen war, droht zur Blamage zu werden
Ralf Itzel (BLZ 13.4.) kommentiert die Heimniederlage Real Madrids: “Kurz vor Schluss bekam Real Madrid noch einen Freistoß. Roberto Carlos lief an und traf – den Kollegen Luis Figo. Der fiel gekrümmt zu Boden. Eine typische Szene am Sonntagabend im Bernabeu-Stadion. Doch den meisten Besuchern blieb sie verborgen. Viele der 70 000 hatten längst das Weite gesucht, andere waren damit beschäftigt, Schimpfworte Richtung Präsidentenbalkon zu schicken oder mit weißen Tüchern zu wedeln. Einige interessierten sich nur noch für den Gegner und begleiteten dessen Passstafetten mit „Olé, olé“-Rufen. 0:3 im eigenen Stadion gegen Osasuna, welch eine Schande! Fünf Tage nach dem 1:3 in Monaco war die Partie eigentlich als Versöhnungsfest geplant – und nun wieder ein Debakel. Damit hat die Wundermannschaft nach der Schlappe im Pokalfinale und dem frühen Aus in der Champions League auch die Tabellenführung in der Meisterschaft verspielt. Eine Saison, die eigentlich als die glorreichste der Klubgeschichte vorgesehen war, droht zur Blamage zu werden.“
Die Nation träumt vom Fussball-Prinzen
Peter Hartmann (NZZ 13.4.) befasst sich mit Italiens Sehnsucht: „Es gibt Geburtsdaten, die sind wie ein Stigma, sie können kein Zufall sein. Antonio Cassano, der rebellische römische Ballkünstler, kam am 11. Juli 1982 in Bari zur Welt. Was geschah sonst an jenem Tag? Die Frage kann nur ein Italiener beantworten: Damals wurde Italien in Madrid Fussballweltmeister. Alberto Gilardino, Stürmer der AC Parma, erblickte das Licht der Welt am 5. Juli 1982 in Biella, als Paolo Rossi in Barcelona gegen Brasilien seine legendäre Tripletta schoss. Heute gilt Cassano als das grösste und schwierigste Talent des Calcio. Und Gilardino hat, als zweitbester Torschütze der Serie A hinter Milans Schewtschenko (20 Goals), gerade seine Saisontore 16 und 17 zum 3:1-Sieg über Lecce erzielt. In andern Ländern suchen sie den trällernden Superstar, aber da in Italien jeder und jede singen kann, träumt die Nation vom Fussball-Prinzen. Alle zwei Jahre, wenn die WM oder die Europameisterschaft rufen, wird erwartet, dass er wie eine Sternschnuppe vom Himmel fällt. Wie 1978, als die Squadra Azzurra des pfeifenrauchenden Philosophen Enzo Bearzot an der WM in Argentinien den schönsten Fussball seit Menschengedenken spielte, mit den fabelhaften Entdeckungen Antonio Cabrini und Paolo Rossi, und nur das undankbare Resultat, der vierte Platz, schnell vergessen war. Vier Jahre später wurde die Mannschaft in Spanien Weltmeister, dank Rossis Toren, und wieder hatte Bearzots Wünschelrute im letzten Moment einen jungen Unbekannten aufgespürt: Giuseppe Bergomi, den 18-jährigen Verteidiger mit dem finsteren Blick: Er machte im Final Rummenigge zur Schnecke. Am WM-Turnier 1990 verzauberte Totò Schillaci, ein Nobody aus Palermo, mit seinen Toren und den weit aufgerissenen Augen die römischen Nächte, bis zum verlorenen Halbfinal gegen Argentinien. In zwei Monaten beginnt in Portugal die EM, und würde das Turnier schon morgen lanciert, der Commissario tecnico Giovanni Trapattoni, der 2002 am WM-Turnier in Fernost kläglich an Südkorea gescheitert ist, auch weil er personell nichts wagte, wäre im Dilemma. Wegen einer schwer verunsicherten Abwehr: Nesta (Milan) und Cannavaro (Inter) sind verletzungsanfällig geworden, Legrottaglie hat seine erste Saison bei Juventus völlig verpatzt, Panucci (Roma) ist und bleibt ein unberechenbarer Hitzkopf, und Veteran Maldini (Milan) widersteht allen Rückkehr-Angeboten. Auch der Angriff erweist sich als Sanitätsfall: Der „Rammbock“ Vieri (Inter) scheint in eine frühe Midlife-Crisis gefallen zu sein, die Gelenke seiner Zehnkämpfer-Postur knacken und reissen. Del Piero (Juventus) bereitet gerade sein zweites Comeback nach Muskelschäden vor. Inzaghi (Milan) leidet an einem Identitätsproblem: Der „Grande Egoista“, der nichts kann ausser Tore schiessen, schiesst keine mehr.“
Der FC Porto kann diese Saison zwei wichtige Titel erspielen: Meisterschaft und Champions League. Georg Bucher (NZZ 13.4.) schreibt dazu: „Der Vorsprung auf Sporting beträgt vier Runden vor Ende vier Punkte, fünf, zieht man den direkten Vergleich heran. Sogar sieben wären es, wenn am Dienstag in einem Nachtragsmatch die Auswärts-Hürde beim Tabellenvierten Nacional da Madeira genommen würde. Inselklubs setzen dem Titelhalter traditionell zu. Bereits in der Vorrunde reichte es gegen Maritimo nur glückhaft zu einem Remis. Und erneut verkaufte das mit Brasilianern gespickte Team des Algarvios Manuel Cajuda die Haut teuer, hätte gar durch Alan und Danny, in Führung gehen können. Die Madeirenses ergriffen selber die Initiative, wurden jedoch vom kompakteren, physisch stärkeren Platzklub allmählich unter Druck gesetzt. Marcos und der Holländer van der Gaag mussten Schwerarbeit verrichten; in der spielentscheidenden Szene behinderten sie sich gegenseitig. Mourinho fühlt sich verpflichtet, Meister zu werden, die Champions League komme erst an zweiter Stelle. Was nach Understatement klingt und von den Anhängern auch so begriffen wird. Wann, wenn nicht jetzt, da Milan, Real und Arsenal auf der Strecke geblieben sind, ist die Gelegenheit günstiger, den europäischen „Königstitel“ von 1987 zu wiederholen, sagen die Portistas und begründen ihre Zuversicht mit dem Argument, kein anderer Halbfinalist habe die gleiche internationale Erfahrung und sei so beständig wie der FC Porto, für den auch das ausgeglichene Kader spricht, die Möglichkeit, gleichsam ohne Substanzverlust zu rotieren.“
Paternalismus
Dario Venutti (NZZ 13.4.) schildert die schwierige Lage des kroatischen Ligafußballs mit: „Seit der Unabhängigkeit 1991 war Fussball in Kroatien mit einer Ausnahme stets eine Angelegenheit zwischen Dinamo Zagreb und Hajduk Split. Vor zwei Jahren wurde NK Zagreb Meister, sonst teilten die beiden Grossvereine die Meistertitel unter sich auf. Dies hatte ein Herabsinken des Niveaus zur Folge, was die fehlenden Erfolge kroatischer Vereine im Europacup dokumentieren. Die Zuschauerzahlen bewegen sich überdies unter denjenigen der Schweiz oder Österreichs. Gut gefüllt sind die Stadien lediglich bei den Derbys zwischen Dinamo und Hajduk. Nach Jahren der Dominanz Dinamos scheint der Verein aus der Hauptstadt von Hajduk Split abgelöst zu werden. Die Wende zugunsten von Hajduk Split ist in erster Linie das Werk von Igor Stimac. Der frühere Nationalspieler, der mit dem kroatischen Team an der WM 1998 in Frankreich Dritter wurde, hat als Sportdirektor von Hajduk innert zweier Jahre eine Mannschaft zusammengestellt, die sich durch eine gelungene Mischung aus jungen, talentierten und erfahrenen Spielern auszeichnet. Stimac repräsentiert eine jüngere Garde von Fussball-Funktionären, auf denen aber weiterhin der Schatten der Vergangenheit lastet. Dem Restaurant- und Nachtklubbesitzer wird vorgeworfen, zu Beginn der Jugoslawienkriege zusammen mit anderen Anschläge auf Serben in Split verübt zu haben. – Die Last der Vergangenheit im kroatischen Fussball zeigt sich auch in den Reflexen, die immer dann geäussert werden, wenn sich die Entscheidung über die Titelvergabe zuspitzt. Es gilt als offenes Geheimnis, dass die Dominanz Dinamos von der Mitte bis zum Ende der neunziger Jahre mit staatlicher Unterstützung errichtet worden war. Seit dem Tod des Staatsgründers Tudjman scheinen sich die Kräfteverhältnisse langsam zu verschieben, der Meisterschaftsbetrieb aber hat sich immer noch nicht von seinem negativen Ruf (manipulierte Spiele, gekaufte Schiedsrichter) befreien können. (…) Der Paternalismus im kroatischen Fussball ist mit dem Tode Tudjmans nicht an sein Ende gekommen. Ebenso wie Tudjman will auch der neue Premierminister, Ivo Sanader, sich einen eigenen Klub unterhalten. Weil der Chef der angeblich geläuterten Regierungspartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) aus Split stammt, ist es naheliegend, dass er sich Hajduk für diesen Zweck ausgewählt hat.“
Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen – Zuschauerzahlen NZZ
Montag, 12. April 2004
Ballschrank
Werder mit Glück und weichen Beinen
Werder Bremen besteht den Psychotest“ (FAZ); „Werder mit Glück und weichen Beinen“ (FAS) – „Lauterer Patienten“ (FAZ); „0:6 – und die Lauterer schauen zu“ (FAS) – „auch Erik Gerets kann die Wolfsburger Welt nicht verändern“ (FAZ) – Roy Makaay, das Phänomen (SZ) – „teure Fußballstadien, wirtschaftliche Fallen“ (WamS) u.v.m.
Martin Hägele (NZZ 13.4.) fasst die Tabelle zusammen: „Am Ende jener Woche, in der auf Europas Fussballfeldern eine Revolution stattfand und die Hierarchie in der Königsklasse umgeschrieben werden musste, halten sich in der Bundesliga die bekannten Kräfte souverän an der Macht. Die jüngsten Ergebnisse und ganz besonders die Tabelle bezeugen in der Endphase der Meisterschaft die sportliche Konstanz jener Teams, die sich schon die ganze Saison über in der für die nächsten kontinentalen Wettbewerbe offenen Zone festgesetzt haben. Aus der Drei-Klassen-Gesellschaft, in der im ersten Halbjahr seltsamerweise fast jeder jeden schlagen konnte, haben sich nun zwei große Felder gebildet: Die Mannschaften von Platz 1 bis 7, von Werder Bremen bis Schalke 04, holen ihre Punkte weitaus souveräner als zu Beginn der Runde – falls die Etablierten nicht gerade untereinander antreten müssen; für die Teams von Rang 18 bis 11 hängen die Punkte auf einmal um einiges höher. Das statistische Grenzgebiet zwischen den beiden Lagern bilden die Ensembles von Hamburg, Rostock und Freiburg; man könnte diese Sicherheitszone auch als Niemandsland der Tabelle bezeichnen. (…) Wer es böse mit der Bundesliga meint, könnte auch behaupten, dass der Kampf um die Top-Positionen sechs Spieltage vor Schluss von den Medien eher künstlich am Leben erhalten wird. Zu klar scheinen die Abstände zwischen den designierten Meistern aus Bremen, Champions-League Aspirant FC Bayern und dem VfB Stuttgart, der die Teilnahme an der Qualifikation zum europäischen Jetset noch gegen die um weitere fünf Punkte abgeschlagene Elf des Bayer-Konzerns verteidigen muss. Die Sehnsucht, dass im Finish noch ein Wunder passiert, ist offenbar tief in den Seelen der Fans verwurzelt. Denn nicht nur die vermeintlichen Meisterschafts-Partys im Weserstadion sind bis auf den letzten Platz gebucht; auch das Münchner Olympiastadion und das Gottlieb-Daimler-Stadion melden stolz ein ausverkauftes Haus. Die mit Abstand spannendste Geschichte spielt allerdings in den Arenen entlang der Bundesstrasse 1: Wer schafft es in den Uefa-Cup – der VfL Bochum, Borussia Dortmund oder Schalke 04? Und in diesem Ruhrpott-Wettbewerb geht es nicht nur um die Emotionen, die in dieser Region beim Fussball höher als im Rest der Republik schlagen.“
Eintracht Frankfurt – Werder Bremen 0:1
Machtwechsel
1Ralf Wiegand (SZ 13.4.) erkennt eine veränderte Hierarchie in der Bremer Mannschaft: „Der selbstbewusst ausgeführte Strafstoß bestätigte einen Machtwechsel im Team, der sich schon länger angedeutet hatte. Bisher galt Johan Micoud unbestritten als das Gehirn des Tabellenführers, doch der Job für den schwierigen Franzosen im Zentrum der Werder-Raute ist härter geworden. „In der hinrunde hatte niemand mit uns gerechnet“, sagt Valérien Ismaël, da heben die staunenden Gegner Werder spielen lassen. Johan Micoud formte das heißblütige Spiel wie ein Glasbläser sein glühendes Mineralgemisch zu Sammlerstücken der Fußballkunst. Doch inzwischen müssen sich die Bremer durch von Woche zu Woche massivere Abwehrbollwerke kämpfen, in denen nur noch Stacheldraht und Wassergraben fehlen. Micouds Geistesblitze schlagen seltener ein, zudem wirkt der anspruchsvolle Stratege schnell genervt von zu viel widerstand. Fallen aber die Offensiv-Kapriolen aus, wächst der Druck auf die Deckung. Und dort steht eben Ismaël. Wenn Micoud das Gehirn und Ailton die Seele des Bremer Spiels sind, dann ist Ismaël das Herz der Werderaner.
Das Glück, das man braucht, um deutscher Meister zu werden
Jörg Hahn (FAZ 13.4.) kommentiert die bedeutendste Szene des Spieltags – den Elfmeterpfiff für Werder Bremen: „Wann eigentlich hat man sich Glück verdient? Wenn man tüchtig ist, stets pünktlich und beflissen zur Stelle? Oder wenn man eher mal zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort auftaucht? (…) Hätte der Werder-Stürmer Valdez nicht versucht, zum Tor der Frankfurter vorzudringen und statt dessen einen mutlosen Querpaß gespielt, es wäre nicht viel passiert. So aber kam ihm im kritischen Bereich der Frankfurter Schur in die Quere. Schur zog erst in dem Moment die Hände erschreckt zurück, als er unmittelbar vor sich die Strafraumbegrenzung sah. Zu spät – Jansen hatte sich in diesem Moment schon für den spielentscheidenden Bremer Foulelfmeter entschieden. Es gibt keinen Anlaß für Verschwörungstheorien gegen Titelverteidiger Bayern München. Referee Jansen hat bloß nach Augenschein geurteilt. Und Schur – ein Pechvogel? Ach wo. Dumm gelaufen. Wenn schon, dann hätte er den Bremer energischer und früher aufhalten müssen. Daß der Frankfurter Trainer Reimann ausgerechnet in diesen schwierigen Wochen des Abstiegskampfs wegen seiner Platzsperre hoch oben auf der Tribüne sitzen muß, ist – nein, Pech ist es nicht. Das Glück, das man braucht, um deutscher Meister zu werden – so haben sie in München den aus Bayern-Sicht natürlich völlig unberechtigten Bremer Strafstoßtreffer von Ismael kommentiert. Die Bayern müssen ja wissen, wovon sie reden, könnte man entgegenhalten. Wie oft schließlich haben die Bayern schon Fortüne gehabt, sogar in letzter und in allerletzter Minute? Man frage nach in Leverkusen und in Gelsenkirchen. Eine nicht geringe Zahl von Fußballanhängern hätte wohl spontan eine Antwort auf die Frage, was sie für wirklich unverdientes Glück hielten: Wenn nämlich die Bayern auch nach dieser Bundesligaspielzeit wieder triumphierten.“
Zwei Tage zuvor sah Jörg Hahn (FAS 13.4.) die Sache anders: „Es ist gerade noch mal gutgegangen, Werder hat den Vorsprung vor den Bayern gehalten, weil Valdez kurz vor Schluß an der Strafraumgrenze die Chance sah, einen Körperkontakt mit dem Frankfurter Schur zu einem unwürdigen Schauspiel auszunutzen. Schon ein Beschiß, dieser Elfmeter. Um das so zu sehen, muß man nicht mal Bayern-Fan oder Eintracht-Anhänger sein.“
Bremens Mannschaft bewies wieder einmal, daß sie sich auch aus brenzligen Situationen nervenstark befreien kann
Michael Ashelm (FAZ 13.4.) hält den Bremer Sieg für eine Vorentscheidung im Titelkampf: „Daß hinter den Kulissen mit Hochdruck an der Organisation von zwei großen Jubelfeiern gearbeitet wird, will einem öffentlich niemand vom Verein bestätigen. Doch die Kernfrage, ob der Tabellenführer der Bundesliga aus Bremen so kurz vor dem Zieleinlauf dem steigenden Erfolgsdruck wirklich gewachsen sei, beantworten die Hauptbeteiligten inzwischen mit einem immer größeren Selbstbewußtsein. Selbst Werder-Manager Klaus Allofs, eigentlich mehr für seine Zurückhaltung bekannt, will nicht mehr um den heißen Brei herumreden. Mit kämpferischem Elan verbreitete er am Osterwochenende Parolen wie: „Wir sind voll im Soll. Ich denke, das sollte reichen.“ Mag sein, daß erst die zuletzt spürbaren Sticheleien aus dem tiefen Fußballsüden der Republik die kühlen Nordlichter aus der Reserve gelockt haben. Schließlich will man sich nicht vom großen Verfolger FC Bayern München sagen lassen, die eigene Arbeit sei zuletzt vor allem auf „Glück“ gebaut gewesen. Und so entgegnete Allofs auch allen Kritikern ganz lässig: „Solche Spiele gehören zu einer Meistersaison.“ Je näher die Entscheidung rückt, desto mehr spricht dafür, daß die Bremer allen psychologischen Spielchen zum Trotz das Titelrennen am Ende für sich entscheiden können. Mit dem späten Sieg von Frankfurt blieb die Mannschaft nun zum 19. Mal nacheinander in der Liga ungeschlagen und bewies wieder einmal, daß sie sich auch aus brenzligen Situationen nervenstark befreien kann.“
Bayern München – Schalke 04 2:1
René Hofmann (SZ 13.4.) staunt über Roy Makaay: „Was das Phänomen zum Phänomen macht? „Ich habe noch keinen gesehen, der so wenige Chancen braucht“, sagt Oliver Kahn: „Man hat das Gefühl, der weiß nicht, was Druck ist.“ Dabei hätte gerade Roy Makaay allen Grund dazu. 18,75 Millionen Euro Ablöse wecken besondere Erwartungen, und wie schnell sich diese in eine Last verwandeln können, hat er in München auch schon erlebt. Nach dem glanzlosen Saisonstart bestimmte sein Name schon einmal die Schlagzeilen. Neben Worten wie „System-Problem“ und „FC Makaay“. In den ersten fünf Spielen glückte ihm kein Treffer. Die in München gepflegten Kurzpässe kamen selten an beim Niederländer. Der wünschte sich lange Bälle zum Hinterherlaufen. Die Bayern und Makaay – das sah schon nach einem teuren Missverständnis aus. Inzwischen ist daraus aber tatsächlich so etwas wie der FC Makaay geworden. Der Stürmer hat sich mit der Art arrangiert, wie ihm seine Mitspieler den Ball zukommen lassen, und die wiederum haben erkannt: Der einfachste Weg zum Erfolg führt über Makaay. Auf 22 Treffer kam seit Karl-Heinz Rummenigge vor zwanzig Jahren kein Bayern-Spieler mehr. Mit seiner kühlen Zielstrebigkeit und seiner scheinbar gottgegebenen Fortune verkörpert er die klassischen Bayern-Tugenden wie derzeit kein anderer.“
Wer ist im Moment die zweite oder dritte Kraft?
WamS-Interview mit Jupp Heynckes
WamS: Herr Heynckes, bei Ihrer Vorstellung in Schalke zu Saisonbeginn sagten Sie: „Ich, der fast alles gewonnen hat im Fußball, verzichte auf gar nichts.“ Es muss Ihnen sehr missfallen, dass Ihr Klub nur mühsam den Anschluss an die Uefa-Pokal-Ränge geschafft hat.
JH: Der Manager und ich waren uns von Anfang an darüber im Klaren, dass sich der Erfolg nicht von heute auf morgen einstellen wird. Also war es notwendig, Geduld aufzubringen. Dass wir nun dort sind, wo wir eigentlich auch auf Dauer verweilen wollen, ist ein Produkt intensiver Arbeit, die wir hier machen. Alle haben sich bemüht, ein Team zu werden. Jeder hat Achtung vor dem anderen und sieht ihm auch mal etwas nach. Das ist ein Geheimnis, warum es jetzt so hervorragend läuft.
WamS: Nun glauben viele, dass Schalke in der kommenden Saison den ganz großen Angriff plant, nicht zuletzt auf Grund Ihrer spektakulären Einkäufe.
JH: Eines ist klar: mit Ailton, Krstajic und Bordon, die schon verpflichtet wurden, und den Einkäufen, die wir noch planen, wird die Mannschaft substanziell stark verbessert und viel wettbewerbsfähiger sein. Das heißt, wir werden von Anfang an um einen Uefa-Cup-Platz spielen, vielleicht sogar um einen Champions-League-Platz.
WamS: Aber Erfolg ist nicht käuflich – wie Real Madrid jüngst durch das Aus in der Champions League bewiesen hat.
JH: Ich weiß, dass man keine Mannschaft zusammenkaufen kann. Aber ich weiß auch, dass ich eine Mannschaft sinnvoll zusammenstellen kann. Wir verpflichten ja seit Monaten nicht willkürlich Spieler, sondern denken uns etwas dabei. Zudem bastle ich mehr und mehr junge Spieler als Komplement dazu. Das müssen wir weiter so vorantreiben, damit man so schnell wie möglich wieder mit großem Respekt von Schalke 04 spricht.
WamS: Viele Bundesligisten streben danach, dem FC Bayern München auf Dauer Paroli bieten zu können. Schalke auch?
JH: Rudi Assauer spricht ja immer davon, die dritte Macht in der Liga zu sein. Aber dann müssen wir uns doch erst mal fragen: Wer ist im Moment die zweite oder dritte Kraft?
WamS: Wie lautet Ihre Antwort?
JH: Ich weiß nicht, ob Bremen zum Beispiel im nächsten Jahr noch mal so dominant sein wird, wenn sie neben der Liga und dem Pokal auch in der Champions League spielen. Man muss sehen, wie sich Stuttgart weiter entwickelt und vor allem Dortmund, das ja Spieler abgeben muss, wie es heißt.
WamS: Also wird Schalke die zweite Macht.
JH: Wir müssen realistisch bleiben. Andere Klubs sind uns in der Gestaltung ihrer Teams voraus. Da sind wir gerade dabei, das aufzuholen. Wenn wir ein ähnlich strukturiertes Team haben, können wir auch Ambitionen hegen, Meister zu werden.
SC Freiburg – VfB Stuttgart 0:1
Stillstand mit Yakin
Roland Zorn (FAZ 13.4.) schildert eine riskante Stuttgarter Auswechslung: „Der Mann, der sein Spiel aus erster Hand entwirft, hätte sich fast verzockt. Felix Magath wechselte zur Pause den hinter den Spitzen wirbelnden Weißrussen Aliaksandr Hleb gegen den behäbigen Schweizer Hakan Yakin aus – und gefährdete damit den Erfolg des VfB Stuttgart. Stillstand mit Yakin, so hatte sich der Teammanager des VfB die Konsequenz seines wichtigsten Personaltauschs in diesem Ostersonntagsduell der Fußball-Bundesliga nicht vorgestellt. „Ich hatte mir von Hakan mehr Entlastung erhofft“, gestand der Stratege Magath, nachdem alles gutgegangen war und der vor dem Wechsel hoch überlegene VfB dem Dauerdruck der Freiburger in der zweiten Halbzeit standgehalten hatte. Yakin, der in der Winterpause als Spielmacher und Star des FC Basel zum VfB kam und dort bisher nur ein Mitläufer ist, wird, positiv gedacht, noch einige Zeit brauchen, um im Stuttgarter Tempofußball, personifiziert durch den motorischen Hleb, eine Schlüsselrolle übernehmen zu können. „Er ist auf die Unterstützung seiner Mitspieler angewiesen“, nahm Magath den beim VfB noch heimatlos anmutenden schweizerischen Nationalspieler in Schutz, „denn seine Position ist die schwierigste.“ Der am Ende wacklige Sieg im baden-württembergischen Derby hat die Stuttgarter in ihrer saisonalen Zielsetzung bestärkt: „Wir wollen Zweiter werden“, fordert Magath den nächsten Schritt nach vorn, der angesichts von fünf Punkten Rückstand gegenüber dem FC Bayern München nicht allzu leicht fallen dürfte. Doch der Stuttgarter Trainer und Manager pokert gern hoch – mit Erfolg, wie er in Freiburg bewies.“
Bayer Leverkusen – 1. FC Kaiserslautern 6:0
Die Willenlosigkeit des einst wegen Kampfgeist gefürchteten 1. FC Kaiserslautern
Peter Heß (FAZ 13.4.) sorgt sich um Kaiserslautern: “Auf der Internet-Fanseite „Der Betze brennt“ mündete der Schock des Erlebnisses in eine einzige Frage: „Wollt ihr uns verarschen?“ Was die Fußballprofis des 1. FC Kaiserslautern ihren Anhängern zumuteten, nährte diese Vermutung – mit herkömmlichen Erklärungen war dem Phänomen jedenfalls kaum beizukommen. 0:6 ergaben sich die Pfälzer. „Zum ersten Mal in meinem Leben als Spieler und Trainer war ich froh, daß ein Fußballspiel vorüber war“, sagte der Lauterer Trainer Kurt Jara und fügte an: „Das will bei einem Fußball-Enthusiasten wie mir eine Menge heißen.“ (…) Die Willenlosigkeit des einst wegen des Kampfgeistes gefürchteten 1. FC Kaiserslautern kommt indes nicht ganz überraschend. An der Mannschaft wurde so lange herumgedoktert, bis fast alle Spieler zu Patienten geworden sind. Über vierzig Profis standen in den vergangenen anderthalb Jahren im Bundesligakader des FCK, ständig rotierten die Besetzungen, zur Einheit konnte die Spielergemeinschaft nie zusammenwachsen. Dabei hatte die sportliche Führung das Pech, den falschen Führungsspielern zu vertrauen. Durch Verletzungen, Formschwäche oder eine Mischung aus beidem diskreditierten sich Ciriaco Sforza, Steffen Freund, Thomas Hengen, Hany Ramzy, Lincoln, Aleksandar Knavs und Marian Hristow. Kurskorrekturen – Freund, Hengen und Lincoln haben den Verein längst verlassen wie Gabriel, Ratinho und Anfang – brachten auch nicht die nötige Ruhe. Zumal die verbliebenen Persönlichkeiten wie Hristow und Knavs derzeit so sehr mit sich selbst kämpfen, daß sie ihren Kollegen keine Stütze sein können. Sforza wird nach dem zweiten Achillessehnenabriß innerhalb eines Jahres in dieser Saison nicht mehr spielen, was allerdings einige am Betzenberg schon nicht mehr als Schwächung empfinden Um so mehr wird Miroslav Klose vermißt. Seit der Nationalspieler verletzt ist, fehlt die letzte Integrationsfigur. Der 1. FC Kaiserslautern darf der Atmosphäre auf dem Betzenberg vertrauen. Vier Heimspiele haben die Pfälzer noch, und mit den fanatischen Zuschauern im Rücken wird sich kaum einer trauen, eine ähnlich teilnahmslose Leistung abzuliefern wie in der BayArena. „Heute hatte niemand Bundesligaformat“, sagte Jara wenige Minuten nach dem Abpfiff. In Kaiserslautern ist wenigstens das Publikum erstklassig.“
Hamburger SV – Borussia Dortmund 0:2
Torsten Frings, Synonym für den Aufschwung
Hans Trens (FAZ 13.4.) erkennt den Unterschied zwischen beiden Teams: „“. . . schießt Geld hier keine Tore!“ So heißt es in der HSV-Hymne, die sie vor Spielbeginn in der AOL-Arena immer anstimmen. Was Lotto-King Karl, eine Art Volksheld im alten Volkspark, in seiner Schnulze „Hamburg meine Perle“ behauptet, entspricht nicht immer der Wahrheit. Diese bittere Erkenntnis vermittelte den sangeslustigen Anhängern des Hamburger SV der Ostersamstag, als sich zwei Spieler aus dem Starensemble der Dortmunder Borussia die Tore teilten, die nicht gerade als „Billigheimer“ gelten: Torsten Frings, deutscher Nationalspieler, und Jan Koller, Internationaler aus Tschechien, machten den Unterschied aus und rückten die Maßstäbe zurecht. Der schwarz-gelbe Kosmos, für manche wegen der finanziellen Kalamitäten des BVB nur noch eine Scheinwelt, scheint wieder in Ordnung zu sein. Weitermachen – so lautet nun die Devise der Dortmunder, deren Sportdirektor zwar über die neu gewonnene Stärke frohlockt, gleichzeitig jedoch vor den Gefahren der Selbstgenügsamkeit warnt. „Wir dürfen uns jetzt nicht schon wieder schnell zufriedengeben“, sagt Michael Zorc. Übersetzt bedeutet dies, daß die Elf nun in der Pflicht steht. Dem Gastspiel der Bayern fiebert Zorc jedenfalls entgegen. „Im Hinspiel“, sagt er, „waren wir nicht auf Augenhöhe mit den Münchnern. Das wird nun anders sein.“ Daß dies so ist, dafür steht ein Name: Torsten Frings, Synonym für den Aufschwung. (…) Zu Hause bislang eine Macht, zuvor in elf Heimspielen unbesiegt, verspielten die Hanseaten, deren Bilanz in der Fremde chronisch defizitär ausfällt, auch noch diesen Nimbus. „Wir hatten keine echte Chance“, gab ein frustrierter Nico Jan Hoogma zu. Für die Verfehlungen der Mitspieler sollte der vorbildliche Kapitän hinterher büßen. Eine Hand voll jener Zeitgenossen, die sich Fans nennen, aber eher dem Potential gewaltbereiter Verirrter zugerechnet werden müssen, jagte den Holländer vor der Arena und versuchte ihn tätlich anzugreifen, ehe der Ordnungsdienst zum Glück einschritt. Diese Tat der Hooligans mag verdeutlichen, wie die Stimmung in der Hansestadt ist.“
VfL Bochum – 1860 München 4:0
Wir sind davon überzeugt, daß wir mit diesem Trainer den Nichtabstieg vermeiden
Richard Leipold (FAZ 13.4.) beantwortet die Münchner Trainerfrage und verdeutlicht die Fußfalle der doppelten Verneinung: “Karl Auer war nicht bereit, Trainer Falko Götz die (Haupt-)Schuld an der Blamage zu geben. Wenn Auer die Gegner des Trainers in den Klubgremien weiter in Schach hält, bekommt Götz noch eine Chance. „Er wird mit Sicherheit auch in der kommenden Partie unser Trainer sein.“ Die Münchner erwarten an diesem Samstag den auswärts überaus schwachen Hamburger SV. Für Götz könnte diese Partie zu einem vorweggenommenen Endspiel werden, auch wenn Auer von einem Ultimatum nichts wissen will. „Zu sagen, er hat noch ein oder zwei Spiele, bringt doch nichts.“ Wenn die Sechziger nicht beherzter und zielstrebiger zu Werke gehen als in Bochum, hat der ganze Klub in der Bundesliga vielleicht nur noch sechs Spiele. Die Münchner besitzen nur noch zwei Punkte Vorsprung auf den Tabellensechzehnten Hertha BSC Berlin. Während der rhetorisch auf kleiner Flamme kochende Auer sich um Führungsstärke bemühte, paßten die leitenden Angestellten sich bei ihrer verbalen Abwehrarbeit dem niedrigen Niveau an, das die Herren Profis auf dem Rasen des Ruhrstadions gezeigt hatten. Sportdirektor Dirk Dufner versuchte, ein Bekenntnis zu Götz abzulegen, sagte im Wortlaut aber das Gegenteil dessen, was er offenbar gemeint hat. „Wir sind davon überzeugt, daß wir mit diesem Trainer den Nichtabstieg vermeiden.“ Der Fußball-Lehrer, in München mit großen Ambitionen gestartet, wirkte bei seiner merkwürdigen Deutung einer eindeutig erbärmlichen Leistung auch nicht überzeugender. Götz will gesehen haben, daß seine Mannschaft „in der zweiten Halbzeit alles probiert hat“. Wenn das wirklich „alles“ war, ist die Lage der Löwen noch düsterer, als die Tabelle vermuten lässt.“
Niemand hat sich hinter Götz gestellt, weil da kein Platz mehr ist
Christian Zaschke (SZ: 13.4.) fürchtet einen Münchner Trainerwechsel: „Götz gab eine außerplanmäßige Pressekonferenz. Er betrat den Raum zusammen mit Sportdirektor Dirk Dufner. Götz sprach ein wenig über das 0:4, er sagte das Übliche: die Mannschaft zeige zu wenig Konstanz, sie bringe sich durch individuelle Fehler um die Punkte. Götz wiederholt diese Sätze seit einigen Wochen, sie sind zur Melodie der Münchner Krise geworden. (…) Die Offiziellen haben sich abgesprochen und stellen sich demonstrativ hinter Götz. Für einen Trainer kann das zweierlei bedeuten: Entweder halten ihm die Bosse den Rücken frei, oder sie bringen sich in eine Position, von der aus sie ihm den entscheidenden Schubs geben können. Vermutlich ahnt Götz, dass sich in Wahrheit niemand hinter ihn gestellt hat, weil da kein Platz mehr ist. Er steht schon mit dem Rücken zur Wand.“
Hansa Rostock – Borussia Mönchengladbach 1:2
Juri Schlünz, zum ersten Mal ein schlechter Verlierer
Matthias Wolf (BLZ 13.4.) freut sich über Holger Fachs Bescheidenheit und ärgert sich über Juri Schlünz’ Gram: „Ihre Rufe waren so laut, dass sie noch in den Tiefen des Ostseestadions zu hören waren. „Wir wollen den Trainer sehen!“, riefen die Fans von Borussia Mönchengladbach immer wieder. Erst um 17.37 Uhr stahl sich Holger Fach aus der Kabine. So klammheimlich, dass keine Fernsehkamera die rührende Szene einfing, wie der drahtige Mann mit dem schwarz-grünen Schlips verstohlen Richtung Fankurve winkte und dann der Aufforderung folgte, er möge näher kommen. „Ich nehme mich nicht so wichtig, dass ich mich feiern lassen will“, sagte er, als er vor dem Block die Welle gemacht hatte: „Ich habe das nur für die Menschen getan, die diese Strapazen auf sich genommen haben.“ Die weite Anreise hatte sich gelohnt. Das 2:1 bedeutete den ersten Auswärtssieg für die Borussia in diesem Jahr. „Ich bin hundertprozentig sicher, dass wir die Klasse halten“, sagte prompt Fach. Neben ihm saß Juri Schlünz und brummelte: „Wie mein Kollege bin ich auch hundertprozentig sicher, dass wir drin bleiben.“ Es klang ein wenig trotzig, so wie Schlünz das betonte. Der Rostocker Trainer war übel gelaunt nach der schlechtesten Darbietung seines Ensembles in seiner Amtszeit. Ob seine Profis, die monatelang auf hohem Niveau gespielt hatten, unter Kräfteverschleiß leiden? „Wenn das hier 1:1 ausgeht, dann werde ich so einen Quatsch nicht gefragt“, fauchte Schlünz: „Das spielt sich alles im Kopf ab.“ Hat so mancher womöglich schon zu intensiv vom UI-Cup geträumt? „Das ist Kokolores. Wir haben intern nie vom Europacup gesprochen, das ist eine Erfindung der Medien“, sagte Schlünz: „Und jetzt, wo wir verlieren, wird es gegen uns verwendet.“ Zum ersten Mal wurde in dieser Saison deutlich, was der ehrgeizige Cheftrainer-Novize auch sein kann: ein überaus schlechter Verlierer.“
In der FAZ (13.4.) lesen wir: „Fach wurde wie vor dem Spiel die Rostocker danach auf angebliche UI-Cup-Chancen für Mönchengladbach angesprochen. „Wievielter muß man denn da werden?“ hat er geantwortet. Die Ahnungslosigkeit schien nicht gespielt: „Ich weiß das nämlich nicht, weil ich kein Mensch bin, der den dritten Schritt vor dem zweiten und ersten macht.““
Hertha BSC Berlin – VfL Wolfsburg 1:0
Vorgänger-Bashing
Christof Kneer (BLZ 13.4.) hält den VfL Wolfsburg für den „trendigsten Verein der Liga“: “Man kennt sich langsam nicht mehr aus in der Liga. Man gewöhnt sich erst langsam daran, dass Gerets nicht mehr den FCK unterweist, sondern den VfL, während der FCK jetzt auf das Kommando von Kurt Jara hört, den man eben noch beim HSV wähnte, während Ewald Lienen in Hannover angestellt ist, wo man ihn auch nicht erwartet hätte. Es ist der Trend dieser Tage, dass die Liga sich aus sich selbst erneuert, und vielleicht mag es die Wolfsburger trösten, dass nun ausgerechnet sie zur trendigsten Elf der Nation geworden sind. In Wolfsburg lässt sich im Kleinen ablesen, wie die Liga in dieser Saison tickt: Man stellt erstens eine Mannschaft zusammen, die sich gut anhört, aber überhaupt nicht zusammenpasst. Hierauf entlässt man zweitens den Trainer (in diesem Fall Jürgen Röber) und holt sich drittens einen Neuen vom Karussell (Gerets), der viertens gleich weiter verliert, eben weil die neue Mannschaft hemmungslos fehlgeplant ist (siehe erstens). Und dann, fünftens, beschuldigt man den Vorgänger. Der Trend zum Vorgänger-Bashing ist nicht ganz neu, aber nirgendwo haben sie ihn so listig angezettelt wie beim VfL. Man hat Wolfsburgs Verantwortliche fast bewundern müssen für ihre rhetorischen Künste. Sie haben es geschafft, sämtliche Verantwortung Jürgen Röber zuzuschanzen, ohne „Röber“ zu sagen. „Unsere Organisation auf dem Feld war nicht schlecht, im Vergleich zu dem, was ich auf alten Videos gesehen habe“, brummte Gerets. „Beim Trainerwechsel ging es um grundsätzliche Dinge“, flankierte Manager Peter Pander, „es ging darum, wie die Elf spielen soll. Wir haben zuletzt mit wechselnden Grundordnungen gespielt, und die Mannschaft fängt jetzt im Training wieder mit dem ABC an.““
Christian Ewers (FAZ 13.4.) schaut Erik Gerets aufs Maul: “Der Bart war noch immer graumeliert, die Stimme noch immer kratzig, und über den kleinen Kugelbauch spannte sich wie gewohnt eine rote Trainingsjacke. Es wäre keine Überraschung gewesen, hätte Erik Gerets jetzt ein paar Worte über den 1. FC Kaiserslautern verloren. Denn nicht nur wegen seiner teufelsroten Ballonseidenmode trat Gerets wie ein Pfälzer Cheftrainer auf, er redete auch so. Der 49 Jahre alte Belgier sprach wieder über den Abstiegskampf, den Glauben an das Potential der Mannschaft und sein Ziel, „Freude am Fußball zu vermitteln“. Dieselben Worte hatte Gerets gewählt, als er noch vor einigen Wochen den 1. FC Kaiserslautern betreute. Am Samstag jedoch sprach der Fußballehrer über den VfL Wolfsburg, sein neuestes Sanierungsprojekt. Das Fazit des ersten Arbeitstages auf der Trainerbank fiel bescheiden aus. „Man kann die Welt nicht an einem Tag verändern“, brummte Gerets, „wir haben einen weiten Weg vor uns.“ Niemand anders als Hans Meyer, Trainer der siegreichen Hertha, hätte Gerets in seinem Kummer besser nachfühlen können. Meyer arbeitet seit vier Monaten in der Hauptstadt, und noch immer ist es ihm nicht gelungen, die kleine Berliner Welt nachhaltig zu verändern. (…) Die Wolfsburger stecken selbst noch in einer Orientierungs- und Selbstfindungsphase. Nach der Entlassung von Trainer Jürgen Röber und der Berufung von Gerets fehlt dem VfL ein echtes Profil: Rudimente gnadenlosen Offensivspiels und laxer Abwehrarbeit aus der Ära Röber waren ebenso zu erkennen wie erste Züge einer neuen Liebe zur Ordnung, die Gerets seit einigen Tagen predigt. „Wir wissen jetzt ungefähr, was die Philosophie des Trainers ist“, sagte Kapitän Stefan Schnoor nach dem Schlußpfiff, „aber wir spielen noch nicht so. Wir brauchen noch ein wenig Zeit.“ Ob die dem VfL Wolfsburg gegönnt wird?“
André Görke (Tsp 13.4.) lobt die über ihren Schatten springenden Berliner Fans: „Ruth Moschner ist die Moderatorin der fünften „Big-Brother“-Staffel und war mal Fan von Bayer Leverkusen. Am Samstag trug sie ein Trikot von Hertha BSC und durfte in der Halbzeit auf den Rasen des Olympiastadions laufen. „Hey, Ruth, wie findest du heute unsere Fans?“, fragte der Stadionsprecher voller Erwartung, doch er wurde von Ruth Moschner enttäuscht: „Wie immer ’ne geile Stimmung!“ Spätestens in diesem Moment wusste jeder, dass Frau Moschner noch nie im Olympiastadion gewesen sein kann. Denn „geil“ war die Stimmung der Hertha-Fans in dieser Saison erst einmal – nämlich am vergangenen Wochenende. Nach dem 1:0-Sieg gegen den VfL Wolfsburg sagte Herthas Trainer Hans Meyer, dass „wirklich ein Funken auf die Mannschaft übergesprungen ist. Die Zuschauer waren heute einfach fabelhaft.“ Von der ersten Minute an sangen die Fans, nicht nur in der Ostkurve, sondern auch im Oberring. Und in den letzten Minuten des Spiels standen die Zuschauer sogar in den eher neutralen Blöcken am Marathontor auf und klatschten in die Hände. „So geht Abstiegskampf“, sagte Herthas Stürmer Fredi Bobic später; was er meinte: Die Zuschauer haben das erste Mal der Mannschaft geholfen. Herthas Fans haben in der Liga einen sehr schlechten Ruf. „Schönwetterfans!“, schimpfen Anhänger anderer Vereine. Die Berliner gelten als großmäulig, unkreativ und nicht unbedingt treu in ihrer Liebe zu Hertha. Ein gutes Beispiel sind die vergangenen Wochen, in denen sich die Mannschaft mühte, aber verunsichert war, und die Fans dennoch immer sehr schnell pfiffen. Die Berliner Spieler waren schon froh, wenn die Fans auf der Tribüne einfach nur schwiegen. Am Wochenende war vieles anders.“
Hannover 96 – 1. FC Köln 1:0
Christoph Biermann (SZ 13.4.) trauert um Köln: “”Niemals geht man so ganz”, heißt es im berühmtesten Schlager der Kölnerin Trude Herr, die damit auch den 1. FC gemeint haben könnte. Der erste Klub vom Rhein steht zwar vor seinem dritten Abstieg, wird aber in unseren Herzen seinen festen Platz behalten. Wir werden den 1. FC Köln vermissen. Vor allem sein schönes Stadion in Müngersdorf, das von einem Publikum bevölkert wird, dessen Begeisterung offensichtlich umgekehrt proportional zu den sportlichen Leistungen ist. (…) Schön wäre es, wenn uns Wolfgang Overath und die Seinen fortan nicht mehr mit Dirk Lottner behelligen würden. Nach gefühlt zehn Jahren der Diskussion um den Mittelfeldstrategen mit den schweren Schritten und den leichten Steilpässen, sollte Lottner zum Ehrenkapitän, Fanbeauftragten oder/und Brauchtumspfleger ernannt werden. So kölsch Lottner auch sein mag, das ewige Abwägen zwischen der Kürze seiner Laufwege und der Kunst seiner Fernschüsse und Anspiele in die Tiefe machte zuletzt nur noch müde.“
Bislang greifen die Maßnahmen des neuen Trainers
Sacha Zettler (FAZ 13.4.) analysiert die Kommunikation Ewald Lienens: „Starkult war Ewald Lienen schon zu seiner aktiven Zeit fremd. Bei einem Fantalk am Gründonnerstag hatte Hannovers Trainer erneuert, was er davon hält, wenn sich zuviel um eine Person dreht. „Der Osterhase soll nicht so viel erzählen, sondern einfach Tore machen.“ Der Ostergruß richtete sich an Thomas Brdaric. Und der Ostergruß kam an. Teilweise. Denn Brdaric traf wieder, bringt 96 damit auf die Zielgerade Richtung Klassenverbleib. Nur erzählt hat er danach wieder. Von seinem Tor und von der Nationalmannschaft. Wie schon eine Woche zuvor in München, wo Lienen „die persönliche Pressekonferenz vom Thomas“ ziemlich unwirsch beendet hat. Doch was bleibt Brdaric anderes übrig? Deutschstämmige und treffsichere Stürmer sind rar gesät in der Bundesliga. Und was kann die 29 Jahre alte Leihgabe aus Leverkusen dafür, daß sie nach dem Spiel von den Journalisten enger bewacht wird als von den gegnerischen Abwehrspielern in den neunzig Minuten zuvor? Also antwortet er in einer Mischung aus vornehmer Zurückhaltung und unterschwelliger Bitte nach Beachtung. „Ich buche immer Last-Minute, habe also noch keinen Sommerurlaub gebucht“, sagt er auf die Frage nach seinen Europameisterschaftsplänen und grinst verschmitzt. Und seine Ziele? „Der Klassenerhalt mit Hannover.“ Na klar, aber dann? „Auflegen werde ich nicht, wenn der Rudi anruft.“ Ob der Rudi anruft? (…) Bislang greifen die Maßnahmen des neuen Trainers. Das Spiel am Ostersonntag war ein Spiegelbild der bisherigen Auftritte unter dem Rangnick-Nachfolger: 96 spielte wieder alles andere als attraktiv, aber die Schießbude blieb wiederum geschlossen. Vier Gegentore aus sechs Spielen sind eine Bilanz, von der in Hannover nicht mal Optimisten geträumt hätten.“
Allgemein
Richard Leipold (FAS 11.4.) erklärt das „Karteikastenprinzip“ der Trainersuche: “In der Krise schauen nicht nur die Trainer auf die Uhr, die kurz vor dem Rauswurf stehen. Auch die arbeitslosen Bewerber scharren mit den Hufen und fragen sich: Wie lange noch? Nur die Ruhe: In der Bundesliga bekommt fast jeder Fußball-Lehrer eine zweite oder dritte Chance, mancher sogar eine vierte, fünfte oder sechste. In dieser Saison haben Kandidaten, die aus der Warteschleife auf die Bank rücken, besondere Konjunktur. Erik Gerets, der neue Trainer des VfL Wolfsburg, ist schon der achte Übungsleiter, der während dieser Saison einen erfolglosen Kollegen ablöst. Sein Vorgänger Jürgen Röber hatte nicht nur die (zu) hochfliegenden Ansprüche der Volkswagentochter verfehlt; er hinterließ eine Mannschaft, der die Verantwortlichen sogar zutrauten, in Abstiegsgefahr zu geraten. Aber auch einer wie Röber darf seine berufliche Zukunft gelassen angehen, nicht nur der Abfindung wegen, die bei erstklassigen Trainern in aller Regel einen siebenstelligen Euro-Betrag ausmacht. Die Entlassenen können oft schon bald wieder neu anfangen – allerdings ist die Dauerkarte für den Bundesliga-Kreisverkehr an eine unabdingbare Voraussetzung geknüpft: Der Kandidat muß (mindestens) einmal in der Liga eine Mannschaft „gerettet“ oder gar nach oben gebracht haben. Ist dieses oberste Einstellungskriterium erfüllt, nehmen sie fast zwangsläufig am fortwährenden Auswahlverfahren nervöser Vereinsvorstände teil. Wer jedoch im ersten Versuch scheitert wie im Vorjahr Frank Neubarth beim FC Schalke 04 oder Thomas Hörster in Leverkusen, der besitzt praktisch keine Chance, in die Kartei aufgenommen zu werden. Solche Bewerber können froh sein, wenn sie wieder als Assistent anfangen dürfen – oder als Chef in unteren Ligen. (…) Die Vereine gehen nach einer Art Karteikastenprinzip vor. Wer gerade entlassen wurde, grundsätzlich aber für heikle Missionen in Frage kommt, dessen Karteikarte mit Lebenslauf und beruflichem Werdegang (möglichst inklusive Spielerkarriere) wandert in den Kasten zurück. Sobald eine Stelle vakant ist, kommen diese üblichen Verdächtigen ins „Gespräch“. Den Vorständen bietet dieses Prinzip empirisch betrachtet eine mäßige Erfolgsaussicht: Nach einer Untersuchung der Universität Münster sind in den ersten 35 Jahren Bundesliga fast sechzig Prozent der Klubs, die den Trainer gewechselt haben, am Ende abgestiegen. Dieses Ergebnis relativiert sich allerdings dadurch, daß drei Mannschaften dem Schicksal des Abstiegs schon rechnerisch nicht entgehen können – was immer die Verantwortlichen dagegen unternehmen.“
Wirtschaftliche Falle
Viele Vereine sind beim Stadionbau für die WM 2006 ein großes Risiko eingegangen; Thorsten Jungholt (WamS 11.4.) recherchiert: „Nicht nur Leipzig hat ein Problem mit seiner neuen Arena. Ein Blick auf den Abstiegskampf in der Bundesliga zeigt, dass das Stadion-Dilemma auch im Oberhaus des deutschen Fußballs allgegenwärtig ist. Sechs Vereine, die in einem künftigen WM-Stadion spielen, zittern um den Klassenerhalt. Ob Köln, Berlin, Frankfurt, Kaiserslautern, 1860 München oder Hannover: Im Falle des Abstiegs drohen die Fußballtempel, die langfristig ein wichtiges Investment zur Sicherung des Fußballstandorts Deutschland sind, zur wirtschaftlichen Falle zu werden. Zum Beispiel in Hannover: Das Niedersachsenstadion wurde für 63 Millionen Euro zur WM-tauglichen „AWD-Arena“ aufgerüstet. Der in der Landeshauptstadt ansässige Bundesligist 96 sitzt in der Betreibergesellschaft und muss dort seinen Teil – die Rede ist von jährlich fünf Millionen Euro – zu dem Großprojekt beitragen. In der Zweiten Liga, wo der Klub drastische Einbußen bei Fernsehgeldern und Zuschauereinnahmen hinnehmen müsste, wäre das eine kaum zu tragende Last, wie Präsident Martin Kind zugibt: „Wenn wir absteigen, können wir Zins und Tilgung für das WM-Stadion nicht mehr bezahlen.“ Schon in der Bundesliga musste der Verein die Eintrittspreise vor dieser Saison nahezu verdoppeln, um seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Mit bangem Blick verfolgt auch der große FC Bayern München die Entwicklung beim kleinen Nachbarn TSV 1860. Denn die beiden Klubs teilen sich die Kosten für die 280 Millionen Euro teure „Allianz-Arena“ in Fröttmaning. „Wir brauchen 1860 als Partner im neuen Stadion“, sagt Bayerns Präsident Franz Beckenbauer. „Allein können wir dieses Projekt nicht stemmen.“ Die Finanzierung beider Klubs ist auf mindestens 30 Großveranstaltungen pro Jahr ausgelegt, allein aber hätte Bayern nur 17 Bundesliga-Heimspiele plus Pokalauftritte. Andere Veranstaltungen sind vorerst kaum möglich, die sind dem alten Olympiastadion vorbehalten, das nicht zur Bauruine verkommen soll. „Ein Jahr mit dem TSV 1860 in der Zweiten Liga könnten wir verschmerzen“, sagt Bernd Rauch, Geschäftsführer der Münchner Stadion GmbH. „Sollten die Löwen aber in die Regionalliga absteigen, wäre dieses Projekt unmöglich zu stemmen.“ Auch bei längerem Verbleib in der Zweiten Liga wird es eng, schließlich hat 1860 schon in der Bundesliga Probleme, genügend Besucher zu seinen wenig spektakulären Vorführungen zu locken. Zuschauersorgen kennt der 1. FC Kaiserslautern nicht, dennoch hat der für die WM notwendige Ausbau von Ost- und Westtribüne (Kosten: 48,3 Millionen Euro) den Provinzklub an den Rand des Ruins gebracht. Nur weil die Stadt dem FCK sämtliche Bankkredite abnahm, entgingen die Pfälzer dem Konkurs.“
Christian Schubert (FAS 11.4.) porträtiert Stephen Schechter, Finanzdienstleister vieler Klubs: „Gegen einen Ball getreten hat er noch nie, und doch dreht sich bei ihm alles um den großen Kick. Er jongliert mit Millionen, und doch haust er in London mit seinen drei Angestellten auf kleinstem Raum in einem dunklen Untergeschoß. Schuldenmachen ist sein Geschäft, und doch behauptet er, Fußballvereinen und ganzen Regionen zu Wohlstand verhelfen zu können. Stephen L. Schechter ist ein Vermittler der besonderen Art. Er will die Welt des Fußballs mit der großen Finanzwelt zusammenbringen. Sein Trumpf: Er hat gute Kontakte zu amerikanischen und englischen Versicherungs- und Fondsgesellschaften, die er dazu überreden kann, Anleihen von Fußballvereinen zu zeichnen. „Securitisation“ ist das Fachwort, und es besagt, daß den Gläubigern ein bestimmter Strom der Vereinseinnahmen – etwa aus dem Ticketverkauf – als Garantie exklusiv zugesprochen oder verbrieft wird. Da sind viele Fondsmanager bereit, einem Verein ein paar Millionen zu leihen, etwa für einen Stadionbau. Denn jährlich gibt es 6 bis 6,5 Prozent Zinsen, und am Ende kommt das ganze Geld wieder zurück. So läuft es im Idealfall. Freilich gibt es schon mal Enttäuschungen. Schechter etwa vermittelte Leicester City und Ipswich Town große Anleihen, doch die englischen Profivereine konnten bestimmte Bedingungen der Anleihe nicht einhalten. Leicester stieg aus der Premier League ab und erhielt keine Fernseheinnahmen, weil der Sender ITV Digital bankrott ging. „Keiner der Investoren hat aber Geld verloren“, versichert er. Über unsolide Vereine muß er sich dennoch immer wieder ärgern. „Wenn in Italien ein Verein die Buchhaltungsvorschriften umgeht, trifft das auch deutsche, französische und britische Klubs“, schimpft er. Der Amerikaner Schechter, dessen Großvater aus dem ehemaligen Lemberg in der heutigen Ukraine kam, hat seine ersten fünfzig Jahre in New York gelebt, bevor er in den neunziger Jahren nach London wechselte. Vier Jahrzehnte lang arbeitete er an der Wall Street und in der Londoner City. Nach seinen Karrierestationen bei den Investmentbanken Schroders und Lazard wagte er 2002 den Sprung in die Selbständigkeit.“
Samstag, 10. April 2004
Ballschrank
Fußball am Samstag
„Ailtonade“ (SZ) kratzt den Stolz Gelsenkirchens – „womöglich weiß jetzt auch Arsene Wenger, warum Oliver Kahn in Deutschland die Nummer eins ist“ (FAZ) – FR-Interview mit Valérien Ismael, ein deutscher Elsässer in Bremen – die Heynckes-Schule (FAZ) – der Erfolgs der Außenseiter in der Champions League ist sportlich ein Gewinn und wirtschaftlich ein Verlust (NZZ) u.v.m.
Genussvolles Erleben
Sehr lesenswert! Christoph Biermann (SZ 10.4.) schildert die Schalkes erste „Ailtonade“: „Irgendwie war es etwas enttäuschend, dass sich Ailton so prompt entschuldigte. Hatte er zu Beginn der Woche noch gesagt, dass Gelsenkirchen, nach allem, was er gehörte habe, „ein Desaster“ sei und er von Bremen pendeln wolle, blieb davon am Donnerstag nichts mehr übrig. Der Brasilianer gab zu Protokoll, er wäre irgendwie falsch interpretiert worden und würde die Schalker Fans demnächst mit Toren versöhnen. Jupp Heynckes hatte es übrigens gleich gesagt. Er hatte Ailtons Äußerungen auf Portugiesisch gehört und gleich verstanden, dass sein Zugang missverstanden worden war. „Aber da hattet ihr wenigstens was zu schreiben“, sagte Heynckes. Und wie da geschrieben wurde: Der tägliche Pressespiegel des Klubs schwoll mächtig an, mit lauter Artikeln voller Zorn! Weshalb mit ihn gerne noch hätte ein wenig wehen hören, den „Sturm der Entrüstung“ [of! Welch eine ausgeleierte Sprach-Schablone!], den die Westfälische Rundschau aus dem geschmähten Gelsenkirchen vermeldete. Bürger waren entsetzt, und Lokalpolitiker kamen zu dem Schluss, „dass Ailton dem Wirtschaftsstandort Gelsenkirchen geschadet hat“, wie der SPD-Fraktionschef der Bezirksvertretung Nord allen Ernstes fand. Auch die FDP-Kreisvorsitzende machte knallharte Oppositionspolitik und prangerte einen „Totalausfall des Stadtmarketings“ an. Weil es bislang nicht gelungen ist, Gelsenkirchen als eine Art Florenz an der Ruhr zu verkaufen? „Man hätte Wetten darauf abschließen können, dass sich am Tag danach irgendjemand nicht zu blöd vorkommen würde, prompt die Schönheiten des Ruhrgebiets herauszustreichen“, knurrte der Kommentator der NRZ. Und Recht hatte er nach all den Einladungen an Ailton, sich die Region und ihre Schönheiten anzuschauen. Die Buersche Zeitung war in dieser Frage besonders aktiv und richtete dem Brasilianer im verregneten Bremen aus: „Hier regnet es viel schöner.“ Flankierend begann die Buersche Zeitung ihre Serie „Schöner Wohnen in Gelsenkirchen“, um die geknickten Seelen der Einheimischen wieder aufzurichten. Im ersten Teil wurde die Lokalität „Trujillo“ aufgesucht, in welcher das brasilianische Modegetränk Caipirinha fachmännisch gemixt wird. Da sage einer, in der Stadt der ehemals tausend Feuer gebe es keine Lebensart. Dies bestätigte aus der Landeshauptstadt sogar die Rheinische Post, die zu dem ganz und gar verwegenen Schluss kam: „Das Kennzeichen GE steht für Genussvolles Erleben.“ (…) Es gibt in den Tagen nach Ailton also noch Selbstbewusstsein in Gelsenkirchen, wobei die Gekränkten an der Emscher den größten Beistand vom großen Rivalen aus Dortmund bekamen. Die witzigste Einlassung der ganzen Debatte kam nämlich von dort. Borussias dänischer Verteidiger Niclas Jensen sagte: „Sollte ich jemals zu Werder Bremen wechseln, würde ich im Ruhrgebiet wohnen bleiben.“ Für so viel Schlagfertigkeit braucht es im Revier einen Skandinavier.“
Womöglich weiß jetzt auch Arsene Wenger, warum Oliver Kahn in Deutschland die Nummer eins ist
Gerd Schneider (FAZ 10.4.) wundert sich nicht über Lehmanns Fehler: „Ob seine Fehlbarkeit tatsächlich so überraschend kommt, wie die Medien es nun darstellen, ist eine Frage der Wahrnehmung – und es hat auch etwas mit der Distanz zu tun. Solange der Fünfunddreißigjährige in Deutschland seinem Beruf nachging, galt er als der, der er ist: ein Meister seines Fachs. Aber eben kein Überflieger. Ein Mann mit einer Schwäche bei den ganz großen Nervenproben. In seiner Vita stehen Titel und Tiefpunkte. Als Torhüter von Schalke flüchtete er einst in Leverkusen nach der Halbzeit mit der S-Bahn. Und auch sein Versuch ein paar Jahre später, sich beim AC Mailand durchzusetzen, scheiterte kläglich. Doch kaum stand er bei Arsenal im Tor, schien aus Lehmann plötzlich ein anderer geworden zu sein: ein Gereifter, der angeblich zu Unrecht im Schatten der Überfigur Kahn stand. In dem Maße, in dem der Münchner sich selbst so manche Blöße gab und so vom vermeintlichen Torwart-Titan auf Normalmaß schrumpfte, gewann Lehmann in der medialen Spiegelung an Größe. Ein Zerrbild. Vorbei, die Erde hat auch ihn wieder. Nebenbei dürfte die geisterhafte Torwartdebatte in der Nationalmannschaft für die Europameisterschaft beendet sein. Jens Lehmann ist Jens Lehmann, und womöglich weiß jetzt auch Arsene Wenger, warum Oliver Kahn in Deutschland die Nummer eins ist.“
Dahingegen nimmt Frank Hellmann (FR 10.4.) Lehmann in Schutz: „Lehmann hat sich – über die Saison gesehen – sportlich nicht mehr zu Schulden kommen lassen als alle Größen seiner Gilde. Internationale Klasse verkörpert der Schalker nach wie vor – kaum einer ist im Strafraum präsenter. Gewiss können Torleute – wie zuletzt Lehmann-Feindbild Oliver Kahn 2001 in der Champions League demonstrierte – entscheidend mithelfen, Trophäen zu gewinnen. Doch im Alleingang Titel holen, können sie nicht. Auch da ist der vom Titan zum Tölpel mutierte Kahn im WM-Turnier 2002 der bester Beleg. Startet der eloquente Teamchef von Arsenal mit der Attacke auf seinen Torsteher nicht vielmehr einen billigen Versuch, von eigenen Versäumnisse abzulenken? War es richtig, Thierry Henry im FA-Cup zu schonen und die Seinen mit der Hypothek dieser Niederlage in die Champions League zu schicken? Ist der aufwändige Arsenal-Stil für eine lange Saison nicht zu kraftraubend? Warum gibt es im von Wenger zusammengestellten Ensemble keine Siegertypen, die in den ganz entscheidenden Momenten auf dem Feld Dominanz ausüben? Schon in der Vor-Lehmann-Ära waren die Londoner in der Schlussphase der Champions League stets außen vor. Gern wurde diese Erfolglosigkeit sodann Lehmanns Vorgänger David Seaman angelastet – auch das war nicht die feine englische Art. Selbst wenn es Kahn, Lehmann oder Wenger nicht wahrhaben wollen: Den fehlerlosen Tormann wird es nicht geben, so lange Menschen das 732 mal 244 Zentimeter große Tor hüten.“
Ich bin in Frankreich geboren, aber meine Mentalität ist deutsch
FR-Interview mit Valérien Ismael, Werder Bremen
FR: Nach neun Monaten sprechen Sie besser Deutsch als alle Franzosen der Liga zusammen. Wie geht das?
VI: Ich habe zweimal Unterricht die Woche bei einer Lehrerin genommen. Die Sprache zu lernen gehört dazu, um meine Arbeit gut zu machen, die spielt sich nicht nur auf dem Platz ab. Und das ist mein Charakter: Ich muss doch verstehen, was die Leute hier zu mir sagen.
FR: Was ist das schwierigste an der deutschen Sprache?
VI: Der, die das – die Artikel. Es gibt keine Logik.
FR: Lesen Sie deutsche Zeitungen?
VI: Ja, ich lese alles über Fußball im Pressespiegel, der in der Kabine ausgelegt wird. Aber mich interessieren auch die Berichte über die Stadt, dieses Land. Deutschland ist mein Land für vier, fünf, vielleicht noch mehr Jahre. Du musst doch als Ausländer zeigen, dass du dich hier integrieren willst.
FR: Ab wann haben Sie in der Kabine mitreden können?
VI: Nach zwei, drei Monaten. Am Anfang habe ich Ludovic Magnin gefragt.
FR: Wenn Sie mit dem Trainer reden…
VI:…rede ich Deutsch.
FR: Wir wollten eigentlich wissen, warum Sie im Training mit Thomas Schaaf diskutieren, auf welcher Höhe beispielsweise die Abwehr bei Freistößen stehen soll.
VI: Normal, oder? Natürlich sprechen wir über Spielsituationen. Man kann immer mit Thomas Schaaf reden, er ist ein guter Mensch und Psychologe, er ist ehrlich.
FR: Bei Racing Straßburg hieß es, Sie seien ein unbequemer Spieler.
VI: Das ist typisch französisch. Wenn du dort sagst, was du denkst, hast du ein Problem. Am besten sagst du nur ‚ja, ja, ja‘. Das ist nicht meine Welt. Wenn einer sagt, der Bleistift ist rot, aber er ist weiß, muss ich korrigieren. Ich bin kein schwieriger Spieler.
FR: Warum sind Sie in England bei Crystal Palace 1998 gescheitert?
VI: Das war nichts für mich. Nur lange Bälle, Zweikampf, Kopfball – langweilig. In der First Division waren wir Letzter, ich habe nur 13 Spiele bestritten. Dann bin ich nach Frankreich zurückgegangen.
FR: Sind Sie ein typischer Franzose?
VI: Ich bin in Frankreich geboren, aber meine Mentalität ist deutsch.
FR: Deutsch?
VI: Nach neun Monaten kann ich das sagen, ich will hier auch meine Karriere beenden. Weil mir entgegenkommt, wenn hier jemand sagt, er macht das, tut er dies auch. Ein Mann, ein Wort. Hier werden die Probleme angesprochen, auch in den Medien. Ich gebe noch ein Beispiel, warum es mir gefällt: Wenn ein Handwerker sagt, er kommt um 15 Uhr, ist er um 15 Uhr auch da. In Frankreich ist er um 15.30 Uhr noch nicht bei dir. Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und Vertrauen erwarte ich von anderen Leuten.
Ralf Weitbrecht (FAZ 10.4.) bespricht die Lage in Frankfurt: „Dieses Wort steht auf dem Index. Abstieg? Bei der Frankfurter Eintracht nimmt es niemand in den Mund. Im Gegenteil. Die Profis des Tabellendrittletzten der Fußball-Bundesliga geben sich ungemein kämpferisch. Was zuletzt auf dem Platz kümmerlich ausschaute und zu drei bitteren Niederlagen führte, soll sich nicht wiederholen. Deshalb haben die Spieler des Aufsteigers zu Wochenbeginn eine Krisensitzung abgehalten und sich ausgesprochen. Tenor der Unterredung: Wir schaffen das noch. Kapitän Alexander Schur, unumstrittener Wortführer der zuletzt schwachen Eintracht, sagt: „Die Fans erwarten ein Zeichen von uns. Wir werden zeigen, daß wir noch nicht tot sind.“ Starke Worte des einzigen Frankfurters im Team der Eintracht. Doch was soll er auch anderes sagen? Die Hessen, vor Saisonbeginn als Abstiegskandidat Nummer eins gehandelt, hatten nach der desolaten Hinserie und dem Gewinn von nur zwölf Punkten mit einer atemraubend anmutenden Aufholjagd nach der Winterpause Boden gutgemacht und zwischenzeitlich sogar den Sprung auf Rang dreizehn geschafft. Doch der Aufschwung ist dahin, der Abstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz beträgt zwei Zähler. Und in dieser mißlichen Situation, zusätzlich belastet durch die bis zum 1. Mai andauernde Innenraumsperre von Trainer Willi Reimann, kommt Branchenprimus Werder Bremen ins Waldstadion. „Vor denen haben wir keine Angst“, sagt der rechte Flügelmann Stefan Lexa. „Wir haben auch vor allen anderen keine Angst. Es sind doch noch sieben Spiele. Da haben wir es selbst in der Hand.“ Dafür freilich muß sich bei der Eintracht gewaltig etwas ändern, denn mit der ängstlichen Ein- und Aufstellung der vergangenen Wochen – Reimann will auch zukünftig an seiner Defensivtaktik festhalten – dürfte eine gewachsene Spitzenmannschaft wie Werder Bremen nicht in Bedrängnis zu bringen sein.“
Richard Leipold (FAZ 10.4.) gefällt Jupp Heynckes’ Unterricht: „Schalke 04 ist in dieser Saison mehr durch seine Zukunftsplanung aufgefallen als durch aktuelle Spielkultur. Namen wie Ailton, Mladen Krstajic, Marcelo Bordon und möglicherweise Mark van Bommel gelten als Vorschuß auf künftig einzuspielenden Lorbeer. Doch parallel zur personellen Hochrüstung macht Cheftrainer Jupp Heynckes den Schalker Nachwuchs in der Bundesliga salon- und wettbewerbsfähig. Während andere über Konzepte debattieren, läßt Heynckes seine Jungs in der Bundesliga einfach kicken. Als etablierte Profis nicht diensttauglich oder außer Form waren, hat er aus der Not eine Jugend gemacht. Vor einer Woche gegen den Hamburger SV gehörten vier Junioren unter 22 Jahren zur Startelf; kurz vor Schluß standen sogar fünf auf dem Rasen der Arena. „Manches kann man nur im Oberhaus lernen“, sagt der Trainer, der Stars fordert und Sternchen fördert. Nach einer Reihe mittelschwerer Aufgaben erwartet die Lerngruppe an diesem Samstag ein sportlicher Leistungskurs. Beim Auswärtsspiel gegen den FC Bayern München könnten die jungen Spieler zeigen, ob sie sich auch gegen einen großen Gegner „gut verkaufen können“, sagt Klassenlehrer Heynckes. Michael Delura, der hochveranlagte Mittelfeldspieler, wird einen Weltklassemann wie Lizarazu vor sich haben. Eine schwierige Zwischenprüfung für den Auszubildenden, der in neun Bundesligaspielen drei Tore erzielt hat. Parallel zum Beginn seiner Profikarriere will der Achtzehnjährige seine Schullaufbahn in diesem Frühjahr mit dem Fachabitur abschließen, um sich künftig voll auf die höhere Schule des Fußballs konzentrieren zu können. Bis es soweit ist, müssen Schüler und (Fußball-)Lehrer improvisieren. Heynckes kümmert sich persönlich darum, Trainingsbetrieb und Stundenplan aufeinander abzustimmen. Mit dem Schuldirektor und den Eltern hat der Trainer ausgemacht, daß Delura zweimal in der Woche vormittags mit den Profis proben darf. Trotz seines Faibles für Talente bleibt Heynckes ein strenger Lehrer. Als Delura vor einem Fanklubbesuch das Flugzeug verpaßte, erinnerte sein Förderer ihn an die Bedeutung dieser vermeintlichen Nebensache. Der junge Mann mußte eine Woche lang die Fußballschuhe der Stars putzen. Das habe auch einem Michael Owen beim FC Liverpool nicht geschadet, sagte Heynckes. Und Delura gehorchte.“
Felix Reidhaar (NZZ 10.4.) kommentiert Wertgewinn und Wertverlust der Champions League: „Es ist gut wie typisch, dass der Fussball, auch jener an der obersten Spitze, unvorhersehbar und unberechenbar bleibt. Ebenso beruhigend stimmt, dass der Erfolg mit viel Barem allein und hochgezüchteten Künstlergruppen bzw. Spielerkadern nicht gewährleistet ist – der mit russischen Ölmillionen eben erst aufgepumpte Chelsea FC ausgenommen. Pikanterweise ist in dieser 12. Champions League die gesamte Oberschicht betroffen. (…) Etwas anders wird die neue Situation aus der Sicht der Marketingstrategen beurteilt werden müssen. In Zeiten stetig wachsenden Anteils des Fussballs an den TV-Sport-Ausgaben (gemäss neuester EBU-Studie beträgt er inzwischen 73 Prozent) werden sich durch den Wegfall der Publikumsmagnete in den führenden kontinentalen Märkten die Einschaltquoten an den letzten fünf Spieltagen zwangsläufig zurückbilden. Das freut weder die TV-Anstalten noch die vier Hauptsponsoren, die grundsätzlich über die Produktequalität begeistert sind. Mediaset, Besitzer der TV-Rechte in Italien, hatte während des letzten Finals (Milan – Juventus) die Rekordmarke von 20,2 Millionen Zuschauern verzeichnet und den Marktanteil über die Saison um einen Drittel gesteigert. Ein Rückgang ist unvermeidlich.“
Milan muss immer mit zwei Sturmspitzen spielen. Das ist ein Befehl!
Der AC Milan ist ausgeschieden. Peter Hartmann (NZZ 10.4.) sucht nach Gründen: „Möglicherweise war die kollektive Müdigkeit der Mannschaft auf eine harte Trainingsphase zurückzuführen. Der Konditionstrainer Tognaccini hatte die Spieler im Hinblick auf die zu erwartende Doppelbelastung in Königsliga und Serie A zwei Wochen lang geschlaucht. Die etwas hochmütige Spekulation ging nicht auf. Der Leistungsabfall war schon in den letzten Meisterschaftsauftritten gegen Chievo (2:2) und in Modena (1:1) augenfällig. Vielleicht ist aber auch das paternalistische „Prinzip Berlusconi“ gescheitert, eine Parallele zum Untergang der „Galaktischen“ des egomanischen Real-Vorsitzenden Florentino Perez und seines Starsystems. Perez drückt dem Trainer Queiroz die Besetzungsliste in die Hand, Berlusconi gibt auch noch die Taktik vor. „Seit 18 Jahren stelle ich die Mannschaft auf“, tönte der Presidente nach dem Triumph seines Teams in Turin gegen Juventus vor drei Wochen. Nach dem Sieg im Derby gegen Inter demontierte Berlusconi seinen Angestellten Ancelotti vor laufenden Kameras: „Milan muss immer mit zwei Sturmspitzen spielen. Das ist ein Befehl, und er gilt für jeden Trainer.““
Reinhard Wolff (taz 10.4.) schreibt über Frauenfußball in Schweden: „Schwedens Frauenfußball hat nach dem verlorenen WM-Finale gegen Deutschland massiv an Publikumsinteresse gewonnen. Wenn in der kommenden Woche die Saison beginnt, erwarten die Vereine einen Zuschauerzulauf wie noch nie und kalkulieren teilweise mit Verdoppelung und Verdreifachung der bisherigen Zahlen. Und der Boom schlägt sich auch im Personal nieder: Gleich mehrere der zwölf Vereine der ersten Liga haben im Ausland eingekauft – in Brasilien, Finnland und den USA. Von der „besten Frauenliga der Welt“ schwärmte daraufhin die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter, die, auch das ein Novum angesichts der bisherigen Fixierung auf den Männerfußball, gleich mit einer eigenen Beilage zum Ligastart der Frauen herauskam.“
Freitag, 9. April 2004
Ballschrank
Münchner Sozialprojekt
Christina Warta (SZ 9.4.) berichtet von einem Münchner Sozialprojekt. „Bevor das Spiel in eine Prügelei ausartete, war es eine ganz gewöhnliche Partie der Interkulturellen Münchner Straßenfußball-Liga: „Zako Rupprechtstraße“, ein Zusammenschluss irakischer Kurden, gegen „Inter Afro“, ein afrikanisches Team. Beide hatten das Halbfinale verloren, nun ging es immerhin noch um Platz drei. Doch die Spieler waren ge-nervt. Sie beleidigten sich, dann rempelten sie sich an. Nach dem Abpfiff fielen die zwei Mannschaften übereinander her, die Zuschauer beteiligten sich, am Ende waren fast hundert Menschen auf dem Feld. Es dauerte zehn Minuten, bis die Organisatoren die kämpfenden Jugendlichen trennen konnten. Wäre das Projekt „Bunt kickt gut“ erst einige Monate alt gewesen, es hätte dieser Belastung wohl nicht standgehalten. Schließlich wäre damit eines bestätigt gewesen: Sport kann doch keinen Beitrag dazu leisten, dass sich Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen besser verstehen. Stattdessen macht der Sport manchmal alles noch schlimmer: enthemmt die Wut, verstärkt den Zorn und lässt am Ende Menschen unterschiedlicher Religionen oder Hautfarben aufeinander einschlagen. Doch „Bunt kickt gut“ besteht bereits seit 1997, die „Interkulturelle Straßenliga“ hält Konflikte wie den zwischen Irakern und Afrikanern aus und hat mit den Jahren gelernt, sie zu bewältigen. Es gibt in München einige Projekte, die den Sport nutzen, um die Integration von ausländischen Kindern und Jugendlichen zu fördern. „Basketball um Mitternacht“ gehört dazu, „Bunt kickt gut“ und der „school’s over jam“ der Münchner Polizei. „Sport ist ein Medium für uns“, sagt Jugendamtsleiter Hubertus Schröer. Und Cumali Naz, Vorsitzender des Ausländerbeirats und beim Kreisjugendring (KJR) zuständig für interkulturelle Jugendarbeit, sagt: „ Man kann im Sport am ehesten lernen, nach bestimmten Regeln miteinander umzugehen. Deshalb liegt unser Schwerpunkt ganz eindeutig im Sport.“ (…) Die Straßenliga bringt Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Geschichten zusammen, für ein gemeinsames Ziel: Fußball spielen. Nur selten hatte „Bunt kickt gut“ bislang Bewährungsproben vom Kaliber einer Prügelei zu verkraften. Und auch die Schlägerei zwischen „Inter Afro“ und „Zako Rupprechtstraße“ ist nur eine Hälfte der Geschichte. Denn die Streithähne mussten sich einer Debatte im „Bunt kickt gut“-Ligarat stellen, es drohte der Rauswurf. Doch sie bekamen noch eine Chance: Demnächst müssen sie ein Freundschaftsspiel austragen – eines, das den Namen auch verdient. Der Termin steht bereits fest.“
Gewinnspiel für Experten
Donnerstag, 8. April 2004
Ballschrank
Champions League
„die Parvenüs proben den Aufstand“ (FAZ) – „AS Monaco , kein Nobody auf Europas Fussballbühne“ (NZZ) – in London werden aus Verlierern Sieger und aus Siegern Verlierer; Jens Lehmann fängt den Ball nicht, „was die deutsche Torwartdebatte angeht, wird es in Portugal wohl ähnlich ruhig sein wie im Highbury nach dem Schlusspfiff“ (SZ); „before you could say ‚Dummkopf’ the ball was in the back of the net“ (The Sun) – der FC Bayern siegt in der Champions League für Deutsche u.v.m.
Als Weltraumspektakel für Marsmännchen eignet sich dieser Sport nicht
„Siehste!“, ruft Roland Zorn (FAZ 8.4.) den Madrilenen zu: „Fußball ist ein irdisches Spiel. Das weiß seit Dienstag auch der letzte extraterrestrisch geblendete Fan von Real Madrid. Die Stars aus der spanischen Hauptstadt, in einem Teil der Medien zu galaktischen Wesen hochgejazzt, haben eine kapitale Bruchlandung hingelegt. Die rückhaltlose Bewunderung für ein Künstlerkollektiv ohne feste Bindung zur Basis jedes Kicks zerschellte in Monte Carlo an der schlichten Wirklichkeit des Fußballs. Die Profis von AS Monaco erstarrten anders als vor Wochen der FC Bayern nicht vor den großen Namen des Gegners (…) Florentino Perez, der Architekt und Baumeister des Real-Traumschlosses des frühen 21. Jahrhunderts, berauschte sich am Einkauf seiner Protagonisten wie ein kindlich begeisterter Feuerwerker: Solange es am Firmament brennt, staunen alle – wenn die Leuchtkaskaden verglühen, wird alles schwarz. Perez mag keine Abwehrarbeiter und gibt deshalb auch keinen Euro zuviel für diese manchmal grau anmutende Unterabteilung eines Fußball-Ensembles aus. Der dagegen auf seine „Paradiesvögel“ Zidane, Figo, Ronaldo oder Beckham lange stolze Spanier ließ folglich eine international anerkannte defensive Fachkraft wie Makelele gen Chelsea ziehen – von dort grüßt der Franzose als Halbfinalteilnehmer. Den daheim angesichts des großen Ronaldo übersehenen Morientes lieh Real an Monaco aus – „merci“, sagen sie dort. Bestraft wurde die Überheblichkeit der vermeintlich Allmächtigen, belohnt die Courage und Spielintelligenz der vermeintlich Chancenlosen. Der Fußball als einfaches, einfach faszinierendes Spiel, das nach ehernen Regeln funktioniert, hat dabei gewonnen. Als Weltraumspektakel für Marsmännchen aber eignet sich dieser Sport nicht.“
Spanische Pressestimmen FR
Before you could say ‘Dummkopf“’ the ball was in the back of the net
Jens Lehmann fängt den Ball nicht. The Sun, London, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Germans gave the world Beethoven, Claudia Schiffer and Michael Schumacher. Arsenal, sadly, got Jens Lehmann. Perhaps Arsene Wenger got him muddled up with Oliver Kahn. Whatever happened, Lehmann proved conclusively last night there can be little future for him at Highbury after another inexplicable blunder cost Arsenal their place in the Champions League on a night of outstanding action and high emotion. (…) When the chips were down, they could always rely on the man known simply as Safe Hands. Now he has been replaced by Careless Hans. How Lehmann failed to cope with a speculative long-range shot from Claude Makelele is anybody’s guess. He would probably claim he was trying to punch away a ball he only saw at the last minute. Instead, he shovelled it straight into the path of Frank Lampard. Before you could say “Dummkopf“ the ball was in the back of the net. If it had been a one-off, you could excuse it. But it wasn’t. Lehmann has been doing this all season especially in Europe.”
Aus dem Verlierer ist ein Sieger geworden. Und aus dem Sieger ein Verlierer
Die NZZ (8.4.) stellt die unterschiedlichen Wirkungen dar, die der Sieg Chelseas auslöst: „Arsenal, so hiess es im englischen Fussball während Jahrzehnten, sei nicht auf dieser Welt, um geliebt zu werden; Arsenal sei langweilig, Arsenal siege stets mit Glück. Wer noch immer glaubt, die Fussballgötter hätten eine Dépendance an der Avenell Road im Norden Londons, muss seine Meinung revidieren – spätestens seit Dienstagabend. Als der deutsche Schiedsrichter Merk kurz nach halb zehn (Lokalzeit) das Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals zwischen Arsenal und Chelsea beendete, starrte die überwältigende Mehrheit der 38 500 Zuschauer fassungslos in die Nacht hinaus. Von Langeweile keine Spur, doch das war ein schwacher Trost. Mit dem Treffer zum 2:1 für die Blues hatte Wayne Bridge in der 87. Minute die Herzen der Heim-Supporter gebrochen und die Wartezeit des Traditionsklubs auf den erstmaligen Vorstoss in die Halbfinals der Champions League um mindestens ein weiteres Jahr verlängert. „Diese Niederlage ist meine grösste Enttäuschung als Arsenal-Trainer“, sagte Arsène Wenger nach dem Spiel, „gegen Monaco wären die Chancen auf die Finalqualifikation gross gewesen.“ Ob Wenger Recht hat, wird er allenfalls in zwei Wochen von seinem italienischen Branchenkollegen Claudio Ranieri erfahren. Der Chelsea-Trainer, bis vor wenigen Tagen von der englischen Presse aufgrund seiner schlechten beruflichen Perspektiven als „dead man walking“ (als wandelnder Toter) bezeichnet, ist der Mann der Stunde. Egal, ob der charmante Italiener seinen noch bis 2007 laufenden Vertrag erfüllen darf oder nicht, mit dem Sieg gegen Arsenal hat er den Kritikern jegliche Grundlage entzogen. Der Klubbesitzer Roman Abramowitsch (geschätztes Vermögen 12 bis 14 Milliarden Franken) könnte die angekündigte Entlassung des Trainers (Wochenlohn 120 000 Franken) zwar mühelos bezahlen, doch vor den Fans geriete der Russe in einen Argumentationsnotstand. „There’s only one Claudio Ranieri“, sangen die auch am Dienstag im Highbury. Aus dem Verlierer ist in dieser kalten Londoner Frühlingsnacht ein Sieger geworden. Und aus dem Sieger ein Verlierer. Das musste auch Wenger zugeben: „Chelsea ist auf dem aufsteigenden Ast, wir sind auf dem absteigenden. Unsere Wege haben sich gekreuzt.““
Ich habe den Ball genau an den Kiefer bekommen, das war nicht ideal
Raphael Honigstein (SZ 8.4.) ergänzt: „Claudio Ranieris Reaktion nach 90 wie ein Hochgeschwindigkeitszug vorbeigerauschten Minuten sagte ja schon alles: Jubelnd, mit den Armen in der Luft, lief er zu seinen Männern auf den Rasen, um danach gerührt mit den Tränen zu ringen. „30 Sekunden im Delirium“, habe er verlebt, berichtete der seit Monaten von den Chelsea-Bossen abgeschriebene Coach in der Stunde der größten Genugtuung, „ich war verrückt.“ Kaum anders kommt einem die unfeine Kritik vor, die Geschäftsführer Peter Kenyon in inoffiziellen Pressegesprächen geäußert hatte. Ranieri lasse zu defensiv spielen, habe mit dem vielen Geld die falschen Spieler gekauft, er wisse wohl selber nicht, welches seine beste Elf sei, lautete die Anklage. Ranieris Verabschiedung galt als so sicher, dass der Verein noch am Dienstag das Gerücht einer möglichen Vertragsverlängerung entschieden dementiert hatte. Wie „ein zu Tode Verdammter“ komme er sich vor, hat Ranieri neulich gebeichtet, doch der erste Sieg nach 17 erfolglosen Stadt-Derbys lasse ihn „weiter leben, weiter gehen“, es sei schwer, ihn umzubringen, freute sich der Römer. Die Rache des Zombies von der Stamford Bridge scheint doch kein Horrorfilm, sondern plötzlich eine romantische Komödie zu werden, mit exotischen Schauplätzen – nächster Stop: Monaco – und einem rührenden Happy End. Gewinnt Chelsea die Champions League, kann Ranieri nicht mehr gefeuert werden – die Anhänger der Blues würden sonst das 60 Millionen teure Stadtschloss von Abramowitsch abfackeln. (…) Wer wie die Gunners alles in Grund und Boden spielt, kann kurz vor dem Gipfel der Fußballkunst nur noch an Höhenangst scheitern; und Jens Lehmanns Patzer beim 1:1 („Ich habe den Ball genau an den Kiefer bekommen, das war nicht ideal“) ließ Arsenal prompt nach unten schauen. Lehmann, der gewarnt hatte, dass man noch in allen drei Wettbewerben scheitern könne, sah wegen der zu zwei Dritteln wahr gewordenen Prophezeiung innerlich zerstört aus. „Ich hatte gehofft, hier keinen rein zu kriegen“, sagte er, „leider habe ich meinen Teil dazu beigetragen, dass das nicht klappte. Jetzt bleibt nur noch die Meisterschaft, und die werden wir gewinnen.“ Das wäre immer noch ein großer Erfolg, aber sein Traum vom Europacup-Triumph war soeben zerplatzt. Wenger sucht schon nach einem neuen Keeper, hört man in Nord-London. Was die deutsche Torwartdebatte angeht, wird es in Portugal wohl ähnlich ruhig sein wie im Highbury nach dem Schlusspfiff.“
Der Trainer vor allem eine Rolle zu erfüllen: er steckt bei Misserfolg die Schläge ein
Ronald Reng (taz 8.4.) analysiert das Erfolgsrezept des AS Monaco und die Versäumnisse Real Madrids: „Von Teams, die einmal ganz hell leuchten und nie wieder kommen, gibt es einige: Dynamo Kiew 1999 zum Beispiel oder Bayer Leverkusen, das 2002 sogar das Finale erreichte. Und jedes Mal, wenn solch ein Außenseiter dann wieder in der zweiten Reihe verschwindet, bricht Wehmut aus, die Champions League sei eine geschlossene Gesellschaft der Superreichen wie AC Mailand, ManU oder Real geworden. Doch Leverkusen lebt: Mal heißt es FC Porto, nun AS Monaco – der liebenswerte Underdog erschafft sich immer wieder neu. (…) Zirka 15-mal in zehn Minuten sagte Madrids Trainer Carlos Queiroz später, er müsse Monaco gratulieren, ehe er endete: „Das Wichtigste ist jetzt nicht zu reden, sondern Monaco zu gratulieren“, was die Achtung vor dem schnellen, schnörkellosen Passspiel erahnen ließ – was aber natürlich auch Queiroz Nervosität verdeutlichte. Als der exzellente Fernando Morientes das 2:1 für Monaco erzielte, erlebte das Konzept von Präsident Florentino Pérez, ausschließlich auf absolute Stars wie Zinedine Zidane sowie Spieler aus der Nachwuchsakademie des Vereins zu setzen, seinen Bankrott. „Es tat ein bisschen weh“, sagte Morientes über sein Tor. Denn er ist Madridista, sogar noch bei Real angestellt; ausgeliehen nur an Monaco, weil Pérez vor Saisonbeginn alle Ersatzspieler mit hohen Gehältern wegschickte. Sechs solide Profis mussten gehen, weil sie nicht in die Verpackung „galaktischer Star“ oder „Akademietalent“ passten. In Monaco war mehr denn je erkennbar, was das gebracht hat: Die Galaktischen sind ausgelaugt, weil sie immer spielen müssen, müssen aber immer weiter spielen, weil auf der Ersatzbank fast nur Kids sitzen. „Ich hoffe, dass man am Saisonende eine Analyse macht und dass dann meine Meinung gehört und respektiert wird“, sagte Queiroz. Deutlicher konnte er es nicht sagen: Er hat bereits oft versucht, dem Präsidenten dessen einzigartiges Konzept auszureden. Er wurde ignoriert. Dabei hat der Trainer seine Kompetenz bewiesen. Er löste viele schwierige Details beachtlich, sieben Spieler mit Hang zur Offensive brachte er in einer Elf unter, bastelte sich in der Not eine Innenverteidigung aus einem umstrittenen Außenverteidiger, Raúl Bravo, und einem B-Team-Kicker, Álvaro Mejía, und machte sogar Zidane zu einem der wichtigsten Kopfballspieler bei gegnerischen Eckbällen. Doch im Madrid von Präsident Pérez hat der Trainer vor allem eine Rolle zu erfüllen: „Er steckt bei Misserfolg die Schläge ein.“ Das sagte Queiroz selbst und lächelte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er es witzig findet.“
AS Monaco, kein Nobody auf Europas Fussballbühne
Die NZZ (8.4.) gratuliert Didier Deschamps: „Von Sensation zu sprechen, ist wohl leicht übertrieben, schmälert dies doch die fussballerische Leistung, die schon vor zwei Wochen in Madrid notabene begonnen hatte. Die Überzeugung der Madrilenen, im Zweifelsfall jede noch so bedenkliche Abwehrleistung mit ein paar Törchen wettzumachen, stellte sich als kometenhafter Irrglaube heraus. Zum sechsten Mal schied Real damit trotz einem Zweitorevorsprung noch aus einem europäischen Wettbewerb aus. Die AS Monaco ist wenn schon kein Grosser, so doch kein Nobody auf Europas Fussballbühne. Bereits zweimal stand das Anhängsel des französischen Klubfussballs im Halbfinal der Champions League: 1993 und 1998, als der Gegner im Viertelfinal immerhin Manchester United geheissen hatte. Die Erinnerungen an das Highlight vor sechs Jahren sind trotz dem Ausscheiden in der Runde der letzten vier nicht nur schlecht: Beim Halbfinal-Gegner Juventus Turin hiess eine Antriebskraft Didier Deschamps (eine andere Zinedine Zidane . . .), und der ist heute Trainer der Monegassen. Mindestens so gut wie er seine Spieler auf den Hexenkessel Bernabeu vorbereitet hatte, kann Deschamps aber seiner Mannschaft auch den Respekt vor der Stamford Bridge in London nehmen: Bei Chelsea hatte der Franzose im Herbst seiner Spielerkarriere ein Gastspiel gegeben und mitgeholfen (u. a. mit der Viertelfinalqualifikation 1999), das Terrain für noch grössere Erfolge in der Champions League zu ebnen.“
NZZ-Bericht Deportivo La Coruña – AC Milan (4:0)
NZZ-Bericht Olympique Lyon – FC Porto (2:2)
Das Fußball-Schwergewicht aus Deutschland ist inzwischen leicht zufriedenzustellen
Champions League auf deutsch: Bayern München siegt; Michael Ashelm (FAZ 8.4.) berichtet: „Ehren über Ehren für den FC Bayern – ein Gefühl, das die Münchner lange vermißt haben. Doch im Schlaraffenland des Fußballs ist alles möglich, und so genossen die Männer vom deutschen Rekordmeister den selten schönen Moment. „Eine vollkommen gelungene Reise“, schwärmte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge. Ein buntes Feuerwerk vor dem Al-Rayyan-Stadion draußen im kargen Wüstenland vor den Toren Dohas beschloß den gelobten Tag, kurz zuvor hatten Oliver Kahn und Roy Makaay den monströsen Siegerpokal in der blumengeschmückten Ehrenloge abgeholt und in die Höhe gehalten. Die wichtigen Herren des Landes in ihren traditionellen weißen Dish-Dash-Gewändern standen daneben, freuten sich mit den Kickern aus Deutschland, und Rummenigge konnte bestätigen: „Die Scheichs sind total zufrieden, haben sie mir gesagt.“ Während zur selben Zeit in Europa andere Teams ohne die Bayern das große Geschäft in der Champions League unter sich ausmachten, fühlte man sich auf seiten der Münchner mit dem Kurztrip nach Qatar wenigstens ein kleines bißchen für die verkorksten Auftritte auf internationaler Bühne entschädigt. Ein 2:2 nach neunzig Minuten gegen die „Stars of Qatar“, das Wiedersehen mit den ehemaligen Mitspielern Stefan Effenberg sowie Mario Basler, der Sieg im Elfmeterschießen und vor allem frisches Geld in der Kasse – schon sieht die Welt wieder anders aus. Das Fußball-Schwergewicht aus Deutschland ist inzwischen leicht zufriedenzustellen, und ein bißchen hoffen alle, daß die Reise die Mannschaft im Hinblick auf die plötzlich wieder spannender gewordene Meisterschaft enger zusammengeschweißt hat. „Das war eine gute Abwechslung für das Team und gibt uns die nötige Motivation für die restlichen Spiele“, sagte Kapitän Kahn. Dann folgte aus der Wüste die indirekte Ansage an den Ligarivalen von der Weser: „Wir versuchen eine Serie zu starten und wollen kein Spiel mehr verlieren. Schauen wir mal, was Bremen macht.“ An jedem noch so kleinen Glücksgefühl versuchen sich die Münchner derzeit hochzuziehen.“
Ballschrank
Faninitiative PRO 15.30 in PRO FANS
Martin Kößler (Pro Fans) erläutert die Umbenennung der Faninitiative PRO 15.30 in PRO FANS. „Immer mehr Fans sehen unsere gewachsene Fankultur durch die Entwicklungen im Profifußball drastisch gefährdet. Durch ständig neue Repressionen von Vereinen, Ordnungsdiensten und Polizei werden Freiräume für Fans immer weiter eingeschränkt. Man versucht, die aktivsten Fans aus den Stadien zu drängen bzw. zu kriminalisieren… „PRO FANS heißt PRO AKTIVE FANS!“ Ehrliche Emotionen und authentische Stimmung im Stadion gibt es nur mit uns Fußballfans, nur mit uns wird der Fußball zum Kick für Millionen. Wirkliche Fußballatmosphäre kommt von uns Fans selbst und kann nicht von Schreibtischen aus geplant werden… „PRO FANS heißt PRO STIMMUNG im Stadion!“ Der DFB versucht nun mit dem Marketinginstrument „Fan Club der Nationalmannschaft“ selbst für Stimmung in den Stadion zu sorgen oder viel eher neue Einnahmequellen zu erschließen. Eine Vorgehensweise, die leider auch in den Chefetagen der Clubs weit verbreitet ist: der Fan wird nicht als mündiger Mitgestalter des Spektakels, als Teil des „Erlebnisses Fußball selbst“, sondern nur noch als leicht zu steuernder „Markenkunde“ betrachtet.“
Tendenz weiter fallend
Klaus Ott (SZ 8.4.) berichtet von der Diskussion um Übertragungsrechte. „Die Vereine und ihre hoch entlohnten Spieler, die in der vergangenen Dekade TV-Milliarden kassierten, müssen sich auf sehr magere Zeiten einstellen – die Radio-Gelder von der ARD können allenfalls ein paar Probleme etwas lindern. Nach der Pleite des langjährigen Bundesliga- Partners und Münchner Medienkaufmanns Leo Kirch, die sich am heutigen Dienstag jährt, geht es den Fußball-Klubs wie zuletzt der Börse: Tendenz weiter fallend. Das gilt auch für die Champions League, in der Bayern München, Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen Höchst-Honorare kassierten. Für die Spitzenvereine ist der Boom ebenfalls vorbei. Die flaue Konjunktur und der Werbeeinbruch setzen sogar dem TV-Marktführer RTL zu, der bislang 60 Millionen Euro pro Saison für die Champions League aufbrachte. Der Bertelsmann-Kanal verabschiedet sich nach und nach aus der Euro-Liga; das Viertelfinale Juventus Turin gegen FC Barcelona wird am Mittwoch im Deutschen Sportfernsehen (DSF) übertragen. Der von RTL ins Spiel gebrachte Klein-Sender zahlt für die einst teuren TV-Rechte nur noch ein besseres Taschengeld. So soll das auch künftig funktionieren: RTL lässt den Vertrag für die Euro-Liga auslaufen und gibt kein neues Angebot ab. Man pokert in Köln.“
Gewinnspiel für Experten
Mittwoch, 7. April 2004
Ballschrank
Vermischtes
„Arsenal-Blues im Highbury“ (NZZ) – Kakà , brasilianischer Jung-Star des AC Milan – Erik Gerets im Konflikt? Ist er noch mit Teilen seines Körpers und seines Geistes ein Lauterer? – Heiko Herrlich beendet seine Karriere und findet inneren Frieden – Holger Obermanns erfolgreiche Mission in Afghanistan u.v.m.
Die NZZ (7.4.) schildert den Sieg Chelseas gegen Arsenal: „Englands Fussballwelt ist im Aufruhr: David Beckhams (angebliche) Freundin sei bisexuell, verkündete „The Sun“ in grossen Buchstaben und lieferte die erdrückenden Beweise auf einer Doppelseite. Doch es gibt auch eine sportliche Wahrheit. Und die wurde am Dienstagabend auf den Kopf gestellt. Arsenal, der stolze Leader der Premier League, erlitt im bisher wichtigsten Spiel der Saison die bitterste Niederlage. (…) Zuletzt hatte das Selbstvertrauen des Leaders aber Schaden genommen. Die 0:1-Niederlage im FA-Cup-Halbfinal gegen Manchester United bedeutete am vergangenen Samstag einen schweren Dämpfer für das Team. Offensichtlich hatte das Negativerlebnis der Mannschaft mehr zugesetzt, als das einige im Lager der Rotweissen wahrhaben wollten. Zum zweiten Mal innert dreier Tage mussten die „Gunners“ zur Kenntnis nehmen, dass in den entscheidenden Tagen der Saison ein raueres Klima herrscht und dass technisch versierter Fussball allein kein verlässliches Erfolgsrezept mehr ist. Gegen Chelsea befanden sie sich vorerst zwar fast ständig in der Vorwärtsbewegung, doch nur selten erhielten sie die Möglichkeit, ihr schnelles, in die Tiefe gerichtetes Angriffsspiel aufzuziehen.“
NZZ-Bericht AS Monaco-Real Madrid (3:1)
morgen und übermorgen mehr über das Viertelfinale der Champions League
attacco, attacco, attacco
Birgit Schönau (SZ 7.4.) porträtiert Kakà, AC Mailand: „In seinen ersten freien Tagen hat er Venedig besucht und Rom, typische Grand Tour, nicht nur für Brasilianer. Ein paar Kirchen, ein paar Museen. Er ist tief religiös, belesen, er hat Abitur und trägt eine Nickelbrille außerhalb des Spielfelds. Vater Ingenieur, Mutter Lehrerin in São Paolo: ein bürgerlicher Fußballer. Eine weiße Fliege nennen sie so einen in Italien, eher einzigartig als selten, fügen sie hinzu. Sicher, über seinen Spitznamen Kakà regnete es anfangs Hohn und Spott, haha, jetzt hat Milan auch noch so einen kleinen Kacker. Dann haben sie Ricardo Izecson Dos Santos Leite spielen sehen, und wer kein Milan-Fan war, dem ist das Lachen im Hals stecken geblieben. Ein Phänomen. Ein Fußballwunder. Eine Offenbarung in einer Liga, die früher die Millionen zum Fenster herauswarf, egal ob für Weltstars oder Gurken ohne Zukunft, und die sich heute in erster Linie darum kümmern muss, die drohende Pleite zu umdribbeln. Schon fast egal, wer derweil auf dem Platz den Ball tritt, Hauptsache, man schafft rein finanziell noch die nächste Runde. Als Kakà im vergangenen Sommer in Mailand ankam, für 8,5 Millionen Dollar vom FC São Paulo, da galt er als Talent. Und basta. Für Milan spielten Cafù und Rivaldo, und er selbst durfte sich ja nur Weltmeister nennen, weil er 18 Minuten bei Brasilien-Costa Rica vorweisen konnte. Nicht schlecht für einen 21-Jährigen, aber der AC Mailand ist andere Kaliber gewohnt. Also erstmal auf die Bank. Bis zur ersten Einwechslung. Den ersten Dribblings, zentimetergenauen Pässen, dem ersten Tor. Da spielte ein 1,83 m großer Brasilianer europäischen Fußball mit südamerikanischem Tempo, kontrollierte mit erstaunlicher Umsicht das Mittelfeld, pflügte kraftvoll nach vorn – und sah dabei immer mühelos elegant aus. Ein Spektakel, der Junge, und genau das wollen sie ja vor allem bei Milan, dessen Präsident Berlusconi auf dem Spielfeld das vorschreibt, was er als Regierungschef nicht immer durchsetzen kann: attacco, attacco, attacco. Kakàs Trainer Carlo Ancelotti, sonst ein Muster an Zurückhaltung, spart keinen Superlativ aus, wenn es um seinen Jungstar geht: „Er ist der neue Platini. Kakà macht viele Tore, er vereinfacht schwierige Spielzüge, wirft sich mit dem Instinkt eines Spitzenspielers in leere Räume, beherrscht perfekt auch das Spiel ohne Ball.“ Der so Belobte kassiert dankend und versichert voller Bescheidenheit, er sei in Mailand, „um zu lernen“. Das hört man gern bei Milan, wo Gruppendisziplin erste Spielerpflicht ist und man einen Überschuss an Individualität besser ausschließlich auf dem Rasen zeigt. Rivaldo, der sich nicht fügen wollte, musste seinen Platz dem Landsmann überlassen. Nicht allzu widerstrebend indes: Der geschasste Star ist inzwischen Kakàs Manager und verdient daran nicht schlecht.“
So viel Inzest wie in dieser Spielzeit war wohl noch nie
Javier Cáceres (SZ 7.4.) berichtet den Einstand Erik Gerets’ in Wolfsburg: „In der Pfalz erinnert sich so mancher gerne an das pathosverhangene Bekenntnis des Belgiers: „Ich bin dazu geboren, diesen Verein zu trainieren.“ Nein, niemand wird Gerets je unterstellen können, er habe zu dick aufgetragen, schon zum Einstand zu sehr mit den Emotionen gespielt, als er sich der Presse vorstellte. Gerets“ erste, in den vor Erwartung knisternden Presseraum geworfenen Worte waren: „Na gut.“ Na gut, der Gedanke, dass Gerets Zeit gewinnen wollte, ist ebenso naheliegend wie nachvollziehbar. Immerhin hatte er zum Einstand zu erläutern, warum er von einer einst abschließend vorgetragenen Ankündigung („In dieser Saison werde ich nirgendwo mehr einsteigen“) abrücken musste. Einst: das bedeutet den ja doch eher überschaubaren Zeitraum von ziemlich exakt sechzig Tagen, am 2. Februar war Gerets in Kaiserslautern entlassen worden. Und erst vor vier Wochen war er von Hannover 96 kontaktiert worden. Gerets lehnte ab, die Niedersachsen verpflichteten Ewald Lienen. Damals, erklärte also Gerets, habe er noch nicht Abstand gewonnen, „Kaiserslautern war noch in meinem Kopf und in meinem Herzen“. Dass er bis 2006 in Wolfsburg unterschrieben hat, (…) solle Hannover nicht negativ ausgelegt werden. Vielmehr sei es so, dass Kaiserslautern zwar „immer“ in seinem Herzen, aber „nun aus dem Kopf“ gewichen sei, wie er dem ersten TV-Team sagte, das seiner habhaft wurde. Von Interview zu Interview verlagerten sich Gerets“ Empfindungen progressiv. Schon dem zweiten Sender steckte er, dass sein „Herz nun Wolfsburg gehört“, weshalb er nun „mit ganzem Herzen“ für Wolfsburg arbeiten könne, wie er einem dritten TV-Anbieter gestand. Den eigentlichen Kern der Wahrheit hatte Gerets da längst zum Besten gegeben: Als ihm Manager Pander Samstagabend gesagt hatte, dass er ihm „nicht viel Zeit zum Überlegen geben“ werde, begann es bei Gerets nicht nur „zu kitzeln“ – er wurde auch gewahr, dass es „wohl die letzte Chance war, jetzt oder nächste Saison in die Bundesliga zurückzukehren“. Beziehungsweise für ein Jahr auf dem Bundesliga-Abstellgleis zu landen. Und ins Ausland wollte er nicht. Gerets“ Überlegung ist nachvollziehbar, das so genannte Trainerkarussell ist ja von jeher spärlich besetzt. Doch so viel Inzest wie in dieser Spielzeit war wohl noch nie. Nicht nur Gerets begann ja die Spielzeit bei einem Bundesligisten, um sie nun bei einem Rivalen zu beenden – Ewald Lienen startete die Saison in Mönchengladbach und trainiert nun Hannover; Kurt Jara wurde vom ehemaligen HSV-Trainer zum Gerets-Nachfolger in Kaiserslautern. Während es auch in England gestattet ist, innerhalb einer Saison zwei Mannschaften derselben Kategorie zu unterrichten, ist es in Italien und Spanien untersagt. Hintergrund ist einerseits eine Art Standessolidarität – auch arbeitslose Trainer sollen wieder ins Geschäft kommen –, andererseits sollen wettbewerbsverzerrende Situationen, zum Beispiel durch die gezielte Abwerbung des Trainers vom Konkurrenten, verhindert werden.“
Innerer Frieden
„Seinen wichtigsten Kampf hat Heiko Herrlich im Kopf gewonnen“, schreibt Richard Leipold (FAZ 7.4.) über Herrlichs Karriere-Ende: „Als er seinen gefährlichsten Gegner besiegt hatte, wollte Heiko Herrlich nur unter einer Bedingung auf den Fußballplatz zurückkehren: „Wenn ich als Profi konkurrenzfähig bin.“ Eine bloß symbolische Fortsetzung seiner Karriere wäre für ihn nicht in Frage gekommen. „Ich will nicht nur für ein Spiel zurückkehren, um den Fans zuzuwinken“, sagte Herrlich vor drei Jahren, nachdem die Ärzte ihm mittels Strahlentherapie einen Tumor aus dem Mittelhirn entfernt hatten. Heiko Herrlich hat wieder Fußball gespielt, und er hat auch noch das „wichtige Tor“ geschossen, das ihm alle gewünscht haben. Es war das 1:0 in der letzten Minute eines Europapokalspiels in Kopenhagen – gut ein Jahr nachdem sein Arbeitgeber, der börsennotierte Bundesligaklub Borussia Dortmund, die Diagnose Gehirntumor in einer Ad-hoc-Mitteilung der Aktien- und der Fußballwelt bekanntgegeben hatte. Ein paar Monate später wurde sein Vertrag verlängert. Heiko Herrlich könnte noch bis Juni 2005 als Profi Fußball spielen. Aber er will nicht mehr. Der Zweiunddreißigjährige hat seinen Abschied vom Berufsfußball bekanntgegeben – leise, ohne jede Effekthascherei. Eine kurze Pressemitteilung, ein Interview im Regionalfernsehen, das war’s. Obwohl der Tumor ausgeheilt ist, traut Herrlich sich nicht mehr zu, auf dem Rasen wieder „konkurrenzfähig“ zu werden. Die Absicht, auf höchstem Niveau zu kicken, ist allmählich der Einsicht gewichen, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein, nicht einmal bei den Dortmunder Amateuren, die in der dritten Liga spielen. Noch schwerer mag die Erkenntnis wiegen, den eigenen Ansprüchen nicht mehr zu genügen. „Ich bin immer der kleine dumme Fußballer geblieben, der sechsjährige Junge, der eines Tages Weltmeister werden will“, sagt Herrlich, ein intellektuell wirkender, strenggläubiger Mensch, der nie dem Klischee des einfältigen Durchschnittsprofis entsprochen hat, auch nicht bevor sein schwerster Kampf ihm zu innerem Frieden verholfen hat. Seit er sich im Training Nasen-, Joch- und Schlüsselbein gebrochen hat, ist er im Hochleistungssport nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Nach dem Zusammenstoß vor zwei Jahren mit seinem damaligen Mannschaftskollegen Sunday Oliseh besaß er nicht länger die Energie, sich so gegen das Ende der Karriere aufzubäumen wie nach der niederschmetternden Krebs-Diagnose. Damit ist für einen wie Heiko Herrlich die Geschäftsgrundlage für die Teilnahme am Millionengeschäft Fußball weggefallen. (…) Heiko Herrlich verläßt die Fußballarena nicht sportlich geschlagen, sondern menschlich gereift.“
75 Euro teuren Hasen mit unglaublich anmutenden Finten
Portugal, EM-Stätte. Georg Bucher (NZZ 6.4.) beschreibt das Emporkommen des FC Rio Ave: „Otto Rehhagel hätte seine Freude gehabt und vielleicht einen Vorgeschmack auf die EM im Zeichen des Maskottchens Fintas bekommen. Wenige Tage nachdem der griechische Verband beschlossen hatte, sich im Stadion des FC Rio Ave auf die EM-Spiele vorzubereiten, gingen in Parada, einer ländlichen Gemeinde der nordportugiesischen Küstenstadt Vila do Conde, vor über 2000 Besuchern Jagdszenen über die Rasenbühne. Wie sich manche der in Spanien gezüchteten, 75 Euro teuren Hasen mit unglaublich anmutenden Finten die beiden konkurrierenden Windhunde vom Leib hielten, in Einzelfällen auch von Zuschauern sekundiert wurden, die den improvisierten Zaun anhoben, um ihnen die Flucht ins freie Feld oder in den Wald zu ermöglichen, könnte eine Metapher sein für die EM-Rolle der Griechen. Im Eröffnungsspiel trifft Hellas auf Portugal, danach auf Spanien und Russland. Schon am Vorabend des tierischen Spektakels hatte Rio Ave die Region in Euphorie versetzt und Sporting mit einer 4:0-Packung nach Hause geschickt. (…) Heimatverbunden ist der Menschenschlag an der Nordküste, eher verbissen und auf eine vertraute Kleingruppe bezogen, das Gegenteil zum offenen und leichtlebigen Lissabonner. Vor diesem Hintergrund begreift man, dass Carlos Brito nach einem kurzen, misslungenen Intermezzo in der Lissabonner Vorstadt Amadora wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrte. Aufstieg, Klassenerhalt, Abstieg und 2003 der Wiederaufstieg als Meister der zweiten Liga, fast alles hat er schon in Vila do Conde, wo der Rio Ave in den Atlantik fliesst, erreicht. Die Bevölkerung im Vale do Ave wird indessen von einer schweren Krise der Textilindustrie gebeutelt. Nur für jüngere, besser ausgebildete Leute sind die Ansiedlung eines deutschen Halbleiter-Unternehmens und die Schaffung von 500 Arbeitsplätzen ein Hoffnungsschimmer.“
Wie der Rattenfänger von Hameln
Ronny Blaschke (FTD 7.4.) schildert Holger Obermanns Mission und Holger Obermanns Erfolg in Afghanistan: “Holger Obermann, 66 Jahre alt, Ex-Fernsehreporter und früherer Profi-Torwart, hat wieder einem bedürftigen Land den Fußball gebracht. Ein Jahr war er in Kabul tätig, in der Hauptstadt Afghanistans. Das war sicher nicht der ideale Ort, um die korrekte Ballannahme zu schulen. Und dabei wird es auch bleiben. Kratertiefe Löcher durchziehen die Straßen noch immer, Strom- und Wasserleitungen sind defekt, das Wasser ist verbleit. Es gibt keine ausreichende medizinische Versorgung, es mangelt an Lehrern, an Ausbildungsplätzen, an intakten Häusern, es mangelt eigentlich an allem. Und doch hat Obermann, der ewige Krisenmanager, auch gutes zu berichten. Er spricht davon, wie die Freude am Fußball den grauen Alltag überdeckt. 90 Mannschaften existieren inzwischen in Kabul, sie spielen in vier Ligen, es geht aufwärts, ganz langsam, aber immerhin. „Der Fußball ist Labsal für die geschundenen Seelen“, sagt Obermann, „er stärkt das Selbstwertgefühl. Er ist ebenso wichtig wie die Pflastersteine zum Wiederaufbau der Stadt.“ 4000 Jugendliche kicken hier, es ist ihre Begabung, für manche die Berufung. So wie für den 13-jährigen Ahmad Fahri. Er hatte Obermann gesagt: „Ohne Fußball hätte mein Leben keinen Sinn mehr.“ Viele spielen barfuß, andere in Sandalen. Sie spielen mit Dosen, mit Steinen, sie haben es gelernt zu improvisieren. Es wird noch Jahre dauern, bis der afghanische Fußball wieder Anschluss findet an den internationalen Standard Asiens und die Nationalmannschaft wieder konkurrenzfähig ist. Aber darum ging es Obermann nicht. Er hat in Kabul alles so gemacht, wie er es immer gemacht hat an seinen 28 Einsatzorten in den hintersten Winkeln dieser Erde, ob in Nepal, in Gambia oder in Osttimor. Er hat seinen Dienst an der Basis verrichtet: 200 Jugendtrainer ausgebildet, Grundlagen gelegt, Hoffnungen geschürt und Durchsetzungsvermögen vermittelt. Wie der Rattenfänger von Hameln muss er sich vorgekommen sein auf seinen Reisen durch die afghanische Provinz. Mit einem Ballnetz über der Schulter und Fußballschuhen im Gepäck. Er hat Volksfeste organisiert, zu denen Tausende Menschen kamen; Spiele, die abgebrochen werden mussten, weil Zuschauer, trunken vor Freude, das Spielfeld gestürmt hatten. Obermann sagt: „Für die Afghanen ist jeder Fußball eine Kostbarkeit.“ 150 000 Euro hat das Projekt gekostet, das von der Bundesregierung, dem Auswärtigen Amt, der Fifa, dem DFB und dem Nationalen Olympischen Komitee unterstützt wird. 2000 Bälle hat Obermann nach Kabul einfliegen lassen, Hunderte Leibchen und Trikots in allen Schattierungen, mit allen erdenklichen Schriftzügen, von Ballack bis Figo. Ob sie wissen, wessen Hemden sie tragen? 15 Jahre hatte es keine Fernsehübertragung eines Fußballspiels gegeben. Die afghanischen Jugendlichen träumten nicht davon, den Ball streicheln zu können wie Zidane, sie kannten ihn nicht. Die Älteren stellten Obermann seltsame Fragen wie „Spielt Horst Hrubesch noch?““
Ballschrank
Sonstiges
Zeit-Gespräch mit Gerhard Delling und Günter Netzer über Freundschaft – Italiens Vereinsfußball im Chaos – Falko Götz in Bedrängnis u.v.m.
Ich habe die ersten Wochen bewundernd an seinen Lippen gehangen
Zeit-Gespräch mit Günter Netzer und Gerhard Delling über Freundschaft
Zeit: Herr Netzer, würden Sie Herrn Delling als Ihren Freund bezeichnen?
GN: Aber natürlich.
Zeit: Das sagt sich so leicht.
GN: Überhaupt nicht. Wenn ich Delling als meinen Freund bezeichne, dann ist das das größte Kompliment, das ich zu vergeben habe. Freundschaft verlangt mir ein Maximum an Höchstleistungen ab.
Zeit: Zum Beispiel?
GN: Was Delling angeht, muss ich vieles sein: Seelsorger, Kindermädchen, Aufpasser. Und als Freund erkläre ich mich aber dafür gerne zuständig. Aus diesem Grund habe ich selbst nur sehr wenige Freunde. Weil nur sehr wenige Menschen diese absolute Auffassung teilen. Außerdem ist es in meinem Alter fast unmöglich, neue Freunde zu gewinnen. Aber auch die alten Freundschaften zu erhalten ist sehr, sehr schwierig.
GD: Es ist nicht ganz leicht, mein Freund zu werden. Herr Netzer hat Recht, ich erwarte sehr viel von einem Freund. Ich muss mich zu 100 Prozent auf ihn verlassen können. Ich muss ihn zu jeder Tages- oder Nachtzeit anrufen können, wenn ich Hilfe brauchte. Und ich würde erwarten, in speziellen Situationen den Rat zu bekommen, der objektiv der beste ist.
Zeit: Im Gegensatz zu Herrn Netzer wirken Sie gar nicht so verschlossen.
GD: Ich bin ein eher kommunikativer Typ, der keine Angst hat, auf Menschen zuzugehen. Aber eine Freundschaft zu erhalten und dabei den hohen Anspruch zu erfüllen, das ist schwierig und gelingt nur sehr selten. Eine Freundschaft ist ja keine Ehe, obwohl es Bereiche gibt, die sich ähneln.
GN: Wir sind beide schwierig! Ich könnte allerdings auch keine Freundschaft mit einem Menschen haben, der nicht schwierig ist. Dann fehlen die Herausforderungen. Herr Delling, Sie haben einmal von einer eheähnlichen Beziehung gesprochen, als es um unsere Freundschaft ging. Ich sehe das ähnlich. Außer der Familie ist der Freund der mir am nächsten Stehende und deshalb auch mein Partner.
Zeit: Wie haben Sie sich als Freunde erkannt?
GN: Die Sache habe ich in die Hand genommen. Das musste ich, weil ich die größere Lebenserfahrung habe, weil ich für ihn mitgedacht habe und weil ich die Dinge forciert habe, für die er wahrscheinlich noch zehn Jahre gebraucht hätte.
GD: (lacht): Ich habe die ersten Wochen bewundernd an seinen Lippen gehangen.
GN: Im Ernst. Man kann das nicht lernen, einen Menschen zu erkennen. Was mich betrifft, so habe ich mir diese Menschenkenntnis hart erarbeitet. In meiner Diskothek, die ich früher in Mönchengladbach hatte, habe ich mich oft einfach in eine Ecke gestellt und den ganzen Abend nichts anderes getan, als die Menschen zu beobachten. Nur zugeschaut, wie sie sich bewegen, wie sie ihr Verhalten verändern während des Abends. Das hat mir wahnsinnig viel gebracht. Ich habe unter anderem gelernt, dass die allermeisten Menschen als Freunde für mich nicht infrage kommen. Die Phase, in der man gewöhnlich den Versuch unternimmt, miteinander auszukommen, die kann ich überspringen. Das war auch bei Delling so.
Zeit: Gab es den berühmten Moment, in dem Sie ahnten, dass Sie Freunde werden könnten?
GN: Ich wusste sofort, was für ein Mensch da vor mir steht. Danach hat sich alles ganz einfach entwickelt. Wichtig ist, dass es einen gemeinsamen Nenner bei den Dingen gibt, an denen man zusammenarbeitet. Dieses Gemeinsame gab es bei uns von Anfang an.
Zeit: Wer von Ihnen beiden hat den ersten Schritt getan?
GN: Ich habe schon zu meiner Zeit als Fußballer eine Mauer um mich herum errichtet. Wer mich erreichen wollte, musste diese Hürde nehmen. Das habe ich verlangt. Mein Interesse war immer dann geweckt, wenn sich jemand diese Mühe machte.
GD: Über die Netzer-Mauer muss ich täglich. Hilfreich war, dass wir uns in einer Ausnahmesituation kennen gelernt haben, bei der Fußball-WM 1998. Wenn Sie ganze Tage mehr als zwölf Stunden lang zusammen sind, fehlen schon einmal ein paar Steine in der Mauer.
Zeit: Wie leben Sie Ihre Freundschaft? Wie oft telefonieren Sie miteinander, wie oft sehen Sie sich?
GN: Als Delling noch nichts zu tun hatte, beides sehr oft. Im Moment sehen wir uns nur während unserer gemeinsamen Zeiten bei der Nationalmannschaft oder bei gemeinsamen Terminen wie diesem.
GD: Im Augenblick ist es ein bisschen schwierig, mich überhaupt ans Telefon zu bekommen. Ich habe ja zurzeit einiges zu tun. Aber das muss ja nicht so bleiben.
Zeit: Hatten Sie schon einmal richtig Streit?
GD: Ja, aber dazu ist nichts weiter zu sagen, als dass ich natürlich die Situation durch meine Besonnenheit gerettet habe (lacht).
GN: Ich erinnere mich an einen Streit. Aber ich weiß wirklich nicht mehr, worüber. Wir haben danach ein paar Tage nicht miteinander telefoniert.
GD: Da war ja auch nichts weiter. Ich weiß aber noch, wo es war.
GN: Jetzt fällt es mir auch wieder ein! Es war während der WM 2002, vor einem Abendessen. Da habe ich mit der Autotür geknallt und gehofft, dass die Scheibe rausfliegt.
GD: Es war eine ganz normale Stresssituation. Es ging um nichts Wesentliches.
(…)
Zeit: Freund sein heißt einander respektieren. Haben Sie diese Grenze gegenseitig schon einmal überschritten?
GN: Ich habe Herrn Delling einmal vor laufender Kamera als Milchbubi bezeichnet. Hinterher habe ich mich und dann ihn gefragt, ob ich da nicht zu weit gegangen bin. Meine Frau hat mich deswegen ermahnt. Der Vorfall hat mich gelehrt, welche Voraussetzung da sein muss, damit eine Freundschaft halten kann: Nur wenn beide sich gut kennen, können sie sich solche kleinen Beleidigungen erlauben. Wenn ich auf jedes Wort achten müsste, wie sollte das gehen?
GD: Es war natürlich eine seiner üblichen Frechheiten. Aber wenn wir immer nur bierernst über Fußball reden sollten, wäre das doch für niemanden auszuhalten.
Zeit: Wie viel Spaß macht Ihnen denn Ihre Freundschaft?
GN: Sie ist ein permanenter Spaß und gehört zu dem guten Leben, das wir haben.
GD: Spaß? Mit Ihnen, Herr Netzer? Wovon reden Sie?
Christian Zaschke (SZ 8.4.) befürchtet die Entlassung Falko Götz’: „Trainerentlassungen funktionieren wie Wetterwechsel. Erst scheint die Sonne, alle sind froh und haben gute Laune, man denke an Wolfsburg zu Saisonbeginn. Dann zieht es sich allmählich zu, der Himmel wird grau, Regen droht, man denke an Wolfsburg seit Beginn der Rückrunde. Bald fallen die ersten Regentropfen, schließlich bricht das Gewitter los, man denke an Wolfsburg am vergangenen Sonntag: Trainer Jürgen Röber wurde entlassen. Richtet man den Blick nach Süden, auf den TSV 1860 München, so sieht man dort die ersten Tropfen fallen. Und da der April bekanntermaßen der grausamste Monat ist, mit Wetterwechseln im Minutentakt, stellt sich die Frage, ob nicht bald ein Gewitter über Trainer Falko Götz herniedergeht. Die Zeichen sprechen dafür: Die Mannschaft hat lediglich vier Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz, sie hat am vergangenen Samstag eine kraftlose Vorstellung geboten. Die Münchner Boulevardpresse hat sich auf den Trainer eingeschossen, es werden allerlei Kandidaten als Nachfolger gehandelt, gipfelnd im branchenüblichen Reflex, dass nun Werner Lorant zurückkommen müsse, um den Verein zu retten. Wenn die Diskussion auf dieses Niveau sinkt, ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass das Klima sehr rau geworden ist. Allen Beteiligten wird mittlerweile nur noch so weit zugehört, wie es passt: Wenn der neue Präsident Karl Auer bemerkt, Götz säße gegen Bochum auf der Bank, danach sehe man weiter, wird das als Misstrauen gegenüber dem Trainer interpretiert – ungeachtet der Tatsache, dass der mit den Medien noch nicht allzu vertraute Auer bei Nachfrage betont, dass er keineswegs dem Trainer das Misstrauen aussprechen wolle, er habe mit der Aussage, dass man „weiter sehe“ ausdrücklich nicht den Trainer gemeint. Die üblichen Verdächtigen werden zitiert, ehemalige Spieler, und alle wissen alles besser, heißen sie nun Thomas Miller, Petar Radenkovic oder Olaf Bodden. Die Unruhe von außen könnte den Verantwortlichen im Klub egal sein, gäbe es nicht auch im Inneren ziemliche Unruhe. Noch immer ist die neue Führung in zwei Lager gespalten. Es gibt eine Gruppe im Aufsichtsrat, welche die sportliche Führung gern ersetzen möchte.“
In Italien gewinnt der, der am meisten betrügt
Italiens Vereinsfußball im Chaos, Hans-Jürgen Schlamp (Spiegel 5.4.) berichtet: „“60 Prozent der Vereine“, warnte Verbandspräsident Franco Carraro, drohe der Lizenzentzug. Nach Jahren, in denen viele Clubs über ihre Verhältnisse lebten, stehen einem Umsatz von einer Milliarde Euro nun Schulden von rund zwei Milliarden gegenüber. Seit 1996 verdoppelten sich die Einnahmen der Serie-A-Vereine, die Spielergehälter freilich stiegen um das Achtfache. Etliche Spitzenkräfte kassieren heute in ihrem Club über zehn Millionen Euro im Jahr und dieselbe Summe noch einmal über Werbeverträge. Vergebens wütet Italiens Rasenlegende Gianni Rivera seit langem gegen den „Größenwahn im Fußball“. In Italien hat die Verbindung von Fußball, Geschäft und Politik eine lange Tradition. Juventus Turin gehört der Fiat-Sippe Agnelli, der AC Mailand ist das PR-Instrument des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, Inter Mailand wird vom Erdölmagnaten Massimo Moratti ausgehalten. Wenn die Mäzene straucheln, brechen auch ihre Vereine ein: Der AC Parma steht vor dem Nichts, seit sein Besitzer, der Parmalat-Pleitier Calisto Tanzi, im Knast landete. Der ehemalige Patron von Lazio Rom, Sergio Cragnotti, sitzt aus ähnlichen Gründen ein – auch seine Fußball-AG sucht verzweifelt einen Käufer. Viele Tifosi, die im Fußball ihren Lebensmittelpunkt finden, sind tief enttäuscht. Ihre Wut auf „Politik und Business“ entlädt sich regelmäßig in Gewalt gegen die „Staatsmacht“, zuletzt beim römischen Derby zwischen AS und Lazio, wo das im Stadion kursierende Gerücht, ein 16-jähriger Junge sei unter einem Polizeifahrzeug zu Tode gekommen, sogar zum Spielabbruch führte. In Ordnung ist der „calcio italiano“ schon lange nicht mehr, nicht auf den Rängen der Stadien, noch weniger in den Bilanzen der Clubs. (…) Bei ihren Winkelzügen hilft den Clubs Berlusconi, der Robin Hood des italienischen Ballsports. Als Besitzer des AC Mailand kennt sich der Regierungschef mit den Bilanztricks der Liga aus. Er weiß, dass spätestens wenn die Verträge der künstlich überteuerten Fußballer auslaufen, deren Buchwert kräftig nach unten korrigiert werden muss – eine Zeitbombe in den Vereinsbilanzen. Um diese zu entschärfen, entschloss sich die Regierung voriges Jahr zu einem Geschenk, das die EU-Wettbewerbshüter in Brüssel bis heute noch nicht genehmigt haben. Statt den Wertverlust des Spielerkaders in dem Jahr abzuschreiben, in dem er eintritt, wie es das Gesetz ursprünglich vorschrieb, dürfen die Vereine nun die Negativzahlen auf zehn Jahre verteilen. Das macht aus den bedrohlichen Millionen-Hämmern homöopathische, leicht verdauliche Dosen. Davon profitiert auch Berlusconis Club kräftig. Hätte der AC Mailand die fälligen Wertberichtigungen in seine letzte Bilanz einrechnen müssen, wäre er mit 250 Millionen Euro ins Minus gerutscht. Doch dank Berlusconis „Fußball-Rettungsdekret“, wie es die Medien nannten, waren es nur 30 Millionen. Auch Inter Mailand und die römischen Clubs konnten ihren Verlust um jeweils 100 bis 300 Millionen Euro drücken. Insgesamt rechnete sich Italiens Elite-Liga auf diese Weise um eine Milliarde Euro reicher, als sie ist. Die Bilanztrickserei ist nur eine der vielen dunklen Machenschaften im italienischen Nationalsport. So mancher Verein zahlt auf die offiziellen Spielergehälter noch einmal dieselbe Summe als Schwarzgeld drauf. Rentenversicherungsbeiträge für ihre Spieler sind 15 Clubs der Serie A und B schuldig, insgesamt 22,5 Millionen Euro. Wenn alle Bilanzkosmetik nicht mehr hilft, sorgen gefälschte Bankbürgschaften dafür, dass die Bücher scheinbar in Ordnung sind: Gegen AS Rom, Ancona und Neapel ermitteln deshalb die Staatsanwälte. „Es war schon immer so“, schimpfte kürzlich Michel Platini, französischer Fußballheroe im Exekutivkomitee des europäischen Fußballverbandes (Uefa), „in Italien gewinnt der, der am meisten betrügt.““
Der grosse Bluff ist vorbei
Peter Hartmann (NZZ 6.4.) fügt hinzu: „Eigentlich sind es nur noch sechs. Von den „sieben Schwestern“ des Calcio ist die AC Fiorentina des Filmproduzenten Vittorio Cecchi Gori vor zwei Jahren bankrott gegangen. Die Tabelle der Serie A spiegelt eine scheinbar intakte Fassade: 1. Milan. 2. Roma. 3. Juventus. 4. Lazio. 5. Parma. 6. Inter. Gianni Agnelli, der einstige Juventus-Patriarch, hatte schon vor drei Jahren den Durchblick, als er verkündete: „Das Fest ist vorbei.“ Heute heisst die schlichte Erkenntnis: „Der grosse Bluff ist vorbei“ („La Repubblica“). Agnelli ist tot. Sergio Cragnotti, der abgehalfterte Besitzer von Lazio Rom, sitzt wegen des Zusammenbruchs seines Konserven-Konzerns Cirio im Gefängnis. Nur die 70 000 Lazio-Kleinaktionäre können den Klub noch retten – wenn jeder pro Kopf rund 1500 Euro an die überlebensnotwendige Kapitalerhöhung beiträgt, das Monatsgehalt eines Arbeiters. Calisto Tanzi, Herr über das zusammengekrachte Phantasie-Imperium Parmalat und über die AC Parma – auch er bleibt in Haft. Der staatliche Aufräumer sucht dringend einen Käufer für die Artistentruppe. Die Spieler zahlen inzwischen das Essen nach dem Spiel selber, denn die Kasse ist leer. Franco Sensi, der eigenmächtige Mehrheitseigentümer der AS Roma, der in seiner Fussball- Leidenschaft vermutlich über 850 Millionen Euro Schulden aufgetürmt hat, muss der Bank Capitalia als Gegenleistung für eine Blitzsanierung 49 Prozent seiner privaten Erdölholding Italpetroli überschreiben. Und während die gehäutete AC Fiorentina schon wieder die Rückkehr in die Serie A vorbereitet, versucht ihr früherer Boss Cecchi Gori das Familienerbe zu verscherbeln, etwa den Palazzo Borghese und das Teatro Adriano, Italiens grössten Kinopalast, um sich vor dem Konkurs zu retten. Die Verschwendung leisten können sich nur die AC Milan des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, die „Alte Dame“ Juventus im Portefeuille des Agnelli-Clans und Internazionale, das Fass ohne Boden der Ölhändler-Dynastie Moratti. Milan und Juventus verrechnen ihre Verluste mit steuerlichen Vorteilen über die Mutterfirmen. (…) Die letzte grosse Katharsis nach dem Bestechungsskandal Anfang der achtziger Jahre, als Klubs wie Milan und Lazio zwangsrelegiert wurden und der Milan-Präsident Colombo als Geldbriefträger für seine korrupten Spieler aufflog, hat das Land auch nicht in den Abgrund gestürzt. Im Gegenteil: Italien wurde 1982 Weltmeister.“
Das Streiflicht (SZ 8.4.): „Dass Gold und Hase irgendwie zusammengehören und darum zusammenwachsen müssen, weiß niemand besser als der österreichische Schokoladenfabrikant Hauswirth. Seit den achtziger Jahren wickelt die Firma ihre Osterhasen in goldenes Stanniol ein. Genauso wie die Schweizer Firma Lindt & Sprüngli. Weil die sich ihren Goldhasen jedoch rechtlich schützen ließ, ist ein Rechtsstreit zwischen den beiden Herstellern entbrannt. Schließlich ist der goldene Osterhase ein Verkaufsschlager. Vom Erfolg des Goldhasen hat sich aber anscheinend auch der FC Bayern inspirieren lassen. Von der kommenden Saison an will er seine Mannschaft in goldenen Trikots zu Auswärtsspielen schicken. Ob die Farbe Gold Fußballspieler ebenso vorteilhaft kleidet wie Osterhasen, sei dahingestellt. In der subtilen Farbwelt der Fußballpsychologie jedenfalls verrät der Wechsel eine Imagekorrektur. Mit den neuen Trikots möchte man wohl an die so genannten goldenen Jahre des Vereins zwischen 1968 und 1976 anknüpfen. Nicht umsonst heißt es ja Meister Lampe. Ob es da ein gutes Omen ist, dass die zweite Münchner Erstligamannschaft ebenfalls die Farbe Gold in ihren Auswärtstrikots verwendet? Der TSV 1860 ist abstiegsgefährdet. Und schon droht aus dem fernen Korea der ehemalige Löwentrainer Werner Lorant, unter den Goldhasen des Fußballs so etwas wie die lila Kuh: „Komme sofort!“, um die Löwen zu retten. Vielleicht sollte man die Bayern-Spieler zwecks Abgrenzung von den Löwen zusätzlich mit dem für den Goldhasen typischen Glöckchen am roten Halsband versehen. Das Glöckchen, das dem Peilsender der Brandenburger Feldhasen entspricht, könnte den Spielern außerdem helfen, einander auf dem Spielfeld besser zu orten. Niemand ist schließlich gefeit gegen den Abstieg in die zweite Liga, dem Brandenburg des Fußballs.“
Dienstag, 6. April 2004
Ballschrank
Champions League
FAZ-Interview mit Peter Kenyon, Vorstandschef des FC Chelsea; Damian Duff, Chelseas denkender Flügelstürmer (Tsp) – werden Frankreichs Vereine ihren Erfolg fortführen? u.a.
Duff denkt, sobald er rennt
Wolfram Eilenberger (Tsp 6.4.) porträtiert Damian Duff, Chelseas Stürmer: „Duff macht Druck. Unermüdlich läuft er seine Schleifen. Explosiv tritt er an, bricht wieder ab, schon zeigt er sich am anderen Flügel, wird angespielt, stürmt direkt auf den Außenverteidiger zu, fintiert, erwägt eine Wendung nach Innen, ändert erneut das Spielbein, legt den Ball in den engen, kaum einen Meter breiten Korridor zwischen Gegner und Seitenaus, stößt bis zur Grundlinie durch, um dort den Kopf ein entscheidendes letztes Mal zu heben und den Ball punktgenau ins Zentrum zu flanken. Behaupte noch einer, es gäbe keine Linksaußen mehr. Von all den sagenhaft kostspieligen Zugängen, mit denen Chelsea London diese Saison den Markt beflügelte, war der 24-jährige Ire die beste Investition. Denn was auch immer Herrn Abramowitsch, seinem zweifelhaften Vermögen und den neuen „Chelskis“ aus London widerfahren mag, Damian Duffs Wert wird weiter steigen. Er ist – auf europäischer Ebene – der kommende Flügelstürmer. Duff übernimmt diese Rolle von dem Niederländer Marc Overmars und dem Waliser Ryan Giggs. Während Overmars Reserven nie länger als 45 Minuten währten und der gute Giggs in Manchester zunehmend verloren wirkt, konnte Duff seine Qualitäten in den vergangenen Lehrjahren kontinuierlich verfeinern. Von gedrungener Gestalt und mit jenen Sommersprossen eines Rothaarigen, die in einem Fußballergesicht seit jeher für unbändigen Einsatzwillen stehen, vereinigt Duff den Mut zum riskanten Tempodribbling mit hohem taktischen Talent. Duff denkt, sobald er rennt.“
Es ist vorbei, daß wir ein reiner Kaufklub sind
FAZ-Interview mit Peter Kenyon, Vorstandschef des FC Chelsea
FAZ: Warum ist Chelsea für Sie die „größte Herausforderung im europäischen Klubfußball“?
PK: Nach den Jahren bei Manchester United sah ich hier eine große Chance, nicht nur weil der Besitzer wechselte, sondern weil er bereit war, viel ins Team zu investieren: mehr als hundert Millionen Pfund, und das in einem Markt, der in den letzten Jahren ziemlich flau war. Das bringt Dynamik.
FAZ: Sollen Sie ein neues ManU schaffen?
PK: Ökonomischer Erfolg funktioniert nicht ohne fußballerischen Erfolg. Um ein sehr erfolgreiches Unternehmen wie ManU zu sein, benötigt man Erfolg auf dem Platz. Bei Chelsea stehen wir erst am Anfang eines vergleichbaren Prozesses. Dafür müssen wir nun vor allem eins schaffen: Trophäen gewinnen. Erst um diesen Kern herum kann man die Marke Chelsea stark machen und weitere Geschäftsfelder erschließen.
FAZ: Ist das Vorbild eher Real Madrid, also eine zusammengekaufte Weltelf, Trainer egal – oder ManU: gewachsenes Team, allmächtiger Trainer?
PK: Wir sehen uns mehr in der Rolle, unsere eigenen Fußballer zu entwickeln. Nicht nur große Namen einzukaufen. Es ist nicht unser Ziel, die besten Spieler der Welt zu kaufen, sondern eine der besten Mannschaften der Welt aufzubauen.
FAZ: Bisher haben Sie ja vor allem eingekauft. Nun also ein neues Konzept?
PK: 13, 14 neue Spieler aus ganz Europa zu holen, das hat natürlich eine Menge Aufmerksamkeit auf Chelsea gelenkt. Aber das ist nicht die Strategie, die ich weiterverfolgen will. Weil Chelsea viele Millionen zum Investieren hat, wird jeder Spieler und jeder Trainer sofort mit Chelsea in Verbindung gebracht. Das meiste davon ist Unsinn. Am Ende brauchen wir einen Kader mit 22 oder 23 Spielern, nicht 53.
FAZ: Also diesmal keine Einkaufstour im Sommer?
PK: Wir schließen nicht aus, daß wir auch diesen Sommer Spieler kaufen. Aber vorbei ist, daß wir ein reiner Kaufklub sind. Wir wollen eine Gruppe von Spielern, die mehrere Jahre zusammenspielen, die sich verstehen, zusammenpassen, um Erfolg zu haben, wie Manchester, wie Arsenal. Wir wollen ein Team entwickeln mit einem echten englischen Kern.
(…)
FAZ: Könnten Sie uns bitte kurz anrufen, wenn Sie mit Ottmar Hitzfeld zu Abend essen sollten?
PK: Versprochen. Obwohl ich so schnell nicht mehr mit einem Trainer essen gehen will. Was ist denn da los bei den Bayern? Wollen die ihn tatsächlich loswerden? Ottmar ist doch einer der erfolgreichsten Trainer der Welt.
FAZ: Schade, wir dachten, daß Sie uns das sagen könnten.
Eine Saison in England ist schwer zu planen
Martin Pütter (NZZ 6.4.) sorgt sich um Arsenal London: „Die wichtigste Saisonphase hat für Arsenal schlecht begonnen. Am Samstag setzte es im ersten von vier Spielen in neun Tagen ein 0:1 im Halbfinal des FA-Cups gegen Manchester United ab – und wegen des (ungeahndeten) brutalen Einsteigens einzelner ManU-Spieler fehlen gegen Chelsea möglicherweise Reyes (Bänderzerrung im Knie nach grobem Foul von United-Torschütze Scholes) und Ljungberg (Handgelenkbruch). Zu einer Verschnaufpause kommen die „Gunners“ aber ohnehin nicht. Am Karfreitag steht das Meisterschaftsspiel gegen den wiedererstarkten FC Liverpool auf dem Programm, am Ostersonntag der schwere Gang nach Newcastle. Eine Saison in England ist schwer zu planen. Sicher ist nur, dass die Engpässe gegen Saisonende zunehmen. Die Anhäufung mehrerer Spiele in kurzer Zeit – sogenannt englische Wochen –, meist verbunden mit schweren Gegnern, hinterlässt Spuren. Auch in einem Topteam wie Arsenal (…) Einen empfindlichen Nerv traf Franz Beckenbauer in einem Interview im „Independent on Sunday“: „Es ist kein Zufall, dass die Länder mit den längsten Saisons an grossen Turnieren die Erwartungen nicht erfüllen.“ Das gelte für Spanien und England. Wie könne man da am Ende der Saison in Bestform sein? Das rüttelt Englands Fussball vielleicht auf. Aber bis es zu Änderungen kommt, werden die Klubs wohl noch einige Male englische Wochen erleben.“
Christian Tretbar (FR 6.4.) befasst sich mit Frankreichs Vereinen: “Der Weg zwischen Himmel und Hölle ist kurz in Frankreich. Während noch vor einem Jahr darüber diskutiert wurde, warum die Vereine im europäischen Vergleich nicht konkurrenzfähig sind, herrscht plötzlich ein neues Selbstvertrauen. Denn genau wie Spanien und England haben die Franzosen noch zwei Clubs im Viertelfinale der Champions League: AS Monaco und Olympique Lyon. Dazu gesellen sich noch Olympique Marseille und Girondins Bordeaux im Uefa-Pokal-Viertelfinale. „Das ist das Ende eines jahrelangen Komplexes“, titelt die Sportzeitung L‘Equipe. Frédéric Thiriez, Präsident der französischen Profiliga, spricht gar von einem „historischen Erfolg“. Sechs Jahre ist es her, dass sich Monaco als letzter französischer Club bis ins Halbfinale der Champions League vorgespielt hat. Die Monegassen können dieses kleine Wunder heute wiederholen. Allerdings müssen sie eine 2:4-Niederlage aus dem Hinspiel gegen Real Madrid aufholen. „Das wird schwer, aber träumen dürfen wir noch“, sagt Didier Deschamps, der Trainer des AS Monaco. Lyon läuft morgen einem 0:2 aus dem Hinspiel gegen den FC Porto hinterher. Zudem hat das Team am Wochenende die Tabellenführung durch eine 1:2-Niederlage gegen Olympique Marseille verspielt. „Ich erwarte eine Trotzreaktion“, sagt OL-Präsident Jean-Michel Aulas. Trotz der schlechten Ausgangslage vor den Rückspielen sollen Lyon und Monaco die Antidepressiva der französischen Liga sein. Aber ist der „jahrelange Komplex“ wirklich mit der Teilnahme von zwei Mannschaften im Viertelfinale der Champions League überwunden? Und was ist das überhaupt für ein Komplex? Es ist die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Anspruch der Liga, so gut und so erfolgreich zu sein wie die Nationalmannschaft. Die Wirklichkeit der französischen Clubs auf dem europäischen Parkett sieht aber so aus: Der letzte große Erfolg liegt elf Jahre zurück – 1993 gewann Olympique Marseille die Champions League.“
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