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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Ballschrank

Themen heute

Themen heute: Reformeifer in Italien – spanischer Tabellenfürer San Sebastian mit erster Saisonniederlage – Ärger in Leeds – Mauerblümchen Klub-WM u.a.

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Torschützen – Tabellen NZZ

Italien

Reinhard Sogl (FR 1.2.) schreibt über die Reformvorhaben der Serie A. „Radikale Reformpläne sind immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Not über die Maßen groß ist. Jetzt ist der italienische Fußball mit seinem Latein so weit am Ende, dass sich zumindest einzelne Vertreter darbender Vereine mal wieder des US-Systems erinnern. In Amiland gibt es in jeder der vier Spielsportarten eigentlich nur eine echte Profiliga, aufgeteilt in mehrere Divisionen. Und sportliche Absteiger gibt es auch nicht. Solche geschlossenen Gesellschaften haben Vorteile. So haben die Sport-Unterhaltungsfirmen eine gewisse Planungssicherheit, weil das Damoklesschwert des Abstiegs nicht über ihnen schwebt. Was wären die Frankfurter Eintracht respektive der potenzielle Investor fürs Waldstadion oder der 1. FC Kaiserslautern froh, könnten sie bei Bau oder Umbau der Arenen auf dauerhafte Erstklassigkeit der örtlichen Fußball-Klubs bauen. Ist ja schließlich nicht jeder Allianz versichert wie die Münchner Konkurrenz (…) Dass US-Verhältnisse im alten Europa nicht allein seelig machend sind, sollten sich auch die italienischen Radikalreformer hinter die Ohren schreiben. Sich an NFL oder NBA zu orientieren, würde auch den Verzicht auf egoistische Einkaufspolitik bedeuten, weil eine gewisse Chancengleichheit Basis der US-Ligen ist. Zudem lassen sich trotz neokapitalistischer Zustände im Sport des Alten Kontinents Traditionen nicht so einfach auf dem Altar des Shareholder value opfern. Bei der Suche nach dem Weg aus der Schuldenfalle sollten Italiener und demnächst gewiss auch Kollegen anderer Länder daran denken, dass auch im US-Sport Pleiten an der Tagesordnung sind. Ausgabenreduzierung fängt nicht bei einer Ligareform, sondern bei der Kürzung von Spielergehältern und Ablösesummen an.“

Peter Hartmann (NZZ 4.2.) berichtet von weiteren Innovationsgedanken in Italien. „Mit dem Verschwinden des Südens von der Fussballlandkarte hat sich letzte Woche auch die Lega befasst und ein Projekt ins Auge gefasst, das nach „sofortiger Einweisung in psychiatrische Behandlung“ (Gazzetta dello Sport) seiner Urheber ruft. Die Serie-B-Klub-Präsidenten Cellino (Cagliari) und Spinelli (Livorno) möchten die Serie A von 18 auf 40 Klubs erweitern, unterteilt in zwei Gruppen mit Play-offs, und sie scheinen Unterstützung zu finden. Hintergrund dieses verzweifelten Rezepts einer Fusion von Serie A und Serie B: Die Serie B ist pleite. Momentan zahlen noch drei Klubs Saläre aus. Laut einem Abkommen von 1997 entrichtet die Serie A (die damals noch als reich galt) an die 20 Klubs der Serie B eine feste Ausgleichszahlung in der Höhe von 160 Millionen Franken, die aus den Mitteln des Fussball-Totos abgezweigt werden. Doch der Gewinn des Wettbetriebs ist auf weniger als 20 Prozent zusammengeschmolzen, das Geld für die Subvention schlicht nicht mehr vorhanden. Eine realistische Überlebenschance für die Serie B wäre das Splitting in zwei regionale Gruppen Nord und Süd. Damit hätte der Süden auch eine ständige Vertretung in der Serie A garantiert. Die Parole im Calcio, der insgesamt mit 1,5 Milliarden Euro verschuldet ist, heisst ab sofort: Rette sich, wer kann. Das Ergebnis könnte eine autonome Premier League nach englischem Muster sein, ohne das Kreuz des Südens.“

England

Die Lage in Leeds kommentiert Martin Pütter (NZZ 4.2.). „Am Wochenende war in Leeds Erleichterung spürbar – weniger über die 0:2-Niederlage der United am Samstagnachmittag gegen Everton als vielmehr wegen der Ereignisse ausserhalb des Spielfelds. Am Freitag um Mitternacht wurde das Transferfenster geschlossen, und am Sonntagabend gab Terry Venables bekannt, dass er seinen Job als Trainer von Leeds United erfüllen werde – zumindest bis zum Ende der Saison. Für den Klub, der vor knapp zwei Jahren die Halbfinals der Champions League erreicht hatte, bedeutete dies zweierlei: Einerseits war damit der Winterschlussverkauf beendet, den der Vorstand zur Deckung der Schulden von über 80 Millionen Pfund (180 Millionen Franken) gestartet hatte, und andererseits blieb der Mann, der als letzte Hoffnung für eine Wende zum Besseren betrachtet wird. Letzter Punkt ist besonders bemerkenswert: Vor rund drei Monaten noch war Terry Venables der Buhmann der Fans, nachdem die Mannschaft nach einer Serie schlechter Resultate in der Tabelle abgerutscht war. Aber da waren die Ausmasse der Probleme hinter den Kulissen und das schlechte Management durch den Chairman Peter Ridsdale noch nicht bekannt. Der Trainer, aber noch vielmehr die Fans sind ungemein sauer auf Ridsdale. Entsprechend wagte er sich in den letzten Tagen nur noch mit Bodyguards an die Öffentlichkeit. Aber immer mehr stellt sich heraus, dass der Mann, der sch vor zwei, drei Jahren noch in der Öffentlichkeit sonnte (und deswegen den Spitznamen „Publicity Pete” erhielt), mehr Anteil am bescheidenen Rendement von Leeds United hat, als er bisher zugab und zugeben wird. Sein krassester Fehler: Er liess Venables, Spieler, Fans und Medien im Dunkeln darüber, wie es um die Situation im Verein wirklich bestellt ist. Letzten Sommer versprach Ridsdale seinem neuen Trainer, der als Nachfolger für den entlassenen David O‘Leary verpflichtet worden war, dass die Mannschaft zusammenbleibe und Rio Ferdinand nicht abgegeben werde. Wenige Wochen später wechselte der englische Nationalverteidiger für 30 Millionen Pfund zum Rivalen Manchester United. In den darauf folgenden Monaten stand dann vor allem Terry Venables im Kreuzfeuer der Kritik, doch mit der Jahreswende änderte sich dies gewaltig.“

Spanien

Georg Bucher (NZZ 4.2.). „Racing Santander hat nie so viele Schlagzeilen geschrieben wie in den letzten Wochen. Das Medienecho verdankt der kantabrische Traditionsklub einem 1963 in Odessa geborenen Selfmademan, der 14-jährig aus der Ukraine nach Amerika ausgewandert und mit Immobiliengeschäften vermögend geworden war: Dimitri Pieterman. Racings Schulden beliefen sich auf über 50 Prozent des Sozialkapitals, es drohte die Auflösung, weil kein Direktionsmitglied für einen dringend benötigten 12-Millionen-Euro-Kredit bürgen wollte. Pieterman übernahm schliesslich für 1,8 Millionen Euro 24,6 Prozent Aktien der Sociedad Deportiva Anonima und leistete zusammen mit dem früheren Präsidenten Santiago Diaz eine Bürgschaft bei der Caja Cantabria. Auch das Unternehmen Numa im Besitz der Supermarktkette Lupa erwarb ein Zehntel Anteile. Die Verbindungen des Mehrheitsaktionärs nach Santander reichen ins Jahr 1992 zurück. Pieterman bereitete sich damals als Dreispringer auf die Olympischen Spiele vor, wurde aber nicht für Barcelona nominiert. Später kaufte er Hotels an der Costa Brava und 1999 den viertklassigen, auf diese Saison promovierten Fussballklub Palamos. Als Präsident, Co- und Konditionstrainer vereinigte er dort die gleiche Machtfülle wie jetzt in Santander auf sich. Der Ausbildner Manuel Preciado und der Technische Direktor Quique Setien, ein Racing-Mythos, traten nach Gesprächen mit dem Chairman zurück. Umgehend wurden aus Palamos der neue Trainer Jesus Cos und vier Spieler eingeflogen. Dass “Chuchi” Cos allenfalls ein Strohmann ist, sah man schon am vorletzten Sonntag in Pamplona. Pieterman, der keine Trainerlizenz besitzt, war als Photograph akkreditiert und gab neben der Bank Anweisungen. Sein Erfolgsrezept, ein museal anmutendes 4:2:4-System, hatte allerdings fatale Folgen (1:3). Mangels Unterstützung aus dem Mittelfeld geriet Racings vorgezogene Abwehrreihe ständig in Verlegenheit, Osasuna hätte auch einen Kantersieg landen können. Kein Grund, die Maximen in Frage zu stellen, will sich Pieterman doch Zeit nehmen und mittelfristig die Champions League anvisieren, obschon der gut in die Saison gestartete Aufsteigerklub in diesem Jahr noch sieglos ist und um den Klassenerhalt bangen muss. Es geht vor allem um positive Stimmungen. Also wurde das Training am Sardinero-Strand vom Vorturner Pieterman vor zahlreichen Schaulustigen und Fernsehkameras als Event zelebriert und den verdutzten Presseleuten hinterher mitgeteilt, man wolle Romario von Fluminense verpflichten (…) Während die Trainervereinigung gegen das neue Feindbild giftet, Medien eine Amerikanisierung des spanischen Fussballs als Schreckensszenario ausmalen und den „Usurpator“ geistesgestört nannten, geniesst Pieterman in Santander einen beträchtlichen Vertrauensvorschuss – notabene als Retter jenes Klubs, der hinsichtlich Trikotwerbung, Fernsehübertragung von Fussballspielen und Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft die Vorreiterrolle auf der Peninsula gespielt hatte.“

Das baskische DuellAthletic Bilbao – Real Sociedad San Sebastian (3:0) taz (I) taz (II)

Weiteres

Wolfgang Hettfleisch (FR 1.2.) kritisiert das Festhalten des Fifa-Präsidenten Blatter an der Klub-WM. „Es ist zunächst nicht recht auszumachen, was sich der Fifa-Boss von einem Vorhaben verspricht, das auf erbitterten Widerstand der europäischen Topclubs trifft. Womöglich kann die Fifa Arsenal, Milan, Real oder die Bayern unter Androhung von Geldstrafen zwingen, beim Turnier der vorgeblich besten Vereinsmannschaften der Welt anzutreten. Doch so weit, um zu gewährleisten, dass besagte Clubs ihre Stars auflaufen lassen, reicht nicht mal der lange Arm des mächtigen Mannes aus dem Wallis. Warum also das Beharren auf der Kopfgeburt, die in Europa weithin Unverständnis hervorruft? Nun, man könnte es mit einer gesunden Portion Missgunst erklären. Neid auf den Europäischen Fußballbund Uefa und dessen Gelddruckmaschine: die Champions League. Der Wettbewerb hat – ungeachtet der bisweilen berechtigen Kritik am mehrfach geänderten Modus – international Maßstäbe gesetzt. In sportlicher wie ökonomischer Hinsicht. Als Real Madrid vorigen Mai in Glasgow Bayer Leverkusen bezwang und den begehrtesten Pott im europäischen Vereinsfußball gewann, sah die Welt zu; als die Corinthians Sao Paulo im Finale der ersten und letzten Club-WM im Januar 2000 im Maracana-Stadion von Rio Vasco da Gama im Elfmeterschießen niederrang, juckte das außerhalb der Grenzen Brasiliens kein Schwein.“

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Die Woche im Rückblick

of In der Gunst der Fußball-Liebhaber ist der VfB Stuttgart dem FC Bayern München, der zweite deutsche Champions-League-Teilnehmer, derzeit zwei bis drei Stücke voraus. Die erfolgreiche Qualifikation der Stuttgarter durch das 1:0 gegen Glasgow Rangers feiern 55.000 Zuschauer im Stadion, rund 10 Millionen vor den Bildschirmen und alle Sportredaktionen: Die FTD und die FR haben „Lust auf mehr“, die SZ glaubt, dass: „das Wunder zur Regel wird“; die NZZ, unser südlicher Nachbar, fährt mit dem Finger auf Deutschlands Fußball-Landkarte und zeigt mit offenem Mund auf Stuttgart, die „neue Hauptstadt des deutschen Fussballs“. Die FAZ hält den Erfolg für „ein ganz abgeklärtes Werk von Frühreifen“.

Presse-Stimmen VfB Stuttgart – Glasgow Rangers (1:0)

Das 0:0 der Bayern gegen Celtic Glasgow hat nur einen bezaubert – den aber außerordentlich: Uli Hoeneß, „den größten Fan des FC Bayern“ (SZ). Angesichts dessen Ekstase („so ein Erfolgserlebnis wird die Mannschaft beflügeln“) schauen sich die anwesenden Journalisten ungläubig an. Die BLZ schreibt: „Selten hat der FC Bayern München aus so wenig Leistung so viel Optimismus geschöpft“, die SZ teilt mit: „Es gibt genau fünf Arten, ein Fußballspiel zu erleben: Im Fernsehen, im Stadion, auf der Insel, im Celtic-Park – und durch die Brille von Uli Hoeneß.“ Für Hoeneß’ Ankündigung einer Sieges-Serie („jetzt müssen die Gegner wieder Angst vor uns haben“) hat die FTD eine Erklärung: den Spielplan, denn „solche Töne kann spucken, wer den 1. FC Köln daheim erwartet.“ Nur die FR gibt Hoeneß recht: „Besser geht’s bei den Bayern derzeit nicht“. Die SZ ist von einer anderen sportlichen Leistung von Rummenigge, Beckenbauer, Hitzfeld Co. angetan und kürt den FC Bayern als „Champion in der Schnacksel-League“.

Presse-Stimmen Celtci Galsgow – Bayern München (0:0)

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Ging es um ihn, ging es immer um Zukunft, Gegenwart wurde ihm nie gegönnt

sehr lesenswertes Deisler-Portrait (Zeit) – Ebbe Sand, Stürmer außer Form – Bundesliga kritisiert weiterhin die DFL – WM-OK hat Probleme, Sponsoren zu überzeugen und Geld zu erwerben (Spiegel) – der Werbewert der Bundesliga und ihrer Stars – Uwe Seeler, Ehrenbürger Hamburgs u.v.m.

Ging es um ihn, ging es immer um Zukunft, Gegenwart wurde ihm nie gegönnt

Sehr lesenswert! Henning Susebach (Zeit 27.11.) erklärt, selbstkritisch, die Ursachen der Leiden des jungen Deisler: „Längst ist aus Sebastian Deisler, 23, der stets nur um des Spielens willen spielen wollte, ein junger alter Mann geworden, den der Fußball krank gemacht hat. Obwohl: Es war vermutlich nicht der Fußball selbst, es war das Drumherum. Und genau genommen ist Sebastian Deisler seit längerem auch kein Fußballspieler mehr – seine wichtigste Partie hat er außerhalb des Platzes bestritten und verloren. Er hätte sie auch niemals gewinnen können, denn sein Gegner war das Anspruchsdenken seiner Trainer, seiner Fans, der ganzen Nation. Seit zwei Wochen wird Deisler wegen Depressionen behandelt. Das schockiert uns Fußballinteressierte, doch es überrascht uns nicht – und genau das verrät uns, überführt uns: dieses Wissen, über Jahre ebenso fasziniert wie vorausahnend einem beinahe zwangsläufig wirkenden Schauspiel beigewohnt zu haben. Im Nachhinein scheint alles so vorhersehbar: Ein junger Spieler, anfangs voller Unbekümmertheit, verzweifelt an der Überhöhung seines Tuns. Man würde Sebastian Deisler gerne selbst dazu befragen. Würde erfahren wollen, ob diese unverschämte – weil öffentlich und ohne Rücksprache gestellte – Mutmaßung stimmt. Doch das ging nie, geht vor allem jetzt nicht, da er sich auf unbestimmte Zeit ganz der Öffentlichkeit entzogen hat. Die Situation ist fast wie immer, nur zugespitzter: Deisler ist überall, im Fernsehen, in den Zeitungen, in den Köpfen, in den Bulletins der Ärzte – und ist doch nirgends. Er ist ein Phantom, frei, um gedeutet zu werden. Das war schon immer sein Pech. Versuchen wir es hier, sofern das geht, in seinem Sinne. Es gibt da eine Szene, von der Sebastian Deisler heute vielleicht sagen könnte, dass sie seinen Niedergang als Senkrechtstarter eingeleitet habe. Tragischerweise liegt auch diese Szene am Anfang seiner Karriere, wie sein schönster Satz: Es ist der 6. März 1999, als einem 19 Jahre alten Buben in Diensten des Erstligisten Borussia Mönchengladbach der Ball vor die Füße fällt. Es sind 60 Meter bis zum Tor. Der Bub senkt den Kopf. Rennt los. Lässt alle stehen. Und schießt den Ball mit Wucht ins Netz. Für Deisler war dieses Tor sein erster Treffer in der Bundesliga; für die Medien war es mehr. Mit seinem Solo war Deisler in ein Vakuum vorgestoßen, in einen freien Raum voll unerfüllter Sehnsüchte, den er unten auf dem Rasen gar nicht erahnen konnte. Da stand er nun und kam nicht mehr weg. Bei der Weltmeisterschaft 1994 war Deutschland im Viertelfinale ausgeschieden, gegen Bulgarien. Die WM 1998 war ebenfalls im Viertelfinale beendet, gegen Kroatien. Die Diagnose der ernüchterten Nation, die ihr Selbstbild nicht aus Königshäusern und zum Glück nicht aus Kriegen bezieht, sondern meist aus dem Fußball, lautete damals: Wir brauchen einen neuen Hoffnungsträger. Sofort. Und nun gab es endlich diese Szene, in die sich so viel Zukunft hineindeuten ließ. Die Sender wiederholten sie immer wieder, zerlegten sie in Stücke, fuhren sie in Zeitlupe ab. Deisler schoss und traf, schoss und traf, schoss und traf. Mit jedem Mal wurde er größer. Kommentatoren und Trainer verloren angesichts der präzisen Flanken und Freistöße des jungen Rechtsaußen die verbale Contenance und sprachen von „Brandbomben“, die Deisler in die gegnerischen Strafräume „werfe“. Er war schnell, kräftig, ging furchtlos in die Zweikämpfe – eine Spielweise, die neben Ballgefühl und Fitness vor allem eines brauchte: Zuversicht. Der stern schrieb gar, Deislers Stil künde von „genug Unverfrorenheit, die Welt aus den Angeln zu heben“. „Endlich ist da wieder ein ganz Großer!“, riefen alle und wollten nicht mehr sehen, wie klein er noch war (…) Deisler wurde nicht mit Kritik erschlagen, eher durch Zuneigung erdrückt. Zuneigung freilich, die weniger ihm selbst galt und mehr der deutschen Fußballvolksseele. Es ging eigentlich nie um ihn, es ging immer um die nationale Interessenlage (…) Ob einer wie er geeignet ist für diesen Sport? Für all die Vereinnahmung und Überhöhung, die den Profifußball umschließt? Er konnte es leider nicht heimlich ausprobieren. Am Ende erschrickt man, dass die ganze Zeit von einem Menschen des Jahrgangs 1980 die Rede war. Erwischt sich dabei, das Leben, das Spielvermögen eines 23-Jährigen in der Vergangenheitsform beschrieben zu haben. Das ist Deislers Problem: Ging es um ihn, ging es immer um die Zukunft. Gegenwart wurde ihm nie gegönnt. Auch nicht, als vor einigen Monaten vermeldet wurde, dass Deisler im Januar Vater werde. Er schoss fortan wieder Tore für den FC Bayern, zuletzt vor vier Wochen. Wir dachten, er sei zurück im Spiel. Wir dachten wieder nur an uns.“

Agali wird verhöhnt, Sand bemitleidet

Richard Leipold (FAZ 27.11.) schildert den Niedergang Ebbe Sands: “Wenn Fußballspieler auf ihren früheren Verein, treffen, geht es meist um mehr als den Tagessieg. Manchmal wollen sie die Gelegenheit nutzen, die Vergangenheit zu bewältigen oder ihre alte sportliche Liebe kickend zu vergessen. Gern würde auch der Schalker Mittelstürmer Ebbe Sand seiner eigenen Geschichte Fußball spielend begegnen – wenn der Trainer ihn denn ließe. Im UEFA-Pokalrückspiel treten die Schalker beim dänischen Spitzenklub Bröndby Kopenhagen an, für den Sand sieben Jahre lang gespielt hatte, ehe er 1999 ins Gelsenkirchener Fußballrevier wechselte. Doch in Kopenhagen wird der 31 Jahre alte Däne voraussichtlich nicht für die Startelf nominiert. Sieht so der politisch korrekte Umgang mit einem Spieler dieser Klasse aus, der sich um den Klub so verdient gemacht hat? Im Fußball geht es nicht um Politik, sagt Jupp Heynckes. Für uns geht es um den Einzug in die dritte Runde des Europapokals. Da wird die beste Mannschaft spielen. Die beste Mannschaft? Aus ihr war Sand jahrelang nicht wegzudenken. Doch vorerst gehört er offenbar nicht mehr dazu. Verletzungen und ihre Folgen haben ihn in ein lang anhaltendes Formtief gestürzt, aus dem er sich schon in der vergangenen Saison nur sporadisch hatte befreien können. Am meisten fällt es in der Bundesliga auf. Im Alltagsgeschäft hat Sand seit dem 20. April nicht mehr getroffen, 1258 Spielminuten lang. Eine Ewigkeit für einen Torjäger – und für seinen Trainer, der auch deshalb im Sommer nach Schalke gekommen ist, weil er annahm, dort besonders gute Stürmer vorzufinden (…) Als wahrscheinlich gilt, daß neben Mike Hanke, der im Hinspiel beide Schalker Tore erzielte, Victor Agali, ein Leidensgenosse Sands, eine neue Chance erhält. Während der dänische Nationalspieler zumeist gar nicht erst zum Schuß kommt, vergibt Agali die besten Möglichkeiten. Die Reaktionen der Fans fallen unterschiedlich und dennoch für die beiden verhinderten Torjäger ähnlich schmerzlich aus: Agali wird verhöhnt, Sand bemitleidet.“

Leserbriefe an die FR-Sportredaktion zum Thema Eintracht und die Schiedsrichter

Nur der Franz kann’s, doch sein Zauber ist verflogen

Jörg Schmitt Michael Wulzinger (Spiegel 24.11.) recherchieren Probleme des WM-OKs bei der Akquisition: „Angesichts von Massenentlassungen und Sparprogrammen in Milliardenhöhe können viele Konzernvorsteher weder Aktionären noch Mitarbeitern vermitteln, weshalb sie 12,9 Millionen Euro in ein Massenspektakel wie die Fußball-WM pumpen wollen – zumal die Firmen für die Werbung mit dem WM-Logo mindestens noch mal das Doppelte drauflegen müssen. Bahn-Chef Hartmut Mehdorn wies darauf hin, er müsse Kosten senken und Stellen streichen – da sei ein derart teures Engagement nicht zu rechtfertigen. Ähnliches bekamen die Organisatoren bei der Dresdner Bank zu hören: Wir können nicht 16 000 Mitarbeiter entlassen, das Weihnachtsgeld kürzen und gleichzeitig Millionen für die WM verpulvern. Selbst bei Unternehmen, die das Geld aus der Portokasse zahlen könnten, stoßen die WM-Planer auf Zurückhaltung. Leistung und Gegenleistung, heißt es in einem Gutachten, das ein großer Energieversorger zur WM 2006 in Auftrag gab, stehen in einem krassen Missverhältnis. Dass die WM-Macher bislang überhaupt Sponsoren zu präsentieren hatten, haben sie in erster Linie Beckenbauer zu verdanken. Nach der Devise Nur der Franz kann’s hatte die Kicker-Ikone die Postbank und EnBW geködert. Beiden Unternehmen ist Beckenbauer als Werbepartner verbunden. Doch sein Zauber, so scheint es, ist verflogen. Als Beckenbauer Mitte Oktober wieder mal persönlich von den Kitzbüheler Bergen herabstieg, um in der Düsseldorfer Metro-Zentrale vorzusprechen, bekam er einen Korb. Wenig attraktiv und zu teuer, befand Hans-Joachim Körber, Vorstandschef des Handelsriesen. Zuvor hatten bereits Ruhrgas, SAP und der Versorger GEW Rhein Energie abgelehnt. Selbst beim DFB-Sponsor Fujitsu Siemens blitzten die Frankfurter ab. Grund dafür ist auch: Was Beckenbauer und seine Drückerkolonne den potenziellen Förderern für jeweils 12,9 Millionen Euro bieten, ist mehr als dürftig: Laut Präsentationsunterlagen (Willkommen im Fußball-Land) umfasst das Rechtepaket neben der Nutzung des Logos lediglich Bandenwerbung in TV-freier Lage. Zusätzlich darf jede Firma ihre Produkte im Stadionumfeld präsentieren. Obendrauf gibt es ein paar Freitickets samt Parkausweisen. Das war’s.“

Frank Hellman (FR 27.11.) ermittelt Werbewerte: „Er taugt als Welttorhüter wie als Werbefigur. Als Sympathieträger taugt er nicht. Oliver Kahn ist auf einen Abstiegsplatz abgerutscht. Gerade 20 Prozent sympathisieren noch mit dem Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft. Neben dem Torwart kommt auch der Präsident des FC Bayern in der Gunst schlecht weg: Franz Beckenbauer bringt es nur auf 29 Sympathie-Prozentpunkte. Dagegen sind Steffi Graf und Rudi Völler die beliebtesten Sportler. Das sind erstaunliche Ergebnisse der vom Hamburger Vermarkter Sportfive in Auftrag gegebenen und in Frankfurt vorgestellten Markt-Media-Studie Affinitäten_2, in der das Allensbach-Institut 3175 Personen zwischen 14 und 69 Jahren befragt hat. Dass Kahn ein Idol für viele Kinder ist, er und Beckenbauer gefragte Botschafter für Handyanbieter, Schokoriegel oder Duftwässerchen bleiben, ist für Lars Reckwitz vom Sportfive-Marketing kein Widerspruch. Kahn soll in der Werbung zuerst polarisieren, Beckenbauer vermitteln, alles was er anfasst, wird zu Gold. Für den Imagetransfer ist nicht immer Sympathie vonnöten. In Deutschland steht nach wie vor ein riesiges Sponsoring-Budget zur Verteilung an: allein 3,5 Milliarden Euro, das sind 40 Prozent der europaweiten Ausgaben. Dabei greift der Fußball den größten Teil ab. Die Fußball-WM 2006, Sport-Event des Jahrzehnts (Reckwitz), wird die Summe noch erhöhen – Experten erwarten Sponsoring-Pakete von 650 Millionen Euro. Jedes dritte größere deutsche Unternehmen plant zur WM Marketing-Maßnahmen (…) Ziel eines Sponsors kann nicht sein, deutscher Meister zu werden, erklärt Thomas Röttgermann, Geschäftsführer des aus der Ufa Sports GmbH hervorgegangenen Sportrechte-Vermarkters. Es gehe zuerst darum, Image und Bekanntheit zu verbessern. Es zählt Glaubwürdigkeit, sagt Röttgermann, dazu gehört, dass sich der Sponsor nicht bei einem Abstieg verpieselt. Als abschreckendes Beispiel gilt der Bekleidungshersteller Trigema, der ist durch die Bundesliga gehüpft und hat jede Authentizität verspielt. Was der Sponsor wissen muss: Ein Absatzplus ist oft nur bedingt möglich. Der Energiekonzern Eon hat durch sein Engagement bei Borussia Dortmund kaum mehr Strom verkauft, der Internetanbieter AOL im Umfeld des Hamburger SV nur den Markenstatus gesteigert.

Trister Verwaltungsapparat und Egoismus der Klubs

Jörg Marwedel (SZ 27.11.) stellt fest, dass die Bundesliga mit der DFL unzufrieden ist: „Zweieinhalb Jahre nach ihrer Gründung wird die Vertretung des Profifußballs von immer mehr internen Kritikern als trister Verwaltungsapparat mit 26 Mitarbeitern wahrgenommen, der 7,2 Millionen Euro pro Jahr verschlinge, aber außer der Abwicklung des Spielbetriebs und des Lizenzierungsverfahrens wenig einbringe – schon gar nicht die Millionen, die man sich von der gemeinsamen Marke „Bundesliga“ versprochen hatte. Zum Jahresende verlassen in Michael Pfad und Heribert Bruchhagen gleich zwei Geschäftsführer die Frankfurter Zentrale. Auch, weil der „kleine DFB“ (Pfad) wie die Politik unter einem Reformstau leidet und Besserung kaum in Sicht ist. Die Suche nach den Ursachen führt nicht nur zu den widersprüchlichen Interessen der Vereine und falschen Strukturen, sie führt auch zu Wilfried Straub, 63. Über den Geschäftsführenden Vorsitzenden der DFL, von vielen als betonharter Apparatschik gefürchtet, gibt es viele Geschichten: etwa jene, dass es bei einer Taxifahrt keine fünf Minuten dauere, bis er dem Chauffeur zu verstehen gegeben habe, wer von den Fahrgästen der Koch und wer der Kellner sei. Auch wichtige Gespräche, etwa mit dem Fernsehexperten Günter Netzer, führe er lieber allein statt in Begleitung noch so kompetenter Kollegen. Straub sammelt diskret Herrschaftswissen, seit 35 Jahren. Auch deshalb kommt im Profifußball niemand an ihm vorbei, und das wird mindestens bis 2005 so bleiben, denn sein Vertrag wurde kürzlich um ein weiteres Jahr verlängert. Für die DFL ist dies trotz Straubs unbestrittenen Fähigkeiten kaum ein Segen, denn der diskrete Macher („Ich bin kein Weltmeister der Ankündigung“) steht nicht nur PR-Maßnahmen äußerst skeptisch gegenüber. Opfer seiner Machtfülle ist auch deshalb Michael Pfad, 39. Der Fernsehmann (Premiere) war geholt worden, damit er, so Hackmanns Vision, ein Liga-TV entwickele, das den Fußball unabhängiger mache von den Sendern. „Eine Nummer zu groß“, unkte der frühere Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff und behielt recht (…) Allerdings wäre es ungerecht, die Misere der DFL allein Straub und Kollegen anzulasten. Vor allem die großen Deals scheiterten bislang am Egoismus der Klubs. „Ein zweistelliger Millionenbetrag“, schätzt Pfad, sei der Liga verlorengegangen, weil Verträge mit potenziellen Sponsoren vom Veto einzelner Klubs gestoppt worden seien. Ein Generalsponsor, wie ihn Englands Premier League seit zehn Jahren hat, liege auch deshalb in weiter Ferne, weil mögliche Kandidaten aus den finanzstarken Branchen Automobile, Kommunikation, Energie und Versicherungen allesamt mit Werbepartnern der Klubs kollidierten, nach dem Motto: Telekom blockiert Vodafone.“

Ralf Wiegand (SZ 27.11.) porträtiert Uwe Seeler, Ehrenbürger Hamburgs: „Wenn irgendwo ein bekanntes Gesicht für diese oder jene Veranstaltung gesucht wird – ein Anruf bei Uwe Seeler lohnt sich immer. Mit etwas Glück bekommt man von ihm sogar ein Zitat von geradezu Herbergerscher Klarheit wie dieses: „Das Geheimnis des Fußballs“, sagte Uwe Seeler einmal, „ist ja der Ball.“ Der Mann der schlichten Wahrheiten wurde nun in einen Rang erhoben, der bisher Schriftstellern, Kaufleuten, Politikern, Verlegern, Senatoren, Komponisten und Kanzlern vorbehalten war – sie alle stehen auf der kurzen Liste der Hamburger Ehrenbürger. Seit 1813, als man dem russischen General von Tettenborn auf diese Art für die Befreiung von der französischen Fremdherrschaft dankte, wurde das Ehrenbürgerrecht der Freien und Hansestadt Hamburg erst 30 Mal verliehen, am Mittwoch eben an Uwe Seeler als ersten Sportler. Geehrt wird Seeler nicht für sein brillantes Spiel („einfach drauf“), auch nicht für seine Weitsicht als Funktionär, die er durchaus manchmal vermissen ließ, als er Präsident des HSV war, des Hamburger Sportvereins. Geehrt wird Seeler, weil er immer geblieben ist: in Hamburg, auch als ihn das Ausland lockte, was die Hamburger in den Michel trieb, zum Beten, dass er nicht gehen möge. Das war Anfang der sechziger Jahre, als Inter Mailand ihm 900 000 Mark für einen Wechsel bot, damals eine ungeheure Summe. Und doch, Seeler blieb daheim – allerdings nicht, ohne sich umgehend die adidas-Generalvertretung Norddeutschland zu sichern.“

Das Amtsgericht gibt bekannt: „Hausbesitzer haben keinen Anspruch auf ein Fußball-Verbot vor ihrem Gartenzaun. Mit diesem Urteil hat das Landgericht München II am Montag die Klage einer Grundbesitzerin weitgehend abgewiesen (Az.: 5 O 545403). Die Frau hatte einen Vater verklagt, dessen minderjähriger Sohn zwei Mal einen Fußball auf das Grundstück geschossen hatte. Beim ersten Mal hatte der Junge das rollende Leder rasch wieder vom Grundstück geholt, beim zweiten Mal kassierte die Frau den Ball. Sie verklagte den Vater vergeblich auf rund 700 Euro Schadenersatz, sie hatte dies unter anderem mit einer beschädigten Hecke begründet. Das Gericht gab dem Begehren der Frau auf Unterlassung jeglicher Grundstücksbetretung jedoch statt. Kinder dürfen Fußball spielen, aber dabei nicht fremde Sachen beschädigen oder fremden Grund betreten, befand die 5. Zivilkammer. Der Junge muss also bei künftigen Fehlpässen gegebenenfalls bei der Frau klingeln und um Herausgabe des Balles bitten. Zugleich verurteilte die Kammer die Frau zur Herausgabe des Balles, wie dies der Vater des jungen Fußballschützen in einer so genannten Widerklage verlangt hatte. Von den Kosten des Verfahrens bleiben 75 Prozent an der streitbaren Grundbesitzerin hängen, 25 Prozent muss der Vater des Jungen zahlen.“

Stadien sind Orte großer Tragödien gewesen

Christoph Biermann (taz 27.1.) sorgt sich um die Sicherheit von Stadionbesuchern – und damit auch um seine eigene: „Seit meiner Fahrt nach Gelsenkirchen am September 11 frage ich mich, warum Fußballspiele bislang verschont worden sind. Neben dem Terror, der sich Ziele mit symbolischer Bedeutung wählt – ob nun das World Trade Center oder zuletzt in Istanbul eine britische Bank, das britische Konsulat und eine Synagoge –, gibt es schon lange Anschläge, die auf solche Bedeutung verzichten und die Bevölkerung an sich treffen wollen. In Israel geschieht das in Einkaufsstraßen, Busbahnhöfen, Restaurants oder Discos, wo sich Selbstmordattentäter in die Luft sprengen. In Moskau waren die Besucher eines Rockkonzerts betroffen. Warum aber keine Fußballspiele? Stadien sind Orte großer Tragödien gewesen, bei denen Hunderte von Menschen starben. Immer wieder hat es Massenpaniken gegeben, nach Ausschreitungen auf den Rängen, enthemmter Aggression von Polizisten oder plötzlich losbrechenden Unwettern. Teile von Tribünen sind eingestürzt oder ganze Stahlrohrkonstruktionen, und so viel Augenmerk diesen Fragen eingeräumt wird, können Stadien nie ein ganz sicherer Ort sein. Doch terroristische Akte gab es dort noch keine. Ich würde gerne zu dem Schluss kommen, dass Fußballstadien, selbst der dunkelsten Logik von Terroristen folgend, etwas haben, das sie sakrosankt macht und als Ziel des Terrors ausschließt. (Dabei meine ich nicht das seltsame Gerücht, nach dem Ussama Bin Laden angeblich Anhänger von Arsenal London sein soll oder sich zumindest gelegentlich Spiele der Gunners angeschaut hat.) Nicht einmal die Taliban in Afghanistan haben Fußball verboten, sondern nur, in kurzen Hosen zu spielen. Das Spiel steht offensichtlich in keinem Widerspruch zu Ideologie, denn Fußball ist ideologisch, nicht östlich oder westlich, kapitalistisch oder sozialistisch, christlich, islamisch oder buddhistisch. Andererseits kann Fußball und die Umstände, unter denen er gespielt wird, für alle Ideologien benutzt werden. Doch ist das wirklich ein Schutz vor Terror? Wenn immer ich im Stadion sitze und die Motoren eines Flugzeugs höre, blicke ich nervös zum Himmel.“

Das Streiflicht (SZ 27.11.) verrät uns: „Gerade veranstaltet eine Brauerei, gemeinsam mit der Bild-Zeitung, ein Gewinnspiel für kleine Fußball-Vereine. Der Preis ist Beckenbauer – als Ehrengast auf der Weihnachtsfeier. Dahinter verbirgt sich eine allgemeine Tendenz in dieser sensationsgierigen Gesellschaft. Nicht mehr Häuser und Reisen werden als Preise ausgelobt, weder Bock noch Hammel. Die Erfüllung aller Träume ist das Treffen mit einem Promi, einem leibhaftigen. Da ist vieles denkbar. Mit Stefan Effenberg sauteuere Cowboystiefel kaufen und dann ordentlich alle Betrunkenen aus dem Stadtpark kicken. Oder Gesprächsschule mit Johannes B. Kerner: Wie kriege ich keine Antwort auf Fragen, die ich nie gestellt habe? Oder: Sich mit dem ungeratenen Sohn von Uschi Glas so richtig in einem Bordell die Nase bügeln. Der moderne Hauptgewinn ist also ein Event, und dass da auch mal was aus dem Ruder laufen kann, ist nicht nur einkalkuliert, sondern vorgesehen. Franz Beckenbauer schließlich ist Präsident des „FC Patient“, wie gerade die Bild geschrieben hat, und dieser FC Patient, weiß ebenfalls die Bild, ist ein zur Zeit besonders heißgelaufener „Champion in der Schnacksel-League“. Hitzfeld und Kahn, jetzt der brave Kalle Rummenigge – lauter wilde Männer auf den Spuren ihres Kaisers (fünf Kinder mit drei Frauen). Diesen übrigens ausgerechnet auf eine Weihnachtsfeier einzuladen ist – nach allem, was man weiß – so vielversprechend, als gewänne die Feuerwerker-Innung bei einer Lotterie als ersten Preis den Besuch eines Pyromanen.“

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Nordsee-Archipel

“Was am Mittwoch auf einem zugigen Nordsee-Archipel zu sehen war, läßt über den deutschen Fußball kein freundliches Urteil mehr zu“, schreibt die FAZ über den dürftigen 2:0-Erfolg der DFB-Elf auf Färöer. Nahezu alle deutschen Tageszeitungen attestieren dem „vermeintlichen Fußball-Vizeweltmeister“ (offenbar möchte die taz dem Team nun diesen Titel rückwirkend aberkennen) eine „jammervolle und peinliche“ (SZ) Vorstellung. Zudem ärgern sich die Berichterstatter über mangelhafte Selbstkritik der Spieler. „Das Team präsentierte sich als Einheit, die deutschen Fußballer hielten eng zusammen: beim Schönreden hinterher. Es war erstaunlich, mit welchem Eifer die deutschen Spieler ihre Leistung rechtfertigten“, beschreibt der Tagesspiegel das „Prinzip Ausrede“.

Nur Jan Christian Müller (FR) wählt abwägende Worte, indem er die Negativschlagzeilen seiner Kollegen zurechtrückt. „Es ist ausgemachter Blödsinn, nach dem Spiel gegen die Färinger, das sich fast ausschließlich in deren Hälfte zutrug und bei dem mancher Deutscher bemüht, aber etwas tapsig zu Werke ging, von einer Schmach zu sprechen. Eine Schmach wäre es gewesen, wenn die Gastgeber die Partie ähnlich überlegen geführt hätten wie am Samstag die Schotten – oder wenn Kahn und Rost bei Kontern mehrfach Kopf und Kragen hätten riskieren müssen. Beides war nicht der Fall. So bleibt ein Schuss Ernüchterung, dass es so bleibt, wie es immer schon war: Die Deutschen hören auch im Frust nicht auf zu rennen, sind kräftiger und können höher springen als die meisten anderen.“

Die Tiefe des möglichen Scheiterns

Philipp Selldorf (SZ 13.6.) erklärt die Bedeutung des Siegs für Rudi Völler. „Hätte ihn Miroslav Klose nicht vor dem zum Greifen nahen, torlosen Desaster bewahrt, dann wäre Völler als der deutsche Josef Hickersberger in die Geschichte eingegangen. Dessen Schicksal als österreichischer Nationaltrainer hatte sich hier vor zehn Jahren durch ein 0:1 erfüllt – was auch im an Härten gewohnten Alpenstaat unvergesslich bleibt. Für Völler hätte ein Remis auf der Operetteninsel bedeutet: Verlust der fußballerischen Ehrenrechte, ein ewiger schwarzer Makel in der Biographie, der wenigstens gleichberechtigt neben den großen Titeln als Fußballer und den Erfolgen als Teamchef der Nationalelf aufgetaucht wäre. Vor seinesgleichen hätte Rudi Völler nicht den Kopf, aber das Gesicht verloren – so unbarmherzig und ungerecht ist der Kodex in der Welt der Fußballerlegenden, in der Völler zuhause ist. Deshalb hat Völler auf dieser Reise eine der riskantesten Prüfungen seiner Teamchef-Laufbahn überstanden: In Glasgow, wo ihn sein verfemter Vorvorgänger Berti Vogts zu überrumpeln versuchte, und bei den Dorfkickern in Torshavn, wo das Grauen der stolzesten Fußballer wohnt. Völlers Erleichterung nach dem Sieg verrät, dass ihm die Tiefe des möglichen Scheiterns bekannt war.“

Ein kurioser deutscher Fußball-Bildungsweg

Michael Horeni (FAZ 13.6.) sorgt sich um den Zustand des deutschen Fußballs. “Wenn die Fußball-Welt vor der Sommerpause von Ferne auf die Tabellen der Qualifikationsgruppen blickt, dann verflüchtigen sich tatsächlich all die bösen Holprigkeiten, wie taktische, technische und spielerische Mängel. Die Deutschen führen mit zwei Punkten Vorsprung die Tabelle an und können bei zwei Heim- und einem Auswärtsspiel der Endphase auf dem Weg zur Endrunde nach Portugal vergleichsweise gelassen entgegensehen. Anders etwa als ausgerechnet Holländer und Spanier, die bei den Testspielen in dieser Saison, den Deutschen nicht nur in den Ergebnissen mit 4:1 und 3:1, sondern auch in allen Feinheiten des Spiels voraus waren (…) Wer allerdings die Deutschen im Fernsehen oder im Stadion sieht und darauf besteht, daß diese Nah-Perspektive den Kern des Fußballs ausmacht, der kann schon von erlittenen Zumutungen sprechen. Träge Spieleröffnung aus der Abwehr, fahriges, konzeptionsloses Mittelfeldspiel, schlampige Chancenverwertung im Angriff – was schon in Schottland auf der Mängelliste stand, unterstrichen die WM-Finalisten auf den Färöern dann sogar noch gegen amateurhafte Nationalkicker. Play local, think global – seit dem WM-Finale gerieten diese beiden Perspektiven bei der deutschen Mannschaft nie stärker auseinander als auf den Färöern. In der Detailansicht wurde in dieser Saison von Spiel zu Spiel bis zum enttäuschenden Schlußpunkt immer klarer, daß auf das Meisterstück von Japan und Korea für die verjüngte Nationalmannschaft ein hartes Lehrjahr folgte. Ein kurioser deutscher Fußball-Bildungsweg – über seine Tragfähigkeit bis zur Abschlußprüfung 2006 wird aber erst die Zwischenprüfung 2004 in Portugal Aufschluß geben.“

Jan Christian Müller (FR 13.6.) blickt optimistisch nach vorne: „Immerhin bleibt die berechtigte Hoffnung, dass die Friedrich, Freier, Rau, Lauth, Hinkel und Kuranyi noch einen Sprung machen, Ballack und Hamann gesunden und die Kahn, Ramelow, Rehmer, Kehl, Neuville, Schneider, Klose, Frings und Jeremies im Jahr zwei nach dem größten Erfolg ihrer Karriere und einem Zwischenschritt zurück nun wieder einen Schritt nach vorne tun. So wie Fredi Bobic es geschafft hat.“

Einige derbe Flüche hallten durch den Raum

Gregor Derichs (FR 13.6.) resümiert die (voreiligen) Reaktionen auf das Spiel. „Auf der Pressetribüne waren die Schlagzeilen schon vorbereitet. Das Wort von einer Jahrhundert-Blamage wurde in ein Notebook getippt. Die Reporter einer großen Boulevard-Zeitung sprachen mit der Heimatredaktion ab, auf der Frontseite einen Schafskopf zu platzieren, der die Blödheit der deutschen Elf symbolisieren sollte. Als die deutsche Nationalmannschaft in Torshavn gegen die Auswahl der Färöer doch noch den verdienten Sieg schaffte, weil der eingewechselte Lauterer Miroslav Klose in der 89. Minute das 1:0 erzielte, war die Hektik bei den Medienmenschen groß. Einige derbe Flüche hallten durch den Raum, aus Ärger über den nun beginnenden Stress, in den mobilen Computern die Texte umzubauen. Zu Hause war es 22.30 Uhr, und der Druckbeginn der Zeitungen ließ sich nicht mehr verschieben. Fix waren die ersten Sätze geändert, als Fredi Bobic in der Nachspielzeit den Treffer zum 2:0-Endstand erzielt hatte. In den Bewertungen blieben Begriffe wie schwächste Leistung seit der Europameisterschaft 2000 stehen. Bild ließ das Wort Schande als Haupturteil unangetastet. Der niederländische Schiedsrichter Jan Wegereef pfiff ab, und der Sieg des WM-Zweiten aus einem Land, in dem gut sechs Millionen Menschen Fußball spielen, über einen Lilliput-Staat mit 47.000 Einwohnern war besiegelt. Inwieweit sind Beurteilungen eines sportlichen Auftritts davon abhängig, dass nach einer sehr enttäuschenden Leistung ganz am Ende zwei Tore zum Last-Minute-Sieg erzielt werden? Wie Sportler damit umgehen, konnten die Journalisten wenig später erfahren. Vor den Umkleidekabinen im Torsvöllur-Stadion trafen sie vornehmlich auf deutsche Akteure, die förmlich übersprudelten. Fredi Bobic war kaum zu stoppen. So ein Spiel habe ich noch nie erlebt, sagte er, das war ein Hammer. Daran werde ich mich in 20 Jahren noch erinnern und meinen Enkeln erzählen. Noch nie habe er in einer so klar dominierenden Mannschaft gestanden, für die das Tor wie zugenagelt war. Und Christian Wörns erklärte, ähnlich befreit wirkend wie Bobic: Die hatten einen Engel im Tor. So setzte sich das fort.“

Was für ein Trainer ist dieser Völler eigentlich?

Christof Kneer (BLZ 13.6.) zensiert unentschlossen Rudi Völlers Leistung. „Es war im Sommer 2000, als Völler den deutschen Fußball übernahm, und weil sein Lehrauftrag bis 2006 gilt, ist jetzt Zeit fürs Zwischenzeugnis. Der Lehrer kommt dabei besser weg als seine Schüler. Vom fröhlich strategiefreien Vorgänger Ribbeck übernahm er eine heruntergewirtschaftete Lerngruppe, die in Betragen und Mitarbeit längst auf Fünf minus stand. Es muss bis heute als Völlers größtes Verdienst gelten, dass er die Kopfnoten wieder in Ordnung brachte. Der Lehrer Völler hat es geschafft, dass die coole Generation ihre Sentimentalität entdeckt hat. Sie fand es geil, eine WM zu spielen. Sie fand es geil, wenn der Herr Lehrer wie Käpt‘n Blaubär seine Geschichten von früher erzählt hat. Sie fand es geil, dass der Herr Lehrer ein lustiges Treuepunktesystem entwarf – wer einmal etwas beitrug zum Wohle der Klasse, durfte immer wiederkommen. Völler hat seinen Schülern vertraut, und sie haben ihm vertraut, und am Ende kehrten sie als Zweiter von diesem Ausflug nach Asien zurück, obwohl es weit begabtere Klassen gab. Als Vertrauenslehrer hat Völler einen bemerkenswerten Job gemacht, aber jetzt ist die Zeit gekommen, da endlich der Sportlehrer gefragt ist. Zur Emotion muss nun der Fußball hinzukommen. Drei Jahre ist Völler nun im Amt, und bis zum heutigen Tag weiß keiner so recht, was für ein Trainer dieser Völler eigentlich ist. Lässt er gern offensiv spielen oder lieber defensiv? Welche Taktik mag er? Mag er überhaupt Taktik? Oder lässt er lieber seinen Skibbe die Taktik machen? Aber wenn das so ist, welche Taktik macht sein Skibbe dann? Kann man sich spontan an ein Spiel erinnern, das Deutschland gewann, weil es die bessere Taktik hatte?“

Gegner in Miniaturformat

Michael Horeni (FAZ 13.6.) ist enttäuscht. “Tatsächlich hätten Nostalgiker gut und gerne glauben können, daß auch im Jahr 2003 mit einem Stürmer Völler die Nationalmannschaft einer Blamage nicht so erschreckend nahe gekommen wäre wie mit den aktuellen Profis. Denn was die WM-Finalisten des vergangenen Sommers in der ersten Stunde auf ihrem diesjährigen Abschlußball zeigten, ließ nie Erinnerungen an das Endspiel gegen Ronaldo und Co. aufkommen, sondern vielmehr an die Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft. Aber da Kloses die deutsche Fußball-Ehre rettender Kopfball sein Ziel doch noch gefunden hatte, mochten sich die gerade noch vor Schimpf und Schande davongekommen Super-Favoriten auch nicht mehr mit allzuviel Selbstkritik vor dem Urlaub aufhalten. Der zur Halbzeit ausgewechselte Kapitän Oliver Kahn, dem nicht die Leistung seiner Vorderleute, sondern eine Bindehautentzündung die Tränen in die Augen getrieben hatten, sprach gnädig von einem typischen Pokalspiel (…) Rudi Völler lehnte es ausdrücklich ab, ein kritisches Wort über seine am Ende immerhin mit wilder Entschlossenheit noch erfolgreich ins Ziel taumelnden Spieler zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Der Teamchef hob sogar auf die höchsten deutschen Tugenden ab, die nun sogar schon gegen einen Gegner in Miniaturformat herhalten musste.“

Philipp Selldorf (SZ 13.6.) gratuliert Völler zur glücklichen Einwechslung Kloses. „Was immer Kritisches man über die Aufstellungs- und Wechselpolitik des Teamchefs vorbringen mag – und dazu gab es auch am Mittwoch Gelegenheit, als er allzu lange am schwachen Tobias Rau und dem im Grunde überflüssigen Jeremies festhielt –, zuletzt gelingt ihm doch immer wieder der entscheidende Clou.“

(11.6.)

Vor dem Spiel

Michael Horeni (FAZ 11.6.) diagnostiziert anschaulich eine deutsche Stürmermisere. “Carsten Jancker wird wunderbar freigespielt. Er hat freie Bahn, nur der Torwart der Färöer steht einem Treffer noch im Weg. Aber Jancker scheitert. Ein paar Minuten später ist die Sache für den Torjäger noch einfacher. Der Torwart hat schon aufgegeben, aber der Ball landet neben dem Tor. Es sind Momente wie diese, die dem Teamchef Rudi Völler in dieser Saison zu schaffen machen, die Entwicklung der Nationalmannschaft zu einem internationalen Spitzenteam verhindern und den WM-Zweiten dann sogar noch gegen die Färöer in Schwierigkeiten und Imageprobleme geraten lassen – und nebenbei einen Mann vom Fach wie Völler auch noch zusätzlich leiden lassen. Nach diesen beiden Szenen aber, die dem am Ende zittrig zuwege gebrachten 2:1 gegen die Färöer vorausgingen, war Völlers Langmut mit Jancker endgültig dahin. Ohne die bis dahin auch für ihn noch massive Bayern-Lobby wurde der nach Italien abgewanderte Stürmer ohne Torinstinkt nicht mehr bei der Nationalmannschaft gesehen (…) Miroslav Klose schien bei der Weltmeisterschaft nach seinem imponierenden Start mit fünf Toren in den ersten drei Spielen für die Experten die Fähigkeiten zu einem Stürmer der Sonderklasse in sich zu tragen. Kopfballstärke, Schnelligkeit und Schußtechnik nennt Völler auch vor der Partie auf dem Nordsee-Archipel noch immer als Qualitäten des Pfälzers. Allerdings: Von Torgefährlichkeit, wie bei der WM, spricht der Torjäger a. D. schon seit einiger Zeit nicht mehr (…) So heißt Deutschlands neuer Topstürmer in der Ahnenreihe von Uwe Seeler, Gerd Müller und Rudi Völler nun also Fredi Bobic. Auch der Teamchef mochte zunächst kaum glauben, daß aus dem Dortmunder Auslaufmodell über den englischen Umweg Bolton in Hannover noch etwas werden konnte. Zögerlich holte er ihn im November zum Test gegen die Niederlande zurück – und zum Glück brachte der von viel Sympathie begleitete Bobic bei seinem Comeback zumindest eine gewisse Treffsicherheit mit. Aber mit 33 Jahren ist der Aufsteiger des Jahres für die Rolle des Hoffnungsträgers über die EM 2004 in Portugal hinaus nicht gerade eine Traumbesetzung.“

Kein Gütesiegel für den deutschen Fußball

Dahingegen erzählt Christof Kneer (BLZ 11.6.) den Positionsgewinn Bobics. “Die Geschichte von Deutschland und den Färöer Inseln ist auch die Geschichte von Fredi Bobic. Zwischen Hin- und Rückspiel war genug Zeit für eine Renaissance, die keiner für möglich gehalten hat. In diesen acht Monaten ist aus Querulantenfredi, dem Auslaufmodell, ein Diplomatenfredi geworden. Im Herbst hat die Branche noch geschmunzelt, als Hannover 96 den Dortmundern diesen schwer Vermittelbaren abkaufte, und jetzt setzt ihn der DFB am Tag vor dem Schottland-Spiel aufs Pressepodium. Er darf dort die letzte Regierungserklärung sprechen, eine Ehre, die sonst nur Oliver Kahn oder Michael Ballack zuteil wird. Bobic gibt Interviews in schottischen Zeitungen, in fast perfektem English, wie der Interviewer vermerkt. Bobic verteidigt Vogts (Give him time). Bobic schießt das Tor. Bobic stellt sich nach dem Spiel der Presse. So viel Bobic war noch nie in Deutschland. Mit 31 Jahren ist der künftige Herthaner hinter Kahn und Ballack zur dritten Kraft im Lande aufgestiegen, und schon wird nur noch der Platz neben ihm verhandelt. Bis vor kurzem wurde noch landesweit nach einem tauglicher Nebenmann für Miroslav Klose gefahndet, jetzt muss Klose möglicherweise auf die Bank, weil er nicht zu Bobic passt. Es ist anzuerkennen, wie lässig Bobic zurzeit vor des Gegners Tor zur Tat schreitet. Aber klar ist auch, dass es kein Gütesiegel für den deutschen Fußball ist, wenn er sich abhängig macht von einem Stürmer, der seine Tauglichkeit auf höchstem internationalen Niveau noch nie bewiesen hat. Erst recht ist es kein Kompliment, wenn dieser Bobic nicht nur als Torjäger, sondern in erster Linie als Typ besetzt wird. Bobic gilt als tough, furchtlos und ausgebufft, und es scheint, als reiche das derzeit schon, um den verzagten Mitspielern eine Hilfe zu sein.“

Tsp-Interview mit Bernd Schneider

Philipp Selldorf (SZ 11.6.) kommentiert den Rüffel Ballacks an seine Mannschaftskollegen. „Ballack hat in Glasgow ungewöhnlich offen seine Sorgen geschildert. Dass er auf dem Platz die leitende Rolle übernimmt, ist das Ergebnis seiner beim FC Bayern um ein weiteres Stück gewachsenen Selbstsicherheit, entspricht aber auch zwangsläufig seinem herausragenden spielerischen Vermögen. Dass er aber neben dem Platz kraftvoll das Wort führt, ist ein neues Phänomen und sollte diejenigen von Lattek, Matthäus bis Beckenbauer beglücken, die all die Jahre so heftig nach dem „Führungsspieler“ verlangt hatten wie der Patient nach der Krankenschwester. Ballacks nicht unerheblichen Vorwürfe an die Mitspieler („Einige Spieler müssen sich mehr in die Pflicht nehmen und sich bewusst werden, dass sie auch Verantwortung tragen“) hätten für lebendige Debatten in der Mannschaft sorgen können. Aber davon war nichts zu hören und zu spüren. „Wir haben ’ne gewisse Kritik verdient, alle miteinander, da bin ich auch mit im Boot“, erklärte Teamchef Völler gestern und gab Ballack zwar recht – beendete aber auch den unliebsamen Fall. Völler liebt die Harmonie und schätzt die Unruhe nicht, und im ersten Moment hatte er deshalb auch leicht allergisch reagiert, als er mit Ballacks Vorhaltungen konfrontiert wurde. In den Tagen nach dem Match ging es also im gemütlichen „MacDonald Crutherland House“ um alles mögliche, einschließlich der Lederbluse der im Hause wohnenden Frau des DFB-Vorsitzenden und des weiterhin wachsenden Körperumfangs des ebenfalls anwesenden Reiner Calmund – aber bloß nicht um die Frage, wie die Verantwortlichkeit für die Qualität des deutschen Spiels besser verteilt werden kann. „Das war ja schon immer unser Problem, dass wir zu ruhig sind“, sagt Rudi Völler. Er meint: auf dem Platz. Doch eben nicht nur dort.“

Der gefühlte Tabellenplatz des Tabellenführers ist weitaus schlechter

Jan Christian Müller (FR 11.6.). “Dass sich Franz Beckenbauer am Dienstag via Kolumne in Bild meldete und grundsätzliche Kritik am deutschen Spieltrieb äußerte, darf getrost als erwartete Routinehandlung betrachtet werden, hat Rudi Völler aber nichtsdestotrotz geärgert und den bekannten Beschützerinstinkt im Teamchef herausgefordert. Rennen und kämpfen können sie inzwischen überall – aber wir können nicht Fußball spielen, zumindest keinen hochklassigen, hatte Beckenbauer gemaßregelt und wollte erkannt haben, dass die deutsche Mannschaft spielerisch wieder dort ist, wo wir vor der WM standen. Völler wies das Urteil des Kaisers als überzogen zurück: Wir haben zwar eine gewisse Kritik verdient, aber Fakt ist auch, dass wir bei unserem schärfsten Rivalen Schottland gepunktet haben und Tabellenführer sind. Komisch: Der gefühlte Tabellenplatz ist weitaus schlechter.“

Klischees und Vorurteile

Ein Leserbrief an die FR-Redaktion bezüglich der FR-Berichterstattung über das Remis in Glasgow. „Herzlichen Glückwunsch dem Sport- (besser: Spott-Redakteur) Müller! Sie haben mit Ihrem Artikel Ein typisch deutscher Behördengang – Wie beim Gang aufs Amt – deutscher Beamtenfußball …. Sicher die Aufnahmeprüfung für einen Job bei der Bild-Zeitung bestanden. Klischees und Vorurteile nach vorne – die Schlagzeile wird’s richten. Nach meinen Informationen haben nicht Beamte, sondern hochbezahlte Profis, Ich-AGs in Schottland gespielt. Manche meinen, es seien Millionäre. Ach ja, Beamte sind grundsätzlich unkündbar. Trifft dies auch für Sport-Redakteure zu?”

Vexierspiel aus Folklore und Realität

„Statistisch gesehen, ist kein Land der Welt so fußballverrückt wie die Färöer, wo auf jeden fünfzigsten der knapp fünfzigtausend Bewohner eine Mannschaft kommt“, schreibt Christian Eichler (FAZ 11.6.). „Für Wirtschaft und Tourismus der Färöer war es ein schlimmer Mai. Ein Generalstreik, mit dem die Gewerkschaften eine Lohnsteigerung von gut einem Euro pro Stunde durchsetzten, hatte die 18 Inseln in der nördlichen Nordsee lahmgelegt: Supermärkte standen leer, Fischkutter, Fähren, Busse fuhren nicht. Für den Fußball der Färöer waren es vielleicht vier gute Wochen. Denn die meisten Spieler der Nationalelf machen sich anders als die deutschen Fußballmillionäre, auf die sie diesen Mittwoch treffen, auch als Arbeitskräfte in Handwerk, Handel, Sozialsystem nützlich. Durch die ungewohnte Arbeitspause konnten sich viele der Amateure und Halbprofis zum ersten Mal richtig ungestört auf Fußballspiele vorbereiten (…) Färöers Fußball, das ist, stellvertretend für das Gesamtbild, das sich die Welt von den Inseln im Nordmeer macht, ein Vexierspiel aus Folklore und Realität. Wer so flüchtig vorbeischaut wie die deutsche Fußballdelegation, die keine 36 Stunden auf den Färöern verbringt und ihren eigenen Koch dabeithat, um auf dem Teller nicht von Walspeck oder gestopftem Papageientaucher überrascht zu werden, wird kaum durchblicken. Färöers Fußballfolklore rankt sich etwa um die Pudelmütze, die Torwart Knudsen beim Sieg gegen die Österreicher trug und deren Diebstahl 1997 einen nationalen Aufschrei auslöste, bis sie im Handgepäck zweier norwegischer Touristen wiedergefunden wurde. Noch so ein Mythos: die Zehnerkette, mit der die Färöer als nordatlantisches Verteidigungsbündnis einst Angreifer ärgerten. Die heutige Realität sieht banaler aus. Pudelmützen oder andere Schrulligkeiten stellt keiner mehr zur Schau. Und unter Nationaltrainer Henrik Larsen, einem dänischen Europameister von 1992, hat sich die Spielweise zu modernem Kurzpaßspiel entwickelt.“

Gregor Derichs (FR 11.6.) sah bei der Landung kabbeliges Waaser und lange Wellen schräg gegen den Strand treiben. „Graue Wolken hingen tief über der See, die wie Quecksilber glitzerte. Die steil abfallenden Felsklippen waren in Nebelschwaden gehüllt. Aber die Sicht beim Anflug auf den Flughafen Sonvágur, eine der komplizierte Einflugschneisen der Welt mit einer extrem kurzen Landebahn, war gerade noch gut genug. Um 12.03 Uhr Ortszeit landete gestern der kleine Lufthansa-Cityhopper auf Vágar, einer der 18 bewohnten Inseln der Färöer. Bei einem Wetter wie im November mit Wind und Temperaturen um 13 Grad begann für die deutsche Nationalmannschaft das absonderlichste Abenteuer seit vielen Jahren.“

Philipp Selldorf (SZ 11.6.) zeigt sich landeskundig. „Die Legenden erzählen, dass auf den 18 Färöer-Inseln im Nord-Atlantik alle fünf Minuten das Wetter grundlegend wechselt, dass außer 47.120 Menschen eine unbekannte Anzahl Elfen und Trolle dort lebt, und dass es kein einziges McDonald‘s-Lokal, dafür aber gegrillten Papageientaucher zum Abendessen gibt. Weitere Legenden handeln von der färöischen Fußball-Nationalmannschaft, einer Ansammlung von Fischfabrikarbeitern, Lehrern, Getränkehändlern und anderen Menschen mit ehrbaren Berufen, die heute Abend das deutsche Team im EM-Qualifikationsmatch das Fürchten lehren will. Deutschlands Kapitän und Torwart Oliver Kahn prophezeit deshalb vorsichtshalber: „Wir können unser blaues Wunder erleben.“ Gespielt wird um 19.45 Uhr (20.45 Uhr deutscher Zeit/live in der ARD) im Törsvöllur-Stadion, das allerdings nicht nach dem deutschen Teamchef benannt ist, der seine Tore zu Spielerzeiten gern als „Törchen“ verniedlicht hat. Die Umlaute sind eine Eigenheit der färöischen Sprache, die dem Altnorwegischen entstammt. Ein Flutlicht wird nicht benötigt für das blaue Wunder, das mindestens 7.000 Zuschauer live miterleben wollen. Zu dieser Jahreszeit wird es nachts nur zwei Stunden dunkel. Es ist also ein exotischer Trip.“

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Münchner Meisterstimmung – Streit mit SAT1 – Wende in der Dortmunder Transferpolitik

Pogo mit den Teletubbies

Andreas Burkert (SZ 24.4.) analysiert die Stimmung in München. “Diese Woche enden in Bayern die Osterferien, und die Ordner an der Säbener Straße sehnen den Termin herbei. Sie haben dann wieder ein bisschen Ruhe. Zurzeit drängeln sich während der Einheiten auf dem Gelände des FC Bayern viele hundert Teenager, und wenn die aus Funk und Fernsehen bekannten Gesichter die Kabine verlassen, nähert sich manche Zahnspange gefährlich nahe dem Absperrgitter – es wird dann geschoben und geschrieen, als tanzten hier die Teletubbies Pogo. Sie flehen nach Autogrammen. Der unvermindert starken Nachfrage in der Heimat kommen die Bayern in diesen Wochen gerne nach, denn überregional hält sich das Interesse an ihnen in Grenzen (…) Die Bayern-Profis spüren diesen Spannungsabfall beim Fußballpublikum. Sie selbst wollen sich aber nicht daran stören und genießen die Langeweile, wie Jens Jeremies am Mittwoch mitteilte: „Wir hatten diese Saison viel Spaß“, sagte er, „und wenn der Moment dann da ist, ist es trotzdem ein besonderes Gefühl, denn dahinter steckt viel Arbeit.“ Dass der diesjährige Titelgewinn vermutlich als unspektakulärste Errungenschaft seit dem Ligapokal- Gewinn 2000 in die Vereinschronik Eingang finden wird, stellte er nicht in Abrede. Verbündete in seinem sehr speziellen Ehrgeiz findet Jeremies in den Neulingen, für die solche Feierlichkeiten noch nicht zur Routine geworden sind. Das trifft selbstredend auf die kleine Fraktion der früheren Leverkusener zu: Ballack (der übrigens in München nicht seine erste Meisterschaft feiern wird, of), Robert Kovac oder auch Zé Roberto.“

Vermutlich nun doch 36 Teilnehmer bei der WM 2006? SZ

Versteckte Kamera in Calmunds Büro

Wolfgang Hettfleisch (FR 24.4.) kommentiert den Streit einiger Ligaverantwortlicher mit SAT1. „Nichts währt ewig, am wenigsten Freundschaft, die sich auf geschäftliche Interessen gründet. Weshalb die ran-Schaffer für ihre Arbeit von den alten Spezis neuerdings Dresche beziehen. Nach Beckmann sei’s da qualitativ bergab gegangen, moserte Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der Übervater Franz Beckenbauer übrigens dahingehend immer ähnlicher wird, dass auch er inzwischen wohl aus dem Stand eine Stunde lang profund über die Bedeutung des Liebeslebens der Wüstenspringmaus für die Zukunft des deutschen Fußballs referieren könnte. Rummenigge also findet ran jetzt doof. Reiner Calmund, für ein Grundsatzreferat zur Springmaus-Libido ganz sicher auch keine schlechte Adresse, will die Fußball-Schnüffler von Sat 1 gar verklagen. Die hatten am vorigen Sonntag Versteckte Kamera in Calmunds Büro gespielt und dessen bedrohliches Gehampel vor Sportchef Jürgen Kohler eingefangen. Ein Revanchefoul? Schon möglich. Seit die Centfuchser von Sat 1 klargestellt haben, dass sie für die kommende Bundesliga-Saison nur weit weniger zu zahlen bereit sind als die für die laufende Spielzeitvereinbarten 80 Millionen Euro, ist die Harmonie vergangener Tage einer latenten Feindseligkeit gewichen. So ist das oft, wenn sich die Wege alter Gefährten trennen. Was aber, falls Sat 1 mangels besserer Angebote doch den Zuschlag zur Übertragung der Bundesliga kriegt? Nun, dann macht man es wie in jeder anderen Soap auch: Die Liebe wird neu aufgewärmt.“

„Plötzlich ist bei Eintracht Frankfurt der lange untergetauchte Stürmer Pawel Kryszalowicz wieder eine Alternative“ FR

„Die Bundesliga steht vor einer wirtschaftlichen Zeitenwende. Die Tage des hektischen Kaufens und Verkaufens sind vorbei“ ,liest man von Felix Meininghaus (Tsp 24.4.) über den angekündigten Paradigmenwechsel in der Transferpolitik Borussia Dortmunds. „Das uninspirierte Gekicke der prominent besetzten Mannschaft hat viele auf den Plan gerufen, die nun verkünden, das Team benötige dringend eine personelle Auffrischung. Eilig wurden Namen wie die der Nationalspieler Paul Freier, Miroslav Klose oder Bernd Schneider gehandelt, auch am Finnen Mikael Forssell, der zurzeit vom FC Chelsea an Borussia Mönchengladbach ausgeliehen ist, sei das Interesse lebhaft, hieß es im Umfeld des Vereins (…) Männern wie Metzelder oder Madouni sollen weitere perspektivreiche Kräfte folgen. Solche Aussagen könnte man durchaus als Umdenken in der aggressiven Dortmunder Transferpolitik interpretieren, de facto sind sie jedoch auch eine Reaktion auf die derzeitigen wirtschaftlichen Gegebenheiten.“

Interview mit Mikael Forssell SpOn

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Ursachen des spanischen Ausscheidens

El País (23.6.) sieht die Ursachen des spanischen Ausscheidens nicht nur bei den Schiedsrichtern. „Es waren Kapitalfehler, fast zu viele für die Hilfsquote, die das Gastgeberland bei einer Weltmeisterschaft genießt. Aber auch Spanien hat sie 1982 genossen, und so geschieht es leider bei jeder Weltmeisterschaft. Es reicht einfach nicht, besser als der Gegner zu sein. Man muss ihn mit Überzeugung wissen lassen, dass er chancenlos ist. Spanien hat dieses Unternehmen in dieser günstigen Situation versäumt. Es ist möglich, dass die Schiedsrichterentscheidungen die Gesetze des Zufalls überwinden, aber Spanien hat vergessen, dieses Problem zu minimieren. Es hatte weder die Überzeugung noch die Energie, um die Koreaner zu überwältigen und sich vor solchen Gelegenheiten zu retten, in denen ein Schiedsrichter eine Partie entscheiden kann.“

Thomas Klemm (FAZ 1.6.) hält Spanien für einen Favoriten. “Spaniens Nationalelf, bei Fußball-Weltmeisterschaften stets schlechter als ihr Ruf, schwingt sich abermals zum Titelanwärter auf. Endlich wollen die Iberer in den Kreis der erstklassigen Fußballmächte eintreten, weil sie sich neben den ganzen Weltmeistern fühlen wie eine 1b-Auswahl (…) Früher gehörten Grüppchenbildung mit anschließenden Grabenkämpfen zu Spanien wie die Siesta. Hier versammelten sich die Profis von Real Madrid, dort kungelten die Stars vom FC Barcelona. Die Zeit sei nun vorüber, meint Camacho, selbst 16 Jahre lang ein Madridista und 81maliger Nationalspieler. Die Selección ist nunmehr auf breitere Basis gestellt, neben den beiden einst dominierenden Spitzenvereinen kommen viele wichtige Kräfte auch von den Erfolgsklubs FC Valencia und Deportivo La Coruña.”

Michael Wulzinger (Spiegel 27.5.) über das Team Spaniens. “Den Trainer treibt besonderer Ehrgeiz. Endlich soll die Selección ihren Makel ablegen, bei WM-Turnieren als Geheimfavorit zu starten, und dann in Schönheit früh unterzugehen. Camacho will mehr als nur das Achtelfinale erreichen, in dem er auf die deutsche Elf treffen könnte; etwa wenn Spanien Gruppenerster und Deutschland in seiner Gruppe Zweiter wird. Er will sein Team in der feinen Gesellschaft des Fußballs etablieren – in Augenhöhe mit Frankreich, Argentinien, Brasilien und Italien. Unrealistisch scheint das nicht (…) Vieles deutet darauf hin, dass der klassische Grund für das ständige Scheitern – die Rivalität zwischen den Spielern von Real Madrid und vom FC Barcelona, die niemals ein Gemeinschaftsgefühl entstehen ließ – überwunden ist und sich auch in einem Land, in dem die Vereine traditionell einen höheren Stellenwert genießen, in der Nationalmannschaft Teamgeist ausbreitet. Denn mittlerweile ist die Dominanz der beiden Großclubs im spanischen Profifußball dahin. Von den 23 Nationalspielern, die Camacho nominiert hat, kommen nur noch 8 von Real Madrid oder dem FC Barcelona. 7 weitere stehen beim FC Valencia oder Deportivo La Coruña unter Vertrag – den beiden Clubs, die in den letzten drei Jahren große Erfolge in der Champions League feierten und den Ruf der Primera División als derzeit stärkste Liga der Welt untermauerten.”

„Spaniens Verein dominieren in Europa seit Jahren, auch diesmal standen wieder drei im Viertel- und zwei im Halbfinale der Champions League. Die eigene Nationalmannschaft gehört dagegen fast traditionell zu den Versagern.“ Ralf Itzel (SZ 24. 5.) ist diesem Widerspruch auf den Grund gegangen. „Es gibt dafür sportliche Gründe, aber auch gesellschaftliche. Die Hymne hat nicht zufällig keinen Text, man würde sich ja nicht mal auf die Sprache einigen können: Hochspanisch, Katalanisch, Baskisch, Galizisch? Spanien ist ein dezentralisiertes Land, unterteilt in 17 autonome Regionen. Die Menschen fühlen sich in erster Linie als Katalanen oder Basken und erst dann als Spanier.“

Slowenien

Srecko Katanec (Ex-Profi des VfB Stuttgart) ist seit 1998 Nationaltrainer des WM-Debütanten Sloweniens. Im Gespräch mit Uwe Marx ( FAZ 16.05.02) äußert er sich über Amtsantritt und taktische Innovationen. “Als ich anfing, hatte ich schon eine genaue Idee davon, was zu ändern war. Wir hatten gute Spieler, aber zu wenig Mut. Deshalb stand die slowenische Nationalmannschaft immer zu weit hinten. Ich habe den Spielern gesagt: Seid offensiver, versucht immer, das erste Tor zu erzielen, egal gegen welchen Gegner – und rückt geschlossen zwanzig Meter weiter nach vorn.”

Paraguay

Thomas Kilchenstein (FR 14.6.) über die Mannschaft Paraguays. „Ohnehin haben die Südamerikaner an der Taktik gefeilt. Sie spielen hart, aber nicht mehr ganz so defensiv und destruktiv wie noch vor vier Jahren bei der Weltmeisterschaft in Frankreich. 29 Tore in der Qualifikation bedeuteten die zweitbeste Ausbeute – nach Argentinien. Die Offensivabteilung der Südamerikaner ist beachtlich, auch wenn sie meist nur mit einer Spitze – eben Santa Cruz – spielen. Zudem haben sie bekanntlich einen Torwart, der bislang schon 58-mal getroffen hat. Chilavert, der unbedingt in die Geschichte eingehen will als der Torwart, der als Erster bei einer WM ein Tor schießt, hat einen gewaltigen Schuss, was kein Wunder ist bei seiner massigen Statur.“

Philipp Selldorf (SZ 14.6.) über Tormann Chilavert. “Oliver Kahn ist zwar im Laufe seiner Karriere durch einige unerklärliche Ausbrüche und manische Ehrgeizanfälle aufgefallen, und er gilt bei uns als interessante Persönlichkeit. Aber im Vergleich mit Chilavert ist er brav wie ein Schulkind, und seine Vita ist langweilig wie ein Gesetzestext. Der Torwart Paraguays hat so viele Sagen geschaffen, dass Dichtung und Wahrheit mittlerweile verschmelzen. Nach dem äußeren Eindruck, der ihn wahlweise als Türsteher oder Mafioso erscheinen lässt, wäre man aber bereit, ihm vieles zuzutrauen.”

Thomas Klemm (FAZ 1.6.) portraitiert den charismatischen Schlussmann Paraguays. “José Luis Chilavert hat einen Traum: Wenn er einmal nicht mehr Fußball spielt – und das wird nicht mehr allzu lange dauern –, dann will er Präsident von Paraguay werden. Der Zustimmung eines großen Teils seiner Landsleute, das ergaben Umfragen, kann sich der Nationaltorhüter gewiß sein. Aber was wohl die ausländischen Staatsgäste zum exaltierten Auftreten des Sechsunddreißigjährigen sagen werden? (…) Beim ersten Spiel Paraguays, an diesem Sonntag gegen Südafrika, darf der des öfteren mit dem Gesetz in Konflikt geratene Chilavert noch nicht auf Torejagd gehen: Er muss eine Strafe absitzen, nach einem Platzverweis im Qualifikationsspiel gegen Brasilien. Er hatte Roberto Carlos ins Gesicht gespuckt. Ob dieses Verhalten eine erfolgreiche Präsidentschaftskandidatur verspricht?”

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Gegner der deutschen Mannschaft

Über den nächsten Gegner der deutschen Mannschaft schreibt Ralf Wiegand (SZ 17.6.). „Ein Sieg für den US-Fußball ist es bei dieser WM ja auch, weil sie von einem amerikanischen Trainer angeleitet wird, keinem Lehrmeister aus einem Fußballland wie früher Bora Milutinovic. Arena und die Spieler wurden mit keinerlei Erwartungen befrachtet ins Turnier geschickt, ihnen wurde nichts zugetraut, und das, was man ihnen nicht zutraute, interessierte nicht mal jemanden. Soccer macht in den USA eine eigenartige Karriere als Massensport für Jugendliche und Randsport bei den Profis.“

Roland Zorn (FAZ 17.6.) zum selben Thema. „Amerika erwacht mit dem Fußball – eine schöne Sommervorstellung, die da im Zeichen des Sternenbanners aus Südkorea zu sehen ist. Ein Event geradezu, das die Mannschaft von Arena nun schon seit einigen Wochen zelebriert, denn wer die Portugiesen besiegt, gegen die Koreaner ein Remis geholt und nun auch gegen die Mexikaner zum fünften Mal in den vergangenen sechs Partien gewonnen hat, der verdient Respekt.“

Felix Reidhaar (NZZ 17.6.) dazu. „Mit der Qualifikation des US-Teams findet das Spiel englischer Ausrichtung, aber ohne die typischen Mängel, eine weitere Auszeichnung an diesem Turnier. Eine solche war am Vorabend den Iren noch vorenthalten geblieben, nachdem sie im Spiel dem K.-o.-Schlag deutlich näher als die Spanier gestanden hatten. Die Amerikaner setzen auf körperbetontes Spiel, schnelle und direkte Angriffsauslösung über wenige Stationen, hohe Bälle auf die Spitzen, aber auch Ausnützung der Spielfeldbreite mit häufigen Vorstößen über die Flügel, konsequentes Pressing sowie Linienabwehr mit zwei groß gewachsenen Innenverteidigern. Die britische Schule ist in Asien plötzlich wieder en vogue – allerdings methodisch klar verfeinert.“

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Montag ist Club-Tag

Harald Büttner (SZ 4.8.) analysiert Nürnberger Perspektiven. „Montag ist Club-Tag. Nein, es ist sicher nicht so, dass die Macher beim DSF dem 1. FC Nürnberg den Abstieg gewünscht hätten, doch dieser schwarz-rote Fixpunkt tut schon gut im eher grauen Zweitliga-Koordinatensystem zwischen Lübeck und Burghausen, Trier und Aue. Fünf der ersten sechs Partien des inzwischen zum Rekordabsteiger avancierten früheren Rekordmeisters überträgt der Spartensender live; Premiere ist heute Abend in Karlsruhe. „Keine Frage: Wir sind vom Image und von der Zugkraft her eine der ersten Adressen in Liga zwei. Diesem Anspruch müssen wir natürlich sportlich gerecht werden“, fordert Präsident Michael A. Roth und erklärt den FCN kurzerhand zum „FC Bayern der Zweiten Liga“. Klingt nach einem klaren Auftrag an Wolfgang Wolf, den Mann, der in den letzten drei Monaten das Chaos im Neuen Zabo geordnet hat. Und zwar gleich an zwei Fronten. Denn der 45-jährige Pfälzer beerbte nicht nur vormaligen Trainer Klaus Augenthaler, sondern auch den kurzzeitig reaktivierten, dann aber fristlos entlassenen Sportdirektor Edgar Geenen (…) Natürlich kommt ein Mann, der gleich zwei Jobs erledigt, gut an beim chronisch klammen 1. FC Nürnberg, der seinen Etat nach dem Abstieg um 3,6 auf 8,4 Millionen Euro reduzieren und bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Sicherheiten in Höhe von drei Millionen Euro hinterlegen musste. Kein Wunder also, dass Roth den „Trainager“ nach Stuttgarter Vorbild längerfristig installieren möchte. Doch Wolf will sich irgendwann wieder dem sportlichen Kerngeschäft widmen, dessen Ergebnis nur Aufstieg heißen kann. Geduld fordert Wolf vom Umfeld und von den Fans, „für die das letzte halbe Jahr wirklich grausam war und die jetzt hoffentlich spüren, dass wieder ehrliche Arbeit abgeliefert wird“. Doch mit der Geduld ist das so eine Sache beim 1.FC Nürnberg. „Möglichst schnell“ will Roth zurück ins Oberhaus, das heißt: sofort. Zweimal schon ist dem Club die direkte Rückkehr gelungen. Und auch diesmal haben fast alle Experten den fränkischen Altmeister auf der Rechnung. Wohl mit Recht, denn der Kader hat an Qualität gewonnen. Wolfs Meute überzeugte in der Vorbereitung mit flottem und taktisch klugem Offensivfußball.“

Nein, ich habe mich nicht übergeben

Peter Burghardt (SZ 4.8.) referiert die chinesische Begeisterung über David Beckham. „Am Samstagabend ab acht war reichlich Platz auf den Straßen des einwohnerreichsten Landes der Erde, China saß vor dem Fernseher. Ungefähr eine Milliarde Chinesen staunten, wie elf junge Männer mit kuriosen Frisuren und weißen Trikots gegen ein rot gekleidetes Kollektiv antraten – 60000 davon hatten die meist sündteure Ehre, dem Großereignis im Arbeiter-Stadion von Peking beizuwohnen und sind nun Auswerwählte wie jene Veteranen, die Mao früher einmal beim Rückenschwimmen erleben durften. Es heißt, dieses Fußballspiel zwischen einer chinesischen Auswahl namens Dragon-Team und Real Madrid sei im Reich der Mitte das meistbeachtete Sportereignis aller Zeiten gewesen, außerdem waren ein paar Millionen Spanier und Engländer live dabei. Großbritannien hatte 23 Sonderberichterstatter entsandt, Spanien das Doppelte, es ging immerhin eine Weltpremiere. Auf dem etwas zu langen Rasen machte ein Mensch seine ersten halbwegs offiziellen Schritte für den neuen Arbeitgeber, der seit Tagen eine Nation zur Raserei treibt und seit Wochen Hundertschaften von Journalisten beschäftigt. David Beckham schoss in 72 Minuten zwei Ecken und zwei elegante Freistösse, dazu schlug er elf Pässe und beging zwei Fouls (…) Die genervten Kicker verschwanden erst appetitlos vom Festbankett mit lokalen Spezialitäten wie Heuschrecken, boykottierten Werbeprogramme und weigerten sich schließlich, bei Tageslicht die Verbotene Stadt von Peking zu besuchen, obwohl ihr Hotel gegenüber lag. (Die gebrauchten Handtücher aus der Herberge werden zugunsten von Sars-Opfern versteigert). Der gastgebende Bürgermeister bat die Gäste aus der Fremde daraufhin mitten in der Nacht fünf Minuten lang in die Paläste. In einer der lustigen Fragestunden wollte ein chinesischer Journalist wissen, ob sich die Spieler vorkämen wie Pandabären, die seien in China auch so geschützt. Überhaupt gab es interessante Gespräche. Ein Reporter erkundigte sich bei Roberto Carlos, wieso er so schlank aus den Ferien komme und Ronaldo so fett. Das stritt Roberto Carlos ab, dafür informierte Ronaldo über sexuelle Enthaltsamkeit und wies darauf hin, den Chinesen gefalle Sex offenbar, „es sind sehr viele“. Übrigens lässt sich Ronaldo gerade die Haare wachsen, ebenso Figo und Edelreservist Guti, der erklären sollte, ob er das wegen Beckham tue. Guti: „Muss ich das beantworten? Nein.“ Der neue Kapitän Raul musste erläutern, weshalb er Beckham nicht die Nummer 7 überlassen habe: „Weil ich schon zehn Jahre lang bei Real Madrid spiele.“ Beckham wurde unter anderem zu einer Magenverstimmung vernommen. „Haben Sie sich übergeben?“ – „Nein, ich habe mich nicht übergeben.“ Außerdem gab der Spice Boy freundlich bekannt, dass ihm Mode gefalle, er sich aber vor allem als Fußballer fühle. „So weit ich weiß, bin ich wegen Fußball gekommen.“

„Zwischen Seattle und New York geben sich in diesen Tagen berühmte Klubteams aus der ganzen Welt die Klinke in die Hand. Unter dem wohlklingenden Namen „ChampionsWorld Series“ tragen der FC Barcelona, die Boca Juniors, der Club America (Mexiko), Celtic Glasgow, Juventus Turin, Manchester United sowie die AC Milan eine Serie von dreizehn hochkarätigen Freundschaftsspielen aus“, schreibt Matthias Erne (NZZ 2.8.). „Als ideale Saisonvorbereitung kann die USA-Tour für die europäischen Vereine nicht bezeichnet werden. Normalerweise misst man sich zu diesem frühen Stadium nicht mit den Besten der Branche. Ausserdem müssen enorme (Flug-) Distanzen und Zeitunterschiede bewältigt werden. Trotzdem machen sämtliche Trainer eine gute Miene zum seltsamen Spiel. Vielleicht liegt es daran, dass sie jeweils per Limousine zum Training chauffiert werden, dass Manchesters als bärbeissig bekannter Coach Sir Alex Ferguson den Veranstaltern im Speziellen und den Amerikanern im Allgemeinen artig Komplimente macht. Früher hätten ihn Freundschaftsspiele nicht besonders interessiert, bekannte der Meistermacher, aber in diesem Fall sei alles anders, diese „ChampionsWorld Series“ seien eine feine Sache, sprach Sir Alex. Selbstverständlich steht hinter den salbungsvollen Worten (wie fast immer) der schnöde Mammon. Sämtliche Vereine werden von den Veranstaltern um Charlie Stillitano, den ehemaligen Manager des MLS-Vereins New York / New Jersey Metrostars, fürstlich entlohnt und erhalten ausserdem die Möglichkeit, im Kampf um den immer grösser werdenden Soccer-Markt USA die Pole-Position zu beanspruchen. Asien und Nordamerika sind von den Grossvereinen als letzte weisse Flecken auf der Weltkarte des Merchandisings ausgemacht worden, und dementsprechend hart wird um die Gunst dieser Kundschaft gebuhlt.“

Javier Cáceres (SZ 2.8.). „Der stellvertretende Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, Peter Danckert (SPD), hat Kritik am Gehaltsgefüge der Bundesliga geübt. Nach Ansicht des Parlamentariers sind die „exorbitanten“ Bezüge der Profis „in Anbetracht horrender und zunehmender Schulden“ der Bundesligaklubs „unangemessen“ und „nicht leistungsgerecht.“ In der Bundesliga seien Gehälter unterhalb der 500000-Euro-Grenze die Ausnahme, selbst Reservisten erhielten Beträge, die weit über diese Summe hinausgingen. Danckert nannte das Beispiel des mittlerweile arbeitslosen Torwarts Georg Koch (Kaiserslautern), der vergangenes Jahr ein Monatsgehalt von 156000 Euro erhalten habe. „Wir haben uns zu Recht darüber aufgeregt, dass die Firma Mannesmann einem Herrn Esser eine Millionenabfindung gezahlt hat. Wenn aber ein Spieler Millionen kassiert und nur auf der Bank sitzt, ist das kein Thema“, sagte Danckert. Der Parlamentarier betonte, es liege ihm fern, Sozialneid zu schüren. Er sei aber vor allem um junge Spieler besorgt, die durch Überversorgung „jedes Maß verlieren“. So würden sie „Dienstlimousinen“ erhalten, von denen sie nicht im Geringsten ahnen, „was es bedeutet, sich ein solches Auto zu erwirtschaften“. Er habe Verantwortliche aus dem Fußballbetrieb angesprochen, aber wenig Bereitschaft gefunden, diese Thematik zu behandeln (…) Es habe den Anschein, dass viele Politiker gerne im Wirtschafts- oder Aufsichtsrat eines Vereines sitzen, dort aber nicht Mut aufbringen, einer ungesunden Wirtschaftspolitik entgegenzuwirken.“

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Themen

Themen: Dortmund bangt nach schwachem Spiel um die Teilnahme in der Champions League – Premier League vor dem Saisonstart – Lehmann in England angekommen – unseriöse Finanzpolitik in der Serie A

„Borussia Dortmund droht an Selbstzufriedenheit zu scheitern“, beschreibt die Financial Times Deutschland die schwache Leistung der Dortmunder beim Champions-League-Qualifikationsspiel in Brügge, nachdem die Borussen in der Liga vier Tage zuvor 4:0 gewannen: „Immer wieder eine andere Borussia“, liest man in der Schlagzeile der FAZ.

Ein typischer Dortmunder Stimmungszyklus

Christian Eichler (FAZ 15.8.) diagnostiziert die Dortmunder Krankheit. „Es ist die Psychologie der Laufwege, die im Fußball oft Bände spricht: Wer glaubt, nun laufe alles von allein, läuft weniger, und irgendwann läuft gar nichts mehr. Es ist nicht nur so, daß Sammers Mannschaft seit dem Meistertitel 2002 immer wieder jenen Faden verliert, der das Kämpferische und das Spielerische, die Arbeit und die Kunst des Fußballs zusammenhält – sie verliert ihn sozusagen auf Ansage. Fast jeder überzeugenden Leistung folgt schon bei der nächsten Gelegenheit ein Rückfall, der kein Zufall mehr sein kann. „Wir sind zu manipulierbar“, klagte Verteidiger Christian Wörns in Brügge und meinte im aktuellen Fall die Loblieder, die nach dem Sieg gegen Wolfsburg auf die neue Dortmunder Fußballkunst angestimmt worden waren – so lange, bis man offenbar glaubte, nach einer spielerisch gelungenen Darbietung gehe nun alles ganz spielerisch weiter. „Mozart hier, Weltklasse da, Schulterklopfer überall“, umschrieb Wörns die Selbstverblendung. Doch „Mozart“ Rosicky und sein zu filigranes Kammerorchester waren gegen die mit Pauken und Trompeten aufspielende Stimmungskapelle der Belgier kaum zu vernehmen. So sieht wohl ein typischer Dortmunder Stimmungszyklus aus: erst Klagen über zu wenig Glanz – dann eine Leistung, die Begeisterung auslöst – dann eine, die Entsetzen auslöst – anschließend die nötige Schadensbegrenzung – und abschließend alles wieder von vorn. Dabei haben sie Glück, daß ihr Sport Fußball heißt und nicht etwa Profiboxen: In dem hielte man solch einen Pendelverkehr kaum mehr als einmal durch. Denn im Ring steht auf mangelnde Beinarbeit die Prügelstrafe.“

ABC: all but Chelsea

Endlich geht´s los! Vor dem Saisonstart der Premier League zählt Martin Pütter (NZZ 15.8.) die Favoriten auf. „Die an diesem Wochenende beginnende englische Fussballmeisterschaft in der Premier League steht im Zeichen der Übernahme des Chelsea FC durch den russischen Ölmilliardär Roman Abramowitsch. Das Duell der zuletzt dominierenden Teams von Manchester United und Arsenal verspricht sich so auf einen Dreikampf auszuweiten – Zwiespältig, so lassen sich die Gefühle von Chelsea-Manager Claudio Ranieri gegenwärtig umschreiben. Auf der einen Seite ist der Italiener im Moment bestimmt einer der glücklichsten Fussballtrainer. Er fühle sich wie in einem neuen Klub, sagte er kürzlich vor den Medien. Seit der schlagzeilenträchtigen Übernahme des Vereins durch den jungen russischen Industriellen Roman Abramowitsch hat sich vieles geändert an der Stamford Bridge. „Das alte Chelsea konnte sich nur ein oder zwei neue Spieler pro Saison leisten. Nun ist alles komplett anders“, führte Ranieri aus, nachdem sein Kader durch sieben neue Professionals – Wayne Bridge, Geremi, Damien Duff, Glen Johnson, Joe Cole, Juan Sebastian Veron und Adrian Mutu – und für 75 Millionen Pfund ergänzt worden ist. Auf der anderen Seite ist der Chelsea-Manager allerdings auch nicht sorgenfrei. Wie alle Kollegen der Trainergilde weiss er, wie viel Zeit es braucht, bis eine dermassen neu formierte Mannschaft zusammenwachsen kann. Zeit, die er sich nicht kaufen kann, denn von ihm und Chelsea werden rasch Resultate erwartet. Sonst ist er seinen Job los (zumal er trotz unbestrittenen taktischen Kenntnissen zunehmend von den englischen Medien als sogenannter Stuhlwärmer für Sven-Göran Eriksson betrachtet wird). Dass ihm dies bewusst ist, verdeutlichte er diese Woche gleich selber. Wenn sein „All-Star Team“, wie es mittlerweile auch schon genannt wird, vor dem Champions-League-Qualifikationsspiel gegen den slowakischen Club Zilina nervös sei, „dann muss ich mich erschiessen“, sagte der Italiener. Die ernsthafte Seite des etwas unglücklichen Versuchs eines Scherzes: Im übertragenen Sinn ist ihm eine Pistole an den Kopf gerichtet. Allerdings erwarten nur die eigenen Fans schon in der ersten Saison Wunderdinge. Erste Erfolge prognostizieren den „Blues“ sämtliche Zeitungen Englands erst in der Saison 2004/05. Eine weitere Konsequenz von Abramowitschs Ankunft in London ist Chelseas neue Rolle in der Meisterschaft: Die „Blues“ sind nicht mehr nur Jäger, sondern auch Gejagte. Statt wie bisher „ABU“ (all but United: alle ausser der United) lautet ein neues Motto für Fans und Premiership-Klubs nun „ABC“ (all but Chelsea). Strengte sich die Konkurrenz bisher vor allem gegen den Meister an (um ihm einen neuerlichen Titelgewinn zu verwehren), wird Chelsea Ähnliches erdulden müssen. Von Manchester United und Arsenal mag damit ein gewisser Druck fallen. Diese beiden Favoriten verfügen zudem über den Vorteil gut eingespielter Mannschaften. Ein weiterer Unterschied liegt im personellen Bereich. Jeder andere Manager mit demselben Blankocheck hätte wohl andere Spieler als Johnson, Duff, Bridge, Geremi, Cole, Veron und Mutu verpflichtet. Gemäss Spekulationen englischer Medien sieht so eher die Einkaufsliste von Sven- Göran Eriksson aus.“

Über den Empfang Jens Lehmanns in London lesen wir von Martin Pütter (FR 15.8.). „Bei den englischen Sportjournalisten herrschte leichte Verwunderung darüber, dass Arsenal diesen Sommer als neuen Torhüter Jens Lehmann verpflichtete. Seit Arsène Wenger Trainer der Londoner ist, hatten sie nämlich Mühe mit der Disziplin auf dem Feld. Vergangenen Sonntag im Supercup gegen Manchester United war Francis Jeffers der 50. Spieler, der in sechs Jahren unter dem Elsässer die rote Karte sah – und nun holen die Gunners einen Torhüter, der selber in seiner Karriere schon fünf Mal vom Schiedsrichter vorzeitig in die Kabine geschickt worden war. Aber kaum war Lehmann zu Arsenal gestoßen, versuchte er gegenüber englischen Journalisten, dies zu relativieren. Ich habe mehr als 400 Mal in der Bundesliga gespielt, hatte fünf Platzverweise, aber nur zwei davon waren berechtigt, wurde er vom Londoner Evening Standard zitiert. Da muss er sich wohl zu seinen Gunsten verzählt haben. Am Pressetag von Arsenal vor einer Woche schien es dem ehemaligen Dortmunder Torhüter etwas unwohl dabei zu sein, noch einmal auf seine fünf roten Karten angesprochen zu werden. Ich habe noch nie einen verletzt, sagte er und versuchte, seinen Ruf als vermeintliches Raubein unter den Torhütern zu korrigieren. Er habe gar den Eindruck gewonnen, dass für ihn die Regeln geändert worden seien. Lehmann wird aber auch wissen, dass im englischen Fußball Torhüter von den Schiedsrichtern weniger geschützt werden als in anderen Ländern. Der letzte Mann wird von den gegnerischen Stürmern oft als Freiwild betrachtet.“

Es wird weiter geklotzt

Über die Finanzpolitik in der Serie A schüttelt Wolfgang Hettfleisch (FR 15.8.) den Kopf. „Der Untergang des AC Florenz vor zwei Jahren, dessen damaliger Boss Vittorio Cecchi Gori, ein Westentaschen-Berlusconi, nach Landessitte Stars heuerte und feuerte, bis er pleite war, gab kein ausreichend abschreckendes Beispiel ab. Bei Transfers und Spielergehältern wurde weiter geklotzt, obwohl sich die Schulden in der Serie A hoch und höher türmten. Irgendwie würde es schon weitergehen. Tat es. Notfalls behalf man sich mit gefälschten Bankbürgschaften. Die sicherten dem AS Rom und Zweitligist SSC Neapel trotz miserabler Bilanzen die vom Verband Federcalcio (Figc) im ersten Anlauf noch verweigerte Lizenz. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen dubiose Finanzdienstleister. Die Zahl der Clubs, die mit der faulen Deckung ihre schiefen Etats absicherten, stieg inzwischen auf zehn. Fortsetzung folgt. Natürlich gibt es nur Betrogene. Das Gewissen der zwei Verbandsfunktionäre, die den Clubs die halbseidenen Helfer in der Not empfohlen haben sollen und gegen die nun ebenfalls ermittelt wird, ist so rein wie frisch gefallener Schnee. Roma-Präsident Franco Sensi, ein greiser Patriarch, findet nichts dabei, wenn sich sein klammer Club bei einer Provinzkasse rückversichert, die das mangels notarieller Befugnis noch nicht mal darf.“

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Kaiser Franz, das ewige Glückskind – Ozeanien im Nachteil u.v.m.

Jan Christian Müller (FR 8.12.) analysiert den Zusammenhang zwischen der WM 2006 und der deutschen Volkswirtschaft: “Vielleicht, hat der deutsche Präsident des Organisationskomitees, Franz Beckenbauer, gesagt, vielleicht waren wir vor drei Jahren, als Deutschland die WM zugesprochen bekam, etwas zu euphorisch. Sie hatten geglaubt, es würde ein Ruck durchs Land gehen (Beckenbauer), aber es ruckte nirgends. Im Gegenteil: Die Blase ist geplatzt, die Wirtschaft kommt nur stotternd voran, das Land, das die WM 2006 austrägt, hängt durch. Was es im Übrigen mit seiner Nationalmannschaft verbindet. Das anhaltende ökonomische Tief über dem Land ist gewiss nicht Schuld der deutschen Organisatoren, die sich seinerzeit voller Tatkraft an die Aufgabe gemacht haben und sich in der Aquise von Werbepartnern noch bis vor kurzem auf einer Insel (OK-Vizepräsident Wolfgang Niersbach) wähnten. Mittlerweile hat es allerdings den Anschein, als müssten zwei halbstaatliche Unternehmen, Wettanbieter Oddset und die Deutsche Bahn AG, den ebenso umtriebigen wie fordernden Ausrichtern unter die Arme greifen. Zugmaschine Franz Beckenbauer behauptet zwar tapfer, auch mit vier der geplanten sechs nationalen Förderern sei der 450-Millionen-Euro-Etat zu stemmen: Das kriegen wir hin. Doch sein Stellvertreter Horst. R. Schmidt sieht die Angelegenheit weniger spielerisch: Da hat der Franz leider nicht Recht. Wir brauchen das Geld. Zumindest 30 Millionen Euro fehlen den Deutschen noch. Organisatorisch, niemanden verwundert das, steht Beckenbauers Mannschaft in geschlossener Perfektion. In der vergangenen Woche in Frankfurt wurde die derzeit 58-köpfige Mannschaft erstmals unter dem Brennglas der Weltmedien auf die Probe gestellt. Sie hat es dank geschickter Medienarbeit und hinreichender Unterstützung nicht nur der brav zuarbeitenden Bild-Zeitung geschafft, aus ein paar bunten Ballons, gefüllt allenfalls mit heißer Luft, ein veritables Spektakel zu zaubern. Ein Spektakel, das auch von ein paar Hundert vor der Festhalle gegen den Sparkurs der Landesregierung protestierenden Studenten und einem nur anfangs gegen ein niedrigeres Einstiegs-Preisniveau bei den Tickets opponierenden Fifa-Präsidenten Joseph Blatter nicht entscheidend gestört werden konnte. Es gehörte zur geschickten Inszenierung, dass Blatter ein paar Tage lang in die Rolle des bösen Buben geschlüpft war, der höheren Ticket-Preisen das Wort redete, ehe er klein beigab. Beckenbauer und seine Gefolgschaft, so wurde vermittelt, hätten sich durchgesetzt und verkauften dies auch als Erfolg ihrer sozialen Verantwortung gegenüber den Fußballfans. Möglicherweise ist ein Einstiegspreis von 35 Euro aber auch der ökonomischen Vernunft und der schwindenden Kaufkraft geschuldet.“

Von der Festveranstaltung in Frankfurt berichtet Peter Heß (FAS 7.12.): “Die 34 Nationen der Nord- und Mitteleuropazone wurden nach einem derart komplizierten Modus aufeinander losgelassen, daß der erläuternde Filmbeitrag zur Realsatire geriet – das perfekte Sujet für einen Loriot-Sketch. Hochachtung für den ehemaligen mexikanischen Nationaltorhüter Jorge Campos und die amerikanische Nationalspielerin Brandi Chastain, daß sie im elfminütigen Losverfahren zwischen unzähligen Töpfen nicht einmal danebengegriffen. Die Veranstaltung stand halt unter einem glücklichen Stern. Nur die Vertreter aus Ozeanien meckerten. Ihnen war der zwischenzeitlich fest versprochene Startplatz für 2006 wieder weggenommen worden. Der Sieger dieser Zone muß erst noch ein Relegationsspiel gegen ein Team eines anderen Kontinentalverbandes erfolgreich bestreiten, bevor er nach Deutschland darf. Blatter darf sich in Australien nicht mehr blicken lassen, sagte der ehemalige Werder-Profi Wynton Rufer. Der Neuseeländer war als Ozeanien-Experte ein gefragter Mann. Australien könnte sich mit etwas Glück sogar in Europa qualifizieren, der Rest ist deutlich schwächer, beschrieb der 40jährige Rufer den weißen Fleck auf der Fußball-Landkarte. Rufer will Fußballschulen auf den Inseln des Südpazifiks aufbauen, damit die Entwicklung vorangeht. Vor einigen Jahren noch erlebte er auf Fidschi folgendes: Sie schalteten das Flutlicht erst im letzten Moment an, um Strom zu sparen. Wir liefen auf den Platz und traten auf etwas Weiches. Als wir auf unsere Schuhe schauten, hatten wir Frösche mit unseren Schraubstollen aufgespießt. Dergleichen wird in zweieinhalb Jahren bei der WM in Deutschland garantiert nicht passieren.“

Volker Stumpe (FAS 7.12.) meldet: „Die Fußball-WM im Jahre 2006 kommt im 16:9-Format ins Fernsehen. Also im Breitbandformat, so wie sich das im modernen DVD-Zeitalter auch gehört. Das bedeutet für all jene, die noch in eine 4:3-formatige Röhre schauen, daß sie sich entweder mit einem Trauerbalken oben und unten abfinden müssen oder daß sie sich eben einen neuen Fernsehapparat anschaffen müssen. Betrachten wir diesen Kaufanreiz als Beitrag des Internationalen Fußball-Verbandes zum Wirtschaftsaufschwung. (Es muß ja kein Gerät des offiziellen WM-Partners sein.) Und paßt Breitbildfernsehen nicht perfekt zum deutschen Spiel? Querpässe über das ganze Spielfeld, eine 16:9-Taktik in Cinemascope. Wunderbar! Doch was ist, wenn die Deutschen bis dahin das schnelle Spiel in die Spitze gelernt haben sollten und immer wieder übers Fernsehbild hinausschießen? Nicht auszudenken!“

Sein Stellungsspiel ist entscheidend

Jörg Hanau (FR 8.12.) feiert unseren Kaiser: „Wo Beckenbauer ist, ist oben. Alle wollen ihn sehen, jeder will mit ihm reden. Aus diesem Grund hat das Organisations-Komitee für die WM 2006 seinem OK-Chef einen persönlichen Assistenten zur Seite gestellt, der die vielen Termine und Anfragen sortiert, filtert und koordiniert. In der Woche vor der Auslosung der WM-Qualifikation am vergangenen Freitag seien beispielsweise allein rund 100 Interviewanfragen aus dem In- und Ausland an ihn herangetragen worden, erzählt der 30-jährige Höfl, den Beckenbauer bereits kennt, seit Höfl noch ein kleiner Bub war. Schließlich stand Papa Höfl einst in Diensten des Sportartikelherstellers Adidas in Herzogenaurach, für den Beckenbauer in seiner aktiven Zeit die drei Streifen zu Markte trug. Vom eleganten Kicker ist Beckenbauer längst zum honorigen Fußball-Manager gereift. Eloquent sagen die einen; andere, die Beckenbauer nicht wohl gesonnen sind, nennen ihn gerne einen Dampfplauderer, bei dem auf wundersame Weise aus der Sprachmüllkippe eine Fundgrube wird. Dass die geringe Halbwertzeit der Beckenbauerschen Ergüsse ebenso ohne negative Folgen geblieben sind wie seine privaten Liebeleien, verdankt er der engen Bande mit der auflagenstärksten Boulevardzeitung im Land. Die Bild-Zeitung kredenzt den Kaiserschmarrn als Stammessen. Beckenbauer gibt die Galionsfigur. Seiner Strahlkraft ist es zu verdanken, dass die weltbesten Fußballer im Sommer 2006 in deutschen Stadien ihre Kunst zelebrieren werden. Er jettete mehrfach um die Welt, um die Bewerbung anzuschieben. Mit Erfolg. Wie immer. Was Beckenbauer anfasst, möchte man glauben, wird zu Gold. Ein Glückskind? Nein. Aber auch kein akribischer Arbeiter. Sein Stellungsspiel ist entscheidend. Ob als Spieler oder Manager: Er rannte nie den unerreichbaren Bällen hinterher. Konzepte liest er, er entwickelt sie nicht. Den Job überlässt er – gerne – anderen. Beckenbauer ist ein Mann für die Scheinwerfer. Im gleißenden Licht liegen seine Stärken, aber auch im Paktieren und Koalieren hinter den Kulissen. Dabei verlässt er sich gerne auf seinen Instinkt. Seine Bauchentscheidungen sind ebenso gefürchtet wie legendär. Ich war immer ein Mensch, der alles auf sich hat zukommen lassen, sagt Beckenbauer, ich habe nie etwas geplant.“

(6.12.) Joseph Blatter kämpft plötzlich gegen Doping – die FR sorgt sich um gerechten Ticketverkauf

Fußball ist genauso clean wie ein Mülleimer an der Konstablerwache

Jan Christian Müller (FR 6.12.) referiert Joseph Blatters Doping-Anklage: “Bis vor kurzem will der Blatter-Sepp nicht gewusst haben, dass Doping im Fußball eine Rolle spielt. Zwar kommt er aus den Bergen, aber er lebt nicht hinterm Mond, er ist ein umtriebiger Mann mit wachem Blick, dem eigentlich nichts entgeht. Nur die Sache mit dem Doping hat er bislang nicht wahrhaben wollen. Aber bisweilen kann es passieren, dass der Herr Papa davon überrascht wird, wenn die Polizei mit dem vollgekifften Sohn vor der Türe steht. Es nützt nichts, sich rauszureden: Eltern haften für ihre Kinder. Blatter passt jetzt besser auf: Ich dachte immer, der Fußball ist clean. Jetzt weiß ich: Er ist nicht clean. Er ist ungefähr genauso wenig clean wie ein Mülleimer an der Konstablerwache. Die Situation im Doping hat sich geändert, sagt Blatter. Er hätte auch sagen können, sein Blickwinkel habe sich geändert. Im Weitwinkel sieht man mehr. Man sieht zum Beispiel, dass es noch immer eine ganze Menge Leute gibt, die das Thema genauso wenig ernst nehmen wie Blatter es jahrelang getan hat. Dass der Verteidiger Rio Ferdinand von Manchester United neulich einfach nicht zur Dopingkontrolle erschien, ist kein Bagatelldelikt. Blatter weiß das jetzt. ManU weiß das noch nicht. Die Verantwortlichen der Premier League wissen es nicht, die englischen Nationalspieler, die wegen Ferdinands Spielsperre mit Streik drohten, wissen es nicht, und Ferdinand selbst weiß es auch nicht. Der englische Verband weiß es wohl auch noch nicht. Ferdinand musste nur einmal aussetzen. So geht das nicht, sagt Blatter und fordert Disziplin und Respekt ein. Wenn sie nicht einsichtig werden, wird der Vater die bösen Buben verstoßen. Diesmal völlig zurecht.“

Die Macht verlagert sich an die Basis

Thomas Kistner (SZ6.12.) klärt auf über das Motiv Blatters, gegen Doping zu kämpfen: „Ein Dopingbekämpfer ist Blatter nicht. Vielmehr umwehte ihn beim Frankfurter WM-Gipfel heftiger als sonst die Realität einer Profibranche. Die Macht verlagert sich an die Basis, hin zu Klubs wie in der G 14, die das Gros der Gelder einspielen und daraus Mitspracherechte ableiten: bei TV- und Marketingfragen bis zur Spielplangestaltung. Überdies will die G 14 Geld für die Abstellung ihrer Nationalspieler, und dies notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof durchfechten – was Blatters Macht in den Grundfesten erschüttern würde. Der droht allen, die vor ordentliche Gerichte ziehen – bloß: womit? Rauswerfen geht nicht, also sucht Blatter Schutz in den Grenzen der Verbandsstatuten. Der Fußball sei universal, er müsse die Gerichtsinstanzen des Weltsports befolgen und dürfe nicht vor Zivilgerichte ziehen, verlangt Blatter. Weil er den Verbandsregeln aber bisher selbst nur dann strikte Bedeutung beigemessen hat, wenn sie seinen Interessen passten, muss er nun flott zum regeltreuen Funktionär mutieren. Und sogar mit der Wada marschieren, der just die Fifa bislang arges Kopfzerbrechen bereitete. Seinen zögerlichen Wada-Beitritt hatte Blatter ja gern mit Bedenken vor einer zivilen Prozessflut begründet. Für irgendeine Gerichtsinstanz aber, ob im Sport oder im Zivilleben, muss sich auch der Fifa-Boss entscheiden. Sonst gerät er zwischen Fronten, die noch den Flexibelsten zermalmen.“

Der Stimmung in den Stadien ist der Großaufmarsch der Oberen nicht gerade dienlich

Frank Hellmann Jan Christian Müller (FR 6.12.) sorgen sich um gerechte Ticket-Vergabe: „Mehr als die Hälfte der Karten ist weg, ehe zu Weihnachten 2004 der offizielle Vorverkauf beginnt. Je acht Prozent gehen an die beiden an einem Spiel beteiligten Nationen. Sofern der Antrag bei der EU-Kommission erfolgreich ist, werden zwölf Prozent in einer ersten Phase über deutsche Vereine verkauft – bevorzugt an Clubfunktionäre, Verbandsvertreter und Vereinsmitglieder. Mindestens fünf Prozent möchte Schmidt Reiseveranstaltern aus dem In- und Ausland überlassen, auch wenn das System seit der WM 1998 belastet ist. Da hatten dubiose Tour-Anbieter die Tickets dreist doppelt und dreifach verkauft. 350 000 Karten, weitere elf Prozent, werden von der Fifa für das so genannte Hospitality-Programm abgezweigt. Vip-Gäste können es sich in den zwölf WM-Stadien bequem machen: ein eigener Parkplatz, eine Loge oder ein Business-Seat, Verpflegung und Betreuung sind im Preis enthalten. Der beträgt rund 1000 Euro pro Person. Frei dem Credo von Fifa-Boss Sepp Blatter: Wer an etwas Besonderem teilhaben will, sollte auch einen besonderen Aufwand tätigen. Auch die nationalen Sponsoren sind vom OK noch zu bedenken. Die Hamburg-Mannheimer, die sich bei der Fifa-Sitzung in dieser Woche mit Repräsentant Uwe Seeler ins rechte Licht rückte, möchte 10 000 hochrangige Vertreter als Dankeschön mit Karten beglücken. Ein Wunsch, der dem WM-Versicherer kaum abgeschlagen wird. Auch Continental hat als einer von drei deutschen Fifa-Sponsoren (neben Telekom und Adidas) so seine Vorstellungen. Der Reifenhersteller aus Hannover, der 40 Millionen Euro bezahlt hat, wirbt mit Plakaten, Gewinnspielen und TV-Spots vehement für das WM-Event. Wichtigste Gegenleistung: WM-Karten. Ein maximales Kontingent im fünfstelligen Bereich, sei das beste Mittel für eine Kundenbindung und einen Reifenkauf, wie es aus dem Unternehmen heißt. Der Stimmung in den Stadien ist der Großaufmarsch der Oberen aus Firmen- und Funktionärsebene nicht gerade dienlich: Selbst bei Länderspielen in der ansonsten so stimmungsvollen Arena Auf Schalke ist es bisweilen mucksmäuschenstill – weil ein Event-Publikum die Tribünen erobert, das mit dem gemeinen Besucher bei Bundesligaspielen nicht identisch ist. Besorgnis erregend wird die Angelegenheit, wenn Sponsoren wie bei der WM 1998 in Frankreich, zwar ganze Karten-Pakete erwerben, jedoch nur die Top-Spiele besuchen und die anderen Karten verfallen lassen.“

Ich weiß, dass ich nach 2006 nicht mit jedem gut Freund sein werde

FR-Interview mit Horst R. Schmidt, verantwortlich für den Ticket-Verkauf

FR: Wann gelangt der Fan an Tickets?

HS: 2005 soll der Ticket-Verkauf beginnen, unser Wunsch ist, schon zum Weihnachtsgeschäft 2004 zu starten.

FR: Wie läuft das in der Praxis?

HS: Es wird einen öffentlichen Verkauf geben, vor allem übers Internet, aber auch auf dem Postweg oder per Fax. Das wird dann in einem Zeitfenster gesammelt und wahrscheinlich ausgelost. Es wird aber eine Limitierung geben.

FR: Das Bündnis Aktiver Fußball-Fans findet die Karten zu teuer.

HS: Für 47 Spiele in der Vorrunde sind es moderate Preise für Jedermann. Mit einem zu billigen Ticket verkehrt sich der Effekt ins Gegenteil – dann blüht der Schwarzmarkt. Deshalb sind die Preise zum Endspiel hin ziemlich hoch. Es ist ein Spagat: Der einfache Fan soll genauso eine Karte kaufen können wie der Besucher, der für mehr Komfort und Service bereitwillig mehr Geld ausgibt. Die Ticket-Verteilung ist ein ganz sensibler Bereich.

FR: Haben Sie Angst, 2006 der meistgehasste Mann in Deutschland zu sein?

HS: Ich weiß, dass ich nach 2006 nicht mit jedem gut Freund sein werde. Wir bemühen uns, fair zu verteilen.

(5.12.) Entscheidung über Ticket-Preise zugunsten des Gastgeberlands – beim WM-OK spielt Geld keine Rolle u.v.m.

Wo der Stehplatz seinen mythischen Rang hat

Roland Zorn (FAZ 5.12.) beschreibt die Diskussion um die Ticket-Preise der WM 2006: „Blatter stört sich keineswegs an den Spitzenpreisen, die bis zu 400 Euro beim Halbfinale und bis zu 600 Euro für eine Endspielkarte betragen werden. Blatter bekennt seine Vorbehalte gegenüber den moderaten Preisen in der sogenannten Kategorie 4. Schon mit 35 Euro ist der Kunde bei 47 der 48 Vorrundenbegegnungen – beim Eröffnungsspiel am 9. Juni 2006 kosten die billigsten Karten 65 Euro – dabei. Blatter, der aus einem wohlhabenden Land kommt, ließ sich nach einigen Diskussionen mit Franz Beckenbauer überzeugen, den günstigsten WM-Preisen zuzustimmen; einen Tag später folgte das FIFA-Exekutivkomitee den Empfehlungen des OK. Eigentlich bin ich nicht ganz zufrieden, sagt Blatter, denn jedes WM-Spiel ist etwas Besonderes, und besondere Spiele sollten auch einen besonderen Aufwand rechtfertigen. Er hat aber erkannt: In einem preisbewußten Land wie Deutschland, wo der Stehplatz seinen mythischen Rang hat und der Fußball als Volkssport auch unter Profis basisorientiert bleiben muß, ist das Thema Mindestpreis immer auch eine politische Frage. Sie wurde im Sinne des Ausrichters zufriedenstellend gelöst, auch wenn sich ursprüngliche Vorstellungen, WM-Spiele zu einem Einstandspreis unter 30 Euro anzubieten, nicht realisieren ließen. Dennoch kann sich das Ergebnis sehen lassen. Zum Vergleich: Das preiswerteste Ticket bei der WM 2002 in Korea und Japan kostete 51 Euro, für das in Hamburg aufgeführte Musical König der Löwen sind 65 Euro auf den billigsten Plätzen fällig, der Rockstar Eric Clapton läßt bei seinen Konzerten von 53 Euro aufwärts von sich hören.“

Die FR (5.12.) ergänzt: „Größere Kontingente von mehreren hunderttausend der insgesamt 3,2 Millionen Karten erhalten auch die 15 Fifa-Partner und die sechs nationalen Förderer. Über zehn Prozent der Tickets gehen darüber an zahlungskräftige Kunden, die sich in Logen einkaufen können. Kritik gab es deshalb vom Bündnis Aktiver Fußball-Fans (Baff). Der Zusammenschluss von über 200 deutschen Fanclubs hatte gefordert, dass nicht mehr als zehn Prozent der Tickets dem freien Verkauf vorenthalten werden dürften. Baff-Sprecher Wilko Zicht sagte der FR, er befürchte, dass allzu viele Firmenkunden sich in den Stadien befänden, Leute, die sonst niemals bereit wären, für ein WM-Spiel lange anzustehen. Er habe nichts gegen chaotische Zustände beim Schlangestehen, wenn dafür die wahren Fußballfans auch an die Karten kommen. Diejenigen, die bereit sind, einen großen Aufwand zu betreiben. Die Forderung von Baff, dass zumindest 30 Prozent der Tickets nicht mehr als 30 Euro kosten und dass auch der Großteil der übrigen Tickets preislich unter 50 Euro liegen, wurde nicht erfüllt. Freilich hätte in diesem Fall auch der ohnehin wohl nicht zu verhindernde Schwarzmarkt für das Top-Ereignis des Jahrzehnts floriert. Zicht räumte ein, er erwarte einen regen Handel im Internet.“

Das OK setzt sich über die gesellschaftlich verordnete Bescheidenheit hinweg

Peter Heß (FAZ 5.12.) stellt Gelassenheit bei den Organisatoren fest: “Streichen, einschränken, sparen, knausern. Ob in Politik, Wirtschaft oder Sport: Das Thema Finanzen wird im Moment von diesen vier Verben beherrscht. In Zeiten, in denen sogar die Werbung vermittelt, daß Geiz geil wäre, macht sich jeder verdächtig, der den Begriff Geld ausgeben zu benutzen wagt. Wenigstens das OK für die WM 2006 setzt sich über die gesellschaftlich verordnete Bescheidenheit hinweg. Die erste heiße WM-Woche, die in Frankfurt an diesem Freitag mit der Auslosung der Qualifikationsgruppen zu Ende geht, ist mit einer Opulenz begangen worden, die an die Zeiten des Börsen-Booms erinnert. Empfänge, Parties, Dinners, Pressekonferenzen, die Auslosungszeremonie in der Festhalle: alles aufs feinste ausgestattet, üppig inszeniert und aufwendig auf den Punkt organisiert. Warum auch nicht? Schließlich will Deutschland ein guter Gastgeber sein. Und Geld steht reichlich zur Verfügung. Am nationalen Prestigeobjekt muß nicht gespart werden. Wir sind ausfinanziert, sagt Theo Zwanziger, Vizepräsident des OK und Schatzmeister des Deutschen Fußball-Bundes, mit der Gelassenheit eines Mannes, der sich keine Sorgen machen muß (…) Nach einer Untersuchung des Allensbach-Instituts beabsichtigen derzeit 72 Prozent der Unternehmen, die WM 2006 in ihre Marketingplanung einzubeziehen. Diese Erhebung belegt den Eindruck, den OK-Präsident Franz Beckenbauer und sein für die Finanzen zuständiger Vizepräsident Zwanziger haben: Das schaffen wir schon mit dem sechsten nationalen Sponsor. Zumal Zwanziger noch längst nicht alle Ressourcen bei der Suche ausschöpfen ließ. Er hat so seine Lieblingskandidaten. Das kann sich ein OK leisten, das den wohlhabenden DFB im Rücken weiß, der Defizite ausgleichen könnte. Unsere Aufgabe ist es doch nicht, eine Firma bekannt oder bekannter zu machen. Wir wollen, daß die WM im ganzen Land verankert ist: also Partner mit einer politischen Dimension.“

Die FR (5.12.) glaubt, wie wir alle, an Fügung: „Es ist natürlich blanker Zufall, dass das Häuschen von Gerhard EmVau ziemlich nah am Daimler-Stadion liegt. Es ist nicht weit von Muckensturm zum Cannstatter Wasen, man könnte die Straßenbahn benutzen, aber die hat Mayer-Vorfelder zuletzt benutzt, als er noch in der D-Jugend spielte. In Muckensturm also, einem Stuttgarter Stadtteil der gehobeneren Klasse, steht das Anwesen der MVs. Das ist insofern wichtig, weil der Verdacht aufgekommen ist, Muckensturm könnte vielleicht über ein paar Ecken was zu tun haben mit der Gestaltung des offiziellen WM-Spielplans. Nun ist es so, dass auch in Sepps harmonischer Familie nicht alle gleich sind, manche, wie Berlin oder München, sind gleicher, und andere streiten sich ein bisschen darüber, wer die Nase unter Gleichen vorne hat. Gelsenkirchen oder Stuttgart zum Beispiel. Fünf Spiele kriegt jede Stadt, doch die, die was besonderes sind, kriegen eins mehr. Und Gelsenkirchen muss in die Röhre gucken. Wegen Muckensturm.“

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Themen heute

Themen heute: Hannover 96 schlägt kurz vor Toreschluss auf dem Transfermarkt gewaltig zu, was die Presse skeptisch bewertet. Fredi Bobic ´ Karriereknick. Ronaldo landet in Madrid. Hansa Rostock, Tabellenzweiter der Bundesliga. Roy Keane als Vorbild?

Zu den hektischen Transferaktivitäten von Hannover 96 bemerkt Uwe Marx (FAZ 4.9.).„Wie nennt man das, wenn ein Verein kurz vor Ablauf der Transferperiode gleich fünf neue Spieler verpflichtet: entschlossenes Handeln? Entscheidungsfreude? Oder doch besser Panikkäufe? Gerade einmal fünf Monate ist es her, da schaffte Hannover 96 den Sprung von der Zweiten in die Erste Fußball-Bundesliga. Es war eine Saison der Superlative. Die meisten Punkte, die meisten Siege, die meisten Tore – kein Aufsteiger zuvor war derart zielstrebig. Dreizehn Jahre hatten die Hannoveraner darauf warten müssen. Nun haben 270 Minuten ausgereicht, all das in Frage zu stellen (…) Die niedersächsische Kauflust kommt einem doppelten Misstrauensvotum gleich: gegenüber jener Mannschaft, die den Aufstieg geschafft hat und zu Beginn der Spielzeit für stark genug befunden wurde, den Klassenverbleib – mancher erhoffte sich gar mehr – zu schaffen; aber auch gegenüber Trainer Ralf Rangnick, der für ebendiese Einschätzung steht.“

Wolfgang Hettfleisch (FR 4.9.) bedauert und spekuliert. „Selten ist ein Neuling härter in der Realität angekommen als Hannover 96, selten sind hoch fliegende Träume so schnell geplatzt. Nichts ist mehr zu sehen von einstiger Spielkultur, kaum noch etwas zu sehen von der Souveränität des Trainers Ralf Rangnick, der ein Verfechter des modernen, intelligenten Fußballs ist. Ja, im Grunde ist der Trainer, der einst als Professor daherkam, fast schon entmachtet an der Leine. Womöglich sind auch dessen Tage gezählt (…) Bleibt eigentlich nur noch ein Trainerwechsel, dann hätte Hannover das komplette Instrumentarium der Krisenbewältigung bereits ausgeschöpft.“

Javier Cáceres (SZ 4.9.) wirft ein. „Andererseits verwunderte die Operation doch. Denn sie ist ein Novum: Noch nie hat ein spanischer Spieler der Primera División sein Land verlassen, um bei einem Bundesligisten anzuheuern. Dass spanische Profis vermehrt Länder aufsuchen, die bislang tabu waren, liegt auch daran, dass der Markt in der Heimat wie paralysiert ist(…) Die Klubs haben ihre Budgets reduziert, auch in Spanien ist die Goldader Pay-TV versiegt. In den Jahren des Booms schrieb Deportivo in den Verträgen von Jaime, Fernando und José Manuel Ablösesummen fest, die zwar schon damals Fantasiegebilde waren – aber eben auch symptomatisch für die Marktsituation: 10 Milliarden Pesetas, 62 Millionen Euro. Käufer fanden sich nie, weil man nicht mit Monopolyscheinen, sondern nur in Devisen bezahlen durfte.“

Jörg Marwedel (SZ 3.9.) über den Karriereknick Fredi Bobics. „Es ist nicht allein die Rezession, die Bobic zum „Ladenhüter“ gemacht hatte, wie einige Zeitungen spotteten. Als der Profi vor drei Jahren Stuttgart verließ, eilte ihm der Ruf des markanten Torjägers voraus. Das war der Borussia zwölf Millionen Mark wert, und Manager Michael Meier erhoffte sich „einen Typ, der die Leute mitreißt“. Tatsächlich hatte Bobic Einiges vorzuweisen: 1996 gehörte er zum DFB-Team, das in England Europameister wurde. Er war Torschützenkönig der Bundesliga gewesen und beim VfB Stuttgart Bestandteil des gefeierten „Magischen Dreiecks“ mit Elber und Balakov. Er wurde so etwas wie der erste Popstar der Handy-Generation, produzierte mit den Kumpels Haber und Poschner unter dem ironischen Namen „Das tragische Dreieck“ eine Rap-CD und ließ sich die Haare zwei Millimeter kurz stutzen. Er eröffnete zwei American Sportsbars und ging als einer der ersten Profis ins Internet. Von Matthias Sammer, dem Helden der EM in England, holte er sich „Tipps, wie man eine Führungsfigur wird“. Doch als er in Stuttgart begann, Vereinspolitik zu betreiben, sich mit dem mächtigen Boss Gerhard Mayer-Vorfelder anlegte und vergeblich versuchte, seinen Spezi Hansi Müller als Manager durchzudrücken, haben ihm Kritiker Selbstüberschätzung vorgeworfen.“

Über Reals Neuverpflichtung heißt es bei Thomas Kilchenstein (FR 3.9.). „Es geht darum, Real Madrid als Weltmarke auf dem Globus zu etablieren. Es geht darum, dass diese fast absurde Weltauswahl jedes Stadion dieser Erde zu füllen in der Lage ist. Es geht um Vermarktung und Werberechte, um TV-Einnahmen, Sponsoren und Trikotverkauf, um all die schönen pekuniären Nebengeräusche, die im Fußball längst schon den Ton angeben. Schon jetzt tourt der Klub wie die Rolling Stones über die Kontinente, um neue Absatzmärkte zu erschließen und die Unterhaltungsmaschinerie am Laufen zu halten.“

Roland Zorn (FAZ 3.9.) meint dazu. „Da es inzwischen selbst den Nabobs der Fußballbranche erheblich schlechter als noch vor Jahresfrist geht und der neue Markt der durch viel zu viele Fernsehmillionen künstlich aufgeblasenen Szene fast überall kollabiert ist, müssen selbst die renommiertesten Klubs haushalten. Speziell in Italien, aber auch in Spanien, wo so mancher Gernegroß weit über seine Verhältnisse gelebt hat. Nur wer einen Ministerpräsidenten wie der AC Mailand mit Silvio Berlusconi im Rücken hat, darf weiter so tun, als könnte er in Saus und Braus leben. Berlusconi predigt zum Thema Profifußball im allgemeinen Wasser, meint aber in Sachen Milan Wein. Warum sonst hätte Inters Stadtrivale pünktlich zum vorläufigen Schluss der Transferaktivitäten doch noch den Innenverteidiger Alessandro Nesta für 30 Millionen Euro vom hochverschuldeten Konkurrenten Lazio Rom übernehmen können? Dass die alte Verschwendungssucht, allen defizitären Bilanzen trotzend, noch immer nicht aus den Köpfen so mancher latinischer Einkäufer ist, hat das zurückliegende Wochenende gezeigt.“

Martin Hägele (NZZ 3.9.) porträtiert den Tabellenzweiten der Bundesliga. „Die Fans schwärmen vom begeisternden Offensivspiel der Rostocker, die nach dem 4:0-Auswärtssieg gegen Energie Cottbus wieder die Mannschaft des Ostens darstellen, als welche sie bald nach der Wende für lange Zeit gegolten hatten. Der leicht spröde Veh taugt nicht unbedingt als Symbol für eine solche sportpolitische Akte. Man sollte den ehemaligen Bundesligaspieler von Borussia Mönchengladbach besser anhand seiner Einstellung zum Fußball einordnen. Der 41-Jährige gehört zu jener selten gewordenen Spezies Trainer, die sich ihre Mannschaften nach Typen zusammensuchen – und keine Angst davor haben, auch junge und billige Leute zu verpflichten. Sie müssen nur in sein offensives Konzept passen. Auf diese Weise hat Veh bisher immer Erfolg gehabt. Ob im FC Augsburg, mit Greuther Fürth oder dem SSV Reutlingen, wo er jeweils längerfristig arbeitete, baute er Teams, die für ihr taktisches Verständnis und kreatives Spiel bekannt wurden.“

Zur Affäre Roy Keane schreibt Philipp Selldorf (SZ 4.9.). „Trotzdem bleibt Roy Keane eine Figur von poetischer Faszination ähnlich dem Monomanen Rodion Romanowitsch Raskolnikow aus Dostojewskis „Schuld und Sühne“, der sich in den Wahn steigerte, dass er durch seinen überlegenen Intellekt über den Gesetzen stünde und sogar dazu berechtigt sei, zu töten. Wenn also Roy Keane eines Tages keine Lust mehr hat, mit Kung-Fu-Tritten die Gegner zu attackieren und Mitmenschen Verdammnis zu wünschen, dann ist sicher ein anderer guter Platz für ihn frei. Nicht in der Polizeizelle, in der er vor drei Jahren in seiner Heimatstadt Cork betrunken gelandet ist, sondern an der Seite seines früheren Profikollegen Vinnie Jones, eines Berufsungeheuers, das nun im Kino als Bösewicht fungiert.“

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63.000 hatten das Gefühl der Schadenfreude

Die Bayern-Fans waren gut drauf, findet Andreas Burkert (SZ 5.5.). “Den vorläufigen Höhepunkt der diesjährigen Meisterfeierlichkeiten zelebrierte die rot-weiße Gemeinde am Samstag, Punkt 16 Uhr 50, das Ereignis erweckte sie sehr plötzlich aus einer mehrminütigen Phase der Lethargie. Unten auf dem Rasen beschieden sich die Profis des FC Bayern gerade mit der nicht überall in diesem Land goutierten Kunstform der dezenten Spielkontrolle, als die unsichtbaren Regisseure die Elektronik der Anzeigetafel mit Neuigkeiten aus Westfalen fütterten: Dortmund 1, Wolfsburg 2. Es setzte ein lautes Schreien und ein Jubeln ein im voll besetzten Haus, als entscheide sich soeben ein monatelanges Millimeterduell mit dem beliebtesten Rivalen des Rekordchampions. Doch hinterher eröffnete der aufrichtige Bayern-Profi Michael Ballack, für ihn und die Kameraden sei das vor allem deshalb ein schwieriger Arbeitstag gewesen, „weil es für uns heute um gar nichts ging“. Womit zu befürchten ist: Die 63.000 hatte das Gefühl der Schadenfreude erregt (…) Zwar stand eher selten jene ornamentale Ausdrucksform im Vordergrund, welche sich der schöngeistige Manager Hoeneß für die abschließenden Schaukämpfe des Meisters gewünscht hatte. Leider sei das nicht möglich, entgegnete dazu Ballack und nannte Zauberei als Auftrag „eine Wunschvorstellung von außen“ und irreal, „denn wenn du anfängst zu zaubern, kriegt man ein paar auf die Socken – und dann geht es meistens schief“. Deshalb also kein 2:2 oder ein aufregendes 3:4, sondern der schlichteste aller Siege, zumal die Gäste nach den Vorstellungen der Bayern nur nicht auf die Idee kommen sollten, sich für Ende Mai etwas auszurechnen. Tun Sie’s dennoch, Herr Gerets? Mochte der Belgier so nicht sagen, doch wenigstens stellte er für den Termin in Berlin größere Gegenwehr in Aussicht: „Wir werden im Finale versuchen, mehr Risiko zu gehen.“ Das möchte man schon heute aufrichtig begrüßen.“

Geforderte Unterhaltung für die Zuschauer

Elisabeth Schlammerl (FAZ 5.5.) beschreibt den Auftritt der beiden Teams. „Die Bayern ließen sich von der bierseligen Stimmung im Stadion weniger einlullen als die Pfälzer, zeigten wenigstens in der ersten Halbzeit schöne Kombinationen und boten damit die von Manager Uli Hoeneß geforderte Unterhaltung für die Zuschauer. Dabei hätte Kaiserslautern die Punkte nötiger gehabt, denn um sich aller Abstiegssorgen zu entledigen, brauchen die Pfälzer noch zwei Punkte mehr als die bis jetzt eingespielten 38. Einen Schritt in die richtige Richtung zu tun, hatte sich FCK-Präsident René C. Jäggi in München leichter vorgestellt als in den nächsten Spielen gegen Wolfsburg, Dortmund und Hertha BSC Berlin, zumal der Schweizer nicht den Eindruck hatte, daß die Bayern mit der Brechstange drei Punkte holen wollten. Aber auch die Lauterer traten in München nicht wild entschlossen auf. Sie wirkten vielmehr so, als ob sie die Meistergaudi der Rekord-Bayern nicht stören mochten. Nur Torhüter Tim Wiese hatten die Kollegen offenbar vergessen, davon zu unterrichten. Der vielleicht begabteste junge Schlußmann der Liga unternahm einfach alles, um ein Tor zu verhindern.“

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