indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Donnerstag, 25. März 2004

Bundesliga

Nationale Rettungsaktion für St. Pauli, der nach wie vor übermächtige Calmund

Jörg Marwedel (SZ 5.6.) berichtet die nationale Rettungsaktion für den verschuldeten FC St. Pauli. „Von Rudi Assauer weiß man, dass er Deutschlands berühmtester Zigarrenraucher seit dem Wirtschaftswunder-Vater Ludwig Erhard ist. Weniger bekannt war bisher, dass Assauer auch ein Herz für den FC St. Pauli hat. Nun hat sich der Manager des FC Schalke 04 geoutet und eine handsignierte Kiste seiner erlesenen kubanischen Tabakwaren spendiert. Sie soll über die Internetbörse ebay eine erkleckliche Summe zugunsten der Not leidenden Hamburger bringen (…) Selten hat Fußball-Deutschland derart Anteil am Schicksal eines Klubs genommen wie jetzt an dem des Zweitliga-Absteigers FC St. Pauli. „Einfach gigantisch“ nennt dessen Präsident Littmann die Hilfswelle, die durch das ganze Land schwappt, seitdem bekannt ist, dass dem bunten Verein aus dem Hamburger Arbeiter- und Amüsierviertel nach dem zweiten Abstieg binnen zwölf Monaten nicht nur die Drittklassigkeit, sondern sogar die Insolvenz und ein Neubeginn in der Oberliga drohen. Exakt 1,95 Millionen Euro muss man bis zum 11. Juni zusammenbringen, um die Voraussetzungen für die Regionalliga-Lizenz zu erfüllen – ein Wettlauf mit der Zeit, der längst zu einem Event besonderer Art geworden ist. Am Freitag und Samstag etwa können trinkfeste Fans in fast 100 Lokalen zwischen Reeperbahn und Schanzenviertel gegen einen Aufpreis von 50Cent pro Getränk Geld in die Klubkasse spülen. Motto der Veranstaltung: „Saufen für den FC St. Pauli“. Auch Bäcker Neumann hilft mittels Naturalien. Von jedem in seinen sechs Filialen verkauften St. Pauli-Brot, gebacken mit dem Bier der nahe gelegenen Brauerei, leitet er einen Euro weiter. Als Renner entpuppt sich derweil das kaffeebraune T-Shirt mit der Aufschrift „Weltpokalsiegerbesieger- Retter“.

BLZ-Interview mit St. Pauli-Chef Littmann

Holzhäuser droht mit seinem Sparkurs an Calmund zu scheitern

Wird Wolfgang Holzhäuser Bayer Leverkusen verlassen? Erik Eggers (Tsp 5.6.) erkennt Anzeichen. „Es liefen viele unschöne Dinge in Leverkusen, und Holzhäuser hat gesagt, dass sich „in Leverkusen einiges ändern muss, damit ich es noch mit mir und meiner Familie vereinbaren kann“. Er mag nicht mehr verantwortlich gemacht werden für Fehler in der Führungsetage, für die er offenkundig nicht verantwortlich war. Nicht selten nämlich verbreitete der von Calmund sensationell gut versorgte Boulevard in großen Lettern, dass angeblich alles besser war, bevor Betriebswirt Holzhäuser 1998 vom DFB nach Leverkusen kam. Derzeit droht der 53-Jährige mit seinem Sparkurs an Calmund zu scheitern, obwohl der dringend notwendig ist: Sogar Calmund hat verkündet, dass dem Klub rund 30 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen. In Leverkusen honorieren jedenfalls nur wenige die Arbeit des Finanzexperten, dessen Ruf auf Grund seiner 25-jährigen Arbeit beim DFB so gut ist, dass auch andere Vereine von Zeit zu Zeit um seinen Rat in Lizenzierungsfragen bitten.“

Christian Eichler (FAZ 5.6.) plaudert. „Wäre Fußball ein Schlager, er hieße: Im Leben geht mancher Schuß daneben. Nicht nur in Leverkusen. Man hat es nur ein wenig aus den Augen verloren, weil das Bayer-Drama das Publikum so in Bann schlug – mit Ausnahme von Paul Delzeil. Der Newcastle-Fan zahlte im Februar mehr als 500 Euro, um den Champions-League-Sieg in Leverkusen mitzuerleben. Dann aber verbrachte er die neunzig Minuten auf der Tribüne im Tiefschlaf. Augen auf für die Außenbezirke von Fußball-Europa, wo sich herrliche Pleiten und Pannen finden lassen und manch frische Idee für eine spannendere Bundesliga. In Luxemburg zum Beispiel ging F 91 Düdelingen mit 14 Punkten Vorsprung in die Winterpause. Aber dann: zu viele Ausländer, zehn Punkte weg, Titel knapp verpaßt. Dem griechischen Erstligaklub Ioannina wurden sogar 75 Punkte aberkannt – da man erst 19 hatte, machte das minus 56. Noch eine Innovation: B-Team-Leasing. So geschehen in Belgien, wo vier Konkurrenten dem mittel- und teamlosen KV Mechelen zehn Ersatzspieler liehen, um den Ligabetrieb zu retten (…) Serbien und Montenegro gastierten am Dienstag in England, wobei die rekordverdächtige Zahl von 43 Spielern zum Einsatz kam. Wir bitten um eine Gedenkminute für jenen Journalistenkollegen, der dabei die beliebte Rubrik Spieler, Tore, Zuschauer mit allen Ein- und Auswechslungen zu betreuen hatte.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Eigenartiges Führungstrio

Im Augenblick des Erfolgs erinnert Frank Heike (FAZ 19.5.) an interne Hannoveraner Konflikte. „Es ist schon ein eigenartiges Führungstrio, das Hannover 96 ein weiteres Jahr Bundesligafußball beschert hat. Während Trainer Ralf Rangnick nach dem in letzter Minute sichergestellten 2:2 gegen Borussia Mönchengladbach nach Worten rang, um die Freude über den Klassenverbleib zu formulieren, küßte Manager Ricardo Moar jeden seiner Profis ab, der zufällig in der Nähe stand. Der Spanier mit dem buschigen Schnauzer strahlte vor Glück, die zur Halbserie noch unmöglich erscheinende Aktion erste Liga durch dann doch nicht so schlechte Transfers ermöglicht zu haben. Und der Mann, der in Hannover über allem thront? Der zeigte sich schon vor dem Spiel in standesgemäßer Gesellschaft. Martin Kind, Präsident von 96 und erfolgreicher Geschäftsmann in Sachen Hörgeräte, überreichte dem neuen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) ein Trikot der Roten mit dessen Namensbeflockung hintendrauf. Flankiert wurden Vereins- und Landesvater vom Stadtoberhaupt Herbert Schmalstieg (SPD), einem bekennenden 96-Fan. Natürlich war es symbolisch, daß Rangnick, Kind und Moar hier, da und dort saßen und zunächst einmal nicht gemeinsam feierten. Das wurde später am Abend anders, als man sich im Vip-Zelt am Stadionbad traf und Zeit für ein bißchen Freude und Glück fand, daß der Aufsteiger den Abstieg schon einen Spieltag vor der Zeit verhindert hat. Und das völlig zu Recht: Die im Laufe der Serie neu zusammengestellte Mannschaft hat in der Rückrunde den erfrischendsten und taktisch reifsten Fußball der Abstiegskandidaten gespielt. Die professionelle Kurzzeitsympathie der drei auf der Brücke kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es kaum Gemeinsamkeiten gegeben hat zwischen diesen so verschiedenen Männern, die man allenfalls als Funktionsteam bezeichnen kann. Mißtrauen und Unbehagen prägten das Bild.“

Protest statt Party

Sascha Zettler (FR 19.5.) sieht das ähnlich. „Dass mit dem Tschechen Stajner ausgerechnet sein Sorgenkind mit seinem Ausgleich in der Nachspielzeit die Abstiegssorgen vertrieb, passt messerscharf in eine kuriose Saison des Aufsteigers, der spielerisch eine echte Bereicherung für die Liga darstellte, sich aber oft selbst im Weg und deshalb immer mal wieder mit einem Bein in der zweiten Liga stand. So auch am Samstag, als nach der Führung durch Krupnikovic der Gladbacher Wunderstürmer Forssell und dann Asanin das Blatt gewendet hatten, ehe Stajners Kullerball ins Glück traf. Da, gestand Präsident Martin Kind nach dem Abpfiff, habe er nicht nur das drohende und nun abgewendete Abstiegs-Endspiel am kommenden Samstag in Bielefeld vor seinem geistigen Auge gesehen, sondern auch das ganze Szenario danach. Was der Präsident nicht ausspricht, aber meint: Ein Bestehen im Finale hätte er für unwahrscheinlich gehalten. Bielefeld hätte ein 1:0 gereicht. Kind war auch der Einzige, der im Zuge der Nicht-Abstiegs-Feierlichkeiten nicht gefeiert wurde. Rund 300 Fans hatten sich nach dem Abpfiff vor dem Vip-Zelt versammelt, um gegen den Präsidenten und dessen Preispolitik zu protestieren. Weil 96 nächstes Jahr im Zuge des Stadionumbaus auf einer Baustelle spielt und das Fassungsvermögen der AWD Arena schmilzt, soll der Einnahmeverlust durch eine Preiserhöhung um 30 Prozent aufgefangen werden. Protest statt Party – auch das passt ins Bild einer verrückten Hannoveraner Spielzeit, der schlimmsten Saison, die ich je erlebt habe, wie es Sportdirektor Ricardo Moar formulierte. Der Spanier selbst passt ebenfalls ins vielschichtige Bild der 96er: Einerseits kompetent, andererseits gnadenlos verrückt. Pöbel statt Möbel titelte der Boulevard, als Moar kürzlich beim Möbelkauf mit einer Verkäuferin aneinander geraten war (…) Verrechnet hatte sich der Gladbacher Betreuerstab. Drei Kisten Bier vom Hauptsponsor Jever sollten in den Schlusssekunden bereits durch den Spielertunnel in Richtung Spielfeld geschleppt werden, da die Rettung bis zu Stajners Ausgleich perfekt war. Auf dem Weg durch den Tunnel fiel der Ausgleich und die Kisten landeten unter einer Treppe in den Katakomben. Jetzt müssen wir uns halt nächste Woche retten, konstatierte Trainer Ewald Lienen. Dann muss frisches Bier her. Denn die drei Kisten blieben in Hannover.“

Frank Heike (FAZ 18.5.) porträtiert den entscheidenden Torschützen. „In der Vorbereitungszeit im Sommer drehte der Norddeutsche Rundfunk einen kurzen Film über Jiri Stajner. Der Tscheche war der teuerste Einkauf in der Vereinsgeschichte, da lohnte es sich, genauer hinzusehen. Der Reporter vom Fernsehen sah einen Spieler, der kein Deutsch sprach, übergewichtig und phlegmatisch wirkte und selbst in einem bedeutungslosen Testturnier das Tor nicht traf. Das Urteil über Stajner stand fest, bevor die Bundesliga begonnen hatte: Fehleinkauf. Danach tat Stajner wenig, um die Argumente zu entkräften, die gegen ihn sprachen. Es lief nicht bei den im Abstiegskampf steckenden Hannoveranern, und Jiri lief auch nicht. Eigentlich die ganze Vorrunde lang ging das so. Den Kampf gegen die Vorverurteilung auch der Fans und Verantwortlichen bei Hannover 96 hat der 26 Jahre alte tschechische Nationalspieler erst in der Rückrunde aufgenommen. Das heißt, er kämpfte gar nicht. Das entspricht auch nicht wirklich dem Naturell dieses oft genialen Technikers. Er verließ sich einfach auf das Vertrauen, das ihm Trainer Ralf Rangnick gab, und darauf, daß es ein normaler Prozeß ist, wenn ein Profi sich nicht sofort im Ausland zurechtfindet.“

Gewinnspiel für Experten

Internationaler Fußball

Antidepressiva, Anabolika, EPO: Juventus Turin

Italien

Peter Hartmann (NZZ19.11.) skizziert das Vereinsprofil von Juventus Turin (seit 16 Spielen ungeschlagen). „Über dem hervorragenden Ruf der „Alten Dame“ schwebt ein peinlicher Dopingprozess, den der aufsässige Turiner Staatsanwalt Guariniello führt. Der Trainer Zdenek Zeman (früher Foggia, AS Roma, Lazio, Napoli; heute in der Serie B bei der Salernitana) hatte vor vier Jahren über die Zunahme der Muskelumfänge Del Pieros und Viallis laute Gedanken geäussert und gefordert, der Fussball müsse «wieder aus den Apotheken herauskommen». Die Ermittler fanden in der medizinischen Dunkelkammer der Juve-Ärzte in der Zeit von 1994 bis 1998 Belege für Medikamentenbestände, die «zur Versorgung eines Kleinstadtspitals ausgereicht hätten», von Antidepressiva und Anabolika bis zu EPO und Doping maskierenden Pharmaka. Zum „System Juventus“, diesem Erklärungsbegriff für das Erfolgsregime des Rekordmeisters, der inzwischen 26 «Scudetti» angehäuft hat, gehört in erster Linie eine strategische Transferpolitik. Die Kühnheit der Führungstroika Antonio Giraudo (CEO), Roberto Bettega (der frühere Stürmerstar, heute exekutiver Vizepräsident) und Luciano Moggi (als Generaldirektor der eigentliche Personalchef), im Sommer 2001 den weltbesten Fussballer Zinedine Zidane, den Stürmer Filippo Inzaghi, der sich nicht mit Del Piero vertrug, und den Torhüter van der Saar auf den Markt zu werfen, verschlug ganz Europa die Sprache. Moggi legte auf die Einkünfte aus diesen Transfers umgerechnet noch 30 Millionen Franken drauf und kaufte, allein für sagenhafte 80 Millionen, den Torhüter Buffon, dazu den Verteidiger Thuram und den Mittelfeldantreiber Nedved – eine scheinbar völlig verfehlte Rechnung. Aber am letzten Tag ging sie auf, Juve gewann die Meisterschaft.“

„Antonio Cassano kommt beim AS Rom noch nicht an Totti vorbei“ SZ

Aus anderen Ländern

Australischer Nationaltorwart Mark Bosnich mit schweren Depressionen ins Krankenhaus eingeliefert . Von unserem Korrespondenten in London Jonas Schorfheide

Rolf Wesbonk (NZZ 19.11.) über den schwedischen Double-Gewinner Djurgarden. „Als Ende der neunziger Jahre das schwedische Team Djurgardens in die zweite Liga abstieg und auch in dieser Klasse sportlich kaum vom Fleck kam, platzte den Verantwortlichen des polysportiven Klubs der Kragen. Man hatte es im vornehmen Stockholmer Quartier endgültig satt, sich in der Metropole hinter AIK oder Hammarby lediglich mit Brosamen begnügen zu müssen. Es musste etwas geschehen – aber was? Handlungsbedarf war auf allen Ebenen gegeben, denn zu jenem Zeitpunkt war die Equipe überaltert und schlecht geführt. Am Anfang des Umdenkens stand ein mutiger Schritt: die Verpflichtung von Trainer Sören Akeby. Dieser war nicht mehr der Jüngste und hatte zuvor lediglich in unterklassigen Vereinen gearbeitet. Doch die Wahl wurde zum Glücksgriff, wobei Akeby zustatten kam, dass er im eher ruhigen Milieu der zweithöchsten Klasse seine Aufbauarbeit in die Wege leiten konnte. Diese sah eine Abkehr vom schwedischen “4:4:2-Standardmodell” sowie vom physischen Fussball der langen Zuspiele von der Abwehr in den Angriff vor. Akeby – kongenial unterstützt vom zweiten Ausbildner Zoran Lukic – legte vielmehr Wert auf eine technisch hochstehende, schnelle Spielweise mit gerissenen Kombinationen. Er stiess mit diesem Vorgehen auf offene Ohren, war man doch des traditionellen Fussballs schwedischer Prägung etwas müde geworden. Vor allem unter den jungen Spielern kam dieses auf Improvisation ausgerichtete System bestens an. Es ist deshalb kaum ein Zufall, dass heute die grossen Talente des Landes nicht mehr Göteborg als Ziel ihrer Ausbildungsstätte sehen, sondern Stockholm im Allgemeinen und Djurgarden im Besonderen (…) Insgesamt geht in Schweden der Fussball- Boom weiter. Die Zuschauerzahlen sind im Durchschnitt erstaunlich hoch; dies, obwohl die besten Spieler rasch ins Ausland abwandern (wobei man ihnen auch keine Steine in den Weg legt). Aber vielleicht liegt hier der Schlüssel der Erfolgsgeschichte. Zum einen sehen sich Fans stets mit neuen Namen konfrontiert, zum anderen sind die Klubs auf diese Weise gezwungen, den Nachwuchs stark zu fördern. In weiser Voraussicht machen die Vereine auch nicht den verhängnisvollen Fehler, entstehende Lücken mit ausländischen Spielern schliessen zu wollen. Man vertritt die Ansicht, dass grosse Namen ohnehin nicht nach Schweden kommen wollen (hiezu würde es am finanziellen Anreiz mangeln), und mit durchschnittlichen Fussballern mit fremdem Pass will man sich nicht begnügen.“

Vereinsportrait OGC Nizza, Tabellenführer in Frankreich NZZ

Interview mit Patrick Zuberbühler (FC Basel, ehemals Bayer Leverkusen) SZ

Zur Lage in Brasiliens Liga NZZ

Gewinnspiel für Experten

Deutsche Elf

Armer Ramelow – Provinzbühne Frankfurt

Ein Abbild der Durchschnittlichkeit

Ärgerlich! Jörg Kramer (Spiegel 16.6.) registriert, dass Optimismus und Stimmung im Umfeld der deutschen Nationalmannschaft gesunken sind. Dabei bedient er sich einer alten Leier: das blasse Image Carsten Ramelows. „Fußball-Deutschland befindet sich im Tief. Und die Hoffnung, ein durch erstaunliche Fügungen zu Stande gekommener zweiter Platz bei der letzten Weltmeisterschaft könnte beim globalen Championat 2006 im eigenen Land noch übertroffen werden, welkt dahin. Dem Münchner Teamleader Michael Ballack schwant, dass wir in der Quantität der Spieler noch nicht die Klasse haben. Auf dem Weg zur Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 geht der Nationalmannschaft offenbar jede Zuversicht verloren. Auch wenn DFB-Boss Gerhard Mayer-Vorfelder keine Bereitschaft zur Kenntnisnahme der neuen Lage zeigte (Ich such jetzt nicht nach einem großen Haar in der Suppe): Inzwischen ist der Zweifel über die Glaubensgemeinschaft der deutschen Fußballfreunde gekommen. Bisher waren die Fans optimistisch: Mit kümmerlichen Vorstellungen wie zuletzt beim 1:1 gegen Litauen oder dem 1:0 gegen Serbien und Montenegro werde es ein Ende haben, sobald der Stratege Ballack, 26, wieder die Fäden ziehe. Doch jetzt folgte seinem schlappen Comeback gegen Schottland eine neuerliche Verletzungspause, und der Leverkusener Ramelow sagte im Teamquartier von East Kilbride bei Glasgow über den Fußballer des Jahres: Der Michael ist ein absolut wichtiger Spieler. Aber es wird ein bisschen viel drum gemacht. Ramelow klang genervt. Der blasse Biedermann vom Bayer-Team, wegen seiner zuverlässig unspektakulären Spielweise oft unterschätzt und dennoch beinahe mit Leverkusen brav und emotionslos in die Zweitklassigkeit abgestürzt, steht für eine ernüchternde Erkenntnis: Nicht die Eleganz des torgefährlichen Ballack ist stilbildend für die deutsche Auswahl. Das Spiel der DFB-Elf ist vielmehr ein Abbild der Durchschnittlichkeit Ramelows. Es ist schmucklos und bleiern. Der gebürtige Berliner vermeidet gern Risiken. Selbst wenn er mit dem Ball am Fuß stürmt, sieht es aus, als wollte er sich und die Kugel verteidigen. Manchmal haben seine unscheinbaren Ballabgaben strategischen Wert. Oft ist jedoch der Raumgewinn seiner Aktionen so wenig Aufsehen erregend, dass sein ehemaliger Vereinstrainer Berti Vogts darüber spottete: Drei Pässe nach links, drei Pässe nach rechts. Hauptsache, keine Fehler machen. Als er dann Ende März gegen Litauen ein Tor mit der Hacke erzielte, staunte die Öffentlichkeit. Wenn Ballack, der Beckham of Bavaria (Daily Record), für die Sehnsüchte der deutschen Fußballfans steht, repräsentiert Carsten Ramelow die unspektakuläre Wirklichkeit. Gegen Schottland erreichten 88 Prozent seiner Pässe zielsicher einen Mitspieler – ein Spitzenwert. Gewagte Spielzüge waren freilich kaum dabei. Nichts an Ramelow ist aufregend. Von ihm erwartet man nichts, außer dass er seine Pflicht erfüllt [offenbar doch]. Ramelow ist einer, der ohne viel Aufhebens die Vorschriften achtet. So erntet er kaum Kritik, ragt aber niemals heraus. Der Aufräumer, eigentlich Mittelfeldspieler, hilft ohne zu murren in der Abwehr aus. Sein früherer Trainer Christoph Daum nannte den Anti-Star seinen Umsetzer. Das legte schon den Verdacht nahe, dass Ramelow fremde Ideen verwirklichen kann, selbst aber keine Entwürfe kreiert. [Welch eine Verdrehung der Tatsachen, das bedeutendste Lob, das man einem Fußballer aussprechen kann – die „rechte Hand“ des Trainers auf dem Feld zu sein – derart gegen den Gelobten umzukehren! Boulevardstil!] Michael Ballack dagegen weckt das Verlangen nach der Schönheit des Spiels. Dabei greift er nur selten ein. Fast immer scheint er sich für die ganz wichtigen Augenblicke zu schonen. Fünf der letzten sechs Länderspiele ließ er aus. Und als er jetzt im Glasgower Hampden Park vom Gegner gezielt matt gesetzt wurde, sprang niemand in die Bresche, um das Spiel zu lenken (…) Ramelow, der eine Ausbildung zum Polizisten zu Gunsten der Profilaufbahn abbrach, ist schnell zufrieden. Er ist der Typ Angestellter, der, wie der Kommentator von Sport Bild lästerte, bei Gleitzeit nicht betrügt – eben der brave Mann von nebenan. Der FAZ galt er vor eineinhalb Jahren als Prototyp einer Fußball-Generation, die im Zweifel für Verlierer gehalten wird. Nach dem Finaleinzug bei der WM stand er vorübergehend im Ruf, Angehöriger einer Siegernation zu sein. Das ist nun wieder vorbei. Der Generation 2006, angeführt vom farblosen Ramelow, traut kaum noch jemand große Sprünge zu. Die Zeitung The Scotsman sieht den teutonischen Mythos von der Unfehlbarkeit unterminiert. Deutschlands Kick-Elite spielt den Fußball des 21. Jahrhunderts ideenlos und im Tempo der achtziger Jahre.“

O.F.: Was mich an diesem Text alles in allem stört? Kramer gibt im Titel vor, die Situation der deutschen Nationalmannschaft beurteilen zu wollen. Letztendlich widmet er seine Aufmerksamkeit jedoch allein dem vermeintlichen „Biedermann“ und Abwehrchef Ramelow, dem er allen Ernstes vorwirft, nicht riskant genug zu spielen. Spielerische und kreative Defizite des DFB-Teams ausgerechnet einem – im übrigen meist sehr verlässlichen – Abwehrspieler anzukreiden widerspricht fairer Argumentation und gängiger Fußball-Logik. Carsten Ramelow, an den Erfolgen Bayer Leverkusens und am Finaleinzug der DFB-Elf bei der WM 2002 maßgeblich beteiligt, taugt sicherlich nicht zum Idol, und man muss seine staksigen Bewegungen nicht mögen. Allerdings stehen pflichtbewusste sowie auf Eleganz und Posen verzichtende Spieler seiner Art hierzulande immer zurecht in gutem Ruf, zumal Fußballdeutschland diesem Typ sehr viel zu verdanken hat. Darüber hinaus: Sollte man die Ursachen der Misere nicht eher im Sturm und im zentralen Mittelfeld vor der Abwehr suchen? Ich bleibe dabei: Mit dem damals gesperrten Ramelow hätten wir nicht 5:1 gegen England verloren!

Warum der Deutsche Fußball-Bund zur neuen Saison die A-Junioren-Bundesliga einführt Tsp

Laiendarsteller auf der hessischen Provinzbühne

Thomas Kilchenstein (FR 23.6.) kritisiert die Führungsschwäche des Bundesliga-Aufsteigers. „Das Bild, das die Eintracht in der Öffentlichkeit abgibt, ist ein grauenvolles, ein elendiges. Der Streit um Macht, Einfluss und Kompetenz fußt im Kern auf der Aufsplitterung des Clubs in einen Verein (für Jugend und Breitensport verantwortlich) und in die AG (für die Profis zuständig). Eine Aufsplitterung, die zwar vollzogen, im Grunde aber nie wirklich gewünscht wurde: Seitdem ging und geht es um verletzte Eitelkeiten, um fehlenden Respekt, um verlorene Besitzstände und die schiere Lust an der Provokation. Es herrscht latentes Misstrauen. Von kaltem Profitdenken, vom Ausverkauf der Ideale ist auf der einen Seite die Rede, während die andere heillos überforderte Vereinsmeier am Rad drehen sieht, kleinkariert und provinziell. Und alle miteinander wissen es sowieso immer besser. So kommt es, dass inzwischen ein (vom Verein kommender) Aufsichtsratsvorsitzender deutschlandweit bekannter ist als etwa der linke Verteidiger der Profimannschaft. Die nervigen, aus Profilsucht angezettelten Scharmützel vieler Laiendarsteller auf der hessischen Provinzbühne zeigen evident, dass Eintracht Frankfurt ein eklatantes Führungsproblem hat. Da ist keiner da, der die große, klare Linie vorgeben würde, der die Kontrahenten endlich zum Schweigen bringen könnte. In dieses Machtvakuum stößt immer mal rein, wer gerade meint, was zum Besten geben zu müssen.“

Erik Eggers (FR 21.6.) erzählt die Story eines Knaben in der Champions League. „Er hat es schon einmal erlebt. Durfte kosten von diesen unfassbaren Emotionen, die in der Champions League von Zehntausenden auf das Spielfeld geschleudert werden. Erfuhr die ungebremste Wucht der Gesänge. Die Fans von Newcastle United verhöhnten den Gastgeber Leverkusen mit Are you Sunderland-Chören, weil Bayer genauso schlecht war wie der verhasste englische Tabellenletzte. Doch das hat Jan-Ingwer Callsen-Bracker nicht registriert. Er musste sich kümmern um die vielen Konter, die das 1:3 fast in ein Debakel verwandelt hätten. Pfeilschnelle Stars rasten auf ihn zu in den letzten 20 Minuten, die seine waren. Aber nicht die Stürmer flogen dann an ihm vorbei, sondern die Zeit. Wie in einem Traum, wie ihn so viele träumen. Dabei ist er erst 18 und geht noch zur Schule. Dieser 18. Februar ist nun ein paar Monate her, das Davor jedoch ist noch immer präsent: Als Thomas Hörster Trainer wurde, weiß Callsen-Bracker noch, hat der mich angerufen und gesagt: Komm‘, Du trainierst mit. Bei den Profis (…) Nicht, dass Callsen-Bracker versagt hätte auf dem Rasen, im Gegenteil. Er machte seine Sache souverän, urteilte etwa die taz. Nein, die Probleme verursachte der lange Name und die unbekannte Vita. Ein Hänfling von 18 Jahren. Halbdäne, Regionalligaspieler, wusste die taz nur vage. Nicht mal der Mann von Bild, der sonst alle Akteure in seinem Claim kennt, hatte diesen Namen in petto – und auch nicht Patron Reiner Calmund, der ihn nach der Partie Callsen-Gedönsheimer-Schmallenberg nannte. Als Bild den Wechsel per Telefon in die Redaktion durchbuchstabierte, beschwerte sich die Redaktion: Name zu lang. Passt nicht in die Zeile. Am nächsten Tag stand überall Callsen Bracher. Das war ihm egal.”

Gewinnspiel für Experten

WM 2006

WM-Zwischenfazit

„Zum Glück wird in Erinnerung gerufen“, zieht die NZZ ihr erstes WM-Zwischenfazit, „dass die Welt des Fußballs nicht in erster Linie von streitenden Funktionären bestimmt, geprägt und gelebt wird, sondern von einem anderen, viel jüngeren Männerklub: vom demjenigen der Darsteller auf dem Rasen.“ Und von den Darbietungen auf dem grünen Rasen zeigen sich die Fußballautoren im Allgemeinen sehr angetan; was in der ersten Spielrunde eines Turniers keine Selbstverständlichkeit ist.

Gestern griffen zwei Mannschaften ins Geschehen ein, die ihre traditionelle Favoritenrolle mit Siegen unterstrichen: Zum ersten Brasilien, das von „zwei Sorgenkindern gerettet“ (FAZ) wurde, jedoch auch der tätigen Mithilfe des Unparteiischen bedurfte. Der spielentscheidende Elfmeter kurz vor Spielschluss war – da ist man sich einig – eine klare Fehlentscheidung. Die benachteiligten und zusätzlich mit zwei Feldverweisen belegten Türken sind auch wegen ihres guten Spiels nun in der „Opferrolle“ (NZZ).

Zum zweiten besiegten die Italiener die Neulinge aus Ekuador mit 2:0; und nur derjenige musste sich über den anfänglichen Tordrang der Squadra Azzura wundern, der bei der letzten Europameisterschaft 2000 – wo die Italiener im allgemeinen Urteil zu unrecht als reine Defensivfanatiker galten – entweder seine Spielanalysen von Klischees leiten ließ oder nicht richtig hingesehen hatte. Im Anschluss an die frühe Vorentscheidung noch in der ersten Hälfte erfüllten sie allerdings die mit ihnen assoziierten Stereotypen, indem sie sich auf das Verwalten des Vorsprungs beschränkten.

Außerdem: Mexiko bezwingt eine alternde Mannschaft aus Kroatien und Repressionen für Reporter.

Pressestimmen zu den Gruppenspielen G (ITA-ECU; CRO-MEX)

Pressestimmen (Deutschland, Spanien, Brasilien) zum Spiel BRA-TUR

Die NZZ (3.6.) ist vom Auftaktwochenende angetan. „Obschon einige Spiele entgegen den Ankündigungen nicht vor vollen Rängen über die Bühne gehen und obschon diese in einer von den Veranstaltern eigenartig orchestrierten, künstlichen Atmosphäre ausgetragen werden, vermochten sie größtenteils zu gefallen. Die Anzeichen für ein durchaus genießbare und attraktiv gestaltete WM sind zahlreich. Der Fußball ist bis jetzt mutig gegen vorne ausgerichtet, Strafraumszenen sind nicht Mangelware, nirgends wurde die Fairness über Gebühr mit Füßen getreten – und fehlenden, verletzten Stars wurde mit Ausnahme Zidanes (noch) keine Träne nachgeweint.“

Die beiden Gastgebernationen greifen erst zum Schluss ins Geschehen ein. Anne Scheppen (FAZ 4.6.) dazu. „In Europa oder Südamerika mag diese Terminplanung die ohnehin knisternde Spannung nochmals künstlich anfachen, für die beiden fernöstlichen Gastgeber wird sie aber zur Qual. Man ist sich der Leistungskraft der eigenen Mannschaft eben nicht so sicher. In beiden Ländern hat es der Fußball in den vergangenen Jahren zwar weit gebracht; im Vergleich mit den Großnationen dieses Sports aber ist die Außenseiterrolle geblieben.“

Marcel Gyr (NZZ 4.6.). „Freud und Leid sind auch im Fußball ungleich verteilt. So hat die große Mehrheit der Fifa-Familie noch nie an einer WM-Endrunde teilgenommen. Demgegenüber hat Brasilien als einziges Land noch nie gefehlt. Fairerweise muss allerdings festgehalten werden, dass Deutschland grundsätzlich nur dann abwesend ist, wenn es nicht eingeladen wird (1930, 1950). Und Mexiko verdankt seine fast lückenlose Teilnahme wohl hauptsächlich dem Umstand, dass es fußballstrategisch, das heißt geographisch, günstig liegt.“

Stefan Hermanns (Tsp 4.6.) kommentiert die harmonische Stimmung im deutschen Lager. „Ein wenig scheint es in diesen Tagen und Wochen, als habe das japanische Grundbedürfnis nach Harmonie auch den Tross des DFB ergriffen. Und der Sieg gegen Saudi-Arabien zum Auftakt der Weltmeisterschaft hat das allgemeine Wohlbefinden nur noch verstärkt.“

Nach Aussagen der tunesischen Tageszeitung La Presse (3.6.) sind „die Beobachter der Fußball-WM nicht dazu geneigt, der tunesischen Mannschaft eine reelle Chance zuzugestehen. Das Gesetz des Spieles könnte aber alles ändern. In einigen Stunden, werden wir eine Mannschaft bei ihrem Spiel sehen, die, wie man gestehen muss, für viele Beobachter die schwächste des Turniers sein könnte. Diese Situation ist auch mit einem Vertrauensmangel der eigenen Medien in das Team zu erklären. Für die tunesischen Spieler könnte diese gängige Einschätzung jedoch vorteilhaft sein. Ein Kämpfer ist dann besonders wirkungsvoll, wenn er mit einer ungünstigen Prognose startet.“

Auf epische Art und Weise beschreibt der Guardian (3.6.) das Spiel David Beckhams: „David Beckham am Sonntag in Saitama spielen zu sehen erinnerte an die letzte Szene von El Cid, als die Kreuzzugsarmee den toten Charlton Heston an seinen Sattel festbindet und ihn an die Spitze der Truppen schickt, da sie wissen, dass alleine sein Anblick den Gegnern Angst einjagt. Aber abgesehen von seiner gewohnt präzisen Ecken jagte Beckham am Sonntag niemandem Angst ein.“ Der Aussage Beckhams vor dem Spiel, er wäre zu 100 Prozent fit, entgegnet man: „Fit um zu spielen oder fit um zu bestehen? Wenn die Analogie um El Cid zuträfe und Eriksson ihn aus symbolischen Gründen auf den Platz schickte, so kann er sich das nicht mehr leisten. Argentinien wird jedes Anzeichen von Verwundbarkeit mit größerem Eifer als die Schweden aufspüren und bestrafen, vor allem wenn der verwundete Gegner Beckham heißt.“

Herbert Riehl-Heyse (SZ 4.6.) schaut sich die WM bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten an. „Ich konzediere also, dass zum Fußball das einschlägige Gelaber gehört; aber doch nicht so, dass damit stundelang wertvolle Sendezeit vernichtet wird, mit minutenlangen Sat1-lichen Ausführungen über die Schweißflecken im Hemd des spanischen Trainers. Zum Rekord-Laber-Duo der ARD muss nur deshalb nichts weiter gesagt werden (…) Delling und Netzer – zwei Grimme-Preisträger, wo ich noch nie kapiert habe.“

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat unter den WM-Teilnehmerländern eine Liste erstellt, in denen Journalisten es besonders schwer haben, ihrer Arbeit nachzugehen. Matti Lieske (taz 1.6.) dazu. „Zu den Predators of press freedom gehört zum Beispiel Prinz Abdullah Ibn al-Saud, der in Saudi-Arabien eine strenge Zensur des Internets sowie der gesamten Medien des Landes betreibt und missliebige Journalisten streng disziplinieren lässt. Ein weiterer Predator ist Chinas Staatschef Jiang Zemin, in dessen Land es zuletzt wieder ein Welle der Repression gegen kritische Journalisten gegeben hat. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin steht auf der Liste. Nicht nur in Tschetschenien sind Restriktionen gegen Medienvertreter, die systematische Einflussnahme des Staates auf Presseorgane sowie physische Angriffe bis zum Mord an der Tagesordnung. Tunesiens Präsident Ben Ali gehört ebenfalls zur illustren Gesellschaft. Die Presse des nordafrikanischen Landes ist praktisch gleichgeschaltet, wer sich nicht fügt, wird ins Exil getrieben oder verhaftet.“

Schüsse

Figo

Team USA

China

Kamerun

Gottesdienst verschoben

Gewinnspiel für Experten

Bundesliga

Ereignis des Fußball-Wochenendes

Über dasjenige Ereignis des Fußball-Wochenendes, welches die größte öffentliche Aufmerksamkeit absorbiert haben wird, ist am heutigen Montag noch recht wenig im deutschen Blätterwald zu finden: Die sonntägliche 0:2-Niederlage der Bayern in Bremen wird durch Redaktionsschlüsse bedingt erst morgen bewertet werden.

Dass der FC Bayern dennoch mit zwei Punkten Vorsprung als Tabellenführer ins kommende Spitzenspiel gehen wird, ist dem erneuten Patzer der international glorreichen Dortmunder im grauen Alltag zu schulden. „Nach Dortmunds Höhenflug gegen Arsenal kam es bei der Landung auf dem Bundesliga-Rollfeld, wie es alle hatten kommen sehen” lesen wir in der SZ.

Der (für die Bayern mittlerweile nicht mehr nur lokale) Konkurrent 1860 München nutzte am Samstag die Gelegenheit, um mit einem 3:1-Sieg gegen Bielefeld sich ins Rampenlicht zu spielen. Noch nie sah man Fernsehstudios von „Löwen“ derart bewildert. Doch angesichts dieses überraschenden Höhenflugs ist die FAZ skeptisch: „Erst der VfL Bochum, dann Hansa Rostock und nun München 1860. Die Bundesliga hat in ihrer noch jungen Saison schon so manchen Außenseiter nach oben gespült. Der Aufsteiger von Trainer Peter („der Große“) Neururer und die Schweden-Enklave an der Ostsee haben sich in der Hierarchie schon wieder an den für sie reservierten Plätzen eingeordnet. Wie lange können sich die „Löwen“ auf dem dritten Platz halten?”

Zur Diskussion um Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld wirft Wolfgang Hettfleisch (FR 4.11.) ein. „Dankbarkeit aber darf der leitende Angestellte nicht erwarten. Für einen Topklub wie die Bayern sind Trophäen schon am Tag, nachdem sie von glückstrunkenen Mannsbildern in den Himmel gestemmt wurden, kaum mehr als schmucke Staubfänger. Die Vergangenheit, in diesem Metier doch so oft und gern beschworen, ist nichts weiter als ein Steinbruch für wohlfeile Legenden. Er wird bevorzugt dann aufgesucht, wenn jemand schweres Material benötigt, um es einem anderen über den Schädel hauen zu können. Und so kann der November-Hitzfeld 2002 dieser Tage wahrhaftig seinem eigenen Mythos begegnen – in Stein gemeißelt, von anderen drohend über seinem Haupt geschwungen. Einer muss selbiges ja hinhalten, wenn die Dinge nach den überaus strengen Maßstäben der Bayern-Verantwortlichen aus dem Ruder laufen. Hatte nicht Hitzfeld freie Hand, anzuheuern, von wem auch immer er sich sportliche Rendite versprach? Hat nicht der 53-Jährige vor dieser Saison in Michael Ballack den torgefährlichsten deutschen Mittelfeldspieler und in Zé Roberto die höchste in der Liga verfügbare B-Note bekommen (…) Einem anerkannten Meister seiner Kunst, einem mit vielen Meriten und tadelloser Reputation, schießt man nicht auf offener Bühne in den Rücken. Da gibt es andere Möglichkeiten. Fortwährendes Geschwätz kann töten. Kaltblütiges Schweigen auch. Im Fußball und in etlichen fälschlich Redaktion geheißenen Garküchen drumherum sind derlei Techniken vertraut. Und Mathe-Lehrer Hitzfeld kann allemal zwei und zwei zusammenzählen. Was da um ihn herum läuft, ist die Inszenierung seines angekündigten Todes. Trainer-Mord auf Raten.“

1860 München – Arminia Bielefeld 3:1

Joachim Mölter (FAZ 4.11.). „Die Münchner siegten 3:1 und verteidigten damit nicht nur den dritten Tabellenplatz, auf den sie sich vorige Woche nahezu unbemerkt geschoben haben. Sie boten gegen den keineswegs enttäuschenden Aufsteiger auch eine Halbzeit lang einen munteren Angriffsfußball, wie man ihn im Münchner Olympiastadion seit längerem nicht gesehen hat (…) Die Münchner haben derzeit ihre Stärke in der Offensivabteilung. Sie können es sich leisten, den Torschützenkönig der Weltmeisterschaft 1998, den Kroaten Davor Suker, ins Mittelfeld zu stellen und den Bundesliga-Torschützenkönig der vergangenen Saison, Martin Max, zunächst einmal auf die Bank zu setzen. Die jungen Schroth (bislang sechs Saisontore) und Lauth (fünf) gleichen das problemlos aus. Auch die Abwehr um die Innenverteidiger Tomas Votava und Rodrigo Costa ist stärker als in den vergangenen Jahren, was nicht heißen soll, daß sie unbezwingbar ist. Aber dank Simon Jentzschs derzeitigem Formhoch haben die Münchner schon fünfmal zu null gespielt.“

Christian Zaschke (SZ 4.11.). „Die Sechziger haben in der ersten Halbzeit der Partie gegen Bielefeld teilweise hervorragenden Kombinationsfußball gezeigt. Sie spielten schnell nach vorne, manchmal bauten sie gar einige Schnörkel ein. 1860 und Schnörkel, diese beiden Wörter gehörten seit einiger Zeit schon nicht mehr in einen Satz. Die Frage vor der Begegnung war: Würden die Löwen in der Lage sein, gegen einen nominell schwächeren Gegner das Spiel zu machen? Nach 45 Minuten lautete die Antwort: ja. Aber zu welchem Preis? Peter Pacult nennt den Preis: „Lücken.“ Er kann Lücken nicht leiden. Das Mittelfeld rückte für seine Begriffe zu weit auf, so dass sich für Bielefelder Gegenangriffe einiger Platz öffnete (…) Der Trubel begann erst nach dem Spiel: 1860 München auf allen Kanälen. Lauth saß bei ran, Jentzsch im Sportstudio, Pacult beim Stammtisch des DSF. Man kann also sagen, dass 1860 München zumindest an diesem elften Spieltag die Hoheit über die Fußballsendungen des deutschen Fernsehens übernommen hatte. Es war ganz lustig zu sehen, dass die Fernsehmenschen nicht so recht wussten, was sie Lauth und Jentzsch fragen sollten, weil sie wenig über den Verein und über seine Spieler wissen. Allein bei Trainer Peter Pacult gab es keinen Mangel an Fragen. Er hatte seine gute Laune wiedergefunden, munter sprach er davon, dass man schnell 40 Punkte erreichen wolle, es sei längst nicht alles rosig, und immer so weiter. Was für ein herrlicher Tiefstapler.“

Kathrin Zeilmann (taz 4.11.). „Rund ein Jahr ist Pacult nun deren Trainer, nach Werner Lorant war er zunächst als Übergangslösung geplant. Doch der Österreicher hat die Mannschaft umgebaut, ihr funktionierenden Konterfußball und spielerische Klasse beigebracht. Dazu hat er auch immer wieder kämpferischen Fußball gefordert. Und erhat die nötige Ruhe in Training und Umfeld gebracht: Der ehemaliger Weltklassestürmer Davor Suker weicht klaglos dem jungen Benjamin Lauth und leistet nun im Mittelfeld wertvolle Dienste. Auch Torjäger Martin Max, angesichts des Erfolgs von Schroth und Lauth auf die Bank verbannt, beschwert sich nicht, zumindest nicht öffentlich. Benjamin Lauth wiederum ist ein erfrischendes Energiebündel, das mit seiner jugendlichen Lockerheit dem oft als graue Maus bezeichneten Verein ein bisschen Farbe gibt.“

Daniel Pontzen (Tsp 4.11.). „Die Sympathien der meisten Münchner gehören ohnehin 1860. Selbst in Zeiten, als der Marienplatz dem Meister zu Ehren alljährlich in tiefem Rot versank und Sechzig in der Bayernliga der SpVgg Plattling und dem TSV Ampfing trotzte, war das nicht anders. Auch der Vergleich der sportlichen Führung spricht derzeit nicht für die Bayern. Beckenbauer, nach der AG-Umwandlung aus dem Tagesgeschäft verdrängt, geißelt wortreichalles und jeden, der an der Säbener Straße Verantwortung trägt. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Manager Uli Hoeneß verweigern beharrlich Rückendeckung für den Trainer. Geordnete Kompetenzverteilung sieht anders aus. Etwa so wie bei 1860: Ein Organigramm der Entscheidungsgewalt beim TSV 1860 ließe sich mit einem Kreis und einem darin stehenden Namen darstellen. Mit dem von Karl-Heinz Wildmoser. Der Präsident, der für seine kickende Belegschaft regelmäßig charmante Kosenamen wie „Haubentaucher“ oder „Halberwachsene“ erfindet, herrscht in großmütiger Gutsherrenart an der Grünwalder Straße. Jüngst ließ er verkünden: „Der Peter Pacult, der kann doch froh sein, dass er einen Bundesligisten trainiert.“ Dabei macht Pacult – nimmt man Beckenbauers Forderungen zum Maßstab – seine Sache sehr manierlich. „Ich als Trainer würde es als große Herausforderung ansehen, mal einen jungen Spieler auszubilden und den in die erste Mannschaft zu bringen“, moserte der einstige DFB-Teamchef in Richtung Hitzfeld – ein Vorwurf, der Pacult kaum zu machen ist. Bedingungslos setzt der Österreicher auf junge Spieler wie Martin Stranzl, Remo Meyer und vor allem Benjamin Lauth, der bereits als nationaler Hoffnungsträger gehandelt wird. Owen Hargreaves und Roque Santa Cruz dagegen, erwiesenermaßen ausgestattet mit erheblichem Talent, haben selbst nach drei Jahren im Bayern-Kader noch keinen Stammplatz.“

Detlef Dresslein (Tsp 2.11.) beschreibt die Münchner Stadtmeisterschaft. „Es sind dies die Tage des stillen Genießens für alle Fans des TSV 1860 München. An der Säbener Straße, beim stets so superioren FC Bayern, findet ein Inferno statt, blamiert man sich sportlich wie administrativ. Und das ewig im Schatten stehende weiß-blaue Münchner Fußball-Unternehmen von der Grünwalder Straße ist derweil unbemerkt auf Platz drei der Bundesliga-Tabelle geklettert. Für gewöhnlich dürfen sich die Sechziger wie ein überflüssiges Anhängsel fühlen. Bestenfalls beachtet man sie, wenn es darum geht, ein neues Stadion zu bauen. Sonst wird der TSV 1860 vom FC Bayern ignoriert. Was ja fast schon schlimmer ist, als bekämpft zu werden. Aber im Gegensatz zu den Bayern hat der TSV 1860 in dieser Saison alles richtig gemacht. Und das mit weit weniger finanziellem Aufwand und ohne überhöhte Erwartungen zu wecken. Trainer Peter Pacult spricht nie vom besten Kader aller Zeiten. Ob er das ist, sei dahingestellt. Ein guter ist es auf jeden Fall.“

Thomas Becker (FR 2.11.) erkennt einen Emanzipationsprozess. „Diesen Möchte-Gern-FC-Bayern, die früher nur ins Fernsehen kamen, weil sie ein Rumpelstilzchen auf und vor allem vor die Trainerbank platziert hatten? Wegen ihres Präsidenten, der nicht nur eine Gaststätte hatte, sondern auch eine heftige, gern auch öffentlich schwankende Männerfreundschaft zu eben diesem Rumpel-Trainer? Die in den vergangenen acht Jahren (mit einer Ausnahme: Rang vier im Jahr 2000) stets im Tabellen-Niemandsland zwischen sieben und 14 landeten. Die lange vor allem wegen des kleinen, säbelbeinigen Ex-Weltstars und seiner untreuen Manager-Gattin in der Zeitung standen. Deren kaum mehr als 20.000 Fans wieder zurück ins kuschlig-baufällige Grünwalder Stadion wollen, bald aber mit den ungeliebten großkopferten Nachbarn vom FC Ruhmreich in den schon vor Grundsteinlegung gehassten Kaiser-Palast in Fröttmaning ziehen müssen. Dieser so offenkundig merkwürdige Verein scheint sich gemausert zu haben. Hat einen Trainer (meist auf der Bank), der zwar ein bisschen komisch redet (er ist Österreicher), sich aber nicht aufführt, sondern still seine Philosophie von Fußball umsetzt, statt wie ein Angeschossener durch die Gegend zu blaffen (…) Pacult, dem etwas zäh wirkenden Wiener, trauten viele nicht allzu viel zu. Zu lange hatte er als Co-Trainer unter Lorant gedient und wohl auch gelitten. So wundert es nicht, dass die Emanzipation langsam von statten ging. Doch wer sich heute den Löwen-Kader anschaut, findet darin Namen und Geburtsdaten, die es unter Lorant nie gegeben hätte.“

Energie Cottbus – Schalke 04 0:1

Christian Ewers (FAZ 4.11.). „Der vom Präsidenten Dieter Krein und Manager Stabach veranlaßte Umbau des Kaders bringt derzeit nichts außer Verunsicherung. Die personalpolitischen Fehler sind vor Saisonbeginn gemacht worden; jetzt können sie während des laufenden Spielbetriebs nicht mehr korrigiert werden. Geradezu panikhaft hatte der FC Energie nach einem Stürmer gefahndet. Geholt wurde schließlich Paulo Rink, ein arbeitsloser Angreifer, der sich in den Verhandlungen mit seinem alten Klub 1. FC Nürnberg verspekulierthatte. Für Rink griff Stabach tief in die Vereinskasse – zurückgezahlt hat der ehemalige deutsche Nationalspieler bislang wenig. Gegen den FC Bayern schoß er ein schönes Tor, das ist aber auch schon alles. Im Spiel gegen Schalke fremdelte er wieder mit seinem Sturmpartner Marko Topic und wurde schließlich ausgewechselt. Die Misere in der Offensive ist groß: Mit nur fünf erzielten Toren stellt Cottbus die angriffsschwächste Mannschaft der Liga. In der vergangenen Saison war der FC Energie zumindest im eigenen Stadion eine Macht gewesen. Zu Hause wurden die Punkte geholt, da konnten die Gegner noch so berühmte Namen tragen. Jetzt können die Cottbuser noch nicht einmal auf ihre Heimstärke bauen – der letzte Erfolg datiert vom 30. März gegen den SC Freiburg.“

Frank Ketterer (taz 4.11.). „Das Schalker Spiel kam frei von jeglicher Spielidee daher. Weder dem jungen Dänen Christian Poulsen noch Sven Kmetsch gelang es, das Dirigat im Mittelfeld zu übernehmen, davor mühte sich Marc Wilmots mehr, als dass er spielte, die Spitzen Sand und Varela wiederum waren von Beeck und Löw weitgehend abgemeldet. Der Tabellenletzte aus Cottbus wirkte in einem alles in allem armseligen Kick über weite Strecken frischer, schneller, engagierter, kurzum: besser. Zumindest bis Möller kam, das Gewürge der Kollegen wenigstens im Ansatz ordnete – und dann auch noch den entscheidenden Freistoß um die allerdings nur halbherzig gebaute Mauer und ins Tor trat. Dem FC Schalke 04 hat der Sieg den Anschluss an die Sonnenplätze der Liga erhalten, den FC Energie Cottbus hat er noch weiter ins Tal der Tränen gestürzt.“

Javier Cáceres (SZ 4.11.). „Zu den Gesetzmäßigkeiten im Fußball zählt, dass Talent oft entscheidend ist, wenn sich zwei Mannschaften gegenüberstehen, die ein Spiel allein der Willkür der Muskeln unterwerfen – wie am Samstag in der Lausitz. Schon deshalb wirkten die 22 Minuten, die Möller mitspielte, entschädigend, und sie waren eine Lektion für Neubarth, der zuvor auf Möllers vermeintlich unzulängliche Kampfkraft verwiesen hatte, um dessen Reservistenrolle zu rechtfertigen. Zwar lässt sich Möllers Beitrag nicht als brillant beschreiben. Doch mit ihm hatte Schalkes Spiel plötzlich eine Achse. Und sein Freistoß-Treffer war ein Kunststück, das selbst Fußballverächtern gefallen musste.“

Bayer Leverkusen – VfB Stuttgart 0:1

Im Rahmen des 1:0-Erfolgs in Leverkusen analysiert Peter Heß (FAZ 4.11.) die Stuttgarter Personalpolitik. „Den Luxus der ungehemmten Nachwuchspflege kann sich nur Felix Magath wegen der finanziellen Not seines VfB Stuttgart leisten. Hinkel, Wenzel, Hleb, Kuranyi, Amanatidis und Tiffert spielen und spielen und werden dabei immer besser und besser. Der VfB ist mittlerweile im Bereich der Uefa-Cup-Ränge angekommen. Das muß nicht heißen, daß die Entwicklung sich geradlinig fortsetzt oder wenigstens das Erreichte gesichert wird. Aber der Jugendkult ist eine preiswerte und Identifikation schaffende Alternative zu den hektischen Einkäufen eines 1. FC Kaiserslautern, Hamburger SV, Energie Cottbus oder 1. FC Nürnberg. Die Bundesliga ist in diesem Jahr so ausgeglichen, daß mindestens acht Mannschaften noch den ersten Rang hinter Bayern München und Borussia Dortmund erobern können. Der VfB Stuttgart wird, falls es dazu nicht reicht, zumindest preiswert scheitern.”

Zum Vorschlag des VfB-Managers Rüssmann, Spieler sollten in Anbetracht der Finanzlage des Vereins zu dessem Wohle auf Teile ihres Gehalts freiwillig verzichten, meint Erik Eggers (Tsp 4.11.). „Das allgemein gültige Bild des Fußballprofis als profitorientierter Angestellter, einer, der nur auf Mammon und Moneten schielt, war lange Zeit in Stein gemeißelt. Muss dieses Bild, da die geplatzte Luftblase der New Economy nun auch den Fußball betrifft, nun plötzlich revidiert werden? Findet gerade eine seltsame Metamorphose statt, wandelt sich der fiese und in Verhandlungen unnachsichtige Fußballprofi zu einem barmherzigen Samariter? Aber, lieber Herr Rüssmann: Ist das nicht Sozialromantik? Herr Rüssmann findet diese Nachfrage fast unverschämt. Er klärt auf über die momentane Lage in der Industrie, darüber, dass Arbeitnehmer heute Zugeständnisse zu machen haben, wollen sie ihren Arbeitsplatz behalten.“

Richard Leipold (FAZ 4.11.). „Vier Tage nach dem umjubelten Einzug in die Zwischenrunde der Champions League wirkten die Leverkusener verkatert. Sie bezahlten das Fortkommen in der europäischen „Königsklasse“ mit einem, wie Toppmöller sagte, „bitteren Rückschlag“ im Alltagsgeschäft. Nach dem internationalen Festakt hatte mancher Profi offenbar angenommen, der VfB Stuttgart böte leichte Kost, genau richtig für ein bekömmliches Katerfrühstück. Die Vorstellung, mit übermüdeten Schwaben leicht fertig zu werden, war so trügerisch wie verlockend. Während die europäische Pflicht Bayer schon am Dienstag gerufen hatte, hatte der VfB in weniger als zwei Tagen ein Pflichtenheft abzuarbeiten, dessen Termine für Regeneration so gut wie überhaupt keinen Platz ließen. Gerade sechsundvierzig Stunden waren zwischen den Auftritten in Budapest und Leverkusen vergangen. Dennoch zeigten sich die Stuttgarter bis zur Pause putzmunter; ihre Frische fiel um so mehr ins Auge, weil die vergleichsweise ausgeruhten Leverkusener ihren Wettbewerbsvorteil ins Gegenteil verkehrten.“

Christoph Biermann (SZ 4.11.). „Gerade einmal 46 Stunden vor der Partie bei Bayer waren sie noch im Uefa-Cup bei Ferencvaros Budapest tätig gewesen und wirkten dennoch so frisch wie der neue Morgen. „Wenn man müde ist, ist der Wille gefragt“, sagte Krassimir Balakov. Aus dem ergab sich schön anzuschauender Fußball, vom toll haltenden Keeper Ernst über deneleganten Abwehrchef Meira, den starken Soldo und den hinreißend eleganten Hleb. Auch Balakov hatte einen seiner guten Tage, an denen der 35-Jährige mit seiner Mischung aus Eleganz und väterlicher Sorge ums Team fast rührend wirkt. VfB-Trainer Felix Magath fand hinterher, dass der Klub den Spielern nun ruhig mal wieder Prämien bezahlen könnte. „Das würde ich gerne“, sagt Rolf Rüssmann. Nur fehlt halt immer noch Geld, weshalb der Manager des VfB Stuttgart eine besondere Prämienlogik aufmacht. „Die Spieler haben verstanden, dass Erfolge ihre Gehälter sichern“, sagt er. Das hat die Mannschaft auch geschluckt, „weil die meisten hier brave Typen sind“, wie Torhüter Thomas Ernst findet. Die junge Sturmhoffnung Kevin Kuranyi ist jedoch der Ansicht: „Mit Prämien würde ich noch besser spielen.“ Das gilt vielleicht auch für Viorel Ganea, den ein bemerkenswerter Fall von Torjägerwahnsinn überfiel. Vier Chancen bester Qualität vergab er nach seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit innerhalb von sechs Minuten. Unfassbar war das und in der Bundesliga ungesehen. Seine Kollegen tobten, und Felix Magath nahm den Rumänen mit entschuldigendem Achselzucken nach nur 22 Minuten wieder vom Platz.“

Hansa Rostock – 1. FC Kaiserslautern 2:2

Friedhard Teuffel (FAZ 4.11.). „Dieser kleine Erfolg ist wohl auf einen Bewußtseinswandel der Pfälzer zurückzuführen. „Langsam hat es jeder kapiert, wo wir stehen“, sagte Ciriaco Sforza. Es ist der tiefste Abstiegssumpf, aus dem es mit leichten, feinen Schritten kein Entkommen gibt, sondern nur mit Kraft und Willensstärke. Offenbar haben jetzt alle Lauterer einen Blick nach unten getan und gesehen, was sich unter ihren Füßen auftut. So wie sie sich am Samstag anstellten, wollen die Spieler endlich weg vom Rande des Abgrunds. Es war jedenfalls keiner mehr auf dem Platz zu sehen, der sich nicht die Schuhe schmutzig gemacht hätte. Einzelne von ihnen ließen bei allem Kampf noch spielerische Qualitäten erkennen. Mario Basler zum Beispiel grätschte in der eigenen Hälfte die Rostocker Angriffe ins Seitenaus und spielte vorne die Bälle paßgenau auf seine Mitspieler. Basler bleibt auch im härtesten Abstiegskampf einer der größten Flankenspezialisten der Bundesliga. Weil sich die Rostocker ebenfalls größte Mühe gaben, Anschluß nach oben zu halten, wenn auch nach weiter oben als die Lauterer, kam ein sehr unterhaltsames Spiel zustande. Kaum hatte eine Mannschaft einen Angriff mit einem Torschuß abgeschlossen, war die andere am Zug. Beide Teams trugen ihre Spielzüge schnell und mit einigen Überraschungseffekten vor. Das entschuldigte selbst zahlreiche Fehlpässe.“

Werder Bremen – Bayern München 2:0

Martin Hägele (NZZ 4.11.). „Wenn ein Goalie beim Herauslaufen die Kugelverfehlt, werden ihm die Folgen schon automatisch angekreuzt. Dass die Fehler und Aussetzer ihres Captains ausgerechnet in jener Phase treffen, da im Kader des FC Bayern nach Männern gesucht wird, die Verantwortung übernehmen, verschärft die eh schon kritische Situation noch mehr. Nun gibt es gar keine feste Grösse mehr, dafür jene Experten, die schon länger behaupten, Kahn, im Sommer zur überragenden Persönlichkeit der WM gewählt, habe seither nur noch seinen Kult und Status gepflegt. Statt jene Paraden zu zeigen, die den Gegner zermürben und das Selbstbewusstsein der Kollegen steigern. Umgekehrt kann solch ein Prozess fatale Folgen haben: Die Werder-Professionals haben nämlich keineswegs überragend gespielt. Doch das Gefühl, dass den Bayern diesmal ein Anführer fehlte, einer, der sich richtig gegen die Niederlage stemmt, machte sich schon bald auf dem Platz und auf den Rängen breit. Hitzfeld, Kahn und Co. steht nun eine harte Woche bevor. Alle werden sie nun an den trotzigen Parolen ihres Torhüters gemessen, der nach dem Aus in der Champions League verkündet hatte: „Jetzt zählt nur noch das Double.“ Teil eins des Saisonziels kann sich bereits am Mittwoch erledigen, wenn mit Hannover 96 und Goalgetter Bobic ein äusserst ambitioniertes Team im Olympiastadion aufkreuzt.“

Spielbericht Werder Bremen – FC Bayern (2:0) SZ FR

Hannover 96 – VfL Wolfsburg 3:1

Raimund Witkop (FAZ 4.11.). „Die Mannschaft war dabei, sich einen Ruf als erfolglose Schönspieler zu erarbeiten, und hat nun offenbar rechtzeitig einen Mittelweg gefunden. Das ist vor allem das Verdienst jener Spieler, die nach mißglücktem Saisonstart unter Umständen nachgeholt wurden, die man für eine Panikreaktion hielt. Auch wenn da etwas dran ist: Die Auswahl überzeugt immer mehr. Fredi Bobic hielt seine imponierende Torquote im siebten Einsatz bei einem Treffer pro Spiel und sprühte derart vor Spiellaune, daß man sich fragen muß, wer derzeit – von deutscher Nationalität – besser sein soll. Der Spanier Jaime, Leihgabe aus La Coruña, ist ein zugleich stabilisierender und antreibender Faktor im Mittelfeld. Und der Grieche Kostas Konstantinidis, der bei Hertha BSC Berlin aussortiert war, unterstrich mit seinem Tor zum 3:1 seine Ambitionen auf allen Teilen des Spielfelds (…) Was könnte wohl der Wolfsburger Trainer Wolfgang Wolf seinem Regisseur Stefan Effenberg am Montag aufgeben, wenn er auf solche Ideen käme? Nun, vielleicht hundertmal zu schreiben: „Ich soll nicht sowenig laufen, nicht so viele Zweikämpfe verlieren und vor allem nicht alle mit meiner Lethargie anstecken.“ Effenberg, zumal auch nicht schwächer als seine durchweg schwachen Mitspieler, würde sich bedanken. Sicher aber hat eine Wolfsburger Darbietung, die man nur schlapp nennen kann, viel dazu beigetragen, daß die notorisch anfällige und auch diesmal nicht sichere Abwehr von Hannover 96 nicht überfordert wurde.“

Jörg Marwedel (SZ 4.11.). „Genau betrachtet, hat der riesige Pressesaal in der AWD-Arena zu Hannover den Charme einer Turnhalle. Und wenn Ralf Rangnick dort oben auf dem Podium sitzt, an einem Tisch mit gestärkter weißer Decke, mit Limonade und Tafelwasser, und über das Spiel seiner Mannschaft doziert, dann kann man ihn sich gut als den dazugehörigen Lehrer vorstellen. Nach dem 3:1-Sieg gegen den VfL Wolfsburg hat der Trainer von Hannover 96 derartige Fantasien keineswegs enttäuscht. Beflügelt von dem historischen Erfolg – es war der erste Heimsieg des Aufsteigers in dieser Saison und überhaupt der erste in der Bundesliga seit dem 2:0 gegen Stuttgart am 25. Februar 1989 – hat er mal wieder einen Einblick in sein pädagogisches Wirken gegeben. Also referierte der Fußballlehrer am Beispiel des Mittelfeldspielers Nebojsa Krupnikovic, wie er es geschafft habe, endlich Stabilität in die bis dato so anfällige Defensivabteilung (25 Gegentore in zehn Spielen) zu bekommen, die das ansehnliche Offensivspiel so stark in seinem Wert minderte. Krupnikovic also, ein durchaus begnadeter Techniker, habe von ihm nach dem 3:3 beim FC Bayern am vergangenen Wochenende „als kleine Beschäftigung für den Nachmittag“ ein Video von jenem Spiel erhalten mit der Maßgabe, alle Szenen zu notieren, in denen er selbst einen Ball erobert habe. Und was habe er, der Trainer, zurück bekommen? „Ein leeres weißes Blatt.“ Das Ergebnis derartiger Reflexionsaufgaben ließ sich gegen Wolfsburg Bestaunen (…) Die erfreulichen Perspektiven aus 96-er-Sicht hatten freilich ihre negative Entsprechung beim Gegner dieses Du-ells der Niedersachsen. In den Memoiren, die Stefan Effenberg demnächst zu schreiben gedenkt, wird dieses Spiel wohl kaum vorkommen – es sei denn, er würde dort beschreiben wollen, wie es ist, als alternder Star in einer Mannschaft ohne Leidenschaft mit unterzugehen und auswärts eine Niederlage nach der anderen zu erleiden. Die angepeilte Entwicklung zum Spitzenteam wurde erneut so heftig unterbrochen, dass Manager Pander sich zur Abrechnung mit den Profis genötigt sah.“

Borussia Dortmund .- Hamburger SV 1:1

Roland Zorn (FAZ 4.11.). „Metzelder, der sich nach einem Nasenbeinbruch vor zwei Wochen gegen weitere Deformationen seines Riechorgans schützt, gehörte am Samstag zu den vielen Dortmunder Profis ohne Frische und Fortüne. Am Ende einer Woche, die für den BVB mit einem 4:1 in Bremen triumphal begann und sich beim 2:1 gegen den FC Arsenal und der damit gesicherten Qualifikation für die zweite Champions-League-Runde ideal fortsetzte, stand eine Enttäuschung. Statt den Bayern eine Woche vor dem Gipfeltreffen auf die Pelle zu rücken, wirkten die in der Bundesliga noch immer unbesiegten Borussen uninspiriert, unkonzentriert und am Ende sogar undiszipliniert. „In einer solchen Schlußphase muß man nicht jeden Angriff so abzuschließen versuchen, als ginge es um Sein oder Nichtsein“, kritisierte Sammer die Unfähigkeit seines Teams, Rhythmus und Verlauf der über die längste Zeit sterbenslangweiligen Partie auch in der Schlußphase zu bestimmen.“

Über das enttäuschende Heim-Remis der Dortmunder heißt es bei Felix Meininghaus (FR 4.11.). „Dass sie sich so schwer taten und 69 Spielminuten benötigten, ehe Tomas Rosicky den Ball im gegnerischen Tor unterbrachte, hatte auch Sammer mitzuverantworten. Durch seine Rotation (Heinrich, Reuter, Amoroso rein, Ricken, Ewerthon, Kehl raus) trat der BVB im Vergleich zum Arsenal-Spiel mit defensiverer Grundformation an. Damit hatte Dortmunds Trainer seinen Spielern die Marschroute für ihre verhaltene Spielweise quasi vorgegeben. Und das ausgerechnet gegen den Hamburger SV, der die Reise nach Westfalen als harmloseste Auswärtsmannschaft der Bundesliga antrat. So plätscherte das Spiel vor allem in der ersten Hälfte vor sich hin, und der HSV hatte es leicht, sich in der eigenen Hälfte einzurichten. Sammer wird seine Lehren ziehen: Wer im Mittwoch-Samstag-Rhythmus bestehen will, muss nicht nur in der Königsklasse, sondern auch im Bundesliga-Alltag mutig aufstellen und couragiert agieren.“

Freddie Röckenhaus (SZ 4.11.). „Obendrein hatte Sammer in Kehl und den beiden in Bremen und gegen Arsenal besonders aktiven Ewerthon und Ricken gleich drei kreative Spieler aus dem Team rotiert. Das erwies sich als Fehler. Denn erst als die drei in der letzten halben Stunde endlich aufs Feld durften, hatten Frust und Ratlosigkeit kurz ein Ende. Folge: Rosickys Tor. Nach Meinung des Dortmunder Trainers hätte seine mental matte Mannschaft danach nur noch das Ergebnis halten sollen: „Dieses 1:0 hätten wir dann über die Zeit schaukeln müssen. Stattdessen haben wir uns durch die Hektik des HSV anstecken lassen, der ja noch etwas wollte.” Dortmunds Team dagegen war offenbar zwiegespalten. Die Eingewechselten wollten sich offensichtlich profilieren und weitere Tore erzielen – und machten im Übereifer mehr falsch als richtig. Die anderen waren mit der Konzentration zu dieser Zeit bereits am Ende. So kam der bis dahin ausschließlich verteidigende HSV plötzlich ins Spiel. Und hatte in der Schlussphase mehr Chancen als Dortmund im ganzen Spiel.“

1. FC Nürnberg – Borussia Mönchengladbach 2:1

Philipp Selldorf (SZ 4.11.). „Die Borussen: wurden Mitte der 90er von der rasenden Krise befallen; zwei Spielzeiten im komatösen Zustand folgte ’98 der Abstieg. Danach zwei Jahre zweite Liga. Aufstieg. Starkes Debütjahr. Und jetzt? Sind sie 16., erstmals in der laufenden Serie auf einem Abstiegsplatz. Der 16. Rang liegt am Rande des Geschehens, man sieht das grüne Ufer, und es ist doch so fern, während man forttreibt in die schwarze Unterwelt. Platz 16 ist das negative Abbild von Platz 3, wo sich derzeit die Münchner Löwen dem Gipfel nahe fühlen und von wo sie nie wieder fortwollen. Mag sein, dass sie über dem Wert gehandelt werden, doch die Gladbacher sollten das Signal der Vorsehung erkennen. Sie glauben, dass die Saison noch jung und launisch und die Tabelle nur der Ausdruck einer windigen Jahreszeit sei. Aber wie oft hat es die Klubs im verflixten zweiten Jahr nach dem Aufstieg fortgerissen, wenn sie sich gesichert wähnten und wenn der Alltag die Begeisterung einholt?“

Gerald Kleffmann (SZ 4.11.). „Nach der Pause allerdings entwickelte sich mal wieder eines dieser typischen Nürnberg-Syndrome. Gladbach wurde stärker, drängte den Club in die eigene Hälfte und ging energischer in die Zweikämpfe, wie Trainer Meyer in der Halbzeitansprache gefordert hatte. Nachdem Ciric, Belic und Anthony Sanneh ein Festival an Chancen nicht nutzen konnten und in der 75. Minute Jeff Strasser aus vier Meter den Ball zum 1:2 in das Tor hämmerte, war es wieder da: das Psycho-Spiel des Clubs. Vorne im Sturm wurden bis zum Schluss beste Möglichkeiten nicht verwertet, hinten patzte plötzlich die Abwehr.“

Europäischer Fußball: Ergebnisse, Tabellen, Torschützen NZZ

Gewinnspiel für Experten

Allgemein

Die Einäugigen sind auf Augenhöhe

Schottland – Island 2:1

Zum Stellenwert von Berti Vogts in Schottland lesen wir von Christian Eichler (FAZ 31.3.). „Die schottischen Medien beobachten ihren ersten ausländischen Nationaltrainer nach einem Jahr immer noch mit etwas kühler Distanz. In Glasgow fiel dem größten Sonntagsblatt eine neue Nuance auf. Das Spiel war weit davon entfernt, ein Klassiker zu sein, bemerkte der Sunday Herald nach dem 2:1-Sieg gegen Island. Doch es habe ausgereicht, ein Lächeln auf das Gesicht des schottischen Trainers zu bringen. Das geschah in dem Moment, als jemand anmerkte, es sei der erste Sieg von Berti Vogts im Hampden Park, dem schottischen Nationalstadion, gewesen. Stimmt nicht, entgegnete Vogts. Ich habe hier mit Deutschland gewonnen. Das Lächeln dürfte im Laufe des Abends noch entspannter geworden sein. Da konnte Vogts beim deutschen Gestümper gegen Litauen sehen, daß der WM-Zweite in der wohl schwächsten der zehn EM-Qualifikationsgruppen nicht, wie bisher vermutet, der Sehende unter den Blinden ist. Nein, es ist anders: Die Einäugigen sind auf Augenhöhe. Vogts‘ Team wurde nach seinem Amtsantritt vor einem Jahr gescholten, weil es gegen die großen Teams Europas überfordert und gegen die kleinen uninspiriert war. Völlers Team hat sich den schottischen Vorgaben nach der WM mühelos angepaßt.“

Ronald Reng (BLZ 31.3.) hat Vogts auf den Mund geschaut. “Berti Vogts hat einen Liebling unter all den englischen Worten: very. Am liebsten möchte er es in jedem Satz unterbringen, und weil das nicht geht, benutzt er das Wort, wo es passt, immer gleich doppelt. Very, very exciting, sehr, sehr aufregend sei es gewesen, erzählte der schottische Nationaltrainer vom Niederrhein nach dem 2:1-Sieg am Sonnabend über Island. Nach einer sehr, sehr hoffnungsvollen Woche und sehr, sehr harten 90 Minuten schaue er sehr, sehr positiv in die Zukunft und wolle deshalb den 37.000 Zuschauern im Glasgower Hampden Park für die Unterstützung very, very thank you sagen – sehr, sehr dankeschön. Nur eines wird man Berti Vogts wohl noch sehr, sehr lange nicht sagen hören: Dass Schottland eine sehr, sehr gute Nationalelf hat. Theoretisch hat der 2:1-Erfolg Schottland zum ärgsten Konkurrenten der deutschen Auswahl in der EM-Qualifikation befördert. Zwei Siege und ein Unentschieden stehen zu Buche, aber alles, was sich etwa die Zeitung The Scotsman vom Vergleich gegen die deutschen WM-Finalisten Anfang Juni in Glasgow erhofft, ist, dass wir gegen die Weltmeister im Würstemachen nicht wie ein Haufen Metzgerlehrlinge aussehen. Schottland, traditionell für die herzzerreißendsten Niederlagen berühmt, muss erst einmal wieder die Basis für solche tragisch-schönen Auftritte schaffen.“

Georgien – Irland (1:2) NZZ

Liechtenstein – England (0:2) NZZ

Albanien – Russland (3:1) SZ

Portugal – Brasilien 2:1 (Freundschaftsspiel)

Peter Heß (FAZ 31.3.). “50.000 Zuschauer wälzen sich aus dem Fußballstadion von Porto – Schulter an Schulter. Der Regen fällt, tiefschwarze Nacht. Die Szene erinnert an eine Prozession. Die Menschen sind offensichtlich bewegt. Plötzlich erschallt ein Ruf: Deeeeeeeeecooooo. Und sofort kommt das Echo: Deeeeeeeecoooooo. Manche Namen eignen sich einfach besser zur Heldenverehrung als andere. Deco, 25 Jahre alter Profi des FC Porto, ist an diesem historischen Abend innerhalb weniger Minuten zum Liebling einer Fußballnation aufgestiegen. Sein Freistoßtor eine Viertelstunde vor Abpfiff brachte Portugal den 2:1-Triumph über Brasilien, der erste Sieg gegen den alten Rivalen seit dem 3:1 bei der WM in England 1966. In Porto verehren sie den Spielmacher schon länger. Um eine nationale Größe zu werden, bedurfte es zweierlei: der Einbürgerungsurkunde, die der Brasilianer vor wenigen Monaten erhielt, und des neuen Nationaltrainers Luiz Felipe Scolari. Er adelte den Mann mit dem dekorativen Namen sogleich zum besten Portugiesen, der in der portugiesischen Liga spielt, und berief Deco in die Nationalmannschaft. Scolaris Vorgänger Antonio Oliveira glaubte, ein Team mit Offensivstrategen wie Rui Costa und Figo vertrüge keinen weiteren Regisseur, und bemühte sich gar nicht erst um die Einbürgerung Decos. Scolari, im vergangenen Sommer mit Brasilien Weltmeister geworden, ist da ganz anderer Ansicht. Er schickte nach einer guten Stunde beim Spielstand von 1:1 Deco aufs Feld, um dem überragenden Rui Costa noch kreative Unterstützung zu geben. Rui Costa mochte es selbst nicht glauben, und hatte sich in Erwartung seines Austauschs schon in Richtung Auswechselbank bewegt (…) Die Portugiesen haben dieses Freundschaftsspiel bestritten, als handelte es sich um ein WM-Finale, gab der brasilianische Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira seiner Verwunderung Ausdruck. Scolari hatte seinen Ruf des Motivationskünstlers wieder einmal bestätigt. Im vergangenen Jahr machte er aus den zerstrittenen brasilianischen Stars eine spielerische Einheit, die es bis zum WM-Titel brachte. Jetzt wirkt er in Portugal auf die gleiche Weise. Dabei hat Scolari nicht nur bei den Spielern Gräben zu überwinden, sondern auch bei den Fans. Die riesige Rivalität zwischen Lissabon mit den Klubs Benfica und Sporting sowie dem FC Porto störte oder verhinderte bisher ein einheitliches Fußball-Nationalgefühl. Scolari redete sogleich dagegen an: Ich trainiere hier keine Nationalelf, sondern einen Klub. Und auf den Mannschaftsbus, der zum historischen Sieg fuhr, hatte er lackieren lassen Club Portugal. Nach diesem 2:1 über Brasilien ist Fußball-Portugal bereit, Scolari alles zu glauben.“

Spielbericht SZ FR

vor den Spielen

Wolfgang Gärner (SZ 29.3.) warnt. „Die Qualifikation zur Fußball-EM ist ein riskantes Unterfangen, mit Tücken überall, wie es der englische Repräsentant Steven Gerrard vor der nächsten Aufgabe anschaulich umschrieb: „Liechtenstein ist wie eine weitere potenzielle Bananenschale.“ Wer nicht auf so was ausrutscht, dem winkt hoher Lohn, hat Rainer Rauffmann ausgemacht, früher Bundesligaspieler bei Eintracht und Arminia, inzwischen 35, durch Heirat Zypriote und ganz weg von der Idee, als solcher 2004 in Portugal anzutreten. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist ein Sieg gegen die Israelis. So ’was sei nicht das Problem für die heimstarken Insulaner, sondern, gesteht Rauffmann: Leider verliere sein Team 20 bis 30 Prozent seiner Stärke, wenn es ins Flugzeug steigt. Jeder schwächelt auf seine Weise.“

Peter Burghardt (SZ 29.3.) widmet sich den Transfergerüchten um David Beckham. „Es ist Geschäftsprinzip des Vereinspatrons Florentino Pérez, einerseits die besten und berühmtesten Fußballer einzukaufen und andererseits den Nachwuchs auszubilden. Das Ergebnis seit seinem Amtsantritt im Sommer 2000 sind Titel sowie schuldenfreie Bilanzen. Beckham würde gut passen in eine Serie, in deren Verlauf nacheinander Luís Figo, Zinedine Zidane und Ronaldo erworben wurden. Auch wäre sein Transfer ein weiterer Schritt, Asien zu erobern. In Fernost lieben sie Beckham wie Ronaldo (…) Am größten ist das Interesse an einem gebrauchten Hemd mit Aufdruck „Beckham“ derzeit offenbar in der Kleinstadt Vaduz. Nach Informationen des britischen Revolverblattes The Sun wird sich die gesamte Nationalmannschaft Liechtensteins darum streiten, wenn am Samstag das EM-Qualifikationsspiel zwischen den Auswahlen des Fürstentums und Englands zu Ende geht. „Wir werden richtig darum kämpfen“, wird Torwart Peter Jehle zitiert, „ich will das Trikot von Beckham. David ist kein Fußballer, er ist ein Gott.“

Christian Eichler (FAZ 29.3.) schreibt über den heutigen Gegner Englands. „Eine mögliche Bananenschale nennt David Beckham das ungleiche EM-Qualifikationsspiel vor 3548 Zuschauern im Rheinparkstadion von Vaduz. Damit Englands Kapitän keinen mißratenen Freistoß in den jungen Rhein schießt, der sich gemächlich um Kiesbänke schlängelt, hat man Zäune hinter die Tore gesetzt. Und um den 70 Polizisten von Liechtenstein bei der Abwehr von Hooligans, Terroristen und Antikriegsdemonstranten zu helfen, wurden bei Schweizern und Österreichern noch mal 1100 geborgt. Bis Montag hieß es gar, das Spiel müsse vielleicht abgesagt werden. Doch das, sagt Trainer Ralf Loose beim Frühstück, war nur Medienrummel der Ausländer. Am Buffet liegen zwei Zeitungen aus. Sie sind der ganze Medienrummel, den man in Liechtenstein sonst hat. Nun aber sind die Engländer da. Die Nationalelf stellt weiter Ralf Loose auf. Vor sieben Jahren kam er als Nachfolger von Dietrich Weise. Der hatte 1982 die einzige deutsche Elf trainiert, die Junioren-Weltmeister wurde. Ihr Kapitän: Ralf Loose. Wie die anderen zehn machte er keine große internationale Laufbahn; Weltmeister 1990 wurden elf andere. Doch in dreizehn Jahren mit seinem Heimatklub Borussia Dortmund und Fortuna Düsseldorf kam er auf eine respektable Bundesliga-Karriere (…) Mittleres Regionalliga-Niveau bescheinigt er dem Team; viel mehr geht nicht. Auch mit dem Einfluß im Verband, wie der ganze Liechtensteiner Mikrokosmos von alteingesessenen Familien beherrscht, sieht sich der Ausländer am Ende seiner Möglichkeiten. Welche Ziele bleiben da? Tordifferenz verbessern, Ergebnisse enger gestalten, mehr Risiko, mehr Tore. Der Realist Loose weiß, daß Ehrgeiz der Sorte Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst hier lächerlich ankäme. Dennoch, ein bißchen mehr Risikofreude dürfte sein. Der junge Torwart Peter Jehle von Grasshopper Zürich hatte schon Angebote aus Deutschland und England, sagt Loose. Doch er will nicht so weit weg von Liechtenstein. Und Loose selbst? Nach sieben Jahren im gemütlichen Abseits von Fußballeuropa sagen Instinkt und Ehrgeiz, daß er nun, mit 40 Jahren, bald ins richtige Profigeschäft zurückmuß. Mit dem Spiel gegen England als Eigenwerbung? Man darf sich nichts vormachen, wiegelt er ab. Vielleicht schaffen wir das Weltwunder. Aber normal wird es eine deutliche Geschichte, dann ist Montag alles wieder vergessen. Und für zweihundert Jahre wieder Ruhe in Liechtenstein.“

Interview mit Ralf Loose (Trainer Liechtensteins)BLZ

Peter B. Birrer (NZZ 29.3.) schildert die Lage in Irlands Nationalteam. „Nachdem die Iren zu Beginn der EM-Qualifikation in Moskau gegen Russland (2:4) und in Dublin gegen die Schweiz (1:2) das Nachsehen gehabt hatten, standen die Zeichen auf Sturm. Trainer Mick McCarthy, der das Land erfolgreich an die WM-Endrunde 2002 und dort bis in die Achtelfinals gegen Spanien geführt hatte, geriet immer heftiger in die Kritik und musste schliesslich nach siebzehn Jahren im Dienste des Verbands (als Spieler und Trainer) zurücktreten. Ihm folgte Brian Kerr, der sich als erfolgreicher Coach der Nachwuchsauswahlen empfohlen hatte. Kerr stammt aus Dublin, hat viel Witz und profitiert von zweierlei: Er kennt junge Spieler wie Robbie Keane, Damien Duff und John O‘Shea aus dem Effeff und wurde als Nachwuchstrainer unter anderem U-16- und U-18-Europameister. Ausserdem trägt er keine Altlasten mit. Der Trainerwechsel von McCarthy zu Kerr ist ein Fallbeispiel aus einem Geschäft, dessen Verlauf sich sehr schnell in die eine oder andere Richtung verändern kann. Was heute noch gut bis sehr gut ist, kann in ein paar Wochen schlecht bis sehr schlecht sein. Im Fall von McCarthy genügten wenige Wochen, um aus einem Winner einen Loser zu machen. Als die Iren im letzten Oktober an der Lansdowne Road, dem ehrwürdigen Stadion in Dublin, unter dessen Tribüne Züge hindurchdonnern, gegen die Schweizer 1:2 verloren, erreichte nicht nur die Durchfahrtkadenz der Eisenbahn, sondern auch der Groll im Publikum neue Höchstwerte. Es pfiff Mannschaft und Trainer aus, es skandierte bisweilen sogar den Namen des vom Trainer unmittelbar vor der WM ausgemusterten Roy Keane – und es fällte sozusagen das Urteil: Bye-bye McCarthy. Der Schweizer Nationaltrainer Köbi Kuhn fühlte sich mit dem ebenfalls im Verband aufgestiegenen McCarthy stets verbunden, weil dieser mit Roy Keane ähnliche Sträusse ausfocht wie Kuhn mit Ciriaco Sforza. Obschon auf einem ganz anderen (Leistungs-)Niveau, nahmen die Fälle vergleichbare Formen an. Will heissen: Der sogenannte Star muckt auf, kritisiert, wird heimgeschickt, definitiv ausgemustert – und torpediert anschliessend aus Distanz via ihm wohlgesinnte Medien die Arbeit des Trainers (…) Auf jeden Fall spiegelt die Affäre die Relativität und die Irrationalität eines Geschäfts wider, das eigenen Grundsätzen und nicht zuletzt purem Resultatdenken folgt. Der Fahrt auf der Achterbahn ist bisweilen kaum mehr Einhalt zu gebieten, weil hier günstige Konstellationen schneller zerstört sind, als dies einem Trainer lieb sein kann. Welche Personalentscheide haben welche Wirkung? Wie steht es – unter extremer medialer Beleuchtung – um den Kitt zwischen Trainer und Mannschaft? Wer kommuniziert auf welche Art? Welches sind die Dreh- und Angelpunkte, welche die Kurve beeinflussen?“

Ilja Kaenzig Tor-Kristian Karlsen(NZZ29.3.) berichten aus Georgien. „Nach Jahren, die geprägt waren von Skandalen, Unruhen und negativen Ergebnissen, versucht die Nationalmannschaft Georgiens ein weiteres Mal, die verwöhnten Tifliser Zuschauer zu überzeugen. Wie der Präsident des georgischen Fussballverbandes, Merab Schordania, verkündete, ist es das ausgegebene Ziel, sich mit der A-Auswahl für die Endrunde der Europameisterschaft 2004 zu qualifizieren – ein ambitioniertes Unternehmen für eine Landesauswahl, die die Qualifikationsphase für die EM 2000 ohne einen einzigen Sieg als Gruppenletzter beendet hatte. Doch bereits der dritte Gruppenrang in der Ausscheidung zur Weltmeisterschaft 2002 weckte neue Hoffnungen. Am Schwarzen Meer wird man jedoch noch einen langen Weg gehen müssen, um eines Tages dort anzukommen, wo man meint hinzugehören: in die Elite des europäischen Verbandsfussballs. Wenn es etwas gibt, woran es den Georgiern nie gemangelt hat, dann ist dies der Stolz auf die nationale Fussballtradition und der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Früher als „Brasilianer vom Schwarzen Meer“ bezeichnet, galten die Kaukasier immer als die Ballkünstler der ehemaligen UdSSR – und dies zu Recht. Trotz den negativen Resultaten während der letzten zehn Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes brachte der georgische Fussball aber auch immer wieder Akteure mit überdurchschnittlicher Spielintelligenz, Spielwitz und Talent hervor. Wenn es aber darum ging, diese Hochbegabten zu einer Mannschaft zusammenzufassen, versagten die Individuen (…) Weshalb hat der georgische Fussball in den letzten Jahren keine Fortschritte erzielt? Unrealistisch hohe Ambitionen, eine Historie, geprägt von Zwietracht zwischen den Spielern und ihren Trainern – ganz zu schweigen von Querelen zwischen den Verbandsfunktionären – sowie eine nicht kompetitive nationale Meisterschaft, in der von der Hand in den Mund gelebt wird, sprechen nicht für eine gesunde Basis. Und als ob dies alles nicht genug wäre, kommen dazu noch Fälle wie der Spielabbruch in der EM-Qualifikation gegen Russland, nachdem im neu eröffneten Lokomotiv-Stadion das Flutlicht ausfiel. Nach einer sechsmonatigen Untersuchung auf Regierungsstufe wurden die georgischen Eisenbahnen als Besitzer des Stadions für den peinlichen Vorfall verantwortlich gemacht und wurde ihnen eine Strafe in Höhe von 225000 Franken für entgangene Einnahmen auferlegt.“

Stefan Hermanns (Tsp 29.3.) blickt ins Nachbarland. „Frank de Boer will nach der EM 2004 seine Karriere im Nationalteam beenden. Das Turnier gilt als letzte Möglichkeit für diese goldene Generation, doch noch einen Titel zu holen. Die Mannschaft, die 2006 bei der WM spielt, könnte schon stärker sein als das gealterte Ajax-Team, das 1995 die Champions League gewonnen hat und 2004 in Portugal versuchen wird, Europameister zu werden. Als Frank de Boer im September 1990 sein erstes Länderspiel bestritt, hat er noch mit van Basten, Gullit, Koeman und Wouters, den Europameistern von 1988, zusammengespielt. Das jetzige Team aber trägt schon den Keim der Veränderung in sich. Und de Boer könnte von der Symbolfigur einer goldenen Generation zum bedauernswerten Vormann einer Übergangsgeneration werden.“

Gewinnspiel für Experten

Ball und Buchstabe, Bundesliga

Wolfsburgs neue Arena, Homosexualität im Fußball

VfL Wolfsburg – VfB Stuttgart 1:2

Jörg Marwedel (SZ 17.12.) resümiert. „Trainer Wolfgang Wolf. Dessen Name passt zwar zur alten Wolfsburger Folklore wie das grüne Halsband zum Dackel. Doch nun, da mit dem Einzug in die neue Arena ein Kapitel beginnt, das von internationalem Glamour und nie erlebten Erfolgen handeln soll, scheint der alte Wolf seine Schuldigkeit getan zu haben. Das wird auch im Aufsichtsrat der VfL Wolfsburg Fußball GmbH längst so gesehen, weshalb die Wahrscheinlichkeit einer Vertragsverlängerung nach dem neuerlichen Rückschlag gegen null tendiert und die Spekulationen wieder zu blühen beginnen; etwa die, dass der schon vor Jahresfrist umworbene Jürgen Röber bald das Kommando übernehmen soll, der wiederum der ambitionierten Berliner Hertha nicht mehr gut genug erschien. Fest steht jedenfalls, dass es den Herrschaften in Wolfsburg nach nun bald fünf Jahren mit Wolf nicht mehr zügig genug vorangeht – wenn es überhaupt vorangeht (…) Gescheitert waren die ungeduldigen Wolfsburger an einem VfB-Ensemble, das trotz seiner Jugend und zunächst ohne seinen grippegeschwächten Regisseur Krassimir Balakov in mittlerweile 34 Saison-Pflichtspielen eine verblüffend ökonomische und abgeklärte Spielweise entwickelt hat.“

Frank Heike (FAZ 17.12.). „Wer das Plakat in der Fanecke für die Meinung einer Minderheit hielt, wurde beim Verlesen der Aufstellung eines Besseren belehrt. Unser Trainer ist . . . , rief der Animateur in sein Mikrophon, und die Antwort war: ein Pfeifkonzert. Ähnliches hatte Wolfgang Wolf schon bei der offiziellen Eröffnung der neuen Volkswagen-Arena am Freitag erleben müssen. Und nun, beim Fußballdebüt in dem wunderschönen Stadion, war das erste, was er beim Blick auf die mit 8.000 Anhängern in Grün und Weiß prall gefüllte Fantribüne sah, ein Bettlaken mit der Aufschrift: Neues Stadion, neuer Trainer. Und das wohlgemerkt vor einem Spiel, das bei positivem Ausgang den VfL auf Rang fünf hätte überwintern lassen. Als die Wolfsburger am Sonntag abend gegen den VfB Stuttgart dann aber 1:2 verloren hatten, wurden die Pfiffe laut und lauter. Beim Aufsichtsrat der VfL Fußball GmbH und beim Geldgeber VW wird man das genau vernommen haben – hier sitzen einige Gegner Wolfs, während Manager Peter Pander ein uneingeschränkter Befürworter des nüchternen, 45 Jahre alten Coachs ist. Andere würden die vielen Mißtöne rund um den seit viereinhalb Jahren hier arbeitenden Trainer vielleicht lässig als Kakophonie bezeichnen, in Sachen Wolf muß man aber sagen: Wahrscheinlich wird im Sommer 2003 ein anderer die sportliche Verantwortung über die Wölfe haben. Nach fünf Jahren an der Aller dürfte es zu einer gütlichen, sauberen Trennung kommen. Aus Wolfs Worten kann man den möglicherweise bevorstehenden Abschied schon heraushören. Fünf Jahre seien eine lange Zeit, sagte er und deutete an, daß eine Vertragsverlängerung auch aus seiner Sicht alles andere als selbstverständlich wäre.“

Frank Heike (FAS 15.12.) skizziert die Perspektiven des Vereins. „In 17 Monaten Bauzeit ist es dem VfL Wolfsburg gelungen, ein wirklich schönes Fußballstadion zu errichten, das den hohen Zielen des Klubs angemessen erscheint, ohne dabei überdimensional zu wirken. Die Zukunft, so will es der Geldgeber Volkswagen, kann nur heißen: Champions League. Neunzig Prozent des Vereinsanteils von 27 Millionen Euro Baukosten kommen über die VfL GmbH aus dem Säckel des Sponsors, der begriffen hat,daß der Fußballverein mit dem VW-Logo auf der Brust eine Marke ist, di den provinziellen Unternehmensstandort in Europa aufwerten könnte. Ausreden wird es ab heute keine mehr geben, denn der Rahmen in der Arena neben Mittellandkanal und Autostadt gibt viel mehr her als das, wofür der VfL bisher stand- solides Mittelmaß vor 15.000 Zuschauern im schrecklichsten Stadion der Liga. Doch nicht nur das Stadion gehört zum ehrgeizigen Businessplan der Wolfsburger. Sie wollen in fünf Jahren die europäische Meisterrunde erreicht haben. Zuerst holte man in Roy Präger ein Bonbon für die Fans zurück. Dann kam der Star. Stefan Effenberg hat dem VfL tatsächlich ein neues Selbstwertgefühl eingeimpft. Nun wehrt sich die seit je heimstarke Mannschaft plötzlich auch auswärts. In der Winterpause werden die Wolfsburg noch einmal nachlegen.“

1. FC Kaiserslautern – Hertha Berlin 2:1

Martin Hägele (SZ 17.12.) berichtet von Scharmützeln. „Die Hand von Hertha-Manager Dieter Hoeneß formte einen Tennisball nach. So dick, sagte er, sei die Hand von „Jolly“ Sverisson geschwollen. Die Allroundwaffe der Berliner, wahlweise als Stopper oder Mittelstürmer, Kampfschwein im Mittelfeld und zur Not auch noch Torwart eingesetzt, wird sich wohl noch beim Weihnachtsurlaub auf Island erinnern, wie er sich diese Verletzung auf dem Berg der Roten Teufel eingehandelt hat. Reservist Sverisson musste Balljunge spielen in der Schlussphase der letzten Vorrunden-Partie, wie übrigens auch sein Sportdirektor, nur dass Hoeneß bei seinem Bemühen, Bälle von der Berliner Ersatzbank aus zu finden, mehr Glück hatte. Sverissons Weg auf der Suche nach einem Ball kreuzte sich dagegen mit dem Lauterer Torwarttrainer Gerry („Tarzan“) Ehrmann sowie dem verletzten Mario Basler. Als sich Sverisson im Gerangel mit diesen beiden endlich die Kugel geschnappt hatte, trat Ehrmann voll gegen seine Hand – und nur dank des Einsatzes einiger Besonnener wurde vermieden, dass sich der Assistenztrainer des FCK, Basler sowie der als vorbildlicher Sportsmann bekannte Sverisson zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen verprügelt hätten. Kenner der Pfälzer Fußballszene werden nun anmerken, dass diese Catch-Einlage nicht aus dem Rahmen gefallen sei. Brüder im Geist waren der alte Torwart und der in die Jahre gekommene Basler schon immer. Und mit Fairness hatte es nichts zu tun, dass sich die Balljungen im Fritz-Walter- Stadion in der 87. Minute im Regen aufgelöst hatten – Sekunden, nachdem Harry Koch den Elfmeter auch in der Wiederholung im Netz hinter Kiraly versenkt hatte. Mit Kollegialität noch viel weniger, aber was will man von solchen Menschen auch verlangen – erst recht, wenn deren berufliche Existenz auf dem Spiel steht?“

Hartmut Scherzer (FAZ 17.12.). „Die rechtzeitige und zeitgemäße Besinnung auf Tradition und Tugenden des 1. FC Kaiserslautern verhinderte auch, daß die Lichter so kurz vor Weihnachten im Pfälzer Kult- und Chaostheater ausgingen. Mit dem mythischen Fritz-Walter-Wetter, mit leidenschaftlicher Kampfbereitschaft jedes Spielers und einem endlich wieder turbulenten Happy-End nach alter Betzenberg-Art wurde im Lauterer Regen schon verschüttet geglaubtes Lauterer Erbgut wiederentdeckt. Der gottesfürchtige Lincoln leitete das glückliche Ende für die Roten Teufel ein und brachte die Herthaner beim Stand von 1:1 nach den Toren von Vratislav Lokvenc und Pal Dardai in Rage. Der Brasilianer holte drei Minuten vor Schluß im Sturzflug über den Hechtsprung des Berliner Torhüters Gabor Kiraly den Elfmeter heraus, den Herthas Kapitän Marko Rehmer ebenso wie Manager Hoeneß (So einen Elfmeter haben wir noch nie gekriegt) als Unrecht empfand. Der Berliner Trainer Stevens wunderte sich indes nicht weiter über das typische Betzenberg-Finale: Das habe ich hier oft genug erlebt. Der 1. FC Kaiserslautern hat wieder ganze Kerle, wie die beiden Kochs. Harry Koch, der Kapitän, verwandelte im zweiten Anlauf, erst unten links dann oben rechts, ungerührt den Elfmeter. Der Franke in der Pfalz zeigte wegen der Wiederholung keine Nerven, sondern genoß doppelte Freude. Koch, der Verteidiger, hatte auch den härteren Schädel als Kapitänskollege Rehmer. Das Zusammenkrachen ihrer Köpfe hatte Folgen. Rehmers blutende Stirn wurde gerade verbunden, als sein Gegenspieler Lokvenc mit dem Kopf das 1:0 erzielte. Der andere Koch, Torwart Georg, verhinderte mit drei tollen Paraden einen früheren Ausgleich und späten Rückstand.“

Hintergründe aus der Bundesliga

Stefan Hermanns Michael Rosentritt (Tsp 14.12.) ziehen ein Zwischenfazit. „Auffällig ist, dass sich das Abschneiden deutscher Vereine in den internationalen Klubwettbewerben umgekehrt proportional zu den Leistungen der Nationalelf verhält. Als der FC Bayern 1996 den Uefa-Cup gewann, begann für den deutschen Vereinsfußball die erfolgreichste Phase, die in der Frage gipfelte: Wozu brauchen wir eigentlich noch die Nationalmannschaft? Bei der WM 1994 und 1998 schied die deutsche Elf jeweils im Viertelfinale aus, bei der EM 2000 war nach der Vorrunde Schluss. Demgegenüber standen seitdem deutsche Klubs neunmal in Endspielen um internationale Titel. 1997 holte Schalke den Uefa-Cup. Dortmund gewann die Champions League und wurde Weltpokalsieger. Nach der verkorksten WM 1998 standen die Bayern 1999 im Finale der Champions League, nach der desaströsen EM 2000 gewannen die Bayern 2001 die Champions League und wurden Weltpokalsieger. Dass ein Turnier wie eine Fußballweltmeisterschaft nachwirken werde, hatte Völler seiner Mannschaft bereits in der Finalnacht von Yokohama prophezeit. Nur nicht wie. Dass ein Spieler wie Miroslav Klose imSpeziellen eine ganz schwere Zeit vor sich habe, sagte Völler dem erfolgreichsten deutschen WM-Torjäger offen ins Gesicht. „Miro, ab jetzt wird sich vieles ändern.“ Dass Klose aber in ein solches Loch fallen würde, ahnte der Teamchef nicht. Mal abgesehen von zwei Treffern im DFB-Pokal beim Uhlenhorster SC Paloma, erzielte Klose in der Bundesliga bisher drei Tore – zuzüglich eines Eigentores. Damit reiht er sich ein in eine Riege von Spielern, bei denen das große asiatische Turnier nachwirkt. Etwa Oliver Kahn. Während er bei der WM noch als „King-Kahn“ oder „Titan“ verehrt worden war, erreicht derselbe Herr in derselben Funktion nicht mehr seine Bestform. Ebenso wenig wie die Dortmunder Torsten Frings und Sebastian Kehl. Und erst die Leverkusener. Carsten Ramelow und Oliver Neuville spielen nicht wiedererkennbar. Abgeschwächt gilt das auch für Bernd Schneider. Im WM-Finale konnte es der Mittelfeldspieler mühelos aufnehmen mit den südamerikanischen Ballartisten. Die internationale Presse nannte ihn den „deutscher Brasilianer“. Was würde sie wohl heute schreiben?“

Michael Horeni (FAS 15.12.) beschreibt Situation und Wesen der Dortmunder Brasilianer. “Auf einem gigantischen Poster über vier Stockwerke hinweg ist ein Profi der Borussia abgebildet. Es ist ein Brasilianer. Aber um wenn es sich handelt, ist nicht zu erkennen. Die Haut des Spielers ist braun. Das übermenschlich große Foto auf der Rückseite des Nordtribüne des Westfalenstadions zeigt jedoch nur die Brust, den Hals, das Kinn. Das symbolische Bild ohne Kopf, das die Dortmunder als Zeichen ihrer Investitionspolitik von sich geben, spiegelt ungewollt auch ziemlich genau die Wirklichkeit der vier brasilianischen Profis in Dortmund wieder. Die Namen Amoroso, Dede, Ewerthon und Evanilson gelten zwar spätestens mit dem Titelgewinn beim deutschen Meister als Synonym für importierte Spiel- und Lebensfreude. Aber obwohl der Klub mit dem Quartett aus Südamerika im Untertitel längst als Borussia do Brasil firmiert, sind die Menschen, die aus Brasilia, Diamantina, Minero und Sao Paulo nach Dortmund kamen, für deutsche Fans noch immer weitgehend gesichtslos geblieben. Und auch die Brasilianer wissen von Deutschland auch nach einigen Jahren in Alemanha so gut wie nichts. Deutsche Zeitungen liest selbst der wache Dede nicht, und wenn der Fernseher eingeschaltet wird, dann kommt nur Südamerika ins Haus. Sechs brasilianische Sender hat Dede eingefangen, deutsches Programm läuft nicht. So bleibt es der deutschen Wirklichkeit verwehrt, sich zwischen Trainingsplatz, Bundesliga, Champions League und brasilianisches Wohnzimmer zu schieben. Von einer Wirtschaftskrise in Deutschland hat Dede daher auch nichts gehört, und wer weiß, wie er sie einschätzen würde, da er aus einem Land kommt, wo der Fußball nicht Spielzeug, sondern für viele noch Sprungbrett aus dem Elend ist, und ein Wechsel nach Europa nicht nur einen neuen Arbeitsplatz bedeutet, sondern eine Traumreise ins Wirtschaftswunderland (…) Wenn über die 22 Brasilianer, die derzeit die Bundesliga bereichern, berichtet wird, geht das gewöhnlich nicht ohne ein gehöriges Maß an Folklore ab. Das kommt auch gut an. So wird seit Jahren die Geschichte von Dedes erstem Wintererlebnis fortgeschrieben, als er ratlos auf der Geschäftsstelle anrief, weil er glaubte, sein Auto sei kaputt. Tatsächlich war nur die Windschutzscheibe zugefroren. Gerne wird auch jene Anekdote erzählt, um Dedes Fortschritte im für Brasilianer nicht nur metereologisch kühlen Deutschland zu beschreiben, als er seinen Landmann Ewerthon fast schon philosophisch in die neue Welt einwies: Wenn um drei Uhr Training ist, dann ist um drei Uhr Training. Der brasilianische Klub bei Borussia Dortmund ist etwas fürs Herz seiner Mitglieder, aber längst keine Verbindung auf Dauer. So weit gehen die Sentimentalitäten unter den Bedingungen des Profifußballs dann doch nicht, daß für importierte heimatliche Gefühle die Karriereplanung zurückstehen würde. Es ist aber kein typisch brasilianisches oder gar schon ein typisch deutsches Wohlstandsleben, das Dede und Co. führen, sondern ein Leben, wie es die Fußball-Millionärsnomaden aus Südamerika oder Afrika überall auf dem alten Kontinent angenommen haben. Das Herz hat seinen Platz in der Vergangenheit, aber die praktische Vernunft kennt nur die neuen Herausforderungen. Und wenn die Bundesliga an diesem Sonntag zur Ruhe kommt, dann nehmen sie ganz selbstverständlich den nächsten Flug nach Brasilien und kehren so spät wie möglich wieder zurück in ihr Arbeitsleben, wo sie den anderen Teil ihrer Identität aus dem Winterschlaf wecken müssen.“

Philipp Selldorf (SZ 17.12.). „Dass Böhme noch in der Kabine raucht, wäre vor den Mitspielern ein verzeihliches Laster, wenn er nicht auf dem Spielfeld seinen Eigensinn zum destruktiven Egoismus steigern würde. Und zum Vorwurf, dass er sich fernab von Schalke – in Steinhagen bei Bielefeld – ein Haus bauen ließ und deshalb mehr Zeit auf der Autobahn als auf dem Trainingsplatz verbringt, was der Regeneration seiner andauernden Muskelverletzungen nicht dienlich ist, gesellt sich neuerdings sogar die Anklage der Werksspionage. Vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen (0:1) soll er sich allzu ausgiebig mit seinem alten Mannschaftskollegen aus Jenaer Tagen, Bernd Schneider, unterhalten und dabei Details der Schalker Taktik verraten haben. Möglich, dass er mit Schneider schon bald ganz offiziell die Taktik abstimmt – Bayer 04 soll an einer Übernahme Böhmes sehr interessiert sein.“

Joachim Mölter (FAZ 14.12.) portraitiert Roque Santa Cruz. „Noch ist Giovane Elber den absoluten Zahlen nach erfolgreichster Torjäger von Bayern München mit zehn Treffern. Doch der Brasilianer hat seit sechs Wochen keinen Grund mehr zum Jubeln gehabt und auswärts überhaupt noch nicht in dieser Saison. Außerdem ist Elber einer, der seine Tore bevorzugt dann schießt, wenn sowieso viele fallen und sie nicht so ins Gewicht fallen. Santa Cruz hingegen ist der Mann für die letzten, die entscheidenden Tore. Er hat das 5:4 erzielt gegen Schalke, im Elfmeterschießen des DFB-Pokals, und das 1:0 gegen Wolfsburg in der Bundesliga. Fast immer, wenn der FC Bayern mit einem Tor Differenz gewann, hat Santa Cruz einmal getroffen (…) Dabei sah es lange so aus, als würde Santa Cruz, der im Juli 1999 als 17 Jahre altes Talent für fünf Millionen Euro Ablöse vom paraguayanischen Meister Olimpia de Asunción zum FC Bayern kam, den deutschen Rekordmeister nach Ablauf seines Vertrages bestenfalls als 22 Jahre altes Talent wieder verlassen. Hitzfeld ließ den Stürmer auch dann auf der Bank sitzen, wenn er fit war; erst die Intervention von Klubchef Franz Beckenbauer bewegte den Trainer vergangene Saison dazu, Santa Cruz mehr einzusetzen. Der beklagte sich nie: Man kann auch auf der Bank lernen. In dieser Spielzeit wäre er sicher öfter aufgelaufen eingedenk seiner guten Leistungen bei der WM im Sommer. Aber schon dort endete sein Auftritt vorzeitig wegen einer Leistenverletzung – im verlorenen Achtelfinalspiel Paraguays gegen Deutschland. Inzwischen sind alle Blessuren ausgeheilt, er hat Claudio Pizarro den Stammplatz im Angriff abgenommen, weil er ballsicherer ist und sich in den Dienst der Mannschaft stellt, wie Hitzfeld erklärt. Mittlerweile ist es auch beschlossene Sache, daß Santa Cruz‘ Vertrag in der Winterpause um zwei Jahre bis 2006 verlängert wird.“

Philipp Selldorf (SZ 14.12.) auch. „Wie soll man sein Spiel beschreiben? Es ist von Kraft geprägt. Santa Cruz ist 1,89 Meter groß, ein Athlet. Er hat ein unglaubliches Ballgefühl. Wenn er sich auf ein Solo einlässt, was er seltener tut als in den ersten seiner fast vier Jahre in München, sieht das aus, als ob er sich mit Gewalt durchtankt – weil seine Finten und Ballführung so filigran sind, dass man es kaum erkennt. Bayern-Spieler wie Mehmet Scholl, die täglich mit ihm trainieren, behaupten, dass keiner besser den Ball beherrscht als Santa Cruz (…) Bei den Bayern wird ihm in der Rolle als erstem Angreifer, eher früher als später, Giovane Elber Platz machen. Die Ansicht hat sich nun auch bei Trainer Ottmar Hitzfeld durchgesetzt, der etwas Anlauf brauchte, um zu den Bewunderern aufzuschließen – und den Druck der Bayern-Chefs. Franz Beckenbauer hat besonders heftig nachgeholfen.“

Bertram Job (FR 14.12.) porträtiert Marcel Witeczek. “Als dieser Mann mit dem bezahlten Fußball anfing, gab es wahrscheinlich noch Säbelzahntiger. Na ja, es mag auch kurz danach gewesen sein. Jedenfalls erinnert sich Marcel Witeczek noch sehr genau an gewisse prähistorische Umstände seiner ersten Jahre als Bundesliga-Profi. Im Trainingslager haben wir ARD, ZDF und WDR 3 gesehen, weiter gab es nichts, erzählt er. Heute dagegen ist aus dem europäischen Fußball längst eine daily soap geworden und aus der Aufmerksamkeit blanke Hysterie. Die Jungs werden schnell hochgelobt und dann wieder fallen gelassen, sagt Marcel Witeczek. Dabei klingt er ungefähr doppelt so alt wie er jetzt aussieht. Witeczek? Irgendwie haben all diese Medienmenschen ihn fast schon vergessen. Aber in seiner 17. Saison ist der 34-jährige Profi noch immer Stammspieler, mehr oder weniger. Und wenn er am Samstag im Trikot von Borussia Mönchengladbach beim SV Werder Bremen aufläuft, wird das sein 408. Pflichtspiel in der ersten Bundesliga sein. Damit ist der stille schnelle Junge aus Oberhausen beinahe schon im Club der Fichtel, Dietz und Schumacher, wo man fast automatisch zur Legende erklärt wird. Aber seltsam: so spricht man von Marcel Witeczek trotzdem (noch) nicht. Und so wird man viel-leicht auch nie von ihm sprechen. Das könnte daran liegen, dass er selbst bis heute kaum Aufmerksamkeit außerhalb des Spielfelds provoziert. Fußballspielen aber kann er noch immer kompletter als die meisten seiner Berufskollegen. Und das ist nicht zuletzt die Folge einer erstaunlichen Rotation, die er bei der Borussia durchlebt. Seit 1997 hat er am Bökelberg außer Torwart schon jede Position gespielt – zuletzt als freier Mann vor der Abwehr. Da tauscht man Perspektiven wie andere Trikots.“

Markus Völker (taz 14.12) berichtet über Homosexualität im Fußball. „Frank Rost, Torwart von Schalke 04, beantwortet die Frage, ob Bundesligaprofis der gleichgeschlechtlichen Liebe anhängen, mit: Nein – außerdem dusche ich immer mit dem Arsch zur Wand. An Stammtischen kursiert der Witz, woraus eine ideale Abwehr bestünde: Aus Schwulen, denn die können von hinten richtig Druck machen. Die Suche nach dem etwas anderen Profi wird bisweilen mit detektivischem Eifer betrieben. Keine Fußballrunde, die das Thema noch nicht aufgegriffen hätte. Bestimmt ist es der Wörns, spricht der nicht so tuckig? Oder Ricken, bei dem hat man doch nie etwas von einer Freundin gehört? In 29 Jahren Bundesliga hat sich noch kein Spieler öffentlich geoutet. Wohin der Ball auch rollt, alles Heteros. Tatsächlich? Es ist viel geschrieben worden über den Fußball als Sex-Surrogat. Etwa dergestalt: Beim Torschuss kommt es nach langem Vorspiel zum Orgasmus, die andere Mannschaft wird – der Ball dringt ins Tor – vergewaltigt. Diese Szene begleiten die Fans der Vergewaltiger mit heftigen Umarmungen, die Vergewaltigten mit vor Hilflosigkeit überkochender Frustration. Solch ein Entwurf ist eindeutig nicht heterosexuell (…) Duldete der Fußball vornehmlich einen Homo, wenn danach ein ludens oder sapiens folgte, darfs jetzt auch schon mal ein sexueller sein – wie die Wahl von Corny Littmann zum Präsidenten des FC St. Pauli unterstreicht. Littmann wusste schon in den 90ern das homophobe Gehabe der männerbündischen Szene zu konterkarieren. Gefragt, ob er einen schwulen Kicker kenne, meinte er, er habe gerade mit einem geschlafen. 1991 veranstaltete der Fernsehsender Premiere eine Diskussion über Homosexualität im Sport. FC-Profi Paul Steiner, der mit Sätzen wie Schwule sind für Fußball viel zu weich aufgefallen ist, bestritt in der Runde, dass unter Bundesligaspielern – und erst recht unter denen des 1. FC Köln – Männerliebe verbreitet sei. Theatermacher Littmann verstörte Steiner daraufhin aufs Heftigste. Er sei schon mit einem Spieler der damaligen FC-Mannschaft im Bett gewesen, behauptete Littmann. Steiner soll danach nur noch im Stile Rosts geduscht haben. Anderswo mag es ja todschick anmuten, ein bisschen wärmer als der große Rest zu sein. Nicht so im Fußball, der sich hermetisch wie eine Tauchglocke abschottet. Und sitzt wirklich ein Artfremder mit im Boot, ist er zu kunstvoller Mimikry genötigt, um der Norm zu entsprechen.“

Portrait Bernd Hoffmann (neuer Vorstandschef beim Hamburger SV) SZ

Zur Situation beim HSV Tsp

Mattias Wolf (FTD 17.12.). „Über Geld redet er nicht, sagte Jörg Neubauer. Dabei könnte der Spielerberater von einem Akt der Solidarität sprechen. Doch er weiß nur zu genau: Das würde ihm, dem knallharten Geschäftsmann, ohnehin keiner glauben. Wie auch immer, Neubauer hat auf viel Geld verzichtet Mehr oder weniger freiwillig. Er gehört zu drei Spielerberatern, die ihre Rechnungen an Energie Cottbus auf Bitten des Vereins reduziert haben. Das ist eine Neuigkeit in Zeiten, in denen zwar über Gehaltsverzicht von Spielern gesprochen wird – aber dass nun auch die Agenten folgen, die mächtigen Strippenzieher dieser undurchsichtigen Branche, das hätte kaum einer für möglich gehalten. Doch das Notopfer von Cottbus hat nichts mit Mitgefühl für einen kleinen Verein zu tun, dem derzeit 1,5 Mio. Euro im Etat fehlen, bis Ende der Saison womöglich 2,5 Mio. Euro. Auch hier haben Berater für simple Vertragsverlängerungen, – „nur ein einziges Telefonat“ – wie Vereinssprecher Ronny Gersch sagt, 40 000 Euro Provision kassiert. Von Transfers ganz zu schweigen. Da streicht ein Berater als festen Satz bis zu 60 Prozent von der Ablösesumme und dem Jahresgehalt des Spielers ein. Das ergibt bisweilen Millionensummen. So wurde jüngst ein Fall aus Kaiserslautern bekannt: Für die Vermittlung der eher unbekannten Profis Markus Anfang, Christian Timm und Selim Teber kassierte deren Berater Roger Wittmann im Juni 1,2 Mio. Euro. Von marktgerechten Preisen kann da in einer kriselnden Branche nicht mehr die Rede sein.“

„Korrupte Figuren beherrschen angeblich den englischen Transfermarkt“ SZ

Zum Abschied von MSV-Interimstrainer Bernard Dietz meint Richard Leipold (FAZ 16.12.). “Sechs Zweitligaspiele, fünf Siege: Auf seinem Spezialgebiet als Übergangstrainer hat Dietz abermals ganze Arbeit geleistet. Sogar er selbst hatte seinen Spaß. Es war eine tolle Zeit. Für Walter Hellmich, den Präsidenten des MSV Duisburg ist Dietz der größte Fußballer in der hundertjährigen Vereinsgeschichte. Obwohl er nie Profitrainer werden wollte, zeigt der frühere Kapitän der Nationalelf auch auf der Bank von Zeit zu Zeit Größe. Wenn die Oberen ihn in höchster Not bitten, als Übungsleiter einzuspringen, bis sie einen passenden Nachfolger gefunden haben. Wie vor drei Jahren beim VfL Bochum, so hat er in dieser Saison bei seinem Stammverein in einem trüben Herbst bis zur Winterpause die Aufgabe des Teamchefs übernommen. Als Mann des Volkes verkörpert Dietz, was viele Fans sich wünschen, zumal im Ruhrgebiet. Er spricht die Sprache der Spieler und der Anhänger. Ich bin wohl eine Sympathiefigur oder was weiß ich. Und er ist immer er selbst geblieben: ein einfacher Mann, der dem Fußball einen Wohlstand verdankt, den er zu schätzen weiß, aber nicht um jeden Preis ins Unermeßliche steigern will. Wenn ich als Cheftrainer mehr Geld verdiene, kann ich auch nicht mehr Koteletts essen. (…) Ohne persönliche Ambitionen scheint Dietz prädestiniert dafür, Spielern die Orientierung zurückzugeben. Er besitzt offenbar eine pädagogische Gabe jenseits der Schulweisheit. Das genügt ihm. Ein Fußball-Lehrerdiplom hat er nie erworben, um sich vor Angeboten zu schützen, wie er sagt. Sie kamen dennoch. Und er konnte sie nicht ablehnen. In Bochum zwang ihn seine Loyalität als langjähriger Angestellter dazu, den Chef zu spielen, in Duisburg kamen Gefühle hinzu. Der MSV ist mein Schicksal, sagt er, dieser Verein ist meine Fußballheimat. Das wird auch so bleiben, wenn am 3. Januar ein ausgebildeter Fußball-Lehrer seinen Dienst antritt. Norbert Meier, einst in Mönchengladbach als Nothelfer gescheitert, kommt auf Empfehlung von Dietz. Der frühere Bremer Nationalspieler ist seinem Vorgänger nicht nur für dessen Votum im Auswahlverfahren dankbar, sondern auch für die sportliche Basis, die Dietz in der kurzen Zeit geschaffen hat. Warum will ein Mann mit seinen Fähigkeiten nicht der Chef bleiben? Die Antwort liegt in ihm selbst, nicht wie häufig kolportiert in den verlotterten Sitten des Profigeschäfts. Dietz will nach seiner körperlichen Unversehrtheit nicht auch noch seine Seele an den Fußball verlieren. Sein Knie ist in achtzehn Jahren Berufsfußball so stark geschädigt worden, daß er fürchtet, irgendwann ein künstliches Gelenk zu brauchen. Die Seele läßt sich nicht so einfach restaurieren, deshalb will Dietz sich nicht dem Profigeschäft ausliefern.“

Interview mit Dortmunds Manager Meier FAS

„Waldhof droht nicht nur sportlich das Aus“ SZ

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

So, so, so gewinnt Madrid

Georg Bucher (NZZ 15.4.) sah ein würdiges Spitzenspiel zwischen San Sebastian und Madrid (4:2). „Gastspiele von Real Madrid sind immer etwas Besonderes. Zwischen Ironie und Wut oszillierende Gesänge „So, so, so gewinnt Madrid“ hört man in vielen Stadien, wenn der Nobelklub mit vermeintlicher oder tatsächlicher Hilfe des Schiedsrichters einen Treffer erzielt oder verhindert hat. Durch historisch gewachsene Animositäten aufgeladen sind Reals Auftritte in der Hauptstadt der baskischen Provinz Guipuzcoa, San Sebastian – so brisant wie die Derbys zwischen Real Sociedad und Athletic Bilbao. Atotxa von 1913 bis 1993 und seitdem Anoeta ist für die „Königlichen“ traditionell ein heisses Pflaster, auch wenn die Klassierung wie in den letzten drei Jahren einen Spaziergang vermuten lässt: Abstiegskandidat gegen Titelanwärter, das war einmal: 18 Runden stand Real Sociedad heuer an der Spitze, und nach dem Double 1981/82 durften die Aficionados wieder vom Titel träumen. Doch zum Auftakt der Rückrunde setzte es die erste Saisonniederlage ab, die in Bilbao happig (0:3) ausfiel und Verunsicherung bewirkte. Der Internationale Javi de Pedro hatte die Nerven verloren, seinen unerbittlichen Bewacher Javi Gonzalez getreten und war für vier Spiele gesperrt worden. Dass die Verbandsgremien in ähnlich gelagerten Fällen Real Madrid sanfter anzufassen pflegen, nährte den Verdacht einer Verschwörung gegen die ungeliebten Basken. Sie würden mit der Terrororganisation ETA identifiziert und als eines nationalen Titels unwürdig erachtet, sagte ein Rentner, dessen Sohn an der Universität Bilbao Chemiestudenten unterrichtet, im Trainingszentrum Zubieta vor den Toren San Sebastians. Mag diese Perspektive übertrieben sein, im kollektiven Unterbewusstsein sitzt sie tief. Die Baisse folgte jedenfalls auf dem Fuss (…) Zum Titelkampf liess sich der Vergleich zwischen dem Leader Real Madrid und dem sechs Punkte dahinter liegenden Verfolger Real Sociedad daher nicht mehr hochstilisieren. Real hatte sich seit der Hinrunde (0:0) klar gesteigert und durch die brillante Vorstellung in der Champions League gegen Manchester United weiteren Auftrieb bekommen. Weil die Gegner in der Primera División Stärken und Schwächen der Madrilenen aber genauer kennen, hängen die Trauben für Vicente del Bosque und seine Weltauswahl hoch. Zu hoch jedenfalls am Sonntag im ausverkauften Anoeta-Stadion, wo sie vor der Pause vorgeführt wurden und bereits nach 34 Minuten das Handtuch hätten werfen können. 4:1 führte der Platzklub, innert drei Minuten waren drei Tore gefallen, es hätte zur Halbzeit auch 8:3 stehen können. Da Deportivo in Barcelona ebenfalls 4:2 gewann und die gleiche Punktzahl wie Real Sociedad aufweist, ist das Titelrennen wieder offen.“

Gewinnspiel für Experten

Ballschrank

Begleitumstände von Südafrikas Niederlage

Eine fast unglaubliche Geschichte über die Begleitumstände von Südafrikas Niederlage erzählt Christoph Biermann (SZ 13.6.). „Ein Tor mehr hätten sie schießen müssen, um Gegner der deutschen Mannschaft im Achtelfinale zu werden. Ein Tor, um das sie in den letzten Minuten der 2:3-Niederlage gegen Spanien nicht einmal gekämpft hatten. Weil sie glaubten, es nicht mehr schießen zu müssen. Sechs Minuten vor dem Abpfiff war Paraguay in der parallel ausgetragenen Partie mit 3:1 in Führung gegangen. Dadurch hatten Südafrika und das Team aus Südamerika die gleiche Punktzahl, die gleiche Tordifferenz, aber Paraguay einen Treffer mehr erzielt. Sechs Minuten blieben den Südafrikanern, um das zu ändern, aber sie reagierten nicht. Auf der Leinwand im Stadion war das Ergebnis der anderen Partie nicht angezeigt worden. Doch die kleine Schar der südafrikanischen Berichterstatter hatte es auf der Pressetribüne im Fernsehen gesehen. Sie gestikulierten wild, um ihr Team nach vorne zu treiben. Und einer von ihnen, Bonny Schoonakker von der Sunday Times, rief sogar den Pressesprecher des Teams an. Sello Rabotato nahm den Anruf direkt an der Trainerbank an, aber die Information kam nicht richtig an (…) Es war nicht zu fassen. Im Weltcup, der im Zeichen von Hochtechnologie und Kommunikation steht, verschwand das südafrikanische Team in einem Informationsloch.“

Michael Martin (FR 13.6.) ergänzt. „Am schlimmsten traf es Jomo Sono, den Trainer. Er, der sich für sein Fernbleiben von der Pressekonferenz entschuldigte, weil er sich nicht wohl fühlte, erklärte später auf dem Weg zum Bus, er habe geglaubt, Paraguay führe 3:2. Dieses Resultat hätte seinem Team zum Weiterkommen gereicht, weshalb er keinen Offensivspieler mehr einwechselte, wie zunächst vorgesehen, sondern umdisponierte und den Verteidiger Jacob Lekgetho brachte (…) Stellt sich natürlich die Frage, ob alles anders gekommen wäre, wenn Schoonakkers Anruf richtig verstanden worden wäre und Sono anders gewechselt hätte.“

Die NZZ (13.6.) über den 3:1-Sieg Paraguays über Slowenien. „Die drei Treffer gegen Slowenien waren eine reiche Ausbeute für eine Mannschaft, deren Stärken in erster Linie in der Defensive liegen. Diese Qualität wird durch die Fußballauffassung von Maldini zusätzlich unterstrichen. Dass das Team aber auch in offensiver Hinsicht Akzente setzen kann, zeigte es im Spiel gegen Südafrika. Die Equipe erfreut sich ansteigender Form, insbesondere ihr Goalie Chilavert, der den Sturmlauf gegen Slowenien in der zweiten Halbzeit aktiv unterstützte.“

Dass Südafrika gute Aussichten auf das Erreichen des Achtelfinals hat, war vorher nicht abzusehen. Ralf Wiegand (SZ 10.6.) dazu. „Das ausgerechnet die „bofana, bofana“ jene afrikanische Mannschaft sein würde, die nach zwei Runden dem Kontinent die größten Hoffnungen auf wenigstens einen Vertreter im Achtelfinale machen würde, war noch beim Africa-Cup im Winter reine Utopie. Aufgerieben von Querelen und chancenlos auf dem Platz verabschiedeten sich „die Jungs“ bereits im Viertelfinale mit einer Niederlage gegen Gastgeber Mali. Der portugiesische Trainer Carlos Queiroz wurde zum Teufel gejagt und der „schwarze Prinz“, Volksheld Jomo Sono, auf den Trainerthron gehoben. Was er nach eigener Darstellung zum Arbeitsbeginn im März vorfand, war nicht mehr als ein Trümmerhaufen.“

Thomas Kilchenstein (FR 10.6.) referiert die Rede des südafrikanischen Trainers, die dieser bei seinem Antritt im März gehalten haben will. „Dazu hat Sono, der in der Heimat Heldenstatus genießt, eine Rede gehalten. Sie triefte nur so vor Pathos. Sinngemäß hat er gesagt: Menschen haben ihr Leben für Südafrika gegeben und waren in den Tod gegangen, viele haben Entbehrungen und Leid hinnehmen müssen, Familienangehörige verloren, Mandela hat Jahrzehnte seiner Lebens für seine Ideale im Gefängnis verbracht, „und ihr streitet euch wegen Kleinigkeiten. Weil andere starben, seid ihr jetzt Millionäre. Wir sind alle Südafrikaner, lasst uns das Nationaltrikot mit Würde tragen.“ Und dann haben sie sich die Hand gegeben, und alles war wieder gut. So erzählt es Jomo Sono. Vielleicht stimmt es ja.“

Die NZZ (8.6.) zum Spiel Spanien gegen Paraguay. „Schön für einen Trainer, wenn er einen Joker wie Fernando Morientes hat. Denn als Spaniens Coach Camacho nach der Pause den Stürmer von Real Madrid auf das Feld beorderte, kam endlich Dynamik und Wucht in den Angriff des Favoriten. Und das war zu diesem Zeitpunkt auch dringend nötig (…) Während das Vorgehen Paraguays letztlich sehr einfach zu durchschauen war (Flanken von rechts durch Arce auf Santa Cruz im Angriffszentrum), wies das Angriffsspiel der Iberer, die sich mit dem Sieg für den Achtelfinal qualifizierten, dann doch eine andere Qualität auf.“

Christoph Biermann (SZ 3.6.) über die Mannschaft Paraguays, die gegen Südafrika einen 2:0-Vorsprung noch aus der Hand gab. „In beiden Halbzeiten widerlegte die Mannschaft von Trainer Cesare Maldini alle Vorurteile, die über sie im Umlauf sind. Nach seiner Amtsübernahme, so hatte es geheißen, hätte der Italiener die Südamerikaner in die letzten Vertreter des Catenaccio verwandelt. Doch derart in den Klauen des Bösen wirkten Santa Cruz und Mitspieler nicht. Vielmehr agierten sie in der ersten Halbzeit offensiver als vorausgesagt und ließen sich nach der Pause mehr unter Druck setzen als erwartet.“

Dario Venutti (NZZ 3.6.). „Seit etwa vier oder fünf Weltmeisterschaften gilt Spanien jeweils als der geheimste der Geheimfavoriten. In dieser Zeit ist die Mannschaft aber jedes Mal frühzeitig ausgeschieden, meistens schon in der Vorrunde. Jetzt haben die Iberer wenigstens einmal ihr Auftaktspiel gewonnen. Das Ensemble von Trainer Camacho musste auf dem Weg zum Sieg ein hartes Stück Arbeit verrichten. Der WM-Debütant war in spielerischer Hinsicht zwar deutlich unterlegen, im defensiven und taktischen Bereich aber ebenbürtig, so dass es den Spaniern schwer fiel, trotz mehrheitlichem Ballbesitz den Gegner effektiv unter Druck zu setzen.“

Thomas Klemm (FAZ 3.6.) über das Spiel der Spanier. „Unverkrampft gingen die spanischen Profis am Sonntag immer dann ans Werk, wenn sie den Ball am Fuß hatten. Jeder glänzte für sich, doch das Zusammenspiel war in der ersten Halbzeit alles andere als brillant.“

Gewinnspiel für Experten

11 Freundinnen

Überraschend viele Fans am Römer – Nia Künzer im Portrait

Du geiles Teil!

Detlef Esslinger (SZ 15.10.) freut sich mit etwa 5000 Fans am Frankfurter Römer: „Dem Empfang haftet nicht die geringste Peinlichkeit an. Das war ja die Frage, die unter der Hand gestellt wurde, am Montag und am Morgen dieses Tages: Würden denn tatsächlich mehr als nur ein paar Menschen kommen? Oder ist das Thema Frauenfußball schon wieder abgehakt, würden sich zwei Tage danach nur noch Eltern, Onkels und Freunde auf dem großen Platz verlieren? Von wegen. Die ZDF-Bühne steht wieder dort, wo sie schon damals stand, und wohl 5000 Menschen sind es, die dahinter die Kulisse bilden. Mittags, an einem Werktag, außerhalb der Ferienzeit. Ein Quintett mit Akkordeon, Saxofon, Gitarre, Cello und Gesang spielt nicht Es gibt nur ein’ Rudi Völler, sondern Guantanamera, das Original. Für Brautpaare die Gelegenheit: Neben der ZDF-Bühne befindet sich der Aufgang zum Standesamt – und, was machen natürlich alle Paare, bevor sie hineingehen? Lassen sich fotografieren, mit dem Rücken zu all den Jublern und Fahnenschwenkern. Dieser Eindruck wird bleiben, wie fröhlich die Ehe auch immer sein wird: so viel Freude, damals, bei unserer Hochzeit! „Sie hatten am Sonntag zwei Millionen mehr Zuschauer als Völlers Truppe am Samstag“, sagt Petra Roth drinnen im Kaisersaal; die Oberbürgermeisterin mag überhaupt nicht mehr aufhören mit Männer-Bemerkungen an diesem Tag. Gerhard Mayer-Vorfelder, der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), berichtet, nach diesem Abend in Los Angeles müsse er sagen: „Die Frauen können auch ganz schön feiern.“ Ein älterer Herr mit DFB-Nadel am Revers umschlingt mit beiden Händen die Spielerin Birgit Prinz am Hals. „Du geiles Teil!“ sind seine Begrüßungsworte. Der Gesichtsausdruck der Frau besagt: Okay, heute darf der das.“

Evi Simeoni (FAZ 15.10.) fügt hinzu: “Sind Frauen wirklich die besseren Männer? Ist der Fußballgott eine Frau? Deutschland sieht sich seit Sonntag, als die Nationalmannschaft der Frauen das Weltmeisterschafts-Endspiel gegen Schweden 2:1 gewann, gezwungen, seine Fußball-Grundlagen zu überdenken. Zugegeben: Noch stand auf dem Schild an dem Bus, der die Mannschaft (Frauschaft?) des Deutschen Fußball-Bundes vom Frankfurter Flughafen zum Römer brachte: Frauen-Weltmeister 2003. Aber eigentlich ist der Zusatz nicht nötig. Auf eine Weltmeisterfeier der Männer-Elf wartet das Land schließlich schon viele Jahre vergeblich. Die letzte liegt bereits 13 Jahre zurück. Männer, seht auf diese Frauen, rief denn auch die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth triumphierend vom Balkon des Römers herab. Alles Weltmeisterinnen! Zwischen 4000 und 5000 Fans, die den Frankfurter Römerberg füllten, stimmten ihr eifrig zu. Schwarz-rot-goldene Fahnen wehten. Und auch Schals für fünf Euro, die mit den Erfolgen der Männer-Nationalmannschaft bedruckt waren, fanden Käufer. Männer-Schals? fragte der Händler verwundert zurück. Männer oder Frauen, das ist doch ganz egal. Hauptsache, Fußball-Weltmeister. Kapitänin Bettina Wiegmann und ihre Mitstreiterinnen möchten natürlich nicht ständig mit den Helden von Bayern München bis Borussia Dortmund verglichen werden. Aber im Moment läßt sich das nicht vermeiden (…) Damit auch endlich die Jubelchöre einen professionellen Anstrich bekamen, schwang sich schließlich ein dicker Fan mit dem Megaphon auf ein Podest und stimmte ein Loblied auf die siebenfache WM-Torschützin an. Birgit Prinz – ist unser bester Mann. Aber auf Dauer konnte er sich nicht durchsetzen. Vielleicht, weil sich bei dem einen oder anderen doch leise Zweifel regten. Hatte doch die Frauen-Elf beim WM-Vorbereitungsspiel ganz in der Nähe gegen die U 16 von Eintracht Frankfurt beim 0:2 keine Chance gehabt und zuvor gegen zwei weitere männliche Jugendmannschaften 0:5 und 0:4 verloren. Es wird also auch nach dem Titelgewinn keine Frauen in der Männer-Bundesliga geben.“

Die FTD (15.10.) ergänzt: „Es gab wohl selten einen besseren öffentlichen Anschauungsunterricht dafür, wie sehr sich dieses Land nach Helden sehnt. Sicher, die Frauen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) haben in den letzten Wochen in den Vereinigten Staaten Großes geleistet. Sie haben schönen und attraktiven Frauenfußball gespielt. Sie waren besser als die anderen Mannschaften und sind deshalb auch verdient Weltmeister geworden. Doch sie deshalb nun auf eine Stufe mit den kickenden Männern zu stellen ist im besten Falle politisch korrekt – aber leider realitätsfremd. Der Freude tat das keinen Abbruch.“

Am Ende des langen Irrweges

Michael Ashelm (FAZ 14.10.) porträtiert Nia Künzer: „Genau so schreiben sich Heldengeschichten im Sport. Ein junger Athlet gilt als unglaubliches Talent, wird aber immer wieder von persönlichen Rückschlägen weit zurückgeworfen. Beharrlich arbeitet der Kämpfer am großen Comeback, läßt sich von den Tiefschlägen nicht einschüchtern und landet am Ende des langen Irrweges, wie im Traum, wirklich als Star auf der großen Bühne (…) Obwohl erst 23 Jahre alt, hatte Nia Künzer das Pech, daß ihr Körper schon oft den hohen Belastungen auf dem Fußballplatz nachgab. Immer wieder mußte sie in den vergangenen Jahren ganz von vorne anfangen, an der Rückkehr auf das Feld hart arbeiten. Im Winter des Jahres 1998 rissen ihre Kreuzbänder im linken Knie, zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren. Bis dahin hatte sich die Spezialistin für defensive Aufgaben einen vielversprechenden Ruf erworben, galt in der Szene als eines der größten Talente im deutschen Frauenfußball. Als sich Nia Künzer, die in der Bundesliga für den Meister und Pokalsieger 1. FFC Frankfurt aktiv ist, wieder nach der Verletzung an die alten Leistungen herangearbeitet hatte, zog sie sich vor der Europameisterschaft 2001 im eigenen Lande prompt einen Bänderriß, diesmal im Fußknöchel, zu. Der Tiefpunkt ihrer Karriere sollte aber noch folgen: Im vergangenen Jahr gaben aufs neue die Kreuzbänder im Knie nach, schon spekulierte der eine oder andere Fachmann auf das Karriereende. Die Pessimisten hatten die Rechnung jedoch nicht mit der unverbesserlichen Optimistin Nia Künzer gemacht. Ihre größte Krise bewältigte sie mit einem physischen und psychischen Kraftakt, trainierte eifrig an ihrem Comeback, kam im Februar zurück auf den Platz und hatte dabei nur ein Ziel: die Teilnahme mit der deutschen Nationalelf an der Weltmeisterschaft.“

Die FAZ (14.10.) rügt die ARD hart: „Der WM-Sieg der deutschen Fußballfrauen hatte einen bitteren Beigeschmack. Denn leider hatte die ARD offensichtlich versäumt, ein finaltaugliches Personal nach Los Angeles zu entsenden. Nachdem Nia Kuenzer vor 13,57 Millionen Zuschauern daheim an den Fernsehern das Golden Goal markiert hatte, brach am Spielfeldrand die große Hilflosigkeit aus. Ursula Hoffmann wußte nicht, wie und was sie genau die Expertin Doris Fitschen fragen sollte, und konnte dem Fußballgott danken, daß die Ex-Europameisterin mit einer schnellen Auffassungsgabe und einer sicheren Stimme gesegnet war – und so die Arbeit der Reporterin gleich mitmachte. Noch schlimmeren Flurschaden stellte Carsten Flügel an, der am Spielfeldrand den Weltmeisterinnen mit schwachsinnigen Fragen auflauerte, in denen sich auf bemerkenswerte Weise Unkenntnis mit Herablassung verband. Werden Sie gleich in der Kabine ein Ständchen singen, wie Sie es angekündigt haben? fragte er etwa die deutsche Trainerin Tina Theune-Meyer, obwohl die Zuschauer zuvor informiert worden waren, daß die schwedische Trainerin dies für einen Sieg ihrer Mädchen angekündigt hatte. So ging der historische Moment, den Ursula Hoffmann in ihre Abmoderation annoncierte, letztlich in einem unguten Gefühl unter. Die Fußballfrauen zählen halt doch noch nicht so viel im Ersten – da kann Gerhard Mayer-Vorfelder noch so viele verkniffene Küsse verteilen.“

Die FAZ (15.10.) meldet: „Noch viel verrückter ging es in Stockholm zu. Zwei Tage nach dem verlorenen WM-Finale wurden die schwedischen Fußballspielerinnen begeistert empfangen. Das aus Kalifornien kommende Flugzeug wurde beim Anflug auf den Flughafen Arlanda von zwei Jagdflugzeugen der Luftwaffe eskortiert und nach der Landung mit Wasserkanonen der Feuerwehr besprüht. 20 000 Fans warteten im Stadtzentrum auf die unglücklichen Verliererinnen.“

Das Streiflicht (SZ 15.10.) erweist sich als anthropologisch kundig: „Was hat man nicht vermisst in diesem spannenden, hart umkämpften Endspiel gegen die Schwedinnen? Um die Antwort zu finden, begebe man sich in die Heimat des afrikanischen Buntbarschs (Tilapia makrochir). Treffen dort Männchen aufeinander, hebt ein intensives Drohen und Imponieren an. Sie umkreisen sich mit abgespreizten Flossen. Phase zwei ist gekennzeichnet vom typischen „Maulklatschen“: Die Kontrahenten rammen sich mit offenen Mäulern und versuchen, den anderen wegzuschieben. Wer am stärksten droht, wer am heftigsten schiebt, der behauptet den Platz. Parallelen zum Männerfußball sind überdeutlich. Besonders Furcht erregend öffnet der Torwart Kahn das Maul. Imponiergesten auf Distanz werden mit drohender Körperstraffung und den abgespreizten vorderen Gliedmaßen vollzogen, was exemplarisch am Spieler Effenberg zu beobachten war; gelegentlich kommt es zum rituellen Bespucken. Ist der direkte Kampf eröffnet, stoßen die Kontrahenten mit der Stirn aufeinander und versuchen den Gegner wegzuschieben. Einige greifen heimlich nach unten. Endlich lässt sich der Schwächere fallen – eine klassische Demutsgeste, um beim Stärkeren die Aggressionshemmung auszulösen. Das alles hat gefehlt in diesem Endspiel, ohne dass man es vermisst hätte. Fußballerinnen sind eben anders Spitze.“

über die Frauen-WM

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Bundesliga

Überschätzter Kahn, Olaf Thons Karriere

Christian Eichler (FAZ 18.1.) wundert sich über den gigantischen Stellenwert des deutschen Nationaltorhüters. „Daß Kahn im vergangenen Jahr in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Art Retter Deutschlands stilisiert werden konnte, läßt sich nicht allein mit seinen Leistungen erklären. Die waren 2002 auch nicht großartiger als 2001. Es muß mehr sein als Einzelleistung: Massenpsychologie. Für ein Land in der Defensive ist ein unerbittlicher Torwart ein wunderbares Symbol – fester Rückhalt, letzte Deckung. Man könnte noch weiter gehen und im Kahn-Kult ein Zeichen dafür sehen, wie viele sich bei wachsendem Pessimismus einen starken Mann wünschen. Das hätte sogar etwas Positives: daß dafür ein sperriger Torwart mehr taugen kann als irgendein glatter Populist. Und doch ist es seltsam, wie der Kahn-Kult sich erst durch seinen Fehlgriff im WM-Finale verselbständigt, ja potenziert hat, und das ausgerechnet im zweiten Halbjahr 2002, seiner schwächsten Halbserie seit Jahren. Den Gipfel des Realitätsverlustes offenbarte der ARD-Debütant Steffen Simon beim Länderspiel in Sarajevo im Oktober. Während seine Stimme ein Pathos annahm, als sollten sich die Zuschauer von ihren Fernsehsesseln erheben, salbte der Jung-Kommentator den größten Torwart, den dieser Planet je gesehen hat. Die Fakten sind folgende: Oliver Kahn ist der beste Torwart der Welt. Er ist es, seit Peter Schmeichel in die Jahre gekommen ist. Er ist nicht der beste, den die Welt je hatte – die hatte Jaschin und Banks, Zamora und Zoff. Er ist auch nicht der beste, den Deutschland hatte. Sepp Maier machte sein bestes Spiel, als es das wichtigste war: das WM-Finale 1974. Kahn hat im wichtigsten Spiel seinen schlimmsten Fehler gemacht, so wie Harald Schumacher, der auch der Beste war bei der WM 1986 und dann im Endspiel danebengriff.“

Roland Zorn (FAZ 18.1.) vermisst Aktivitäten auf dem Transfermarkt. „Heutzutage, da den Klubs Millionen aus den ursprünglich mit der Kirch-Gruppe vereinbarten Fernsehhonoraren fehlen und der Sparzwang das Handeln bestimmt, werden sogar Schnäppchen verschmäht. Wir kaufen nichts, heißt es bei den meisten Vereinen wie sonst an der Haustür, wenn aufdringliche Vertreter ihre Ramschware feilbieten. Und so haben die 18 Erstligaklubs bisher erst zehn Profis von anderswo geholt. Unter diesen zehn Spielern sind zwei namhafte Leihgaben wie der von Borussia Dortmund zum VfL Bochum gewechselte Sunday Oliseh und der vorläufig bis zum Saisonende vom HSV zu Arminia Bielefeld transferierte Marek Heinz. Die Bochumer konnten den BVB sogar dazu bewegen, daß der deutsche Meister einen Teil des Gehalts des bis 2004 verpflichteten nigerianischen Nationalspielers übernimmt. Auf die Leistungen von Oliseh und Heinz in neuer Umgebung mag mancher Fußballfan gespannt sein, ebenso wie auf die kommenden Asien-Wochen mit dem Chinesen Jiayi Shao beim TSV München 1860 und dem Japaner Naohiro Takahara beim Hamburger SV. Insgesamt jedoch kann das bißchen Karussellbetrieb am Marktplatz Bundesliga nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Transferriesenrad längst abgebaut ist. Wo im Vorjahr noch 25,9 Millionen Euro umgesetzt und im Winterverkaufsgeschäft der Saison 2000/2001 knapp 40 Millionen Euro ausgegeben wurden, öffnen sich heute keine Fenster mehr (…) Durch zähes und geduldiges Verhandeln ist es den Bielefeldern wie dem VfL Bochum gelungen, höher eingeschätzte Spieler wie Heinz und Oliseh vergleichsweise preiswert an sich zu binden. Ohne den alten Druck, sich mit scheelem Blick auf die Konkurrenz allzu rasch handelseinig zu werden, werden die Wechselmodalitäten inzwischen detaillierter und penibler als früher festgelegt.“

Sven Astheimer (FR 20.1.) kommentiert einen Vorschlag des Bayern-Managers Uli Hoeneß. „Ob Max Schautzer den Atem Volker Roths bereits im Nacken spürt? Wenigstens ist der Name Pleiten, Pech Pannen geschützt. Seit 15 Jahren dominiert Schautzer nun den hiesigen TV-Unterhaltungsmarkt in Sachen Missgeschicke auf der Mattscheibe. Geht es nach Bayern-Manager Uli Hoeneß, dann droht dem ARD-Platzhirschen bald ernsthafte Konkurrenz. Das Ganze könnte dann ungefähr so aussehen: Deutschlands Ober-Referee Roth flimmert am Samstagabend zur Primetime durch die deutschen Wohnzimmer, präsentiert lustige Videoclips mit strittigen Entscheidungen der vergangenen sechs Monate und fragt am Ende: Wie würden Sie entscheiden? Per TED wird das Publikum interaktiv eingeklinkt und kann wahlweise zwei Karten fürs WM-Endspiel 2006 oder eine Reise zum DFB-Schülerlehrgang in Duisburg-Wedau gewinnen. Fehlt nur noch der Name. Wie wäre es mit: Die Wenn-dann-Show? Wenn der Schiedsrichter damals beim Spieler X nicht auf Elfmeter entschieden hätte, sondern auf Schwalbe, dann wäre sein Verein Y nicht Deutscher Meister geworden.“

Christoph Biermann (SZ 16.1.) beleuchtet die Lage on Schalke 04. „Im Team von Frank Neubarth scheinen sich ein paar Probleme zu verdichten, die nicht allein mit schweren Beinen zu tun haben. „Man wird langsam müde davon, dass immer wieder etwas anderes kommt“, sagt Innenverteidiger Marco van Hoogdalem und hofft, „dass wir uns endlich mit Wichtigerem beschäftigen können als Nebensachen.“ Von denen hat es in der Vorbereitung auf die Rückrunde – die Schalke als einziger Bundesligaklub außer dem HSV in Deutschland absolvierte – nämlich einige zu viele gegeben. „Was über Spieler und Verträge diskutiert wurde, müssen wir jetzt beiseite drücken“, findet auch Andreas Möller. Das betrifft nicht zuletzt ihn selbst. Eigentlich ist schon länger klar, dass der 35-Jährige zum Ende der Saison seine Karriere beschließt. Darüber hat er auch mit Rudi Assauer gesprochen; dennoch ließ der Manager den Eindruck entstehen, als wäre das Thema noch nicht erledigt. Dagegen glaubt Neubarth: „Die Entscheidung ist schon getroffen“ – für das Karriereende Möllers im Sommer. Marc Wilmots hört ebenfalls auf, musste sich dieser Tage jedoch Luft verschaffen. Der 33-Jährige beklagte mangelnden Respekt und sagte: „Man hat mich rasiert.“ Neubarth mochte in der limburgischen Nacht nur lakonisch die Achseln hochziehen und mit den Augen rollen. „Seine Karriere geht zu Ende, damit muss er halt zurecht kommen“, sagte er. Doch weder der impulsive Belgier noch Möller sind seine größten Probleme. Assauer hatte in der Winterpause den Druck auf Nationalspieler Gerald Asamoah erhöht. Die Vereinsführung erwartet von ihm bessere Leistungen als in der Hinrunde, in der Asamoahs Mängel in Zusammenspiel und Übersicht besonders deutlich wurden. Von besseren Darbietungen hängt auch die Verlängerung seines Vertrages ab. Ähnlich unter Druck geraten ist auch Jörg Böhme, der schon länger unter besonderer Beobachtung steht.“

René Martens (FTD 16.1.) mit einem Fundstück. „Wer den Fußball erfunden hat, ist eine knifflige Frage. Was die Organisation des Kickens betrifft – Regeln fixieren, Verband und Liga gründen – gelten die Engländer zu Recht als Pioniere. Aber wichtige Einflüsse auf das Spiel lassen sich schon im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts ausmachen. Und die erste Vorform existierte schon 2967 v. u. Z. in China. Umso schwieriger ist zu klären, wer zum Beispiel den Fallrückzieher oder den Flugkopfball kreiert hat. Oder die Bananenflanke. Das hält den Exprofi Charly Dörfel, der zwischen 1959 und 1972 als Linksaußen beim HSV wirkte, nicht davon ab, sich zum Schöpfer eben dieser zu erklären. Jetzt droht er all jenen, die weiterhin zu behaupten wagen, dass Manfred Kaltz die Bananenflanke „erfunden“ habe, mit juristischen Schritten. Sein Rechtsbeistand sehe „gute Chancen“ für eine „Unterlassungsklage“, lässt Dörfel mitteilen. Offensichtlich ist dies keiner der üblichen Scherze aus dem Repertoire des ehemaligen Rasenclowns. Vielmehr ist der gute Charly genervt, weil im Zuge von Kaltz´ 50. Geburtstag in den letzten Tagen immer wieder vom Bananenflankenurheberrecht die Rede gewesen ist. Die Drohung passt insofern zu Dörfel, als dass dieser schon immer etwas verbittert war über die vermeintlich mangelnde Würdigung seiner Leistungen. Uwe Seeler zum Beispiel, der zuverlässige Verwerter seiner Flanken – wie bananenartig auch immer sie gewesen sein mögen – hat ihm zweifelsfrei viel zu verdanken. Doch „der Dicke“, wie ihn seine Kameraden nannten, bekam den Ruhm; und Dörfel nur einen Job als Vollstreckungsbeamter im Wirtschafts- und Ordnungsamt Hamburg-Stellingen.“

Jan Christian Müller (FR 18.1.) lässt die Karriere Olaf Thons – der am vergangenen Samstag mit einem Abschiedsspiel geehrt wurde – Revue passieren. „Es gibt eine Szene mit Olaf Thon, die unvergessen bleiben wird. Es trug sich zu am Abend des 2. Mai 1984 im Parkstadion, das damals noch eine moderne Betonschüssel war und nun bald abgerissen wird, als Thon, seit einem Tag 18 Jahre alt, im DFB-Pokalhalbfinale gegen den FC Bayern den Ball aus halblinker Position an Torwart Walter Junghans vorbei ins Netz jagt. Danach wurde abgepfiffen. Es stand 6:6. Thon hatte drei Tore geschossen. Ein vermeintliches Jahrhundert-Talent war geboren. Später wurde Thon Bayern-Spieler und gewann dort drei Meisterschaften, ehe er nach sechs Jahren zu Schalke 04 zurückkehrte. Es war ihm nicht gelungen, ein europäischer Starspieler zu werden. Der Körper war schwächer als die Einstellung und das Talent. Immer wieder wurde der heute 36-Jährige auch durch Verletzungen zurückgeworfen. Bei der WM 1986 riss beim Aufwärmen ein Muskelbündel, als er den gesperrten Felix Magath ersetzen sollte. 1990, als Thon Deutschland gegen England per Elfmeter mit ins Finale verholfen hatte, musste er gegen Argentinien zuschauen. Teamchef Beckenbauer zog Häßler und Littbarski vor. 1998 sollte er die deutsche Nationalmannschaft in Frankreich zum Titel führen. Nach dem 2:0 gegen den Iran organisierte Rückkehrer Lothar Matthäus die Abwehr. Thon war nicht mehr gut genug. Dabei hat der gebürtige Gelsenkirchener wohl nie zuvor und danach so effektiv und intelligent Fußball gespielt, wie im Frühherbst seiner Karriere, als er die Liberoposition bei Schalke 04 auf seine ganz eigene Art interpretierte – auf wundersame Weise defensiv, offensiv, spielerisch und zielgerichtet zugleich – und seine Mannschaft zum Uefa-Cup-Sieg 1997 führte.“

Andreas Morbach (FTD 16.1.) schreibt dazu. „Zu seinem letzten Auftritt hatte Thon den FC Bayern München geladen, neben Schalke sein einziger Verein in 19 Profijahren. Als er zehn war, schlief der Junge aus dem Pott in Bayern-Bettwäsche. Einen Tag nach seinem 18. Geburtstag schoss er, mit dünnem Flaum auf der Oberlippe, beim berühmten 6:6 im Pokal-Halbfinale gegen die Bayern drei Tore. Ein halbes Jahr später machte ihn der Bayer und damalige Teamchef Franz Beckenbauer zum Nationalspieler. Mit 22 wechselte Thon, der als eines der größten Talente im deutschen Fußball galt, von Gelsenkirchen nach München. Er blieb sechs Jahre, wurde in dieser Zeit dreimal Deutscher Meister und als Bayern-Spieler 1990 Weltmeister. Charly Neumann, das Schalker Urgestein, verabschiedete ihn damals mit dem Satz: „Wer auf Kohle geboren ist, kann nur auf Kohle spielen.“ Und als er dann mit den Bayern im Parkstadion auflief, sangen die Fans: „Olaf, komm nach Hause.“ Olaf kam nach Hause, gewann am Ende seiner Karriere mit Schalke noch zweimal den DFB-Pokal. Doch ein Erfolg thront über allen anderen: der Uefa-Cup-Sieg 1997 gegen Inter Mailand. „Es war stark, Kapitän dieser Truppe zu sein“, erinnert er sich an den Triumph der Eurofighter. Youri Mulder, Mike Büskens, Marc Wilmots und wie sie alle heißen – das war die Mannschaft schlechthin. Lauter echte Kerle mit so viel Kraft, wir mussten einfach etwas gewinnen.““

Zu den Reformvorschlägen einige Bundesligafunktionäre lesen wir von Jan Christian Müller (FR 18.1.). “Die teils hektische Betriebsamkeit ist unübersehbar, der schärfere Ton unüberhörbar: Die Fußball-Bundesligisten bereiten sich darauf vor, dass die Krise alsbald noch tiefer greift. Still ruhte mehr als zehn Jahre lang der See, ehe das Ungeheuer Relegation wieder auftaucht. Extra-Spiele zwischen Drittletztem der ersten und Drittbestem der zweiten Liga, Extra-Fernsehzeiten, Extra-Einnahmen. Noch weiter reichen die Ideen, nach Vorbild von teils darbenden Ballsportarten Playoff-Systeme zu entwickeln. Die vier Besten am Ende unter sich, jeder gegen jeden. Zusatzeinnahmen für die Besten der Besten: bestimmt zehn Millionen Euro, Geld, das auch auf die armen Kirchenmäuse verteilt werden könnte. Selbst abstruse Ideen wie jene von Liga-Chef Hackmann ins Gespräch gebrachte Winter-Beschäftigung vor laufenden Kameras dürfen unabgestimmt in die Welt gesetzt werden. In der Krise passiert so etwas. Das ist normal.“

Zur Diskussion um die Fernsehgelder heißt es bei Thomas Kistner (SZ 15.1.). „Man darf Niebaum, Hoeneß und Co. nicht anlasten, dass sie sich für ihre Interessen krumm legen. Und wenn sich der Bayern-Manager dabei selbst austrickst, indem er die Gier der Gesellschaft rügt („Wir müssen lernen, dass es keine Katastrophe ist, wenn der Lebensstandard nicht immer mehr steigt“) und zugleich beklagt, dass Sat1 den Rechtepreis für die nächste Saison von 80 auf 50 Millionen Euro drücken will, statt mal locker das Doppelte zu berappen – nun, im Rechtegeschacher ist alles erlaubt. Nur darf man den Klägern ihre Taktik nicht abkaufen. Weil sie so durchschaubar ist. Die Privaten sind in Not, die Werbeeinnahmen sinken, der Boden ist nicht in Sicht – klar, dass es die Kicker zurück zu den Öffentlich-Rechtlichen drängt, die dank der Gebühren solventer sind. Indes hat aus Sicht der (verwöhnten Wohlstands-)Gesellschaft zu gelten: Eine Notwendigkeit, auch nur einen müden Cent mehr in den Fußball zu pumpen, existiert nicht. Zumal die Fabelsummen direkt in die Taschen einiger hundert Profikicker weiterfließen, die den Ball nett auf dem Spann tanzen lassen können. Die Frage, ob diese Kunst künftig mit zwei Millionen pro Jahr oder nur noch mit 200.000 zu entlohnen ist – die Frage stellt sich ein paar Klubverantwortlichen, aber nicht für die Allgemeinheit. Solange der Profifußball keine Förderprogramme pflegt, Rechts-Tendenzen im Fanvolk nicht bekämpft und auch sonst kaum soziale Relevanz besitzt, ist die neue Finanznot nur Teil der bunten Show.“

„Hipp, hipp, hurra: BVB streicht Refrain aus NS-Zeit“ SZ

Zum Vorschlag des Vorsitzenden der Deutschen Fußball-Liga Werner Hackmanns, die Winterpause mit Spielen und Turnieren zu vermarkten, wirft Georg Leppert (FR 15.1.) ein. „Sicherlich hat die Liga ein berechtigtes Interesse daran, auch in der Winterpause Geld einzunehmen. Spätestens seit der Kirch-Pleite müssen die Klubs jede Einnahmequelle nutzen. Und voraussichtlich würden das Fernsehen für ein Turnier mit Bundesligabeteiligung in der Winterpause sogar mehr Zuschauer gewinnen als für manch andere Sendung. Das aber kann nicht als Begründung herhalten für einen weiteren Wettbewerb, dessen sportlicher Wert bei Null liegt. Es reicht schon, dass im Sommer der Liga-Cup stattfindet.“

Interview mit Werner Hackmann Tsp

Michael Reinsch (FAZ 15.1.) analysiert die finanzielle Lage der Ost-Klubs. „Weder in den ostdeutschen Bundesliga-Städten Cottbus und Rostock noch an fast allen anderen Bundesliga-Standorten im Norden, Westen oder Süden glauben sie, eine Gehaltsobergrenze überhaupt erreichen zu können. Dies ist ein Thema, das den FC Hansa nicht tangiert, sagt Wimmer. Sein Klub hat einen Etat von rund 25 Millionen Euro und bezahlt seine Spieler deutlich unter dem Ligadurchschnitt. Statt Brasilianer verpflichtet der Klub an der Ostsee Schweden; inzwischen sind es bereits sechs. Beim Tabellenletzten Energie Cottbus wird schon mit dem Blick auf den drohenden Abstieg gespart; die Rauswürfe haben den Etat um gut zwanzig Millionen Euro erleichtert. Geld regiert nun einmal die Welt, sagt Trainer Eduard Geyer zur wirtschaftlich eingeschränkten Konkurrenzfähigkeit seines Klubs. Geld schießt doch Tore, sagt Geyers Rostocker Kollege Armin Veh und meint damit den Wettbewerbsvorteil der großen, reichen Klubs. Der FC Bayern München und Borussia Dortmund verfügen über rund fünfmal soviel Geld und setzen es in spielerische Qualität um.“

Portrait Tobias Rau (VfL Wolfsburg) SZ

„Die Finanzkrise im Fußball ist jetzt auch bei den Spielern angekommen – viele wären im Notfall zu Gehaltskürzungen bereit“ Tsp

„Der wahre Welttorhüter des Jahres: Lutz Pfannenstiel ist zwischen den Pfosten zu Hause – ob in Malaysia, Finnland oder Englands fünfter Liga. Die schräge Ballade von einem Fußballverrückten“ FR

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